Unvorhersagbare Umstände - Boris Revout - E-Book

Unvorhersagbare Umstände E-Book

Boris Revout

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Beschreibung

Der Werdegang des ansehenden Geschäftsmannes namens Wittke wurde im Augenblich ins Stocken geraten. Der Grund dafür war ein schwerer Herzinfarkt, den er auf dem Weg nach hoher Versammlung erlitt. Er lebte die letzte Zeit doch in einem stürmischen Rhythmus, der ihm kaum Chance gab, seine familiären Verhältnisse wieder in Ordnung zu bringen. Nun in der Intensivstation der kardiologischen Klinik bekam er die Zeit und den Wünsch, ruhig und gelassen alles zu überlegen. Und dieser Umstand änderte seine Lebensweise drastisch. So begann sein neues glückliches Leben.

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Seitenzahl: 329

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Auf dem Umschlag das Gemälde von Natalie Revout

Inhalt

Unerwartetes Ereignis

Krankenhausnachdenken

Geistige Gespräche mit dem Vater

Was wichtig bei der Kindererziehung sein sollte

Die familiären Umstände

Noch eine andere Betrachtung

Die Ehefrau

Eine heikle Vorstellung

Die Abreise

Die Suche nach neuer Arbeit

Die ersten Schimmer der Hoffnung

Bettis Gemütslage

Auf der Schwelle einer neuen Tätigkeit

Soziale Gerechtigkeit

Das Bioreservat

Die Pflanzenwelt

Bekanntschaft mit dem ersten Naturreservat

Psychedelische Pilze und Pflanzen

Südwand des Berchtesgadener Hochthrons

Erneuerbare Energie

Der Paradigmenwechsel in Energiebedarf

Aromen aus dem Wald

Die nächste Anregung

Ein möglicher Anwendungsbereich

Der Waldgeist

Unbekanntes aus dem Leben Martin Paschke

Die Künstliche lässt sich nicht langweilen

Wieder dieser Buchholz

Eine unerwünschte Beziehung

Die ersten Ergebnisse des Vorhabens

Das erste Summa Summarum

Hellseher

Das transatlantische Abenteuer

Wieder an seinem Arbeitsplatz

Kategorischer Imperativ während Coronavirus

Wie ging es nun dem „armen“ Wittke

Der Epilog

Unerwartetes Ereignis

Offen gesagt sollte dieser Tag sehr intensiv und verantwortungsvoll ablaufen, und so begann er auch, indem Karsten schon morgen früh von seiner Sekretärin Doris Krull den Terminkalender forderte. Es stellte sich heraus, dass es schon in einer Halbestunde eine zahlreiche Veranstaltung stattfinden sollte, wo er, der führende Unternehmer, Dr. Karsten Wittke eine Einleitungsrede machen musste. Und es war in der Tat so. Der Chef blieb dort bis zur Mittagszeit, nahm ans Büffet teil, wo auch alkoholische Getränke serviert worden waren. Danach fuhr ihn sein Fahrer nach seiner Tochtergesellschaft, wo eine wichtige Besprechung über die Entwicklungsaussichten passierte. Er beeilte sich später zum Treffen mit französischen Kollegen im Hotel Mercure als ein Weh im Brustbereich sowie eine schwere Atemnot diese Aktion verhindern sollten.

Der Fahrer verband sich sofort mit dem nächsten Krankenhaus, das sich im Abstand von zehn Fahrtminuten befand, und vergewissert sich über die Bereitschaft des Fachpersonals, den Chef anzunehmen.

Es war auf keinen Fall eine überflüssige Maßnahme, denn die Mediziner waren schon zum Moment ihrer Ankunft in der Lage, die dringende Untersuchung zu beginnen. Die ursprüngliche Vermutung eines Herzinfarktes, die die Ärzte mit allen modernen Mitteln zu erleichtern versuchten, wurde nach einigen Stunden vollkommen bestätigt worden. Danach wurden alle jüngsten Methoden der Heilbehandlung zum Einsatz gebracht, damit er am Leben bleiben konnte.

Krankenhausnachdenken

Nun lag Dr. Wittke auf der Intensivstation und dachte darüber nach, was mit ihm passieren sollte. Im Großen und Ganzen war es die erste günstige Möglichkeit seit vielen Jahren, seine eigene Person als einem Beobachtungsobjekt zu betrachten. Sonst fühlte er sich wie ein belangloses Anhängsel seiner Firma, seines Amtes oder seines Kollektivs, das heißt, wie eine Zugabe, die ohne die Gesamtheit nichts bedeuten konnte.

Die schwere Erkrankung sorgte plötzlich dafür, dass er seine Existenz für das erste Mal gleichsam von außen zu sehen probierte. Diese Verhaltensweise war ihm sicher neu und fremd gewesen. Sie ließ ihm aber etwas Begierde Erregendes entdecken. War es eine Beschaffenheit der Krankheit oder eine göttliche Vorsehung, die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu richten? Jetzt schien er sich wie einem eingeflößten Sonderling, der die richtige Wahrnehmung der Wirklichkeit verloren habe.

Wann sollte diese Selbstzurückgezogenheit anfangen? Seit seiner Jugend war Karsten ein selbstbewusster Kerl, der jeder Sache seines körperlichen oder geistigen Zustandes keinen Selbstlauf zu geben schien. Nach seiner industriellen Ausbildung wurde dieses Interesse für eigene Person noch verstärkt, indem er immer tiefer in die Vorgänge durchzudringen versuchte, die in seinem Inneren passieren konnten. Mit Jahren begann er, die Achtung auch der gesunden Ernährung zu schenken, was ihm nicht nur gewisse gastronomische Freude mitbringen konnte, sondern ein angenehmes Gefühl der Erkenntnis, wie die leckeren Lebensmittel seine inneren und äußeren Körperteile aufbauen ließen. Damals machte ihm Spaß zu wissen, dass seine Lieblingsbanane eine Vielfalt an Mineralien wie Magnesium, Kalium, Kupfer und Eisen, an Vitaminen wie B6, Betakarotin, C und K sowie an anderen unersetzbaren Naturstoffen. Solch Verständnis erregte in ihm einen Stolz, mehr als andere darüber zu wissen. Dieser nachdenkliche Anblick dauerte bei ihm aber nicht lange, denn seine Aufmerksamkeit wurde allmählich der sachlichen Beschäftigung gewidmet, die immer größere Anteil seiner Lebenskraft forderte. Dieser Umstand sorgte dafür, dass er mehrere Dinge des Organismus eher oberflächlich aufzunehmen vermochte, ohne sie im Verstand sorgfältig zu verdauen. Deswegen blieb seine Beschlagenheit über vielen Sachen weit größer als sein Gedächtnis zu speichern bereit wäre. So konnte er es jetzt wegen der Ruhe, die ihm seine Krankheit erteilte, aus den abgerissenen Angaben, die sein Gedächtnis noch zu bewahren pflegte, daran erinnern, dass die drei unersetzlichen Bestandteile menschlicher (oder allgemein tierischer) Ernährung Kohlenhydrate, Fette und Proteine sein sollten. Gerade sie werden durch unterschiedliche Reaktionen des Stoffwechsels zu Essigsäure abgebaut, die dann zu Kohlendioxid und Wasser oxidiert wurde. Unterschiedliche Enzyme spielten dabei die Rolle der Katalysatoren, die den Prozess beschleunigten, selbst aber unverändert blieben.

