Das makellose Mädchen - Lisa Unger - E-Book

Das makellose Mädchen E-Book

Lisa Unger

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Beschreibung

Als Wren das Foto auf der Dating-App sieht, fühlt sie sich sogleich zu dem Mann mit dem melancholischen Lächeln hingezogen. Kurz darauf trifft sie Adam in einer Bar, und es ist vollends um sie geschehen. Doch dann meldet sich ihr Traummann plötzlich nicht mehr, und wenig später steht ein Polizist vor ihrer Tür. Er ist dem rätselhaften Verschwinden einer ganzen Reihe junger Frauen auf der Spur. Sie alle hatten sich über die App verliebt und wurden anschließend nie mehr gesehen. Hat Adam etwas mit ihrem Verschwinden zu tun? Auf der Suche nach ihm stößt Wren auf beunruhigende Gemeinsamkeiten zwischen den Vermisstenfällen - und auf einen Mann mit einem tödlichen Plan ...

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Inhalt

CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungTeil I – GhostedProlog – Mia1 – Heute23456 – Damals7 – Heute891011 – Damals12 – Heute1314 – Damals15 – Heute1617Teil II – Wiederverwilderung18 – Melissa19 – Heute20 – Damals21222324 – Damals25 – Heute26 – Damals27 – Heute28 – Damals29 – Heute30313233 – Damals34 – Heute35 – DamalsTeil III – Ich bin der Sturm36 – Bonnie37 – Damals383940414243444546474849505152535455Danksagung

Über das Buch

Als Wren das Foto auf der Dating-App sieht, fühlt sie sich sogleich zu dem Mann mit dem melancholischen Lächeln hingezogen. Kurz darauf trifft sie Adam in einer Bar, und es ist vollends um sie geschehen. Doch dann meldet sich ihr Traummann plötzlich nicht mehr, und wenig später steht ein Polizist vor ihrer Tür. Er ist dem rätselhaften Verschwinden einer ganzen Reihe junger Frauen auf der Spur. Sie alle hatten sich über die App verliebt und wurden anschließend nie mehr gesehen. Hat Adam etwas mit ihrem Verschwinden zu tun? Auf der Suche nach ihm stößt Wren auf beunruhigende Gemeinsamkeiten zwischen den Vermisstenfällen – und auf einen Mann mit einem tödlichen Plan …

Über die Autorin

Lisa Unger ist eine amerikanische Thrillerautorin, deren Romane es in ihrem Heimatland regelmäßig auf die Bestsellerliste schaffen und vielfach begeistert besprochen werden. Auch international kann die Autorin mit ihren Thrillern große Erfolge verzeichnen, ihre Bücher erscheinen in 26 Sprachen, werden millionenfach gelesen und wurden bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Lisa Unger lebt mit ihrer Familie an der Westküste Floridas.

LISA UNGER

DAS

MAKELLOSE

MÄDCHEN

thriller

Aus dem Amerikanischenvon Anke Angela Grube

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2021 by Lisa Unger

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Last Girl Ghosted«

Originalverlag: Park Row Books, New York

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2023 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Anne Fröhlich, Bremen

Einband-/Umschlagmotiv: © Magdalena Wasiczek / Trevillion Images

Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7517-2864-5

luebbe.de

lesejury.de

 

Für Jennifer Manfrey

Weil du absolut beinhart bist, und wenn ich eine Leiche loswerden müsste, würde ich zuerst dich anrufen.

TEIL I

GHOSTED

Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke,

Alltage, Ängste, viele kleine Glücke,

verkleidet schon als Kinder, eingemummt,

als Masken mündig, als Gesicht – verstummt.

Rainer Maria Rilke

Prolog

MIA

Mia Thorpe fuhr auf einer gewundenen Straße, die sich lang und dunkel vor ihr erstreckte. Mit Unterbrechungen war sie jetzt seit zwei Tagen unterwegs, ihr Körper war steif vom langen Sitzen und ihre Augen waren müde. Gestern hatte sie in einem Motel übernachtet, hatte unruhig geschlafen und halb auf eine Nachricht von Raife gewartet, die nicht kam. Mach dir keine Sorgen, wenn du nichts von mir hörst, hatte er gesagt. Das Mobilfunknetz ist lückenhaft. Folge einfach der Wegbeschreibung. Ich werde da sein, wenn du kommst.

Sie glaubte ihm. Sie vertraute ihm. Ja, wirklich.

Im Motelzimmer, wo es nach Zigarettenqualm und scharfen Reinigungsmitteln roch, hatte sie auf einer harten, unbequemen Matratze gelegen. Jedes Mal, wenn sie gerade eingeschlafen war, fiel das Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Autos durch die dünnen Vorhänge, bewegte sich über die Wand neben ihrem Bett und weckte sie auf. Vermutlich hatte sie nicht mal zwei Stunden am Stück geschlafen.

Noch vor Sonnenaufgang war sie wieder unterwegs gewesen.

»Ich glaube, ich liebe ihn, Mama«, sagte sie laut. Ihre Mutter war schon lange tot, aber Mia war sicher, dass sie sie trotzdem hörte.

Als Mia sechs Jahre alt war, wollte sie ihren Namen in Prinzessin Regenbogen ändern. Sie wusste, dass es möglich war, seinen Namen zu ändern, weil ihr Vater ihr erklärt hatte, sie könne sich nennen, wie sie wolle, wenn sie erwachsen sei. Aber solange du mein kleines Mädchen bist, möchte ich, dass du den Namen behältst, den Mama und ich dir gegeben haben. Ein Name sei wie ein Geschenk, hatte er gesagt. Wir haben lange darüber nachgedacht und uns einen Namen ausgesucht, der so schön ist wie du selbst. Mia Belle Thorpe. Und ist Belle nicht ein Prinzessinnenname?

Das stimmte. Aber es gab drei weitere Mias in ihrer Klasse und noch eine Belle. Und eine Bella und eine Isabella, die Izzy genannt werden wollte. Mia Belle Thorpe war nicht wie die rothaarige Mia, die immer unglücklich an ihrem Pult saß und ständig weinte. Sie war auch nicht wie die Mia, die gut rechnen konnte und deren Hand hochschoss wie eine Rakete, wenn eine Aufgabe an der Tafel gelöst werden sollte. Und sie war eindeutig nicht wie die schüchterne, blasse Mia, die nie etwas sagte und in der Schule häufig fehlte.

Sie war Mia, sie selbst. Sie wollte nicht eine von vier Mias im Klassenzimmer sein. Um Verwechslungen zu vermeiden, war die Lehrerin dazu übergegangen, alle Mias mit Vor- und Nachnamen anzusprechen. Mia Thorpe. Das hatte Mia gehasst. Sie hätte nicht sagen können, warum eigentlich.

Vielleicht hatte es damals angefangen, diese Vorstellung, auf ihrem »Besonders-Sein« bestehen zu müssen.

Ihre Mutter hatte ihr immer versichert, dass sie etwas ganz Besonderes sei. Hübsch, klug, ein echter Sonnenschein. Niemand ist wie du, kleiner Stern. Du bist mein besonderes Kind. Aber wie konnte das wahr sein, wenn es allein in ihrer Klasse drei weitere Mias gab? Aber Mia Belle Thorpe war ganz sicher, dass niemand sonst auf der Welt Prinzessin Regenbogen hieß.

Ungefähr zu dieser Zeit hatte sie entdeckt, was für eine wilde Freude es ihr bereitete, im Zorn Türen hinter sich zuzuknallen. Der Streit war entbrannt, nachdem sie beim Nachmittagssnack aufgezählt hatte, wie viele Male sie sich an diesem Tag wieder darüber geärgert hatte, denselben Namen zu haben wie drei andere Mädchen in der Klasse. Ihre Mutter hatte die Auseinandersetzung mit den Worten beendet: Mia Bella Thorpe, Ende der Diskussion. Du wirst deinen Namen nicht in Prinzessin Regenbogen ändern. Und jetzt geh und mach deine Hausaufgaben.

Mia war die Treppe hochgestürmt und hatte die Tür so heftig zugeknallt, wie sie konnte. Es schien ihr, als würde das ganze Haus wackeln. Sie warf sich weinend aufs Bett. Irgendwann war sie eingeschlafen, und als sie aufwachte, dämmerte es bereits, in ihr Zimmer drang ein ungewohnt graues Licht.

Es gab selten Streit zwischen ihr und ihrer Mutter. Mia war oft wütend auf ihren Vater, weil er sie herumkommandierte oder versuchte, ihr bei den Mathe-Aufgaben zu helfen, obwohl er überhaupt keine Ahnung davon hatte. Doch ihre Mutter war sanft und lieb, schlug ihr selten etwas ab, wusste immer, wie etwas wieder in Ordnung zu bringen war, und duftete nach Blumen. Und als Mia aufwachte, tat es ihr leid, dass sie davongestürmt war und so heftig mit der Tür geknallt hatte.

Im Haus war es still, als sie ihr Zimmer verließ, was ihr komisch vorkam. Normalerweise konnte sie ihre Mutter in der Küche hören – sie kochte, telefonierte mit einer Freundin oder hörte Radio, während sie das Essen zubereitete. Es gab immer alle möglichen vertrauten Geräusche im Haus. Diese Stille war ungewohnt.

