Godekes Knecht - Hans Leip - E-Book

Godekes Knecht E-Book

Hans Leip

2,3

Beschreibung

Der Roman erzählt in Chronikform die Geschichte der als "Vitalienbrüder" berühmten Seeräuber nach der Hinrichtung ihres Anführers Klaus Störtebecker im Jahre 1401. Magister Wikbold aus Oxford ist aus Abenteuerlust Freibeuter geworden und hat es bis zum Stellvertreter von Anführer Godeke Michels gebracht. Er erreicht einen zwischenzeitlichen Friedensschluss mit der Hanse, verliebt sich in die schöne Begine Hillgesill und flieht schließlich mit ihr auf die Burg ihrer Familie, um sein altes geruhsames Gelehrtenleben wieder aufzunehmen. Doch die Sehnsucht nach dem Meer lässt ihn nicht los und plötzlich ist er wieder an Bord der "Sünte Mareiken" und auf abenteuerlicher Kaperfahrt zu den Trauminseln Zipangu und Antilia ... "Godekes Knecht" bedeutete für Hans Leip den literarischen Durchbruch, und der Roman ist bis heute sein bekanntestes Werk geblieben – neben "Lili Marleen" natürlich –, das unter anderem Thomas Mann sehr begeistert hat: "Ein brutaler Stoff, von Zartheit durchleuchtet, Leidenschaft der Handlung und des Wortes ..."-

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Hans Leip

Godekes Knecht

Roman

Saga

Die Berichte des Magisters Wikbold über die Schönheit von Himmel, Land und Meer, sowie über den Untergang der Likedeeler im Sommer des Jahres vierzehnhundertundzwei

Die Erweckung

3 & Knokere ad sepeliendum 73 personas Vitalienses.

Kämmereirechnung Hamburg 1401

Item anno 1402 do grepen de Hamburger Wikbolten vnde Gotke Michel. Vnde sse worden ok gerichtet vppe dem Broke lxxij vnde de houede vp pale gesettet, alsse sserouer recht is.

Wendesche Cronicon

Da fiel ein Tropfen ins Meer, und das Meer erscholl und brach in meinen Traum. Der Finger der Ewigkeit war ausgestreckt und wies auf den Ablauf der Zeiten, und eine kleine Spanne war der Zeiger gerückt und war wie ein Kindermund klein und lächelnd, so jung war die Zeit, und war dahin fünfhundert Jahre und etliches.

Da sah ich auf. Eine Wolke stand steil über Helgoland. Der Mond sank früh herab.

Lange war mein Schlaf, dunkel mein Traum, voll von der Windharfe, die schweigt nicht auf der Westernsee in Ewigkeit.

Verwest war ich lange, doch über den Spanten meiner Rippen grünte der Brook, bis das Gras zertreten war, da wuchsen die Hellinge, da wuchsen die Mauern, die Schlote, da fing sich die Zeit in Röhren und Drähten, die Speicher wuchsen, die Häfen schnitten an mein Gebein, die Schienenstränge sangen mir die Weise Unbekannt. Die Dampfer schallten tief zu mir herab wie die Posaune am jungen Tag. Mein morscher Schädel stak wie einst im Wind, zerknirschte und verging. Da sammelte mich ein Möwenschrei, der schrie wie einst. Mein Spielball Schädel flog ihm zu, segelte am Wind, segelte an den Winden auf und ab, die Kranketten waren wie lange Zöpfe hinter ihm her. Ahoi, sie spulten sich heraus, die alten Windungen voll Glück und Jammer. Klirr, Kette Hirn, Glied um Glied in Flammen geschmiedet, lass sie uns wieder fangen, die tollen Tage, reiss nicht! Reiss nicht! Fang und zerbrich!

Gering ist der Mensch, ein Spott sind die Jahre, doch unendlich ist die Süsse des Lebens.

Auf den Werften sass ich, hoch wie die Wolken. Die Laufkatzen schnurrten unter meinen Hacken. Der Strom bäumte sich unter mir, unersättlich von Fernweh. Die Tatzen der Flut lagen gleich Weiberhänden gepflegt auf den Ufertischen, säuberlich zwischen die Schuppen gefingert. Fühlhörner, Füllhörner der Erde, zahm und gleisnerisch vor der klüftigen Weltmannsschnauze der Stadt.

Waren wir nicht auch zahm vor dir, du Tor und Mauergebirg? Du zackiger Wulst voll Hoffart und Schwüle, du grossmächtiger Narrenstock voll Mensch! Himmel und Meer haben wir vergessen in deinen Löchern voll Wollust und auf deinen Bänken voll Tüftelei und Hirngedünst. Aber als wir unterm Winserturm die Rattenzähne spürten und der Modersaft auf unsere Haare troff, da sprangen wir über deine Ketten und Galgen davon, du Recht vor Recht, du Bürgerverstand, da fiel dein gelangweilt geiles Licht von unseren Sohlen ab, da prangten wir wie einst stracks am Bullerwind und knallten die Steven ins Morgenrot, so rot es aus unserm Halse schoss, als der Henker das Schwert über uns geneigt.

Ein Schrei ist das Leben, verzückt und ohne Unterlass! Mund, Augen, Ohren und der Arme Lust, der Beine Macht, der Brust Unmässigkeit, des Bauches Ohneruh. Dahin, dahin! Ein Steinwurf ist der Mensch, steil standen wir im Zenit. Zersplissen musste Fall und Reep, verwurmt sind Rah und Stengen. Schön war der Tag, die Wellenaugen blau hinter dem roten Blut, da war die Zeit zu Ende.

