Das Mädchen, das ich liebe - Patricia Vandenberg - E-Book

Das Mädchen, das ich liebe E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Extra Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Wie kommt es, daß es Doppelgänger gibt, Mami?« fragte Anneka. Die Familie saß beim Mittagstisch. Es war Mittwoch, und Dr. Daniel Norden hatte seinen freien Nachmittag, da konnten sie sich Zeit nehmen, was nicht oft vorkam. »Das sind so seltene Dinge, die sich die Natur einfallen läßt«, erklärte Dr. Norden. »Ganz gleich sind zwei Menschen nie, irgendwelche Unterschiede gibt es immer, so hat zum Beispiel jeder Mensch andere Fingerabdrücke.« »Wie kommst du denn auf Doppelgänger?« fragte Fee interessiert. »Wir haben zwei Jungen in der Parallelklasse«, sagte Anneka, »den Mark und den Christian, die sehen aus wie Zwillinge.« »Das weiß ich ja gar nicht«, sagte Fee überrascht. Sie war Schulärztin an Annekas Schule und kannte durch die regelmäßigen Untersuchungen eigentlich alle Kinder. So etwas wäre ihr bestimmt aufgefallen. »Der Mark ist erst seit ein paar Tagen bei uns, der hat vorher in Köln gewohnt.« »Das ist aber ein enormer Zufall«, meinte Daniel.

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Dr. Norden Extra – 2 –

Das Mädchen, das ich liebe

Wird aus Cordula und Hanno ein Paar?

Patricia Vandenberg

»Wie kommt es, daß es Doppelgänger gibt, Mami?« fragte Anneka.

Die Familie saß beim Mittagstisch. Es war Mittwoch, und Dr. Daniel Norden hatte seinen freien Nachmittag, da konnten sie sich Zeit nehmen, was nicht oft vorkam.

»Das sind so seltene Dinge, die sich die Natur einfallen läßt«, erklärte Dr. Norden. »Ganz gleich sind zwei Menschen nie, irgendwelche Unterschiede gibt es immer, so hat zum Beispiel jeder Mensch andere Fingerabdrücke.«

»Wie kommst du denn auf Doppelgänger?« fragte Fee interessiert.

»Wir haben zwei Jungen in der Parallelklasse«, sagte Anneka, »den Mark und den Christian, die sehen aus wie Zwillinge.«

»Das weiß ich ja gar nicht«, sagte Fee überrascht. Sie war Schulärztin an Annekas Schule und kannte durch die regelmäßigen Untersuchungen eigentlich alle Kinder. So etwas wäre ihr bestimmt aufgefallen.

»Der Mark ist erst seit ein paar Tagen bei uns, der hat vorher in Köln gewohnt.«

»Das ist aber ein enormer Zufall«, meinte Daniel. »Die meisten Menschen erfahren es nie, wenn sie tatsächlich einen Doppelgänger haben. Sind sie vielleicht miteinander verwandt und wußten es nicht?«

»Christian sagt, ihre Mütter hätten schon oft miteinander darüber gesprochen, sie sind bestimmt nicht verwandt.«

»Ist doch so was Besonderes auch nicht«, meinte Danny. »Viele Filmschauspieler haben ein Double, die müssen sich auch sehr ähnlich sehen.«

»Vielleicht hab ich ja auch einen und lern’ ihn mal kennen. Dann wechseln wir uns mit der Schule ab, einen Tag geht er hin und den anderen ich.« Felix war im Augenblick nicht gut auf die Schule zu sprechen, weil er mit Fräulein Schreiber, seiner Mathelehrerin, nicht zurechtkam. Mathe war nicht sein Lieblingsfach, wobei Fee meinte, daß Fräulein Schreiber zu ungeduldig mit ihm war, sie würde sich darum kümmern müssen.

Jan und Desiree, die kleinen Nachkömmlinge der Nordens, wurden quängelig, sie wollten von ihren Stühlchen.

Fee und Lenni hoben sie herunter, und Lenni ging mit ihnen ins Bad, um sie für den Mittagsschlaf zurechtzumachen.

Fee und Daniel hatten noch ein wenig Ruhe und Zeit für einen Kaffee, nachdem die Jungen und Anneka in ihre Zimmer gegangen waren.

Sie waren ein harmonisches Ehepaar, das das Zusammensein genoß.

Lange dauerte dies jedoch nicht. Das Telefon klingelte. Es war Dieter Behnisch.

Daniel hörte eine Weile schweigend zu. »Ja, gut, ich komme.«

»Wieder kein freier Nachmittag?« fragte Fee mitfühlend.

