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Das Mittelmeer E-Book

David Abulafia

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Beschreibung

Das aufsehenerregende Standardwerk in opulenter Ausstattung – reich bebildert im Großformat. Die Geschichte eines einzigartigen Kulturraums neu erzählt. Über 3000 Jahre war Das Mittelmeer eines der großen Zentren der Zivilisation. Seine gesamte Geschichte wird hier von dem großen Historiker David Abulafia brillant erzählt, von der Errichtung der ersten geheimnisvollen Tempel auf Malta 3500 v. Chr. bis zu den heutigen Zielen des Massentourismus. Farbig lässt er die Geschichte der großen Hafenstädte – Alexandria, Saloniki, Triest – wiederauferstehen, berichtet von deren Einwohnern, dem Warenaustausch und den Handelswegen, die das große Meer durchzogen. Eine unglaubliche Vielfalt an Religionen, Bevölkerungen, Sprachen und Kulturen verbindet er so zu einer der ganz großen Geschichtserzählungen.

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Seitenzahl: 1400

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David Abulafia

Das Mittelmeer

Eine Biographie

 

Aus dem Englischen von Michael Bischoff

 

Über dieses Buch

 

 

Das einzigartige, opulente Werk zur Geschichte des Mittelmeers

 

Über seine Wasser fuhren Kaufleute, Pilger, Krieger und Seeräuber. An seinen Küsten siedelten sich die unterschiedlichsten Kulturen und Zivilisationen an. Seit über 3000 Jahren ist das Mittelmeer eines der großen Zentren unserer Zivilisation. Der große, britische Historiker David erzählt brillant dessen Geschichte: von der Errichtung der ersten geheimnisvollen Tempel auf Malta bis zum heutigen Ziel des Massentourismus an seinen Stränden. Farbig lässt er die großen Hafenstädte - Alexandria, Saloniki, Triest, Konstantinopel, Marseilles - wiederauferstehen. Wir erfahren von der Entstehung und Zerstörung ganzer Reiche, von Irrfahrten, Schrecken, Kriegen und Tragödien– und wir lernen die kulturelle, religiöse und sprachliche Vielfalt entlang der Küsten dieses Mare Nostrum kennen. Ein beeindruckendes, fulminantes Werk.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

David Abulafia, geboren 1949, ist Professor für die Geschichte des Mittelmeerraumes an der Universität Cambridge und Fellow am Gonville and Caius College und an der British Academy. Zudem ist er Mitglied der Academia Europa.

Für seine Arbeiten zur italienischen und mediterranen Geschichte wurde er 2003 zum Commendatore dell´Ordine della Stella della Solidarietà Italiana ernannt.

Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u.a. ›The Discovery of Mankind. Atlantic Encounters in the Age of Columbus‹ und ›The Mediterranean in History‹.

›Das Mittelmeer‹ wurde in viele Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Mountbatten Award for Literary Excellence.

Inhalt

[Widmung]

Vorwort

Einleitung Ein Meer mit vielen Namen

Teil I Das Erste Mediterrane Zeitalter 22000 bis 1000 v.Chr.

Kapitel 1 Isolation und Insellage 22000 bis 3000 v.Chr.

I

II

III

IV

Kapitel 2 Kupfer und Bronze 3000 bis 1500 v.Chr.

I

II

III

IV

Kapitel 3 Kaufleute und Heroen 1500 bis 1250 v.Chr.

I

II

Kapitel 4 Seevölker und Landvölker 1250 bis 1100 v.Chr.

I

II

III

IV

V

Teil II Das Zweite Mediterrane Zeitalter 1000 v.Chr. bis 600 n.Chr.

Kapitel 1 Die Purpurhändler 1000 bis 700 v.Chr.

I

II

III

IV

Kapitel 2 Die Erben des Odysseus 800 bis 550 v.Chr.

I

II

III

Kapitel 3 Der Triumph der Tyrrhener 800 bis 400 v.Chr.

I

II

III

IV

V

VI

Kapitel 4 Zum Garten der Hesperiden 1000 bis 400 v.Chr.

I

II

III

Kapitel 5 Thalassokratien 550 bis 400 v.Chr.

I

II

III

IV

Kapitel 6 Der Leuchtturm des Mittelmeeres 350 bis 100 v.Chr.

I

II

III

IV

Kapitel 7 »Karthago muss zerstört werden« 400 bis 146 v.Chr.

I

II

III

IV

V

VI

VII

Kapitel 8 »Unser Meer« 146 v.Chr. bis 150 n.Chr.

I

II

III

IV

V

Kapitel 9 Alter und neuer Glaube 1 bis 450 n.Chr.

I

II

III

IV

Kapitel 10 Auflösung 400 bis 600 n.Chr.

I

II

Teil III Das Dritte Mediterrane Zeitalter 600 bis 1350

Kapitel 1 Mediterrane Wellentäler 600 bis 900

I

II

III

IV

Kapitel 2 Überschreitung der Grenzen zwischen Christentum und Islam 900 bis 1050

I

II

III

Kapitel 3 Der große Gezeitenwechsel 1000 bis 1100

I

II

III

IV

V

Kapitel 4 »Der gottgegebene Profit« 1100 bis 1200

I

II

III

IV

Kapitel 5 Wege übers Meer 1160 bis 1185

I

II

Kapitel 6 Aufstieg und Untergang von Reichen 1130 bis 1260

I

II

III

IV

Kapitel 7 Kaufleute, Söldner und Missionare 1220 bis 1300

I

II

III

IV

Kapitel 8 Serrata – Schließung 1291 bis 1350

I

II

III

IV

Teil IV Das Vierte Mediterrane Zeitalter 1350 bis 1830

Kapitel 1 Träume von einer Erneuerung des Römischen Reiches 1350 bis 1480

I

II

III

IV

V

Kapitel 2 Veränderungen im Westen 1391 bis 1500

I

II

III

IV

Kapitel 3 Heilige Ligen und unheilige Allianzen 1500 bis 1550

I

II

III

IV

Kapitel 4 Akdeniz – der Kampf um das Weiße Meer 1550 bis 1571

I

II

III

IV

Kapitel 5 Störenfriede und Eindringlinge 1571 bis 1650

I

II

III

IV

Kapitel 6 Verzweiflung in der Diaspora 1560 bis 1700

I

II

III

IV

Kapitel 7 Ermutigung für andere 1650 bis 1780

I

II

III

IV

Kapitel 8 Der Blick durch die russische Brille 1760 bis 1805

I

II

III

IV

Kapitel 9 Deys, Beys und Paschas 1800 bis 1830

I

II

III

IV

V

VI

Teil V Das Fünfte Mediterrane Zeitalter 1830 bis 2010

Kapitel 1 Und sie werden zueinanderfinden 1830 bis 1900

I

II

Kapitel 2 Das Griechische und das Ungriechische 1830 bis 1920

I

II

III

IV

Kapitel 3 Der Abgang der Osmanen 1900 bis 1918

I

II

III

Kapitel 4 Eine Geschichte von viereinhalb Städten 1900 bis 1940

I

II

III

IV

Kapitel 5 Mare nostrum – nochmals 1918 bis 1945

I

II

III

Kapitel 6 Ein fragmentiertes Mittelmeer 1945 bis 1990

I

II

III

Kapitel 7 Das letzte Mediterrane Zeitalter 1950 bis 2010

I

II

III

Schluss Übers Meer

Zur weiteren Lektüre

Liste der Abbildungen

Register A–L

Register M–Z

[Bildteile]

a la memoria de mis antecesores

Vorwort

Eine »Geschichte des Mittelmeeres« kann vieles bedeuten. Dieses Buch ist eher eine Geschichte des Mittelmeeres als der Länder in seinem Umkreis. Genauer gesagt, handelt es sich um eine Geschichte der Menschen, die dieses Meer befuhren und an seinen Küsten in Hafenstädten oder auf Inseln lebten. Ich befasse mich hier mit dem Prozess, in dem das Mittelmeergebiet in unterschiedlichem Maße zu einem einzigen wirtschaftlichen, kulturellen und (mit den Römern) sogar politischen Raum wurde, und mit den Umständen, unter denen diese Integrationsphasen in einem zuweilen gewaltsamen Niedergang endeten, ob nun durch Krieg oder durch Pest. Ich unterscheide für das Mittelmeer insgesamt fünf Zeitalter: ein Erstes Mediterranes Zeitalter, das nach 1200 v.Chr. im Chaos versank, also etwa zu der Zeit, als Troja untergegangen sein soll; ein Zweites Mediterranes Zeitalter, das bis etwa 500 n.Chr. bestand; ein Drittes Mediterranes Zeitalter, das sich langsam herausbildete und zur Zeit der Großen Pest (1347) in eine tiefe Krise geriet; ein Viertes Mediterranes Zeitalter, das mit wachsender Konkurrenz aus dem atlantischen Raum und der Vorherrschaft atlantischer Mächte zu kämpfen hatte und das etwa um die Zeit endete, als 1869 der Suezkanal eröffnet wurde; und schließlich ein Fünftes Mediterranes Zeitalter, in dem das Mittelmeer ein Durchgangsgebiet zum Indischen Ozean wurde, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber überraschend eine neue Identität entwickelte.