Mia schlich die Treppe hinunter. Es war immer einfach, sich bei ihrer Mutter zu entschuldigen, die sie dann umarmen und ihr freundlich erklären würde, warum es nicht so laufen konnte, wie Mia es gern hätte. Es würde irgendeinen Trost geben – einen Keks vielleicht oder ein Zugeständnis bei irgendeinem strittigen Punkt.

Doch als Mia die Küche betrat, lag ihre Mutter auf dem Fußboden. Eine ihrer kleinen roten Samtpantoffeln war ihr vom Fuß gerutscht. Sie sah aus, als würde sie schlafen.

Mama, sagte Mia und setzte sich neben sie. Mama, es tut mir leid.

Doch ihre Mutter rührte sich nicht, und Mia ließ sich neben ihr nieder und legte den Kopf auf ihre Brust. Sie wusste, dass etwas Schreckliches geschehen war, wollte es aber nicht wahrhaben, presste die Augen fest zusammen und hielt ihre Mutter ganz fest. Sie schlief. Sie würde sehr bald aufwachen.

Und so hatte ihr Vater sie gefunden, als er kurz darauf von der Arbeit kam. Sein lautes Weinen sollte Mia für den Rest ihres Lebens in den Ohren klingen.

Es war nicht deine Schuld.

Das war der Satz, den sie nach diesem Tag sehr oft zu hören bekam. Von ihrem Vater. Von Therapeuten. Von Tanten und Onkeln. Aber Mia wusste, wie sehr ihre Mutter es hasste, wenn man mit Türen knallte. Genau deshalb hatte sie die Tür heftiger zugeknallt als je zuvor, und sie wusste genau, dass es sehr wohl ihre Schuld war, egal, wie oft ihr versichert wurde, dass das nicht stimmte.

Mias Mutter hatte an Asthma gelitten und kurz zuvor ihre Medikation ändern müssen. Sie hatte Warnzeichen ignoriert – Kurzatmigkeit, Schwindel. Es war ein Herzanfall gewesen. Eigentlich war niemand schuld. Aber Mia hatte gewusst, dass das Asthma ihrer Mutter sich verschlimmerte, wenn sie sich aufregte.

Sie hat sich nicht aufgeregt, beteuerte ihr Vater Henry. Sie hat mich nach eurem Streit angerufen und gesagt: Prinzessin Regenbogen war mal wieder voll in Fahrt. Wir fanden es witzig, süß. Sie war nicht wütend auf dich. Sie war dir nie böse.

Mia glaubte ihm nicht.

Sie liebte ihren Vater, aber die Wahrheit war, dass sie ihre Mutter mehr geliebt hatte. Ihre Mutter hatte ein ganz eigenes Licht in Mias Leben und ihr Zuhause gebracht, und das war nun erloschen. Das Licht, das noch da war, war nicht zu vergleichen mit dem, das die Liebe ihrer Mutter bedeutet hatte. Und ihr Vater, der immer fröhlich und lebenshungrig gewesen war, der große Ideen gehabt hatte und immer Pläne für Ausflüge und Reisen, war blass und still geworden, nur noch ein Schatten seiner selbst.

Die Welt hätte stehen bleiben müssen. Für Mia und Henry jedenfalls tat sie das.

Aber alles ging weiter. Doch Mia und ihr Vater lebten von nun an in diesem ungewohnten grauen Licht – zusammen mit dem Menschen, den sie weniger liebten, als sie die Verstorbene geliebt hatten.

Erst Jahre später, als sie zum ersten Mal eine Entziehungskur machte, hatte Mia Belle Thorpe sich mit diesem entscheidenden Moment auseinandergesetzt und angefangen, die Erfahrung zu verarbeiten. Was immer später in ihrem Leben schiefgelaufen war, dort hatte es seinen Anfang genommen. Von da an war jeder Augenblick durch den Verlust ihrer Mutter geprägt. Nun war sie etwas Besonderes. Sie war nicht Mathe-Mia, die schüchterne Mia oder die mürrische Mia. Sie war Mia, deren Mutter gestorben war.

Mia Belle, das bedeutete meine Hübsche oder meine Liebe. Der Name war etwas Besonderes, weil ihre Mutter ihn ihr gegeben hatte. Mia wünschte, sie könnte ihr sagen, dass sie das jetzt erkannt hatte.

Jetzt.

Je weiter sie auf dieser dunklen Straße fuhr, desto mehr von sich selbst ließ sie zurück. Alles, was sie gewesen war – das verwöhnte kleine Mädchen, das Kind, das seine Mutter verloren hatte, den wütenden Teenager, die Süchtige, die Süchtige auf Entzug. Das Kind, das in den Augen seiner Mutter so wertvoll und einzigartig gewesen war und später nicht damit klarkam, dass der Rest der Welt das anders sah.

Für sie warst du etwas ganz Besonderes. Und für mich bist du das auch, hatte ihr Vater gesagt. Und das ist alles, was zählt.

Mia hatte alles zurückgelassen, was sie mit ihrer Vergangenheit verband. Sie hatte ihren Vater nicht angerufen, um sich von ihm zu verabschieden. Er mochte Raife nicht und verstand ihre Beziehung nicht, also was sollte es bringen, sich wegen ihrer Pläne mit ihm zu streiten? Irgendwann würde sie ihm einen Brief schreiben und darin alles erklären.

Vermutlich würde es ihnen beiden guttun, etwas Abstand voneinander zu bekommen. Ihr Vater hatte mittlerweile eine Freundin. Sie schien nett zu sein und hatte sich sehr um Mia bemüht. Aber … nein. Nein! Wenn Mia und ihr Vater etwas Abstand voneinander hatten, von der Erinnerung an ihren gemeinsamen Verlust, dann würden sie vielleicht beide glücklicher sein. Sie liebte ihren Vater. Aber es machte sie nicht glücklich, in seiner Nähe zu sein. Und sie hatte den starken Verdacht, dass es ihm mit ihr genauso ging.

Lass uns die toxische moderne Welt eine Zeitlang hinter uns lassen. Vielleicht nicht für immer, aber für eine Weile. Ich kenne einen Ort, wo wir frei sein können. Das hatte Raife zu ihr gesagt, als er seine Einladung aussprach.

Es klang, als wäre es genau das Richtige.

Auf dieser dunklen Straße war alles Geplapper verstummt. Sie hatte nur das Prepaid-Handy dabei, das sie in einem Drugstore gekauft hatte. Keine Social-Media-Benachrichtigungen, kein Signalton, der ständig schlimme Schlagzeilen ankündigte, keine Junkmails. Keine endlosen Nachrichten von Freundinnen mit Memes und Plänen für den Abend. Keine Podcasts. Keine Siri, die man nach dem Wetter fragen konnte, oder nach allem, was einem sonst so einfiel.

Das Auto, das sie Raifes Anweisungen folgend bei einem Gebrauchtwagenhändler gekauft hatte, besaß nur ein analoges Radio. Während der Fahrt wechselten die Sender, die sie empfangen konnte. Von der Country-Musik blieb irgendwann nur noch statisches Rauschen. Sie suchte herum und fand einen Rockmusik-Sender mit einem großmäuligen Moderator, aber irgendwann war auch das vorbei. Eine ganze Weile konnte sie nur ein christliches Programm empfangen, in dem ein Prediger vor dem Höllenfeuer warnte. Das hörte sie sich eine ganze Strecke weit an, weil sie gemerkt hatte, dass ihr die Stille Angst machte.

Er hatte ihr eine Landkarte gegeben, und allmählich fand sie heraus, wie sie zu lesen war. Er hatte die Tankstellen markiert, die sie anfahren sollte. Tankstellen ohne Kameras. Mit Barzahlung.

Allmählich lernte sie, die Stille auszuhalten. Irgendwann beruhigten sich auch ihre nervösen Gedanken.

Seit Stunden war ihr kein anderes Auto mehr begegnet. Über ihr waren unzählige Sterne, bis das Licht der aufgehenden Sonne den Himmel erhellte.

Sie kannte den Ort nicht, zu dem sie fuhr. Sie wusste nicht, wie lange sie dort bleiben würde. Aber sie wusste, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben die Freiheit spüren konnte.

1

HEUTE

Modernes Dating. Mal ehrlich, das ist das Hinterletzte.

Gibt es eine unangenehmere Situation, als nervös darauf zu warten, dass jemand, den man nur aus dem Internet kennt, persönlich vor einem steht?

Es war ein Fehler. Die Bar im East Village, in der ich sitze, ist voll, stickig und hektisch. Zu viele Fernseher, lautes Stimmengewirr und Musik, die versucht, sich gegen den Lärmpegel durchzusetzen.

Ich bin zu früh dran und warte jetzt angespannt auf etwas, von dem ich nicht genau weiß, ob ich es überhaupt will. Erst bin ich neben der Tür stehen geblieben, halb auf dem Sprung, bis ich mich endlich ins Getümmel gestürzt und einen freien Platz am Tresen ergattert habe.

Und jetzt sitze ich auf einem unbequemen Barhocker. Und warte.

Es wäre besser zu gehen.

Ich habe ein Mineralwasser bestellt, was mich bei der hübschen tätowierten Barfrau mit den angesagten rosa Haaren und den künstlichen Magnet-Wimpern nicht gerade beliebt gemacht hat. Sie ist nicht wieder zurückgekehrt, seit sie mir mein Glas hingeknallt hat. Ich verstehe, warum. Es gibt keinen Grund, ein solches Lokal zu besuchen – eine zur Happy Hour von Hipstern frequentierte Bar –, wenn man nichts trinken will. Wegen der Atmosphäre kommt garantiert keiner her. Aber es ist wichtig, einen klaren Kopf zu bewahren.

