Gekaufte Wissenschaft - Christian Kreiß - E-Book

Gekaufte Wissenschaft E-Book

Christian Kreiß

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Beschreibung

Wie frei ist unsere Wissenschaft? Seit Jahrzehnten nimmt die freie Forschung an unseren Universitäten und Fachhochschulen dramatisch ab. Nur mehr mit gut jedem zweiten Forschungseuro kann heute an deutschen Hochschulen frei und unabhängig geforscht werden, für die andere Hälfte gibt es genaue Vorgaben, worüber zu forschen ist und worüber nicht. Die Vorgaben kommen vor allem aus der Staatsbürokratie, die sehr eng mit Industrielobbyisten kooperiert, oder direkt aus der Industrie. Kurz: Ein immer größerer Teil unserer Hochschulforschung wird direkt oder indirekt durch Industrievorgaben gelenkt. Was ist daran problematisch? In Industriekonzernen geht es um Gewinnmaximierung, nicht um Wahrheitsfindung. Wenn Gewinn und Wahrheit in Konflikt kommen, dann zieht die Wahrheit normalerweise den Kürzeren, wie der Dieselskandal beeindruckend zeigt. Wollen wir, dass dieses Prinzip - Gewinn vor Wahrheit - immer stärker in unsere Hochschulen einzieht, wie es seit Jahrzehnten der Fall ist? Sollten wir diesen Trend nicht dringend stoppen? Denn die Folgen gekaufter Wissenschaft sind fatal. Nicht nur der Dieselskandal, sondern gekaufte Tabak- und Pharmaforschung, durch Konzerne manipulierte Lebensmittel- und Chemieforschung usw. usw. zeigen immer das gleiche Schema: Forschung wird zu Gunsten der Gewinne und zu Lasten unserer Gesundheit manipuliert. Immer häufiger werden scheinbar unabhängige Hochschulforscher vorgeschoben, die jedoch in Wahrheit von Industrievorgaben oder -geldern abhängig sind. In dem Buch Gekaufte Wissenschaft wird herausgearbeitet, in welchem Maße heute Forschung gelenkt wird. An Hand von fünf konkreten, aktuellen und ziemlich brisanten Fallbeispielen wird herausgearbeitet, wie die Methoden in der Praxis ablaufen. Am Schluss des Buches werden konkrete Abhilfen vorgeschlagen.

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Christian Kreiß

GekaufteWissenschaft

Wie uns manipulierte Hochschulforschung schadet und was wir dagegen tun können

© 2020 Christian Kreiß

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-13258-0

Hardcover:

978-3-347-13259-7

e-Book:

978-3-347-13260-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil I: Analyse und Hintergründe

1. Wie wirken sich Industriegelder und Industrieeinfluss auf Bildung aus?

a. Von Big Tobacco gekaufte Wissenschaft führt zu Millionen von Zusatztoten

b. Die „General Motors Streetcar Conspiracy“ (Die Straßenbahnverschwörung von General Motors)

2. Das Grundschema oder die Sechs-Schritte-Strategie ins Verderben

a. Erstens: Auswahl besonders vielversprechender, industrienaher (Nachwuchs-) Wissenschaftler

b. Zweitens: Fördern der besonders industrienahen Forscher

c. Drittens: Maximale Intransparenz herstellen und Geheimhalten der Verbindungen zur Industrie

d. Viertens: Gewünschte Ergebnisse sicherstellen

e. Fünftens: Confounder einführen und Fehlfährten legen

f. Verzögern politischer Gegenmaßnahmen, Paralyse durch Analyse

3. Hintergrund

a. Der March for Science im April 2017

b. Aus „im Namen Gottes“ wurde „im Namen der Wissenschaft“

4. Sind Industriegelder für die Bildung immer schlecht? Von echten und interessegeleiteten Mäzenen

a. Echtes Unternehmertum und Rentenkapitalismus

b. Drittmittel sind nicht gleich Drittmittel

c. Beispiele für echtes Mäzenatentum durch Unternehmer

i. Ernst Abbe und die Carl-Zeiss-Stiftung

ii. Emil Molt und die Waldorfschulen

d. Zweifelhafte Geldgeber

i. John Pierpont Morgan und die Weltwirtschaftskrise von 1907

ii. Alfred Pritchard jr. (1875-1966) als Philanthrop

e. Drittmittelkategorien

i. Erstens: Echte Philanthropie, Schenkungen an Hochschulen aus Liebe zur Wissenschaft, als echter „Menschenfreund“

1. Unternehmer

2. Stiftungen

ii. Zweitens: Interessengeleitetes, zweckgerichtetes Geldgeben an Hochschulen

1. Börsennotierte (Groß-)Unternehmen

2. Konzernnahe Stiftungen und Lobbyverbände

iii. Mischformen

5. Die Forschungslandschaft in Deutschland

a. Hochschulfinanzierung

i. Entwicklung der Forschungsfinanzierung an deutschen Hochschulen, Drittmittelquote

ii. Hintergründe

iii. Ein Gespräch mit Anton Hofreiter

iv. Woher kommen die Drittmittel?

