Das Muschelhorn - Hans Leip - E-Book

Das Muschelhorn E-Book

Hans Leip

4,7

Beschreibung

Leips Roman erzählt über mehrere Generationen hinweg die Geschichte des Niedergangs der Familie Abdena aus Friesland. Der wohlhabende Kaufmann Imel Abdena, mit dessen Schicksal der Roman beginnt, hat es aufgegeben, wie sein Vater zur See zu fahren, sondern handelt jetzt mit Piratengütern. Doch als er sich an Bord eines Hamburger Schiffs begibt, wird er in die Hansestadt entführt und lange Jahre dort festgehalten. Sein Sohn Dirik begibt sich nach Hamburg, um ihn freizukaufen. Doch bald ist vom Reichtum der Abdenas nur noch ein Muschelhorn geblieben ... Leibs 1940 erschienener Roman vom Untergang einer Familie ist ein Meisterwerk der Inneren Emigration, das den Vergleich mit Thomas Manns "Buddenbrooks" nicht zu scheuen braucht.AutorenporträtHans Leip (1893–1983) war der Sohn eines ehemaligen Seemanns und Hafenarbeiters im Hamburger Hafen. Leip wuchs in Hamburg auf. Ab Ostern 1914 war er Lehrer in Hamburg-Rothenburgsort. Im Jahre 1915 wurde er zum Militär einberufen; nach einer Verwundung im Jahre 1917 wurde er für dienstuntauglich erklärt. Leip kehrte in seinen Lehrerberuf zurück, gleichzeitig begann er, in Hamburger Zeitungen Kurzgeschichten zu veröffentlichen. 1919 fand die erste Ausstellung von Leips grafischen Arbeiten statt, der zu dieser Zeit das Leben eines Bohemiens führte. In den zwanziger Jahren unternahm Leip ausgedehnte Reisen, die ihn u. a. nach Paris, London, Algier und New York führten. Seinen literarischen Durchbruch erzielte er 1925 mit dem Seeräuberroman "Godekes Knecht". Während des Zweiten Weltkriegs lebte er ab 1940 dann vorwiegend am Bodensee und in Tirol. 1945 kehrte er für kurze Zeit nach Hamburg zurück, ließ sich jedoch dann im Schweizer Thurgau nieder. Hans Leips literarisches Werk besteht aus Romanen, Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken, Hörspielen und Filmdrehbüchern; vorherrschende Themen sind das Meer und die Seefahrt. Sein Nachruhm beruht allerdings hauptsächlich auf dem Gedicht "Lili Marleen", das Leip 1915 verfasst und 1937 in den Gedichtband "Die kleine Hafenorgel" aufgenommen hatte; in der Vertonung von Norbert Schultze, interpretiert von der Sängerin Lale Andersen und verbreitet durch den Soldatensender Belgrad erlangte das Lied während des Zweiten Weltkriegs eine ungemeine Popularität nicht nur bei den Angehörigen der deutschen Wehrmacht.-

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Hans Leip

Das Muschelhorn

Schicksal und vollendung der abdenas Roman

Saga

Das äußere Glück ist die Schwester des Mondes, morgen sieht es anders aus als heute, und bei den Abdenas schien es eines Tages gänzlich dahin zu sein.

Die Abdenas zu Marienhave und Emden an der Nordsee hatten in glückhaften Geschäften manches zusammengebracht, fette Höfe, Vieh, volle Truhen, bar Geld, Schmuck, teures Gerät, Speicher, Schiffe und Schiffswerften, hatten auch tüchtige und schöne Frauen und viele Kinder, dazu Mägde und Knechte und Bootsleute in gehöriger Menge.

Obmann der weitverzweigten Familie war damals Imel Abdena, damals, als das Schicksal sich wandte, und er war überdies fast ein König in den sieben freien Seelanden, ein wahrer Friese von der großen Sorte, blond wie trockenes Reet, mit einem Schädel platt wie ein Haublock, darin Augen und Mund eingekerbt saßen, als sei es von Beilhieben, und beilscharf zinkte sein Nasenrücken, und es schien gemeinhin alles geruhsam und stur an ihm. Aber wenn er in Bewegung kam und die schmalen Kerben aufriß, dann blitzte es unter den gelben Wolken der Augenbrauen schneidend kühl wie die See im März, und aus den jäh dunkelrot aufschwellenden Lippen polterten die Worte grob und keines Widerspruchs gewohnt. Seine Hände waren allerdings unverhältnismäßig zart.

Vielleicht war es wegen dieser Hände, denen seiner Mutter ähnlich, daß er von Jugend auf selber nicht gern zupackte, weder bei der Arbeit noch im Zorn, und je älter er wurde, desto weniger auch hatte er es nötig; denn seine großmächtige Gestalt und Haltung, seine Schlauheit, sein Glück, sein Reichtum und die Erinnerung an seinen Vater, das alles verschaffte ihm genügend Achtung.

Seinem Vater, Bojer Abdena, hatten Faust und Messer lockerer gesessen. Aus purer Lust war der bei einigen Untaten gewisser Schnapphähne dabei gewesen, hatte sich schließlich sogar an einer langen Reise nach Spanien beteiligt, war aber davon nicht mehr heimgekehrt; ein asturischer Bolzenschuß hatte seinem Leben frühzeitig ein Ende bereitet. Imel, sein Ältester, war eben erst zwanzig, als ihm damit das Häuptlingserbe zufiel, genau in der Jahrhundertwende, vierzehnhundert Jahre nach der Geburt des immer noch unvergessenen Mannes aus dem Morgenlande, der gelehrt hatte: Liebet eure Feinde! Ein Spruch, der den Friesen nun schon lange gepredigt wurde, ohne daß ihnen je in den Sinn gekommen wäre, danach zu handeln, genau so wenig wie denen, die es sie gelehrt.

Zumal Imel Abdena fand das, was die Pröpste in den Kirchen verzapften, gemeinhin heilsam für Frauen und Knechte, um derlei in Zucht zu halten. Er für sein Teil jedoch erkannte keine Obrigkeit an außer der, die er selber darstellte, und keine Gesetze außer denen, die von Karolus Magnus her zu Friesland aufgezeichnet waren. Und als die Hansen von Hamburg auch ihm Vorschriften machen wollten, mit wem und was er seinen Vorteil zu suchen hätte, da hustete er ihnen was und war den Freibeutern auf Helgoland noch gewogener als bisher, hing auch das Muschelhorn, das von denen stammte, auf der Diele auf, damit jeder es sehen konnte, der hereintrat.

Die unter den Sippenältesten der Seelande, die vorsichtiger waren und ihren Namen und ihren Errungenschaften nach wohl ein ähnliches Ansehen beanspruchen konnten wie Imel Abdena, trugen untereinander Bedenken und sahen keine gute Zukunft, falls der Hochstrebende etwa wahr machen würde, was seinem Vater schon vorgeschwebt und was er seiner Wirkung nach schon fast erreicht hatte, nämlich sich zum Statthalter über ganz Friesland einzusetzen, sei es von eigener Macht und Gnade, sei es in Liebedienerei zu den Oldenburgern oder gar zu den umliegenden Erzstiften. Gewiß ging er allen denen und auch keinem sonst mit Worten und Gehabe um den Zahn, er hielt sich vielmehr karg mit Äußerungen, Gastgebereien und Besuchen, als habe er es schon nicht mehr nötig, der große Imel. Aber unzweifelhaft stand er sichtbar da, und jeder unter den einfachen Leuten hielt ihn für einen Hauptkerl und hätte auf leisen Wink hin Weg und Steg entlang gejubelt und Vivat gegröhlt, wenn er plötzlich sich hätte einfallen lassen, in Krone und Hermelin auf seinem Rapphengst daher zu sprengen, und ihm zur Seite — und das müßte den Sack zum Platzen bringen — womöglich die landfremde Magd, das schwarzhaarige kleine Untier, das allzu jung und allzu kühn sich ihm angeschlängelt hatte und ihn aufhetzte zu seinem Übermaß, das war kein Geheimnis. Ihm selber aber wagten sie von dieser Meinung nichts zu sagen, das war auch nicht Sitte an der See, einem andern den Weg mit Mäkeleien zu queren, es mußte jedweder selbst wissen, wie hoch er steigen konnte, ohne sich das Genick zu brechen.