Ich bin noch nie hier gewesen. Meine beste Freundin Jax hat die Bar vorgeschlagen, ein früheres Stammlokal von ihr. Sehr gut besucht, meinte sie, anonym.

Es ist sicherer, von anderen Menschen umgeben zu sein, wenn man sich mit einem wildfremden Mann trifft, oder?

Wäre es nicht sicherer, sich überhaupt nicht mit wildfremden Männern zu treffen, hat meine Antwort gelautet.

Ein besorgtes Stirnrunzeln. Und was dann? Dann lernt man nie jemanden kennen.

Wäre das so schlimm? Alleinsein. Das ist nicht das Schlimmste, was einem im Leben passieren kann.

Es war Jax’ Idee. Die ganze Sache mit dem Online-Dating.

Robin, meine Kindheitsfreundin, die in allem das Gegenteil von Jax ist, war dagegen. Liebe, meinte sie, ist kein Algorithmus.

Das ist wahr.

Aber wer sucht schon nach Liebe?

Nur jeder, würde Robin sicherlich erwidern.

Ich nehme einen Schluck von meinem eiskalten Mineralwasser und schaue zum Eingang. Schallendes Gelächter kommt von einer großen Gruppe, die an einem Tisch weiter hinten sitzt. Ich schaue sie eine Weile an, beobachte. Drei Frauen, vier Männer, jung, gut angezogen, gut frisiert, gepflegt – Kollegen vielleicht? Entspannt, locker, sie fühlen sich wohl. Was man von mir nicht behaupten kann. Ich merke, dass ich die Schultern hochgezogen habe. Ich zwinge mich, mich zu entspannen, zu atmen.

Der Mann neben mir ist mir unangenehm dicht auf die Pelle gerückt, seine Schulter hat meine Schulter schon zweimal gestreift. Jetzt zum dritten Mal. Macht er das mit Absicht? Ich drehe mich zu ihm. Er ist massig, beginnende Glatze, Schweißfilm auf der Stirn. Nein. Er nimmt mich gar nicht wahr. Er ist mit seinem Smartphone beschäftigt und sichtet gerade Fotos von Frauen.

Er ist auf dieser anderen Dating-App, Firestarter, der App für Sextreffen. Sie verrät einem, wer gerade in der Nähe ist und eine kurze, unverbindliche Begegnung wünscht. Er ist von Menschen umgeben, am Ende des Tresens sitzt eine attraktive Brünette, die allein ist und ebenfalls auf ihr Smartphone starrt. Direkt hinter ihm steht eine Gruppe junger Mädchen – Studentinnen, nach ihren New-School-Sweatshirts und den Biergläsern in ihren Händen zu urteilen. Er ist schon bei seinem zweiten Scotch angelangt, mindestens, das schließe ich aus dem leeren Glas, das neben seinem vollen steht. Doch er sichtet einfach weiter die Fotos auf seinem Smartphone, sucht und sucht.

Seltsam. Die Welt ist zu einem sehr seltsamen Ort geworden.

Als ich einen Blick in Richtung Eingang riskiere, sehe ich eine Gruppe von drei jungen Männern hereinkommen, in die Stirn fallende Haare und Skinny Jeans, unrasiert. Einer trägt Vollbart, was heutzutage offenbar voll im Trend liegt. Es sieht aus, als wuchere ein Busch mitten in seinem Gesicht. Aber es hat schon auch etwas Männliches. Sehr Game of Thrones.

Das hier wird mein drittes Treffen über die Dating-App Torch, laut Jax die einzige Möglichkeit, heutzutage jemanden kennenzulernen. Sie hat mir ein Profil eingerichtet und mir gezeigt, wie man die Männer sichtet, die Fotos von sich hochgeladen haben. Jax mag sie mit nacktem Oberkörper und dämlich, ich selbst bevorzuge Intellektuelle. Bücherwürmer mit Brille, Männer, die gern lesen und nachdenken, die wandern und meditieren.

Unnötig zu sagen, dass solche Männer auf Torch die absolute Minderheit darstellen.

Mein erstes Date hatte ich mit Drew, einem Versicherungsmathematiker, der sich für russische Literatur begeisterte. Wir trafen uns in einem Sushi-Restaurant, betranken uns ein wenig mit Sake, und ich verbrachte die Nacht in seiner Wohnung in einem Haus ohne Aufzug in der Lower East Side. Er schnarchte noch laut, als ich mich morgens rausschlich.

In Jax’ Augen war das ein erfolgreiches Treffen. Aber ich fühlte mich ein wenig leer danach. Ich wusste nicht genau, ob ich benutzt worden war oder ob ich es war, die ihn benutzt hatte. Er rief nicht wieder an, und das Traurige war, dass ich nicht einmal wollte, dass er anrief.

Mein Glas ist leer. Ich fange den Blick der Barfrau auf und deute darauf. Sie nickt kurz.

»Noch ein Mineralwasser?«, sagt sie und nimmt mein leeres Glas.

Ich schiebe einen Zwanziger über den klebrigen Tresen, und ihr Verhalten ändert sich merklich. Schließlich verdient sie vor allem an den Trinkgeldern, und ich mit meinem Mineralwasser besetze einen wertvollen Platz.

»Danke«, sage ich, als sie mir in Rekordtempo mein Mineralwasser vorsetzt, diesmal mit einer großzügigen Scheibe Zitrone.

Mein zweites Torch-Treffen hatte ich mit Bryce, einem Yogi und Meditationslehrer. Er war sehr … flexibel. Wir gingen in ein veganes Restaurant in Soho und verbrachten die Nacht zusammen in seinem minimalistischen Loft in Williamsburg. Er rief an, einmal, zweimal, dreimal.

Ich spüre eine Verbindung zwischen uns, schrieb er mir.

Ging mir nicht so.

Ich muss beschämt zugeben, dass ich nicht einmal antwortete. Jax versicherte mir, das sei üblich. Die Leute erwarten, nie wieder etwas von dem anderen zu hören.

Sieh es mal so, sagte sie. Du hast in zwei Wochen mehr Action erlebt als in den letzten zwei Jahren.

Das stimmt, so traurig es ist.

Noch ein Blick Richtung Tür, die im zunehmenden Gedränge kaum noch sichtbar ist. Wirklich, ich sollte besser gehen.

Heute warte ich auf Adam. Ein Technologie-Experte mit einer Vorliebe für Rilke und Jung.

Den da, hat Jax bestürzt gefragt.

Es stimmt, das körnige Foto auf dem Display war nicht gerade schmeichelhaft – buschige Augenbrauen, zu groß geratene Nase. Der Text war so knapp, dass es an Unhöflichkeit grenzte: Gefällt mir nicht: Oberflächlichkeit. Gefällt mir: Einsamkeit. Persönliches Mantra: Alles in New York ist zu Fuß erreichbar, sofern man genug Zeit hat. Und zum Schluss: »Dich wundert nicht des Sturmes Wucht.« Nur ein Rilke-Fan konnte diese Zeile kennen und wissen, was sie bedeutete. Damit faszinierte er mich weit mehr als alle anderen.

Wer bist du, Adam? Ich bin gespannter darauf, dich persönlich kennenzulernen, als ich es sein sollte.

Doch vielleicht kommst du ja gar nicht. Es ist immer noch fünf Minuten vor der verabredeten Zeit, aber vermutlich werde ich versetzt.

Ich schreibe an Jax: Das ist jetzt wirklich das letzte Mal.

Ist er ein Arsch? Er wirkte so. Normalerweise kann man das sehen.

Er ist noch nicht aufgetaucht.

Wie überpünktlich warst du?

Eine halbe Stunde zu früh.

Sie schickt mir den augenverdrehenden Smiley. Entspann dich. Man weiß nie. Bestell dir noch ein Wasser, du Säuferin.

Ich will gerade zurückschreiben, als die Tür aufgeht.

Da bist du. Ich erkenne dich sofort.

Als ich dein Gesicht sehe, verspüre ich ein seltsames Ziehen im Magen. Einen Schock des Wiedererkennens. Wegen deines Fotos auf Torch, ja. Aber da ist noch irgendwas anderes. Du bist größer als die meisten Männer in der Bar, breitschultrig, muskulös, kohlschwarzer Blazer zum taubengrauen T-Shirt. Du bleibst kurz stehen, zögernd, und durchpflügst mit einer großen Hand deine dichte, fast schulterlange pechschwarze Mähne.

Er ist da, schreibe ich rasch an Jax. Muss Schluss machen.

Ist er heiß?

Bist du das? Schwer zu sagen. Deine Nase ist tatsächlich zu groß, die Augen wirken aus der Entfernung seltsam schwarz. Als du dich umschaust, treffen sich unsere Blicke. Ich lächle, winke aber nicht. Vielleicht bist du kein heißer Typ im klassischen Sinn. Aber irgendetwas in mir, das im Winterschlaf lag, erwacht.

Es ist, als würde ein Film angehalten. Alles bleibt stehen, scheint kurz zu warten. Ich spüre den Atem in meine Lungen strömen, als du dich durch das Gedränge auf mich zu schiebst.

Gerade, als du bei mir angekommen bist, steht der Mann neben mir wundersamerweise auf und geht. Der Barhocker neben mir ist frei geworden, und du nutzt die Gelegenheit.

