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Das Weltbild der Betriebswirtschaftslehre – das gilt bedingt in gewissem Maß auch für die Volkswirtschaftslehre – lässt sich in einer Kernaussage zusammenfassen: Gewinnmaximierung. Sie gilt als höchstes Ziel auf Erden, praktisch das gesamte Lehrgebäude baut auf diesem Prinzip auf. Produktionsprozesse, Einkauf, Marketing, Personalwesen, Management, Rechtsform, Investition, Finanzierung, Besteuerung – alle Teilbereiche der Betriebswirtschaftslehre werden dem untergeordnet. Manchmal wird diese axiomatische Grundbedingung subtiler benannt: Economic Value Added (EVA), wertorientierte Unternehmensführung, Shareholder Value, Return on Capital, aber das Ziel ist immer dasselbe: Gewinne bzw. Renditen zu maximieren. Christian Kreiß und Heinz Siebenbrock schildern in "Blenden, Wuchern, Lamentieren", welch gravierende Auswirkungen dieses Prinzip der Gewinnmaximierung auf die verschiedensten Bereiche unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens hat. Es fördert Konkurrenzdenken und egoistisches Verhalten und führt zu Umweltzerstörung, Sozialabbau und einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft. Doch die Autoren zeigen auch ermutigende Alternativen, wie jeder Einzelne dazu beitragen kann, die Probleme des menschenverachtenden Prinzips der Gewinnmaximierung zu überwinden und es durch menschengerechte Ziele zu ersetzen. Ein Umdenken ist möglich!
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Seitenzahl: 330
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Christian KreißHeinz Siebenbrock
Wie die Betriebswirtschaftslehrezur Verrohung der Gesellschaft beiträgt
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1. eBook-Ausgabe 2019
© 2019 Europa Verlag GmbH & Co. KG,
Berlin · München · Zürich · Wien
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Layout & Satz: BuchHaus Robert Gigler, München
Konvertierung: Bookwire
ePub-ISBN: 978-3-95890-277-0
Alle Rechte vorbehalten.
www.europa-verlag.com
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Vorwort
Einleitung: Die Kernaussage der Betriebswirtschaftslehre
Die betriebswirtschaftliche Kernaussage und ihre Denk- und Handlungsfolgen
Kontrolle und Bürokratie
Beurteilungs- und Anreizsysteme
Zahlengläubigkeit und Kurzfristdenken
Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck
Gewinnmaximierung: Die Anatomie einer menschen- und umweltverachtenden Idee
Mathematische Bestimmung des Gewinnmaximums
Gewinnmaximum, die unsichtbare Hand und das (All-)Gemeinwohl
– Der weitverbreitete Glaube an die unsichtbare Hand
– Stakeholder- versus Shareholder-Interessen
– Die fünf Hauptirrtümer der neoliberalen Denkschule
– Der Unterschied zwischen Optimum und Maximum oder wie sich Kröten maximal vermehren lassen
Gewinnmaximum: Ein gefährliches Prinzip!
Der Siegeszug des Shareholder-Value-Konzepts
– Der Siegeszug in der Theorie
– Der Siegeszug in der Praxis
– Heutige Treiber des Shareholder Value
– Shareholder Value: Unser Gegenvorschlag
Gewinnmaximierung aus Sicht der Stakeholder
Geiz ist geil: Die systematische Ausbeutung des Produktionsfaktors Arbeit
– Mitarbeiter ausbeuten: Business as usual!
– Ausbeutung von Frauen: Unterbezahlt in miesen Jobs
– Zeitarbeit: Dumpinglöhne für harte Arbeit
– Werkvertrag: Wir toppen die Leiharbeit!
– Scheinselbstständigkeit: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit System!
– Nachwuchssorgen? Ein sorgloser Umgang!
– Gesundheitliche Folgen von Ausbeutung: Stress, Burn-out & Managerkrankheit
– Gewinnmaximierung reziprok: Ein Gedankenexperiment!
»Kauf, du Arsch«: Vom Aufschwatzen und Abzocken
– Darf’s ein bisschen mehr sein?
– Preistreiberei: Von raffiniert bis unverschämt
– Abzocke durch geplanten Verschleiß
– Aufgeschwatzt: Nicht gewollt und trotzdem zahlen?
– Kunden und Verbraucher: Weniger ist mehr!
Auspressen und Erpressen: Lieferanten unter Druck
– Die Tricks der Einkäufer
– Investitionsprogramme großer Handelsketten
– Ein Teufelskreis zum Nachteil der Lieferanten
– Verramschen von Markenwaren unter Einstand
Verlust der Menschlichkeit durch Gewinnmaximierung
Gewinnmaximierung und Ehrlichkeit
– Lehren aus dem Diesel-Skandal
– Werbung
– Pressefreiheit
Gewinnmaximierung und Gesundheit
– Lebensmittelindustrie
– Gewinnmaximierung im Gesundheitssektor
Gesellschaftliche Folgen der Gewinnmaximierung
– Steuersparmodelle und Volkssport Steuervermeidung
– Volkssport Versicherungsbetrug
– Privatisierung früherer Staats-, Landes- und Kommunalbetriebe
– Kommerzialisierung weiterer Lebensbereiche
Gewinnmaximierung und Corporate Social Responsibility (CSR) oder die Quadratur des Kreises
Gegenstand und Entwicklung
Greenwashing
Das Märchen von den Sanktionen
– Die General Motors Streetcar Conspiracy (Straßenbahn-Verschwörung)
– Das Phoebus-Glühlampenkartell von 1924
– Der große Tabak-Prozess 2004–2006
– Pharmaindustrie
– Die Finanzkrise ab 2007
– British Petrol (BP) 2010
– Apple und Samsung Oktober 2018
– Wirtschaftsboykotte
Denkirrtum: Gewinnmaximierung und CSR sind miteinander vereinbar
Zusammenfassung, Rekapitulation und Schlussfolgerungen
Wege in eine freundliche Zukunft
Was kann jeder Einzelne tun?
– Verantwortungsvoller Umgang mit den uns anvertrauten Gütern
– Verantwortungsvoller Umgang mit Kapital und Zinsen
– Persönliche Haltung
– Persönliche Entwicklung
– Der innere Kompass
Was können Unternehmen und Unternehmer tun?
– Vorbildliche Unternehmen und Unternehmer
– Faires Management
– Die Gemeinwohl-Bilanz
Ideen für einen politisch-gesellschaftlichen Rahmen
– Bedingungsloses Grundeinkommen (bGE)
– Einführung von Freigeld oder Fließendem Geld
– Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht
– Konkrete Gesetzesvorschläge
Lasst uns die Ökonomie-Lehrbücher umschreiben!
– Erster Schritt: Streichen der Maxime »Gewinnmaximierung«
– Zweiter Schritt: Löschen des Gewinnstrebens als Handlungsmotiv für Manager
Literatur
Anmerkungen
Aufgabe der Unternehmen ist es, die Versorgung der Menschen mit notwendigen Produkten und Dienstleistungen sicherzustellen. Tun sie das?
Im Namen der Wirtschaft steigern die Unternehmen Ausbringungsmengen, im Namen der Wirtschaft entwickeln Unternehmen immer neue, »wirtschaftlichere« Verfahren, Methoden, Produkte und Dienstleistungen. Statt den Fortschritt für Entlastung oder bessere Versorgung zu nutzen, wird die persönliche Arbeitszeit schleichend ausgedehnt, während das Gefälle zwischen arm und reich immer größer wird. Immer mehr dient der Mensch der Wirtschaft statt die Wirtschaft dem Menschen.