In den 80-er Jahren des 20 Jh. verbrauchten die Einwohner der BRD mittelstatistisch 47 % Kohlenhydrate, 40% Fette und 13% Proteine, um ihren Energiebedarf zu decken. Da die Umweltbedingungen (Klima, Nahrungszufuhr usw.) sehr variabel waren, wurden die Überlebenschancen eines Organismus davon abhängig, dass er seinen Stoffwechsel ständig an neue Bedingungen anpassen sollte. Im Verlauf der Evolution wurden sehr komplizierten Mechanismen entstanden, die es erlaubten, die katalytischen Aktivitäten der Stoffwechselenzyme an die jeweiligen Bedürfnisse an zu passen. Die Verdauung war unmittelbar mit dem Übergang der Membranbarriere verbunden. Diese Magen und Darmlumen trennten den Raum zwischen Hohlorganen und Blutbahn, indem die Nährstoffe erfolgreich vom Blut absorbiert werden konnten. Die Verdauung selbst bestand darin, dass die Nahrungskomponenten in solchen Lumen in ihre niedermolekularen Bauteile zerlegt worden. Die komplizierten Prozesse der Verdauung forderten die Beteiligung zahlreichen Enzymen, Hormonen, Vitaminen und Mikroelementen, die für einen gesunden Zustand des Leibes sorgen sollten. Ihr ständiger Mangel oder gestörte Funktionen sollten unvermeidlich zu schweren Erkrankungen wie Verfettung, Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall führen. Alle diese physiologischen Mechanismen wusste der junge Karsten Wittke wohl, vergas aber vollständig danach als er dafür zu beschäftigt werden sollte.

Nun in diesem Krankenzimmer wurde er sofort traurig geworden, weil er damals nicht einsichtig genug war, die Weisheit der Kenntnis angemessen zu begreifen. In der Tat sollte er kapieren, dass die sehr komplizierten Verdauungsvorgänge einen Schlüssel zur guten Gesundheit geben konnten. Allein das Verständnis der zwei unterschiedlichen Mechanismen der Ernährung würde wahrscheinlich ausreichend, um eine heilende Wirkung des Fastens regelmäßig auf sich zu probieren. Stattdessen vorzog er, sich systemlos zu ernähren, während der einzelne Prüfstein des „normalen“ Essens eine überflüssige Sattheit sein konnte. Die Mutternatur kümmerte sich viel klüger darum, dass sogar unter hungrigen Umständen ein Lebewesen längst am Leben bleiben sollte. Seit Millionen Jahren entwickelte sie solches scharfsinnige System, das die Mobilisierung der zustandigen Substrate genau dem Bedarf der verschiedenen Organe und Gewebe des Organismus entsprechen konnte.

Schon vor seiner technischen Ausbildung wurde es Karsten klargeworden, dass die Herzleistung eine entscheidende Rolle für die menschliche Gesundheit spielen sollte. Er las medizinische Bücher, aus denen er erkennen konnte, dass das Herz vor allem eine Verbindung zwischen dem Lungen- und dem Körperkreislauf schafft. Die Hauptfunktion dieses Hohlorgans bestand im Pumpen des Blutes durch den Körper sowie die Versorgung aller Organe mit dem Sauerstoff. Das Komprimieren und Ausdehnen des Herzmuskels passierte mittels eines komplizierten elektrischen Erregungssystems, indem die benötigten Elektroimpulse im sogenannten Sinusknoten erzeugt werden sollten. Doch die Kenntnisse, die jahrelang unbenutzt blieben, verloren allmählich an Bedeutung. Etwas Ähnliches ereignete sich bezüglich des gesunden Lebensstils, der ein regelmäßiges Sporttreiben oder körperliche Arbeit im Freien voraussetzen sollte. Diese unbestreitbare Binsenwahrheit verlangte keine Diskussion, wurde aber nie zum Einsatz gebracht. Selbstverständlich war es früher nicht der Fall. Die ersten Jahre nach dem Abschluss der Hochschule war die Schwimmhalle und das Fitnessstudio die Lieblingsorten des jungen Mannes. Nicht allein deswegen, weil man dort seinen Körper mit einer auffälligen Muskulatur zu kräftigen vermochte, sondern auch weil sie die Treffpunkte erwiesen, wo man sich die Bekanntschaft mit weiblichen Personen leisten konnte. Und die neuen Beziehungen waren sowieso mit dem Energieverbrauch verbunden. Das Aufsteigen über die Diensttreppe wurde mit dem Wachstum der Verantwortung und mit der Verminderung der Körperkultur verknüpft. Diese Stufe sollte die besten Früchte des Lebens mitbringen, an die man später mit dem Stolz erinnern konnte. Den schönsten Jahren konnten auch dadurch ausgezeichnet werden, dass sie am schnellsten abgelaufen worden. Das Gefühl der Zeit war bestimmt sehr persönlich und änderte sich in unterschiedlichen Lebensabschnitten. Man konnte eine und dieselbe Zeitspanne als sehr kurz und sehr lang empfinden. Trotzdem beschleunigte sich das Tempo des Zeitablaufs mit den Jahren enorm von dem Schneckenkriechen in Kindheit bis zum Rennen im Greis Alter.