1. Drittmittel aus der gewerblichen Wirtschaft

2. Drittmittel der öffentlichen Hand

v. Folgen der starken Drittmittelzunahme

vi. Stiftungsprofessuren

1. Entwicklung in den letzten 20 Jahren

2. Der Schwindel von dem niedrigen Anteil

3. Warum Stiftungsprofessuren nicht gut sind

vii. Einflussnahme der Industrie auf Forschungsfragen an (Fach-) Hochschulen durch Abschlussarbeiten

viii. Einflussnahme der Industrie auf Forschungsfragen an Universitäten durch Vergabe von Promotionsthemen (und post-docs)

ix. Einflussnahme der Industrie auf unseren Hochschulnachwuchs durch das Deutschlandstipendium

x. Einflussnahme der Industrie auf unseren Hochschulnachwuchs durch das duale Studium

xi. Wo bleibt die Interessenvertretung der freien Wissenschaft?

xii. Zwischenergebnis zur Hochschulfinanzierung

b. Finanzierung des „öffentlichen Bereichs und privater Institutionen ohne Erwerbszweck“

c. Ergebnis der Finanzrechnung: Wie viel freie, unabhängige Forschung gibt es in unserem Land noch?

d. Fazit zur Forschungslandschaft Deutschland

Teil II: Fallbeispiele

6. TU München – Facebook 2019

a. Die Rolle des Gründungsdirektors

b. Das Weltbild des Gründungsdirektors Christoph Lütge

c. Wie Institutsdirektor Christoph Lütge den Deal sieht

d. Personalauswahl und Stellenbesetzung

e. Was steckt dahinter?

f. Die Verträge werden geleakt:

i. Jederzeitiger Mittelstopp seitens Facebook möglich ii. Die Personalie Christoph Lütge als Gründungsdirektor des Instituts ist Vorgabe von Facebook

ii. Wie die Politik reagierte

g. Exkurs: Anmerkungen zu zwei weiteren Verträgen zwischen Facebook und TU München, die geleakt wurden

h. Reaktionen aus der TU München

j. Arme, missbrauchte Wissenschaft

k. Lehren aus dem von Facebook finanzierten TUM-Ethikinstitut

l. Konsequenzen aus der Kooperation Facebook – Ethikinstitut TU München

m. Zusammenfassung

7. Cyber Valley

a. Was ist Cyber Valley?

b. Wer finanziert Cyber Valley?

c. Wer entscheidet bei Cyber Valley? Teil 1: Der Vorstand

d. Wer entscheidet bei Cyber Valley? Teil 2: Die Vollversammlung

e. Wer entscheidet bei Cyber Valley? Teil 3: Der öffentliche Beirat (Das Cyber Valley Public Advisory Board)

f. Wer entscheidet bei Cyber Valley? Teil 4: Welche Rolle spielt das Cyber Valley Research Fund Board (RFB)?

g. Wer entscheidet bei Cyber Valley? Teil 5: Welche Rolle spielen die Automobilkonzerne?

h. Die Rolle von Amazon bei Cyber Valley

i. Besonders wichtige Personen bei Cyber Valley

ii. Der Amazon-Forschungspreis über 420.000 Euro jährlich

i. Stiftungsprofessuren j. Mangelnde Transparenz

k. Findet bei Cyber Valley freie, von Konzernen unabhängige, ausgewogene Forschung statt?

l. Reaktionen auf meine Kritik an Cyber Valley

i. Die Replik von Cyber Valley

ii. Der Leserbrief von Ingmar Hoerr

iii. Auseinandersetzung mit Boris Palmer

m. Zusammenfassung und Fazit zu Cyber Valley

i. Einseitig konzernfreundliche Ausrichtung

ii. Zu großer Einfluss von Amazon

iii. Perfekte Nichttransparenz

n. Cyber Valley und die Sechs-Schritte-Strategie ins Verderben

i. Auswahl der Wissenschaftler

ii. Fördern der besonders industrienahen Forscher

iii. Maximale Intransparenz herstellen

iv. Gewünschte Ergebnisse sicherstellen

v. Confounder einführen und Fehlfährten legen

vi. Verzögern politischer Maßnahmen, Paralyse durch Analyse

o. Kein Zweifel an der Integrität der beteiligten Cyber Valley-Forscher

8. Der Dieselskandal

a. Ein Musterbeispiel für korrupte Wissenschaft

b. Der Betrug kommt ans Tageslicht

c. Das traurige Ausmaß des Betruges: Millionen von Kranke und Zigtausende von Toten – aber die Gewinne stimmen

d. Bauernopfer statt Haftbarmachen der eigentlich Verantwortlichen

e. Durch Autokonzerne systematisch korrumpierte Wissenschaft: Die EUGT

f. Die Person Helmut Greim

g. Tätigkeiten der EUGT

h. Der Filz zwischen Politik und Universitätswissenschaftlern: Das Gefälligkeitsgutachten von Februar 2018 für das Verkehrsministerium

i. Die Person Thomas Koch

j. Mein Email-Wechsel mit Thomas Koch

k. Die Diesel-Affäre und das Sechs-Schritte-Schema ins Verderben

i. Auswahl besonders vielversprechender, industrienaher (Nachwuchs-) Wissenschaftler

ii. Fördern der besonders industrienahen Forscher

iii. Maximale Intransparenz herstellen und/oder Geheimhalten der Verbindungen zur Industrie

iv. Gewünschte Ergebnisse sicherstellen

v. Confounder einführen und Fehlfährten legen

vi. Verzögern politischer Gegenmaßnahmen, Paralyse durch Analyse

l. Individuell unbescholtene Wissenschaftler und Forscher

9. 20 BWL-Stiftungsprofessuren für die TU München – Lidl schreibt Hochschulgeschichte

a. Stiftung als Steuersparmodell

b. Wer bestimmt die Inhalte?

c. Personalauswahl muss passen

d. Selbstverwaltung versus Sponsoring

10. Die verfassungswidrige Kooperation zwischen Universität Mainz und der Boehringer Ingelheim Stiftung

a. Der Auslöser: eine Masterarbeit

b. Hintergrund

c. Prozesse und Rechtsgutachten

d. Ein neuer, sauberer Vertrag

e. Neues Landestransparenzgesetz (LTranspG) Rheinland-Pfalz verschlechtert die Transparenzstandards im Bereich Wissenschaft und Forschung gravierend

f. Der Wettlauf um die schlechtesten Transparenzstandards

g. Mein Prozess gegen Uni Mainz vor dem Verwaltungsgericht Mainz

h. Die Rolle von Andreas Barner

i. Die zwielichtige Rolle des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft

