Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft - Christian Kreiß - E-Book

Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft E-Book

Christian Kreiß

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Beschreibung

Wenn Mephisto, die bekannte Figur aus Goethes "Faust", unsere Wirtschaftsregeln machen könnte, was würde er dann tun? Unter diesem Blickwinkel wird unser heutiges Wirtschaftssystem untersucht. Die Ergebnisse sind verblüffend und erklären einige Abläufe in unserem Wirtschaftsleben, die sonst nur schwer erklärlich wären.

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Christian Kreiß

Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft

© 2019 Christian Kreiß

© Coverphoto: Mit freundlicher Genehmigung durch United Archives

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7497-5790-9

Hardcover:

978-3-7497-5791-6

e-Book:

978-3-7497-5792-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Ziele Mephistos

3. Wichtige Grundannahmen der heutigen Wirtschaftswissenschaften

a. Unersättlichkeit

b. Zinseszins ist gut, richtig und wichtig

c. Eigentum in beliebiger Höhe ist gut, richtig und wichtig

d. Gewinnmaximierung von Unternehmen

e. Konsumenten sind rationale, durch Eigeninteresse gesteuerte Nutzenmaximierer (homo oeconomicus)

f. Konkurrenz statt Kooperation, gegeneinander statt miteinander

g. Die unsichtbare Hand des Marktes macht alles gut

4. Auswirkungen der Grundannahmen auf Wirtschaft und Gesellschaft

a. Zinseszins ist gut, richtig und wichtig

i. Zinseszins, Umweltzerstörung und Kurzfristdenken

ii. Die Rolle des WACC

iii. Die fragwürdige moralische Legitimation von Zinsen und Dividenden

iv. Die moralischen Auswirkungen des Zinseszins-Denkens

b. Zinseszins kombiniert mit unbegrenzter Vermögensanhäufung

i. Unsichtbare Zahlungsströme: Wer zahlt an wen?

1. Erstes Beispiel: Unser täglich‘ Brot

2. Leistungslose Einkommen

3. Reichensteuer

4. Zweites Beispiel: Grund und Boden

5. Drittes Beispiel: Gewinne und Dividenden

6. Viertes Beispiel: Zinseszins und die Geschichte vom „Josephspfennig“

i. Wie wird man reich?

ii. Das Durcheinandermengen von Entrepreneur- und Rentenkapitalismus

iii. Ungleichverteilung und Machtkonzentration

iv. Weltweite Blasenbildungen und Überkapazitäten

v. Regelmäßig wiederkehrende Überproduktionskrisen

vi. Zins und Religionen

c. Die Folgen der Gewinnmaximierung

i. Gewinn als Ergebnis, nicht als Ziel

ii. Der Siegeszug der Gewinnmaximierung

iii. Ein grundsätzlicher Zielkonflikt

iv. Kundenbetrug und Konsumentenübervorteilung

v. Mitarbeiter als Produktionsfaktoren statt als Menschen

vi. Karriere und Aufstieg der Rücksichtslosen und Asozialen

vii. Mörderischer Wettbewerb zwischen den Unternehmen

viii. Hauen und Stechen zwischen Zulieferern und Abnehmern

ix. Steuersparmodelle, Steuerflucht und Betrug an der Allgemeinheit

x. Systematische Umweltzerstörung

xi. Gesundheit

1. Pharmaindustrie

2. Impfstoffhersteller

3. Lebensmittelindustrie

4. Übergewicht und Fettsucht

5. Volkssuchten und Volksdrogen

6. Volkskrankheiten

xii. Gewinnmaximierung und Wahrheit

1. Gekaufte Wissenschaft: Unterwanderung der Wahrheit durch subtile Bestechung

2. Der Missbrauch der Begriffe „Wert“ und „value“

3. Werbung: Irreführung, Unehrlichkeit und Lüge werden zum Massenphänomen

4. Was steckt dahinter?

xiii. Fazit

b. Unnötige Arbeit

i. Das große Versprechen: Das kommende Zeitalter der Freizeit und der Fülle

ii. Unproduktive Erwerbstätigkeiten

iii. Geplanter Verschleiß

iv. Unnötige Werbung

v. Mindestens 50% bullshit jobs?

vi. Was steckt dahinter?

c. Trivialität und innere Leere

d. Verwirrung hervorrufen

i. Die erste Verzerrung: Verfälschung durch Einschalt- oder Leserquoten

ii. Die zweite Verzerrung: Rücksichtnahme auf die Interessen der Werbegeldgeber

iii. Die dritte Verzerrung: Rücksichtnahme auf die Eigentümer

iv. Die vierte Verzerrung: Das Oligopol der Nachrichtenagenturen ap, reuters-thomson und afp

v. Verzerrte Berichterstattung bei wikipedia

vi. Fazit zu Pluralität und Objektivität unserer Medien

vii. Mephisto und die Wahrheit

viii. Haupt- und Nebeneffekt vernebeln, vom Wesentlichen ablenken

1. Computerspiele

2. Pressefreiheit und Medien in Privateigentum

3. Meinungsfreiheit für Konzerne

e. Nationalismus, Völkerfeindschaften und Konflikte fördern

i. Völker gegeneinander aufbringen

ii. Mephisto und der Euro

h. Nutzenmaximierung, Utilitarismus und Egoismus

i. Eine weltanschauliche Verirrung

ii. Unvermeidbaren Wohlstand benutzen, um Menschen in Materialismus und Egoismus zu stürzen