Eine Lüge ist der Tod, eine Schäkerin von Lüge, ein kleiner Trost vor dem fragwürdigen, das dennoch kommt, eine bange, bleichgesichtige Lüge. Verflucht! Verwest war ich lange, doch ewig war ich wach im Schlaf. Ungelöscht war meine Last voll Lust, unerledigt die Frachten nach allen Häfen der Welt.

Gegen Duhnen komm ich über die Heide, wo das Land spitz wird und doch ein brauner Teller ist. Da stieg die Kimmung silbern über den Kring der Weite, blitzte an meine Stirn, so hell war mein Sinn. Hier hatten wir des Teufels Küche zu etlichen Malen. Viele der Schalme Brüder hieben die Pranken hier ins Kraut, als sie sterben mussten. Aber da schraubt sich der Turm von Neuwerk gen Westen herauf. Blaue Lämmer sind die Dächer bei dem guten Hirten Wankenicht.

Peilte ich aus den Luken gegen den Dämmerwind; auf den Sänden in Lee stand die Brandung. Schon flogen Seil und Treil unter die Marsen, die krengten wie blake Kerlsköpfe über dem Prielgischt, der auf den Sänden bebte wie flandrische Hemdsäume.

Ahoi! Du Westernsee! Was sangen die Kurrendeknäblein vor Unserer Lieben Frauen Dom? Ein Requiem dem Magister. Prost, ihr Scholares sub jugo, euer Joch schneidet nur langsamer als ein Schwert, ihr Ochsen des Herrn! Schweigt, ihr Weihrauchfässer! Dies ist der Duft der Westernsee. Toppt auf! Überall! Überall! Universitas ex! Vivat universum!

Sieben Masten sah ich auf einem Schiff, die Rahen takelten bis in den Himmelsgipfel. Und die Hölle sah ich fahren, die See war schwarz von Gestank, der aus den gelben Türmen quoll. Auch hörte ich ein Geheul, das war böser als die Dampferorgeln und kam aus dem grossen Qualm der Siebenmeilenstädte und schrie nach Freiheit und war rot vom Widerschein der Blutfahnen. Da waren viele Hände von Weinen und Streit so gierig als milde und langten nach Brot und schlugen die Reichen und verschwemmten in den Städten und wurden wieder still.

Segen Rostock sprachen die Glocken verrostet, die Fenster schliefen seit jener Zeit. Meines Vaters Stimme rief aus einem Stein gegen den Hafen zu, der war sein Grabstein gewesen. Es schliefen die Wimpel. Wie sprangen die Rahen, als wir an Bord liefen, die Kaperbriefe für den weiten Horizont im Latz.

Auf dem Marschenfett runksten die Bauernkühe, das war nicht anders geworden. Da schnitten wir manch strammen Säckel aus den prallen Höfen.

Gegen Marienhave war der Wind trandunstig und wehmütig. Unterm Dach grinsten mich die alten Steinköpfe an.

Da war es Sommer auf Scharhörnsriff, wo ich bäuchlings lag. Die Dünung klomm den Heven auf und dahl. Der heisse Sand klickerte unter den Wrackhölzern. Da hob sich die Woge wie Glas, war über mich gebogen als ein kühles Zelt, so wie ich schlafend lag in der Muschel Erde. Schon warf sie den Kamm zurück, und in dem Augenzwink, da sie zusammenbrach, sah ich die Welt in der Gillung gespiegelt, vereinigt Hellinge und Häfen, der Länder Überseegebrülle, Schwalch, Fieber und ungeheure Masse, sah auch die grosse Kunst des Menschen, der über die Länder der Erde mit kleiner Stimme hinwegspricht und Räume und Zeiten regiert mit wenig Hebeln. Und als ich noch staunend lag, dem Rauschen der Maschinen und dem Schmettern der gebahnten Blitze hingegeben, da zog sich das grosse Mass zusammen, vor dem sich Himmel und Meer verkrochen hatten, da wurden Himmel und Meer sehr hell. Da war der Woge Spiegelgatt der alten Tage Bild, und war doch nichts verändert als das Mass.

Denn es besteht des Menschen Seele unverändert, und sein Hunger und Durst ist ungestillt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und ewig ist das Meer und ist der Himmel, darein des Menschen Pflug nicht Falten noch Furchen reisst, die länger währten als ein Hauch.

Da stand an der Heckgillung manch Name, den die Salzsee verwischt und eingetrunken hat in ihre ewige Unschuld und Wandelbarkeit. Sunte Mareiken, so hiess unser Schiff und war eine schöne Hulk. Klaas schrie mir zu, die Glocke bellte acht Glasen. Farewell! Oxford und Rostock! Docende, discere!

Als ich im Speigatt lag und die Sterne durch die Spritzflocken zwitscherten, hatte ich ein Gesicht. Da sprengte die schwarze Stute Magret über den Norden her, dreibeinig und rünstig. Ihr entgegen, auf einem blutigroten Elefanten, stampfte Timur Lenk von Osten her und schwang die Satansgeissel. Aber von Westen her zog Godeke Michels auf seiner blauen Hulk und blies das Horn Gottes.

Gegrüsst, du Dreiländerweib, Dronning Margareta! Gegrüsst, du Völkerfrass, du Peitsche Pest, Khan Timur! Gegrüsst Godeke Michels, du guter Steuermann!