Die Bedingungen des Krankenhauses waren einerseits ziemlich gramvoll, andererseits erteilen sie den Bewohner die Chance, auf sich selbst vom Außen zu kucken. In diesem Sinne gab es im Verbleib dort etwas Sakrales, was man sonst eher in der Kirche erleben konnte. Doch im Unterschied zum Gotteshaus, wo man sich nach der Laune auch freudig oder glücklich empfinden konnte, war eine Heilanstalt eng mit der Schwelle zwischen Leben und Tod verknüpft. Im Großen und Ganzen räumte die Heilstätte immer gewisse Unruhe oder nicht selten Angst ein, weil ein schmerzhafter Zustand ein wirkliches Bild zu übertreiben hinstrebte. Außerdem entstanden im Kopf sofort viele Beispiele aus eigener Umgebung, wie anscheinend absolut gesunde Menschen nach einem Aufenthalt im Krankenhaus verschieden waren. Ob es dabei um einen ernsten oder einfachen Fall handelte, ließ das Gedächtnis urteilen. Wichtig für ihn war nur ein bloßer Sachverhalt. Auf diesem Grund drängten sich dunkle Gedanken im Verstand und riefen die philosophischen Fragen heraus. Sein Leben, das nach dem Willen einer unbewussten Macht in wenigen Tagen beendet werden konnte, schien dem Betroffenen augenblicklich sehr bedeutsam zu sein. Es durfte nicht so dumm und primitiv unterbrochen werden. Es gab darin irgendwas Irrsinniges, was man aber nicht zu verhindern vermochte. Diese Empfindung erwies bestimmt etwas Größeres als bei einer geistigen Beichte. Denn nun handelte es sich nicht um die fragwürdigen Sünden oder Übeltäte, sondern um die klaren und realen Handlungen und Tugend, über die ein Sterblicher kurz vor seinem Ableben nachdenken könnte. Karsten ertappte sich dabei, dass das Leiden, das von einer Herzschwäche verursacht worden war, sollte sich ganz anders hervortreten wie bei mehreren anderen Erkrankungen, die er Zeit des Lebens bekommen hatte. Er war sicher nicht empfindsam. Allerdings war er bereit, jetzt im Krankenzimmer der Intensivstation zu vermuten, dass das Herz ein Wohnsitz der Seele gewesen sein sollte. Weil er nur dadurch die Beschaffenheit zu bekommen erfolgte, mit seiner Seele unmittelbar und wörtlich zu sprechen.

Geistige Gespräche mit dem Vater

Es war fantastisch allerseits, vor allem aber im Sinne des vertrauten Gesprächspartners. Zugleich war dieser unsichtbare Bestandteil des Herzens ein echter Vermittler zwischen ihm und dessen vor neun Jahren verstorbenen Vater Gustav, der bis zu seinem Tod als wäre er ein Prediger seinen erwachsenen Sohn zu belehren suchte. Später, wenn der Vater nicht mehr lebte, konnte Karsten begreifen, dass mehr davon, was der Alte ihm aussagte, ganz vernünftig und rechtzeitig gemacht worden war. Die letzten Tage im Krankenzimmer, die der Sohn auf der Grenzzone zwischen Dies- und Jenseits verbrachte, waren aufschlussreich, unter anderen deswegen, weil die Gestalt Gustav sich ständig in der Nähe war. Sie sprachen stundenlang miteinander und diese ungewöhnliche Unterhaltung war vermutlich das Beste, was der Kranke sich zu wünschen vermag. Der nächste Verwandte äußerte anscheinend irgendwas Aktuelles, was er zeit seines Lebens nicht wissen oder nicht sagen konnte. Außerdem bezogen sich seine Erwägungen auf den schwächlichen Zustand des Sohnes, was nur eine belebte Person, die sich in diesem Raum befinden sollte, kapieren konnte. Bemerkenswert betrafen alle Sachen, die gesprochen worden waren, ausschließlich die irdischen Angelegenheiten, gleichsam die Zukunft für den Kranken gesichert werden sollte. Seltsamerweise wirkte diese Begleiterscheinung fast heilend, was in Abwesenheit anderer ermutigenden Beweggründe ganz wertvoll sein musste. Da die kurzen Gespräche mit den immer sehr beschäftigten Kardiologen etwas Konkretes und Freudiges bringen konnten, blieb dem Patienten allein die Vatergestalt übrig, die ihm eine positive Denkweise einzuflößen fähig war. Und der Alte schien keine Mühe zu scheuen, damit sein Sohn in einer absehbaren Zeit das Krankenhaus gesund verlassen konnte. So erzählte er ihm die Geschichten ihren gemeinsam bekannten, die sich vor Jahren in noch schwierigeren Bedingungen gebracht worden waren, was schwerlich die Hoffnung auf ihre Genesung geben konnte. Allerdings fanden sie alle die Kraft, um die Hindernisse, die ihnen das Schicksal erteilte, zu überwinden. In der Tat fanden alle genannten Fälle statt und die Leute, die „Vater“ erwähnte, das Glück haben sollten, den nahsterblichen Zustand zu überleben.

„Ich zweifle mich nicht daran“, sprach damals der Alte, „dass du auch willensstark genug wirst, deine Erkrankung zu besiegen“. „Willensstark“ war ein sehr präziser Ausdruck, vor allem deswegen, weil der Herzinfarkt die körperlichen Kräfte zu entnehmen pflegte. Ein menschliches Wesen verfügte aber über eine Beschaffenheit, die bei anderen Lebewesen fehlte. Sie war mit der besonderen Konzentration der geistigen Energie verbunden, die manchmal die körperlichen Kräfte ersetzen konnte.

Die Gestalt, die in diesen Stunden und Tagen ständig um seine Heilung kümmerte, half ihm auch, die Kunst der genannten Konzentration anzueignen. Obwohl es gar nicht leicht sein sollte, ging diese geistige Leistung in gewünschte Richtung, so dass die Ergebnisse in zehn Tagen sogar auf EKG sichtbar sein konnten. Unter mehreren sonstigen Leitgedanken wollte der „Vater“ auch einige Empfehlungen über den Lebensstil des Sohnes nach der Entlassung aus der Heilanstalt machen. So war er der Auffassung, dass die Tätigkeit des Unternehmers von selbst kaum Gesundheit fördernd sein konnte. Im Gegenteil schaffte sie immer neue Risikofaktoren, die man mit allen Mitteln auszuschließen versuchen musste. Die genannten Methoden waren nicht nur mit der körperlichen Arbeit und Fitness verbunden, sondern mit der Zeit, die der Betroffene der Familie widmen sollte.

Karsten war nicht sicher, doch er konnte die Tatsache nicht außer Acht lassen, dass die lange Anwesenheit des Vatersspuks für die neue Bewertung seiner sittlichen und geschäftlichen Positionen sorgen sollte. Vor seinen Augen liefen wie einzelne Aufnahmen im Filmstreifen die bunten Bilder aus seinem Werdegang, indem er deutlich eine Vielfalt der Fehler und falschen Berechnungen erfassen konnte.

In allen diesen Fällen würde er sich jetzt ganz anders benehmen. Seine schroffe Eigenart, die vielleicht bei dem Umgang mit den Untergeordneten angebracht werden konnte, passte für die Verhaltensweise mit seiner Familie überhaupt nicht. Als ein unvermeidliches Ergebnis dieses irrtümlichen Benehmens verschlechterte er die Beziehungen mit seiner Frau Bettina, die wahrscheinlich ihre Söhne Max und Klaus gegen ihn gestimmt haben konnte. Die beiden Teenager waren starrsinnig genug, damit ihre häusliche Erziehung eine schwere Aufgabe erweisen sollte. Jedenfalls gelang es Karsten kaum, mit den harten Wirkungen deren Widerstand zu überwältigen. Nicht zu besseren Resultaten führte auch sein Versuch, die jugendlichen geistig zu überzeugen, den Erwachsenen nach zu geben. Diese „zarte“ Methode wirkte auf sie wie rotes Tuch auf einen Stier, indem sie darauf noch wütender reagierten.