11. Interessenkonflikte in der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch Institut (RKI) Berlin

a. Die Impfempfehlungen der STIKO

b. Das öffentliche Fachgespräch im Deutschen Bundestag zum Thema Wissenschaftliche Verantwortung am 4.11.2015

c. Zwischenbetrachtung: Gewinnmaximierende Pharmaunternehmen und Gesundheit

d. Ein Insider packt aus

12. Ein letztes Fallbeispiel mit freundlicher Genehmigung von Foodwatch (eine klasse Organisation!): Der Nutri-Score von Ministerin Julia Klöckner (CDU), unserer Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin

Teil III Erkenntnisse, Schlussfolgerungen und Abhilfen

13. Der Schlüssel zum Verständnis: Die sechs Schritte ins Verderben

14. Wiederholung: Das Sechs-Punkte-Schema in Aktion

a. Das von Facebook finanzierte Ethikinstitut für Künstliche Intelligenz an der TU München (Facebook und das TUM Institute for Ethics in AI)

b. Cyber Valley und das Sechs-Punkte-Schema

c. Der Dieselskandal

15. Freie Bahn dem Industriesponsoring an unseren Hochschulen! Ein Denkfehler

16. Transparenz

17. Das Märchen vom Rufschaden

18. Abhilfen

a. Das Ziel: Was wir wirklich bräuchten

b. Richtige Finanzierung

i. Staatliche Grund- statt Drittmittelfinanzierung

ii. Finanzierung durch ein Voucher-System

c. Transparenz: Alle Kooperationsverträge zwischen Hochschulen und Dritten ins Internet

d. Gremien

i. Hochschulräte plural besetzen statt einseitig industrielastig

ii. Entscheidungsgremien in der Ministerialbürokratie

iii. Zulassungs- und Genehmigungsbehörden

vi. Supranationale Organisationen

v. Fazit zum Thema nationale und internationale Gremien

e. Keine kommerzielle Werbung an Hochschulen und Schulen

19. Zusammenfassung und Schluss

20. Glossar: Wann sollten bei uns die Alarmglocken angehen?

21. Literaturverzeichnis

a. Bücher und längere Abhandlungen/Monographien

b. Zeitungen, Zeitschriften und Internetquellen

Vorwort

Seit das Buch „Gekaufte Forschung“ im Mai 2015 erschienen ist, hat sich eine ganze Menge auf dem Gebiet gekaufter Wissenschaft ereignet, ja die Ereignisse haben sich geradezu überschlagen. Stichworte dazu sind der Dieselskandal und Glyphosat, die bis dahin größte deutsche Kooperation zwischen der Uni Mainz und der Boehringer Ingelheim Stiftung, die ans Tageslicht gezerrt wurde und bei der herauskam, dass sie verfassungswidrig war, 20 geschenkte Lidl-BWL-Professuren an die TU München oder das für 7,5 Millionen Dollar von Facebook gekaufte Ethikinstitut an der TU München, die sich dadurch zum Marketing-Arm von Facebook erniedrigt. Auch bei Corona wurde viel mit industrieseitig beeinflussten Zahlen gearbeitet. Aber es gab noch einige weitere Fälle.

Kurz: Der Trend in Richtung gekaufte Forschung hat sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Es geht bei dieser Frage nicht um eine Diskussion im „Elfenbeinturm Universität“. Ganz im Gegenteil: Denn die Folgen von unseriöser Wissenschaft verspüren wir alle auf Schritt und Tritt im täglichen Leben: Glyphosat findet sich in der Muttermilch fast aller stillender Mütter und kann in fast sämtlichen Einwohnern Europas nachgewiesen werden. Die Verharmlosung von Dieselabgasen führt zu Zigtausenden lungenkranken Kindern, tausenden zusätzlichen Toten. Gekaufte Pharmaforschung bewirkt falsche Verschreibungen von Medikamenten. Manipulierte Lebensmittel-Studien fördern unsere Fehlernährung, führen beispielsweise zu übermäßigem Verbrauch von Zucker und anderen ungesunden Lebensmitteln. Das industrieseitig beeinflusste Herunterspielen von Ethikrisiken und dadurch bewirkte Verhindern oder Verzögern von gesetzlichen Maßnahmen im Medienbereich führt zu umso stärkeren Missbrauchsmöglichkeiten durch Facebook & Co. Und so weiter. Die Liste ist lang.

Was ich damit sagen will: Gekaufte Wissenschaft, Einflussnahme von Industriegeldern auf unsere öffentlich-rechtlichen Hochschulen schädigt uns alle tagtäglich. Es ist ein Thema, das uns alle angeht, bei weitem nicht nur die Wissenschaftler und Forscher. Deshalb richtet sich dieses Buch in erster Linie an interessierte Laien, an uns alle. Sein Zweck ist: Diese tagtäglichen Missbräuche der Wissenschaft zu Gunsten der Konzerngewinne und zu Lasten unserer Gesundheit zu stoppen. Dazu müssen wir die Methoden, Vorgehensweise, Wege und Ziele der Manipulatoren kennen. Das soll anhand einer Reihe von leicht verständlichen Fallbeispielen geschehen. Nach dem Motto „Problem erkannt, Problem gebannt“ soll dieses Buch dazu beitragen, durch Aufdecken der Vorgehensweise und der schädlichen Auswirkungen auf uns alle dieser Fehlentwicklung entgegenzuwirken. Ungehemmte Drittmittelzunahme an unseren Hochschulen, wie wir sie seit Jahrzehnten erleben, ist ein Irrweg. Wissenschaft muss frei und unabhängig sein.

Deshalb kam es zu der Entscheidung, dieses Thema in Form eines Nachfolge-Buches erneut aufzugreifen. In einigen der geschilderten Fälle war ich persönlich einbezogen, deshalb ist auch die Schilderung streckenweise eine persönliche. Die Fallbeispiele beschränken sich auf Deutschland.