Wir hatten einst ein seines Nest auf Gotland, wo wir brüten wollten, ein Geschlecht von Rammsporn und Gerten, doch die Ostsee wurde ein dänischer Kammertopf. Die Westernsee hatte reinere Lüfte. Klar zum Wenden! Halse oder Ree! Vitalienses!

Da gab uns Störtebeker das Gesetz: Mein ist auch dein! und lehrte es uns: Frei ist die See, und vogelfrei ist der Erde Krämer, ob Baienfahrer, ob Hannemann, ob Hanse, ob Balte, Flandern oder Engeland. Richtschwert und Hochaltar bauen sich vor sein Schmalznapf, dem Ansatz seines Doppelkinns Gewähr zu leisten: denn sie fressen beide aus des Krämers Hand. Wir frassen nicht aus seiner Hand! Wir frassen seinen Speck aus Gottes Hand; Messer Gottes waren wir, schnitten scharf und zagten nicht. Unser war die See. Gottes Freunde hiessen wir und die rechten Kinder seiner Huld, ja, seiner Hulk, die ist der Erdkreis, der da segelt gleich einer runden Hulk in der Himmelssee.

Du warst unser Steuermann, Gottes guter Steuermann, Godeke, du Kerl!

Aber an dem grossen Mein und Dein, da mussten wir zerschellen, du und ich, denn die Zeit war nicht reif, und wir waren die Zeit.

Ich vergass den Aristoteles, die bucolica Vergilii, selbst den lustigen Ovid und die krummen Giebel der Kinderstrasse, die Korinthenklöben im Grossmuttergarten, die Mädchen auf dem Tanzhaus zu Augsburg, die Fontäne zu Siena, den Gestank zu Paris, die Muttergottesbilder zu Köln und die Jungfrauen am Lettner im Lieben Frauendom zu Hamburg. Vergass die Berge und Wälder, die Täler und die kleinen säuselnden Schluchten der Flüsse. Ein Reff in die Hügel! Tot sind die Berge, soviel auch der Wein darauf wächst, tot dem, der die Wogen geschmeckt hat und den Sturmpfiff in den Novemberwanten oder die Sehnsucht danach. Da vergass ich auch fast die Begine Hilgesill, die ich liebte. Einen Sommer lang war ich trunken vom Meerwein.

Godeke Michels, wenn deine roten Borsten sich am Nacken spreizten, dann ging ein schwalkiger Wind, dann schmolz die Mannschaft wie Blei zu einem Klumpen, der schwer unter deinen Augen lauerte; Gasten, die den Teufel mit seinem eigenen Schweif erdrosselt hätten, sie waren in deiner Hand. Ein Zuck, da flogen sie auf wie griechisches Feuer, stiessen in Kehlen und Kadaver, wären mit vertäuten Armen und Beinen die Besanrute emporgegangen, aufrecht, wenn du es gewollt hättest.

Dein Lachen bricht über die Schanzen. Es liess die Blumen blühen vor Emdens Polder, es liess die Tuchschacherer über die Reling hüpfen, den Fischen zum Frass. Magister war ich, das Meer ein Bild in der Kammer. Dein Lachen schwang über Helgoland, die Klippen bebten. Klein wurde die Westernsee vor deinem Lachen. Da seilten wir die Hoofden durch. Die Spanische Bucht drehte uns die Därme durch die Gurgeln. Dein Lachen schlug auf meine Karten. Ich legte den Passer aus der Hand, lange hatte ich an den Meridianen gezirkelt. Mein Kielwasser war schwarz von Tinte. Da stiegen wir an die Küste und standen auf Kap Finisterre. Nach Westen! sagte ich. Hallo! Antilia! Zipangu! Voll und bei!

Da fuhren wir zurück, um Klaas Störtebeker zu holen. Doch sie hatten ihn gefangen, den kessen Klaas. Seine Hulken waren in den Grund gegangen. Da hatten wir die neuen Länder im Traume gesehen und wagten es nicht allein. Es kam der Herbst, die Schiffe klebten von Racheblut. Dann kam der Schlafwinter zu Helgoland.

Viel Glück ist auf der See gewesen. Ein Hort der unverletzlichen Schalme, das war Helgoland. Zu Marienhave hatten wir Gold, Weiber und Wein vollauf, die Friesen hatten Vieh, und ihre Mädchen waren stur wie die blanke Flut, der Turm von Neuwerk war des süssen Schlemmens voll die Nacht im Mai, auf der Heide wuchsen Masten und Spanten, wie Kühe zogen die vollen Rümpfe von Hamburg gen Flandern und England. Wir molken nicht schlecht, was Gottes Gabe war, Likedeeler, das waren wir, dein war auch mein, die grosse Ordnung der Gleichheit suchten wir, die Freiheit und den Nichtjammer, das freie Recht der See und ihre Heiligkeit. Darum hatten wir sooft den Tort gegen die scheelen Herren der Welt, bis ihre Türme zitterten, da sie uns und einander das Brot der Wogen missgönnten.

Als Klaas von Alkun, der mit dem Stürzebecher, Störtebeker, der tolle Klaas, vor die Hunde gegangen war, da ging auch unser Glück dahin, denn wir hatten ihn sehr geliebt, du vor allen, Godeke.

Da blühte mir aus der Not die süsse Lust des Friedens, da rief ich den Meerfrieden gegen alle Küsten. Ach, einen kleinen Sommer lang waren meine Augen aufgetan, dann war es vorbei.

Ein Schläfer ist besser als die Toten, ein Trunkener besser als ein Schläfer, wieviel mehr muss der Lebendige gut sein, dessen Augen die Schönheit der Erde erblicken!