Mein »Mittelmeer« beschränkt sich eindeutig auf das Meer selbst, samt seinen Küsten und Inseln und vor allem den Hafenstädten, die Ausgangs- und Zielpunkte für all jene waren, welche es befuhren. Diese Definition ist enger als die des großen Pioniers der Geschichte des Mittelmeerraums Fernand Braudel, die gelegentlich auch Regionen jenseits der Küstengebiete umfasste. Doch der Mittelmeerraum Braudels und der in seinem Gefolge arbeitenden Historiker war eine Landmasse, die sich weit über die Küstenregionen und das eigentliche Meeresbecken hinaus erstreckte, und noch immer gibt es eine Tendenz, den Mittelmeerraum über den Olivenanbau oder die ins Mittelmeer mündenden Flusstäler zu definieren. Dies hieße aber, die oft sesshaften und traditionalen Gesellschaften jener Täler in die Untersuchung einzubeziehen, in denen die Nahrungsmittel und Rohstoffe produziert wurden, mit denen man auf dem Mittelmeer Handel trieb, wodurch auch Landratten an Bord zu holen wären, die das Meer niemals gesehen haben. Natürlich kann man das Hinterland – die Ereignisse, die dort stattfanden, die Produkte, die dort erzeugt wurden oder ihren Weg durch diese Regionen nahmen – nicht außer Acht lassen, doch dieses Buch konzentriert sich auf die Menschen, die tatsächlich ihre Füße ins Wasser streckten oder, besser noch, selbst übers Meer fuhren und sich am kulturübergreifenden Seehandel, an der Verbreitung religiöser und sonstiger Ideen oder, ebenso bedeutsam, an Seekriegen um die Herrschaft über die Schiffsrouten beteiligten.

Obwohl das Buch recht lang geworden ist, gab es schwierige Entscheidungen darüber, welche Aspekte aufzunehmen und welche zu übergehen waren. Ausdrücke wie »vielleicht«, »möglicherweise« und »wahrscheinlich« finden sich seltener, als es angemessen erscheinen mag. Vor allem Aussagen über die Frühzeit ließen sich in dieser Weise einschränken, mit der Folge, dass hier für die Leser möglicherweise ein Schleier der Ungewissheiten entstünde. Mein Ziel war es, die Menschen, Vorgänge und Ereignisse zu beschreiben, die den Mittelmeerraum ganz oder teilweise verändert haben, statt eine Serie von Mikrogeschichten der Randgebiete zu verfassen, so interessant solche Teilgeschichten auch sein mögen. Ich habe mich deshalb auf jene Aspekte konzentriert, die meines Erachtens langfristig bedeutsam waren, wie etwa die Gründung Karthagos, die Entstehung Dubrovniks, der Einfluss der barbarischen Seeräuber oder der Bau des Suezkanals. Die religiösen Interaktionen nehmen viel Raum ein, und natürlich schenke ich den Konflikten zwischen Christen und Muslimen große Aufmerksamkeit, aber auch den Juden, die als Händler im Frühmittelalter und dann nochmals in der frühen Neuzeit eine herausragende Rolle spielten. Ab der klassischen Antike habe ich jedem Jahrhundert etwa gleich viel Raum gewidmet, denn ich wollte keines jener pyramidenartigen Bücher schreiben, in denen man die früheren Perioden rasch durcheilt, um möglichst schnell bei angenehm modernen Zeiten anzulangen. Doch die den einzelnen Kapiteln beigegebenen Jahreszahlen sind nur Näherungswerte, und gelegentlich werden zeitgleich an verschiedenen Enden des Mittelmeeres stattfindende Ereignisse in verschiedenen Kapiteln behandelt.

Der Mittelmeerraum, wie wir ihn heute kennen, wurde in der Antike von Phöniziern, Griechen und Etruskern geprägt, im Mittelalter von Genuesern, Venezianern und Katalanen, in den Jahrhunderten vor 1800 schließlich von holländischen, englischen und russischen Flotten. Tatsächlich spricht einiges für die These, wonach der Mittelmeerraum nach 1500 und ganz gewiss nach 1850 für die Weltpolitik und den Welthandel immer mehr an Bedeutung verlor. In den meisten Kapiteln konzentriere ich mich auf eine oder zwei Regionen, die meines Erachtens die Entwicklung in der Gesamtregion am besten zu erklären vermögen (Troja, Korinth, Alexandria, Amalfi, Saloniki usw.), doch das Gewicht liegt stets auf deren Verbindungen zum übrigen Mittelmeerraum und, wo dies möglich ist, auf einigen der Menschen, die diese Wechselwirkungen herbeiführten oder sie erlebten. Eine Folge dieses Ansatzes liegt darin, dass ich weniger über Fische und Fischer sage, als manche Leser dies erwarten mögen. Die meisten Fische verbringen ihr Leben unter der Wasseroberfläche, und Fischer fahren meist von ihrem Heimathafen aus aufs Meer hinaus, fangen ihre Fische (oft weit von ihrem Heimathafen entfernt) und kehren wieder an ihren Ausgangspunkt zurück. In der Regel liegt ihr Ziel nicht am anderen Ende des Meeres, wo sie mit anderen Menschen und Kulturen in Berührung kommen könnten. Die Fische, die sie von ihren Fangzügen mit nach Hause bringen, wurden durchaus auf die eine oder andere Weise weiterverarbeitet – zum Beispiel gesalzen oder eingelegt oder zu einer streng schmeckenden Sauce verarbeitet; von den Händlern, die diese Produkte exportieren, ist hier auch häufig die Rede, und frischer Fisch dürfte zudem die übliche Nahrung für die Schiffsbesatzungen gewesen sein. Aber die verfügbaren Daten sind hier offen gesagt spärlich, und auf das Geschehen unter der Wasseroberfläche richte ich meine Aufmerksamkeit erst mit dem Beginn der U-Boot-Kriegführung im frühen 20. Jahrhundert.

Ich hoffe, Sie werden bei der Lektüre dieses Buchs ebenso viel Freude haben wie ich beim Schreiben. Für die Einladung, dies zu tun, und für die begeisterte Ermutigung in der Folgezeit danke ich Stuart Proffitt von Penguin Books und meinem Agenten Bill Hamilton von A. M. Heath sowie für weitere Ermutigung Peter Ginna und Tim Bent bei meinem amerikanischen Verlag, Oxford University Press in New York. Besonders gefreut hat mich die Möglichkeit, einige der in diesem Buch erwähnten Orte erstmals oder erneut zu besuchen. Sehr hilfreich war für mich dabei die Gastfreundschaft, die mir eine Reihe von Gastgebern im Mittelmeerraum und darüber hinaus gewährt haben: Clive und Geraldine Finlayson vom Gibraltar Museum haben mich so herzlich wie immer aufgenommen und mir die Möglichkeit gegeben, nicht nur Gibraltar wiederzusehen, sondern auch einen Abstecher über die Straße von Gibraltar nach Ceuta zu machen. Charles Dalli, Dominic Fenech, ihre Kollegen am History Department der University of Malta, seine Exzellenz der britische Hochkommissar sowie Frau Archer und Ronnie Micallef vom British Council waren mir beispielhafte Gastgeber in Malta. Ihre Exzellenz die Botschafterin Maltas in Tunesien, Vickie-Ann Cremona, war mir gleichfalls eine ausgezeichnete Gastgeberin in Tunis und Mahdia. Der zu Recht für seine Gastfreundschaft berühmte Mohamed Awad öffnete mir die Augen für seine Heimatstadt Alexandria. Edhem Eldem zeigte mir unerwartete Winkel in Istanbul (und Alexandria). Relja Seferović vom Institut für kroatische Geschichte in Dubrovnik war mir eine große Hilfe dort, in Montenegro (in Herceg Novi und Kotor) und in Bosnien-Herzegowina (in Trebinje). Eduard Mira teilte mit mir in situ sein Wissen über das mittelalterliche Valencia. Olivetta Schena lud mich nach Cagliari ein, um dort meines verstorbenen Freundes Marco Tangheroni, des herausragenden Historikers des Mittelmeerraums, zu gedenken, und ermöglichte mir auch einen Besuch im antiken Nora. Etwas weiter davon entfernt, luden die historische Fakultät der Universität Helsinki und das finnische Außenministerium mich ein, meine Sicht auf die Geschichte des Mittelmeerraums in einer Stadt zu erweitern, deren riesige Festung oft das »Gibraltar des Nordens« genannt wird. Francesca Trivellato erlaubte mir, ihre ausgezeichnete Studie über Livorno schon vor deren Veröffentlichung zu lesen. Roger Moorhouse machte eine Vielzahl brauchbarer Illustrationen ausfindig, die oft schwer zu beschaffen waren. Bela Cinha war ein beispielhafter Korrektor. Meine Frau Anna erkundete gemeinsam mit mir Jaffa, Neve Tzedek, Tel Aviv, Tunis, Mahdia und weite Teile von Zypern. Sie ertrug es, dass sich in unserem bereits mit Büchern über den mittelalterlichen Mittelmeerraum vollgestopften Haus weitere Bücher über das antike und neuzeitliche Mittelmeer zu Bergen türmten. Meine Töchter Bianca und Rosa waren mir entzückende Begleiterinnen auf Reisen in verschiedene Ecken der Mittelmeerregion und beschafften mir Material zu diversen Themen wie Morisken und dem Barcelona-Prozess.

Sehr dankbar bin ich auch den Zuhörern in Cambridge, St. Andrews, Durham, Sheffield, Valletta und Frankfurt am Main für ihre hilfreichen Reaktionen auf eine Vorlesung über die Frage: »Wie schreibt man die Geschichte des Mittelmeerraums?« In Cambridge erhielt ich bibliographische und sonstige Ratschläge von Colin und Jane Renfrew, Paul Cartledge, John Patterson, Alex Mullen, Richard Duncan-Jones, William O’Reilly, Hubertus Jahn, David Reynolds und anderen, während Roger Dawe mir freundlicherweise ein Exemplar seiner großartigen kommentierten Übersetzung der Odyssee überließ. Charles Stanton las die erste Fassung und wies mich auf eine Reihe problematischer Punkte hin – unnötig zu sagen, dass Fehler allein auf mein Konto gehen. Alyssa Bandow ließ sich begeistert auf langwierige Diskussionen über die antike Wirtschaft ein, die mir halfen, meine Vorstellungen zu klären. Keine Institution reicht an die Kollegen in Cambridge und Oxford heran, wenn es darum geht, Ideen mit Menschen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Fachgebiete zu diskutieren, und ich verdanke mehr, als ich zu sagen vermag, der Anregung durch Fachkollegen im Caius College, aber auch durch andere Kollegen wie Paul Binski, John Casey, Ruth Scurr, Noël Sugimura und (bis vor kurzem) Colin Burrow sowie Victoria Bateman, deren Kommentare zum Text ich sehr schätze, und Michalis Agathacleous, der mir als Führer in Südzypern eine große Hilfe war. Die Classics Faculty Library bemühte sich besonders großzügig um die Erfüllung meiner Wünsche. Dasselbe gilt für Mark Statham und die Belegschaft der Gonville and Caius College Library. In der Schlussphase der Arbeit am Manuskript ergab es sich, dass ich Neapel wegen eines Vulkanausbruchs nicht verlassen konnte (dabei handelte es sich nicht um den Vesuv). In dieser Zeit boten mir Francesco Senatore und seine äußerst angenehmen Kolleginnen (Alessandra Perricioli, Teresa d’Urso, Alessandra Coen und viele andere) eine wunderbare Gastfreundschaft einschließlich der Benutzung eines Büros in der »Friedrich-II-Universität« und lebhafter Gespräche. Kurz nachdem der Himmel sich wieder aufgeklart hatte, konnte ich dank Katherine Fleming großen Nutzen aus der Gelegenheit ziehen, die Themen dieses Buchs bei einem Treffen in der Villa La Pietra, dem Florentiner Sitz der New York University, zu diskutieren. Noch weiter verfeinern konnte ich meine »Abschließenden Überlegungen« bei einem Aufenthalt in Norwegen, zu dem mich die stets überaus freundlichen Organisatoren eines Symposiums zur Feier der Verleihung des Holberg-Preises an Natalie Zemon Davis im Juni 2010 in Bergen eingeladen hatten.