iii. Materialismus und Egoismus

iv. Egoismus, Partikularinteressen und Gruppenegoismus

v. Egoismus im Endstadium

1. Krieg aller gegen alle

2. „Tierischer als jedes Tier“

• Mord und Gewalt in den Medien

• Pornographie

5. Mittel und Wege

6. Jenseits der Ökonomie

a. Schulsystem

1. Unser bestehendes Staatsschulsystem: Eine Fehlkonstruktion

2. „Schafft die Schule ab“

3. Ein Lösungsansatz: Freie, selbstverwaltete Schulen

b. Hochschulsystem

1. Ausbildung statt Bildung

2. Ein Lösungsansatz: Freie, selbstverwaltete Hochschulen

c. Schönheit und Ästhetik

1. Warum bauen wir heute so hässlich?

2. Schönheit und Wahrheit

3. Was steckt dahinter?

4. Aufruf zur Welt-Verschönerung

d. Hinter den Kulissen der Wirtschaftswissenschaften: Der Kampf um die Ausschaltung des Christentums

7. Wege in eine menschliche Wirtschaft

a. Was können wir gemeinsam tun?

i. Lasst uns die Ökonomie-Lehrbücher umschreiben!

1. Vom Reichtum der Natur und der Bescheidenheit des Menschen

2. Der große Unterschied zwischen kleinen und großen Vermögen

3. Zinseszins ist gefährlich!

4. Unternehmen sollen kundenorientiert arbeiten statt Gewinne zu maximieren

5. Wir brauchen keinen Homo Oeconomicus

6. Der Mythos der unsichtbaren Hand des Marktes

7. Integrative Wirtschaftsethik statt Glaube an die Allmacht des Marktes

8. Miteinander statt gegeneinander, Kooperation statt Konkurrenz, Gemeinwohlökonomie statt Egoismusökonomie

9. Fazit

ii. Politische Maßnahmen

1. Abwenden einer kommenden schweren Finanz- und Bereinigungskrise

• Einmalige Vermögensabgabe

• Erbschaftssteuer

• Abgabe auf nicht selbst genutzten Boden und Immobilien

2. Sonstige politische Maßnahmen

• Unternehmensvermögen

• Umlaufgesichertes Geld

• Reform des Schul- und Hochschulsystems

• Werbeeinschränkungen und – verteuerungen

• Reduzierung der Jahresarbeitszeit

• Luxussteuer

• Fremdkapital begrenzen

• Obergrenze für Managergehälter

3. Umsetzung

b. Was kann jeder Einzelne tun?

i. Unnötigen Konsum vermeiden

ii. Verantwortlicher Umgang mit Kapital und Zinsen

iii. Verantwortlicher Umgang mit Lebenszeit

8. Zusammenfassung und Resümee

a. Zusammenfassung b. Die Aufgabe von Mephisto

9. Ausblick. Statt einer Dystopie: Wie schön könnte unsere Welt werden!

a. Das Zeitalter der Freizeit und der Fülle (The Age of Leisure and Abundance)

i. 20-Stunden-woche statt 40-Stunden-Woche Regelarbeitszeit

ii. Können wir uns das überhaupt leisten? Können wir davon leben?

iii. Was sollen wir mit der ganzen freiwerdenden Zeit anfangen?

b. Ausblick auf das Jahr 2050

i. Berufswelt

1. Führen Sie schon oder herrschen Sie noch?

2. Der Weg zur Arbeit/ Verkehr

ii. Wohnen

iii. Gesundheit

1. Essen

2. Medizin

iv. Produkte

1. Menge und Art

2. Lebensdauer

3. Sharing und Wiederverwerten

v. Energieversorgung und -verbrauch

vi. Bildung

1. Schulen

2. Hochschulen

vii. Kultur und soziales Leben

viii. Politik

c. Schluss

Literaturverzeichnis

Einleitung

Wenn Mephisto, die bekannte Figur aus Goethes „Faust“, unsere Wirtschaftsgesetze machen könnte, was würde er dann tun? Nun, das Ziel von Mephisto ist ziemlich klar. Er sagt an einer Stelle „Ihr wisst, wie wir in tief verruchten Stunden Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht“ (Faust Teil 2, Grablegung). Er will also das Menschengeschlecht so stark wie möglich schädigen.

Wie kann man das am besten tun? Unter diesem Blickwinkel soll im Folgenden unser heutiges Wirtschaftssystem untersucht werden. Es geht also um die Fragestellung eines Advocatus Diaboli: Wie kann man die Regeln, die Gesetze, die Wirtschaftsordnung, so gestalten, dass die Menschen geschädigt werden? Wichtig ist dabei, dass wir es nicht durchschauen. Denn wer würde heute schon ganz offen für schlimme Pläne sein? Wie würde solch ein mephistophelischer Plan also konkret aussehen und umgesetzt?

Ich glaube, es ist sehr hilfreich, einmal einen Blick auf unseren sozialen Organismus mit dieser Fragestellung zu werfen, mit der Hypothese, es gäbe Kräfte oder Bestrebungen, in diese Richtung zu wirken. Der Leser wird rasch bemerken, wie man mit Hilfe dieses Ansatzes Phänomene in unserem Wirtschaftsleben erklären kann, die vorher nur schwer erklärbar schienen.