Sebalda Dockemund, die er zur Großmagd auf seinem Herrenhof erhoben hatte, war von hinter den Mooren hergekommen, aus Amsterdam. Aber ihr Blut und ihre Schlankheit waren nicht von der holländischen Schwere, ihre Eltern waren rheinabwärts zugewandert, als sie in ihrem friedlichen Weinberg bei Trier das Unglück gehabt, in der Fehde zweier adliger Raufbolde auf der falschen Seite zu wohnen, so daß ihnen Hütte, Kelter und Habe vom roten Hahn gefressen wurden. In Amsterdam danach hatten sie nicht recht Fuß fassen können in den flachen feuchten bierfrohen Straßen, hatten also, nun einmal entwurzelt, weiter gewollt. Und da sie hörten, es sei im Wendischen an der Ostsee kostenlos Siedlungsland abzugeben, hatten sie sich gegen die letzten Schillinge auf eine Danziger Hulk eingeschifft mit leichtem Gepäck und einem Haufen Kinder und der Großmutter dazu und waren so den Stoßvögeln vor Helgoland in die Fänge geraten, den Nachfahren der Vitalier, die sich unbelehrbar der gleichteilerischen Gesetze erinnerten und den Seeraub als zur Freude des Höchsten ausübten, ansonst aber wenig mehr vom hochfliegenden Geiste ihrer einstigen Herrlichkeit besaßen und mehr und mehr zu schlichten Wegelagerern an den Fahrstraßen der Hanse wurden.

Hönris, der alte narbengespickte Unterführer einer glorreichen Zeit, nun glatsköpfig, gichtig und kurzluftig, hatte verklemmte Neigungen, fromm zu werden, und hielt seit kurzem Ausschau nach einer stillen Zuflucht abseits des unruhigen Gewerbes, er begann Mord und Totschlag zu verabscheuen; er, der doch der Roheste von allen gewesen war und in seiner Maienblüte weder Gott noch Teufel gefürchtet hatte, fürchtete sich nun vor beiden, da die Zeit naherückte, wo sich entscheiden mußte, ob die gepriesene Tilgung aller Sündenschuld durch das Lamm Gottes auch für ihn mitreiche. Er zweifelte billig daran und gedachte durch einen frommen Wandel zu mildernden Umständen zu gelangen, wobei er sich naturgemäß vor seinen Spießgesellen schämte. Es hatte eine wahre List erfordert, um solche Anfechtung gerade bei dem frommen Weinbauern Dockemund zu überwinden, so daß der am Leben blieb samt der Familie. Hönris kam nämlich der rettende Einfall, die zaubrische Erzeugung gegorenen Rebensaftes auf Helgoland versuchen zu lassen, allwo an der Kreideklippe, die derzeit noch Insel und Düne verband, ein geeigneter Südhang und ein leicht zu bereitender Boden sich günstig anließen. Es wurden Reben von weither besorgt, burgundische sowohl als Traminer und Muskateller, und es mühte sich der Winzer manches Jahr und hatte vollauf mit seiner ganzen Sippschaft zu tun, und sie kämpften in Gemeinsamkeit mit den Weinstöcken gegen den ewigen Salzwind und das mit einigem Erfolg, was die Trauben betraf, die, obwohl sie klein blieben, nach den einbrennenden Sommern in der ungehinderten Sonne zu gewisser Würze gediehen, jedoch nur einen herben, stark köpfenden Wein hergaben. Die Kinder aber gediehen nicht und verkränkelten eines nach dem andern in der Schärfe der Luft, und auch die Altmutter starb. Die Eltern jedoch hatten vor Arbeit keine Zeit zum Sterben und blickten mit Sorge auf das letzte ihrer Kinder, das älteste zudem, das Mädchen Sebalda, und baten Hönris eines Tages, das Kind zu guten Leuten aufs Festland Zu geben, damit es sich dort erhole.

Hönris hatte sein alterndes Auge längst auf das fremdartige Wesen gelegt, das ihn an die Spaniolinnen verwehter weltstürmender Jahre erinnerte, denn es hatte schwarzes Haar und schwarze Augen und bei aller Scheu und Sprödigkeit ein unverkennbares heimliches Feuer in sich, wovon der alte Seeigel sich eine Auf wärmung versprechen mochte. Er verlangte vom Vater Dockemund als Gegengabe, daß der ihn noch kräftiger als bisher in seine frommen Gebete einschließen möge. Und dann nahm er Sebalda, die damals gegen sechzehn war, unter allerhand biederen Versicherungen mit an Bord und gedachte bei dieser Gelegenheit den gehegten Plan, sich zur Ruhe zu setzen, in so verheißungsvoller Begleitung nunmehr und desto besser auszuführen. Er segelte nach Ostfriesland hinüber und unterhandelte mit Imel Abdena wegen eines sicheren und billigen, hübsch gelegenen, leicht zu verteidigenden Gehöftes am Rande der Geest, wo auch etwas Wald war, den er auf Helgoland immer entbehrt. Imel überließ dem morschen Blutbart das Geeignete, hatte aber auch gleich seinerseits einen Blick für das sonderbare Stück, das Hönris nicht ohne offenkundige Prahlerei mit sich führte und das seine Enkelin hätte sein können, wenn nicht seine plumpe Vertraulichkeit auf andere Absichten hätte schließen lassen. Die hilfesuchenden schwarzen Augen des jungen Mädchens rührten den ungeschlachten Friesen an, er war lange Witwer und von Jugend auf nichts als schwerblütige Blondheit gewohnt, dies aber war zierlich und beweglich. Und darum redete er ein paar aufmerkende Worte gegen Hönris, er solle, um des hiesigen Gastrechts willen, keine unliebsamen Späße angeben.