Was wichtig bei der Kindererziehung sein sollte

Die Behandlung in der Klinik war in der Lage, nicht nur einen klaren therapeutischen Effekt auf sein Herz auszuüben, sondern etwas Neues in der Kindererziehung darzustellen. Die Denkweise der Jungen war bestimmt nicht dieselbe, die für die älteren Menschen eigentümlich sein sollte. Sie nahmen alles sachlicher und materiell auf, was von dem Erzieher verlangte, konkrete Beispiele und Handlunge auszuwählen, die irgendwas Anlockendes für die Jüngeren bedeuten konnte. Schon nach dem Auftauchen der Vatergestalt wurde es ihm verständlich geworden, dass das Erwachsenwerden der Jungen eine geschlechtsbediente Erscheinung sein sollte. In diesen Sinnen konnte er auch sich selbst nicht zu typischen Maskulinen zählen. Jetzt sollte er sich Rechenschaft darüber ablegen, dass er mehrere weiblichen Merkmale besaß, die ihn nicht selten zwangen, auf resolute Handlungen zu verzichten. Mit seinen Söhnchen war es unbedingt nicht der Fall. Die beiden zeichneten sich seit der Kindheit mit gewissen „husarenartigen“ Eigenschaften aus. Ihr übertriebener Tätigkeitsdrang ließ ihnen kaum, wenige Minuten müßig zu bleiben oder etwas Besinnliches zu leisten. Sie vorzogen eher zu schreien als ruhig zu erwägen. Sie hassten jene Ordnung und schienen, lieber alle ihre Sachen in alle möglichen Richtungen zu schleudern als sie sorgfältig zusammenzustellen. Ihnen gefiel es zweifellos, schmutzig und mit dem schwarzen Nageln gleichsam einen schönen Anblick zu geben.

Karsten war es immer unbegreiflich gewesen, welches Vergnügen sie zu erfahren vermochten, etwas zu zerschlagen oder zu vernichten. Karsten musste sich jedes Mal für sie schämen, wenn die Familie sich bei Gesellschaften befand. Er fühlte die allgemeinen Anblicke auf sich als wäre er selbst der Schuldiger ihres schlechten Benehmens. Nur nach diesem unglückseligen Herzinfarkt war er in der Lage, seine Kinder in einem anderen Licht zu betrachten. In der Tat erwiesen sie ein Beispiel der hundertprozentigen männlichen Individuen, die er als Vater respektieren sollte. Natürlich ließen sie sich nicht leicht erziehen und diese Tatsache konnte nur Verdruss bereiten. Aber man konnte einen entsprechenden Ausgleich darin sehen, dass sie wie echte Männer aufwachsen sollten. Der Kranke musste sich eingestehen, dass ihm selbst diese erhabenen Fähigkeiten fehlten, was biologisch gesehen mit dem Mangel an Testosteron verknüpft werden konnte. Vielleicht spielte dieser Umstand eine entscheidende Rolle darin, dass er auch bei Bettina keine richtige Autorität verdienen konnte. Sie schaute ihn manchmal an, als wäre es unmöglich, in seinen Handlungen etwas Wertvolles zu finden. Vielleicht reichte ihm nicht unter allen familiären Bedingungen die geistigen Kräfte aus, damit seine offenen Schwächen nicht besonders auffällig sein sollten. Er wurde zornig auf sich selbst geworden und versuchte, seinen Ärger an seiner Frau auszulassen. Solch Benehmen brachte aber nichts Nützliches mit.

Jetzt stellte es sich heraus, dass auch seine zahlreichen Verhältnisse mit anderen weiblichen Personen von dieser fehlenden Gelassenheit in Familienumständen bedingt worden waren. Die Mehrheit davon fand mit den jungen Frauen statt, die geschäftlich von ihm abhängig waren. Seit Jahre maß er dieser Begleiterscheinung keine Bedeutung bei. Es passierte gewöhnlich fast von selbst, das heißt, er gab sich keine Mühe, um die Kollegin dazu zu bewegen. Eher kam die Initiative von ihr selbst und ereignete sich bei den feierlichen Betriebsversammlungen. Solche verworrenen Beziehungen dauerten üblicherweise unterschiedliche Zeit- abschnitte und wurden aus verschiedenen Anlässen beendet worden. Manchmal kündigte sich die Frau wegen einer neuen Arbeit oder eines Umzugs in die andere Stadt, manchmal war es ein beidseitiger Wunsch, nicht weiter fort zu setzen. Zu heftigen Streiten kam es selten, obwohl diese Fälle unangenehme Gepräge hinter sich lassen sollten. Einige Male ging es um die gezielte Schwangerschaft, die die Betroffene wie eine Erpressungswaffe gegen den Vorgesetzten auszunutzen probierte. Die gewisse Gefahr für Herr Dr. Wittke bestand vor allem darin, dass die heimlichen Sachen in die Öffentlichkeit gebracht werden konnten.

Der Versuch, dem Chef Schrecken einzuflößen, indem die junge Mitarbeiterin anscheinend mit seiner Frau zu sprechen vermochte, konnte für den Älteren kaum wünschenswert werden. Der Aufruf zur Anständigkeit der schwangen gegenüber sah unter solchen schlechten Umständen nicht vernünftig aus. Deswegen kostete die Möglichkeit, alles in Ordnung zu bringen dem „armen“ Unternehmer viel Kraft und Nerven.

In den Tagen auf der Intensivstation erinnerte Karsten mehrfach an diese Fälle, als wäre er von himmlischer Macht gezwungen, sie erneut zu überleben. Die Psychotherapeutin, die ihn dort beobachtete, erklärte ihm vereinfacht die Mechanismen, die das Zentralnervensystem unter Stressbedingungen benutzte, damit es sich von katastrophalen Schäden schützen könnte. Daraus konnte Dr. Wittke eine entsprechende Schlussfolgerung ziehen und zwar, dass fürs ZNS es vorteilhaft wäre, andere Organe in Gefahr zu setzen. In der Reihe von solchen Organen stand das Herz auf der ersten Stelle. Das Geheimnis dieses wichtigen Körperteils steckte sich unter sonstigen darin, dass die normale Herz Funktionierung durch schwache elektrischen Impulse gesteuert werden sollte. Die Letzten wurden ständig vom ZNS kontrolliert worden. Der Stresszustand brachte das ZNS in die aufgeregte Lage, so dass die genannten Impulse nicht mehr richtig und regelmäßig gesendet werden konnten. Die Tätigkeit des Unternehmers war selbst die Kräfte erschöpfend und nervös, um die Herzprobleme auszulösen. Wenn ein Businessman zusätzlich noch privat entmutigt wird, kann es das Herz unumkehrbar schädigen lassen. Wahrscheinlich passierte etwas Ähnliches mit Karsten, als das ungünstige Zusammentreffen der Umstände (ein verirrter Lebensstil, falsche Ernährung, Stress usw.) diesem Organ preisgeben sollte. Diese Erwägung erregte in dem Bewusstsein des Herzpatienten den Gedanken, dass das Herz nicht nur ein möglicher Behälter der Seele, sondern ein ständiger Problemort, der alle körperlichen und geistigen Anstrengungen auf sich zu sammeln pflegte. Nun bekam Dr. Wittke erstmal seit mehreren Jahren die Chance, die modernen Fortschritte der Kardiologie zu erkennen und zu kapieren, wie seine eigenen Fehlschläge zur entsetzlichen Lage führen konnte.