Um diese Fragestellung zu verfolgen, wird folgendermaßen vorgegangen. Zunächst wird untersucht, welche Absichten ein Advocatus Diaboli haben könnte und wie er sie konkret umsetzen wollen würde. Der „Advocatus Diaboli“ oder „Anwalt des Teufels“ war ursprünglich ein katholischer Priester, der vor der Heiligsprechung eines Menschen alle schlechten Eigenschaften der Person aufführen musste. Erst wenn alle negativen Einwände entkräftet waren, konnte der Mensch durch die katholische Kirche heiliggesprochen werden. Der Gegenpart dazu war der „Advocatus Dei“, der Anwalt Gottes. Es ging also nicht darum, einen Menschen schlecht zu machen, sondern alle möglichen Schlechtigkeiten zu entkräften.

Es werden im Folgenden zunächst die wichtigsten Ziele Mephistos beschrieben. Dann wird untersucht, auf welchen Grundannahmen die heutigen Wirtschaftswissenschaften aufbauen. Im Anschluss werden die Auswirkungen dieser Annahmen auf das reale ökonomische Leben und die Gesellschaft aufgezeigt und die Mittel und Wege besprochen, wie das erreicht wird. Es folgt ein Blick auf gesellschaftliche Bereiche jenseits der Ökonomie. Am Schluss werden Wege in eine menschliche, nicht-mephistophelische Wirtschaft aufgezeigt und wie solch eine Welt aussehen könnte.

Die Ziele Mephistos

Das Hauptziel Mephistos ist, uns Menschen nicht zu fördern, sondern zu schaden. Also beispielsweise statt die Ideale der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit, deren Gegenteil anzustreben: Unfreiheit, Ungleichheit und Unbrüderlichkeit. Ein anderes Ziel Mephistos wäre, uns Menschen möglichst davon abzuhalten, die hohen menschheitlichen Ideale, das Wahre, Schöne und Gute zu verfolgen. Stattdessen sollen wir ihr Gegenteil anstreben: Das Unwahre, Unschöne und Ungute. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Egoismus. Aus dem Egoismus folgen von alleine Gier, Neid, Habsucht, Rücksichtslosigkeit und eine ganze Menge weiterer schädlicher Eigenschaften. Je stärker die Menschen in den Egoismus getrieben werden, desto schlimmer werden die gesellschaftlichen Zustände. Also ist eines der wichtigsten Ziele Mephistos, den Egoismus so stark zu fördern wie möglich, um die Menschen damit auf die schiefe Bahn zu bringen, zum Bösen zu verleiten.

Der von Goethe verwendete Name „Mephistopheles“, abgekürzt „Mephisto“ kommt von den beiden hebräischen Begriffen „mephir“ (Zerstörer, Verderber) und „tophel“ (Lügner). Von letzterem stammt der deutsche Begriff „Teufel“ ab. Neben dem Egoismus spielt also die Lüge eine ganz besonders wichtige Rolle. Je stärker Lüge und Unaufrichtigkeit verbreitet sind, ein umso leichteres Spiel hat Mephisto. Denn kaum ein Mensch ist heute bereit, bewusst und willentlich die schiefe Bahn zu betreten oder bewusst Böses zu tun.

Deshalb erreicht Mephisto seine Ziele am besten, wenn er unehrlich, lügnerisch vorgeht, wenn zunächst einmal die Begriffe verwirrt werden, um uns Menschen den Kompass zu nehmen. Denn wenn erst einmal das Denken verwirrt und auf eine schiefe Bahn gelenkt ist, kommen die schädlichen Auswirkungen von ganz alleine. Wie wir heute denken, so wird in einer oder mehreren Generationen die Welt aussehen. Ein Haus entsteht aus einem Architektenplan, eine Brücke oder eine Maschine aus dem Plan eines Ingenieurs, eine Therapie folgt einer Diagnose. Wenn die Pläne, Analysen und Diagnosen falsch sind, werden auch die gesellschaftlichen Folgen falsch und schädlich sein. Deshalb ist der allererste und wichtigste Ansatz von Mephisto, die Theorien, das Denken auf eine unheilvolle Bahn zu lenken.

Angewendet auf unser Wirtschaftsleben heißt das, es müssen möglichst falsche und schädliche Grundannahmen oder Axiome eingeführt werden, die aber auf den ersten Blick plausibel, gut und vernünftig erscheinen. Wenn die Theoriegebäude der Ökonomen auf schlechten oder unheilvollen Grundannahmen aufgebaut sind, folgen die schädlichen gesellschaftlichen Ergebnisse von ganz alleine. Deshalb werden im ersten Schritt die heute gängigen Grundannahmen der Wirtschaftswissenschaften beschrieben.

Wichtige Grundannahmen der heutigen Wirtschaftswissenschaften

„Die Ideen der Ökonomen […], ob richtig oder falsch, sind einflussreicher als man gewöhnlich meint. In der Tat wird die Welt von kaum etwas Anderem regiert. Praktiker, die sich frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind normalerweise die Sklaven irgendeines verstorbenen Ökonomen.“1

John Maynard Keynes 1936

Die folgenden Axiome liegen einzeln oder gemeinsam praktisch allen in der Ökonomie verwendeten Analysen, Modellen und Erklärungsansätzen im Lehrgebäude der heutigen Mainstream-Ökonomie zu Grunde:

1. Unersättlichkeit

2. Zinseszins ist gut, richtig und wichtig

3. Eigentum in beliebiger Höhe ist gut, richtig und wichtig

4. Unternehmen sollen ihre Gewinne maximieren

5. Konsumenten maximieren rational ihren Eigennutzen

6. Konkurrenz und Wettbewerb sind gut

7. Die unsichtbare Hand des Marktes überführt das eigennützige Verhalten der Marktteilnehmer in das Wohl der Allgemeinheit