Ein paar Tage danach fand sich das fremde Kind auf Imels festem Hof ein. Es vermochte vor Scheu nicht viel zu sprechen, aber Imel ahnte sein Teil und ließ es mit bei Tische sitzen, gab seinen Töchtern auch Anweisung, es überall in Haus und Stall nach Eignung mit tätig sein zu lassen. Die Töchter, anzusehen wie rosige, dralle Riesinnen gegen den verflogenen fremden dunkeln Vogel, überwanden das angeborene Mißtrauen gegen alles Ungewöhnliche — eine Tugend, die aus dem Hang zur Bequemlichkeit und zur Sauberkeit herrührt — und versuchten so freundlich zu sein, als es eben ging, indes Sebalda von rührender Bereitschaft war, ihnen zur Hand zu gehen, auch schon auf Helgoland genügend Friesisch gelernt hatte, um auch darin ihnen entgegenzukommen. Sie war auch überaus höflich gegen die Söhne, was aber diesen zähen Flachländern schon fast wie Übermut und Anbändelei erscheinen mochte, der Betretenheit nach, die von da ab die sonstige Stummheit bei Tische ablöste. Nur Imel, der sture Hausherr, schien nicht ungewillt, sich einer Gegengabe an Höflichkeit, und das einer Magd gegenüber, zu befleißigen, und sagte ab und zu ein knurriges Wort, wo sonst nur sein obwaltendes Schweigen geherrscht. Ja, er äußerte zuweilen, als Sebalda allmählich munterer wurde und freimütig sogar hin und wieder hell zu lachen wagte, unverkennbare Scherze, so als wolle er gerade dieses aufreizende Gelächter hervorlocken. Welche Umwälzung in dem seit alters wohlgeordneten Haushalt! Es mußte kommen, wie es kam. Nicht daß Sebalda wissentlich Anlaß gab, sie war fleißig und flink, vielleicht zu flink, so daß es die hergebrachte Behäbigkeit zu stören begann, und zu fröhlich in einem Lande, wo die Fröhlichkeit für hohe Feste aufgespart scheint und im allgemeinen nicht ohne die Aufschleusung durch anregende Getränke befahrbar ist. Nicht, daß sie etwa hübsch gewesen sei und darum Grund zu Eifersüchteleien gegeben, im Gegenteil, selbst die Mägde fanden sie einer Krähe ähnlicher denn einem Stieglitz, und die Söhne Imels gingen an ihr vorbei, als sei es der Schandpfahl neben der Kirchentür, obschon sie zu Zeiten, wenn sie die schwarzen Augen entsprechend aufschlug, gut und gern die Jungfrau und Maienkönigin selber hätte darstellen können im Prozessionszug des Erzstiftes Bremen, den die Knaben, von Imel mitgenommen, einmal gesehen hatten. Und Ate, der Jüngste, sprach es unversehens aus, aber er war damals auch noch sehr klein gewesen und hatte sich naß gemacht. Sebalda selber lachte abweisend über solche Überheblichkeit und wurde dunkelrot. Den Töchtern aber war es, als habe sie es gern gehört oder gar hervorgerufen.

Schlimmer aber war, daß Imel das halbe Kind ungerecht bevorzugte und es zur Großmagd einsetzte. Und da Hönris einige Geier gefunden hatte, die Imels Anwesen belauerten und Sebalda eines Tages mit Gewalt zurückschleifen wollten, machte er kurzes Gericht und ließ die Buschklepper von seinen Knechten zu Emden aufknüpfen, was aber als bedenkliche Eigenmächtigkeit Imels ausgelegt wurde, und nicht nur von Hönris. Und man war sich klar wegen des Anlasses. Die Töchter hatten zwar nicht den Nerv zu klarem Aufbegehren, sie konnten auch keine greifbaren Vorwürfe gegen die neue Großmagd zusammenfegen, denn die Kühe gediehen und die Küche blitzte, und das, was auf den Tisch kam, war lecker, obschon oft ungewohnt angerichtet, jedoch dem Vater zu sichtlicher Mundung. Und auch, daß die Fremde sich ihrer dürftigen Formen weniger schämte als sie sogar zur Geltung brachte und wußte, was ihr zu Gesicht stand, so ärmlich sie es anfangs auch besaß, das schien dem Alten entweder nicht aufzufallen oder, noch schlimmer, es machte ihm Vergnügen, und das letztere war anzunehmen; denn er schenkte ihr bald einiges an guten Stoffen, daraus sie sich nach Geschmack die Kleider selber nähte, entschieden bemüht, es friesisch zu machen, um nicht anders zu sein als die Töchter, ohne daß es ganz gelang; und obwohl diese es gern abfällig bemerkt hätten, mußten sie doch zugeben, daß gewisse Veränderungen im Schnitt nicht übel wirkten, dämpften aber die aufkommende freundliche Meinung alsbald durch den Verdacht, daß es einzig wegen der mageren Linien und nur, um den Vater zu reizen, also aus verwerflicher Absicht geschehe. Und von lieben Nachbarn her ging der Tratsch, das fremde Hühnchen habe sich erst genau erkundigt, wer dieser Imel Abdena sei und wie reich und daß er Witwer sei, ehe es so keck den Futtertrog gewechselt. Und einige wünschten den Mädchen schon Glück zu der neuen Mutter und den zu befürchtenden rabenköpfigen Stiefbrüdern.

Sebalda merkte wohl die Hechelei, die hinter ihren Ohren ging, aber es störte sie wenig, so gewiß war es ihr, den guten Weg gefunden zu haben. Sie gehörte zu den einfältig innigen Seelen, die ihre Ehrfurcht lange in sich aufsparen, sie dann aber, als bräche ein schwelendes Feuer jäh durch die Wand, mit Macht ins Freie richten, allwo ihnen oft das nächstliegende, sei es wie es wolle, und oft ganz unaufgefordert, als Ziel ihres Daseins erscheint. In glücklichen Fällen kommt ihnen Neigung entgegen oder wächst ihnen zu, angetrieben von so herzlicher Bewegung; aber auch unerwidert lassen sie sich selten beirren, denn ihre Glut ist ja ihres eigenen Lebens Speise und Verzehr, sie wurzelndarin wie in saftigstem Gartengrund und blühen und werden schöner und genießen sich selber heimlich verzückt, selbst bei imwirtlichem Wetter. Die Flamme in ihnen, die von Ehrfurcht mild und stetig leuchtend sich bis zur sich selbst auslöschenden Anbetung zu steigern vermag, scheint sie manchmal gänzlich auszudörren und jammervoll zu Boden zu drücken, wo sie dennoch nicht aufhören, an ihre Erfüllung zu glauben, und immer neue Kraft gewinnen und neue Nahrung ihres Glühens aus dunkeln Quellen her. So ähnlich stand es mit Sebalda, und sie hielt ihre Augen in Zaum, doch nur gegen Imel Abdena nicht, gegen diesen blonden hölzernen Berg, der sich wohlwollend gegen sie erzeigt und anders als der Greis Hönris und ohne Forderung, was eben der rechte Brandschlüssel für sie gewesen sein mochte und gerade zu der rechten Stunde, der sie nicht entgehen konnte.

Imel kam nun langsam dahinter, welch Herz für ihn schlug. So andächtig, glühender fast als ein Heiliger verehrt zu werden, das war ihm bislang noch nicht geboten worden. Und wenn er es anfangs auch von sich schob und über das Kind lächelte, es ihm auch wenig behaglich deuchte damit im Kreise der Seinen, er war zu selbstherrlich, um sich nicht gern so bestrahlt zu sehen, so wandellos, wie manche Erprobung zu beweisen schien, so ergeben trotz aller Barschheit und so jenseitig alles dessen, was sonst an Blick, Saftigkeit und Zuneigung und alles in allem an Liebe ihm zugefallen war. Hier handelte es sich nicht um ein rasches Hinbiegen und Abtun über die Streu, das war ihm nach prüfendem Mißgriff deutlich. Und nun spürte er Rührung, als werde ihm nun nachträglich in Fülle gereicht, was ihm nie nach Gebühr geworden, ohne das Gedenken an seine verstorbene Frau schmälern zu wollen, das, was Liebe und Anerkennung und Gehorsam und Genuß erst in der rechten Würde vereinigt und zum Hochgefühl erhebt, nämlich Verehrung, die einem zuteil wird, ja, Ehrfurcht, die empfunden wird vor dem, was man darstellt und leistet.

Imel nahm immer willfähriger das zehrende Feuer auf, das ihm so von ungefähr entgegengebrannt war, und nun kam er auch auf Glut, obschon weniger unfleischlich als vorläufig Sebalda, er, der schon auf der Gegenschwelle der Jahre stand, da es schon ruhiger wird um die Knie. Und er beschloß langsam, das Kind zu ehelichen, wohl fühlend, wie dienlich seiner Strebung solch schürende Wärme und ihm gar nicht nahe genug sein könne.