Du hast ein umwerfendes, etwas schiefes Lächeln; es gefällt mir.

»Die Schöne und das Biest«, sagst du statt einer Vorstellung.

Dummerweise erröte ich. »Adam?«

Wir geben uns die Hand. Dein Handschlag ist warm und fest, dein Blick eindringlich.

»Freut mich, Wren.« Du hast eine tiefe Stimme, fast wie Donnergrollen. Nach einem kurzen abschätzenden Blick durch die Bar fragst du: »Ist das die Art Lokal, die dir gefällt?«

In deinen Augen blitzt Belustigung auf, Mutwillen.

Es ist seltsam. Du bist mir so vertraut, es ist, als würde ich dich schon seit Jahren kennen. Ein leichter, sauberer Duft geht von dir aus, die Kälte des Spätherbstes, die noch an deiner Kleidung hängt.

»Nein«, gebe ich zu.

»Warum hast du es dann ausgesucht?« Das könnte feindselig rüberkommen, gereizt. Aber es klingt nur neugierig.

»Habe ich gar nicht. Meine beste Freundin Jax fand, es sei ein sicheres Umfeld für ein Treffen mit einem Wildfremden.«

Dein Blick ruht auf mir, durchforscht mein Gesicht, nach was, das weiß ich nicht genau. Dann kommt: »Gibt es denn einen sicheren Ort für ein Treffen mit einem Wildfremden?«

»Vielleicht nicht.«

Dein Lächeln vertieft sich, und du hebst lässig die Hand. Die Barfrau kommt sofort vom anderen Ende des Tresens herbeigeeilt. Du bist diese Art Mann, glaube ich, strahlst eine natürliche Autorität aus. Die Leute beeilen sich zu tun, was du von ihnen willst. Du bestellst einen Woodford Reserve on the Rocks und siehst mich fragend an. Ich schüttle den Kopf und hebe mein Glas.

»Aber wir sind keine Fremden füreinander, oder?«, sagst du, als die Barfrau gegangen ist.

Unsicherheit überkommt mich. »Sind wir das nicht?«

Du reibst dir deinen markanten, bartstoppeligen Kiefer. »Es fühlt sich eindeutig nicht so an.«

»Stimmt«, gebe ich zu. »Tut es nicht.«

Als dein Drink kommt, erhebst du das Glas und wir stoßen an. Mein Lächeln ist echt, Anspannung und Nervosität fallen von mir ab.

»Auf Wildfremde, die einander irgendwie bereits kennen«, sagst du. Dein Ton ist leichthin, deine Haltung entspannt. Du fühlst dich wohl in deiner Haut.

»Das gefällt mir.«

»Mir auch.«

Wir müssen schreien, um uns bei dem Geräuschpegel verständlich zu machen. Du redest ein wenig über deine Arbeit im Cyber-Security-Bereich. Ich erzähle dir, dass ich Autorin bin – was die Wahrheit ist, aber nicht die ganze Wahrheit. Wir müssen die Köpfe zusammenstecken, um einander verstehen zu können. Mein Hals beginnt ein wenig zu schmerzen, weil ich so schreien muss.

Endlich sagst du: »Wollen wir nicht einfach weiterziehen?«

»Wo willst du denn hin?«

Wird das wieder ein schnelles Torch-Abenteuer für eine Nacht? Denn ich habe beschlossen, dass ich das nicht mehr will. Kann sein, dass es heutzutage üblich ist, wie Jax sagt. Aber wenn dem so ist, bleibe ich lieber allein.

»Egal, alles ist besser als das hier.«

Wir gehen nicht zu dir oder zu mir. Wir spazieren einfach los, und bei klarem Wetter, wenn der Himmel über der Stadt von diesem samtigen Blau ist, gibt es nichts, was ich lieber tue. Wir streifen durchs East Village bis zur Lafayette Street, vorbei an Joe’s Pub und dem vietnamesischem Restaurant Indochine. Wir überqueren die Houston Street, schlendern durch die grellen Lichter von Chinatown und an heruntergelassenen Rollläden entlang und landen auf der Brooklyn Bridge, diesem schönen Überbleibsel des alten New York.

Wir legen etliche Kilometer zurück. Manchmal reden wir über deine Kindheit (viele Reisen), über meine (isoliert, unglücklich), doch immer wieder fallen wir in angenehmes Schweigen. Und es sind die Schweigephasen, die ich am aufregendsten finde. Gemeinsam schweigen zu können hat etwas köstlich Intimes. In Brooklyn Heights gehen wir in eine ruhige, schummrige Bar in der Nähe der Adams Street, wo leiser Jazz spielt und die Gäste in gemütlichen Alkoven zusammensitzen und sich leise unterhalten.

»Das ist eher nach meinem Geschmack«, sage ich.

»Geht mir genauso.«

Wir reden wieder über den Job. Du hast eine Firma für Cyber-Security, bist neu in der Stadt, nachdem du seit der Kindheit viel in der Welt herumgekommen bist, erst wegen des Berufs deines Vaters, später wegen deines eigenen. Du hast in verschiedenen Städten in den USA, in Europa und in Asien gelebt. Ich nehme Details wahr, den teuren Schnitt und das edle Material deiner Jacke. Die manikürten Fingernägel. Wie aufmerksam du mich anschaust, wenn ich etwas sage, wie du zuhörst. Du wartest, bis ich zu Ende gesprochen habe, bevor du antwortest oder einen Kommentar dazu abgibst. Du hast mich bisher nicht berührt, nicht einmal zufällig, obwohl wir sehr eng beieinandersitzen.

»Ich muss morgen früh raus«, sage ich endlich. Ich will den Zauber zwischen uns nicht brechen. Aber ich will mich auch nicht zu etwas hinreißen lassen, das ich bereuen werde. Es ist nur zu leicht, dem natürlichen Impuls nachzugeben. Besser, man setzt der Sache gleich ein Ende.

Falls du enttäuscht oder gekränkt bist, zeigst du es nicht. Du wirfst einen Blick auf deine Uhr, weißes Ziffernblatt, schwarze römische Zahlen. Analog in einer digitalen Welt. Du bist Technologie-Experte, hast aber noch nicht ein einziges Mal auf dein Smartphone gesehen.

»Wo wohnst du?«, fragst du.

»Direkt um die Ecke.«

»Darf ich dich nach Hause begleiten?« Du hebst die Hände, hast vielleicht meinen Gesichtsausdruck gesehen. »Nur nach Hause bringen, mehr nicht.«

Ich nicke. »Sicher.«

Draußen bietest du mir deinen Arm, und ich hake mich unter. Es ist lustig und antiquiert, aber absolut angenehm, so Arm in Arm durch die hübschen baumbestandenen Straßen von Brooklyn zu schlendern. Deine Wärme, deine Stärke. Es ist magnetisch. Ich empfinde etwas, das ich seit langer Zeit nicht mehr empfunden habe. Wir gehen schweigend. Endlich kommen wir zu meinem Brownstone-Haus.

Du blickst daran hoch und siehst dann mich an. »Das ganze Haus gehört dir?«

Ich nicke ein wenig verlegen. Als ich das Haus gekauft habe, war es praktisch eine Ruine, und ich bin seit Jahren dabei, es zu renovieren. Aber ja, es ist schon eine große Sache, hier in diesem Viertel ein Haus zu besitzen.

»Hast du nicht gesagt, du wärst Autorin?« Jeder weiß, dass Autoren normalerweise wenig Geld haben.

»Es war einfach Glück, dass ich dieses Haus gefunden habe.«

Dein Lächeln ist ungezwungen und wissend, ohne zu urteilen. »Du bist eine Frau mit vielen Facetten, Wren Greenwood, das merke ich schon.«

Das ist sehr wahr.

»Wir sind alle vielschichtig, Adam Harper.«

Du starrst einen Augenblick ins Leere, dann siehst du mich an. »Also … hör mal.«

Ah, jetzt ist es so weit. Jetzt kommt die Abfuhr. Ich wusste ja, der Mann war zu gut, um wahr zu sein.

»Ich bin nicht gut darin, Spielchen zu spielen.« Du fährst dir mit der Hand durchs Haar, das im Licht der Straßenlaterne bläulich glänzt wie das Gefieder einer Amsel. Mir ist bereits aufgefallen, dass du dazu neigst, dir durch die Haare zu fahren, wenn du dich unbehaglich fühlst.

Du räusperst dich. Ich bleibe stumm. Du fährst fort: »Du gefällst mir. Und ich will heute Abend kein seelenloses Torch-Abenteuer.«

Okay. Wow. Nicht das, was ich erwartet hatte. Wieder entscheide ich mich für Schweigen, wie ich es in Zweifelsfällen immer tue.

»Also, darf ich dich morgen zum Essen einladen?« Wieder ein Blick auf die Uhr. »Tja, heute wohl eigentlich.«

Aus irgendeinem der Brownstone-Häuser in der Straße dringt Klaviermusik. Die höre ich oft, und immer verleiht sie der Nacht etwas Magisches. Es ist kühl, obwohl es morgen warm werden soll. Der Klimawandel, verrückt.

Jax würde mir raten, so zu tun, als müsste ich erst in meinem Terminkalender nachsehen.

Aber Robin würde sagen, ich soll ich selbst sein.