Dieses Buch ist ein Plädoyer für wirklich freie, unabhängige Wissenschaft, die sich an den echten Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht an den Geldinteressen einiger Weniger. Gewinnmaximierung und Wahrheit passen nicht zusammen. Es geht nur eines von beiden. Bei Wissenschaft geht es um Wahrheitsfindung. Wenn es bei gewinnmaximierenden Unternehmen einen Interessenkonflikt zwischen Wahrheit und Gewinn gibt, zieht die Wahrheit normalerweise den Kürzeren, wie der Dieselskandal und zahllose weitere Beispiele anschaulich zeigen. In der Wissenschaft hat Gewinnmaximierung nichts zu suchen, denn sie zerstört die unabhängige, freie Wahrheitssuche, indem sie Fragestellung, Methoden und Ergebnisse manipuliert.

Die Lösung des Problems wäre ungeheuer einfach. Zum einen: keine Industriegelder, bei denen es Interessenkonflikte zwischen Gewinn und Wahrheit gibt, an öffentliche Hochschulen. Zum anderen: statt staatliche Drittmittelfinanzierung der Hochschulen staatliche Grundfinanzierung. Das Geld ist ja da. Es wird aber durch politischen Dünkel und massiven Lobbyeinfluss meistens interessengeleitet verwendet. Die Politiker und Bürokraten glauben, besser zu wissen, worüber in unserem Land geforscht werden soll als die etwa 250.000 Forscher im Hochschul- und öffentlichen Bereich. Gebt uns Forschern die Mittel zur freien Themenwahl, statt über bürokratische, lobbybeeinflusste inhaltliche Vorgaben der Fragestellungen uns zu beeinflussen! Auftragsforschung und Antragschreiben ist der Tod aller freien Forschung.

Für mein Buch Gekaufte Forschung von 2015 bekam ich 20.000 Euro Drittmittel. Ich durfte damals den Geber nicht nennen. Heute darf ich es. Es war die Stiftung Hübner und Kennedy gGmbH, Agathofstr. 15, D-34123 Kassel. Ich war befreundet mit Margrit Kennedy, geborene Hübner, die die Stiftung mitbegründet hat. Margrit war eine großartige Frau, die leider viel zu früh gestorben ist. Sie hat sich jahrzehntelang als Vordenkerin für eine menschliche Geldordnung eingesetzt.

Teil I: Analyse und Hintergründe

Wie wirken sich Industriegelder und Industrieeinfluss auf Bildung aus?

Heute arbeiten hunderttausende Forscher hingebungsvoll in der Industrie, um unser Leben zu verbessern und menschlicher zu machen. Industrieforschung hat uns großartige Errungenschaften gebracht. Wir rackern uns nicht mehr hinter dem Ochsenpflug ab, schuften nicht mehr an Handwebstühlen und stehen nicht mehr 12 oder 14 Stunden pro Tag am Fließband. Wir haben elektrisches Licht, Zentralheizung, moderne Medizin, Wassertoiletten usw. usw. Die Liste der Segnungen, die uns die moderne Technik gebracht hat, ist schier endlos.

Warum also ein solch kritischer Blick auf Industriegelder, die in unser Bildungssystem fließen, oder gar Kritik an der Industrieforschung selbst?

Die Antwort ist einfach. Alle Dinge haben zwei Seiten. Man kann ein gesundes Gleichgewicht verletzen und dadurch mehr Schaden als Nutzen herbeiführen. Die Dosis macht das Gift. Das Gleichgewicht ist heute empfindlich gestört, die zu große Einseitigkeit schadet uns stark.

Von Big Tobacco gekaufte Wissenschaft führt zu Millionen von Zusatztoten

Ein Blick in die Tabakindustrie, deren Wissenschaftsskandale wirtschaftshistorisch gut aufgearbeitet sind, zeigt, wie sich Industrieforschung selbst pervertieren kann und wie Übergriffe der Tabakindustrie in das Bildungssystem Hunderttausende von Toten hervorrufen. Die Geschichte der Tabakindustrie zeigt beeindruckend, dass die Maxime „Gewinn geht vor Wahrheit“ den Kerngedanken von Wissenschaft, die Wahrheitsfindung, nicht nur missbraucht, sondern geradezu zerstört und damit in enormem Ausmaß gesellschaftliche Schäden, Krankheit und Tod herbeiführt.1

Jahrzehntelang haben heimlich von der Tabakindustrie finanzierte Wissenschaftler an staatlichen Hochschulen systematisch Manipulationen wissenschaftlicher Ergebnisse vorgenommen. Die Ergebnisse wurden jedoch im Namen unabhängiger Wissenschaftler an unabhängigen staatlichen Hochschulen verkündet, um die Glaubwürdigkeit der Studien sicherzustellen. Dadurch konnte der Anschein erweckt werden, dass Rauchen und Passivrauchen kaum gesundheitsschädlich seien. In der öffentlichen Meinung und bei Politikern wurde so der Eindruck erweckt, dass kein dringender politischer Handlungsbedarf zum Schutz von Rauchern und Nicht- bzw. Passivrauchern bestehe. Die Verzögerungstaktik funktionierte. Jahrzehntelang konnten Rauchverbote, -einschränkungen und -verteuerungen verhindert werden. Das hatte enorme Gesundheitsschäden für dutzende Millionen von Rauchern und hunderte Millionen von Nicht- bzw. Passivrauchern zur Folge.

Kurz: Einseitig (gewinn-)interessengeleitete Industrieforschung, die keinen „Checks and Balances“ unterworfen wird, der keine ausgleichenden Gegenkräfte gegenüberstehen, kann sich leicht zum Schaden von uns allen entwickeln. Und wir sind schon längt in einer Forschungssituation, wo politisch und ökonomisch kein Gleichgewicht der Kräfte mehr vorliegt, sondern extreme Einseitigkeit herrscht, die noch dazu ständig zunimmt. Daher ist das Plädoyer dieses Buches nicht, Industrieforschung zu verteufeln. Im Gegenteil. Industrieforschung, richtig gehandhabt und in die richtigen gesellschaftlichen Bahnen gebracht, ist essentiell wichtig für unseren Wohlstand und für unsere Freiheit.