1) Unersättlichkeit

„Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“

Mahatma Gandhi2

Das Weltbild der Ökonomen geht davon aus, dass Güter knapp sind und die Menschen endlose Bedürfnisse haben. So heißt es in dem international führenden Lehrbuch von Mankiw und Taylor zur Volkswirtschaftslehre3 gleich zu Beginn: „Die Gesellschaft wird nie genügend Ressourcen haben, um Waren und Dienstleistungen in dem Maße zu produzieren, dass alle Wünsche und Bedürfnisse ihrer Mitglieder befriedigt werden können.“4 Im führenden deutschen Lehrbuch zur Betriebswirtschaftslehre, dem „Wöhe“ steht dazu lapidar: „Die menschlichen Bedürfnisse sind praktisch unbegrenzt.“5

Gerade die Einleitungsseiten von Lehrbüchern sind besonders wichtig für weltanschauliche Fragen, denn dort werden die Weichen dafür gestellt, was behandelt wird und was nicht. Die Ökonomie-Lehrbücher unterscheiden, anders als etwa Mahatma Gandhi nicht zwischen Bedürfnissen und Gier, nicht zwischen Luxuskonsum oder Brotkauf. Alles ist gleich gut und wichtig. So lesen wir bei Mankiw/ Taylor: „Sie [die Gesellschaft] muss darüber entscheiden, wer Kaviar isst und wer Kartoffeln, wer Porsche fährt und wer den Bus nimmt.“6 Es geht also nicht darum, ob oder in welcher Höhe Luxuskonsum stattfindet, sondern nur noch darum, wie man damit umgeht. Durch die Hintertür werden hier bereits deutliche moralische Wertungen eingeführt: Der Kauf von Luxusgütern ist ebenso legitim wie der von lebenswichtigen Gütern. Jegliche in Geld ausgedrückte, auf den Märkten erscheinende Nachfrage muss berücksichtigt werden. Das sind wichtige moralische Botschaften gleich zu Beginn der Bücher.

Die Frage: Wieviel ist genug? Wird praktisch nie gestellt. Die Frage: Wieviel Wirtschaftswachstum verträgt die Umwelt? wird in der Mainstream-Ökonomie normalerweise nicht gestellt oder in wenigen Sätzen bagatellisiert. Dadurch wird eine bestimmte Analyserichtung vorgegeben, andere Fragestellungen werden von vorneherein unausgesprochen ausgeschlossen. Gier und Unersättlichkeit werden bereits durch die ersten Sätze der Ökonomie-Lehrbücher als ganz normal dargestellt, nicht hinterfragt und damit moralisch legitimiert. Bescheidenheit, Verzicht, Genügsamkeit und Selbstbeschränkung, alte religiöse Tugenden, werden von vorneherein verworfen. Und es ist ja bekannt, dass Mephisto religiöse Tugenden nicht leiden kann.

2) Zinseszins ist gut, richtig und wichtig

In einem der am meisten verwendeten US-amerikanischen Lehrbücher über Unternehmensfinanzierung heißt es gleich zu Beginn: „Ein Dollar heute ist mehr wert als ein Dollar morgen […]. Das ist das erste Grundprinzip von Finanzierung.“7 In der Tat bauen nicht nur alle Lehrbücher zu Investition und Finanzierung, sondern alle Ökonomie-Lehrbücher implizit oder explizit auf dem Prinzip von Zins und Zinseszins auf. „Zinseszins ist gut, richtig und wichtig“ ist einer der Kardinalsätze der heutigen Ökonomie, ein Glaubenssatz, der nicht hinterfragt wird.

Im Lehrbuch „Grundlagen der Finanzwirtschaft“ zeigen die beiden US-Ökonomen Jonathan Berk und Peter de Marzo, dass 1000 Euro, die man zu einem Zinssatz von 10% anlegt, über einen Zeitraum von 20 Jahren durch Zins- und Zinseszins zu 6727 Euro werden. Das entspricht beinahe einer Versiebenfachung des eingesetzten Kapitals.8

Nach 20 Jahren hört das Schaubild auf. Das ist kein Zufall. Die beiden Finanzierungsprofessoren der Eliteuniversität Stanford weisen zwar darauf hin, dass die Auswirkungen von exponentiellem Wachstum durch Zinseszins bei längeren Laufzeiten „sehr dramatisch“ sein können: Verlängere man den Betrachtungszeitraum auf 75 Jahre, so werden aus den ursprünglichen 1000 Euro 1,27 Mio. Euro, was mehr als eine Vertausendfachung des ursprünglich angelegten Geldbetrages sei.9 Nimmt man statt 75 Jahren 500 Jahre, die in etwa seit dem Thesenanschlag von Martin Luther verflossen sind, nimmt man also an, Martin Luther hätte damals 1000 Euro zu 10% angelegt, so wären aus seinen 1000 Euro bis heute etwa 496.984.196.731.247.000.000.000 Euro geworden, das ist ungefähr 6000 Milliarden Mal das Weltsozialprodukt von 2019 von etwa 85.000 Milliarden US-Dollar. Also hätten die Ururenkel von Luther 6000 Milliarden Mal Anspruch auf die gesamte Wirtschaftsleistung der Erde.