»Frau Lengfeld geht es nicht gut. Dieter fürchtet, sie könnte die Nacht nicht überleben. Sie möchte mich sprechen.«

Fee seufzte. Natürlich würde Daniel zu Frau Lengfeld fahren. Er hatte die einsame alte Dame in den letzten Monaten betreut, bevor sie mit einem Schlaganfall in die Behnisch-Klinik gekommen war. Er war praktisch der einzige Mensch, zu dem sie noch Kontakt und vor allem Vertrauen gehabt hatte.

Zusammen mit Dr. Dieter Behnisch saß er an Margareta Lengfelds Bett. Sie atmete mühsam.

»Seien Sie ganz ruhig, Frau Lengfeld, es wird schon wieder werden.«

Frau Lengfeld lächelte nun.

»Danke, Herr Doktor, wenn ich... wenn ich…«

Dr. Norden nahm ihre Hand.

»Es liegt alles in meinem Schreibtisch, Testament, Dokumente, würden Sie sich darum kümmern? Ich wüßte niemanden, den ich sonst darum bitten könnte.«

»Natürlich, Frau Lengfeld, aber nun gibt Dr. Behnisch Ihnen eine Spritze, Sie werden gut schlafen können und dann wird es Ihnen wieder bessergehen.«

Tatsächlich entspannte sich ihr Gesicht, und sie schlief ein. Dr. Behnisch überprüfte die Infusion, dann gingen sie leise hinaus.

»Danke, daß du gekommen bist.«

»Ist doch kein Thema.«

»Vielleicht erholt sie sich doch noch, sie sah jetzt viel besser aus, als vor einer Stunde. Heute ist ein trauriger Tag. Henriette von Ahlen ist gestorben.«

»In dieser Familie gibt es viel Unglück«, meinte Daniel, der die von Ahlens kannte. Vor zwei Jahren Leon und jetzt die Mutter.«

Dr. Behnisch nickte. »Eine seltsame Familie.«

Daniel verabschiedete sich, und Dr. Behnisch ging in sein Zimmer, in dem Johann von Ahlen auf ihn wartete.

Mit unbewegtem Gesicht stand Johann von Ahlen vor Dr. Behnisch, straff und ungebeugt. Soeben hatte ihm der Arzt erklären müssen, daß seine Frau an Herzversagen gestorben war. Johann von Ahlen legte großen Wert auf die Feststellung, daß es in seiner Familie noch nie eine unstandesgemäße Heirat gegeben hatte. Er wollte sich jetzt schon gar nicht daran erinnern, daß erst sein jüngerer Sohn Leon mit der Tradition gebrochen hatte. Leichtfertig, unüberlegt und skrupellos… so wenigstens war die Meinung des Freiherrn von Ahlen.

Kann diesen Mann denn gar nichts erschüttern? dachte Dieter Behnisch. Kann er sich so beherrschen? Oder hat er kein Herz, keine Seele? Die hellen grauen Augen blickten ihn kühl an, und vielleicht konnte ihm Johann von Ahlen vom Gesicht ablesen, was er dachte. Er sagte tatsächlich etwas, aber über diese Worte erschrak Dr. Behnisch noch mehr.

»Nun hat Leon auch sie auf dem Gewissen. Sie hat ihn so geliebt.«

Seine Stimme klang tonlos. Dr. Behnisch mußte erst den aufsteigenden Groll hinunterschlucken, bevor er etwas erwidern konnte.

»Ihr Sohn lebt auch nicht mehr«, sagte er.

»Der Tod löscht nicht alles aus. Er hat uns genug angetan. Was soll darüber noch gesprochen werden? Ich will Ihnen auch nicht Ihre kostbare Zeit rauben. Ich bedanke mich für das, was Sie für meine Frau getan haben.«

»Wenn Sie sie noch einmal sehen wollen…« Dr. Behnisch hielt inne, denn der andere schüttelte schon den Kopf.

»Hanno war ja sicher bei ihr«, sagte er.

»Er ist noch bei seiner Mutter«, stellte Dr. Behnisch mit deutlich vorwurfsvollem Unterton fest.

»Das genügt. Er wird mir auch die Formalitäten abnehmen. Ich darf mich verabschieden!«

Dieter Behnisch hatte nichts dagegen. Ihm lief fast die Galle über, so herzlos fand er diesen Mann.

Als Ahlen gegangen war, dachte er, daß seine Frau wohl nicht mehr hatte leben wollen. Sie hatte sich nicht gewehrt gegen das Sterben. Sie hatte den Tod als einen Freund

erwartet, und das hatte sie auch gesagt.