»Sehr gerne«, sage ich. Ich mag auch keine Spielchen. »Wo und wann?«

»Soll ich dich um sieben hier abholen?«

Ich nicke. »Perfekt.«

Du gehst langsam rückwärts, Hände in den Taschen, und ich kann gar nicht aufhören zu lächeln.

»Gute Nacht, Wren Greenwood.«

»Gute Nacht, Adam Harper.«

Endlich drehst du dich um und gehst rasch davon. Dann verschwindest du um die Ecke.

Torch. Dating-Apps mögen hohl und seelenlos sein, ein armseliger Ersatz für menschliche Verbundenheit. Aber vielleicht spricht ja doch einiges dafür.

Ich gehe die Steinstufen hoch, gebe den Schlüsselcode ein, öffne die Tür, trete in die Stille des Zuhauses, das ich mir geschaffen habe, und schließe ab. Es riecht noch leicht nach der Suppe, die ich vorhin gekocht habe. Es ist immer eine Erleichterung, ins Nest zurückzukehren. Für mich bedeuten alle Begegnungen eine Anspannung, selbst die guten.

Die Wahrheit ist, dass ich seit der Collegezeit mit niemandem mehr zusammen war, und das ist peinlich lange her. Sagen wir einfach, dass es mir schwerfällt, Nähe zuzulassen, anderen zu vertrauen.

Vielleicht hätte ich aussprechen sollen, was ich gedacht habe: Du gefällst mir auch, Adam.

Andererseits kennen wir einander eigentlich gar nicht. Vielleicht beendest du alle deine Dates so? Versüßt den Abschied, indem du ein nächstes Treffen verabredest, zu dem es nie kommen wird.

Vielleicht, Adam, wirst du morgen nicht auftauchen, und ich werde dich nie wiedersehen.

So ist das eben mit dem Dating-Ritual von heute.

Es kann so oder so ausgehen.

2

»Also … heiß oder nicht?«

Als ich am nächsten Morgen hinunterkomme, steht Jax bereits in meiner Küche und macht Kaffee. Ich habe nicht gut geschlafen. Wie immer wurde ich von lebhaften, hauptsächlich schlechten Träumen geplagt. Ich bin nicht überrascht, sie zu sehen. Sie kennt den Schlüsselcode, und ich habe sie kommen gehört.

So wie sie aussieht, die tintenschwarzen Locken zu einem festen Zopf geflochten, die dunkle Haut gerötet, feuchtes T-Shirt, ist sie von ihrer Wohnung in Chelsea hierher gejoggt. Sie ist eine leidenschaftliche Läuferin, eine Super-Läuferin, ob auf dem Laufband oder durch die Stadt – sie läuft gern über die Brücken und bis in die äußeren Stadtteile. Sie läuft, als wäre irgendetwas hinter ihr her, schnell und ausdauernd, und nie – und ich meine wirklich niemals – ermüdet sie. Wenn wir zusammen laufen, was selten vorkommt, lässt sie mich immer japsend hinter sich.

»Heiß?«, antworte ich zögernd und setze mich auf einen der Hocker an der Kücheninsel.

In der Küche sind die Renovierungsarbeiten noch im Gange. Die Wände sind nicht gestrichen, nackte Glühbirnen hängen von der Decke und warten auf Lampenschirme, die Küchenfronten werden gerade erneuert – die Schranktüren sind ausgebaut, der Altanstrich entfernt. Der Handwerker, der daran gearbeitet hat, ist auf mysteriöse Weise abgetaucht; das ist jetzt zwei Wochen her.

Es gab nur eine Textnachricht: Hi, bin zu einem anderen Job gerufen worden. Bin bald wieder da.

Wird er wiederkommen? Unmöglich zu sagen. Denkbar, dass ich von einem talentierten und bizarr preiswerten, aber hochgradig unzuverlässigen Tischler geghostet wurde.

Inmitten der Baustelle summt und zischt eine funkelnagelneue Espressomaschine mit Milchaufschäumer. Niemand kann behaupten, ich würde keine klaren Prioritäten setzen.

»Eine Antwort sollte nicht wie eine Frage klingen«, ist Jax’ Reaktion auf mein unsicheres Statement.

Sie hört sich haargenau wie ihre Mutter Miranda an, die in den letzten acht Jahren zu meiner Ersatzmutter geworden ist. Aber ich werde mich hüten, ihr das zu sagen. Jax gießt Mandelmilch in den Milchaufschäumer und drückt auf den Startknopf. Der Duft des Espressos, den sie bereits in die Tassen gefüllt hat, liegt in der Luft.

»Deine Frage war stark vereinfacht«, sage ich. »Heiß oder nicht? Was sind wir denn – Internet-Trolle?«

Sie fixiert mich mit ihren umwerfenden haselnussbraun-grünen Augen. Jamaikanische Mutter, britischer Vater – Jax erklärt immer, dass sie ein waschechtes amerikanisches Mädchen ist. Ihre Vorfahren kommen von überall her, aber sie ist in Brooklyn geboren und aufgewachsen. Zuallererst ist sie New Yorkerin, alles andere ist zweitrangig.

»Er ist doch nicht etwa noch hier, oder?«

Sie blickt an mir vorbei, zum Flur und zur Treppe hin.

Ich schüttle den Kopf, nehme dankbar den Kaffee entgegen, den sie mir über die Quarzsteinplatte hinweg reicht, die auf der unfertigen Kücheninsel liegt, auch noch nicht richtig befestigt. »So etwas mache ich nicht mehr, das habe ich dir doch gesagt. Mit den schnellen Torch-Abenteuern ist Schluss.«

Sie zuckt die Achseln und hebt die Augenbrauen, als hätte ich etwas Unvernünftiges gesagt, und nimmt einen Schluck Kaffee. »Also, was ist passiert?«

Was passiert ist? Etwas. Ich habe etwas empfunden, was ich von meinen beiden letzten Dates nicht behaupten könnte. Beim Aufwachen habe ich an dich gedacht, Adam, und mich gefragt, ob wir wirklich heute miteinander zu Abend essen werden.

»Nichts«, sage ich. »Wir haben geredet und sind spazieren gegangen. Es war … schön.«

»Hast du ein Foto gemacht?«

Darüber muss ich lachen. Jax lebt quasi im Netz. Es ist acht Uhr morgens, und wahrscheinlich hat sie ihren Morgenlauf bereits auf Instagram gepostet. »Er ist nicht der Selfie-Typ.«

»Okay.« Sie zieht die Silben in die Länge. »Was für ein Typ ist er dann?«

»Ich nehme mal an, der Typ, den ich wiedersehen werde. Er hat mich für heute Abend zum Essen eingeladen.«

Wieder hebt sie die Augenbrauen, überrascht diesmal, und lässt sich auf den Küchenhocker neben mir gleiten. Wir trinken in geselligem Schweigen den starken Kaffee. Sie scrollt durch ihr Smartphone. Mit einem Seitenblick sehe ich, dass sie dein Profil aufgerufen hat.

Das Foto ist wirklich nicht besonders schmeichelhaft. In echt siehst du besser aus.

Ihr Stirnrunzeln verrät mir, dass du nicht ihre Billigung findest. »Was ist mit dem anderen Typen?«, fragt sie.

»Welchem?«

»Dem Bücherbegeisterten. Du hast gesagt, er sei nett, du weißt schon … begabt.« Sie lacht und bewegt die Schultern, gespielt sexy.

Ich merke, dass ich den Blick nicht von ihr wenden kann. Ich bin oft wie gebannt von ihrer Schönheit, ihren hohen Wangenknochen, den leuchtenden Augen, den vollen Lippen. Meine Freundin hält sich selbst nicht für schön, aber sie ist es.

»Drew.« Ich erinnere mich an ihn – ganz netter Körper, Schlafzimmerblick. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn für begabt gehalten habe. Unsere gemeinsame Nacht war bestenfalls annehmbar. »Er hat nicht wieder angerufen.«

Sie legt den Kopf schief, denkt nach. »Du hast dich ja auch nicht bei ihm gemeldet.«

»Genau. Da war nichts«, sage ich und denke, dass sie Sache damit geklärt ist. Aber sie mustert mich immer noch. »Was ist?«

Jax betrachtet lange dein Foto, zupft an ihrem Zopf. »Dieser Typ. Er macht einfach … einen so ernsten Eindruck. Ich will doch nur, dass du … du weißt schon – ein bisschen Spaß hast.«

In den Augen meiner Freundin sollten Torch-Abenteuer unbeschwert und leicht sein – Treffen in Nachtclubs, Wochenend-Trips nach Miami Beach, ein Brunch mit Champagner, nach dem man wieder im Bett landet. Aber das ist ihr Ding. Nicht meins.

Sie sieht mich an, als wollte sie noch etwas hinzufügen, presst dann aber die Lippen zusammen.

»Was ist?« Sofort reagiere ich abwehrend, so wie man das nur bei Menschen tut, die einen zu gut kennen.

Sie hebt die Hände. »Ich mein ja nur. Fixier dich nicht auf einen einzigen Kerl. Probier ein bisschen was aus.«

Probier ein bisschen was aus. Sie benutzt die App wie einen Katalog, in dem man stöbert. Ich weiß nicht, ob sie sich schon jemals mehr als einmal mit demselben Typen verabredet hat. So funktioniert das halt. Potentielle Partner werden nach links oder rechts gewischt. Das Angebot ist scheinbar unbegrenzt, und wenn die Realität sich nicht mit dem Bild in den sozialen Medien messen kann (und wann würde sie das je?) – blockiert man, entfreundet, löscht, geht zum Nächsten über.