Und da er sie solche Erhöhung ahnen ließ, tat sie so erschrocken als verwundert, konnte eine äußere Veränderung doch wenig zu- oder abstreichen von dem, was sie empfand. Sie faßte es als unverdiente aber auch unnötige Krönung eines sowieso über alle Maßen erhabenen Zustandes, den ihr die Verehrung als solche mehr als der Gegenstand ihrer Verehrung bedeuten mußte, obschon ihr eine klare Zerlegung nicht zu Gebote stand, sondern alles in ausgewogener glühender Schwebung in sich selber zu beruhen und glücklich und aller Vernunft gewiß und gefährlich und zerbrechlich Zugleich zu sein schien.

Übrigens fügte sich ihr hohes Gefühl für Imel ohne Qual und Gewissensnot ein in den Chor des Göttlichen, der ihr in der Dreifaltigkeit und im Kreis der Engel, der Heiligen und der Nothelfer leuchtend und lobsingend und gutheißend zur Seite stand, so mindestens glaubte sie schlicht. Aber ein wenig war die feurige Kuppel ihres Tempels nun doch ins Zittern geraten, als Imel so irdische Klänge anschlug, und ohne Zagen nahm sie da die Pfeiler entgegen, die zur Stützung dienlich sein mußten, die Halskette aus blauen Steinen, die sein Versprechen bekräftigte, und die venedischen Schuhe, die er über Augsburg und wer weiß woher bezogen hatte, und das Glas roten süßen Weines, das er ihr zutrank und sie ihm. Und auch ihrerseits baute sie nun Pfeiler, da kein hohes Dach auf Erden ohne solche hält, und es war nunmehr ins Irdische gegründet, was ihrer Flamme Speisung war, und brauchte des Irdischen, da das bloße Schweben nicht mehr ausreichte, und es sollte nunmehr mächtig in alle Wolken ragen, über alle Grenzen; sie war ja nun gleichsam sehend geworden, der Apfel der Erkenntnis war ihr von Adam zugereicht, und nun konnte es der klaren Sicht nicht genügen, daß Imel nur Imel sei. Sie war findig genug, ihm ein Königreich zu weisen, ihn zu bestärken in dem, was er mit Lust, wenn auch ohne Ehrgeiz sich ihm hatte zuhäufen sehen. Nun schürte sie ihn an, und er brannte bald lichterloh, so daß er seine Zukunft mächtig heraufrauschen fühlte. Und war es bislang nichts, was er über sich hatte gelten lassen, nun schlug es höher, so daß er alles gern zu seinen Füßen gesehen hätte außer Sebalda, die er neben sich stellte. Er schenkte ihr um die Zeit auch das Muschelhorn, weil er nichts zu geben hatte, was ihn wertvoller dünkte. Sie ließ es aber in der Diele hängen, damit es, als ihr Eigentum, dort weiter herrsche. Er ließ es zudem in sein Wappen setzen und fragte die übrige Sippe nicht. Das Muschelhorn sollte das Zeichen sein, daß er nunmehr ohne Rücksicht zu handeln gedenke, ja gleichsam vogelfrei und jenseits aller hergebrachten Grenzen wie jene, von denen es mitgebracht war als letztes Andenken an seinen Vater.

Er ließ sie in Gold kleiden von oben bis unten und schenkte ihr überdies einen Rosenkranz, der aus Spanien stammte und seiner Mutter gehört hatte und aus hundertfünfzig kleinen und fünfzehn großen roten Korallenperlen bestand mit einem kleinen Kreuz aus Ebenholz.

Sollte aber der Propst jedoch auch weiterhin nur Ermahnungen bereit haben und Schwierigkeiten machen, falls er die Dockemund heirate — indem der geistliche Beistand angestachelt worden war von den Verwandten, die dem Nichts und Nirgends von Nirgendwo, als das sie Sebalda ansahen, die Schuld an Imels unerträglich werdender Hoffart zuschoben —, so wollte er auch darauf pfeifen und die feierliche Handlung selber nach freiem Recht der Schrift als Hausvater betreiben in Gewißheit dessen, daß auch schon andernorts im Reiche eine ungebundenere Meinung über die Unzweifelhaftigkeit der Pfaffen aufranke. Die Stedinger, die man in Friesland von Reichs wegen ausgerottet hatte, die schienen ungebrochen wieder aufzuerstehen. Es war verbürgt, daß die Abadenas es mit den Stedingern gehalten, sich aber schlauerweise damals durch Abschwur aus der Schlinge gezogen hatten. Jetzt aber war die Zeit des Dohnenstieges vorbei. Imel Abdena fühlte seinen Nakken steif und ungeheuer in die Sterne ragen, so, wie das Mädchen ihn in gieriger Verehrung sah. Welche Schlinge sollte wohl reichen, ihn zu fassen?

Und er ließ einen Maler aus Bremen kommen, der mußte Sebalda nebst dem Muschelhorn konterfeien.

Sebalda übernahm das Hauswesen nunmehr nach ihrem Gutdünken und ließ es die Töchter fühlen. Die blonden kühlen Friesinnen konnten nicht hindern, daß Einrichtungen sich änderten, die ihnen dienlich und unverfälscht gedeucht wie die Eimer frisch gemolkener Milch. Nun schien alles versauert, und sie äußerten böse, so könne man nicht buttern, es reiche höchstens zu Quarg und Kälberfutter. Sebalda, die in ihrer unirdischen Verehrung Imels hoch über allen Dingen gestanden hatte und keine Unbill gemerkt, war jetzt verletzlich geworden und beklagte sich bitter über Unbotmäßigkeit. Worauf Imel in Zorn geriet und seine sieben Wichter allesamt vom Hof jagte. Sie kamen bei Verwandten unter, die sie mehr mit den Ohren als mit den Herzen empfingen, und sie säten dort weder Liebstöckl noch Rosmarin.

Die Söhne fanden sich besser darein, soweit sie daheim waren. Sie duckten sich eigentlich nicht, sie hatten ihren Teil vom Vater und fanden es großartig, daß nun der Hof an der Ems zu einem festen Schlosse ausgebaut wurde. Sie fühlten sich schon als rechte Prinzen, und Sebalda war gerissen genug, sie gebührend zu behandeln. Sie erreichte zwar nicht mehr als eine verwunderte, wortkarge Verachtung ihrer Person. Aber mehr brauchte sie auch nicht.

Nur der Jüngste, Ate, war aufgeschlossener gegen sie, er, der sie schon immer heimlich verehrt. Er war regeren Geistes als seine Brüder und von gewölbterem Hirngehäuse, schien aber von weit zarterem Schlag und war darin Sebalda ähnlich. Sie brachte ihm Lesen und Schreiben bei, was sie in der Klosterschule zu Trier früh gelernt — da sie im Winter in der Stadt gewohnt bei einer Tante, deren Mann Goldschmied war. Ate hatte seine Mutter nicht mehr gesehen, da sie seine Geburt nicht lange überlebt. Deswegen hatte er die gelinde Zärtlichkeit Sebaldas gern und nicht nur den Kuchen, den sie buk, und fand alles an ihr schön und gut, verstand auch die Widerborstigkeit der Schwestern nicht und wurde doppelt eifrig, ihr Freude zu machen. Sie kaufte ihm ein silbernes Tintenfaß, wenn auch für Imels Geld, als sie mit Imel in Bremen war und dort mit sehen sollte, was an Hausrat neu anzuschaffen sei und an Bequemlichkeit wie an Bestückung für die beiden Türme, die wuchtig wie für die Ewigkeit dem Umbau an der Ems den vorläufigen Abschluß gönnen sollten. Imel schmunzelte über das Tintenfaß und gab es dem Knaben von sich aus, dazu ein paar Bogen Papier. Ate aber wußte wohl, wer ihm beides verschafft, und war sehr stolz darauf. Sebalda schnitt ihm auch die ersten Gänsekiele und zeigte ihm, wie man die trübe Tinte aus Galläpfeln und Eisensalz herstellt, was beides sie sich vom Propst besorgte. Bis dahin hatte er nur mit Holzkohle auf dem gescheuerten Dielentisch geübt oder mit dem Peitschenstiel im Sand.