Bei uns war nicht Rang noch Neid, ein jeder war der Schalme Bruder, der Schalme lieber Bruder und ein Likedeeler zu gleichem Teil.

Doch was hat es genützt, das strenge Mass, die brennende Sucht, die selige Absicht! Es kamen die verwachten Nächte, die mir das Herz absengten, und die Ungewissheit und das erbärmliche Anrechnen und das Misstrauen, das ins Nichts frisst und die Seele zerätzt. Es kommt die Bosheit über den Menschen, so sehr er auch liebt, und sie macht ihn schlecht, so sehr er das Gute will. Da ging es seinen Gang. Kein Gift des Herzens war stark genug und keine Liebe. Denn alles hat seine Spanne Zeit.

Nie war die See so schön wie das Jahr, als wir wussten, dass wir sterben müssten, ehe der Sommer um sei. In den Häusern der Sterne las ich die schlimmen Sicheln, die uns mähen sollten.

Es sang eine Flöte unter der blonden Sonne. Da verschwand ich in die Wälder und war ein Bräutigam.

Es sang eine Stimme unterm Wind. Und der Wind kam von Ost. Da kam ich zurück auf die See.

Die Kugel Welt lag in unseren Händen, da war das Steuer mir anvertraut, jungfräulich stieg das Land aus der fremden See.

Aber Gott blies uns zurück, ein Wrack war unsere Hulk. Doch ungetröstet brannte die alte Sucht.

Sieh, das hattest du vor mir voraus, Godeke, der ich dein Schreibknecht war: Weiss war dein Kielwasser von Sturmgischt.

Unser Blut schoss in die gleichen Poren dieser Erde. Da hattest du nichts mehr voraus, Godeke Michels, da war unser beider Kielwasser rot von Tod.

Verwest war ich lange.

Klirr, Kette Hirn!

Die Sonne geht auf über Helgoland.

Der Wind

Ueber Helgoland ist der Wind niemals still. Ich weiss keine Zeit von dieser Insel, da es ruhiger gewesen wäre als in einer Mannschaft voll Geschrei, und zumal diesen Frühling war es toll. Ich sah eine Lumme wie einen Bolzen gegen den Fels klatschen, so dass sie betäubt niederfiel auf die Schiffsgalerie, wo ich stand; denn wir lagen im Windschatten beim Südhorn. Es brauste gleich Orgeln hinter den roten Kanten, ja, sie stiegen wie Orgelpfeifen über uns auf, wie sie grösser in keinem Dome zu sehen sind, und die groben Seepranken spielten darauf.

Godeke war in der Frühe eingeschlafen. Und da es mir schauerte in den modrigen Gängen der Hulk, war ich hinausgetreten vors Heck. Bei den langen Stössen der See und in der Dämmerung schien alles fahl und morsch, und die Kielbretter stöhnten sehr. Kull war nach oben gegangen, Ofenholz klein zu machen, sonst war niemand an Bord als noch die Ratten und Schnack, der Kater, der war mit Kull auf Deck gestiegen. Mir war sehr verlassen zumute nach diesem Winter, und es mangelte mir nicht an Erklärungen dafür, doch hoffte ich mit Freuden auf bessere Tage.

Ich zog die Leine an, das Beiboot war noch von gestern an die Galerie gebunden, wir lagen seit kurzem im freien Wasser, und es hüpfte munter zu mir her. So ruderte ich in meiner Verlassenheit hinüber an den Klippensteg. Es war sehr still auf dem Unterland, wo der Schalme Hütten und Speicher lagen. Wir hatten die drei Jahre viel gebaut, auch eine Kapelle, sie war aber zu Lichtmess abgebrannt; denn schliesslich waren selbst die Bittkerzen betrunken gewesen. Nun war wieder eine wüste Nacht dahin, die Nacht des letzten Fasses.

Ich gelangte an die Stufen, die den Fels hinaufgehen. Zwei Fischer kamen vom Oberland mir entgegen, aber sie grüssten mich nicht, es war ihnen gleich, sie hätten wohl lieber wieder unten gewohnt, ja, sie waren uns, weiss Gott, nicht mehr zugetan; denn wir hatten ihnen das Recht der Likedeeler gezeigt; das hatte ihnen wohl Spass gemacht, solange sie mit uns prassen konnten, doch als es uns knapp ging, merkten sie, dass wir auch ihre Hütten und Hammel, Weiber und Mägde geteilt hatten. (Es war das erstemal, dass wir alle auf Helgoland überwinterten, da wir uns zu Marienhave und bei den Friesen nicht mehr sicher fühlten.) Aber mich hätten sie schon grüssen sollen, oder hatten sie keine Furcht vor mir, weil ich allezeit freundlich gewesen war und nur geringfügigen Anteil genommen hatte an ihrem Eigentum. Oder dachten sie, es wäre nun an der Zeit aufzumucken, da Störtebeker dahin war, der sie, den Donner, doch anders ins Genick getreten hatte; trotzdem, er hatte es ihnen durch einige Possen gewürzt. Da es mich aber reizte und der eine auch Klaas hiess, rief ich ihnen von oben nach; jedoch wollten sie entweder nicht hören, oder der Wind trieb den Schall weg, sie stiegen unbekümmert weiter hinab. Ich stand schon fast auf der Falm, welches die Südkante ist von dem oberen Lande. Mein Sinn war mir halb zornig, halb unheimlich, und alsbald überwog das letztere, und es war mir, als habe ich nicht den Fischer, sondern den Toten gerufen. Ich starrte bedrängt auf das Meer, wo in dem Arm der weissen Klippe die Hulken ankerten. Mit abgeschlagenen Rahen und herabgelassenen Körben zinkten die Masten aus den dicken Rümpfen, die Sonne brach über der Düne durch die häsige Frühe. Sieben Hulken wuchsen aus dem Sturzacker der See, doch sahen sie gegen die Helle aus wie vertrocknete Lilien, aus denen die Staubbesen steif und unfruchtbar hervorstechen. Das stimmte mich wie vieles traurig. Der Aufbruch der Sonne erhob mich nicht; ich drehte mich um und schritt stampfend gegen den Wind an, der auf den kahlen Schild der Hochfläche schlug, da wurde mir leichter.