Die Idee dahinter – Jax’ Idee – war, dass ich mal unter Leute komme. Aufhöre, so hart zu arbeiten. Ein wenig lebe, mich locker mache.

»Worüber machst du dir solche Sorgen?« Ich stupse sie mit der Schulter an, und sie ergreift meine Hand und drückt sie. »Wahrscheinlich wird er sich gar nicht melden. Ich werde ihn nie wiedersehen.«

»Hmm«, meint sie. »Wie wär’s mit dem hier?«

Sie hält mir das Foto eines Mannes mit Ziegenbärtchen und zurückgegeltem Haar hin, extrem durchtrainiert, der seine Muskeln spielen lässt und anzüglich in die Kamera blickt. Wir brechen beide in Gelächter aus.

»Ähm«, sage ich. »Kein Kommentar.«

Etwas klopft an das Fenster über der Spüle, und als ich aufblicke, sehe ich eine Amsel, die fragend hereinschaut. Ich habe Körner für sie aufs Fensterbrett gelegt. Hinter meinem Townhouse liegt ein handtuchgroßer Hinterhof, den ich großzügig bepflanzt habe. Ich glaube, die Amsel hat ihr Nest in der Dachrinne über der Hintertür gebaut. Ich trete zur Spüle und betrachte sie. Im Morgenlicht glänzt ihr Gefieder bläulich schwarz.

Und, einfach so, bin ich wieder dort.

Das Haus meines Vaters. Groß und weitläufig, heruntergekommen und mit vielen Stellen, an denen Reparaturen fällig waren, für die wir nicht das Geld hatten. Abgelegen auf einem Riesenstück Land, das seit Generationen seiner Familie gehörte. Das Haus, in dem er aufgewachsen war und in das er mit seiner Familie zog, als ich zehn war, aus Gründen, die ich damals nicht nachvollziehen konnte.

Ich lege die Hand auf die Scheibe und erinnere mich an das beschlagene Fenster in der alten Küche, den warmen, nussigen Geruch von Hafergrütze, die auf dem Herd köchelt. Meine Mutter summt vor sich hin, mein Bruder Jay schmollt, wütend auf irgendwas – auf alles und jeden. Auch zu diesem Fenster kam eine Amsel, angezogen von den Körnern, die meine Mutter ihr hinstreute. Vögel sind die Boten des Universums, sagte sie immer. Sie singen sein Lied.

»Wren.«

Ich kehre zurück in die Gegenwart, zu Jax. »Erde an Wren. Wo warst du mit deinen Gedanken?«

Daheim, denke ich. Ich war zu Hause.

»Was ich damit sagen will«, fährt Jax fort, »lass es langsam angehen. Triff ihn wieder, wenn du willst. Aber verabrede dich auch mit anderen. Amüsier dich ein bisschen. Es muss doch nicht immer alles … so schwer sein, so ernst.«

Sie redet über meine Arbeit, unsere Arbeit, aber nicht nur. Sie redet über mich.

Ich sehe zu, wie die Amsel die Körner aufpickt. Sie schaut mich mit schief gelegtem Kopf an und fliegt dann davon, in den bleigrauen Himmel hinein.

3

Ich warte an der Ecke 79th Street und Broadway, an einen Laternenpfahl gelehnt, und beobachte die Passanten. Es ist Rush Hour, der Himmel ist schmutzigblau und die Luft beißend kalt.

Eine aufgeregte junge Frau im roten Mantel, die eine große Umhängetasche umklammert hält, hastet an mir vorbei, umgeben von einer Parfümwolke. Bist du denn völlig verrückt geworden, schreit sie in ihr Handy, das Gesicht ärgerlich verzogen. Ein eleganter Mann mit graumeliertem Haar in einem schmal geschnittenen schwarzen Anzug geht an mir vorbei, völlig versunken in dem, was er sich mit seinen AirPods anhört. Sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er in anderen Sphären schwebt.

Der Verkehr wälzt sich stockend in beide Richtungen, es wird gehupt, sinnlos, immer wieder, Autos brettern über Gullydeckel, Busse halten mit einem Zischen. Ein Taxifahrer streckt den Kopf aus dem Fenster und brüllt wütend etwas in einer Sprache, die ich nicht verstehe.

Während ich auf dem belebten Bürgersteig stehe, strömen vielleicht hundert Leute – oder mehr – jeder Hautfarbe, jeder Nationalität, jeden Geschlechts an mir vorbei, ein schönes, chaotisches Mosaik der Welt, in der wir leben. Ich lasse die Energie über mich hinwegfließen, höre drei verschiedene Sprachen. Schäbig oder elegant, arm oder reich, konservativ oder wild, es ist eine bunte Mischung aus allem, was ein Mensch sein kann. Das liebe ich am meisten an dieser Stadt, ihre Akzeptanz aller Schattierungen des Menschlichen.

Und das ist nur die Oberfläche. Was darunter liegt, ist unglaublich tief, reich und komplex. Fast kann ich sämtliche Stimmen der drängelnden Fußgänger hören – ihre Sorgen und Ängste, Hoffnungen und Träume, die Probleme, die sie nachts wachliegen lassen. Das ist es, was ich tue: Ich helfe Menschen dabei, ihre Probleme zu lösen. Meine Superkraft ist das Zuhören.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Wie immer bin ich zu früh dran. Und wie immer bin ich am Verhungern.

Laut meinem Lieblings-Foodblogger gibt es die beste Pizza in New Jersey, in einem Restaurant namens Razza. Natürlich ist die snobistische New Yorkerin in mir ganz sicher, dass das unmöglich sein kann. Wie könnte es außerhalb von New York irgendetwas geben, das besser ist als hier? Doch da wir uns seit unserem Kennenlernen vor drei Monaten praktisch auf einer kulinarischen Tour durch den Großraum New York befinden, fühlen wir uns verpflichtet, die Behauptung zu überprüfen. Heute Abend liegt eine schwere Pflicht vor uns, wir werden die Stadtgrenzen überschreiten müssen. Aber das werden wir tapfer ertragen.

Wir sind doch ein »Wir«, oder? Was meinst du, Adam?

Seit unserem Torch-Date ist kein Tag vergangen, an dem wir uns nicht getroffen hätten. Zum Essen, auf einen Kaffee, wir sind mittags ins Arthouse-Kino gegangen, durch eine Galerie in Soho geschlendert, haben einen Spaziergang auf der High Line unternommen, der Fußgängerpromenade auf den Schienen einer stillgelegten Hochbahn. Normalerweise ist jede Unternehmung nur der Auftakt für eine lange Liebesnacht (oder für kurze, gestohlene Momente am Nachmittag), manchmal sanft, manchmal verzweifelt, und immer bleibe ich bewegt, wie ausgelaugt, erschüttert zurück.

Es ist alles sehr schnell gegangen. Zu schnell, findet Jax. Robin ist auch nicht begeistert. Sie war schon immer eine Schwarzseherin.

Wren, was weißt du eigentlich über diesen Mann? Er übernimmt ja praktisch dein Leben.

Ich bin dabei, ihn kennenzulernen. So etwas nennt man Beziehung.

Robin ist nur eifersüchtig. Schon früher, als wir klein waren, gefiel es ihr nicht, wenn sie meine Aufmerksamkeit teilen musste.

Jax hatte völlig recht, als sie wollte, dass ich unbeschwerter werde, mehr Spaß habe, öfter mal rauskomme. Die Wahrheit ist: Ich bin glücklich. Klingt es merkwürdig, wenn ich sage, dass ich glücklich bin, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben?

Noch ein paar Minuten vergehen. Ich lasse den Blick über die Straße schweifen und halte Ausschau nach deiner hochaufragenden Gestalt in der Menge. So peinlich es ist, ich kann mich nicht an den Namen deiner Firma erinnern. Black Vault? Locked Box? Irgendwas in dieser Richtung, Tresorraum, Geldschatulle – es soll eine sichere Verwahrung symbolisieren. Du hast es mir erklärt. Das Gebäude hat eine schwarze Markise, hast du gesagt, und mir die Adresse genannt. Aber ich habe sie schnell wieder vergessen, da wir verabredet haben, uns an der Straßenecke zu treffen. Ob ich kurz einen Blick in die Lobby eines dieser nichtssagenden Bürogebäude werfen soll? Ich bin sicher, ich würde den Namen erkennen, wenn ich ihn auf einer Übersichtstafel lese.

Nein, es ist besser, ich warte auf der Straße. Halte ein wenig Abstand.

Obwohl wir uns seit unserem Torch-Treffen fast jeden Tag gesehen haben, lassen wir es langsam angehen. Ich weiß nicht viel über deine Arbeit, nur das Wesentliche. Ein Großteil davon ist vertraulich, das liegt in der Natur der Sache; Kunden, die private Cybersicherheit brauchen, legen Wert auf Diskretion.

Die Freunde des jeweils anderen haben wir bisher noch nicht kennengelernt.

Jax liegt mir ständig damit in den Ohren, aber ich bin noch nicht bereit dazu. Was meine Arbeit angeht, weißt du nur, dass ich Autorin bin und unter Pseudonym eine Beratungskolumne schreibe, die erstaunlich gut läuft.