Dirik, der älteste der Söhne Imels, wurde um die Zeit hinfällig vor Eifersucht. Er wohnte wie Ate ständig im Haus, da die Werft, die er zu beaufsichtigen hatte, in der Nähe lag. Er war ein Mensch von riesigen Kräften, trotzdem er den anderen an Höhe des Wuchses nachstand und einen Buckel hatte. Sein Ohm, Sibert Papinga, bemerkte das bleiche Aussehen und redete ihm ein, das schwarze Wolfslamm, die Dockemund, die schreiende Ungebühr und Buhlin, deren Bild halbnackt und hoffärtig über Imels Alkoven hing, und das in dem ehrbaren Hause der Abdenas, die habe ihn vergiftet. Dirik lächelte abwehrend, er kannte das Gift, das ihm durch die Augen ins Herz gedrungen war. Aber Sibert erzählte das Gefasel weiter, als sei es glatt bewiesen, und seine Neffen mütterlicherseits: Edzard, Focko, Sibold und Uno, sowie die Besitzer anderer Wasserburgen und Verfechter angestammter Rechtlichkeit, wie Embke, der zu Gretsyl hauste, und Ötje Taddena und Popo Inema, sowie Ebbo von Norden, Hayke ten Volrade und auch Lüder auf Osterhausen und selbst Konke und Djure Keuda in Aurich, diese alle hielten es unter dem Vorsitz des Enno Cirksena für geraten, dem hochmütigen und unerwünschten Treiben Imel Abdenas ein Schott vorzusetzen. Nur waren sie sich uneins, wie es zu bewerkstelligen sei und hinter wessen Hilfe sie sich verbergen könnten, damit niemand ihnen etwa Mißgunst nachsage, und die einen waren mehr für die Vitalier und wollten den gekränkten Hönris verwenden, die anderen mehr für den Oldenburger, und die beiden Auricher wollten lieber die Hamburger aufgehetzt sehen, die von den Inseln jedoch lieber die Holländer. Bis denn das Schicksal von selber seinen Lauf nahm.

Die Hansen mühten sich indes nämlich weidlich, die neu ermunterten Auslieger und Kaperer in der Nordsee auszuheben, wo nur immer sie ihnen günstig und in Unterzahl vor den Bug gerieten. Es fehlte ihnen auch nicht an Mannschaft, Macht und Geschütz. Sie hatten auch viel Erfolg in Holstein und Dänemark gegen Ritter und Grafen und Könige gehabt, selbst gegen den von England. Aber soviel sie auch dem Seeraub an den Hals gingen — jener Ausgeburt nordischer Kriegsläufte und eines ungegorenen Glaubens an allgemeine Freiheit des Meeres, an brüderliche Gleichheit aller Menschen und dementsprechende Verteilung der irdischen Güter — und so viele sie auch der störrischen Köpfe, die ihnen die Reisen gen Brabant und London besteuern wollten, auf die Richtpfähle am Brook steckten, es wuchsen ihrer immer frisch und gierig nach im freien Wind der See. Und waren auch die wildesten dieser Seewölfe, Klaas Störtebeker, Godeke Michels und Magister Wikbold, längst vor die Würmer gegangen, so lebte doch deren Andenken gefährlich weiter, unterstützt und gehegt von eben den Friesen, die vom Zwischenhandel mit der Beute reich wurden und es keineswegs Hehlerei nannten, sich vielmehr, Imel Abdena voran, hergebrachter Rechte priesen und weniger aus der morgenrötlichen Stimmung umarmender Brüderlichkeit, als offen aus krasser Selbstsucht ihren Anteil am englischen wie flandrischen Tuchgeschäft forderten, das die Hanse sich als eigenste und gottgewollte Ausschließlichkeit anmaßte.

Verhandlungen nützten da nicht viel, das hatte man erfahren. Gern hätten die Hamburger die friesischen Dickköpfe dem blutigen Rosenkranz auf dem Richtbrook eingefügt, aber eine Landung in den unwegsamen Emsmarschen, eine Hatz über Schlick und Gräben in endloser Weite gegen die wohlbewehrten Wasserhöfe hatte sich bisher immer als verlustreich und langatmig erwiesen, obschon die Hehler und Hetzer nur zu Land zu fangen waren, seit sie nach Bojer Abdenas Tod selber nicht mehr auf die Schiffe gingen, sondern sie nur bauten und ausrüsteten und offenen Hafen dafür hielten und offene Stapel und Tauschplätze jederzeit. Ja, selber blieben sie an Land und überließen den heißen Teil des Betriebs anderen, den Hansen zum Abbruch.

Die Hansen mochten auch einwandfreie Angaben über die neue Wasserfeste Imels besitzen.

Jedenfalls machten die Hamburger, obschon sie sich kräftiger entwickelten als die übrigen Städte des gewichtigen Hansabundes, im Jahre 1431 plötzlich gute Mienen und schickten den Friesen Botschaft, daß sie gedächten, auf gütlichem Wege über die Anteile zu verhandeln. Da lachte Imel Abdena nicht schlecht und berief die Versammlung. Sein gelber Karolus-Magnus-Bart tanzte ihm unter der Nase, er schlug sich mit der flachen Hand lustig auf das breite Kinn, ja, das war sein Tag, sein höchster Glanz und Stern, daß die Hansen, die oberfeinen Stadtmännlein, die Würgekrämer, die Protzbeutel ihm vor die Schuhe kröchen und liebreiche Verklarung suchten. Die übrigen Obleute nun sahen die Gelegenheit, daß er sich die Finger verbrennen könne, und baten ihn, doch die Angelegenheit für sie alle zu führen.

Das war es, was Imel gewollt, und es schwoll ihm der Kamm, so daß er richtig gesprächig wurde.

Dickwanstige Biertonnen, drei Pampslöffel drauf, daran muffige Bettlaken als Segel, so schilderte er da die Hamburger Schiffe, die berühmten Koggen und Hulken, denen vor drei Jahrzehnten die Vitalierhelden aus reiner Gutmütigkeit und Dusselei zum Opfer gefallen seien. Wie wollten sie sie doch empfangen! Mit einem Grinsen von einem Ohr zum andern. Kein anderer Gruß nimmt es mit solchem Friesenlächeln an durchdringend unziemlicher Erbötigkeit auf.

Haben wir übrigens die Ohren der Abdenas erwähnt? Sie hatten unverkennbare Ohren, gegen die grellste Sonne wußte man, das mußte ein Abdena sein, selbst bei Ate, so mondsichelförmig bogen sich deren Ohren ab, oben spitz, unten spitz, wohlgemerkt, von vorn oder von hinten betrachtet, wie abgespalten wirkten sie an den Haublockschädeln und zumal bei dem ducknackigen Dirik. Jedoch von der Seite gesehen war der Eindruck kaum anders als bei gewöhnlichen Ohren.

Sebalda nun, da er ihr alles zu Hause haarklein berichtete, damit ihr Stolz sich mit seinem mische, sie meinte, ein Grinsen wäre zu wenig fürstlich und sei es so lang und geschmeidig wie ein Regenwurm und gleich ekelhaft. Aber Imel wollte den verwöhnten Schlünden keine Atzung gönnen, bevor nicht etwas Urkundliches über seine Berechtigungen ausgefertigt sei. Die Herren sollten nicht glauben, daß er nötig habe, deren Gemüt mit Imbiß und Umtrunk rosig zu kitzeln. Mochten sie gerne erkennen, wie trefflich es sich lebe hier an der Unterems, mochten sie sein festes Schloß gern von außen bestaunen, mochten sie von ferne sich daran laben, wie er seinen Knechten an dem Tage auftischen ließ, daß die offenen Speicherschuppen krachten von Schinken, Würsten, Lachsfladen, Rosinenklöben, echtem Eimbekker Bier und girondischem Rotspon. Man dürfe die Hansen nicht zu nahe lassen, sagte er, die seien von der gierigen Sorte; lädt man sie zum Sitzen ein, so nehmen sie alsbald Besitz. Derweilen habe er für alle Fälle gründlich vorgesorgt, ihnen die Krallen zu bestoßen.