Die „General Motors Streetcar Conspiracy“ (Die Straßenbahnverschwörung von General Motors)

Es gibt ein beeindruckendes wirtschaftsgeschichtliches Beispiel, das sehr gut zeigt, was passiert, wenn Industrieinteressen sich einseitig durchsetzen, ohne Checks and Balances, ohne ein gesellschaftliches Gegengewicht: die so genannte „General Motors Streetcar Conspiracy“, die Straßenbahn-Verschwörung von etwa 1927 bis 1950.2 Unter der Führung von Alfred P. Sloan, dem Chef von General Motors, taten sich mehrere Konzerne, die alle Interesse am Verkauf von Autos hatten, zusammen. Sie kauften systematisch Straßenbahnen auf und – legten sie still. So wurden in 45 US-Großstädten etwa 100 elektrisch betriebene Straßenbahnsysteme stillgelegt. Noch 1920 wurden in den USA 90 Prozent aller Wege mit Schienenverkehrsmitteln zurückgelegt. Es gab 70.000 Gleiskilometer, auf denen von etwa 1200 meist privaten Bahnsystemen pro Jahr mehr als 15 Milliarden Passagiere transportiert wurden. Beispielsweise hatte Los Angeles in den 1920er Jahren mit rund 2000 Kilometern das größte Straßenbahnnetz der Welt. Heute nicht mehr. Das autofreundliche Kartell hat maßgeblich die Weichen zu Gunsten des Autoverkehrs und gegen den öffentlichen Verkehr gestellt – und damit die Konzerngewinne nachhaltig erhöht.

Die schädlichen Umweltwirkungen dieser konzerngelenkten Verkehrspolitik sind bis heute ungeheuer, die CO2-Bilanz ein Desaster. Mit Blick auf die heutigen Autoströme in den USA dürfte es einer der größten Umweltskandale der Menschheitsgeschichte und Alfred Pritchard Sloan (23. Mai 1875 - 27. Februar 1966) einer der größten Umweltverbrecher der Menschheitsgeschichte sein. Am Rande sei erwähnt, dass er auch als Erfinder oder maßgeblicher Treiber von geplanter Obsoleszenz gilt, die für Mensch und Umwelt ebenfalls verheerende Folgen hat.3

Das Ganze hat deshalb so atemberaubend gut funktioniert, weil die Regierungen bzw. überhaupt die Öffentlichkeit taten- und machtlos zugeschaut haben. Nicht einmal hinterher gab es nennenswerte Strafen oder Sanktionen. Das juristische und politische Signal war daher letztlich: Macht nur, Konzerne, holt raus, was geht, bereichert euch zu Lasten der Allgemeinheit! (Die Tabakindustrie hat das Signal gut verstanden). Die öffentliche Hand und die öffentliche Meinung haben tief und fest geschlafen. Es gab kein Gegengewicht, keine Checks and Balances whatsoever. Wir lernen daraus, dass das Interesse von gewinnmaximierenden Großkonzernen den Interessen der Allgemeinheit, der Umwelt und der Menschlichkeit diametral widersprechen kann und sollten daher grundsätzlich aufpassen und prüfen, ob und in welchem Ausmaß wir Einfluss der Großkonzerne auf gesellschaftliche und politische Entscheidungen haben wollen. Wir sollten nicht schlafen, was diese Entwicklungen betrifft. Das Aufwachen könnte dann sehr schmerzvoll und teuer werden. Dieses Buch soll aufwecken. Und sensibilisieren.

 

1 Vgl. Kreiß 2015, Gekaufte Forschung, S.22ff.

2 Vgl. zum Folgenden „Die Welt“ vom 16.12.2015 https://www.welt.de/geschichte/article150014809/Gegen-diesen-Skandal-ist-VWs-Dieselgate-ein-Klacks.html vgl. auch wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/General_Motors_streetcar_conspiracy

3 Vgl. Kreiß 2014, Geplanter Verschleiß und https://en.wikipedia.org/wiki/Alfred_P._Sloan Stand 19.5.2020

Das Grundschema oder die Sechs-Schritte-Strategie ins Verderben

Die Tabakindustrie lieferte die Blaupause, wie man am besten vorgeht, um Wissenschaft systematisch zu kaufen und zu missbrauchen. Es sind sechs gut dokumentierte Schritte, um besonders erfolgreich zu sein:

1. Auswahl besonders vielversprechender, industrienaher (Nachwuchs-) Wissenschaftler: Suche Dir industrienahe Wissenschaftler, die die Weltanschauung der Konzerne teilen. Die gibt es immer. Bei Wissenschaftlern sind oft Ruf, Ansehen und Ehrgeiz oder Eitelkeit viel wichtiger als Geld und Macht. Wissenschaftler sind daher oft nicht besonders teuer.

2. Fördern der besonders industrienahen Forscher: Erhöhe die Bedeutung der handverlesenen Wissenschaftler durch großzügige Finanzierung ihrer Institute, fördere Kongressbesuche und unterstütze ihre Publikationen. Fördere ihre wissenschaftliche Reputation, so dass sie Meinungsführer werden.

3. Maximale Intransparenz herstellen und/oder Geheimhalten derVerbindungen zur Industrie: Möglichst wenig Worte über die Verbindungen dieser Wissenschaftler zur Industrie verlieren, um nicht ihre Glaubwürdigkeit zu schwächen. In der Regel ist aber selbst dann, wenn es herauskommt, der Imageschaden minimal. Zu jedem Argument findet sich ein Gegenargument.

4. Gewünschte Ergebnisse sicherstellen: Über Manipulation und Datenmassage in Form von geeigneter Datenauswahl geht fast alles. Ergebnisse nur dann fälschen, wenn es gar nicht anders geht. Der Imageschaden bei offenen Fälschungen ist normalerweise minimal. Kunden und die Öffentlichkeit haben ein kurzes Gedächtnis. Keine Sorge vor PR-Schaden.