Ein mittelmäßiger Bürger unterschied sich im Allgemeinen kaum von den hoch hervorragenden Persönlichkeiten, die nur selten ernst um ihr leibliches und seelisches Wohlbefinden kümmerten. Es sah so aus als sollten sie das Wagnis der bekannten Risikofaktoren bewusst zu unterschätzen suchen. Besonders aufschlussreich fanden solche typischen Verstoße gegen eigenen Organismus bei den Unternehmern statt. Bestimmt wussten sie alle das Bescheid darüber, dass die hohe Nervosität, die ihren Beruf begleiteten, sehr schädlich und ungesund sein sollte. Vermutlich verstanden sie wohl, dass zu den effizienten Methoden körperlicher und geistiger Hygiene verschiedene Sportarten, mäßige und ausgewogene Ernährung sowie ständiges selbstkritisches Verhalten gehörten. Realistisch gesehen bevorzugte die Mehrheit der Geschäftsleute anderes Mittel, um die unheilvollen Folgen ihres Faches zu beseitigen. Tabak- und Alkoholgenuss waren anscheinend die gutgeeignete „Medizin“ dafür. Als ein einmaliger oder nur sehr selten angewendeter Stoff passte vielleicht die genannte „Arznei“ wirklich. Es stimmte aber auf keinen Fall bei häufigem Gebrauch. Umgekehrt ähnelte ihre Wirkung solche vom Stress sowie von traumatischen Erlebnissen. Außerdem sollten sich die Einflüsse mehreren ungünstigen Faktoren anhäufen, was das gesamte Ergebnis viel schlimmer aussehen konnte als die Summe der einzelnen Größen. Die krankhafte Grübelei, die Karsten sich auf der Intensivstation leistete, ließ ihm schließlich bestimmte Auswegs Verfahren ausdenken, die er als einsichtig und nützlich fand. Nach einigen Tagen erörterte er sie mit der hiesigen Psychotherapeutin, die sie prinzipiell billigte. Kurz gesagt setzten sie aus wenigen Komponenten zusammen, die verschiedenen Seiten seines Lebens in Ordnung bringen sollten. Vor allem musste er die familiären Sachen wiederherzustellen versuchen, was gar nicht einfach wäre.

Neben den komplizierten Verhältnissen mit Bettina, störten ihn jetzt die künftigen Gespräche mit seinen Söhnen, die alles in eine ganz neue Richtung bringen sollten. Vielleicht konnte dabei sein Verständnis für ihre eigentümliche männliche Beschaffenheit behilflich sein. In jedem Fall stand ihm eine angespannte Arbeit mit ihnen bevor.

Das menschliche Gehirn konnte Dr. Wittke schon längst nicht in Ruhe lassen. Wie passierte es in der Tat mit dem Geist. Die moderne Neuropsychiatrie versprach bald die Antwort auf die Frage zu geben, welche physiologischen Prozesse für den Wille verantwortlich sind. Es wurde schon bekannt geworden, wie unterschiedliche Blutströmungen in Gehirnarealen gewisse kognitiven Aktivitäten beeinflussen sollten. Es schien realistisch zu sein, dass man in einer absehbaren Zukunft bestimmte biochemischen Reaktionen entdecken könnte, die die Person mit der Verehrung zur anderen versehen sollte. Noch komplizierter wäre es mit der Besinnung aussehen, die eine Reihenfolge von einzelnen neurophysiologischen Aktionen erweisen konnte. Äußere Reize, sahen sie visuellen, akustischen oder olfaktorischen Ursprungs, sind mit den präzisen örtlich beschränkten Hirngebieten verbunden. Die Großzügigkeit der intellektuellen Leistungen wird viel verworrener werden, als man vermuten konnte, indem nicht nur begleitende Umstände, sondern auch die zufälligen fremdartigen Ereignisse eine positive Rolle spielen könnten. Z.B. findet solche Tatsache bei einem Forscher statt, der längst an eine Wirkung grübelt, die seine gesamte Aufmerksamkeit anzulocken pflegt. Plötzlich sieht er in einer Vorstellung etwas Schönes, das aber mit seinem aktuellen Thema nichts zu tun habe. Doch nun sorgt gerade diese anscheinend völlig bedeutungslose Kleinigkeit dafür, dass er das Wesen seiner Suche begriff. Solche Gedanken brodelten im Gehirn Karsten besonders in der Herzklinik. Damals waren seine Söhne der Stein des Anstoßes, denn es gab in deren Benehmen etwas Unzulässiges, was er zu ändern verpflichtet war. Folglich bekam er im Schlaf eine Einbildung, die er vielleicht sonst nie erfahren konnte. Vor allem konzentrierte er seine Ansicht darauf, dass die beiden einfach sehr erregbar waren. Von Seiten konnte man diese Beschaffenheit durch ihre übermäßig lauten Stimmen erkennen. Ein geistiger musste wohl kapieren, dass es unanständig und sozialwidrig sein sollte, sich in solcher Art und Weise zu verhalten. Außerdem wurde es von den Neurologen festgestellt, dass die scheinbaren antisozialen Handlungen der Kinder mit deren sonstigen gesteigerten Aktivität sowie mit der mangelnden Aufmerksamkeit verknüpft werden sollte. Die beiden wurden immer unruhiger gewesen, was ihren Umgang mit den Lehrer und Mitschüler sehr kompliziert zu machen drohen.