Ich widme dieses Buch dem Andenken meiner Vorfahren, die das Mittelmeer über die Jahrhunderte mehrfach von einem Ende zum anderen überquerten: von Kastilien nach Safed und Tiberias im Heiligen Land, mit Zwischenstationen in Smyrna; meinem Großvater, der in entgegengesetzter Richtung von Tiberias nach Westen zog, und meiner Großmutter, die zurück über das Meer nach Tiberias ging; meinem Vorfahren Jacob Berab, der aus dem kastilischen Maqueda nach Safed kam; und den diversen Abulafias, Abolaffios und Bolaffis in Livorno und ganz Italien. Der Originaltitel des Buchs, Das Große Meer, ist der hebräische Name für das Mittelmeer, wie er in einer Lobpreisung erscheint, die aufgesagt werden soll, wenn man seiner ansichtig wird: »Gepriesen Seist Du, Herr unser Gott, König des Universums, der Du das Große Meer geschaffen hast.«

 

David Abulafia

Cambridge, 15. November 2010

EinleitungEin Meer mit vielen Namen

Das Meer »zwischen den Ländern«, wie das Mittelmeer im Englischen und in den romanischen Sprachen heißt, hat zahlreiche Namen. Für die Römer war es »Unser Meer«, für die Türken das »Weiße Meer« (Akdeniz), für die Juden das »Große Meer« (Yam gadol), für die Deutschen das »Mittelmeer« und für die alten Ägypter das »Große Grün«. In der Moderne wurde der Wortschatz um weitere Beiworte bereichert: das »Binnenmeer«; das »umschlossene Meer«; das »freundliche Meer«; das »gläubige Meer« mehrerer Religionen; das »bittere Meer« des Zweiten Weltkriegs; das »korrumpierende Meer« (Corrupting Sea ist der Titel eines 2000 erschienenen Buches von Purcell und Horden) aus Dutzenden von Mikroökologien, die in wechselseitigem Austausch stehen und sich dadurch verändern; der »flüssige Kontinent«, der wie ein echter Kontinent viele Völker, Kulturen und Ökonomien innerhalb genau definierter Grenzen umfasst. Und so ist es denn wichtig, zunächst einmal diese Grenzen zu definieren. Das Schwarze Meer schlägt an Küsten, von denen man seit der Antike Getreide, Sklaven, Pelze und Früchte in den Mittelmeerraum exportierte; es wurde allerdings von Händlern aus dem Mittelmeerraum durchdrungen, ohne dass die dortigen Einwohner an den politischen, wirtschaftlichen und religiösen Veränderungen im Umkreis des Mittelmeeres teilgenommen hätten – aufgrund ihrer Verbindungen zum Balkan, zu den Steppen und zum Kaukasus besaßen die Zivilisationen an den Küsten des Schwarzen Meeres ein anderes Gepräge und einen anderen Charakter als die Mittelmeerkulturen. Das gilt nicht für die Adria, die sehr stark am kommerziellen, politischen und religiösen Leben des Mittelmeerraums teilhatte, dank der Etrusker und der Griechen von Spina, der Venezianer und Ragusaner in Mittelalter und früher Neuzeit und dank der Geschäftsleute von Triest in der Moderne. In diesem Buch ziehe ich die Grenzen des Mittelmeeres dort, wo zunächst die Natur und dann der Mensch sie gesetzt hat: an der Straße von Gibraltar; an den Dardanellen, mit gelegentlichen Ausflügen nach Konstantinopel, da die Stadt als Brücke zwischen dem Schwarzen und dem Weißen Meer fungierte; und an der Küste, die sich von Alexandria bis nach Gaza und Jaffa erstreckt. Außerdem konzentriere ich mich auf die Hafenstädte entlang der Küsten, vor allem auf solche, in denen Kulturen einander begegneten und sich miteinander vermischten (Livorno, Smyrna, Triest usw.), und auf die Inseln, soweit deren Bewohner den Blick nach außen richteten – weshalb etwa die Korsen hier weniger behandelt werden als die Malteser.

Das mag eine engere Sicht des Mittelmeeres sein, als andere Autoren sie vermitteln, aber sie ist zweifellos konsistenter.

Bücher zur Geschichte des Mittelmeerraums befassen sich meist mit der Geschichte der Länder im Umkreis dieses Meeres und natürlich auch mit den Wechselwirkungen zwischen den betreffenden Ländern. Zwei Werke haben hier eine herausragende Stellung erlangt. Peregrine Hordens und Nicholas Purcells Corrupting Sea aus dem Jahr 2000 ist besonders reich an Ideen zur Agrargeschichte der Mittelmeerländer, wobei die Autoren davon ausgehen, dass eine Geschichte des Mittelmeeres die Küstenstreifen mindestens bis zu einer Tiefe von 15 Kilometern umfassen sollte. Sie zeigen einige fundamentale Aspekte der Austauschbeziehungen im Bereich des Mittelmeeres auf, nämlich die zahlreichen Verbindungen zwischen verschiedenen Punkten und deren Rückgang im Falle von Krisen. Doch letztlich befassen sie sich in erster Linie mit dem Geschehen an Land statt mit dem auf dem Meer. Und dann liegt über allen Historikern des Mittelmeeres der Schatten Fernand Braudels (1902–1985), dessen Buch Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche PhilippsII., das erstmals 1949 erschien, eines der originellsten und einflussreichsten Geschichtswerke des 20. Jahrhunderts darstellt. Ab den 1950er Jahren gab Braudel die Ausrichtung der Arbeit zahlreicher Forscher vor, die sich mit der Geschichte des Mittelmeeres beschäftigten – und zwar nicht nur in der von ihm untersuchten Epoche, sondern auch in früheren und späteren Perioden –, aber auch solcher Forscher, die sich nicht mit dem Mittelmeer, sondern mit dem Atlantik und anderen Meeren befassten. In seinen späteren Jahren lenkte er von seinem Lehrstuhl in der geheimnisvoll als Sixième Section bezeichneten Sektion der École Pratique des Hautes Études in Paris mit Würde und großer Distinguiertheit die Geschicke der hochangesehenen Historikerschule der Annales. Seine Ideen waren freilich über einen langen Zeitraum herangereift. Französische Intellektuelle wie der 1945 verstorbene Dichter und Essayist Paul Valéry hatten sich für den Gedanken einer den Franzosen, Spaniern und Italienern gemeinsamen »mediterranen Zivilisation« begeistert, die sowohl in den betreffenden Ländern als auch in deren kolonialen Besitzungen in Nordafrika und dem Nahen Osten präsent sei. Braudels Buch war das Ergebnis langjähriger Überlegungen, die er in Frankreich, in Algerien, in Brasilien und in deutschen Kriegsgefangenenlagern angestellt hatte. Er hatte eine intellektuelle Reise unternommen, die ihn von einer genaueren Untersuchung vergangener Politik, an der sich immer noch viele französische Historiker abarbeiteten, über die von Valéry postulierten mediterranen Identitäten bis zu einer von der Geographie informierten Geschichtsschreibung führte. Braudel bewies eine geradezu enzyklopädische Kenntnis der Geschichte des gesamten Mittelmeerraums nicht nur des 16. Jahrhunderts. Er bot eine neue, aufregende Antwort auf die Frage nach den wechselseitigen Beziehungen zwischen den im Umkreis des Meeres lebenden Gesellschaften. Den Kern seines Ansatzes bildet die Annahme einer »Geschichte, die nur langsame Wandlungen kennt«, und eine Neigung, das Individuum »eingebunden in ein Geschick zu sehen, das es kaum selber gestalten kann«.[1] Dieses Buch legt in beiden Fällen die entgegengesetzte Auffassung nahe. Während Braudel eine, wie man sagen könnte, horizontale Geschichte des Mittelmeeres bot, die deren Eigenarten durch die Erforschung eines bestimmten Zeitalters zu bestimmen versuchte, bemühe ich mich hier um eine vertikale Geschichte des Mittelmeeres, die den Schwerpunkt auf den zeitlichen Wandel legt.