5. Confounder einführen und Fehlfährten legen: Versuche mit möglichst vielen Studien vom springenden Punkt abzulenken und die Diskussion auf Nebenaspekte hinzuführen. Man nennt das „Confounder“ bzw. Verwirrfaktoren einführen. Funktioniert praktisch immer.

6. Verzögern politischer Gegenmaßnahmen. Paralyse durch Analyse: Sorge für Gegenstudien, die Konfusion erzeugen und sage, die Wissenschaft ist sich noch nicht einig, es ist alles noch in der Diskussion und wir brauchen noch viel zusätzliche Forschung, bevor politische Entscheidungen über rechtliche Rahmenbedingungen getroffen werden können. Spiele auf Zeit. Man nennt das Verzögerungstaktik oder Paralyse durch Analyse.

Diese Sechs-Schritte-Strategie funktioniert erstaunlich gut. Fast alle Industriebranchen haben die Strategie schon vielfach angewandt. Sie funktioniert eigentlich immer. Ein Blick in die Industriebranchen heute zeigt: Die Strategie wird ganz oder teilweise praktisch überall und ständig angewandt: Big Food, Big Soda, Zuckerindustrie, Banken, Versicherungen, Pharmaindustrie, Chemieindustrie, Öl, Energie, Flugindustrie, Dieselskandal, Gesundheit, Kosmetik, Alkohol, Internet, Facebook, Amazon usw. usw. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass das Schema praktisch flächendeckend angewandt wird. Hat man es einmal begriffen, ist es sehr leicht zu durchschauen. Man hat dann sehr häufig Aha-Erlebnisse.

Hintergrund

Ob Corona, Feinstaub-Grenzwerte, Diesel-Kat-Nachrüstung, Glyphosat, Zucker, Cholesterin, Kaffee, Medikamente, Impfungen, Weichmacher, Klimaerwärmung, Medienkonsum von Kindern: Über fast alle Lebensbereiche des Alltags werden mittlerweile teils erbitterte Meinungsschlachten geführt. Und praktisch immer wird die Wissenschaft als Kronzeuge ins Feld geführt. Gerade heute, in Zeiten von fake news, wäre daher eine objektive Wissenschaft wichtiger denn je. Was steckt hinter diesen Entwicklungen?

Der March for Science im April 2017

Am 22. April 2017 ereignete sich etwas sehr Ungewöhnliches: Mehr als eine Million Menschen, unter ihnen viele Wissenschaftler, gingen in über 450 Orten weltweit für die Freiheit der Wissenschaft demonstrieren. Das hatte es davor noch nie gegeben. Sie protestierten gegen entstellte, von der Politik missbrauchte Wissenschaft. Sie forderten stattdessen eine Wissenschaft, die auf Erkenntnissen beruht und dadurch der Öffentlichkeit dient. Die Protestierenden trugen Transparente mit sich mit Slogans wie: “Wissenschaft dient der Allgemeinheit“ oder “Die Wahrheit erforschen rettet die Welt“.

Was war geschehen? Wie kam es, dass so viele Wissenschaftler unzufrieden waren? Der Stanford-Professor Robert Proctor fasste es in folgende Worte: „Es gibt eine breite Wahrnehmung unter den Wissenschaftlern von Angriffen auf die Idee der Wahrheit, die der Wissenschaft heilig ist“.4

Der Marsch der Forscher zielte auf den Missbrauch der Wissenschaft durch die Politik. Ausgelöst wurde er vor allem durch Donald Trump. Der Protest war nur zu berechtigt. Die Geschichte zeigt, wie Diktatoren und Autokraten die Freiheit der Forschung ihren zerstörerischen Zielen opfern. Aber auch heute ist diese Verletzung der Wissenschaftsfreiheit durch Politiker weitverbreitet und vor allem: Sie nimmt rasant zu.

Die Freiheit der Wissenschaft wird aber nicht nur durch Übergriffe von Politikern, sondern auch von Absatz- und Finanzinteressen bedroht. Und das ist Gegenstand des vorliegenden Buches. In den öffentlichen Medien-Diskussionen entscheiden immer häufiger die wissenschaftlichen Ergebnisse, die ins Feld geführt werden. Und so tobt ein immer stärker werdender Kampf um Wissenschaft und Glaubwürdigkeit.

Aus „Im Namen Gottes“ wurde „Im Namen der Wissenschaft“

Hintergrund für diesen Kampf ist eine dramatische geistige Wende in den letzten vielleicht 120 Jahren. Im 19. Jahrhundert war der Einfluss von Religion, Normen und Tradition unvergleichlich viel größer auf Gesetzgebung, Wirtschaft und das Alltagsleben als heute. Im dem Maße, in dem der Einfluss der traditionellen Werte und der Kirchen unter der Wucht des heraufziehenden materialistisch-naturwissenschaftlichen Weltbildes zerschlagen wurde, in dem Maße wuchs die Bedeutung der Wissenschaft. Sie blieb zuletzt weitgehend das letzte Fundament, auf das sich die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen über Weltanschauungs-, politische oder religiöse Differenzen hinweg noch verständigen konnten. Viele Gesetze, Regelungen oder Richtlinien brauchen heute zwingend eine Begründung durch die Wissenschaft. Wir sehen eine bahnbrechende, säkulare Wende. Aus: “Im Namen Gottes“ wurde: “Im Namen der Wissenschaft“. In den letzten vier bis sechs Generationen stieg die Bedeutung der Wissenschaft in einem Ausmaß, das vorher in westlichen Gesellschaften undenkbar war.