Doch wir brauchen eine Wirtschaft, die dem Menschen dient.
Dazu ist es notwendig, die desaströsen Orientierungsmuster aufzudecken, die aktuell die Wirtschaft und die Wirtschaftswissenschaften prägen. Das soll mit dem vorliegenden Buch geschehen. Darüber hinaus stellen wir Lösungsansätze abseits der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinungen vor.
Während die herrschende Meinung ein Gegeneinander von Wirtschaftsakteuren propagiert, setzen wir auf das Miteinander von Menschen in der Wirtschaft. Die Botschaft lautet schlicht: Gegenseitige Unterstützung sollte die Wirtschaft prägen, nicht andauernder Kampf, der die Menschen – wie uns die Geschichte lehrt – immer wieder in Konflikte oder gar in Kriege treibt.
Je tiefer die Botschaft des Miteinanders alle Ebenen durchdringt, desto näher kommen wir einer Wirtschaft, die dem Menschen dient. Auf der Unternehmensebene geht es darum, einen guten Umgang unter den Mitarbeitern und mit der Umwelt sicherzustellen. Mit einem fairen und gemeinwohlorientierten Management lässt sich dieser Ansatz auch konzeptionell wirksam verankern.
Auf der unternehmensübergreifenden Ebene geht es um einen guten, nutzenstiftenden Umgang zwischen den Unternehmen. Dazu wird der Kooperations- und Genossenschaftsgedanke im ursprünglichen Sinn wiederbelebt, der unserer Meinung nach ein vielversprechendes, zukunftsfähiges Konzept ist.
Schließlich gibt es auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene eine Fülle von Korrekturbedarf: Die aktuellen Steuer-, Geld- und Rechtssysteme tragen kaum dazu bei, das Leitbild eines gedeihlichen Miteinanders, einer Wirtschaft, die dem Menschen dient, zu fördern.
München und Drensteinfurt, im Sommer 2019
Christian Kreiß und Heinz Siebenbrock
»Man ist dabei, die europäische Staatszivilisation (…) zu zerstören, und das im Namen des dümmsten Gesetzes der Welt, nämlich der Gewinnmaximierung.«
Pierre Bourdieu 19961
Gutgläubige Autofahrer tragen Krankheit und Tod in unsere Städte. Ausgepowerte Kranken- und Altenpfleger sind kaum mehr in der Lage, die an sie gestellten Anforderungen halbwegs zu erfüllen. Die »Tafeln« kompensieren die Basisaufgaben des Staates und spiegeln die Not eines wachsenden Prekariats wider. Jobbefristung, Leiharbeit, Werkverträge und Scheinselbstständigkeit befeuern diese Entwicklung. Besonders tragisch: Mit einer Generation Praktikum, also jungen Leuten, die viel zu spät unbefristete Arbeitsverträge erhalten und deshalb den Kinderwunsch hintanstellen, verspielen wir unsere Zukunft. Bei der Ausbildung unserer Kinder entpuppen sich angebliche Innovationen wie G8 und Inklusion als getarnte Sparmaßnahmen und Arbeitsverdichtung. Denken wir aber auch an unser ganz persönliches Wohlbefinden: Glyphosat, Überdüngung und Massentierhaltung bedrohen unsere Gesundheit. Sportveranstaltungen wie Fußballspiele werden zunehmend elitär und für den einfachen Bürger kaum noch erschwinglich. Zu all diesen Missständen kommen manipulierte wissenschaftliche Studien, Lobbyismus, absichtlich herbeigeführte Vernichtung von noch funktionsfähigen Wirtschaftsgütern und vieles weitere hinzu. »Diese Wirtschaft tötet!«,2 betont Papst Franziskus, und damit meint er zu Recht nicht allein die Zustände in Lateinamerika oder in der sogenannten Dritten Welt.3
Dieselskandal, Pflegenotstand, Staatsversagen, Umweltzerstörung, Abgrenzung und Verarmung bezeichnen höchst bedenkliche Phänomene mit einer gemeinsamen Wurzel. Ihnen allen ist gemeinsam, dass diese schädlichen gesellschaftlichen Entwicklungen von den Lehrkanzeln der Betriebswirtschaftslehre aktiv vorangetrieben werden.4 Das ständige Predigen der Gewinnmaximierung von Unternehmen trägt maßgeblich zu diesen Missständen bei, verursacht oder verstärkt sie. Das von den Ökonomie-Professoren unentwegt beschworene Ziel der Gewinnmaximierung führt langsam, aber sicher zum Verlust der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft.
Die Kernaussage der gesamten Betriebswirtschaftslehre lautet: Gewinnmaximierung ist das oberste Ziel aller Unternehmen. Maximale Gewinne sind gut, richtig und wichtig. Unternehmen, die sich nicht daran halten, sollen und werden untergehen.
Den Studierenden der Betriebswirtschaftslehre ist spätestens nach der Einführungswoche klar: Gewinnmaximierung ist das höchste Ziel auf Erden. Praktisch alle Lehrbücher der BWL5 bauen auf diesem Prinzip auf. Alle Analysen, Folgerungen und Ratschläge stehen unter dem Axiom der Gewinnmaximierung. Das gesamte Lehrgebäude der Betriebswirtschaftslehre ist diesem Postulat untergeordnet. Manchmal wird diese Grundbedingung allen Wirtschaftens anders, subtiler benannt: Economic Value Added (EVA), Wertorientierte Unternehmensführung, Shareholder Value, Return on Capital bzw. Return on Investment (ROI) usw. Doch alles läuft immer auf das eine, unumstrittene und unhinterfragte Kernziel hinaus: Wie kann der Gewinn bzw. die Rendite des Unternehmens maximiert werden?
Produktionsprozesse, Einkauf, Marketing, Personalwesen, Management, Rechtsform, Rechnungslegung, Unternehmensbesteuerung, Investition, Finanzierung – alle Teilbereiche der Betriebswirtschaftslehre werden praktisch immer unter dem einen einzigen Ziel betrachtet: die Gewinne zu maximieren.
Immerhin ist Betriebswirtschaftslehre das Fach mit den meisten Studierenden (ca. 240 000) in Deutschland. Maschinenbau, Jura und Medizin schaffen es zahlenmäßig jeweils nicht einmal auf die Hälfte. Zählt man die der Betriebswirtschaftslehre verwandten Fächer hinzu, sind ca. 40 Prozent aller Studierenden in einem wirtschaftsnahen Fach eingeschrieben.6 Ca. 3 Millionen Menschen mit einer wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung arbeiten aktiv in einem Unternehmen, in einer Behörde oder in einem Verband.7 Hinzu kommen die zahlreichen Erwerbstätigen mit einer kaufmännischen Ausbildung und einer kaufmännischen Ergänzungsqualifikation, denn die Berufsschulen und Wirtschaftsfachschulen übernehmen weitgehend die Lehrinhalte der Fachhochschulen und Universitäten.
Im Jahr 2017 wurden allein 240 000 Ausbildungsverträge mit angehenden Industrie-, Handels-, Banken- oder Versicherungskaufleuten geschlossen.8 Bei 40 Berufsjahren ergibt dies fast 10 Mio. Menschen, die über eine kaufmännische Ausbildung verfügen, wobei die Erwerbstätigen mit einer Zusatzqualifikation, wie beispielsweise Fachwirt oder Meister, noch nicht einmal mitgezählt sind. Insgesamt verfügt mit ca. 15 Mio. Menschen mindestens ein Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland über ein beträchtliches betriebswirtschaftliches Wissen.9 Der Einfluss nicht nur auf die Wirtschaft, sondern gewiss auch auf die Gesellschaft dürfte ein erhebliches Ausmaß angenommen haben.