Hanno von Ahlen saß noch am Sterbebett seiner Mutter. Jetzt war ihr feines Gesicht still und friedlich. Er betrachtete es mit Wehmut.

Du hast zuviel Liebe an Leon verschwendet, Mama, dachte er. Er hat es dir nicht gedankt. Aber vielleicht hätte es dir geholfen, wenn du sein Kind hättest um dich haben können. Warum hast du dich nur nicht aufgelehnt gegen Vater? Warum hast du nie gewagt, ihm zu widersprechen?

Er streichelte noch einmal ihre gefalteten Hände, dann erhob er sich. Auch sein Gesicht war nun verschlossen, aber ihm sah man den Schmerz an, der ihn bewegte.

Dr. Behnisch hatte Zeit für ihn, als er um ein kurzes Gespräch bat.

»Hat mein Vater sich gemeldet, Dr. Behnisch?« fragte er.

»Er war hier und ist wieder gegangen, nachdem ich ihm mitgeteilt habe, daß Ihre Mutter gestorben ist.«

»Das sieht ihm ähnlich! Manchmal denke ich, daß er unter aller Härte einfach feige ist. Bitte, nehmen Sie es mir nicht übel, daß ich so von meinem Vater spreche, aber das Maß ist eigentlich voll. Ich werde meinen Weg jetzt allein gehen.«

»Ich muß gestehen, daß auch ich durch seine Reaktionen sehr befremdet bin. Gut, es ist viel auf Sie eingestürmt… erst der Tod Ihres Bruders vor einem knappen Jahr und dann die Krankheit Ihrer Mutter…«

»Denken Sie nicht nach, Dr. Behnisch, in Vater sitzt doch nur der Groll, daß Leon mit der Tradition gebrochen hat. Er hat sich geweigert, Leons Frau auch nur kennenzulernen. Er weigert sich, die Existenz des Kindes zur Kenntnis zu nehmen, läßt kein gutes Haar an Leon, auch nach seinem tragischen Tod nicht. Gut, ich war auch mit manchem nicht einverstanden, was mein Bruder tat, auch nicht mit seiner Lebensweise, aber Cordula war doch kein Fehltritt! Sie war ein Mädchen aus gutem Hause, und Leon lebte recht gut von ihrer Mitgift. Ich sollte jetzt nicht darüber sprechen, entschuldigen Sie, aber ich möchte Ihnen von Herzen danken, daß Sie Mama das Sterben erleichtert haben. Ich denke, daß Sie auch das Recht haben, ein wenig hinter die Kulissen zu schauen.«

Dr. Behnisch verriet nicht, wieviel er von dieser Familie wußte. Er sagte auch nicht, daß er von Leon von Ahlen kaum eine bessere Meinung gehabt hatte als von seinem Vater. Aber Hanno war ein sympathischer, feinsinniger und kluger Mann. Dr. Behnisch konnte nur hoffen, daß

er jetzt keine Familienrücksichten mehr nehmen und seinen Weg tatsächlich allein gehen würde.

»Ich werde jetzt die Formalitäten erledigen«, erklärte Hanno stockend. »Die Rechnung schicken Sie bitte gleich an mich, damit mein Vater sie nicht erst ein paar Wochen ignoriert.«

Sie trennten sich mit einem festen Händedruck. Dr. Behnisch hätte dem Jüngeren gern noch ein paar ermunternde Worte gesagt, aber ihm war die Kehle eng, weil er nun an Cordula Mohl denken mußte, die zwar offiziell den Namen von Ahlen führen konnte, aber nun wieder unter ihrem Mädchennamen lebte.

*

Henriette von Ahlen war im engsten Familienkreis zu Grabe getragen worden. Ihr Bruder mit Familie war gekommen, eine Kusine, ein paar alte Bekannte. Es war eine schlichte Trauerfeier, kurz gehalten und ohne sentimental stimmende Musik.

Die Ahlen wohnten in einer prachtvollen, schloßartigen Villa, die von einem großen Park umgeben war, und sie hatten schon lange ein zurückgezogenes Leben geführt.

Mit der ihm angebotenen Herablassung stellte Johann den Verwandten gegenüber fest, daß man hier ja nichts an Kontakten hatte noch finden können, da sich hier nur Parvenues breitgemacht hätten, und demzufolge hatte man sich immer mehr zurückgezogen.

»Ich vermisse deine Schwiegertochter«, sagte Baron Otto, Henriettes Bruder, der mit Johann gleichaltrig war.