Ein anderes Beispiel: In dem kleinen Ort Mittenwalde, der etwa 30 km südöstlich von Berlin liegt, tauchte 2012 ein Schuldschein auf. Demnach wurden von dem Ort Mittenwalde am 28. Mai 1562 an die Stadt Berlin 400 Gulden zu einem Zinssatz von 6 % verliehen. Die Schulden wurden von der Stadt Berlin mutmaßlich nie zurückgezahlt.10 Unterstellt man, dass damals ein Gulden einem Euro heute entsprochen hätte (was nicht stimmt: ein Gold-Gulden damals hatte eine unvergleichlich viel höhere Kaufkraft als ein Euro heute), so beträgt der heutige Wert dieses Schuldscheins € 6.617.318.484.100.730 bzw. 6.617 Billionen Euro. Das ist mehr als das 2000-fache der gesamten Wirtschaftsleistung von Deutschland heute. Die Stadt Berlin wird diesen Schuldschein also nie begleichen können. Diese Rechnung kann gut illustrieren, wie absurd der Glaube der meisten Ökonomen an die Zinseszinsrechnung über längere Zeiträume ist. Es ist ein Glaube, der aller Realität entbehrt.

Diese Rechnungen zeigen, wie absurd eine Zinseszinsrechnung mit 6% oder gar mit 10%, wie sie heute den meisten Lehrbüchern zu Grunde liegen, langfristig ist. Trotzdem bauen alle Finanz- und Investitionslehrbücher auf solchen Berechnungen mit Exponentialwachstum auf. Die Zahlenreihen hören meist nach ein oder zwei Jahrzehnten auf. Man hört an dieser Stelle auf zu denken. Würde man logisch konsequent weiterdenken, so könnte man leicht erkennen, dass sich eine solche Rechnung selbst ad absurdum führt. Die Frage ist: Warum bauen trotz der Absurdität dieser Annahme praktisch alle Lehrbücher der Ökonomie gedankenlos auf dem zentralen Grundaxiom Zinseszins und Exponentialwachstum auf? Warum denken die Ökonomen ihre Theorie nicht zu Ende?

In der Natur gibt es kein endloses Exponentialwachstum. Biologische Wachstumsprozesse verlaufen in den Frühphasen normalerweise exponentiell, danach geht das Wachstum harmonisch in Stagnation über. Beispielsweise wachsen die Keime von Bäumen oder Blumen anfangs sprunghaft, exponentiell, aber, wie ein Sprichwort schon sagt, wachsen Bäume nicht in den Himmel, sondern stellen ihr Wachstum ab einem bestimmten Zeitpunkt weisheitsvoll ein. Auch Tiere und Menschen wachsen in der Anfangsphase exponentiell und stellen dann ihr Wachstum harmonisch ein. Falls biologisches Wachstum nicht natürlich oder harmonisch eingestellt wird, endet es durch Krankheit oder Tod.

So wachsen Bakterien und Viren im Körper vor Ausbruch der Krankheit exponentiell. Wenn sie eine gewisse Masse erreicht haben, bricht die Krankheit offen aus, die sich davor durch ungehemmte Wachstumsprozesse verdeckt vorbereitet hat. Ähnlich sieht das der Arzt und langjährige Chef von Goldman Sachs Deutschland, Alexander Dibelius „Eine Bakterienkultur kann nur für eine gewisse Zeit exponentiell wachsen, aber irgendwann reicht der Nährstoff nicht mehr und sie bricht zusammen.“11 Der Fokus des Investmentbankers liegt aber naheliegenderweise mehr darauf, wie man den Nährboden so lange wie möglich ausnutzen kann und wie man dann auf neuen Nährboden übergeht und das Spiel von vorne beginnt.

Ähnlich ist es bei Krebs, der sich lange vor dem offenen Ausbruch der Krankheit durch ungehemmtes Wachstum vorbereitet. Bei Krebs im Endstadium versucht man verzweifelt, durch Operationen, Bestrahlung oder Giftzufuhr das Wachstum zu hemmen. Dann ist es aber meistens zu spät. Nicht nur in der Biologie, sondern auch im Wirtschaftsorganismus rufen ungehemmte exponentielle Wachstumsprozesse Krankheit in Form von krebsartigen Wucherungen hervor, die zu schlimmen ökonomischen Bereinigungsprozessen führen. Darauf wird im nächsten Kapitel eingegangen.

Mephisto hat jedenfalls seine Freude am unbegrenzten Zins und Zinseszins, haben doch praktisch alle Weltreligionen Zinsnehmen immer verboten. So sagte Martin Luther 1540 in seiner Vermahnung an die Pfarrherren, wider den Wucher zu predigen: „Aber die grossen weltfresser, die nicht gnug konnen auffs hundert nehmen, den kan mans nicht zu hart machen Denn die haben sich dem Mammon und dem teufel ergeben“.12

3) Eigentum in beliebiger Höhe ist gut, richtig und wichtig

Die dritte zentrale Grundannahme in der heutigen Ökonomie lautet: Unbegrenztes Privateigentum ist gut, richtig, wichtig und unbedingt schützenswert. So heißt es in dem führenden Lehrbuch zur Volkswirtschaftslehre, dass Märkte „nur dann richtig funktionieren, wenn die Eigentumsrechte durchgesetzt werden.“13 Dabei wird vorausgesetzt, dass die Eigentumsrechte klar definiert sind.14 Dieses Axiom der unlimitierten Eigentumsanhäufung steht im Zentrum unserer Eigentumsordnung bzw. der Property-Rights-Theorie.