Dabei schürt die extrem einseitige Weltanschauung der Betriebswirtschaftslehre – besonders das ständige Predigen von Gewinnmaximierung – Egoismus, Gelddenken und unmenschliches Verhalten.10 Gravierende gesamtgesellschaftliche Auswirkungen sind die Folge. Die Konsequenzen dieses menschenfeindlichen Denkens erfahren wir auf Schritt und Tritt im Alltagsleben.
Die betriebswirtschaftliche Logik ist bei der Bearbeitung vieler gesellschaftlicher Fragen leitend geworden. Im Gesundheitswesen, im Bildungssystem, in der öffentlichen Verwaltung, in Krankenhäusern und Altenheimen, in Kitas und Kindergärten, in Kultur und Sport: Überall werden zunehmend die in der Betriebswirtschaft entwickelten Methoden eingeführt und angewandt. Nicht nur unser Wirtschaftsleben, sondern auch immer größere Bereiche unserer Gesellschaft werden von dem Diktat der Gewinnmaximierung schädlich beeinflusst.
Was lernen BeWeEller (– so bezeichnen sich die Studenten der Betriebswirtschaft gern selbst –) eigentlich? Die von anderen Akademikern gelegentlich kolportierte, zynische Antwort, Betriebswirtschaftslehre sei leer und müsse deshalb Betriebswirtschaftsleere heißen, ist falsch und irreführend. Erstens liefert die Betriebswirtschaftslehre eine Fülle von gesellschaftlich relevanten Erkenntnissen, vor allem zu Fragen der Kommunikation, Integration, Kollaboration und Transparenz. Zweitens – und das ist uns besonders wichtig – stellt die Behauptung, die Betriebswirtschaftslehre sei leer, eine Verharmlosung dar.
Wenn die Betriebswirtschaftslehre leer wäre, ginge von ihr kaum eine Gefahr aus. Dann ließe sich folgern: alles halb so schlimm. Doch warum hat ausgerechnet das meiststudierte Fach den wohl mit Abstand schlechtesten Ruf unter allen anderen Akademikern?11Blenden, Wuchern, Lamentieren sind Fähigkeiten, die BeWeEllern von anderen Studenten gern zugeschrieben werden. Ein BeWeEller lernt demnach nicht nur, sich selbst und seine Leistungen aufzuhübschen (blenden) und in schwierigen Situationen theatralisch zu jammern (lamentieren), sondern vor allen Dingen der Umwelt sowie anderen Menschen und Mitgeschöpfen zu schaden (wuchern). Der Duden erläutert wuchern treffend: üppig leben, schwelgen, sich übermäßig stark ausbreiten.12
Die Verzahnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist überall im täglichen Leben sichtbar: Bereits die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft werden mit Taschengeld und Spardose ins Wirtschaftssystem eingebunden. Und die Älteren bekommen zunehmend zu spüren, dass das Wirtschaftssystem, obwohl sie es ein Leben lang in Gang gehalten haben, seinen eigenen Gesetzen folgt. Sie werden immer häufiger zu Bittstellern gemacht.
Ziel dieses Buches ist, die schädlichen Konsequenzen dieses einseitigen, menschen- und umweltfeindlichen Denkens auf den verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen aufzuzeigen und menschlichere Alternativen dazu anzubieten. Es wird dargestellt, wie das von der Betriebswirtschaftslehre ausgehende Prinzip der Gewinnmaximierung aktiv zu einer zunehmenden Verrohung, zu einem schleichenden Entmenschlichungsprozess der Gesellschaft beiträgt, wie Gelddenken und egoistisches Verhalten dadurch gefördert und verbreitet werden, sodass unser gesellschaftliches Miteinander immer schwieriger wird. Es wird beschrieben, wie dadurch Konkurrenz statt Kooperation, Gegeneinander statt Miteinander, Einzelwohlbetrachtung statt Gemeinwohlorientierung gefördert wird. Umweltzerstörung, Soziallabbau, steigende Ungleichverteilung, Kundenübervorteilung und viele andere negative Auswirkungen sind die logische Folge dieser einseitigen Weltanschauung.
Viele dieser desaströsen Zustände sind erstaunlicherweise weitgehend bekannt. Sogar Lösungen sind in Sicht. So wird beispielsweise von den renommierten Ökonomen Joseph Stiglitz (»Preis der Ungleichheit«), Thomas Piketty (»Das Kapital im 21. Jahrhundert«) und Tomáš Sedláček (»Die Ökonomie von Gut und Böse«) massive Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem vorgetragen. Ihren Lösungsvorschlägen stimmen wir weitestgehend zu. Und dennoch scheinen zwei entscheidende Bausteine, mit deren Hilfe man die Probleme überwinden könnte, in der bestehenden Literatur zu wenig thematisiert zu werden: Erstens wird das menschenverachtende Prinzip der Gewinnmaximierung nicht als eine der zentralen Ursachen benannt. Und zweitens wird der Kraft des eigenen Denkens, der Kraft der persönlichen Einstellung und Haltung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Schließlich kann sich jeder psychisch gesunde Mensch entscheiden, ob seine persönliche Einstellung und Haltung menschenverachtenden Prinzipien folgen sollen oder nicht.
Im letzten Teil des Buches werden wir deshalb ermutigende Alternativen bringen, mit denen sich die aufgezeigten Probleme lösen lassen. Sie richten sich zwar auch an die Repräsentanten der Gesellschaft, aber vor allem an jeden Einzelnen von uns. Anhand vieler bereits heute existierender wunderbarer Initiativen, die sich aktiv um das Gemeinwohl bemühen, wird gezeigt, dass es auch anders ginge. Besonders wollen wir dabei herausstellen, dass am Anfang jeglicher Initiative der einzelne Mensch steht, der in Alternativen zum gängigen Primat der Gewinnmaximierung selbst den Schlüssel in Händen hält, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verbessern – zu unser aller Wohl und vor allem zum Wohl unserer Kinder.
Unsere Wirtschaft folgt nicht unabänderlichen Gesetzen. Alle unsere ökonomischen und gesellschaftlichen Regeln haben wir uns selbst gegeben. Umdenken ist also möglich. Wenn wir beginnen, in den Wirtschaftswissenschaften umzudenken, indem wir die alles beherrschende Gewinnmaximierung durch menschengerechte Ziele ersetzen, kann unsere Gesellschaft den Weg in eine lebenswertere, sozialere und hoffnungsvollere Zukunft einschlagen. Dazu soll dieses Buch ein Beitrag sein:
Wir wünschen uns, dass zukünftige Absolventen der Betriebswirtschaftslehre nicht Blenden, Wuchern und Lamentieren, sondern Begreifen, Wertschöpfen und Leben wollen.
Das Gewinnstreben, besonders die Gewinnmaximierung, führt zu einer einseitigen Erfolgsermittlung, die den Beitrag des Eigenkapitals aufwertet, während gleichzeitig die Beiträge aller anderen Stakeholder abgewertet werden: Der Aufwand für Materialien, Investitionsgüter, Zinsen, Steuern sowie für Lohn und Gehalt wird so niedrig gehalten, dass sich ein möglichst hoher Gewinn ergibt.