All die Facetten, die du an unserem ersten Abend intuitiv erspürt hast. Die meisten Schichten liegen noch verborgen.

Aber, wie ich schon zu Robin sagte, so läuft das eben in einer Beziehung, nicht wahr?

Wir offenbaren uns Schicht für Schicht im Laufe der Zeit.

Oder auch nicht, je nachdem, wie es läuft.

»Hi.«

Da bist du. Stehst direkt vor mir, siehst untypisch erhitzt aus, ein bisschen aufgelöst.

»Du warst tausend Kilometer entfernt«, sagst du sanft, beugst dich vor und gibst mir einen Kuss. »Tut mir leid, dass du warten musstest. Kundenprobleme. Ich habe dir eine Nachricht geschickt.«

Vielleicht hast du das. Ich bin nicht die weltbeste Verwalterin meines Geräts, das tief vergraben in meiner Kuriertasche liegt. Ich mag diesen piepsenden, klingelnden kleinen Tyrannen nicht. Immer werfe ich nur einen kurzen Blick auf meine Nachrichten, auf diese Mini-Tastatur. Normalerweise rufe ich dann einfach an, statt zurückzuschreiben. Niemand telefoniert mehr, sagt Jax. Kostet zu viel Zeit.

Ich hasse diese kalte, reduzierte Art, in der wir heutzutage miteinander kommunizieren. Ich will die Stimme hören, die Bedeutungsnuancen, die in einem Tonfall mitschwingen. Noch lieber ist es mir, jemandem in die Augen zu sehen, ihn zu berühren, eine Verbindung zu spüren. Ich bin nicht so mit Technik aufgewachsen wie andere. Mein Vater … wir durften nicht mal einen Fernseher haben. Keine Computer, keine Videospiele, keine Handys.

Du bist ein analoges Mädchen in einer technisierten Welt. Das gehört zu den Dingen, die mir am besten an dir gefallen, hast du gesagt, als ich dir das gestand.

Also rufst du an, Adam, obwohl du lieber schreiben würdest. Weil du weißt, dass es das ist, was ich gern möchte. Das gefällt mir an dir, diese Rücksichtnahme. Wenn wir nachts nicht zusammen sind, telefonieren wir oft stundenlang, beenden die Verbindung auch nicht, wenn längst alles gesagt ist.

Heute Abend – die weiße Sonne verschwindet bereits hinter den Hochhäusern –, ist irgendetwas seltsam an deinem Verhalten. Anstatt mir den Laserstrahl deiner ganzen Aufmerksamkeit zu schenken, schweift dein Blick in die Ferne, du musterst die Straße um uns herum, als würdest du nach etwas suchen.

»Alles in Ordnung?«, frage ich.

Du konzentrierst dich auf mich. Diese schwarzen Augen in der Landschaft deines Gesichts – starke Brauen, Fältchen in den Augenwinkeln, Bartstoppeln, eine kleine Narbe auf einem deiner hohen Wangenknochen.

»Bloß … ein harter Tag. Entschuldige.«

Ich habe den Eindruck, als würde mehr dahinterstecken, aber anstatt in dich zu dringen, sage ich: »Ich bin am Verhungern.«

»Ich auch. Lass uns essen.«

Wir nehmen ein Taxi nach Jersey City. Dekadent.

Ich selbst? Ich bin sparsam. U-Bahn, nicht Taxi. Hähnchen, nicht Hummer. Macy’s, nicht Neiman. Aber du, Adam, hasst das Gedränge und Geschiebe, die Unzuverlässigkeit des ausgedehnten U-Bahn-Systems unserer Stadt. Wenn möglich, gehst du zu Fuß, und wenn nicht, nimmst du ein Taxi.

Wir sitzen im ruhigen Innenraum des Taxis, fahren erst im Schritttempo durch die belebten Straßen, dann schneller, als wir zum Tunnel kommen. Im Dunkeln knutschen wir auf dem Rücksitz wie Teenager, alles verschwindet bis auf den voyeuristischen Blick des Taxifahrers im Rückspiegel, den Verkehrslärm, das Rauschen der schnellen Fahrt durch den Tunnel.

Dann kommen wir in eine Gegend mit niedrigen Gebäuden. Es ist eins dieser noch nicht ganz gentrifizierten Viertel, eine witzige Mischung aus Rauheit und Chic, die manche Ecken der Stadt haben. Sie versuchen, etwas Bestimmtes zu sein, doch unter der Oberfläche sind sie etwas ganz anderes. Wie wir alle.

In dem kleinen, warmen Restaurant bestellen wir verschiedene Pizzen, nur um sie zu verkosten. Dann warten wir und reden hauptsächlich darüber, wie mein Tag so war. Ich tue so, als würde mir nicht auffallen, dass du auf eine Art nervös bist, die mir neu ist. Du blickst ständig an mir vorbei zum Eingang, als würdest du auf jemanden warten. Endlich kommen unsere dampfenden Pizzen, eine nach der anderen.

Sie sind himmlisch – der Teig ist locker und trotzdem knusprig, mit sahnigem geschmolzenem Käse, frischen Tomaten, einem Hauch von heißem Honig. Scheiben von göttlichem Prosciutto, Knoblauch-Geschmacksexplosionen.

Gott, ich bin verliebt.

»Ich mag die Art, wie du isst«, sagst du. Du siehst mich mit einer Intensität an, die mir mittlerweile vertraut ist, als wäre ich ein Puzzle, an dessen Lösung du arbeitest.

Kurz bin ich verlegen und werfe einen Blick auf die fast vertilgte Pizza vor uns. Aber es stimmt – ich esse leidenschaftlich gern und ohne mich dafür zu entschuldigen. Wir teilen die Leidenschaft für gute Küche.

»Essen ist Leben«, sage ich. »Jemand, der nicht gern isst, lebt nicht gern.«

Dein Lächeln verwandelt dein ernstes, fast grüblerisches Gesicht, macht es jungenhaft und hell.

»Amen.«

Wir essen, bis wir nicht mehr können, und bitten darum, uns die Reste einzupacken. Essen, das sinnliche Vergnügen der Essenskunst, ist für uns eine Art Vorspiel.

Als wir wieder in Brooklyn sind, stürzen wir durch die Haustür und reißen uns auf der Treppe gegenseitig die Kleider vom Leib. Wir waren auch ein paar Mal in deiner Wohnung, aber meistens gehen wir zu mir. Deine Wohnung in Chelsea ist kalt – moderne klare Formen und schicke, aber ungemütliche Möbel, wie in einem Museum. Sie ist elegant eingerichtet, aber ohne jede persönliche Note.

Es ist, als würdest du eigentlich gar nicht hier wohnen, habe ich gesagt, als ich dich zum ersten Mal dort besuchte.

Tue ich wohl auch nicht, hast du geantwortet. Ich bin viel unterwegs. Ich bin selten hier.

»Wo ist dann dein Zuhause?«

Ein seltsamer Ausdruck huschte über dein Gesicht, und zum ersten, aber nicht zum letzten Mal fragte ich mich, ob du vielleicht genauso viele Geheimnisse hast wie ich. Du hast auf deine Magengegend getippt. Genau hier vermutlich.

Ich fand das seltsam traurig, sprach es aber nicht aus.

Mein Haus ist völlig anders als deine Wohnung, unordentlich statt aufgeräumt, gemütlich statt unterkühlt. Große Sitzmöbel, die ich vor allem wegen ihrer Bequemlichkeit ausgesucht habe, mit möglichst weichen Kissen und Wohndecken bestückt. So weich wie die flauschige weiße Daunendecke, unter der wir jetzt liegen. Sie hüllt uns ein.

Unser Liebesspiel hat sich im Laufe der letzten Woche verändert. Was vorher sanft war, erkundend, rücksichtsvoll – Ist das in Ordnung für dich? Bist du okay? –, ist drängender geworden, hungriger. Der Ton hat sich verändert, die Stimmung.

Dein starker Arm liegt auf meinem Rücken, dein Atem an meinem Hals ist ein Grollen, tief und verzweifelt. Dann bist du so tief in mir, dass ich einen Schrei ausstoße, halb aus Schmerz, halb aus Lust. Du hörst nicht auf. Es ist wild und rau, als wir einander umschlingen, und ich werde ganz lebendig vor Begehren, vor Lust.

Du flüsterst meinen Namen. Wren. O Gott. Wren.

Ich höre deine Leidenschaft, deine Hilflosigkeit; sie ist ein Echo meiner eigenen. Jedes Mal, wenn wir uns lieben, habe ich das Gefühl, dich besser kennenzulernen, als hättest du eine weitere Schicht deiner selbst enthüllt, ohne ein Wort zu sagen.

Als es vorbei ist, wir in der Dunkelheit liegen und nur noch unser Atmen zu hören ist, glaube ich erst, dass du eingeschlafen bist. Doch dann veränderst du deine Position, ziehst mich an dich und flüsterst: »Erzähl mir etwas, was du noch nie jemandem erzählt hast.«

Bis zu diesem Moment habe ich genau überlegt, was ich dir von mir erzählen wollte und was nicht. Ich habe Teile von mir enthüllt, Scheibchen der Wahrheit, wenige Facetten, editierte Erinnerungen, bloß die banalsten Vorlieben und Abneigungen. Doch es gibt Dinge, die ich vor dir verborgen habe. Es war nicht notwendig, gleich alles zu enthüllen; Beziehungen dauern heutzutage selten sonderlich lange. Ich kann es mir nicht leisten, mich jemandem anzuvertrauen, der jeden Augenblick spurlos aus meinem Leben verschwinden könnte.