Hallo, der Wind, der Bullenbeisser, Kurrenreisser, der Purzelbaum von Wind, der närrische Unruhläufer, der die Ohren wachsen lässt wie Baumschwämme gross und darüber lärmt mit seiner Pritsche. Von Nordwesten brach es her, hieb wild auf den Block, wo ich wie ein Kiesel mich hinschob in seine heulenden Kiemen hinein. Der Rasen erzitterte, wo ich ging, und er war dicht wie Filz, weil die ewige Windsense ihn nicht hochkommen lässt.

Ich ging bis ans Nordhorn, wo es steil wie ein Bug ins Meer fällt. Meine Schultern lagen den Böen entgegen, ich blinzelte ihm zu, dem Racker Wind, dem grossen Bruder Unrast, er trat mir in die Kehle, er riss mir die Haare in Strähnen, er kugelte meine Knie scharf durch das Bruch vor, Schritt um Schritt gewann ich ihm ab, er warf mir die Hände zur Seite und machte mir die Finger hart wie Holznägel, zu hart für die Kurven voll Hirngespinst und die Wortzettel bei der Nacht.

Wind, Wind, Küselwind, du zwischen Kuss und Kreisel, o Wirbel meiner selbst! Heb’ mich auf wie einst an die Muschel Erde, dass ich es wieder sausen höre, du Allzugleich, du Atem und du Blut.

Nun standen wir wieder vorm Anfang, wie ein Bug ins Meer schneidet. Ach, es war ein saures Gelause um den Winterschlaf gewesen. Wir stanken einander in den Schlund und vermuddeten in Schnaps und Daunenfett. Es war ein Winter vollauf, nie hatten wir den Herbst so geerntet. Die vollen Hansewänste waren uns stracks in den Rachen geschwommen, zahlreich und gut. Und wir nahmen mit Recht und mit Grimm und im Übermass; denn Klaas war dahin, was sollte uns denn heilig sein! Dann sassen wir winterlangs auf dem festen Hort. Die Mündungen der Ströme, geladen mit Städtekoggen, sie waren auf uns gerichtet, voran die Elbe, doch waren sie verrammelt vom Eis, gerade zur rechten Zeit hatte der Nordnordost sie zugestopft, als sie sich nämlich verpustet hatten von der Jagd auf den Alkun, ja, auf den scharfen Alk, der nicht nur den Becher stürzen konnte, und er hatte ihnen verdammt Pein gemacht. Wir wussten genau, wie es hergegangen war, während wir in Spanien auf Kap Finisterre auslugten und ein Garn haspelten, tollkühn und unerhört, Godeke und ich. Vielleicht zu tollkühn, dass es uns verderben musste gleich denen hinter uns in der Westernsee, die den Hanseanlauf zu gering achteten und draufgingen. Wir hoben vom Krauel des Overdick die säuberlich heraus, die dabei gewesen waren zu Hamburg auf dem Brooke und es gesehen hatten. Wir liessen sie frisch von der Spiere hüpfen, als wir ihnen das Innerste abgesogen hatten, was sie wussten. Da wurde es finsterer um uns, wir waren von da an unserer genug, und keine Gnade war von uns mehr zu erkrampfen, so war es uns anbefohlen, und wir taten, was uns anbefohlen war, bis der Winter kam und von Martini an die See leer wurde, wie es nach dem Gesetz der Küsten geschieht.

Aber danach legte Godeke sich nieder, ohne siech zu sein, und er schlief und stand nicht auf den ganzen Winter hindurch. Doch manchmal in der Nacht, da redete er, das wusste ich allein; doch er wusste mehr als wir alle, soviel er auch schlief.