»Wir haben keinen Kontakt«, erwiderte Johann abweisend, während Hanno zusammengezuckt war.

»Warum nicht?« Otto ließ nicht locker.

»Sie ist eine Bürgerliche, das dürfte dir doch bekannt sein!«

»Na und? Unsere Schwiegertochter ist auch eine Bürgerliche, aber wir sind damit sehr zufrieden, sie hat frisches Blut und auch Geld in unsere Reihen gebracht, und sie haben drei gesunde Kinder.«

Hanno beobachtete seinen Vater, aber Johann beherrschte sich.

»Ich bleibe meinen Ansichten und unserer Tradition treu«, sagte er steif.

Baron Otto zuckte die Schultern. »Jedem das seine«, erwiderte er brummig, »aber man sollte doch mit der Zeit gehen. Na ja, du hast nichts verloren, du brauchst nur zu verkaufen, wenn du diesen Besitz nicht mehr halten kannst.«

»Ich denke nicht daran, etwas zu verkaufen.«

»Und für wen willst du es aufheben?«

»Ich habe ja noch einen Sohn.«

»Aber Hanno scheint keine Neigung zu haben, sich zu verheiraten.«

»Jedenfalls lasse ich mir nicht vorschreiben, wer standesgemäß sein könnte«, warf Hanno ein.

»Unsere Privatangelegenheiten gehen auch niemanden etwas an«, sagte Johann verweisend.

Es blieb niemand über Nacht. Alle schienen froh zu sein, das Haus wieder verlassen zu können.

»Du hättest dir deine Bemerkung ersparen können, Hanno«, sagte ­Johann von Ahlen, als sie allein waren.

»Ich bin vierunddreißig Jahre alt, Vater, wenn ich dich daran erinnern darf. Und ich kann meine Meinung sagen, wann und wo ich will. Du wirst kein Glück haben, wenn du mir den Mund verbieten willst. Ich habe bereits meine eigenen Pläne, bevor ich an der Tradition auch noch ersticke.«

Und dann ging er mit einem kurzen Gutenachtgruß davon. Er wollte an diesem Abend keinen Streit heraufbeschwören, aber er wußte, daß es dazu kommen würde, wenn er sich jetzt nicht zurückzog.

*

Cordula Mohl las die Todesanzeige der Baronin am nächsten Tag in der Zeitung.

Von ihrem Leiden erlöst wurde Henriette Baronin von Ahlen

hieß es da.

Im Namen der Familie, Johann Baron von Ahlen.

Hanno Baron von Ahlen.

Die Beerdigung fand im engsten Familienkreise statt.

Cordula schloß die Augen. Gut, daß Nora noch nicht lesen kann, dachte sie, so brauche ich ihr auch keine Erklärung zu geben.

Sollte sie Trauer fühlen? Nein, das konnte sie nicht. Einmal, ein einziges Mal war sie Henriette von Ahlen begegnet. Es war nach Leons Unfalltod gewesen. Und was hatte sie zu hören bekommen, außer verlegenen Ausreden? »Es tut mir ja so leid, aber ich kann leider nichts für Sie und das Kind tun. Mein Mann ist unerbittlich und unversöhnlich.«

Da hatte Cordula gesagt: »Ich bedauere es auch sehr, Leon geheiratet zu haben, das dürfen Sie mir glauben, und ich bin deshalb froh, daß ich mein Kind für mich allein haben kann.«

Ja, sie war stolz, diese Cordula Mohl, die sich ihrer Herkunft wahrhaftig nicht zu schämen brauchte. Es war nur Pech gewesen, daß ihr Vater ein genialer Konstrukteur war… und daß Leon von Ahlen nur eine Leidenschaft gehabt hatte: Schnelle Autos. Für nichts anderes hatte er sich begeistern können. Cordula hatte an ihrem Vater gehangen, ihre Mutter hatte eines Tages erklärt, daß sie mit dem Verrückten nicht mehr leben könne und sich scheiden lassen.

Ein paar Jahre später hatte dann Cordula auch so einen Verrückten geheiratet. So, wie er mit dem Auto raste, war er wie ein Sturmwind in ihr Leben eingebrochen und ihr Vater war von ihm begeistert gewesen. Sie aber auch, das wollte sie gar nicht leugnen. Und ihr hatte es überhaupt nichts ausgemacht, daß sie von seinem Vater nicht akzeptiert wurde. Leon hatte sich ohnehin nicht gerade freundlich über ihn geäußert und seine Mutter als eine dem Mann hörige, schwache Frau geschildert.