Braudel demonstrierte fast schon Verachtung für die politische Geschichte im Sinne von »Ereignissen« (»histoire événementielle«).[2] In seinen Augen bestimmte die Geographie des Mittelmeerraums, was dort geschah. Er behandelte Politik und Krieg erst am Ende seines Buches, dessen eigentliche Stärke auf einem anderen Gebiet lag, nämlich im Verständnis der Landschaft der im Umkreis des Meeres gelegenen Länder und bedeutsamer Eigenschaften des Meeres selbst – der Winde und Meeresströmungen, die mitbestimmten, auf welchen Wegen die Menschen es überquerten. Tatsächlich dehnte Braudel den Mittelmeerraum weit über das eigentliche Meer hinaus auf all jene Länder aus, deren Wirtschaftsleben in irgendeiner Weise vom dortigen Geschehen bestimmt wurde. Gelegentlich brachte er es sogar fertig, Krakau und Madeira in seine Überlegungen einzubeziehen. In seinem Gefolge legt John Pryor großes Gewicht auf die Beschränkungen, die Wind und Strömungen den Seefahrern auferlegten. Er glaubt, die Navigatoren des Mittelalters und der frühen Neuzeit hätten große Schwierigkeiten gehabt, an der nordafrikanischen Küste entlangzusegeln, und er betont die Bedeutung der Segelsaison zwischen Frühjahr und Herbst, in der es möglich war, mit günstigen Winden über das Mittelmeer zu segeln. Horden und Purcell wenden dagegen ein, die Seeleute wären bereit gewesen, weitere Routen zu erkunden, auf denen Wind und Strömung weniger günstig gewesen seien, für deren Nutzung aber andere Interessen – kommerzieller oder politischer Art – ausschlaggebend waren.[3] Den Kräften der Natur habe man mit Geschick und Einfallsreichtum begegnen können.

Die physikalischen Eigenschaften dieses Meeres sind durchaus nicht vollständig geklärt. Einige Merkmale des Mittelmeeres resultieren aus seinem Charakter als Binnenmeer. In geologisch weit zurückliegenden Zeiten war es rundum abgeschlossen. In der Zeit vor zwölf bis fünf Millionen Jahren erreichte die Verdunstung einen Punkt, an dem das Mittelmeerbecken zu einer tiefgelegenen, leeren Wüste wurde. Nach dem Durchbruch des Atlantik füllte sich das Becken, wie man annimmt, innerhalb weniger Jahre. Das Mittelmeer verliert durch Verdunstung mehr Wasser, als die darin einmündenden Flusssysteme ersetzen können – was kaum überrascht, wenn man bedenkt, wie kümmerlich einige dieser Flüsse sind, etwa die Flüsschen auf Sizilien und Sardinien oder die historisch, aber nicht wegen ihrer Wassermengen bedeutsamen Flüsse Tiber und Arno (der Arno wird oberhalb von Florenz im Hochsommer zu einem bloßen Rinnsal). Gewiss, das Mittelmeer erhält beträchtliche Wassermengen aus dem gewaltigen Flusssystem des Nils, und auch der Po sowie die Rhône leisten einen gewissen Beitrag. Von den europäischen Flüssen tragen indirekt die Donau und die russischen Flusssysteme zur Wasserversorgung des Mittelmeeres bei, denn das Schwarze Meer erhält Wasser aus mehreren großen Arterien, die sich bis tief in die Landmasse hineinziehen. In der Folge besitzt das Schwarze Meer einen Überschuss an nicht verdunstetem Wasser und sorgt so für eine starke Strömung, die sich an Istanbul vorbei in die nordöstliche Ägäis ergießt. Doch dadurch werden nur vier Prozent des Verdunstungsverlustes im Mittelmeer ersetzt. Die Hauptquelle für den Ersatz des Verdunstungsüberschusses ist der Atlantik, aus dem ständig kaltes Wasser ins Mittelmeer strömt. Aber es gibt auch eine gegenläufige Strömung, und da das Wasser des Mittelmeeres (wegen der Verdunstung) salziger und schwerer ist, bewegt sich das einströmende Wasser über dem ausströmenden.[4] Für den Fortbestand des Mittelmeeres ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass es an beiden Seiten offen ist. Die Eröffnung eines dritten Kanals bei Suez hatte nur geringfügige Auswirkungen, da die Route hier durch enge Kanäle führt, doch auf diesem Wege gelangten einige neue Fischarten aus dem Roten Meer und dem Indischen Ozean ins Mittelmeer.

Das aus dem Atlantik einströmende Wasser hinderte mittelalterliche Seefahrer, regelmäßig durch die Straße von Gibraltar auf den Atlantik hinaus-, nicht aber Wikinger, Kreuzfahrer und andere, in das Mittelmeer hineinzufahren. Die wichtigsten Meeresströmungen folgen von Gibraltar aus der nordafrikanischen Küste, biegen dort nach Norden ab, vorbei an Israel und dem Libanon, umrunden Zypern, durchqueren die Ägäis, die Adria und das Tyrrhenische Meer und kehren entlang der französischen und spanischen Küste zurück zu den Säulen des Herkules.[5] Diese Meeresströmungen hatten großen Einfluss auf die Leichtigkeit, mit der Schiffe das Mittelmeer befahren konnten, zumindest in den Zeiten der Ruder und Segel. Wie man bewiesen hat, war es auch möglich, die Strömungen im Mittelmeer zu nutzen, um gegen den Wind zu kreuzen. Die Wettersysteme der Region bewegen sich bevorzugt in West-Ost-Richtung, so dass man den Wind nutzen konnte, um im Frühjahr Schiffsladungen von den Häfen zwischen Barcelona und Pisa nach Sardinien, Sizilien und in die Levante zu transportieren, während im Winter das nordatlantische Wettersystem den größten Einfluss im westlichen Mittelmeer besitzt und im Sommer das über den Azoren liegende subtropische Atlantikhoch. Der Mistral, der kalte Luft in die Täler der Provence strömen lässt, bringt im Winter feuchtes und windiges Wetter, doch er hat viele nahe Verwandte wie die Bora oder Tramontana Italiens und Kroatiens. John Pryor hat darauf hingewiesen, dass der »Golfe du Lion«, der »Löwengolf«, vor der Küste der Provence deshalb so genannt wird, weil das Tosen des Mistrals an das Brüllen eines Löwen erinnert.[6] Niemand sollte die Unerquicklichkeit oder Gefahren eines Wintersturms auf dem Mittelmeer unterschätzen, auch wenn unser Bild des Mittelmeeres heute das eines sonnenüberfluteten Meeres ist. Gelegentlich entwickeln sich über der Sahara Tiefdrucksysteme, die nach Norden ziehen und deren unangenehme Winde unter Bezeichnungen wie Scirocco (Italien), Xaloc (Katalonien) oder Chamsin (Israel, Ägypten) bekannt sind. Dabei können sich große Mengen roten Saharastaubs in den Ländern im Umkreis des Mittelmeeres ansammeln. Solange die Schiffe auf Segel angewiesen waren, machten die vorherrschenden Nordwinde die Navigation entlang der nordafrikanischen Küste gefährlich, da sie die Schiffe auf Sandbänke und Riffe an den Südküsten des Mittelmeeres zu werfen drohten, während die vielfach steiler ins Meer abfallenden Nordküsten (wie Pryor gleichfalls anmerkt) auch wegen der vielen Buchten und Strände für die Navigatoren weitaus angenehmer waren. Doch die Buchten waren zugleich auch von jeher eine Versuchung für Piraten, die nach Schlupfwinkeln und Verstecken suchten.[7] Die Fahrt von West nach Ost, der berühmte Levante-Handel des Mittelalters, war leichter für Schiffe zu bewältigen, die im Frühjahr in Genua oder Marseille in See stachen und entlang der Nordküsten des Mittelmeeres, an Sizilien, Kreta und Zypern vorbei nach Ägypten fuhren. Den direkten Seeweg von Kreta zur Mündung des Nils nahmen erst später die ersten Dampfschiffe. Natürlich können wir uns nicht ganz sicher sein, dass die Winde und Strömungen damals dieselben waren wie heute. Doch in antiken und mittelalterlichen Quellen finden sich ausreichend Hinweise auf Nordwestwinde wie den Boreas, die belegen, dass die Bora eine sehr lange Geschichte hat.

Klimatische Veränderungen konnten beträchtliche Auswirkungen auf die Produktivität der am Mittelmeer gelegenen Landstriche haben, mit Folgen für den mediterranen Getreidehandel, der in Antike und Mittelalter so große Bedeutung besaß und dann seine Vorrangstellung einbüßte. Eine Abkühlung des Klimas im 16. und 17. Jahrhundert erklärt zumindest zum Teil, weshalb die Anbauflächen für Getreide zurückgingen und der Import von Getreide aus Nordeuropa erstaunliche Ausmaße erreichte, was wiederum die Stellung holländischer und deutscher Kaufleute im Mittelmeerraum festigte. Die Austrocknung der Küstenregionen dürfte für einen Klimawandel sprechen, auch wenn die Hand des Menschen hier vielfach deutlich sichtbar ist. In Nordafrika führten neue Wellen arabischer Invasionen im 11. und 12. Jahrhundert möglicherweise zu einer Vernachlässigung der Dämme und Bewässerungswerke, so dass die Landwirtschaft Schaden nahm. Der wirtschaftliche Niedergang Kleinasiens in der Spätzeit des Römischen Reiches hatte zur Folge, dass Weingärten und Olivenhaine aufgegeben wurden, deren Terrassen Erde festgehalten hatten, die nun in die Flüsse geschwemmt wurde und deren Versandung bewirkte.[8] In moderner Zeit veränderten Staudämme, vor allem der Assuan-Staudamm in Oberägypten, das Muster der Wasserzuflüsse ins Mittelmeer, mit Auswirkungen auf Strömungen und Feuchtigkeit. Es war der Mensch, der den jahreszeitlichen Zyklus des Nils und damit auch ganz entscheidend das wirtschaftliche Leben Ägyptens veränderte, indem er den jährlichen Überschwemmungen ein Ende setzte, die einst die alten Ägypter ihren Göttern zugeschrieben hatten. Andererseits waren die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten nach Ansicht des Geographen Alfred Grove und des Ökologen Oliver Rackham für die mediterrane Umwelt weniger gravierend als gemeinhin angenommen, da die Natur im Mittelmeerraum die Fähigkeit bewiesen habe, sich von klimatischen und anderen Veränderungen wie auch vom Raubbau durch den Menschen zu erholen. Der Mensch bestimme nicht, wie das Klima sich entwickelte, zumindest gelte das für die Zeit vor dem 20. Jahrhundert. Und obwohl die Erosion auf den Menschen zurückgehe, sei auch sie ein natürlicher Vorgang, den es schon zu Zeiten der Dinosaurier gegeben habe. Ein Bereich, in dem oft auf den menschlichen Einfluss verwiesen wird, ist die Abholzung der Wälder, die auf Sizilien, auf Zypern und entlang der spanischen Küste beträchtliche Auswirkungen hatte. Der Nachfrage nach Bauholz für Schiffe folgte die Rodung von Flächen für neue oder erweiterte Städte und Dörfer, aber auch hier lasse sich argumentieren, dass es oft zu einer natürlichen Regeneration gekommen sei. Weniger optimistisch äußeren Grove und Rackham sich über die Zukunft des Mittelmeerraums, da Raubbau an Wasservorräten und Fischbeständen getrieben werde und in manchen Gebieten eine Verwüstung drohe, die sich noch verstärken werde, wenn glaubwürdige Voraussagen zur globalen Erwärmung auch nur teilweise Wirklichkeit würden.[9] Blicke man jedoch zurück auf die Geschichte des Mittelmeerraums, erkenne man eine Symbiose zwischen Mensch und Natur, die heute möglicherweise ein Ende finde.