Sebalda wäre gern mit Imel in allen Teilen eins gewesen, flögen seine Pläne noch so hoch und sei es zur Herrschaft der Welt. Aber gar zu gern doch hätte sie den Ratsherren ihre Kochkunst gewiesen. Und wenn sie den Stadtmenschen auch nicht traute und schon zu Amsterdam allesamt für Drachen auf Filzsohlen gehalten, so war sie sich dennoch der eigenen Wirkung zu bewußt, um nicht für Imel dadurch einen anmutigeren und rascheren Sieg zu erhoffen als durch das bloße Gerede unter Männern. Als sie aber merkte, wie Imel eine Menge Volks zusammenzog und mit Waffen versorgte und einen regelrechten Hinterhalt zu Marienhave anlegte, da erboste sie sich und katzte ihn fauchend an. Und wenn sie auch gleich danach wieder schmeichelte und sich selber schalt, weil sie von Kind her Mord und Brand in allzu schrecklicher Erinnerung habe, es verdroß Imel doch, der bis dahin ernsthafte Einwände, zumal von Frauen, nicht erlebt hatte, ja, es ärgerte ihn kläglich, daß er solcher Heftigkeit überhaupt so lange zugehört. Er fuhr die Ungestüme barsch an, und das in dem Augenblick, da ihm im Innern aufging, wie recht sie wahrscheinlich habe. Aber solche jähe unbekannte, unbequeme Unsicherheit ärgerte ihn noch mehr, so daß er der benommen Verstummten verbot, sich beim Empfang der Gäste blicken zu lassen.

Mochten die Hansen kommen, so dick sie wollten, er war gerüstet. Aber diesmal schickten die Hamburger keine Großmaster in die Emsmündung, keine herausfordernde Flotte mit bemalten Segeln und prächtigen Flaggen und nichts von kriegerischer Musik und Gespieße, Panzerblitzen und prangenden Kugelrohren. Ganz bescheiden fand sich nichts als eine kleine friedliche Schnigge ein, keine Schnecke allerdings, sondern ein ranker Schnellsegler, ein rechtes flinkes Botschaftsboot mit ein paar Ratsherren und Matrosen darauf, soviel man sah.

Das war alles? Imel Abdena zog die Wangen zusammen, so daß sein schmaler Mund spitzfindig klein wurde, als wolle er sich diesem unerwartet spärlichen Maße der hansischen Gesandtschaft anpassen. Und dann winkte er seinen gaffenden Söhnen und den Knechten zu, sie sollten sich umdrehen, damit niemand ihr Grinsen sehe, da es der Gelegenheit nach allzu dumm geraten sei, und er knurrte belustigt, sie sollten ihre Messer wieder aus den Hosen entlassen und die Morgensterne hinterm Rücken beiseite legen und die Kugelbüchsen hinter den Lagerhäusern mit Kuhhäuten vermummeln und weiter frühstücken. Ja, wären Hunderte und Tausende gekommen, so hätte er sie alle grinsend an Land steigen heißen zu lauerndem Willkomm und ihnen, so sie nicht gutmütig geblieben, einen eisernen Schmaus und in den nassen Wiesen ein Bett für die Ewigkeit richten lassen. Volks hatte er hinreichend zur Hand.

Nun, da der erspannte Druck ausblieb, blähte es ihn gleichsam auseinander, den mächtigen Imel und machte seine Überlegung dünn. Was nun sollte er denen das groß herzeigen, was er um sich zusammengerafft? Würde es nicht merklich nach Ängstlichkeit riechen, daß er sich so mit Getöse umgab? Würde da nicht das abfällig durchschauende Grinsen berechtigter oberhalb der sauberen Ratskrausen Platz finden? Auf einmal deuchte es ihm unsinnig, die hansischen Füße an den Ufersteg zu lassen, die gierigen Sohlen, daran leichtlieh ein Stück Freiheit und Würde des lieben Landes hängenbleiben könne, wer weiß durch welchen gelehrten Zauber. Auch reizte ihn die Bauart des schniegligen Schiffleins, und er hätte es gern nahebei und betreffs der inneren Spantung geprüft. Auch gedachte er Sebaldas, die zierlicher war als dieses Elbschiff, und er hätte sie gern zur Stelle gehabt, um sie als sein Glanzstück daneben herzuzeigen, den süßen Buttervogel.

Was alles ihm auch im Schädel herum summen mochte, jedenfalls holte Imel Abdena nunmehr zu seinem eigenen Niederschlag aus, und wenn er Sebaldas gedachte, so war es im Grunde weniger Eitelkeit als vielmehr die bedrückende Ahnung, daß er zum ersten Male in seinem Dasein einen klugen Zurat entbehre und eine Unterstützung seines Entschlusses. Aber das kluge Kind saß stromauf zu Emden und spann Unmut, obschon es recht gehabt hatte, wie ihm jetzt schwanen wollte, mit der kleinen Festtafel voll Leckereien. Somit stieß er seine Unsicherheit mit hartem Atem von sich und schnob einem der Söhne zu, er solle der Dockemund Nachricht geben, in Bälde das bedachte Mahl für ein halb Dutzend Gäste zu richten. Weitere Anweisung aber hinterließ er nicht. Und spiegelte sich groß zu fürstlicher Höflichkeit auf, vermeinend, die Zeit bis zum Essen fruchtbar anzuwenden, und ließ sich, nur begleitet von seinem jüngsten Sohne und zwei Ruderern, im Boot an die Schnigge bringen, die sich nicht weiter zum Ufer herantraute und vor Anker ging.

Seine silberbeschlagene Rüstung, deren sich kein Graf und Ritter zu schämen hätte brauchen, mitsamt dem federtürmigen Stechhelm ließ er sich sichtbarlich bis ans Boot nachtragen und winkte dann hoheitsvoll ab, als sähe er keinen Anlaß für eine allzu gewichtige Gala.

Er trug an Besonderheiten an diesem Tag eine Mütze aus weißem Robbenfell, ein Wams aus rotem Brokat und einen breiten Gürtel aus Dachsleder, den Sebalda mit Goldfäden bestickt hatte. Und niemand wagte, eine Warnung auszusprechen, als er ohne Waffen und Beistand hinüberfuhr. Jetzt also, da er sich innerst nach einem gelinden Einspruch sehnte, mußte er büßen, daß nach jedermanns Erfahrung es bislang unnütz gewesen war, ihm zu- oder abzureden.

Den Jüngsten aber nahm er mit, damit der rühmlich anwenden sollte, was er gelernt, falls da irgendein Punktum unter irgendeinen Wisch zu setzen sein würde.