Der Herzinfarkt sorgte wahrscheinlich auch dafür, dass er momentan an alle seinen Affären zu erinnern wusste. Er würde bereit zu sein, sie alle aus seinem Gedächtnis auszulöschen. Es war aber nicht mehr möglich, weil sie zu einem unvergesslichen Bestandteil seines Schicksals geworden waren. Sie gehörten nun beständig zu seiner Erfahrung, die unzertrennlich mit seiner Existenz bis zum Tode vorhanden sein musste. Diese Denkweise ließ ihm, im Augenblick alle Kränkungen, die er ihnen gegenüber zu erleiden vermochte, zu vergessen. Stattdessen blieben in seiner Seele angenehme Bilder und Gestalten, die hoffentlich fernerhin wie eine verlässige Tröstung sein krankes Herz beruhigen sollten. Er durfte diese weiblichen Wesen nicht wegen ihrer Verhaltensweise bezichtigen, weil sie eine natürliche Folge ihrer Biologie sein sollte. Alle seine Frauen sahen äußerlich absolut anders aus. Doch geistlich und sinnlich waren viele von ihnen sehr ähnlich, so dass er bei ihnen irgendwelche verwandtschaftlichen Verhältnisse vermuten konnte. Er wollte nicht daran glauben, dass ihre verfeinerten Gefühle zu ihm ausschließlich von seiner übergeordneten Position vorkommen konnten. Einerseits sollte es etwas beleidigend für ihn klingen. Andererseits konnten die Zärtlichkeiten, die sie in Beziehungen mit ihm zu erweisen versuchten, keinen Zweifel übriglassen, dass er als Mann für sie gleichgültig war. Nein, bestimmt nicht, weil sonst mussten sie alle hervorragenden Schauspielerinnen gewesen sein.

Der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Natur war rasant. Die häufig eintreffende Unverständlichkeit dieser wichtigen Tatsache führte gewöhnlich zu unvermeidlichen Auseinandersetzungen und Zanken, die allmählich die meist passenden zueinander Paaren zur Scheidung bringen sollten. Seltsam schien jetzt Karsten der Umstand, dass auch er vor dieser schweren Erkrankung nichts davon zu verstehen probierte. Mit anderen Worten waren die herzlichen Schwächen nicht ausschließlich schädlich (oder tödlich) gewesen, sondern sie trugen eine große Leistungsfähigkeit für das Begreifen einiger komplizierten Dingen des menschlichen Daseins. Es sah so aus, als wäre irgendwelche himmlische Kraft dafür verantwortlich, sowohl um die Bestraffung als auch um die Belohnung der betroffenen Person zu kümmern. Zu Besonderheiten des Krankenhauses gehörte nicht zuletzt die unterschiedliche Zeitwahrnehmung seitens des Personals und der Patienten: Während die Letzten deren Überfluss genießen konnten, litten die Ersten an einen verhängnisvollen Mangel dieser Substanz. Solche Ungereimtheit schien Dr. Wittke sehr ungünstig zu sein. Denn er war unfähig, alle Fragen, die in seinem Kopf während des Aufenthalts in der Klinik entstanden, mit den klugen Kardiologen zu diskutieren. Die sollten eine große Erfahrung an die Erläuterung vielen Erscheinungen, die er dort bekommen habe, zu sammeln. Selbstverständlich gehörten sie nicht in die Lernbücher oder wissenschaftliche Zeitschriften, wo nur stoffliche und körperliche Sachen diskutiert worden waren. Die Mehrheit der Themen, die er gerne mit den Fachleuten erörtern wollte, betraf die geistigen und seelischen Einzelheiten. Sie verlangten von ihm eine deutliche Erklärung. Diese paradoxale Situation ähnelte ihm an ein Märchen, das ihm als Kind seine Mutter erzählte.

Dort handelte es sich um ein altes Weisen, der bei der Umgebung so gefragt worden war, dass er keine Zeit mehr für die übrigen Sachen haben konnte. Ein Dummes Kerl, der unwissend in der Nähe wohnte, grübelte lange darüber nach, was er von Herrgott bekommen habe, und sollte den Schluss ziehen, dass er gar nichts zur Verfügung gestellt habe. Die einzige Sache, die er vollständig besaß, war die freie Zeit.

„Wenn der Alte keine Zeit habe“, dachte sich der Kerl, „sollte für ihn auch die Zeit, die ich besitze, wertvoll sein. Es bedeutet, dass er wahrscheinlich bereit wird, seine Weisheit auf meine Zeit zu wechseln. Also muss ich zu ihm gehen und den gewünschten Umtausch vorschlagen“. Und so machte der Bursche. Als der Weise erkannte, mit welcher Frage der Kerl ihn besuchte, begann er darüber nach zu denken: „Wenn dieser junge Besucher auf solchen Gedanken kam, ist er nicht so dumm, wie die Leute ihn aufzunehmen pflegten. Anders ausgedrückt ist er tauglich, damit er bei mir gelehrt werden konnte. Das heißt, er wird allmählich kluger geworden, um meine Beschäftigung teilweise zu übernehmen. Ich bin alt und die Zeit, die er mir überbringt, könnte ich für unterschiedliche Dinge ausnutzen“. Und schließlich ereignete sich alles wie der Alte vermuten sollte.

Merkwürdigerweise empfand sich Dr. Wittke in dem Augenblick an der Stelle des dummen Kerls, dem der gleiche Umtausch dringend benötigt gewesen sein sollte. Allerdings war es nicht der Fall im Sinne, dass er seine überflüssige Zeit vernünftig anwenden sollte. Nach dieser Erwägung widmete Karsten seine Zeit dem Versuch, den rätselhaften Begebenheiten, die mit ihm vor kurzem stattfanden, eine einsichtige Erklärung zu finden. Was war es in der Tat? Eigentlich zählte er sich zu diesen Ungläubigen, die allen solchen erfundenen Geschichten nicht vertrauen. Doch jetzt war die Rede nicht von irgendwelchen Gerüchten, sondern von seinen eigenen Erlebnissen.