Dieses Buch leugnet nicht die Bedeutung von Winden und Meeresströmungen, möchte jedoch die Erfahrungen in den Vordergrund stellen, die die Menschen machten, wenn sie über das Meer fuhren oder in Hafenstädten und auf Inseln lebten, deren Überleben vom Meer abhing. Der Mensch hat die Geschichte des Mittelmeeres stärker geprägt, als Braudel jemals eingeräumt hätte. Das Buch verweist auf zahlreiche politische Entscheidungen: Kriegsflotten, die in See stechen, um Syrakus oder Karthago, Akko oder Famagusta, Menorca oder Malta zu erobern. Die strategische Bedeutung einiger dieser Orte hing in entscheidendem Maße von der Geographie ab – nicht nur von Wind und Wellen, sondern auch von anderen Beschränkungen: Auf Handelsschiffen mochte man Nahrung und Wasser für mehrere Wochen mit sich führen, doch Kriegsschiffe hatten nicht genügend Platz, um solch sperriges Gut in größeren Mengen unterzubringen. Diese einfache Tatsache bedeutete, dass die Herrschaft über das offene Meer eine gewaltige Herausforderung darstellte, zumindest im Zeitalter der Segelschiffe. Ohne Zugang zu freundlich gesonnenen Häfen, in denen man Proviant aufnehmen und Schiffe reparieren lassen konnte, vermochte keine Macht die Herrschaft über Schiffsrouten zu erlangen, so viele Kriegsschiffe sie auch besitzen mochte. Bei Konflikten um die Herrschaft über das Mittelmeer ging es daher oft eher um die Kontrolle über Küsten, Häfen und Inseln als über das offene Meer.[10] Um der ständigen Bedrohung durch Seeräuber Herr zu werden, war es oft notwendig, schmutzige Geschäfte mit Piraten und deren Herren abzuschließen und den freien Durchgang von Handelsschiffen durch Geschenke oder Bestechungsgelder zu sichern. Vorgeschobene Außenposten waren hier von unschätzbarem Wert. Korfu war wegen seiner geographischen Lage über Jahrhunderte sehr gefragt bei allen, die den Zugang zur Adria kontrollieren wollten. Die Katalanen und später die Briten bauten eine Kette von Besitzungen im Mittelmeer auf, die ihren wirtschaftlichen und politischen Interessen gute Dienste leistete. Seltsamerweise besaßen allerdings die als Stützpunkte ausgewählten Orte häufig schlechte Häfen. Physikalische Vorzüge waren nicht das Einzige, was zählte. Alexandria war wegen der oft rauen See schwer zu erreichen, das mittelalterliche Barcelona bot kaum mehr als einen Strand, Pisa nicht mehr als ein paar Ankerplätze in der Nähe der Arnomündung, und noch in den 1920er Jahren mussten Schiffe, die nach Jaffa kamen, auf Reede entladen werden. Der Hafen von Messina lag in der Nähe der unruhigen Gewässer, die von antiken Autoren als Skylla und Charybdis bezeichnet wurden.[11]

Die Geschichtswissenschaft hat sich mit Irrationalem ebenso zu befassen wie mit Rationalem, mit Entscheidungen, die von Individuen oder Gruppen getroffen wurden und nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden nur schwer nachzuvollziehen sind und vielleicht schon zu ihrer Zeit nur schwer zu verstehen waren. Doch geringfügige Entscheidungen konnten wie der Flügelschlag eines Schmetterlings gewaltige Folgen haben: Die Rede eines Papstes 1095 n.Chr. im französischen Clermont, gespickt mit einer unbestimmten, aber leidenschaftlichen Rhetorik, vermochte eine fünfhundertjährige Geschichte von Kreuzzügen zu entfesseln. Streitigkeiten zwischen rivalisierenden türkischen Kommandeuren, denen eine charismatische Führung auf christlicher Seite gegenüberstand, konnten eine überraschende Niederlage osmanischer Armeen und Kriegsflotten herbeiführen wie in Malta 1565 – und selbst dann schickten die Spanier langsamer Unterstützung, als es notwendig gewesen wäre, und riskierten damit den Verlust der Gewässer um Sizilien, eine ihrer wertvollsten Besitzungen. Schlachten wurden gegen jede Wahrscheinlichkeit gewonnen. Die Siege brillanter Flottenkommandeure wie Lysander, Roger de Lauria und Horatio Nelson veränderten die politische Karte des Mittelmeeres und vereitelten die imperialen Pläne Athens, Neapels oder des napoleonischen Frankreich. Kaufherren stellten ihren Profit über die Sache des christlichen Glaubens. Das Rouletterad dreht sich, und das Ergebnis ist nicht vorherzusagen, doch es ist die Hand des Menschen, die das Rad in Gang setzt.

Teil IDas Erste Mediterrane Zeitalter 22000 bis 1000 v.Chr.

Kapitel 1Isolation und Insellage 22000 bis 3000 v.Chr.

I

Das Mittelmeer, vor Millionen von Jahren entstanden, lange bevor die ersten Menschen seine Küsten erreichten, wurde zu einem »Meer zwischen den Ländern«, das die einander gegenüberliegenden Küsten verband, als die Menschen es auf der Suche nach Lebensraum, Nahrung und anderen lebenswichtigen Ressourcen zu überqueren begannen. Frühformen des Menschen bewohnten die ans Mittelmeer angrenzenden Gebiete schon 435000 Jahre vor unserer Zeit. Darauf verweist ein Lager von Jägern, das man in der Nähe des modernen Rom gefunden hat. Andere errichteten in Terra Amata bei Nizza eine einfache Hütte aus Ästen und bauten mitten in ihrer Wohnstatt einen Herd. Ihre Nahrung bestand aus dem Fleisch von Nashörnern und Elefanten, von Rotwild, Kaninchen und Wildschweinen.[1] Wann die ersten Menschen sich hinaus auf Meer wagten, wissen wir nicht genau. Die American School of Classical Studies in Athen gab 2010 bekannt, dass man auf Kreta Faustkeile aus Quarz entdeckt hat, die älter als 130000 Jahre sind, was darauf hindeutet, dass frühe Menschenformen einen Weg gefunden hatten, über das Meer nach Kreta zu gelangen, auch wenn sie möglicherweise auf Sturmtrümmern dorthin verschlagen wurden.[2] Höhlenfunde in Gibraltar beweisen, dass vor 24000 Jahren eine andere Menschenart von dort über das Meer zum Dschebel Musa hinüberschaute, der auf der gegenüberliegenden afrikanischen Seite der Meerenge deutlich zu sehen ist. Die ersten Knochen eines Neandertalers wurden 1848 entdeckt, und zwar handelte es sich um Knochen einer Frau, die in einer Höhle im Felsen von Gibraltar gelebt hatte. Da diese Funde nicht sogleich als Überreste einer anderen Menschenart erkannt wurden, erhielt diese Spezies ihren Namen erst acht Jahre später, als man im Neandertal bei Düsseldorf auf ähnliche Knochen stieß. Der Neandertaler müsste also eigentlich Gibraltar-Frau heißen. Die Neandertaler von Gibraltar nutzten das Meer vor der Küste ihres Lebensraums. Zu ihrer Nahrung gehörten Schalentiere und Krebse und sogar Schildkröten und Robben, obwohl ihre Felsenhöhlen damals durch eine Ebene vom Meer getrennt waren.[3] Es gibt jedoch keine Hinweise auf eine Neandertalerpopulation in Marokko, das von Vertretern unserer eigenen Menschenart, des Homo sapiens sapiens, kolonisiert wurde. Die Meerenge sorgte offenbar für eine Trennung der beiden Menschenarten.