Daran dachte ich, als ich am Nordhorn stand, und dass wir gemeinsam so am Ende der Welt gestanden hatten, und ich dachte an Sir William Fist, der gemeint hatte, es sei nichts dahinter. Denn ich hatte die Briefe geschrieben, der ich zu Oxford gewesen war und Wiclifs wegen davonging. Und wir fuhren gegen die Themse mit Briefen für den König, die übernahm der Kraier mit der nebelhellen Flagge und brachte sie an Ort und Stelle. Wir kreuzten drei Tage mit der kleinen Schnigge bei üblem Futter, dann hatten wir den Siegelbrief, und Henry the Fourth liess uns majestätischen Trost zusegeln. Denn wie hätte es ihn nicht verdriessen sollen, dass gutbritische Untertanen wie Pilgrimson und Clays Sheld zu Hamburg verrottet waren. Die vom Kraier besoffen sich mit unseren Gästen drei Nächte lang, nur Sir William Fist sass bei uns in der Kajüte, denn er war ihr Admiral. Und zwischen unseren blauen Wänden stachen wir Kleber mit Schellenking, und Sir William konnte es bald gut und besser als ich; denn ich wusste, Godeke würde ihn fragen nach den Ländern im Westen, die wir damals gesehen hatten, als Störtebeker den bitteren Tod litt. Aber Godeke fragte spät, und ich hätte viel verloren, wenn Sir William nicht den lieben Wippacher wie Wasser geschlürft hätte, und Kull hatte Galgan und Ingwer daruntergemengt und brachte ihn glühheiss auf den Tisch; der Wind ging schon kalt auf der Westernsee. Doch war ich drei Nächte lang gefoltert, und meine Seele wurde mir lang gezogen wie ein Strick, der mich fast boshaft machte, aber Godeke hieb stur die Karten hin, und ich hieb stur daneben, worauf Sir William nichts übrigblieb, als desgleichen zu tun. Er war ein wortkarger Kürbisschädel, ich brauchte keine drei Worte zu verdolmetschen. Und ich zählte die Glasen, die draussen am Vordeck von der Wache angeschlagen wurden, bis das Etmal abgelaufen war und der Frühdunst durch die Luken gaffte. Dann erhob sich Godeke, Sir William liess sich an sein Fallreep zurückrudern und blieb aufrecht bis zur letzten Sprosse, wie es einem Seebefahrenen geziemt. Am Tag aber seilten wir hierhin und dorthin, lösten die Kartaunen, hissten und geiten, brausten mit allen Lappen daher, halsten auf tolldreiste Art, lärmten in den Marsen und rasten die Wanten auf und ab, um es den Engländern zu zeigen, das heisst, ich hielt mich mucks in meinem Losament, nickte zuweilen ein und fuhr elend empor, wenn die Drehbassen über mir das Kastell zerdonnerten. Aber Godeke führte das rauhe Wort vorm Grossmast, über dem seine blauschwarze Flagge wehte, und er machte die glimmigen Kerls zu Katzen, ja, damals schlief er nicht, weder Tag noch Nacht. In der dritten Nacht aber nahm er den Würfelbecher, schob ihn uns hin und warf zuletzt, da hatte er die meisten Augen gewürfelt. Da lachte er lauthals, so dass der Leuchter zitterte und die Flamme zurücksprang, und er lachte, dass wir ein Bündnis hätten mit dem grossmächtigen England, wir, die dreihundert auf Helgoland, und dass wir Helgoland halten sollten sowohl gegen Dänen als auch gegen Hansen. Wofür uns dreihundert Lasten Weizen sowie etliches mehr zukommen sollten. Und danach liess Godeke mich die Karte holen, mein Herz flatterte wie ein frischgefangener Vogel, und Godeke legte die Faust auf die Karte, wo England lag, klaubte neben sich mit der andern Hand eine Butzscheibe aus dem Fensterblei und hielt das Glas, das sehr hell, rund und weiss war, über die Stelle der Karte, wo ich Helgoland eingezeichnet hatte. Dann bedeutete er mir, Sir William einzuladen, durch das Glas zu sehen, und Sir William zögerte nicht, ja, er grinste sogar etwas, als England und Helgoland nebeneinander gleichgross erschienen. Dann drehte Godeke die Sache um, und er hielt das Glas über England, da sah Helgoland aus wie ein Floh gegen ein Gebirge, worüber Sir William denn richtig loslachte, vier kleine Böllerschüsse hintereinander. Als er nun so guter Laune war, da fragte Godeke ihn und ging mit der Hand sachte zwischen England und Frankreich hindurch und über Spanien hinweg an Afrika entlang bis Kap Non und über das Königreich Kanarien nach Westen bis dahin, wo das leere Weiss war, und ich hatte vermieden, das mare tenebrosum der Alten hineinzuschreiben, und da fragte Godeke, was da läge. Und ich übersetzte es Sir William und stotterte fast. Sir William senkte eine Furche schräg in seinen Kürbis, hisste die Augenbrauen und reffte die Stirn.

Nothing! sagte er.

Nichts? schrie ihn Godeke an und wartete nicht auf mich. Und er habe es mit seinen leibhaftigen Augen gesehen, das Nichts. Ich wollte pflichtschuldigst ans Dolmetschen gehen, er zuckte mich aber an und sprach herrisch: Schweig!

Der Windzug durch das Butzenloch zersträhnte die Kerzen und unsere Gesichter. Ich sah, wie es in Godeke brauste, und es brauste auch in mir, es ging wie eine unsichtbar gespannte Brandung über den Tisch, bis ich es nicht mehr bei mir behalten konnte und herausschrie: Und Antilia und Zipangu?

Da verlöschte die Kerze im Zug, und wir standen im Dunkeln, nur von der kleinen ewigen Lampe unter der Decke betastet; doch Sir William in unbespülter Ruhe sagte dröhnig: Nonsens!

So kamen wir etwas misshellig mit der weissen Königsflagge auseinander. Doch liessen wir von da an den Engeländern freien Durchzug durch unsere Triften, so dass sie ungerupft blieben wie die Engel Gottes. Wohingegen wir die Brust nach Süden und Osten nicht wenig hinausreckten, die wir den grossmächtigen Tower als Rückenstütze hatten, wir packten frei zu und scheuten auch die Hansen nicht, wodurch unsere Speicher voll wurden zu Hilgelande und unsere Backen fett den Winter. Denn auch die Holländer waren uns zugeneigt, manche der Brüder rüsteten an der Küste gegen die Pfaffen, wie auch Störtebekers Bruder Johan dort als Feldmeister aufgenommen war nach dem Emsschlamassel. Auch liess die dänische Magret uns gelten, wenngleich sie wohl Anspruch erhob auf den roten Brocken, der unseres Lebens Speise war, und ihn uns nicht gönnte, doch gönnte sie ihn, weiss Gott, den Hansen noch weniger.