Vom Lieferanten werden eine herausragende Qualität und eine pünktliche Lieferung verlangt; im Gegenzug wird so wenig und so spät wie möglich gezahlt mit dem Hinweis, dass er weitere Anstrengungen unternehmen müsse, um die derzeitigen Preise zu rechtfertigen. Diese weit verbreitete Drohkulisse ist Ausdruck von Geringschätzung.
Diese Drohgebärden sind auch im Umgang mit den Mitarbeitern zu beobachten: Trotz des realen Kaufkraftverlustes und nach wie vor steigender Pro-Kopf-Leistung erscheinen vielen Unternehmen die Löhne und Gehälter zu hoch. Die Botschaft »Mehr Leistung für weniger Lohn« ist an Zynismus und damit an Geringschätzung kaum zu übertreffen.
Selbst vor dem Staat machen einige große Unternehmen keinen Halt. Mit Gewinnverlagerungen in Steueroasen zeigen sie dem Staat, wie wenig sie von ihm und wie wenig sie mithin von der Gesellschaft halten.
Gewinn wird erzielt, wenn die Umsätze (bzw. Erlöse) den damit verbundenen Aufwand übertreffen. Ganz grob lässt sich die dem externen Rechnungswesen zuzurechnende Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) wie folgt beschreiben:
Umsatz(erlöse)
– Materialaufwand
– Personalaufwand
– Abschreibungen(offiziell: Aufwendungen für Abnutzung [AfA])
– Zinsen
– Steuern
=Gewinn
Wer den Gewinn erhöhen will, muss entweder den Umsatz erhöhen oder Aufwandspositionen mindern, indem er den Lieferanten (Materialaufwand und AfA), den Mitarbeitern (Personalaufwand), den Banken (Zinsen) oder der Allgemeinheit (Steuern) weniger zahlt.
Wohl fast überall auf der Welt steht der Gewinn einzig dem Inhaber des jeweiligen Unternehmens zu. Damit stellt er sich zwangsläufig gegen all diejenigen Anspruchsgruppen, die ihm Aufwand in Rechnung stellen. Genau genommen ist Gewinnerzielung ein Kampf gegen die Lieferanten, Mitarbeiter, Banken und die Allgemeinheit. »Business ist wie Krieg führen«, titelt Bruno Wagner »die kriminellen Methoden der Unternehmen in der globalisierten Wirtschaft«.13 Dabei ist es gar nicht nötig, auf »kriminelle Methoden« abzustellen. Auch die »Globalisierung« braucht es dafür nicht. Bereits der Aufbau der GuV macht die Interessengegensätze aller Anspruchsgruppen und damit den Kampf »Jeder gegen jeden« mehr als deutlich. Dass Unternehmen entsprechende Angriffs- oder Verteidigungsstrategien und entsprechende Mechanismen einsetzen, um ihre Gewinne abzusichern, liegt auf der Hand. Dafür werden in der Wirtschaftspraxis regelrechte Bollwerke errichtet, die die Interessen von Unternehmenseignern gegenüber allen anderen Anspruchsgruppen einseitig bevorzugen: Kontrolle und Bürokratie, Beurteilungs-, Steuerungs- und Anreizsysteme, eine tief verwurzelte Zahlengläubigkeit sowie ein ständig steigender Leistungsdruck sind die Instrumente, die in fast allen Unternehmen in hoher Intensität zum Einsatz kommen. Dabei wird übersehen, dass diese Instrumente erhebliche kontraproduktive Nebenwirkungen haben und allzu oft sogar Gefahren mit sich bringen.
Wirtschaft und öffentliche Verwaltung sind fast vollständig im Würgegriff von Kontrollsystemen: Anwesenheits- und Arbeitszeitkontrollen, Leistungs- und Qualitätskontrollen, Fortschritts- und Entwicklungskontrollen und vieles mehr. Die Folge sind Bürokratieerscheinungen, über die sich Cyril Northcote Parkinson (»Parkinsons Gesetz«) bereits 1957 lustig gemacht hat.14 David Graeber, Anthropologe an der London School of Economics, hat gezeigt, dass in den letzten Jahren mehr und mehr der nach ihm benannten »Bullshit Jobs« entstanden sind.15 In dem Film »Mein wunderbarer Arbeitsplatz«16 von Martin Meissonnier führt Graeber aus: »Es scheint ein allgemeines Prinzip zu geben, nach dem die Bezahlung mit dem steigenden gesellschaftlichen Nutzen einer Arbeit sinkt.” Krankenschwestern und Müllarbeiter etwa werden trotz ihres hohen gesellschaftlichen Nutzens schlecht bezahlt, während Personalberater, Firmenanwälte und Hegefonds-Manager ein hohes Einkommen erzielen, ohne dass sie einen nennenswerten – teilweise sogar einen kontraproduktiven – Beitrag für die Gesellschaft leisten. Graeber beklagt darüber hinaus, dass er immer mehr Menschen kennenlernt, die ihm anvertrauen, dass sie nichts Sinnvolles tun.
Kontrollsysteme und Bürokratie zeugen von einem weit verbreiteten, tiefen Misstrauen des Managements gegenüber seinen Mitarbeitern. Dabei forderte bereits Knut Bleicher, Ordinarius an der Hochschule St. Gallen, in den 1970er-Jahren dazu auf, eine »Vertrauensorganisation« aufzubauen.17 Es folgten Regalmeter von wissenschaftlichen Arbeiten, die das Thema Vertrauen in den Mittelpunkt rückten. Von einem Transfer dieser Vorschläge in die Wirtschafts- und Verwaltungspraxis sind wir bis heute – mit wenigen Ausnahmen – noch weit entfernt. Während Parkinson zum Beleg die Militärbürokratie in den 1920er- und 1930er-Jahren anführt, möchten wir auf die uns vertraute Hochschulbürokratie verweisen: Auf jeden Dozenten einer deutschen Fachhochschule kommen ca. zwei Verwaltungsfachkräfte, bei deutschen Universitäten sind es noch deutlich mehr. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle all die bürokratischen Praktiken aufzuführen, die uns das Leben schwer machen. Interessant erscheint uns jedoch zu erwähnen, dass wir beide in jeweils fast 20 Jahren Dienstzeit selten von der Verwaltung gefragt wurden: Was können wir für Sie tun? Wie können wir Sie unterstützen? Stattdessen haben die Pflichten zur Dokumentation und das Antragswesen ständig zugenommen.
In Wirtschaftsunternehmen erscheint der Befund gleich: Qualitätsmanagementsysteme und übertriebenes Controlling (z. B. sichtbar in Zahlenfriedhöfen) verlagern die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter von der eigentlichen Arbeit auf die Bürokratie. Seit Kurzem werden diese Erscheinungen von der Wiedereinführung der »guten alten« Stempeluhr noch getoppt: Weil man den Mitarbeiter angeblich vor Selbstausbeutung schützen wolle, müsse die sogenannte Vertrauensarbeitszeit abgeschafft werden; stattdessen werden Arbeitszeitkontrollen in großem Stil wiedereingeführt.
Schon als Schüler werden wir daran gewöhnt, ständig beurteilt zu werden. Es gibt Noten für Klassenarbeiten, Hausarbeiten, Referate, für die Beteiligung am Unterricht und in einigen Fällen gibt es sogar Noten für das Verhalten in Form sogenannter Kopfnoten. Wie selbstverständlich wird dieses Prozedere in Berufsschulen, Hochschulen und Universitäten fortgesetzt.