In der langen Phase des Unteren und Mittleren Paläolithikums (»Frühe und Mittlere Altsteinzeit«) wurde das Mittelmeer wahrscheinlich selten befahren. Allerdings waren einige heutige Inseln damals über Landbrücken erreichbar, die später durch den Anstieg des Meeresspiegels überflutet wurden. In der Cosquer-Höhle bei Marseille finden sich Ritzzeichnungen von Homo sapiens, die schon um 27000 v.Chr., und Höhlenmalereien, die vor 19000 v.Chr. entstanden. Der Eingang der Höhle liegt heute unter Wasser, doch als sie bewohnt war, befand sich die Küste des Mittelmeeres mehrere Kilometer entfernt. Der erste klare Beweis für kurze Überfahrten stammt aus dem Oberen Paläolithikum, um 11000 v.Chr. Damals setzten Besucher den Fuß auf die Insel Melos in der griechischen Inselgruppe der Kykladen, und zwar auf der Suche nach Obsidian, einem vulkanischen Glas, das sich besser als Feuerstein für scharfkantige Werkzeuge eignete. In Sizilien finden sich Dutzende paläolithische Fundorte aus derselben Zeit, viele davon an der Küste, wo die Menschen in großen Mengen Weichtiere verspeisten, aber auch Füchse, Wildschweine und Rotwild jagten. Sie kümmerten sich um ihre Toten, indem sie den Leichnam mit einer Ockerschicht überzogen und sie gelegentlich auch mit verzierten Halsketten begruben. An der Westspitze der Insel bewohnten sie die am weitesten östlich gelegenen Inseln der Ägadischen Inselgruppe (die damals wahrscheinlich noch mit Sizilien verbunden war). Auf einer von ihnen, der Insel Levanzo, schmückten sie um 11000 v.Chr. eine Höhle mit geritzten und gemalten Figuren. Unter den geritzten Figuren finden sich Hirsche und Pferde, die lebendig und recht realistisch gezeichnet sind. Die gemalten Figuren sind eher schematische, grob gezeichnete Darstellungen von Menschen, die, wie man annimmt, aus einer etwas späteren Zeit stammen. Die Zeichnungen und Malereien aus den sizilianischen Höhlen belegen die Existenz einer Gesellschaft von Jägern und Sammlern, die, wie wir aus anderen Funden wissen, in der Lage war, aus Feuerstein und Quarzit brauchbare Werkzeuge zu schaffen, und zu deren Ritualen auch die imitative Magie gehörte, die das Jagdglück beeinflussen sollte. Sie jagten mit Pfeil und Bogen und mit Speeren. Sie wohnten in Höhlen und Grotten, aber auch in Lagern, die sie im Freien anlegten. Sie lebten weit verstreut, und obwohl ihre Vorfahren Sizilien auf Booten – welcher einfachen Bauart auch immer – erreicht hatten, brachen spätere Generationen nicht zu einer Erkundung des Meeres auf.[4]

In ihrer Lebensweise unterschieden sich die ersten Bewohner Siziliens nicht sonderlich von den Menschen, die seit Hunderten von Generationen an den Küsten des Mittelmeeres verstreut lebten, von denen sie aber dennoch isoliert waren. Das heißt nicht, dass es ihrem Leben an Komplexität gefehlt hätte. Ein Vergleich mit nomadischen Jägern und Sammlern in Australien oder am Amazonas legt den Gedanken nahe, dass Familien und Gruppen seit Jahrtausenden von elaborierten Mythen und Ritualen zusammengehalten werden, und zwar unabhängig vom technologischen Niveau. Wenn es überhaupt zu Veränderungen kam, setzten sie sich nur sehr langsam durch und bestanden durchaus nicht immer nur in »Verbesserungen«, wie man dies nennen könnte, denn Fertigkeiten wie die der Höhlenkünstler konnten sowohl erworben werden als auch verlorengehen. Um 8000 v.Chr. kam es zu einer sehr langsamen Erwärmung. Das führte zu Veränderungen der Flora und der Fauna und veranlasste manche kleinen Menschengruppen, sich auf der Suche nach ihrer gewohnten Beute in Bewegung zu setzen, während andere Gruppen nach alternativen Nahrungsangeboten Ausschau hielten, vor allem nach solchen aus dem Meer. Als die Eiskappen abschmolzen, stieg der Meeresspiegel langsam an, insgesamt um 120 Meter. Die heutigen Umrisse des Mittelmeeres wurden sichtbar, als Vorgebirge zu Inseln wurden und die Küstenlinien etwa ihre heutige Gestalt annahmen. Doch all das geschah so langsam, dass man es kaum wahrnehmen konnte.[5]

Es gab nur wenig soziale Differenzierung innerhalb dieser kleinen Gruppen, die auf der Suche nach Nahrung umherschweiften, hier einen günstig gelegenen Hügel, dort eine passende Bucht fanden und in großen Zickzacklinien von einem Siedlungsplatz zum anderen wanderten. Wenn Gruppen eine Gegend besser kennenlernten, passten sie ihre Ernährung und ihre Bräuche an diese Region an. Möglicherweise entstand eine tiefere Bindung an das Land, wenn sie ihre Toten dort begruben und Höhlen verzierten. Gelegentlich wanderten Steinwerkzeuge von einer Hand oder auch von einer Gemeinschaft in die andere oder wurden bei Auseinandersetzungen zwischen Stämmen erbeutet. Im Wesentlichen waren die Gruppen jedoch Selbstversorger und lebten von den Tieren, Fischen und Früchten, die Land und Meer ihnen boten. Obwohl die Besiedlung sehr dünn blieb und in Sizilien allenfalls ein paar tausend Menschen gleichzeitig lebten, hatten Klimawandel und menschliche Eingriffe doch zunehmend Auswirkungen auf den Tierbestand. Die größeren Tiere begannen zu verschwinden, vor allem die Wildpferde, die schon vor dem Menschen nach Sizilien gekommen waren, als noch eine Landbrücke zwischen der Insel und dem italienischen Festland bestand. Diese Pferde wurden auf den Höhlenzeichnungen von Levanzo dargestellt und lieferten damals ein riesiges Festmahl.

In der als Mesolithikum (»Mittlere Steinzeit«) bekannten Übergangsperiode bis etwa 5000 v.Chr., als die Werkzeuge langsam verfeinert wurden, Tierhaltung, Keramik und Getreideanbau jedoch noch fehlten, entnahmen die prähistorischen Sizilianer ihre Nahrung zunehmend dem Meer. Sie fischten Seebrassen und Zackenbarsche, und in archäologischen Fundstätten stieß man auf große Mengen Muschelschalen, die teilweise mit Ritzmustern und rotem Ocker verziert waren. Um 6400 v.Chr. entstand im heutigen Tunesien die Capsien-Kultur, deren Ernährung in erheblichem Maße aus Schalentieren bestand und die an der Küste große Haufen aus Muschelschalen und Schneckengehäusen hinterlassen hat.[6] Weiter östlich, in der Ägäis, fuhren Seefahrer des Oberen Paläolithikums und des Mesolithikums gelegentlich an der Inselkette der Kykladen vorbei bis nach Melos, sammelten dort Obsidian und brachten es zurück zu Höhlenfundorten auf dem griechischen Festland, zum Beispiel in die 120 Kilometer von Melos entfernte Franchthi-Höhle. Ihre Boote bauten sie wahrscheinlich aus Schilfrohr, das sie mit kleinen, scharfkantigen Steinwerkzeugen, den von ihnen entwickelten »Mikrolithen«, zuschnitten. Da der Meeresspiegel immer noch nicht die heutige Höhe erreicht hatte, waren die Abstände zwischen den Inseln kleiner als heute.[7] Auch im mesolithischen Sizilien kannte man Obsidian, das man auf den Vulkaninseln der Liparischen Inselgruppe vor der Nordostküste Siziliens fand. Man wagte sich inzwischen auch aufs offene Meer hinaus, wenn auch nur lokal und gelegentlich, aber doch schon in der Absicht, kostbare Rohstoffe zu beschaffen, aus denen sich bessere Werkzeuge herstellen ließen. Einen Handel gab es zu dieser Zeit noch nicht. Wahrscheinlich lebten damals noch keine Menschen permanent auf Melos oder auf den Liparischen Inseln, und selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätten die Siedler wohl kein Eigentumsrecht an dem vulkanischen Glas beansprucht, das auf den Inseln verstreut lag. Und die Menschen auf Sizilien oder in Griechenland, die den Obsidian erhielten, fertigten ihre Klingen nicht an, um sie an weiter im Binnenland lebende Gemeinschaften weiterzugeben. Selbstversorgung war noch die Regel, und erst im Neolithikum, als die Gesellschaften hierarchischer und komplexer wurden und das Verhältnis der Menschen zum Boden einen revolutionären Wandel erlebte, finden sich regelmäßige Hinweise auf Seefahrten, die bewusst mit dem Ziel unternommen wurden, begehrte Produkte zu beschaffen.

II

Die »Neolithische Revolution«, die ihren Anfang um 10000 v.Chr. nahm und schließlich alle menschlichen Gemeinschaften rund um den Erdball erfasste, bestand in Wirklichkeit aus einer Reihe unabhängiger Entdeckungen, die eine bessere Kontrolle über die Nahrungsbeschaffung sichern sollten. Die Zähmung von Rindern, Schafen, Ziegen und Schweinen sorgte für eine stetige Quelle von Fleisch, Milch, Knochen für Werkzeuge und nach einiger Zeit auch von Wolle für Kleidung. Die Erkenntnis, dass man ausgewählte Pflanzen in jährlichem Zyklus aussäen konnte, führte zur Kultivierung diverser Weizenarten, angefangen bei halbwildem Emmer, und kulminierte (im Mittelmeerraum) im Anbau früher Formen von Weizen und Gerste. Erste Tongefäße, anfangs eher von Hand geformt als auf der Töpferscheibe gedreht, dienten der Aufbewahrung von Nahrungsmitteln. Die Werkzeuge wurden immer noch aus Feuerstein, Obsidian und Quarz hergestellt, aber sie waren kleiner und stärker auf spezifische Zwecke ausgerichtet – eine Entwicklung, die sich schon im Mesolithikum abgezeichnet hatte. Das spricht für eine zunehmende Spezialisierung, einschließlich der Herausbildung einer Kaste geschickter Werkzeugmacher, deren Ausbildung in einem nur scheinbar einfachen Handwerk zweifellos ebenso langwierig und komplex war wie die eines Sushi-Meisters. Neolithische Gesellschaften waren durchaus in der Lage, komplexe politische Institutionen hierarchischen Zuschnitts wie Monarchien zu schaffen und die Gesellschaft nach Kriterien wie Status und Arbeit in Kasten zu unterteilen.