Aber gerade der phänomenale Siegeszug des materialistisch-naturwissenschaftlichen Denkens birgt die größte Gefahr gerade für die Wissenschaft selbst. Denn rein als Methode kann sie auf alles und jedes angewandt werden. Als Methode ist sie nur ein Instrument und kann als solches instrumentalisiert werden für beliebige Zwecke. Diktatoren und Autokraten können dieses Denken zum Bau von Brücken und Panzern benutzen. Konzerne können sie für ihre Zwecke missbrauchen. Und so birgt gerade der Epoche machende Siegeszug dieser Denkungsart die größten Gefahren für ihren Missbrauch.

So musste dieser umwälzende Jahrhunderttrend in einen Kampf um die Inhalte führen. Und so wurde schließlich mit etwas Verzögerung der Machtkampf in das Herz der Wissenschaft getragen, in die Universitäten selbst.

Für gewinnorientierte Großunternehmen bedeutet das, in die Meinungsbildungskette, in den Geist so früh wie möglich einzugreifen, beispielsweise durch gesponserte Materialien für Schulen oder die gezielte Förderung bestimmter Wissenschaftler an bedeutenden Universitäten. Das ist sozusagen deep marketing. Einflussnahme auf die Wissenschaft wird systematisch in die Marketing-Strategie der Konzerne einbezogen.

Diesem unheilvollen Trend kann man nur Einhalt gebieten, indem man die Zentren freier Wissenschaft so stark schützt wie möglich, sie so unabhängig und frei wie irgend möglich von allen externen Übergriffen – sowohl durch Politiker wie durch Konzerne - macht. Wir brauchen freie und unabhängige Hochschulen. Um dem Problem wirksam entgegenwirken zu können, müssen wir es aber erst erkennen bzw. diagnostizieren. Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten, indem die Wege aufgezeigt werden, wie Wissenschaft zunehmend durch Konzerne missbraucht wird. Erst wenn wir die Wege und Methoden kennen, können wir ihnen wirksam etwas entgegenstellen.

 

4 Washington Post April 22, 2017

Sind Industriegelder für die Bildung immer schlecht? Von echten und interessegeleiteten Mäzenen

Echtes Unternehmertum und Rentenkapitalismus

Selbstverständlich gab und gibt es wundervolle, selbstlose Mäzene, die Bildung und Kunst einfach als Herzensanliegen fördern wollen. Unternehmer sind keine Bösen. Ich bin großer Anhänger von Entrepreneurship-Kapitalismus und finde Unternehmer, die die Welt voranbringen, große klasse. Ich halte jedoch Rentenkapitalismus, bei dem es fast nur mehr um rent-seeking geht, nicht mehr um Unternehmertum, nicht nur für falsch, sondern sogar für schädlich.5 Bei Rentenkapitalismus oder assets under management, bei fremdverwalteten Vermögen und den allermeisten Börsen- und Futuresgeschäften geht es meist nur mehr um Jagd nach Rendite. Der Anleger bei Kapitalsammelstellen weiß normalerweise gar nicht mehr, wo sein Geld investiert ist, sondern hält nur mehr die Hand, bzw. das Girokonto auf, egal, wo die Rendite herkommt. Der Geldgeber verbindet sich dabei nicht mehr mit dem Unternehmen, kennt nicht die Mitarbeiter, die Produkte, die Lieferanten, die Kunden usw. Das halte ich für schlecht und das wird, wenn es nicht eingedämmt wird, unsere Wirtschaft in eine schlimme Krise treiben.6

Den allermeisten echten Unternehmern geht es nicht um maximale Gewinne, sondern um die Sache. Bei börsennotierten Großkonzernen geht es aber nur mehr um maximale Rendite. Das ist ein großer Unterschied.7 Daher kann man davon ausgehen, dass Konzerngelder, die als „Spende“, „Schenkung“ oder als „Zuwendung“ aus dem Unternehmen fließen, niemals selbstlos sind, sondern immer einen Zweck verfolgen, nämlich Rendite zu machen, zumindest für PR zu sorgen und dadurch indirekt den Absatz anzukurbeln. Der Vorstand eines börsennotierten Unternehmens kann sich nicht leisten, Geld zu verschenken. Da würde er bei der nächste0n Hauptversammlung schnell geschasst.

Drittmittel sind nicht gleich Drittmittel

Drittmittel „sind für den vom Geldgeber bestimmten Zweck zu verwenden und nach dessen Bedingungen zu bewirtschaften“ (§ 25 Absatz 4 Hochschulrahmengesetz (HRG))

Wir sollten also genau hinschauen, woher Geld fließt und welche Absicht damit verfolgt wird. Zuerst müssen wir aber den Begriff klären. Gemäß Paragraf 25 Absatz 1 Hochschulrahmengesetz (HRG) sind Drittmittel solche Gelder, „die nicht aus den der Hochschule zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln, sondern aus Mitteln Dritter finanziert werden“. Es sind also Gelder, die nicht von den öffentlich-rechtlichen Trägern als Grundfinanzierung an die Hochschulen überwiesen werden, sondern von anderen Geldgebern. Außerdem steht in Paragraf 25 Absatz 4 HRG: „Die Mittel sind für den vom Geldgeber bestimmten Zweck zu verwenden und nach dessen Bedingungen zu bewirtschaften“.8

Das ist ein bemerkenswerter Satz. Nochmal mit eigenen Worten: Drittmittel müssen für den vom Geldgeber bestimmten Zweck verwendet werden und nach den Bedingungen des Geldgebers bewirtschaftet werden. Das liest sich so, als ob eine inhaltliche Einflussnahme durch private Geldgeber, beispielsweise auf die Forschungsfrage oder auf die Forschungsergebnisse, nicht nur gesetzlich erlaubt, sondern sogar vorgeschrieben ist. Und so ist es auch. Einfluss privater Geldgeber auf Forschung an staatlichen deutschen Hochschulen ist also gesetzlich nicht nur erlaubt, sondern sogar vorgeschrieben – es sei denn der Geldgeber verzichtet freiwillig darauf (§ 25 Abs.4 Satz 3 HRG).