Die familiären Umstände

In Abwesenheit von erfahrenen Herzfachleuten (die nach den genannten Gründen mit ihm nicht sprechen konnten) wurde er nun gezwungen, selbst auf allen Fragen die passende Antwort zu suchen. Folglich musste er eingestehen, dass die Seele, deren faktische Existenz noch nicht bewiesen worden war, wahrscheinlich einer Realität entsprach. Ihm wäre es schwer, die wirkliche Vorbestimmung dieser vergänglichen Sache zu mutmaßen. Trotzdem konnte er hoffen, dass sie eine gewisse Rolle bei dem Umgang mit den verschiedenen Personen zu helfen vermochte. So war die Gestalt seines Vaters, die ihm bei der Genesung eine richtige Unterstützung leistete, ein aufschlussreiches Beispiel dafür. Sonst wäre er nicht imstande, diese Gestalt so deutlich aufzunehmen sowie mit ihr völlig lebendig zu unterhalten. Nun konnte er seine ärztliche Behandlung kaum, ohne sie vorzustellen, denn deren aufrichtiges Bild verließ ihn bis dahin nicht mehr. Gerade wegen seiner Erscheinung würde es möglich, mehreren Begebenheiten seines Lebens einen anderen Sinn zu deuten. Es stellte sich dabei heraus, dass er nun sogar den gewissen Problemen, die er zuvor für unlösbar hielte, ihre Lösung zu finden vermochte. Auch die weibliche Natur, die ihm früher wie ein Buch mit sieben Siegeln scheinen sollte, verlor einigermaßen ihren geheimnisvollen Charakter. Mehr davon fühlte er eine neue Kraft, die er während des Kurierens kriegen konnte, die ihm in vielen ganz unerwarteten Situationen behilflich sein sollten. Außerdem bekam er die Hoffnung, noch viel in diesem Leben zu erreichen, was schon längst nicht der Fall war. Logischerweise konnte er als die erste Person, die er in seine Pläne einweihen konnte, Bettina, die auch heute nachmittags ihn besuchen sollte. Seit diesem Herzanfall war sie häufig bei ihm und jedes Mal beschränkten sich ihre Gespräche auf Plattheiten, die beiden in seiner Lage für angebracht fanden. Seine Frau sah diese Tage betrübt und besorgt aus, was man einfach kapieren konnte. Sie be-fürchtete, ihm irgendwelche zusätzliche geistige Belastung zu ver-setzen. Er kümmerte sich seinerseits darum, ihr etwas Unvorsichtiges nicht fallen zu lassen, was sie erregen konnte. Deswegen ähnelte ihre Unterhaltung an den Umgang zweier unbekannten Menschen, die keine Ahnung über ihren Visavis haben konnten. Diesmal wollte Karsten damit Schluss machen. Es sollte ein ernstes Gespräch sein, das ihr gemeinsames Leben in einem anderen Gesichtswinkel anschauen ließe. Dr. Wittke legte sich noch nicht Rechenschaft darüber ab, ob es eine Art der Reue oder Aussöhnung werden sollte. Er wusste aber wohl, dass seine heutige Rede einen Wendepunkt in ihre Beziehung mitbringen konnte. Gewiss war er nicht in der Lage, die Folge seiner Äußerung im Voraus zu sehen. Solche Beschaffenheit gehörte eher den göttlichen Propheten. Trotzdem verband er mit seiner Rede große Hoffnungen. Vielleicht konnte auch Bettina von seinem verschmitzten Lächeln etwas Unerwartetes verspüren. Jedenfalls beabsichtigte er irgendwas Ungewöhnliches.

Und dann sprach er:

„Schatz, was ich dir heute mitteilen wollte, gehört nicht allein zu meinen tiefen und dauerhaften Überlegungen, sondern zu meiner neuen Eigenschaft, die Umgebung und alles, was mit uns früher ereignete, ganz anders wahrzunehmen. Ich würde dir sehr dankbar, wenn du mir aufmerksam zuzuhören und zu verstehen vermochte. Es ist wichtig nicht allein für uns beiden, sondern wahrscheinlich auch für unsere Söhne. Ich wollte kein Hehl daraus machen, dass die schwere Attacke, die mein Herz vor kurzem erlitt, eine neue Etappe meines Lebens eröffnen sollte. So scheint es mir momentan, dass ich ein bedeutendes Erlebnis bekam, das uns beiden helfen könnte, unser Alltag besser anzuordnen. Ein Familienleben fordert von uns beiden viel mehr Hingabe als es zuerst aussehen konnte. Die Eheleute sollten sich von Anfang an mit der beidseitigen Verantwortung rechnen, die sie auf sich übernehmen müssen. Noch komplizierter sieht es mit der Kindererziehung aus, weil wir dabei die eigenartigen Besonderheiten der kindlichen Natur nicht zerstören dürfen. Das heißt, die Erziehung unseren Jungen muss aus zwei entgegengesetzten Bestandteilen zusammensetzen, die eine zwingendbelehrende und die andere freischöpferische. Dieser Erziehungsprozess verlangt von uns eine Menge Ausdauer und Ruhe. Außerdem ist es unzulässig, den Ärger an dem Ehepartner auszulassen. Daran sollten wir immer erinnern, damit das geistige Klima in unserem Haus ausnahmslos wohlwollend bleiben könnte. Es stellte sich heraus, dass unsere Söhne ziemlich unverschämt und schroff werden konnten. Nun verstehe ich, dass solche Beschaffenheit biologische Ursachen haben konnte, die mit ihrer vergrößerten Männlichkeit verknüpft werden sollte. Deswegen brauchen wir nicht mehr, die Mühe darauf zu konzentrieren, um diese ursprünglich natürlichen Eigenschaften auszurotten. Im Gegenteil müssen wir ihnen geduldig erklären, dass man alle Menschen triftig und ehrerbietig behandeln sollte. Denn sonst bekommt man alle gemeinen Frechheiten zurück, indem wir allmählich davon sehr traurig und unglücklich gewesen werden. Ich bin der Ansicht, dass die beiden einsichtig genug sind, damit sie solche Erläuterung angemessen zu kapieren fähig wären. Ich kann nicht behaupten, dass unsere veränderte Einstellung den Kinder gegenüber sofort ein gutes Ergebnis bringen könnte, doch ich zweifle mich nicht, dass sie der Mühe wert ist. Darin sehe ich etwas Ähnliches den Verhältnissen zwischen Eheleuten. Wenn wir diese nicht einfache Angelegenheit bezogen betrachten, könnten wir sie mit jenem anderen verwickelten System vergleichen, das allmählich abgetragen werden sollte. Mit anderen Worten braucht man mit Jahren das System behutsam instand zu setzten. Eine gewöhnliche Ehe bracht eine belebende Nahrung, die die Partner sorgfältig vorbereiten sollten. Ohne dieses unentbehrliche Verfahren riskieren die Eheleute, alle Verbindungskräfte zu verlieren und in ihren vorherigen Geliebten nur einen Blutfeind zu sehen. Es wird sicher eine schwere Aufgabe sein, die eine unerschöpfliche seelische Leistung fordern sollte. Wir haben aber keine andere Wahl, wenn wir uns unser Familienglück weiter zu genießen wünschen. Ich persönlich habe diese Schlussfolgerung ausschließlich dank meiner aktuellen Erkrankung gezogen, die neben ihren entsetzlichen Folgen auch gewisse nützlichen Sachen zu erteilen wusste. Im Laufe der letzten Tage wurde es mir klargeworden, dass ein Sterblicher nicht zufällig jene himmlische Heimsuchung bekommt. Umgekehrt sollte die zu seinem Schicksal wie Wasser zu einem Fisch gehören. Sonst würde man von einem Lebensstrom so heftig wegverweht, dass er oder sie kaum zu begreifen fähig wären, was mit ihnen tatsächlich passierte. Ich war auch darin eingetaucht und wusste nicht mehr, wohin mich diese alltägliche Hastigkeit bringt. Von diesem sinnlosen Durcheinander verliert man sein göttliches Wesen und irrt wie einem blinden Maulwurf umher. Solche unheilvolle Lebensweise ist so gefährlich, dass man manchmal die einfachsten Situationen nicht wohl erkennt, um einen angemessenen Ausweg herauszusuchen.