Es entwickelten sich konzentrierte, permanent bewohnte, ummauerte Siedlungen, die auf lokale Versorgung angewiesen waren, aber auch auf Güter, die aus größerer Entfernung herangeschafft wurden. Die erste Siedlung dieser Art, um 8000 v.Chr., war Jericho, das im frühen 8. Jahrtausend etwa 2000 Einwohner zählte. Der Obsidian dort kam eher aus Anatolien als aus dem Mittelmeerraum. Um 10000 v.Chr. kultivierten die Bewohner von Eynan (Ayn Mallaha) im heutigen Nordisrael Pflanzen, mahlten Mehl und besaßen sowohl die Muße als auch die Neigung, schematische, aber doch elegante menschliche Porträts in Stein zu schneiden. Als die Bevölkerung im östlichen Mittelmeerraum zunahm, führten die Nutzung der neuen Nahrungsmittelquellen und die Konkurrenz um die Rohstoffe immer häufiger zu Konflikten zwischen den Gemeinschaften, so dass man die Waffen zunehmend gegen Mitmenschen statt gegen Beutetiere einsetzte.[8] Die Konflikte lösten Wanderungsbewegungen aus. Menschen aus Anatolien oder Syrien zogen nach Zypern und Kreta. Um 5600 v.Chr. lebte eine Gemeinschaft von mehreren tausend Menschen in Khirokitia auf Zypern. Sie stellten ihre Gefäße nicht aus Ton her, sondern meißelten sie aus Stein. Die ersten Zyprioten importierten in kleineren Mengen Obsidian, konzentrierten sich aber hauptsächlich auf ihre Felder und Herden. Sie errichteten auf Steinfundamenten Häuser aus Lehmziegeln, mit Emporen im Inneren, auf denen sie schliefen, und ihre Toten begruben sie unter dem Hüttenboden. Weniger eindrucksvoll war die erste neolithische Siedlung auf Kreta, in Knossos, die aus der Zeit um 7000 v.Chr. stammt. Doch sie markiert den Beginn einer intensiven Besiedlung dieser Insel, die in der Bronzezeit das östliche Mittelmeer beherrschen sollte. Die Bewohner hatten ihr Saatgut und ihre Tiere aus Kleinasien mitgebracht, denn sie züchteten Tiere, die es auf Kreta selbst nicht gab. Sie bauten Weizen, Gerste und Linsen an. Die Töpferei entwickelte sich bei ihnen erst ein halbes Jahrtausend später. Das Weben praktizierten sie seit der ersten Hälfte des 5. Jahrtausends. Die fehlende Töpferei verweist auf eine isolierte Gemeinschaft, die nicht die Methoden ihrer weiter östlich lebenden Nachbarn kopierte. Obsidian kam aus dem nicht weit im Nordosten gelegenen Melos. Im Wesentlichen wandten die Kreter sich jedoch vom Meer ab. Die vergleichsweise wenigen Muschelschalen und Schneckenhäuser, die man in der untersten Schicht in Knossos fand, zeigen Spuren von wasserbedingten Abnutzungen, die darauf hindeuten, dass man sie für dekorative Zwecke sammelte, nachdem die Tiere, die einst darin gelebt hatten, längst gestorben waren.[9] Doch Kontakte mit der Außenwelt begannen das Leben der frühen Kreter zu verändern. Die Irdenware, die man um 6500 zu produzieren begann, war von einer dunklen, polierten Art, die Ähnlichkeiten mit der anatolischen Keramik der Zeit besaß. Das Handwerk wurde offenbar nicht schrittweise entwickelt, sondern komplett importiert. In späteren neolithischen Phasen entstanden weitere Siedlungen in anderen Teilen der Insel, zum Beispiel das im Süden gelegene Phaistos, doch der gesamte Prozess umfasste 3000 Jahre, in denen Kreta sich zunehmend dem Meer zuwandte. Die außergewöhnliche Kultur, die schließlich auf Kreta entstand, lässt sich am besten verstehen als ein Wechselspiel zwischen einer einheimischen Kultur mit stark lokaler Identität, die sich sehr langsam entwickelte, und wachsenden Kontakten zur Außenwelt, die neue Technologien und Vorbilder ins Land brachten, welche von den Kretern auf idiosynkratische Weise an die eigenen Bedürfnisse angepasst wurden.

Mahlsteine und Mörser mussten behauen werden. Auf Steinfundamenten errichtete man Häuser, die nun ständig bewohnt waren. Die Töpfer benötigten die geeignete Ausrüstung für den Bau und die Befeuerung ihrer Öfen. Die Spezialisierung vergrößerte den Bedarf an bestimmten Werkzeugen, und die Nachfrage nach Obsidian nahm zu. Der Rohstoff besaß zahlreiche Vorzüge, welche die Mühen seiner Beschaffung wettmachten. Er ließ sich leicht spalten, und die Kanten waren äußerst scharf. Die Obsidian-Steinbrüche auf Melos, die seit der Zeit um 12000 v.Chr. ausgebeutet wurden, erreichten den Höhepunkt ihrer Beliebtheit in der frühen Bronzezeit, für die man eigentlich erwarten sollte, dass man Metallwerkzeugen den Vorzug gab. Doch Obsidian wurde gerade wegen seines niedrigen Wertes geschätzt. In der frühen Bronzezeit waren Metalle knapp, und die zur Herstellung von Kupfer und Bronze benötigte Technologie war nicht überall verfügbar und nicht leicht zu realisieren. Trotz der wachsenden Spezialisierung in den Dörfern des Neolithikums wurden die Steinbrüche auf Melos nicht systematisch und nicht wirklich kommerziell ausgebeutet. Erst lange nach dem Beginn des Obsidian-Bergbaus entstand schließlich eine Siedlung in Phylakopi, deren Blütezeit allerdings in eine Zeit fällt, als der Obsidian-Bergbau bereits im Niedergang begriffen war. Außerdem waren die ersten Siedler keine Obsidian-Händler, sondern Fischer, die hauptsächlich Thunfisch fingen.[10] Melos besaß keinen Hafen. Wer Obsidian holen wollte, suchte sich einen Strand, auf dem er an Land gehen konnte, und machte sich auf den Weg zu den Steinbrüchen, wo man Stücke des vulkanischen Glases herausbrach.

III

Wer eindrucksvolle Zeugnisse massiver Bautätigkeit im neolithischen Europa sucht, muss sich weiter nach Westen wenden, hin zu den Tempeln und Heiligtümern auf Malta und Gozo, die sogar älter als die Pyramiden sind. Die Tempel auf Malta wurden von Menschen erbaut, die das Meer überquert und aus eigener Kraft eine Inselkultur geschaffen hatten. Der herausragende britische Archäologe Colin Renfrew schreibt dazu: »Auf Malta geschah vor mehr als 5000 Jahren etwas wirklich Außergewöhnliches, das in der Mittelmeerwelt und sogar darüber hinaus seinesgleichen sucht.« Diese Gesellschaft war um 3500 v.Chr. in vollem Aufstieg begriffen.[11] Die alte Diffusionstheorie, wonach die Tempel in gewisser Weise Nachahmungen der weiter östlich anzutreffenden Pyramiden und Zikkurate darstellten, ist offensichtlich falsch. Obwohl also die Tempel keine Nachahmungen waren, wurden sie auch nicht zu Vorbildern für andere Kulturen im Mittelmeerraum. Malta wurde um 5700 v.Chr. besiedelt, und zwar von Afrika oder wahrscheinlicher noch von Sizilien aus, dessen Kultur sich in den ältesten Felsengräbern auf Malta spiegelt. Die frühen Malteser waren gut ausgerüstet. Sie brachten Emmer, Gerste und Linsen mit, und sie rodeten Teile der Insel, um Ackerland zu gewinnen, denn Malta war damals von großen Wäldern bedeckt, die heute vollkommen verschwunden sind. Sie holten Werkzeuge von den Vulkaninseln vor der Küste Siziliens und benutzten Obsidian von der Insel Pantelleria und den Liparischen Inseln. Um 4100 v.Chr. begann sich auf der Insel eine eigenständige Kultur zu entwickeln. In den – sehr näherungsweise – tausend Jahren nach 3600 schlug man dort große unterirdische Sammelgräber oder Hypogäa aus dem Fels, die darauf schließen lassen, dass diese maltesische Gemeinschaft ein starkes Identitätsgefühl besaß. Schon damals errichtete man in Ġgantija auf Gozo und in Tarxien auf Malta massive Bauwerke. Es handelte sich um große Bauwerke mit gewölbten, verzierten Fassaden und Vorhöfen, um überdachte Bauten mit Gängen, Korridoren und oft halbkreisförmigen Räumen, die man bevorzugt in Form eines Kleeblatts anordnete. Die Erbauer verfolgten das Ziel, gewaltige Tempel zu errichten, die sich hoch über der Insel erhoben und aus großer Entfernung zu sehen waren, wenn man sich von See her näherte, wie es etwa für den auf einer Anhöhe in unmittelbarer Nähe der Küste gelegenen Tempel von Ħaġar Qim galt.[12]

Die Bauwerke entstanden langsam über einen längeren Zeitraum, wie die mittelalterlichen Kathedralen, und ohne einen streng koordinierten Plan.[13] Seltsamerweise gab es keine Fenster, aber es muss umfangreiche Verbindungsteile aus Holz gegeben haben, und auch die steinernen Bauteile, die als Einzige überdauert haben, sind oft sehr schön mit eingeritzten Ornamenten, darunter Spiralen, verziert. Denn die Kultur des vorgeschichtlichen Malta bestand nicht allein aus Monumentalbauten. In den Tempeln befanden sich, wie Bruchstücke beweisen, große Statuen, die angeblich eine mit Geburt und Fruchtbarkeit assoziierte Muttergottheit darstellten. In Tarxien stand im Mittelpunkt des Kults eine fast zwei Meter hohe weibliche Statue. Die Räume in Tarxien enthalten deutliche Hinweise auf Opferzeremonien. So fand man dort einen Altar mit einer Vertiefung, in der ein Feuersteinmesser lag. Im Umkreis des Altars stieß man auf Knochen von Rindern und Schafen. Auch wurden Muschelschalen ausgegraben, die bestätigen, dass Meeresfrüchte einen wichtigen Bestandteil der Nahrung bildeten. Unter den in Stein gearbeiteten Darstellungen sind auch Ritzzeichnungen von Schiffen.[14] Bei der Errichtung der Bauten und bei der Anfertigung der steinernen Bildwerke kam man ganz ohne Metalle aus, die Malta erst um 2500 v.Chr. erreichten.