Nur selten wird in Frage gestellt, ob es tatsächlich Aufgabe von Schule und Hochschule ist, Noten zu vergeben. In der Aus- und Weiterbildung von Lehrern und Hochschullehrern erhält dieser Aspekt allenfalls eine untergeordnete Bedeutung, oft wird er sogar gänzlich ausgeblendet.18
Und was macht dieses System mit den SchülerInnen und Studierenden? Das sogenannte Bulimie-Lernen scheint ein weitverbreitetes Phänomen zu sein: SchülerInnen und Studierende stopfen sich mit Wissen voll, um es gleich anschließend in der Prüfung zu erbrechen. Wir haben es so oft erlebt, dass Studierende kaum in der Lage sind, das erlernte Wissen ins nächste Semester hinüberzuretten.
Seit einiger Zeit setzen die Hochschulen darauf, dass nicht nur die Studierenden, sondern umgekehrt auch die Hochschullehrer von ihren Studierenden beurteilt bzw. evaluiert werden. Die so erzeugte gegenseitige Abhängigkeit erscheint abstrus, werden doch Rache- sowie Gefälligkeitsbewertungen, je nach Lehr- und Lernklima, Tür und Tor geöffnet.
Auch die Wirtschaftspraxis setzt auf Beurteilungssysteme. Dabei werden sie von Consultingunternehmen unterstützt, die ihr Angebot hochtrabend als »Management Diagnostik« bezeichnen und für jede Hierarchieebene angeblich passgenaue Assessments oder andere Produkte entwickeln. Die Mitarbeiterbeurteilung ist in der Praxis ein Teil der Qualitätssicherung. Sie soll Aufschluss geben über die Arbeitsleistung, die Motivation, die Belastbarkeit, die Kompetenz, die Stärken und Schwächen von Mitarbeitern. Die klassische Mitarbeiterbeurteilung wird top-down durchgeführt: Der Vorgesetzte bewertet die Leistung des ihm unterstellten Mitarbeiters. Seit einiger Zeit sind auch bottom-up Verfahren, überwiegend in Form anonymer Beurteilungen des Vorgesetzten durch seine Mitarbeiter, als Ergänzung in Mode gekommen (360-Grad-Feedback).19 Ähnlich wie an den Hochschulen lassen sich auch in den Unternehmen sowohl Rachebeurteilungen als auch Stillhalteabkommen mit inflationären Topbeurteilungen auf beiden Seiten beobachten, die gleichermaßen die Entwicklung des Unternehmens behindern.
In mehr oder weniger regelmäßig geführten Gesprächen teilt der Vorgesetzte mit, wie er die Leistung seines Mitarbeiters einschätzt und wo er Entwicklungspotenzial sieht. Um die Notwendigkeit einer Entwicklung zu unterstreichen, werden gern auch Gehaltssteigerungen und Karrieremöglichkeiten in Aussicht gestellt. Gelegentlich werden darüber hinaus ganz konkrete Leistungsziele in Verbindung mit ganz konkreten monetären Konsequenzen festgelegt (im seltenen Idealfall: vereinbart). Die sogenannte leistungsorientierte Entlohnung, bei der im Leistungs- oder Erfolgsfall Zulagen in Form von Provisionen oder Akkordzuschlägen gezahlt werden, stellt diesen Gedanken sogar in den Mittelpunkt.
Dabei sind die Nebenwirkungen solcher Praktiken erheblich: Die Festlegung bestimmter Leistungsziele führt oftmals dazu, dass andere Ziele vernachlässigt werden. In einer arbeitsteiligen Welt kommt die Schwierigkeit hinzu, solche Teilziele überhaupt zu bestimmen, die tatsächlich auch das intendierte Gesamtziel fördern. Und schließlich führen die Individualisierung von Leistungsanreizen und die generelle Verteilungsproblematik bei begrenzten Leistungsbudgets dazu, dass eher gegeneinander als miteinander gearbeitet wird.
Reinhard K. Sprenger führt darüber hinaus an, dass mit Leistungsanreizen unterstellt wird, ein Mitarbeiter sei nicht bereit, seine volle, oftmals im Arbeitsvertrag vereinbarte Leistung tatsächlich auch erbringen zu wollen: »Warum? Doch wohl nur, weil Misstrauen das Verhältnis der Führung zu den Geführten nach wie vor beherrscht. Das Ergebnis: eine Verdachts-Organisation.«20 Mehr noch: Das Management, das die Beurteilung der Leistung vornimmt und die Höhe des Leistungslohns festlegt, stellt sich gewissermaßen über den Mitarbeiter, eine Kommunikation auf Augenhöhe findet nicht statt. Die Paradoxie feiert sich selbst: Die zusätzliche Entlohnung durch Leistungsanreize, diese vermeintliche Aufwertung des Mitarbeiters, wertet ihn gleichzeitig ab. Geringschätzung statt Wertschätzung.
Die klassische top-down Mitarbeiterbeurteilung ist gelebte Hierarchie, sie betont bzw. zementiert den Abstand zwischen dem Vorgesetzten und seinem Mitarbeiter. Macht lässt sich kaum wirkungsvoller inszenieren.
Nils Pfläging ist mit Blick auf die gängige Anreiz- und Beurteilungspraxis ein wunderbarer Vergleich gelungen: »Haben Sie schon einmal mit Ihrem Lebenspartner oder Ihrer Lebenspartnerin (respektive Ihrer Freundin oder Ihrem Freund) Folgendes versucht?
›Schatz, komm mal bitte her in mein Büro. Setz dich bitte hin. Tja, Liebling, es ist Zeit für dein Jahresgespräch. Ich möchte jetzt gern mal mit dir durchgehen, wie deine Performance im gerade abgelaufenen Jahr gewesen ist. Und wir können dann bei der Gelegenheit auch gleich deine persönlichen Entwicklungsziele für das neue Jahr vereinbaren …‹
Noch nie ausprobiert? Na so was. Könnte eigentlich ganz sinnvoll sein, sagen Sie? Nun gut, probieren Sie’s ruhig aus! Ich tippe, Sie machen das nur ein einziges Mal.«21
Erfolg, Misserfolg, Chancen, Risiken, Gewinn und Verlust: In der Wirtschaft werden all diese Inhalte vor allem in Zahlen ausgedrückt. Dass dabei immer die Komplexität der Realität reduziert wird, übersieht man leicht. »Hauptsache, die Zahlen stimmen«, ist eine weit verbreitete Einstellung. An der Hochschule Osnabrück fand man in einer Studie heraus: »In mehr als zwei Dritteln der Unternehmen wird schlechte Führung toleriert, sofern und solange das operative Ergebnis stimmt. In lediglich vier Prozent existiert wenig Toleranz gegenüber schlechter Führung bei passendem finanziellem Ergebnis.«22
Viele Menschen, besonders Manager, denken analytisch. Sie lieben Sachaufgaben, sind ergebnisorientiert und messen Aufwand und Ertrag in Zahlen. Nicht nur ihre Bewertungen, sondern ihre gesamte Wahrnehmung und ihr gesamtes Denken gründen überwiegend auf Zahlen. Zahlen geben diesen Menschen Orientierung und Sicherheit. Allerdings ist diese Sicherheit oft trügerisch, denn die Zahlen repräsentieren immer nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Dabei besteht die Gefahr, dass Ideen und Maßnahmen zwar gute Ergebnisse liefern, wenn man sie auf den gewählten Ausschnitt bezieht, dass jedoch Nebenwirkungen in anderen Bereichen völlig übersehen werden. So lassen sich die gewaltigen Umweltprobleme (z. B. Erderwärmung, Luftverschmutzung) und die gewaltigen sozialen Probleme (z. B. Hunger, Migration) als Folge eines permanenten Suboptimierens erklären.