Das Punktum wurde anders gesetzt, als ihm vorschwebte. Die Hamburger gaben sich, da er so harmlos nahte, alsbald ohne die übliche Steifheit. Sie schienen wirklich erfreut, daß er ihnen so viel Ehre antat und Zudem ihr Schiff lobte; hatten auch kein Geheimnis, ihm die ganze Bauart zu zeigen, sie kamen auch bald, schon im Hin- und Hergehen, auf die verschiedenen Strittigkeiten zu sprechen und gaben fast in allem klein bei, still überrascht und froh, den Fuchs so rasch in der Falle zu haben, zögerten auch nicht lange, ein Pergament zu entrollen, wo denn das meiste schon aufgezeichnet stand. Imel schob es zurück. Er sah die Segel seiner Helgoländer Freunde über den Vorländern hinter der Kimm auftauchen und merkte wohl, daß die Stadtherren deswegen Eile hatten. Er griff nach dem Krug Hamburger Bier, der ihm oben an Deck kredenzt ward, und trank den Segeln zu und dann den Herren, und die Herren tranken ebenfalls und lächelten gezwungen verständnisvoll, und er lachte kurz und erklärte, auch die Vitalier habe er nach Belieben im Drill, und er wünsche einen kleinen Zusatz deswegen in der Urkunde, so, als sei sie nicht nur zwischen dem Rate und ihm, sondern zugleich mit denen da geschlossen.

Die Herren Unterhändler seufzten und wollten in die Kajüte zur Beratschlagung, aber Imel ging stracks gleich mit, um es kurz zu machen; denn so unverschämt sicher fühlte er sich bis in die Haarwurzeln. Und er winkte seinen Knaben hinterher, daß er der hübschen Maßnahme beiwohne und ihm den Zusatz vorlese, sobald er geschrieben sei, und den Namen Abdena darunter füge, den stolzen Namen, der nunmehr sogar der Hanse Anordnungen gab. Der Knabe winkte vergnügt noch einmal zum Ufer zurück, wo Dirik, sein ältester Bruder, wie ein halsloser buckliger Bär am Bootssteg stand und unruhig herübersah und somit den Jungen zum letztenmal lebend erblickte.

Denn sobald die Kajütentür zuschlug, fielen sie über Imel her; aus allen Ecken und Vorhängen stürzten Bewaffnete und banden und knebelten den gewaltigen Friesländer, und man merkte, wie wenig seine Fäuste vermochten, er ließ fast willenlos das Unerhörte mit sich geschehen. Der Kleine aber, der sprachlos mit ansah, wie die ragende Esche, die sein Vater doch war, umfiel beim ersten Streich, glaubte vor Scham in den Boden versinken zu müssen, fuhr dann aber mit unversehentlicher Wildheit dazwischen. Sie hieben ihm vor die Stirn mit seinem eigenen Tintenfaß, das er sich mitgebracht.

In aller Ruhe dann setzten die Hamburger Segel, nahmen den Anker auf und glitten davon gen See, ehe sich Imels Knechte, von Dirik angelärmt, das Maul gewischt hatten, so daß es allen zu spät deuchte, hinterdrein zu knüppeln, jedermann auch hoffte, die aufkommenden Vitalier würden die Mücke schon greifen, falls da etwas faul stänke, wofür ihnen jedoch kein Anzeichen erkennbar schien. Imel in seiner Selbstherrlichkeit mochte vielleicht sogar eine Reise gen Hamburg Vorhaben, um sich mit wer weiß was an Größe und Verhandlung zu krönen. Hatte doch auch der Knabe Ate noch eben munter herübergewinkt.

Nun gut und nicht gut, es war zu spüren, daß wenige ihn von Herzen liebten, den machtvollen Imel, und jeder ihm gern überließ, nach Gewohnheit für sich selber zu sorgen.

Die Vitalier nun, das mußte man bald ersehen, waren überhaupt nicht auf den Verdacht gekommen, dem kleinen Fahrzeug Bedeutung beizumessen. Sie hatten sich auf ein saftiges Getümmel und ungewöhnliche Beute gerüstet und waren schlecht gelaunt, Reede und Hafen ohne Hansen zu finden. Dem flinken Segel aber nachzustoßen, darin sahen sie keinen Vorteil, sie wollten sich wohl auch nicht bekneifen mit der Aussichtslosigkeit, auch verlangte es keiner derer, die nun notgedrungen, wenn auch in gesetzten Formen die Mahlzeit mit ihnen teilten; denn zunächst hatte keiner die Neigung verspürt, sich auch nur der leisesten Befürchtung wegen Imels hinzugeben. Dirik aber nahm die beiden damaligen Hauptleute der Helgoländer Brattewand und Gutzkuhl mit zu Sebaldas erlesenem Tisch, dazu die Verwandten Goddert und Snelger Abdena sowie Ohm Sibert. Und gerade Ohm Sibert war es, der Sebalda mit würzigen Bemerkungen zu erheitern suchte, er, der hinterm Zaun so grimmig gegen sie gewettert, aber nun sagte ihm ein befriedigendes Gefühl, daß in diesem Hause so Krone als Übermaß schon zum Eulenloch hinausgefahren seien, und er hob den Stürzbecher zwinkernd auf gegen das Muschelhorn, das unterm Balken hing, und meinte gelassen, es erinnere ihn ein wenig an eben diesen Becher und damit an das Wappen Störtebekers. Mehr sagte er nicht darüber, aber Sebalda und Dirik spürten, daß er etwas Böses angedeutet haben wollte. Die Vitalier aber glaubten, es sei eine Verbeugung, und tranken voll und bei zurück und waren später nur mit Mühe auf ihre Hulken zurückzubringen und hätten Sebalda gern wieder mitgenommen, das war klar. Sie aber trug ihnen Grüße auf an ihre Eltern.

Als Dirik danach schwerfällig den Großonkel zur Rede stellte, was er mit der Anspielung gemeint, da verbarg der sich nicht länger und lachte heimtückisch über Dirik hinweg: So gesoffen wie geblasen! Mehr habe er nicht sagen wollen, aber auch nicht weniger.

Was schon sollte Dirik daraus entnehmen? Wollte der Onkel andeuten, der Vater habe sich übernommen und deswegen wäre nun alle Anstrengung in die leere Luft gepfiffen? Ihm wurde aufbegehrlich zu Sinn, er fragte, was zu bewerkstelligen sei, aber der Onkel knöpfte sich zu, als sei er persönlich beleidigt, und ritt von dannen.

Sebalda jedoch schien ohne Furcht. Sie verbarg alle trübe Ahnung vor sich selber. Ihr Thron stand allzu hoch, da mochte sie noch nicht herunter.

Nach einer halben Woche fand man den toten Ate am Strande angetrieben. Das war bitter und machte alle leichtherzigen Vorstellungen von Imels Reise zunichte. Sebalda weinte nicht um Ate, das überließ sie den Schwestern, obschon die sich gegen ihn gewandt hatten, als er Sebaldas schillerndem Getue — so nannten sie es, wenn auch auf Friesisch — erlegen war. Jetzt beweinten sie seine vernichtete Zukunft, hatten sie ihn doch schon als Propst gesehen und sich auf seine Predigten gefreut, die ihnen, so hatten sie gehofft, Trost und Genugtuung hätten spenden sollen, wenn er, erwachsen und einsichtig geworden, die schwarze Hexe verdammt haben würde.