Sowohl kulturell als auch physikalisch handelte es sich um eine Inselwelt. Für das Neolithikum schätzt man die Gesamtbevölkerung der Inseln auf weniger als 10000 Menschen. Doch diese geringe Bevölkerung war in der Lage, ein halbes Dutzend große und zahlreiche kleinere Tempel zu errichten, was den Gedanken nahelegt, dass die Inseln in mehrere kleine Provinzen unterteilt waren. Deshalb sollte man eigentlich Funde erwarten, die auf kriegerische Auseinandersetzungen schließen lassen, zum Beispiel Speerspitzen. Aber es sind so gut wie keine Relikte dieser Art erhalten geblieben. Diese Gemeinschaft lebte offenbar im Frieden.[15] Vielleicht waren Malta und Gozo heilige Inseln, die den Menschen im mittleren Mittelmeerraum Respekt einflößten, wie dies in der antiken griechischen Welt für Delos galt. Ein Loch in einer Steinplatte ist möglicherweise ein Beleg dafür, dass sich dort ein Orakel befand. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich so wenige Hinweise auf ausländische Besucher gefunden haben. Wenn es sich um heilige Inseln handelte, muss ein Teil ihrer Heiligkeit darin bestanden haben, dass man sich ihnen nicht nähern durfte und dass sie nur von einheimischen Maltesern bewohnt wurden, die im Dienste der Großen Göttin standen, einer Göttin, die ihre Darstellung nicht nur in den auf Malta geschaffenen Statuen und Figurinen fand, sondern auch in der Gestaltung der Tempel mit ihren bauchigen äußeren Formen und den gebärmutterartigen Gängen und Höhlungen im Innern.

Diese Kultur verschwand ebenso überraschend, wie sie entstanden war. Die lange Friedenszeit ging Mitte des 16. Jahrhunderts v.Chr. zu Ende. Es finden sich keine Anzeichen eines Niedergangs in der Tempelkultur. Vielmehr kam es zu einem scharfen Bruch, als Eindringlinge eintrafen, die nicht die Fähigkeiten besaßen, denen die großen Monumente ihre Entstehung verdankten, dafür aber über einen Vorteil verfügten: Bronzewaffen. Nach Funden tönerner Spinnwirtel und verkohlter Kleidung zu urteilen, handelte es sich um Spinner und Weber, die aus Sizilien und Südostitalien gekommen waren.[16] Im 14. Jahrhundert v.Chr. wurden sie von einer weiteren Welle sizilianischer Siedler verdrängt. Doch inzwischen hatte Malta seinen besonderen Charakter verloren. Die Einwanderer und ihre Nachfahren ließen sich in den Bauwerken eines Volkes nieder, das vom Antlitz der Erde verschwunden war.

IV

Während sich in Malta über viele Jahrhunderte kaum etwas veränderte, waren die Verhältnisse in Sizilien weniger beständig, wie man es von einer großen, leicht zugänglichen und mit vielfältigen Rohstoffen ausgestatteten Landmasse erwarten darf. Die Obsidianvorkommen auf den Liparischen Inseln zogen Siedler an, die ihre eigene Kultur mitbrachten, wie man in Stentinello bei Syrakus sehen kann, das zu Beginn des 4. Jahrtausends v.Chr. in Blüte stand, als die maltesischen Tempel sich noch im Bau befanden. Der aus zahlreichen Hütten bestehende Ort hatte einen Umfang von ca. 250 Metern und war von einem Graben umgeben. Innerhalb dieser Umfriedung fand man Tonscherben und einfache Figurinen mit Tierköpfen. Es war ein geschäftiges Dorf mit eigenen Handwerkern, das die Umgebung und die nahe gelegene Küste beherrschte, von wo es seine Nahrung bezog. Die Siedlungen dieser Menschen erinnern stark an die in Südostitalien gefundenen, von wo ihre Vorfahren eindeutig stammen.

Gut 3000 Jahre trennen die allererste Stentinellokultur vom Aufkommen des Kupfers und der Bronze. Veränderungen stellten sich nur langsam ein, und die Wanderungen erfolgten in Schüben – es gab noch keine großen Wanderungsbewegungen, die den Mittelmeerraum erschütterten. Aber gerade dieser langsame, osmotische Kontakt ließ einige Elemente einer gemeinsamen Kultur entstehen. In ihrer Lebensweise besaßen die neolithischen Sizilianer in Stentinello zahlreiche Gemeinsamkeiten mit den übrigen neolithischen Völkern des Mittelmeerraums. Das heißt nicht, dass sie dieselbe Sprache gesprochen hätten (mangels Schrift hat ihre Sprache keine Spuren hinterlassen), und auch nicht, dass sie gemeinsame Vorfahren gehabt hätten. Aber sie alle hatten Anteil an den großen ökonomischen und kulturellen Veränderungen, die in die Übernahme der Landwirtschaft, die Domestizierung von Tieren und die Herstellung von Töpferwaren mündeten. Eine ähnlich grobe, mit Einschnitten verzierte Keramik fand sich auch in Ausgrabungsstätten von Syrien bis nach Algerien, von Spanien bis nach Anatolien. Zur selben Zeit hörte Lipari auf, lediglich eine Fundstätte für Obsidian zu sein, die man nur bei Bedarf aufsuchte. Die Insel wurde von Menschen mit ähnlichem Geschmack und ähnlichen Bräuchen wie in Stentinello besiedelt. Das offene Meer stellte kein Hindernis dar. Die Siedler wandten sich nach Süden, so dass man ähnliche Töpferwaren wie in Stentinello auch in Tunesien und Obsidian aus Pantelleria in der ganzen Region von Sizilien bis nach Afrika fand.[17]

Lipari erfreute sich wegen der Obsidianvorkommen eines besonders hohen Lebensstandards. Über die Frage, ob Veränderungen im Stil der Keramik auf Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung schließen lassen, kann man endlos streiten. Moden wechseln, ohne dass die Bevölkerung sich verändert, wie jeder Beobachter im modernen Italien sehr wohl weiß. Auf rotlasierte Keramik, wie sie typisch für das 6. Jahrtausend v.Chr. war, folgten andere, vollkommen braune oder schwarze, sehr sorgfältig und präzise gearbeitete Stücke mit polierter Oberfläche. Ende des 5. Jahrtausends v.Chr. wurden sie von aufgemalten Mäander-, Zickzack- oder Spiralmustern verdrängt, die große Ähnlichkeit mit Stücken aufweisen, wie man sie in Italien und auf dem Balkan gefunden hat. Es folgten weitere neue Moden, als im frühen 4. Jahrtausend v.Chr. die rein rote Keramik eingeführt wurde, die schließlich in die langlebige, nach ihrem wichtigsten Fundort benannte »Dianakultur« mündete. Die entscheidenden Momente sind hier die Langsamkeit des Wandels und die Stabilität dieser Inselgesellschaften.[18]

Seeleute nutzten ihre Fahrten über das Adriatische Meer, das Ionische Meer und die Straße von Sizilien, um Waren zu transportieren und anzubieten, die in der Mehrzahl vergänglicher Natur waren – Keramik und Obsidian sind einfach die Dinge, die erhalten geblieben sind. Wir können nur raten, wie die von diesen frühen Seefahrern benutzten Boote beschaffen waren. Auf dem offenen Meer verwendete man wahrscheinlich Tierhäute für die Abdichtung. Auch können die Boote nicht sehr klein gewesen sein, da man darauf nicht nur Menschen transportierte, sondern auch Tiere und Töpferwaren.[19] Spätere Zeugnisse – grobe Zeichnungen auf Keramik von den Kykladen – lassen den Schluss zu, dass die Boote nur einen geringen Tiefgang besaßen, weshalb sie bei rauer See recht instabil gewesen sein müssen, und dass sie mit Rudern angetrieben wurden. Bei praktischen Experimenten mit einem auf den Namen Papyrella getauften Schilfboot hat man festgestellt, dass man damit nur langsam – mit allenfalls vier Knoten – vorankam und bei schlechtem Wetter viel Zeit verlor. Für die Fahrt vom attischen Festland über einige auf dem Wege liegende Inseln bis zur Kykladeninsel Melos benötigte man mitunter eine ganze Woche.[20]

Es gab immer noch Mittelmeerinseln mit sehr geringer Besiedlung, darunter die Balearen und Sardinien. Mallorca und Menorca waren schon im frühen 5. Jahrtausend bewohnt, auch wenn die Töpferei dort erst Mitte des 3. Jahrtausends eingeführt wurde, und es ist durchaus möglich, dass es in der Besiedlung gelegentlich zu Lücken kam, weil frühe Siedler den Kampf gegen die Umwelt aufgaben. Die frühesten Bewohner Sardiniens waren offenbar Viehzüchter, die ihre Tiere mitgebracht haben müssen.[21] An den Küsten Nordafrikas gab es keine Monumentalbauten und keine Blüte, die mit der auf Malta vergleichbar gewesen wäre. Die meisten Küstenbewohner des Mittelmeerraums wagten sich allenfalls bis zu den Fischgründen hinaus, die in Sichtweite der Küste lagen. Die Entstehung von Bauerngemeinschaften im Nildelta und der westlich des Nils gelegenen Fayyum-Senke stellte eher eine lokale Besonderheit als ein im ganzen Mittelmeerraum anzutreffendes Phänomen dar. Das heißt, sie war eine Reaktion der Bewohner einer wasserreichen und fast schon sumpfigen Region auf ihre spezielle Umwelt, und zumindest für einige Jahrhunderte bildete Unterägypten eine geschlossene Welt. Auch auf Malta, den Liparischen Inseln und den Kykladen lebten immer noch außergewöhnliche Inselgemeinschaften, die jeweils eine ganz spezifische Rolle spielten, zwei von ihnen als Rohstoffquellen für Steinwerkzeuge, eine – sehr geheimnisvoll – als Brennpunkt eines elaborierten religiösen Kultes.