Bemerkenswert war mein Aufenthalt in der Klinik rechtzeitig, damit ich alle Seiten meiner Existenz nebeneinander zu stellen probierte. Wenn ich heute gewisse Sachen beurteilen sollte, werden meine Aussagen unbedingt viel kluger gewesen als vor der Klinik. Nein ich habe hoffentlich vollständig mit meinem früheren Alter Ego Schluss gemacht. Ich bin ein Neuling, der die Welt mit anderen Augen wahrnimmt. Außerdem habe ich eine Empfindung gekriegt, dass auch wir beide in der Lage sind, unsere Beziehungen neu zu organisieren. Es wäre wunderschön gewesen“.

Bettina hörte seine Rede mit angehaltenem Atem an. Seine Worte klangen ganz anders als noch einige Tage zuvor gleichsam saß ihr gegenüber einem fremden Manne mit ihr unbekannten Gewohnheiten und Manieren. Ihr war es etwas ungeschickt, ergründet zu begreifen, was er heute sprach. Gleichzeitig sorgte seine Krankheit dafür, dass ihre Reaktion darauf einigermaßen beschränkt werden sollte. Denn jeder ihre Einwand konnte bei dem Kranken eine unzulässige Nervenerschütterung auslösen. Dieser Umstand schien ihr sehr bedeutsam zu sein, damit seine Gesprächspartnerin ihre Worte besonders sorgfältig auswählen sollten. Auf diesen Grund erwiderte sie als würde seine Rede unerwartet und Neugier erregend:

„Was ich gerade von dir, Karsten, gehört habe, war sehr interessant und neu gewesen. Ich konnte bestimm nicht vermuten, dass eine ernste Erkrankung, außer mehreren unangenehmen Angelegenheiten etwas Günstiges und Belehrendes mitzubringen fähig wäre. Damit bin ich froh über dich. Du hast unbedingt recht, dass unser graues und ungestümes Leben uns keine Möglichkeit übrigließt, ruhig und beschaulich alle Sachen unseres Alltags zu betrachten und überlegen. Deswegen ist dein Erlebnis sehr wertvoll und nützlich. Auch deine Erörterung über unsere Familie finde ich sinnvoll und richtig. Wir beide waren nicht selten überflüssig hart und unnachsichtig. Gewiss benehmen sich die Jungen nicht immer anständig und höfflich. Doch ich finde deine Ansicht, die du diese Tage bekommen konnte, völlig richtig. Eigentlich sind sie noch Kinder, um von ihnen zu viel zu verlangen. Mir gefiel auch deine Vorstellung, mit ihnen öfter über die allgemeinen menschlichen Eigenschaften zu sprechen sowie die guten und nachahmenswerten Beispiele der Verhaltensweise zu nennen. Sie sind vernünftig genug, um diese Sachen anzueignen. Ich bin auch damit einverstanden, dass unsere Familie noch nicht unvermeidlich dem Untergang geweiht ist. Wir können uns sicher mit Behagen hingeben, unsere Eintracht aufrechtzuerhalten. Dafür muss ich dir dankbar sein.

Diese Tage habe ich auch viel überlegt, was unsere Ehe betraf. Vielleicht habe ich mehrere Fehler gemacht, die eine einsichtige Frau sich nicht lassen sollte. Ich beschuldigte mich dabei die scharfen Äußerungen dir gegenüber, die dein Herz enorm beschädigen konnten. Ich verstehe jetzt wohl, dass deine Arbeit selbst eine große Belastung erweist, die häufig zu Stresssituationen führen konnte. Deswegen musste ich mit dir umgänglich werden, damit du zuhause dein Nervensystem entspannen konnte.

Ich bin heute der Meinung, dass eine richtige Familie sich dadurch auszeichnen sollte, dass ihre Mitglieder imstande sind, jederzeit einander geistig und körperlich zu bekräftigen. Ich glaube, wir haben alle benötigten Voraussetzungen dafür“.

Diese emotionale Äußerung kostete ihr möglicherweise so viel Energie, dass die Tränen unwillkürlich aus ihren Augen flossen. Um ehrlich zu sein erwartete Dr. Wittke von seiner Frau kaum etwas Ähnliches. Er war davon so angenehm erschüttert, dass es in dem Krankenzimmer einige Minuten darauf eine volle Geräuschlosigkeit herrschte. Danach ergriff er das Wort:

„Liebe Betti, ich weiß nicht, wem ich für deine Aussage danken sollte, der Gottesgnade oder meiner Krankheit. Trotzdem schien sie mir sehr angenehm zu sein. Im Grunde sagtest du gerade diese Gedanken aus, die ich mir aus deinem Mund zu hören wünschte. Nach diesen entsetzlichen Tagen, wenn meine Körper und Geist zwischen Leben und Tod schwebten, wurde es mir von der höhen Macht mitgeteilt, dass falls „ihr Gericht“ mir einen Freispruch verurteilt oder mit anderen Worten weiter leben lässt, musste ich meinen Lebensstil sowie meine Stützen erheblich ändern. Damals wurde es mir absolut verständlich geworden, dass uns Menschen viel mehr vom Himmel gegeben wurde, als wir vermuten konnten. Einigermaßen sind wir für unser Leben selbst verantwortlich. Aus diesem Anlass stellte es sich heraus, dass mehrere unsere unangenehmen Ereignisse von uns selbst verursacht wurden. Meistens sind wir zu trübsinnig und niedergedrückt, was schlecht aus allen Seiten aussehen sollte, vor allem aber, weil wir uns selbst unwillkürlich den Weg zum Glück und Erfolg sperren. Wahrscheinlich ist es den Höhen Kräften, die die Welt beherrschen unerwünscht, wenn die Sterblichen ständig mürrisch und schlechtgelaunt sind. Deswegen wird ihnen fernerhin auch die Unterstützung abgesprochen werden. Eigentlich ist jede menschliche Handlung, sei sie beruflich oder privat, ein freies Schaffen, das man ohne Beschränkung machen konnte. Es betrifft gleichermaßen sowohl eine unternehmerische Tätigkeit als auch die Verhältnisse in einer Familie. Anders ausgedrückt kann man erfolgreich diese Verhältnisse ausdenken und schöpfen, ohne die Bedürfnisse der anderen zu unterdrücken. Der Hauptunterschied zwischen geschäftlichen und Familienangelegenheiten besteht darin, dass für die ersten der Vorzug der allgemeinen Sache gegeben werden sollte, während für die letzte - dem Gedeihen jedes Mitglieds der Familie. Unser einsichtiges Zeitalter macht es möglich, diese Aufgabe günstig zu erfüllen.