Im Normalfall unterscheiden die Ökonomen dabei nicht, in welcher Höhe Eigentum vorliegt. Ob es sich um die Zahnbürste oder ein Aktienpaket im Wert von 10 Milliarden Dollar handelt spielt keine Rolle: Eigentumsrechte sind wichtig und müssen, egal in welcher Höhe, durchgesetzt werden, sonst funktionieren die Märkte nicht. Die gängigen Wirtschaftstheorien unterscheiden in der Regel auch nicht, ob der Eigentümer sich persönlich mit dem Besitz verbindet, aktiv mit dem Vermögen arbeitet oder ob das Kapital passiv anonyme Erträge erwirtschaftet. Eigentum ist Eigentum und muss geschützt werden.

Dabei macht es einen großen Unterschied, ob der Besitzer mit seinem Eigentum persönlich verbunden ist, aktiv damit arbeitet oder ob das Eigentum anonym für Erträgnisse eines passiven Eigentümers sorgt. Der Eigentümer-Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens geht ganz anders mit seinen Mitarbeitern und seinen Produkten um als der Vorstand eines gewinngetriebenen börsennotierten Aktienunternehmens. Der Landwirt, der sein Land und seine Geräte verwendet, verbindet sich mit seinem Boden, den Beschäftigten und den Tieren völlig anders als ein Investor, der aus einer Großanlage in einem Agrar-Fonds Millionenerträge bezieht, häufig ohne überhaupt zu wissen, welche Grundstücke von seinem Vermögen gekauft wurden. Es macht gesellschaftlich einen großen Unterschied, ob der Arzt mit seinen Spezialgeräten, der Handwerker mit seinen Werkzeugen arbeitet, oder ob ein Großanleger aus seinem Kapital Millionenbeträge bezieht, häufig ohne zu wissen, wo das Kapital eingesetzt ist und woher die Erträge daraus stammen.15

Die gängige Ökonomie unterscheidet hier nicht. Kapital ist Kapital, Eigentum ist Eigentum, Gerät ist Gerät, Werkzeug ist Werkzeug, unabhängig von der Höhe und der Herkunft ist alles gleich wichtig und schützenswert. Sämtliche Eigentumsrechte müssen unterschiedslos durchgesetzt werden. Auch unlimitiert hohe Vermögen sind kein Problem. Ob jemand 10.000 Euro, eine Milliarde oder 100 Milliarden Euro besitzt spielt keine Rolle, das ist alles völlig in Ordnung und gut. Diese undifferenzierte Pauschalierung ist ein gefährlicher Denkfehler mit unheilsamen und folgenschweren ökonomischen und sozialen Auswirkungen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Mephisto reibt sich die Hände: Der unlimitierten Gier und Vermögensanhäufung werden keinerlei Schranken gesetzt. Die Ökonomen predigen ständig „mehr ist besser“. Aussagen aus dem Neuen Testament wie „Sammelt keine irdischen Schätze“ oder „Verkaufe deine Güter und schenke den Erlös den Armen“, die Mephistopheles ein Gräuel sind, kommen im Denkgebäude der gängigen Ökonomielehre nicht vor.

4) Gewinnmaximierung von Unternehmen

Das Hauptziel von Unternehmen, das in der Betriebswirtschaftslehre unterrichtet wird, ist Gewinnmaximierung. Den Studierenden der Betriebswirtschaftslehre ist spätestens nach der Einführungswoche klar: „Gewinnmaximierung ist das höchste Ziel auf Erden.“16 Dass Unternehmen ihre Gewinne nicht nur maximieren können, sondern maximieren sollen, wird in praktisch allen Lehrbüchern der Ökonomie vorausgesetzt. Es wird also nicht nur zu Analysezwecken unterstellt, Unternehmen verhielten sich so, als ob sie ihre Gewinne maximierten, sondern dieses Ziel wird ausdrücklich propagiert. Das heißt, die Wirtschaftswissenschaften stehen hier nicht auf analytischem, beschreibendem oder erklärendem Boden, sondern auf ethischem. Es wird unterrichtet, was getan werden soll. Damit betritt man ethischen Boden.

Im meistverbreiteten, etwa 1,5 Millionen Mal verkauften deutschen BWL-Lehrbuch17, dem „Wöhe“, steht: „Für die traditionelle Betriebswirtschaftslehre ist das Prinzip langfristiger Gewinnmaximierung das oberste Formalziel, an dem betriebswirtschaftliche Entscheidungen ausgerichtet werden. (…) Das Gewinnstreben ist die Triebfeder unternehmerischen Handelns.“18 Dass das Gewinnstreben völlig legitim ist wird so begründet: „Im marktwirtschaftlichen Wettbewerb ist der Gewinn eine Vorzugsprämie für Vorzugsleistungen“.19 Hohe Gewinne machen ist also etwas ganz Vorzügliches.