Ein weiteres Problem: Es gibt Menschen, die nun mal keine Zahlenmenschen sind, sondern eine eher ganzheitliche Herangehensweise bevorzugen. Zahlenmenschen wirken jedoch oft kühl und reserviert. Sie werden von Kollegen und Mitarbeitern durchaus anerkannt, aber man liebt sie nicht. Ein gegenseitiges Unverständnis evoziert geradezu schlechte Arbeitsergebnisse: Stillstand und Verweigerung sind vorprogrammiert – zum Schaden aller Beteiligten.23
Darüber hinaus ist die gerade in Managerkreisen weit verbreitete Zahlengläubigkeit mit einer ausgesprochenen Fixierung auf die nahe Zukunft verbunden. Besonders die quartalsgetriebenen Kapitalgesellschaften haben es sich zur Gewohnheit gemacht, den Fokus auf das operative Geschäft zulasten der Zukunft zu richten. Das Maßnahmen-Repertoire reicht in alle Winkel des Unternehmens: Die Aus- und Weiterbildung, die Maschinenwartung, Investitionen und das Marketing sind ebenso betroffen wie das Qualitätswesen sowie Forschung und Entwicklung (F&E). Reduktionen in F&E und in der Qualität sind sofort kostenwirksam, mindern aber kaum den aktuellen Umsatz und erhöhen damit sofort den Gewinn. Bis der Kunde merkt, dass Qualität und Innovationskraft zurückgegangen sind, ist so viel Zeit vergangen, dass der einst für seine guten Zahlen gefeierte Manager längst über alle Berge ist und als Jobhopper beim nächstgrößeren Unternehmen angeheuert hat. Auch eine Reduktion der Aufwendungen für Bildung mindert sofort die Kosten, nicht aber den Umsatz. Der Gewinn steigt, allerdings zulasten der Zukunft.
Mit diesem Ansatz erlangte Hartmut Mehdorn traurige Berühmtheit, in unseren Seminaren sprechen wir vom so genannten »Mehdorn-Effekt«. Mehdorn ist der ehemalige Chef der Deutschen Bahn. Danach wechselte er auf den Chefposten der mittlerweile abgewickelten Fluggesellschaft Air Berlin, um sich schließlich vergeblich der Fertigstellung des Berliner Flughafens (BER) zu widmen. Seine Manager-Ära bestimmten hinausgezögerte Ersatzinvestitionen ins deutsche Schienennetz und unzureichende Wartungsarbeiten an Lokomotiven und Waggons. Bahn-Mitarbeiter behaupten, dass diese Ära den deutschen Schienenverkehr bis heute belastet. Aktuell ist nur jeder 5. ICE, das Vorzeigemodell der Deutschen Bahn, voll funktionsfähig.24 Und die gesteigerte Reparaturintensität im Schienennetz fällt wohl jedem Fahrgast auf.
Die meisten Berichts- und Steuerungssysteme der Praxis unterstreichen diese schlechte Angewohnheit: Chefprotokoll (Tagesanalyse), kurzfristige Ergebnisrechnung (KER), betriebswirtschaftliche Analyse (BWA) und Quartalszahlen erhalten in den Unternehmen deutlich mehr Gewicht als längerfristige Zukunftsszenarien und strategische Planungen.
In einer Welt, die sich schnell verändert, sind schnelle Entscheidungen durchaus sinnvoll. Wenn dabei jedoch die Langfrist-Perspektive vernachlässigt wird, arten schnelle Entscheidungen oft genug in kurzfristigen, meist blinden Aktionismus aus. In der Folge wird verändert und umstrukturiert, ohne dabei die Überlebensfähigkeit des Unternehmens im Blick zu behalten.
Der westfälische Spruch »Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps« zeugt von einer Arbeitsmoral, die von Mühsal und Last geprägt ist. »Wir sind doch nicht zum Vergnügen hier«, hört man so manchen Chef tönen. Sogar: »Arbeit darf auch mal weh tun!« Um dem entgegenzuwirken, wurde der Begriff »Work-Life-Balance« erfunden: Die Blessuren der Arbeit, die offenbar nicht zum Leben gehört, werden im wahren Leben, also in der Freizeit, auskuriert.
Arbeit als Last ist eine Einstellung, die seit Generationen wirkt. Bereits die Vertreibung aus dem Paradies endete bekanntlich in der Aufforderung, die notwendige Arbeit von nun an im Schweiße des Angesichts zu verrichten.
Dabei könnte man meinen, dass die Arbeit durch wirtschaftliche und technische Errungenschaften immer erträglicher und damit menschenfreundlicher wird. Studien und Statistiken sprechen jedoch eine andere Sprache: Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck nehmen seit geraumer Zeit eher zu und gefährden die Gesundheit der Menschen.25 Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat diesen Widerspruch und die damit verbunden Gefahren erkannt und kommt in ihrer Studie zu folgenden Empfehlungen:
1.Den technischen Arbeitsschutz weiterentwickeln und ergänzen
2.Prospektive Gestaltung technisch-organisatorischer Arbeitssysteme intensivieren
3.Aufgabenbezogene Schlüsselfaktoren qualitativ konkretisieren und tätigkeitsspezifische Gestaltungsmodelle entwickeln
4.Arbeitszeit begrenzen und partizipativ gestalten
5.Arbeit und Erholung ausbalancieren
6.Führungskräfte und Beschäftigte als primäre Gestaltungsakteure stärken26
Ganz abgesehen davon, dass die von der Bundesanstalt verwendete Sprache akademisch geprägt ist und deshalb leider nur wenige Menschen erreichen dürfte, erscheint uns dieser Katalog gut gemeinter Empfehlungen kaum wegweisend. Vokabeln wie »weiterentwickeln, ergänzen, intensivieren, stärken« zeigen, dass sich die Bundesanstalt den Attitüden gewinnmaximierender Unternehmen angenähert hat nach dem Motto »schneller, höher, weiter« bzw. »mehr vom Gleichen«. Damit zeigt sie auch, dass sie sich eher als Flickschusterei und Reparaturbetrieb versteht, statt der Arbeitswelt grundsätzlich neue Impulse zu liefern. Ein ganzheitliches Konzept ist entsprechend nicht einmal im Ansatz zu erkennen. Sogar der als problematisch eingestufte Begriff »Work-Life-Balance« (siehe oben) feiert in der Empfehlung Nr. 5 ein Comeback. Einzig Empfehlung Nr. 4 ragt heraus und deutet einen Paradigmenwechsel an, wenngleich die darin geforderte partizipative Gestaltung der Arbeitszeit aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse kaum bzw. heute noch nicht umsetzbar erscheint.