Nun ging es Sebalda um Imels und ihre Herrlichkeit. Sie stachelte den klobenfüßigen Dirik auf, nach Hamburg zu reisen, wollte auch selber mit, aber Dirik kratzte sich hinter den Sichelohren, und es sah aus, als kratze er sich zugleich den Buckel, und er murmelte etwas von Geleitbriefen, die sie brauchten. Und es verging keine Woche, da hatte sie ein Schreiben vom Propst besorgt, der auch eins vom Grafen Dietrich zu Oldenburg erwirken wollte, um so Geistlich und Weltlich zu gutem Schutze zu vereinigen. Da aber auch hörten sie schon von Helgoland, wo man ausreisenden Hamburger Kaufleuten auf die Zähne gefühlt, daß Imel zwar noch am Leben sei, aber vor das peinliche Gericht gestellt würde, weil er die Seeräuberei unterstützt. Über den Ausgang konnte kein Zweifel sein. Hönris selber brachte diese Nachricht, er humpelte freudig damit herein, er wollte das Vergnügen genießen, Sebalda, die weggelaufene Katze, zermauzt und zerschmettert zu sehn. Aber er irrte sich, Sebalda blieb aufgerichtet, so ungeheuer es sie auch befiel, es waren mächtige Pfeiler, die ihren Dom trugen, und Hönris mußte glauben, sie habe längst bessere Kunde und Imel könne im nächsten Wimperzuck am Grabentor auftauchen. Schlugen nicht die Hunde schon an? Hönris hielt es für geratener, wieder abzuschwimmen. Er klapperte auf seinem Gaul, der gichtig und ausgelaugt war wie er selber, zu den Hovetlingen ringsum in der grünen feuchten Weite, darin die Kopfweiden wie verlassene Heerhaufen standen.

Die Verwandtschaft beauftragte Dirik, sich schleunigst um die Sache zu bekümmern. Aber Dirik war schon dabei, auf Sebaldas Rat Lösegeld zu sammeln, und das nicht gerade bei den Verwandten. Und jedermann gab; denn obgleich ein Edler dem andern und diesmal Imel den Reinfall wohl gönnte, hätte doch keiner gern einen der ihren schmählich unterm Henker enden sehen. Lieber wollte man der Dockemund an die blanke Haut, ihr schob man alle Schuld zu, und man hetzte die Verwandten an, die Schmach der Familie selber zu tilgen. Papinga und seine Vettern drangen zur Nachtzeit — Dirik hatte man schon auf den Weg gen Hamburg gesetzt — in den Emshof ein. Aber Sebalda war auch schon fort.

Kraft seiner Schutzbriefe geschah Dirik keinerlei Unbill zu Hamburg, nur seinen Vater bekam er nicht zu Gesicht. Man nahm seine beiden Mantelsäcke voll Lösegeld ohne Zaudern, und es verging eine Zeit damit, ehe der Wert an Schmuck aus edlem Metall, an echten Steinen und guten Geldernschen Gulden zusammengerechnet war, und da es dann angeblich nicht reichte, um die Aburteilung noch lange hinauszuschieben, es für Dirik selber auch knapp wurde, da die Herberge am Pferdemarkt nicht billig war und weder die Dominikaner noch die Minoriten ihn um Gottes Gnade aufnehmen wollten, in Ansehung des schwebenden Verfahrens, so schickte er einen der beiden Knechte, die er mitgenommen, nach Friesland zurück und ließ durch Ohm Papinga alles zu Geld machen, was in Imels Speichern an Waren lagerte, auch die Waffen und Rüstungen, danach auch alles Vieh, danach auch die Viehweiden, dann das Ackerland und dann die Höfe und Lagerhäuser, nebst allen Geräten, schließlich auch die Schiffe und die Schiffswerften und was dazu gehörte; denn er hatte als ältester der Söhne das Erbe zu verwalten, weil der Vater, der Freiheit beraubt, in Schanden saß. Dennoch hätte Dirik solch selbstvernichtende Entscheidungen und Veräußerungen nicht aus sich getroffen. Es war aber bald nach ihm Sebalda in Hamburg gelandet und hatte ihn in der Herberge gefunden, und sie sah kaum besser aus als eine Landstreicherin, hatte aber ihr innerstes Feuer nicht verloren und heizte jetzt den buckligen Dirik nach ihrer besten Einsicht auf, wie sie vormals den Alten aufgeheizt, und es geschah wegen Imel, den sie retten wollte.

Die Verwandten und jene, die Imel beneidet hatten, zerteilten inzwischen gern und billig, was er besaß, und mehrten damit das Ihre, froh, daß Übermaß gezapft werden muß. Den Söhnen und Töchtern Imels blieb fast nichts; fand man doch auch allüberall auf den Wiesen und Sänden bestätigt, daß die Brut untergehen soll, wenn der Brüter zu Schaden kommt. Die Verwandten gaben auch bald den Hamburgern zu verstehen, daß nicht sie es gewesen seien, die den Seeraub verteidigt hatten, sie lieferten sogar den Greis Hönris aus, mit dem und dessen Knechten ohne Verzögerung abgängig verfahren wurde, so daß den alten Vitalier so spät noch die Strafe traf für manche Schandtat.

Imel Abdena aber, der freie Häuptling der Friesen, saß, obschon nicht in Ketten, im Teufelsturm hinter den Raboisen zu Hamburg und sah nichts mehr von der Welt als das, was er von sich selber sah, und den salpeternden Backstein ringsum und die Luke, in die man ihn hineingestoßen und sein armes Lager und das Ungeziefer und das wandernde Licht der Tage und Nächte, das durch die Eisentrallen einer winzigen Fensterscharte fiel. Und manchmal, wenn die schwere Luke in den Angeln kreischend sich den Morgen öffnete und die Hakenstange herniederfuhr, um den Wasserkrug aufzuholen und ihn gefüllt wieder herunterzuhieven — die Leerung des Dreckkübels aber geschah nur jede Woche — und ein Stück schwarzes Brot lieblos hinterher polterte, sah er neben der prallen Wächterschnauze das bleiche Gesicht eines Dominikaners und ahnte, daß es auf seine Schwachheit lauere, auf sein letztes mattes Stündlein, um ihm salbungsvoll Beichte und Reue herauszuwürgen und gnadenreich den letzten Trost zu spenden, der auch den Sündern nicht versagt bleiben soll nach dem Willen derer, die mit dem Pfunde Gottes wuchern.

Dann schoß eine glühende Wut in Imel hoch, und er krallte die schwachen Hände in den Bart, der ihm ungeschoren und bald eisgrau und mählich bis zum Gürtel reichte, und dann brüllte er ungeheuerlich Tag und Nacht und rannte den platten Schädel gegen die Mauer, bis er schäumend und in Krämpfen zu Boden schlug und wieder still wurde.

Inzwischen war die, die Imel Abdenas Bestätigung und sein Verderb gewesen, in Hamburg verblieben, und man könnte meinen, sie habe ihm nahe sein wollen in immer der Hoffnung, daß sein Los sich wieder zur Freiheit und zu neuem Aufstieg wende. So hatte sie zu Anfang auch gedacht. Und sie war für Dirik sehr dienlich, dennn der konnte sich mit seinem Friesisch nicht überall verständlich machen.

Dirik mochte gleichfalls nicht weichen. Er schämte sich, unverrichteter Sache heimzukehren. Die Wochen und Monate zogen davon, und sein Herbergsgeld verzehrte sich, zumal doppelt daran genagt wurde. Er setzte sich mit Leuten in Verbindung, die das gleiche Handwerk wie er gelernt hatten, und so kam er unter der Hand zu einem billigen Unterschlupf auf einem Spei cher, darin Schiffstaue lagerten. Sebalda nahm stillschweigend Wohnung bei ihm, denn sie besaß selber nichts mehr, hatte sie doch gleich allen eigenen Schmuck für das Lösegeld weggegeben. Und schon war ein Jahr verstrichen, und die Meinung des Rates lautete immer noch: Wir wollen inmaßen obgemeldeten Ersuchens gewisser Gnade zu erwägen nicht von aller Hand weisen, können einen endgültigen Entschluß dem gemeinen Besten zuliebe aber in Anbetracht sonderer Bewegnis, als mit gewesener Übeltat männiglich verwirkt ist, hinfürder nicht stattgeben, eh nicht der erlittene Schade und die abgenommenen Güter billig ersetzet und, daß damit in Zukunft dergleichen Beteiligung an Seeraub und verbotenem Handel unterbleibe, gebührende Sicherheit gegeben werde.

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