Dabei gilt die Devise: Die Gewinnhöhe ist unbegrenzt, je höher die Gewinne, desto besser. Das Prinzip der Gewinnmaximierung zieht sich als Fundamentalwahrheit wie selbstverständlich als zentrale Grundannahme durch praktisch sämtlich Lehrbücher der Betriebswirtschaftslehre.20 Auch die Lehrbücher der Volkswirtschaftslehre gehen davon aus, dass Unternehmen ihre Gewinne maximieren sollen.21 Die Zunft der Ökonomen hat sich voll und ganz dem Glaubenssatz von Milton Friedman angeschlossen: „Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen ist es, die Gewinne zu erhöhen“.22

Martin Luther brachte bereits 1524 den Glaubenssatz der Gewinnmaximierung und ihre Auswirkungen gut auf den Punkt: „Erstlich haben die Kaufleut unter sich ein gemeine Regel, das ist ihr Hauptspruch und Grund aller Finanzen, dass sie sagen: Ich mag meine Waar so theur geben, als ich kann. Das halten sie fur ein Recht. Das ist dem Geiz Raum gemacht, und der Höllen Thur und Fenster alle aufgethan. Was ist das anders gesagt, denn so viel: Ich frage nichts nach meinem Nähisten (Nächsten), hätte ich nur meinen Gewinn und Geiz voll; was gehet michs an, dass es zehen Schaden meinem Nähisten thät auf einmal?“23

Welche fatalen, menschenverachtenden und gesellschaftsschädigenden Auswirkungen das Axiom der Gewinnmaximierung hat, wird weiter unten ausgeführt.24

5) Konsumenten sind rationale, durch Eigeninteresse gesteuerte Nutzenmaximierer (homo oeconomicus)

Die zentralen Grundannahmen der Wirtschaftswissenschaften für das Verhalten der Nachfrager lauten: „Konsumenten sind […] rational, […] konsumieren lieber mehr als weniger, […] streben nach Nutzenmaximierung, […] werden von Eigeninteressen gesteuert und berücksichtigen nicht den Nutzen anderer“.25

Diese Annahmen gehen stark auf die Weltanschauung des Utilitarismus zurück. Die Lehrbücher unterstellen dabei, dass die Bedürfnisse der Konsumenten unendlich groß, das heißt unbegrenzt und daher de facto unerfüllbar sind – siehe oben die Unersättlichkeitsannahme. Also auch hier findet sich die - meist implizite – nicht problematisierte Annahme, dass die unbegrenzte Anhäufung von Dingen gut und richtig und eine maximale Inanspruchnahme von Dienstleistungen der Normalfall ist. In der Volkswirtschaftslehre wird zwar im Rahmen der Haushaltstheorie abnehmender Grenznutzen angenommen, das heißt, dass mit zunehmender Menge eines bestimmten Gutes der Nutzen sinkt. Weil aber die Gesamtmenge der Güter und Dienstleistungen praktisch unbegrenzt und die Bedürfnisse der Konsumenten unendlich sind, lautet die Botschaft der Ökonomielehrbücher letztlich: Konsumenten sind unersättlich und wollen daher auch unbegrenztes Wirtschaftswachstum und unbegrenzte Anhäufung von Dingen. Und die Marktwirtschaft ist dazu da, diese grenzenlosen Bedürfnisse so gut wie möglich zu befriedigen.

Martin Luther schildert den Geist, der hinter dieser Denkweise steht treffend: „Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles genug, wenn er Geld und Gut hat, verlässt und brüstet sich darauf so steif und sicher, dass er auf niemand etwas gibt. Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heißt Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er all sein Herz setzt, welches auch der allergewöhnlichste Abgott ist auf Erden.“26

6) Konkurrenz statt Kooperation, gegeneinander statt miteinander

In den Lehrbüchern der Ökonomie wird grundsätzlich unterstellt, dass auf den Märkten Wettbewerb und Konkurrenz herrschen und dass das auch gut so ist. Implizit ruht das Weltbild auf der Idee des survival of the fittest, dass sich die Starken und Erfolgreichen durchsetzen und auch durchsetzen sollen. Das gilt nicht nur für die Gütermärkte, sondern auch für den Menschenmarkt: man spricht beispielsweise von der battle for talents, der Schlacht um talentierte Menschen als Arbeitskräften. Dass man eine Ökonomie auch auf Kooperation statt Konkurrenz, auf Miteinander und Rücksicht statt Gegeneinander und Wettbewerb aufbauen könnte, wird normalerweise nicht thematisiert. Das ist gar keine Frage, die sich Ökonomen stellt. Genossenschaften und Stiftungen werden selten erwähnt, eher als Kuriosität und große Ausnahme angesehen. Wenn Kooperationen besprochen werden, dann in Form von Kartellen oder Monopolen, die – zu Recht – als schlecht angesehen und verhindert werden müssen. Mephisto ist kein Freund von Kooperation und Frieden, er hat auch nichts gegen Krieg, Hauptsache man zieht aus allem seinen Vorteil. So heißt es im zweiten Teil des Faust: „FAUST: Schon wieder Krieg! der Kluge hört's nicht gern. MEPHISTOPHELES: Krieg oder Frieden. Klug ist das Bemühen, zu seinem Vorteil etwas auszuziehen.“

7) Die unsichtbare Hand des Marktes macht alles gut

„Der Teufel ist ein Egoist und tut nicht leicht um Gottes willen,

was einem andern nützlich ist“

(Faust, in: Faust, Teil 1, Studierzimmer)

Alle sechs aufgezählten Grundannahmen der Ökonomen kann man auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Egoismus. Unersättlichkeit, unbegrenzte Eigentumsanhäufung, unbegrenzte Zinsanhäufung, maximales Gewinnstreben, maximales Eigeninteresse, Gegeneinander statt Miteinander: sie alle dienen einem einzigen Oberziel: einem grenzenlosen Egoismus. Nun ist es – trotz aller gegenteiligen Anstrengungen der Ökonomen – einem großen Teil der Mitmenschen heute immer noch suspekt, einfach ungehemmt Egoismus gutzuheißen. Viele Menschen sträuben sich intuitiv gegen den Gedanken, Egoismus einfach gut zu finden. Daher benötigen die ökonomischen Theorien heute noch einen Trick, um die Menschen auf ihre Seite zu bekommen. Die große Lehre von der Legitimation des Egoismus lautet daher: die unsichtbare Hand des Marktes dreht allen Egoismus in Altruismus um, auch wenn die Leute das gar nicht wollen, nicht wissen und nicht beabsichtigen. Das Böse wird von unsichtbarer Hand ins Gute umgewandelt. Also ist das Böse durchaus nützlich. Das Böse wird legitimiert, also dürfen Ökonomen das Böse propagieren.