So blieben denn die Hansen, und wir lagen ihnen auf der Nase wie einem Hund der Wurstzipfel, und sie wussten uns nicht zu erschnappen, ja, sie wagten es nicht und konnten es nicht, bis wir selber den Bannfinger senkten und geboten: Nun friss! Venn es war noch nicht unsere Zeit.

*

Ja, wäre sie nie gekommen, unsere Zeit!

So sehr war noch kein Wind gegen meinen Leib gerannt, dass er ihn durchwehte wie ein Sieb und ihn leicht machte, als solle ich aufschweben in die blaue Kumme des Himmels. Nie hatte der Frühling diese Gewalt gehabt. Gleich Bogengängen voll Tumult rückten die Wellen gegen die Kliffs, hoben sich wie Lagertürme, aus denen die Sperre wie weisse Wolken brachen, dröhnten empor und zerbarsten gellend, dass mir der Gischt um die Ohren rauchte, so hoch ich auch stand. Wie Planken zitterte es unter mir, als solle ich nie mehr festen Grund gewohnt werden, ich musste mich an die Stelle klemmen, meine Zehen eingraben, so unermesslich brüllte die See herauf, es prickelte mich oft das Grausen, als würde der Fels einstürzen beim nächsten Anprall. Auch sah ich die Heere der weissen Elefanten anstürmen, besät mit zackigen Schützenkörben; Zelter und Läufer drängten dazwischen, der König Kyros fuhr prächtig hervor, und an seinem Streitwagen blitzten die Schwerträder, das Menschenfleisch zu mähen, und ich schrie auf wie die Kinder Israel. Dann sah ich einmal einen Baum aufblühen mitten in der See, die Krone wiegte sich so lau im Wind, ich fühlte den Duft herüberkraulen, doch zerstob der Schaum bald, und mein Herz wurde mir zaghaft; die Unruhe der See bohrte sich auf einmal in mein Herz, so dass ich misslaunig wurde und den Blick abwandte von dem Toben, ja, lieber anderswo gewesen wäre. Was dauerte auch das Verliegen bis in alle Ewigkeit! Nun war es wohl an der Zeit, aber Godeke schlief.

Wie waren sie doch vermummelt in ihren Bärenschlaf. Als das Eis sich im Hafen anschoppte und das Speckbrot sie mit Pickeln segnete und das Fleetbier ihnen zu den Nüstern herausschäumte, da waren sie der Schalme liebere Brüder denn je. Da wurden die Tische nie leer von Dampfendem und Knusprigem, von Saftigem und Geschäumtem, der Backstaven lieferte die Brote zu drei Ellen, sonst verschlug es nichts, und die Schnitten deckten dreist einen Abtritt. Dazu die Würste von Dorum in Ochsendärmen wie Weiberschenkel und die Schinken aus Westfalia wie Focksegel gross; ach, wie die Messer leise zischten, wenn das Weissfett sich mattglänzend abbog. Und die Grützknödel nicht zu vergessen, die der Polderhals drehte mit der Einlage aus Zimmetsahne und Dottermus, die aufmunternd waren wie ein Stossgebet im wilden Gemetzel, und die roten Lachsfladen, die wir wie Hanseflaggen herunterholten und die von Fett troffen, und dann die Wachteln und das Krammetsgefiepe, das im Herbst wie Manna vom Himmel regnete und in Tonnen gepökelt wurde. Derlow, der Leckerzahn, war darauf gekommen, es schmolz uns die düsteren Tage wie Honig durch die Kehlen, wenngleich die Heringe dafür schlechter waren und wir sie wenig beachteten. Denn wir hatten die Vollbauchsabende nicht nur während der zwölf Nächte um den Heiligen Christ herum, sondern mondelang, und spülten die guten Dinge herunter mit Markobrunner und Gänsfüsser, Katzentaler und Stollengartner und liessen den Eilfinger in die Gurgel kitzeln, wenn es zuviel wurde, damit es von vorn beginnen könne. Und dann der süsse Malvasier, und wenn die Kälte uns piesackte, das doppelte Warmbier, das lieblich quirlte wie die Sommersee. Es hörte der Silberbecher der Schalme nicht auf zu kreisen, und der Trinkspruch, der darauf eingeritzt war, dröhnte von den Hüttenbalken allerorts:

Ick, Jonker Sissinga,

Von Groninga,

Drink dees heusa,

In een fleusa

Door myn kraga

In myn maga.

Wer wollte da wohl auf den Hulken bleiben, wo die Speicher so dick am Lande strotzten und es vollauf war in den Hütten Kanaans. Godeke legte seinen Blick auf keinen. Nur er und ich blieben auf unserer Hulk. Das Eis krachte gegen die Spanten, die klirrenden Bärte hingen über Topp und Takel, es war ein Affenkram und Seiltanz auf Deck und wurde erst besser, als wir einfroren. Da konnte ich auch wieder zeichnen. Oft war ich heimlich an Land und frass mit an den Tischen. Godeke war stumm und fragte nicht, ich hätte auch nicht bleiben brauchen, dennoch schlich ich heim in der Frühe wie ein gestrolchter Hund, kletterte leise auf den Schollen und wickelte Lappen um meine Sohlen. Doch Kull, das Hinkebein, sang schon den Hymnus von der hochgebauten Stadt; denn er pflegte Godekes Zimmer in der Weise zu schwabbern, mich wunderte oft, dass Godeke es ihm nicht verbot, was er ihm einmal im Scherz anbefohlen hatte. Er sang verdammt nicht schön, der Mensch, und keiner konnte dabei schlafen.