Die Ursachen für Arbeits- und Leistungsverdichtung liegen nur vordergründig in den technologischen Entwicklungen und der Globalisierung: Zwar hat sich die Arbeitswelt durch wachsende Mobilität und zunehmende Digitalisierung (Computer, Handy und Internet) deutlich verändert und zu Erwartungen geführt, die die Arbeitsgeschwindigkeit rasant beschleunigt haben – Ähnliches gilt für die Globalisierung, die von der technologischen Entwicklung noch befeuert wurde –, doch die wahren Treiber für die Zunahme von Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck liegen in der Entmenschlichung der Arbeit durch das Gewinnmaximierungsprinzip. Die zunehmende Technisierung drängt den Menschen in den Hintergrund. Wo die Bedeutung der Technik auch für den Unternehmenserfolg steigt (– die Kapitalintensität hat deutlich zugenommen –), sinkt die Bedeutung des Menschen. Darüber wurde offenbar vergessen, dass der Produktionsfaktor Arbeit (= Mensch) keiner Wartung, sondern einer gänzlich anderen Pflege bedarf als der Produktionsfaktor Technik. So fragt der Grandseigneur unter den Managementtrainern, Josef Schmidt, mit Recht: »Maschinen kann man einschalten, Menschen müssen geführt werden. Beherrschen wir diese Fähigkeit der Unterscheidung noch?«27
Gesundheitsgefährdende Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck weisen vor allem auf ein unzulängliches, dunkles Führungsverhalten hin. Es mag sein, dass die Herstellung einfacher Produkte und die Erstellung von einfachen Dienstleistungen auch mit einer menschenverachtenden Grundhaltung gelingen. Doch zeigen zahlreiche Beispiele in der Unternehmenspraxis, dass einfachste Produkte und Dienstleistungen auch unter humaner Führung monetär einträglich sein können. Zum Beispiel ist die allsafe Group, die vergleichsweise einfache Produkte zur Ladungssicherung (Gurte und Gurtsysteme) herstellt, für eine menschengerechte Mitarbeiterführung bekannt und mehrfach ausgezeichnet worden. Und dm-Gründer Götz Werner hat gezeigt, dass diskontierende Drogeriemärkte keineswegs »mit harter Hand«, wie es bei Schlecker seinerzeit üblich war, geführt werden müssen. Doch besonders dort, wo es auf die Innovationskraft eines jeden Mitarbeiters ankommt, wo Fehlerkultur gelebt wird und wo ein wirksames Wissensmanagement praktiziert wird, erscheint eine humane Führung als Grundvoraussetzung für den Unternehmenserfolg unabdingbar.28
In diesem Kapitel haben wir unternehmenstypische Mechanismen wie Kontroll- und Anreizsysteme, Zahlengläubigkeit, Kurzfristdenken und Arbeitsverdichtung als Folge von Gewinnmaximierung interpretiert. Im nächsten Kapitel werden wir uns mit der Anatomie der Gewinnmaximierung auseinandersetzen. Es geht darum zu ergründen, was Gewinnmaximierung genau bedeutet und was sie in den Köpfen der Menschen anrichtet.
»Es muss viel mehr Unternehmen geben,
deren Ziel in erster Linie
nicht höchstmöglicher Gewinn ist,
sondern höchstmöglicher Nutzen für die Menschen.«29
Muhammad Yunus
Das Hauptziel von Unternehmen, das in der Betriebswirtschaftslehre unterrichtet wird, ist Gewinnmaximierung. Dabei gilt die Devise: Die Gewinnhöhe ist unbegrenzt, je höher die Gewinne, desto besser. Dass Unternehmen ihre Gewinne nicht nur maximieren, sondern maximieren sollen, wird in praktisch allen Lehrbüchern der Ökonomie vorausgesetzt. Es wird also nicht nur zu Analysezwecken unterstellt, Unternehmen verhielten sich so, als ob sie ihre Gewinne maximierten, sondern dieses Ziel wird auch ausdrücklich gutgeheißen und propagiert. Das heißt, die Wirtschaftswissenschaften stehen hier nicht auf analytischem, beschreibendem oder erklärendem, sondern auf ethischem Boden. Es wird unterrichtet, was getan werden soll.
Nun darf darüber gestritten werden, ob der Gewinn tatsächlich die wichtigste betriebswirtschaftliche Kenngröße ist, oder ob, dem renommierten Ökonomen Wilhelm Rieger folgend31, der Rendite, also dem Ertrag pro eingesetztem Euro dieser Rang zukommt. Jedenfalls wird dem Gewinn, der ja auch ein elementarer Bestandteil des Renditebegriffs ist, die herausragende Bedeutung zugemessen. Vor diesem Hintergrund ist die Gewinnmaximierung nicht, wie im Gablers Wirtschaftslexikon definiert, (irgend) eine Verhaltensannahme. Sie ist die Verhaltensannahme32 der Wirtschaftswissenschaft schlechthin, speziell der Betriebswirtschaftswissenschaft!
So heißt es im meistverbreiteten, etwa 1,5 Millionen Mal verkauften deutschen BWL-Lehrbuch33, dem »Wöhe«: »Für die traditionelle Betriebswirtschaftslehre ist das Prinzip langfristiger Gewinnmaximierung das oberste Formalziel, an dem betriebswirtschaftliche Entscheidungen ausgerichtet werden. (…) Das Gewinnstreben ist die Triebfeder unternehmerischen Handelns.«34
Generationen von angehenden Managern und Unternehmenslenkern wurde und wird diese Verhaltensannahme in der Schule, im Studium und in Weiterbildungsseminaren geradezu eingetrichtert. Gewinnmaximierung ist der (!) Glaubenssatz der Wirtschaft! Und dieser Glaubenssatz wird uns auch noch als »gesichertes Wissen« verkauft.35 Der Hochmut und die Selbstüberhebung der modernen Mainstream-Ökonomen sind kaum mehr zu überbieten.
Gern wird in diesem Zusammenhang mit erhobenem Zeigefinger darauf hingewiesen, dass eine kurzfristige Gewinnmaximierung zulasten der Zukunftsfähigkeit gehen kann. Zum Beispiel ließen sich Rohstoffe mit minderer Qualität zu einem günstigeren Preis einkaufen, was den Gewinn kurzfristig erhöht. Nach einer gewissen Zeit würden die Kunden diesen Qualitätsnachteil jedoch im Endprodukt bemerken, dem Unternehmen das Vertrauen entziehen und abwandern. Doch diese evident falsche Kurzfrist-Orientierung, die seitens der Wissenschaft schon lange angeprangert wird, soll an dieser Stelle nicht noch weiter breitgetreten werden.
Vielmehr geht es darum, die zentrale, die ganze BWL dominierende Verhaltensannahme Gewinnmaximierung, die mit Blick auf die Ausbildung von Wirtschaftsstudenten gleichzeitig eine massive Verhaltensempfehlung darstellt, generell unter die Lupe zu nehmen.
Eines vorab: Gegen die Erzielung von Gewinn ist selbstverständlich nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Ein Unternehmen, das dauerhaft keinen Gewinn erzielt, muss sich vom Markt verabschieden und kann somit seine Produkte und/oder Dienstleistungen fortan nicht mehr anbieten. Gewinne sind das Ergebnis guten Wirtschaftens. Es ist aber ein großer Unterschied, ob sie das Ergebnis oder das Ziel, das Motiv, die Handlungsmaxime wirtschaftlichen Handelns sind.36 Darüber hinaus zu fordern, dass sie maximal sein müssen, ist absurd. Schon Hermann Josef Abs (1901–1994), der frühere Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, wies auf diesen Unterschied hin: »Gewinne zu machen ist so wichtig wie die Luft zum Atmen. Es wäre traurig, wenn wir nur auf der Welt wären, um Luft zu atmen, genauso wie es schlimm wäre, würden wir nur Unternehmen führen, um Gewinne zu machen.«37
Außerdem möchten wir klarstellen, dass die allermeisten mittelständischen und kleinen Unternehmen anständig wirtschaften und anständige Produkte herstellen. Es sollen in keiner Weise Unternehmertum oder Manager als solche diskreditiert werden. Im Gegenteil: Das von den internationalen Kapitalmärkten ausgehende, an den Hochschulen gepredigte Gewinnmaximierungsprinzip unterhöhlt geradezu anständiges, verantwortungsvolles Unternehmertum und Management. Je weniger Unternehmer und Manager sich dem Druck des Gewinnmaximierungsprinzips ausgesetzt sehen, desto menschlicher können und dürfen sie handeln.