Weiß er es, fragte Jax, als ich ihr gestand, wie sehr ich dich mag.

Nein, erwiderte ich.

Wann wirst du es ihm sagen?

Jetzt, denke ich. Dies ist der richtige Augenblick. Wenn ich es jetzt nicht erzähle, wird es zur Lüge, etwas, das ich dir verheimlicht habe. Also erzähle ich dir in den dunklen Stunden nach Mitternacht, umschlungen von deinen starken Armen, etwas, das ich noch nie jemandem erzählt habe.

4

»Sehen wir uns heute Abend?«

Das fragst du immer, fast jeden Morgen, als wäre es keine ausgemachte Sache.

»Natürlich«, antworte ich wie stets.

Du bist bereits fertig, hast frische Sachen aus deiner Übernachtungstasche angezogen. Als ich vor einer kleinen Weile aufgewacht bin, hörte ich die Dusche rauschen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass du spät dran bist und ich verschlafen habe. Es war eine lange Nacht, wir haben geredet und geredet, und irgendwann muss ich eingeschlafen sein. Die Erinnerungen, die Dinge, die ich dir erzählt habe, lassen mich nicht los. Jetzt bereue ich es. Die Nacht hat mir ein Gefühl von Sicherheit verliehen, doch im hellen Licht des Morgens fühle ich mich entblößt. Meine Haut kribbelt vor Scham.

»Ich würde dir heute Abend gern eine Frage stellen.« Du ziehst den Gürtel um deine schmale Taille.

»Frag mich jetzt.«

Du schüttelst den Kopf und lächelst matt. »Ungeduldiges Ding.«

Ich drehe mich auf die Seite, stütze mich auf einen Ellbogen und schaue zu, wie du dir mit der Bürste durch das nasse Haar fährst. Deine große Gestalt füllt den Spiegel über der Frisierkommode aus. Dein Haar ist dicht und wild, jede Frau könnte dich darum beneiden. Doch als du dein Spiegelbild betrachtest, tust du es mit einem kritischen Stirnrunzeln.

»Wo und wann?«, frage ich.

»Es gibt da ein Restaurant im Village, das ich gern mal ausprobieren würde. Ich schicke dir die Adresse.«

Als du dich neben mich aufs Bett setzt, duftest du nach Salbei und Minze.

»Danke«, sagst du.

»Wofür?«

»Dafür, dass du dich mir anvertraut hast. Du wirst es nicht bereuen.«

»Lauf weg, solange du kannst«, witzle ich mit einer Sicherheit, die ich nicht empfinde.

Du küsst mich, eine Hand auf meiner Hüfte, ein langer, tiefer Kuss, um dich dann widerstrebend von mir zu lösen.

»Ich bin spät dran«, sagst du mit einem Stöhnen. »Wir sehen uns heute Abend.«

Und dann bist du fort, und ich bin allein mit meinem Geständnis, meiner Vergangenheit, all den Stimmen in meinem Kopf.

Ich flüchte mich in die Arbeit, wie ich es immer tue, vergesse mich selbst und alle meine Probleme. Der Tag vergeht schnell. Du rufst mittags nicht an, aber gegen zwei Uhr nachmittags bekomme ich eine Textnachricht mit der Adresse, ein Restaurant, das ich nicht kenne.

Ich habe Schmetterlinge im Bauch, als wäre es unsere erste Verabredung. In gewisser Weise ist es das vielleicht auch. Denn jetzt weißt du Bescheid.

Was willst du mich fragen, Adam?

Als ich das Restaurant betrete, flattern die Schmetterlinge in meinem Bauch wie wild.

Es ist angenehm schummrig. Abgetrennte Nischen und Kerzen auf den Tischen. Ein goldener Buddha sitzt in der Mitte eines dunklen Zimmerbrunnens, in dem Lotosblüten treiben. Ich halte nach dir Ausschau, sehe dich aber nicht.

Sieht dir gar nicht ähnlich, dich zu verspäten.

Der Chef de Rang, – große dunkle Augen, Gesichtszüge wie gemeißelt, makellos und ganz in schwarz gekleidet – lächelt, und ich sehe ihm an, dass das Kleid, das ich trage – neu, ein seltener Spontankauf –, die richtige Wahl war. Es betont mein Dekolleté und lässt meine Augen strahlen.

»Sie sind als Erste eingetroffen. Darf ich Sie zu Ihrem Tisch führen?«

»Ja, bitte.«

Sein Blick ruht auf mir.

Vom Äußeren her bin ich nichts Besonderes. Ich meine, ich sehe schon ganz gut aus. Aber meine Beine finde ich nicht so toll, und meine Haare führen bei Regen ein Eigenleben. Die Kunst des Schminkens habe ich mir nie so richtig angeeignet. In einer Stadt voller schöner, schicker, glamouröser Frauen setze ich auf den urbanen Warrior-Look, ich trage hauptsächlich Jeans und Lederjacke, T-Shirts und Doc Martens-Stiefel. Ich bin keine, die wachst, zupft und manikürt, hungert und sich herausputzt. Eine natürliche Frau, hast du gesagt. Selten heutzutage. Ich habe es als Kompliment genommen.

Aber dieses Kleid, ein königsblaues Wickelkleid, lang und hauteng, betont meine Vorzüge ausgesprochen gut.

Warum habe ich mich für heute Abend so schick gemacht? Ich weiß es nicht.

Wenn er sich von dir trennen will, sieht er zumindest, was ihm entgeht, hat Robin wenig hilfreich gesagt, als ich mich fertigmachte. Sie lümmelte auf meinem Bett herum, so wie sie es immer tut – entspannt, selbstsicher, zu allem bereit.

Am Tisch schaue ich in die Speisekarte.

Wow.

Sehr teuer.

Du übernimmst immer die Rechnung. Anfangs fühlte ich mich nicht wohl dabei, und wir stritten uns darum, wer bezahlen durfte. Ich bin oldschool, hast du gesagt. Im Restaurant bezahlt der Mann. Es ist einfach daneben, wenn man es nicht tut. Aber mittlerweile liebe ich das an dir: deine Großzügigkeit. Deine Freundlichkeit. Du gibst, ohne etwas im Gegenzug zu verlangen.

Ich blicke jedes Mal zur Tür, wenn sie aufgeht – ein lachendes junges Paar kommt herein, ein älterer Herr mit Baritonstimme. Natürlich habe ich Hunger. Die Kellnerin fragt, ob ich schon etwas trinken möchte. Aber ich werde auf dich warten. Die Schmetterlinge haben sich in Krähen verwandelt.

Immer wieder muss ich an gestern Nacht denken.

Du hast so viel durchgemacht, hast du voller Mitgefühl gesagt. Aber du bist eine Überlebenskünstlerin.

Das war noch nicht alles. Es gibt noch mehr Schichten. In uns allen steckt immer mehr als das, was wir sagen und zeigen. Aber ich habe dir alles anvertraut, was möglich war. Ich habe genug von mir offenbart.

Also bin ich, nachdem deine Nachricht kam, schnell zu einer Boutique geflitzt, die ich mag, um mir ein neues Kleid zu kaufen. Kauftherapie ist normalerweise überhaupt nicht mein Ding. Aber ich verstehe, was die Leute daran so reizt: Ich bin in eine neue Haut geschlüpft. In etwas Helles, Frisches.

Die Tür geht auf und eine große, umwerfend elegante Frau kommt hereingeschwebt. Sie hat dunkle Haut und trägt ein wunderschönes schwarzes Kleid. Sie setzt sich an die Bar, und kurz darauf gesellen sich zwei Asiaten in scharf gebügelten anthrazitgrauen Anzügen zu ihr. Sie stecken die Köpfe zusammen, unterhalten sich leise und intensiv.

Du wirst bald kommen, versichere ich mir. Du bist auf dem Weg.

Weißes Tischtuch.

Orchideen in einer Vase.

Leises Gemurmel, Flötenmusik. Ich warte.

Eine halbe Stunde über der Zeit. Sieht dir eindeutig nicht ähnlich.

Endlich fische ich mein Handy aus der Tasche.

Oh.

Drei verpasste Anrufe. Ich versuche, dich zurückzurufen, aber du meldest dich nicht. Ich spüre ein unangenehmes Ziehen im Magen. Angst. Ich weiß, wie schlimme Dinge sich anschleichen können. Eben noch scheint das Leben stabil, vorhersehbar, und im nächsten Augenblick wird einem der Boden unter den Füßen weggezogen und man schwebt im Weltall. Null Schwerkraft.

Ich schreibe: Ist was passiert? Ich habe eben versucht, dich zurückzurufen.

Weitere Minuten vergehen. Die übrigen Gäste genießen ihr Essen, ohne zu ahnen, wie mein Herz hämmert. Meine Kellnerin schaut immer wieder zu mir herüber. Andere Kellner flitzen vorbei, voll beladene Tabletts in den Händen – es riecht himmlisch, aber der Duft dringt kaum zu mir durch.

Schließlich – es sind weitere zehn Minuten vergangen, ohne dass du dich gemeldet oder auf meine Anrufe und Textnachrichten reagierst hättest – suche ich meine Sachen zusammen.

Du wirst nicht kommen.

Irgendetwas stimmt nicht.

5