Drittmittel sind nicht gleich Drittmittel. Nicht alle Drittmittel sind falsch oder gar schlecht. Bei Drittmitteln aus börsennotierten Großkonzernen wäre ich aber grundsätzlich vorsichtig.

Beispiele für echtes Mäzenatentum durch Unternehmer

Ernst Abbe und die Carl-Zeiss-Stiftung

1889 gründete der genialer Forscher und Unternehmer Ernst Abbe die Carl-Zeiss-Stiftung. Er war damals Eigentümer des Unternehmens und hatte es nach der Übernahme von Carl Zeiss zu enormem Wachstum und Erfolg geführt. Über die Motive für die Stiftung kann man nur mutmaßen. Aber es gibt eine bewegende Stelle aus der Jugendzeit des 1840 geborenen Ernst Abbe: „Bis Anfang der 50er Jahre hat der Vater [von Ernst Abbe] 14 bis 16 Stunden lang täglich zu arbeiten. Ernst wechselt sich mit seiner Schwester Sophie darin ab, dem Vater das Essen im Kochgeschirr zu bringen […]. So erlebt der Junge, wie sein Vater oft, an eine Maschine gelehnt, in aller Hast das mitgebrachte Essen herunterschlingt und sofort weiterarbeitet, nachdem er das geleerte Geschirr dem Kind zurückgegeben hat. Der erwachsene Abbe berichtet über diese Zeit, dass infolge des kräftezehrenden Arbeitslebens der Vater mit 48 Jahren bereits in Haltung und Aussehen wie ein Greis wirkte. Kollegen von weniger robuster Konstitution ereilte dieses Schicksal bereits mit 38 Jahren.“9

„Aus solchen Schilderungen kann man erahnen, welche Motive Ernst Abbe dazu bewogen haben mögen, später als steinreicher Mann diesen Reichtum mit anderen teilen zu wollen und eine Stiftung zum Wohle der Mitarbeiter, der Wissenschaft und der Umgebung von Zeiss einzurichten, statt das Vermögen allein für sich und seine Familie zu behalten.“10 Ernst Abbe war so selbstlos, dass er nicht einmal seinen Namen für die Stiftung verwendete, sondern den Namen des ursprünglichen Unternehmensgründers. Bis heute glauben die meisten Menschen irrtümlich, dass die Stiftung auf Carl Zeiss zurückgeht.

Emil Molt und die Waldorfschulen

Mit Geldern des Industriellen Emil Molt wurde 1919 die erste Waldorfschule begründet. Heute gibt es über 1100 davon, es ist die größte Privatschulorganisation der Welt. Der Name kommt von der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, die Emil Molt gehörte. Aber an den Waldorfschulen ist nie Reklame für Zigarren oder Zigaretten gemacht worden. Emil Molt hat seine Gelder völlig in den Dienst der Sache gestellt und keine Rendite-Zwecke damit verfolgt. Als es nach 1933 darum ging, Vertreter des Nationalsozialismus oder nationalsozialistisches Gedankengut in die Schulen einzulassen, weigerte sich Emil Molt. Er schrieb in einem Brief 1935: Die Verantwortung „verpflichtet uns, die geistigen Grundlagen dieser Pädagogik rein zu halten. Würden wir sie verleugnen, so würden wir nicht nur unwahr werden, sondern würden die Schule selbst schädigen und zerstören.“11 Emil Molt waren Freiheit und Unabhängigkeit der Schulen so wichtig, dass er sie lieber schließen als externen Einflüssen nachzugeben. Und so wurden die Waldorfschulen unter den Nazis auch verboten und geschlossen.

Zweifelhafte Geldgeber

John Pierpont Morgan und die Weltwirtschaftskrise von 1907

Nach Schilderung von drei Zeitzeugen hat John Pierpont Morgan mit seinem mächtigen Bankenimperium den Finanzcrash von August bis Oktober 1907 und die anschließende schlimme Weltwirtschaftskrise bewusst und vorsätzlich herbeigeführt.12 Dadurch konnte er missliebige Konkurrenten ausschalten und sich enorm bereichern, indem er im Tiefpunkt der Krise billig konkurrierende Unternehmen aufkaufte. Mit Erfolg: 1913 kontrollierten JP Morgan und Rockefeller 341 Großunternehmungen bzw. 20% des US- Volksvermögens.13

Trotzdem wird JPMorgan bis heute in der gängigen Geschichtsschreibung ganz überwiegend als Wohltäter und Retter aus der Finanzkrise von 1907 geschildert.14 Wie kann das sein? Das liegt zum einen daran, dass er am 24.Oktober 1907, als die Finanzkrise in eine Depression abzugleiten drohte, einen Kredit über 10 Millionen Dollar an die US-Regierung organisierte (mit einem sehr hohen Zinssatz). Dadurch gilt er bis heute als „Retter des Vaterlandes“. Interessant. Ein Mensch, der ein ganzes Land, ja die ganze damalige westliche Welt in eine ungeheure Krise stürzt, wird dann zum Retter daraus umbenannt.15

Zum anderen hat John Pierpont Morgan einen Teil seines Geldes gezielt als Mäzen eingesetzt. Er trat stark als Wohltäter in der Öffentlichkeit auf, indem er seine Episkopal-Kirche, Schulen und Spitäler unterstützte, Universitäten Zuwendungen zukommen ließ sowie als feinsinniger Kunstliebhaber auserlesene Kunst- und Buchsammlungen anlegte und später der Öffentlichkeit stiftete. Doch woher stammten die finanziellen Mittel für seine Wohltätigkeit? Aus einem „Gaunerstreich“.16 Diese einseitige Geschichtsdarstellung verzerrt die Wirklichkeit bis heute massiv zu Gunsten des Großvermögensbesitzers. Das dürfte stark an den Zuwendungen Morgans an die Universitäten liegen. So beeinflusst man langfristig die Geschichtsschreibung am wirksamsten.

Kurz: Man kann Mäzenatentum auch dazu nutzen, von eigenen Verbrechen abzulenken17