Die Forderung nach Gewinnmaximierung ist eine höchst extreme und damit eine radikale Forderung. Gewinnmaximierung fordert den einzelnen Akteur, den einzelnen Menschen dazu auf, als Unternehmer für sich persönlich oder als Manager für die Eigentümer so viel Gewinn zu erzielen, wie es irgend möglich ist. Auf die Spitze treibt dies der Delaware Supreme Court, das höchste Gericht des gleichnamigen Bundesstaates in den USA: Nach seinem Urteil im Zusammenhang mit feindlichen Unternehmensübernahmen aus dem Jahr 1985 »muss die Leitung eines Unternehmens der Eigentumsmehrung der Aktionäre alles – wirklich alles andere unterordnen«.38 So wird beispielsweise die Gewinnbeteiligung von Arbeitnehmern als Pflichtverletzung des Managements angesehen, auch wenn die Manager darauf hinweisen, dass diese Praxis einerseits als gerecht empfunden wird und andererseits die Motivation und Identifikation der Belegschaft steigert, um so den langfristigen Erfolg sicherzustellen. Solidarität und gegenseitige Unterstützung werden als Pflichtverletzung angesehen. Wo leben wir eigentlich?
Diese radikale Position wird in den Wirtschaftswissenschaften selten so pointiert artikuliert. Stattdessen wird die Gewinnmaximierung mithilfe mathematischer Modelle erläutert. Das Tückische daran: Erklärungen mit mathematischer Basis gelten als evident und werden kaum infrage gestellt, weder von den Professoren noch von den Studierenden. Bezeichnenderweise stammt das mathematische Modell, das der Gewinnmaximierung zugrunde gelegt wird, aus der Kurvendiskussion, die auch unter dem Namen Extremwertbestimmung bekannt geworden ist. Leider klingen die Glocken selbst bei dieser entlarvenden Bezeichnung nicht sofort, so tief verwurzelt erscheint der Glaube an eine Hilfswissenschaft, wie sie die Mathematik für die Wirtschaftswissenschaften darstellt.
»In unserem Jahrhundert ist die Tendenz, wissenschaftliche Vorstellungen und Theorien nach denen der Newtonschen Physik zu modellieren, in vielen Bereichen zu einem ernsten Handikap geworden, am allermeisten wohl in den Sozialwissenschaften.«39
Fritjof Capra
Ausgangspunkt der mathematischen Gewinnmaximierung bildet die sogenannte Preis-Absatz-Funktion, von der man annimmt, dass fallende Preise normalerweise eine steigende Nachfrage nach sich ziehen. Ausnahmen von dieser Regel (sogenannte inferiore Güter) sollen aus Gründen der Vereinfachung nicht betrachtet werden. Aus dieser Überlegung ergibt sich der nachfolgende grafische Zusammenhang:
Abb. 1: Preis-Absatz-Funktion
Aus dieser Preis-Absatz-Funktion, die in der Volkswirtschaftslehre auch Nachfragefunktion genannt wird, lässt sich unmittelbar eine Umsatzfunktion ableiten: Umsatz ist die Multiplikation aus Preis und Menge. Der Umsatz muss bei fallender Preis-Absatz-Funktion zwangsläufig einer Glockenform folgen, das heißt: Es gibt ein Umsatzmaximum mit nach beiden Seiten fallenden Umsätzen. Auf den Nachweis der Zwangsläufigkeit (im Sinne eines mathematischen Beweises) sei an dieser Stelle verzichtet. Ein Tableau zeigt beispielhaft, wie dieser Zusammenhang wirkt:
Abb. 2: Beispiel für die Umsatzentwicklung bei fallenden Preisen
Um das Gewinnmaximum zu bestimmen, muss nun noch eine Annahme über den Kostenverlauf erfolgen: Im Allgemeinen geht man davon aus, dass für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen auch dann Kosten anfallen, wenn nicht produziert wird: Gebäude müssen unterhalten, Mitarbeiter müssen bezahlt, Maschinen müssen gewartet werden. Diese »fixen« Kosten (im Volksmund auch »Sowieso-Kosten« genannt, weil sie »sowieso« anfallen) sind also auch dann anzusetzen, wenn die Produktion stillsteht. Mit der Produktion einer jeden Mengeneinheit fallen darüber hinaus sogenannte »variable« Kosten an. Vorstellbar sind Rohstoffe oder andere Materialien, die nur dann verbraucht werden, wenn produziert wird. Im einfachsten Fall geht man von einem linearen Anstieg dieser variablen Kosten aus. Es ist aber auch ein degressiver Anstieg denkbar, wenn man bedenkt, dass mit Steigerung der Einkaufsmenge Preisvorteile und/oder mit der Steigerung der Produktionsmenge Erfahrungsvorteile (weniger Fehler, schnellere Ausführung) genutzt werden. Die aus den Überlegungen zu den variablen und fixen Kosten resultierende Kostenfunktion ist in ihrer einfachen Ausführung als lineare Funktion in der Abbildung unten zu sehen. Darüber hinaus ist auch die Umsatzfunktion in Form der Glocke zu erkennen:
Abb. 3: Grafische Ermittlung des Gewinnmaximums
Nun lässt sich aus der Differenz von Umsatz und Kosten der Gewinn errechnen. Die Stelle, an der der maximale Gewinn erzielt wird, bezeichnet man im mathematischen Modell als Gewinnmaximum. Der maximale Gewinn lässt sich, wie im Beispiel zu sehen, geometrisch durch Parallelverschiebung der Kostenfunktion ermitteln. Auch eine formelmäßige Ermittlung (1. Ableitung der Gewinnfunktion [= Differenz zwischen Umsatz- und Kostenfunktion] gleich Null, 2. Ableitung kleiner Null) ist möglich, soll an dieser Stelle aber nicht vertieft werden. Die gewinnmaximale Menge kann nun unmittelbar abgelesen werden. Überträgt man diese Menge in die ursprüngliche Preis-Absatz-Funktion, lässt sich auch der gewinnmaximale Preis ermitteln.
Die mathematische Bestimmung des gewinnmaximalen Preises erscheint zunächst einmal plausibel, und doch führt sie aufs Glatteis:
1. Wenn der Gewinn die wichtigste Kennzahl darstellt, erscheint die Gewinnmaximierung als einzig richtiges Verhalten. Jede andere Orientierung, wie etwa das Ziel, eine maximale Versorgung zu erreichen oder jegliche Unterversorgung zu vermeiden, wird ausgeblendet und erscheint sogar als falsch. Einige (neo-)liberale Vertreter der Volkswirtschaftslehre sind sogar der irrigen Ansicht, das egoistische Anstreben des Gewinnmaximums führe wie von selbst, sozusagen automatisch, zum gesamtwirtschaftlichen Optimum. Diesem Aspekt widmen wir uns ausführlich im nächsten Abschnitt.
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