Das alles war Cordula freilich nicht. Sie war intelligent. Sie studierte Architektur, als sie Leon kennenlernte, und schloß ihr Studium auch während der Ehe ab. Und das war gut so, denn daß es Leon nicht mit dem Geldverdienen hatte, sondern eher mit dem Ausgeben, das hatte sie schon bald gemerkt. Aber das Kind war da. Sie konnte nicht so arbeiten, wie sie wollte. Sie wollte ja Nora auch nicht vernachlässigen, die ein wahrer Sonnenschein war und ihr Leben mit Freude erfüllte… auch wenn sie sich über Leon oft ärgern mußte. Aber ihr Vater hielt nach wie vor große Stücke auf ihn, obgleich

er es war, der fast den gesamten Lebensunterhalt für sie bestritt, denn was Leon wirklich verdiente, verbrauchte er auf seinen Reisen. Von Zuhause bekam er nichts.

Hanno hatte Cordula ein paar Mal getroffen, und sie hatte einen guten Eindruck von ihm gewonnen. Jedoch verbot ihr eigener Stolz ihr, einem von Ahlen entgegenzukommen.

Cordula war in Reminiszenzen versunken, immer noch die Zeitung vor sich, als ihre Tochter in der Tür erschien.

Ein bildhübsches Kind war die kleine Vierjährige. Wie ein Engel sah sie aus mit ihrem Lockenköpfchen. Ihre großen blauen Augen erinnerten sehr an Leon, wenn sie auch viel wärmer blickten.

»Mami, was machst du denn nur so lange?« fragte Nora vorwurfsvoll, »wir wollen doch heute zu Opi fahren! Er hat Geburtstag.«

»Ich habe es nicht vergessen, Schatz, ich bin gleich fertig.«

»Wir müssen auch noch die Torte abholen und die Blumen«, wurde sie erinnert.

»Welch ein Glück, daß mein Mädchen so ein gutes Gedächtnis hat«, scherzte Cordula.

»Gell, ich bin gut. Das sagt Dorle auch, aber sie will nicht mitkommen, sie will lieber mal wieder Frühjahrsputz machen.«

Cordula seufzte. Dorle war schon in ihrem Elternhaus tätig gewesen, aber sie war lieber bei ihr geblieben, als sich Hans Mohl zurückzog aufs Land. Sie hatte ihm immer gegrollt, daß er Leon soviel Freiheiten gelassen hatte. Und nun sollte sich Hans Mohl ruhig von der brummigen Resi versorgen lassen, das meinte Dorle. Und ihr kam man auch mit gutem Zureden nicht bei.

»Ich bin ja froh um dich… und daß du hierbleibst, Dorle«, sagte Cordula zu der mütterlichen Frau, »aber allzu nachtragend solltest du auch nicht sein, Paps gegenüber. Er macht sich jetzt genug Gewissensbisse.«

»Er ist nicht schuld, daß sein Schwiegersohn in den Tod gerast ist, und das hätte er ihm auch nicht antun dürfen, da es der beste Wagen war, den der Chef je gebaut hatte. Aber er grübelt jetzt immer noch nach, ob nicht doch ein Fehler von ihm schuld war.«

»Er weiß, daß es kein Konstruktionsfehler war, Dorle. Wir wollen darüber auch nicht mehr reden.«

»Lerne leiden ohne zu klagen«, brummte Dorle.

»Ich leide nicht.«

»Eine Gemeinheit ist es, daß man so tut, als würden Sie und Nora gar nichts existieren! Das ist meine Meinung, und dabei bleibe ich.«

»Ich lasse jedem seine Meinung«, erklärte Cordula ernst. »Und ich brauche niemanden, um dessen Gunst ich buhlen müßte, das liegt mir nicht.«

»Andere hätten aber eine solche Schwiegertochter mit Kußhand genommen.«

»Nun, ich habe mein Lehrgeld bezahlt. Schluß damit, Dorle.«

»Na, vielleicht bringt dem Baron der andere Sohn eine Hochgestochene ins Haus«, fuhr Dorle fort, denn so schnell konnte sie sich nicht beruhigen, wenn die Rede auf die Ahlens kam.

»Die Baronin ist gestorben, die Todesanzeige steht in der Zeitung«, sagte Cordula ruhig.

»Frieden sei mit ihr«, murmelte Dorle, denn fromm war sie auch, und eigentlich sollte man ja Toten wirklich nichts nachsagen.

Nora wurde ungeduldig. »Jetzt fahren wir aber, Mami«, rief sie. »Und denk dran, daß wir noch viel abholen müssen.«