„Ich bin ein Teil von jener Macht, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ sagt Mephisto, um sich selbst zu charakterisieren (Faust Teil 1, Studierzimmer). Er behauptet von sich selbst also genau das Gleiche, was die Ökonomen sagen. Allerdings muss man sich über den Kontext im Klaren sein. Goethe legt dieses Wort Mephisto in den Mund, um ihn sich vor Faust gut darstellen zu lassen. Das heißt nicht, dass Mephisto an dieser Stelle die Wahrheit spricht. Im Gegenteil. Mephisto, der Lügengeist, lügt hier, um sich bei Faust einzuschmeicheln. Die Macht des Bösen schafft selbstverständlich nicht das Gute, sondern genau das Gegenteil, das zeigt Goethe ja auch eindrucksvoll im Faust.

Im führenden VWL-Lehrbuch von Mankiw und Taylor heißt es zur magischen Verwandlung des Bösen in Gutes: „Und dennoch, trotz dezentralisierter Entscheidungsfindung und durch Eigeninteressen geleiteter Entscheidungsträger haben sich Marktwirtschaften als bemerkenswert erfolgreich bei der Aufgabe erwiesen, Volkswirtschaften zu organisieren und zugleich die soziale Wohlfahrt zu fördern.“27 Mankiw/ Taylor zitieren dazu eine berühmte Stelle von Adam Smith (1776), die mantraartig von fast allen Ökonomie-Lehrbüchern dazu verwendet wird, das Predigen von Egoismus zu legitimieren: „Nicht vom Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse. […] Allerdings ist es in der Regel weder sein Streben, das allgemeine Wohl zu fördern, noch weiß er es auch, wie sehr er dieselbe befördert. (…) (Er) beabsichtigt (…) lediglich seinen eigenen Gewinn, und wird in diesem wie in vielen andern Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, dass er einen Zweck befördern muss, den er sich in keiner Weise vorgesetzt hatte.“28

Ich erinnere mich noch gut, wie erleichtert und froh ich war, als ich im Alter von 19 Jahren in Adam Smiths Wealth of Nations las, dass es nicht vom Altruismus des Metzgers, Bäckers oder Brauers abhängt, wenn wir unsere Lebensmittel von ihnen bekommen, sondern von deren Eigeninteresse.29 Ich dachte mir damals: Endlich jemand, der ehrlich ist, der die Menschen nicht dauernd verbessern will, sondern sie so nimmt, wie sie nun mal sind, mit allem Egoismus, der einfach da ist und zum Menschen dazugehört.

Man hätte nun aus dieser Beobachtung bzw. Erkenntnis von Adam Smith ableiten können: Im Menschen stecken gute und schlechte Seiten, Altruismus und Egoismus. Wirtschaft funktioniert offenbar angesichts der damals herrschenden strengen Moralvorstellungen, Gesetze und teilweise drakonischen Strafen trotz der Schattenseiten des Menschen, trotz seines Egoismus. Die menschlichen Schattenseiten werden anscheinend genügend in Schach gehalten durch die bestehenden Ethik- und Moralvorstellungen und die Gesetze.

Doch die moralische Einbettung wirtschaftlichen Handelns ließ man, beginnend mit Adam Smith, im Laufe der Zeit immer mehr unter den Tisch fallen, beispielsweise die Ethik eines ordentlichen Kaufmannes oder Handwerkers, der sich wie selbstverständlich an die Zunftregeln hält. Wie soll aber ein effizienter, freier Kauf beim Bäcker, Metzger und Brauer funktionieren, wenn beispielsweise alle Ganoven sind, sowohl die Verkäufer wie die Käufer? Wie soll eine freie, effiziente, extrem arbeitsteilige Ökonomie funktionieren, wenn überall Betrug, Erpressung, Drohung, Waffengewalt, Mord und Kriminalität herrschen? Das dark net und bitcoin werden kaum eine florierende, arbeitsteilige Ökonomie organisieren können.

Stattdessen wurde aber aus den Smithschen Ausführungen der Schluss abgeleitet, die Wirtschaft funktioniere wegen der Schattenseiten des Menschen, wegen seines Egoismus und nur wegen des Egoismus. Dieser Schluss ist in meinen Augen ein radikaler Fehlschluss. Die Aussagen von Adam Smith wurden im Laufe der Zeit durch die Ökonomen immer mehr dazu missbraucht, nun Egoismus einfach gutzuheißen und zu fördern, wie es in den heutigen Wirtschaftswissenschaften geschieht. Wir haben den Kardinalfehler begangen, ein Laster gutzuheißen. Wir begehen bis heute den gigantischen Trugschluss, das Wirtschaftssystem funktioniere wegen des Lasters statt trotz des Lasters Egoismus. Durch diesen logischen Purzelbaum wurde die moderne Ökonomie auf