Nein, Godeke liess mich nie zum Bösen rufen, ich war frei wie er. Nur dass mein Passer manchmal verschoben war, wenn ich heimkam. Ich verbat es mir bei Kull, doch kam es wieder vor, und ich besorgte mich, schob es aber dennoch auf Kull. Ich hätte es nicht gerne gezeigt, ehe es fertig war, was ich vorhatte. Es störte mich nur, dass Kull aus- und einhinkte, um das Feuer zu beachten; denn Godekes Stube wurde zugleich von meinem Ofen geheizt.

Wie sehr liebte ich Godeke, als er damals so still war und nichts von mir wollte. Wir assen meistens zusammen, zabelten auch ein wenig am Schachbrett; denn ihm fehlte nichts, er war wie ein Forst, der im Winter still daliegt und seine Zeit abwartet. Er lag auf dem Rücken wie ein Fürst gewaltig, selbst in der Koje. Diese war ein Alkoven, geschnitzt und mit seidenen Vorhängen, darauf waren maurische Linien gestickt. Sie stammten von einer spanischen Karacke, die noch mehr dergleichen in sich geborgen hatte, doch wer hätte Sinn für solches haben sollen, wenn nicht Godeke. Ich nahm damals das granadische Reisszeug und die kleine siebenschalige Kugel, darauf das Himmelsgewölbe in den gegebenen Zeichen abgebildet war. Ja, danach liessen wir den gelbschnäuzigen Muselmanmulus mit seiner ganzen blauhaarigen Sippschaft ungeschoren abrauschen, als wir ihm eben diese Sachen wie noch etliche Teppiche für Godekes Losament abgeknöpft hatten. Es murrte nicht einer der Schalme, dass Godeke so milde war, hatte er dafür doch von den Weibern des Beischiffes keine genommen, sondern sie alle uns überlassen. Wie bewunderten wir ihn vielmehr, war er doch anders als wir, ein grosser Herr, der einen Leckerbissen mit spitzen Fingern heraushob, für den wir keinen Nerv hatten. Nur ich stand noch ausserhalb, wenngleich ich mir damals nicht verkniffen hatte, das Frauenzelt auch von innen zu sehen, um ein wenig Ordnung zu halten, wo danach schlecht eine zu halten war. Ich denke teils ungern daran zurück, zumal diesen Frühling bedrängte es mich; es war fremd und zierlich, wo alles roh war bei uns, ja, ich schämte mich in diesem Frühlinge mehr als einmal nachträglich über unsere Roheit.

Und mit mehr Freude als je weilte ich an meiner Arbeit. Vor dem Fenster war nichts als ein Stück entfernter Düne mit dem Gerippe der Helling und dahinter der Horizont, und als wir wegen der Südwinde drehten und die Anker umwarfen, da war es nur der Horizont, und ich sah nach Westen.

Neben mir hinter der dünnen Wand fühlte ich Godekes Atem, ich fühlte ihn daliegen in seinem schönen Alkoven, daran zu beiden Seiten Frauen mit Fischschwänzen geschnitzt waren und auf lustig gewundenen Muscheln bliesen, und sie waren in Rot und Gold bemalt, die Vorhänge jedoch waren blau, die Zeichen darauf mit Silber gestickt. Die Kajüte hatte die ganze Reihe der Heckfenster inne, vor denen stand ein schwerer Kugeltisch. Die Decke war aus sehr schönem hellen Zedernholz, wonach es stets ein bisschen duftete, wie auch der Tempel Salomonis so geduftet haben soll. An den Wänden hingen die beiden blauen Messtücher des heiligen Vincentius aus der Kathedrale San Jago, darunter einige kostbare Gewebe aus anderen Orten. Die maurischen Teppiche lagen teils auf dem Boden, teils dienten sie als Oberbett für die Koje, namentlich diesen harten Winter. Ein grosser silberner Leuchter stand dicht neben dem Lager, und eine dicke Kerze brannte darauf die ganzen Nächte, wir hatten ja genug Wachs dazu von den Rigafahrern, ja, wir nahmen alles, was wir hatten, nur für Godekes Kerze, weil sie sodann ungeschneuzt bleiben konnte wie ein Kirchenlicht. Zu beiden Seiten führten Türen auf die Galerie, so dass man je nach dem Wind in Lee hinausgehen konnte und die Einrichtung nicht in Unordnung kam, wenn man achtgab. Das Seltsamste in Godekes Logis befand sich aber an der Hinterwand des Alkovens in Höhe der Kajütsdecke. Es war nicht sehr auffällig, doch habe ich es öfter genau betrachtet, den kleinen silbernen Schrein; er war so gross wie eines Mannes Kopf, mit Scheiben aus gelblichem Marienglas, und darinnen war ein länglich roter, vertrockneter Gegenstand, sorgfältig von goldenen Spangen gehalten. Das war die Zunge des heiligen Vincentius, wie sie ihm in seiner Marter entrissen wurde, nachdem er mit ihr Zeugnis abgelegt hatte. Man behauptete in San Jago von ihr, sie könne genau wie einst an ihrem lebendigen Orte auch seht noch durch die Kraft des Höchsten reden und die Ereignisse voraussagen. Ich selber habe es nie erfahren, wenngleich ich es einige Male versucht habe, ich vermochte kein Sterbenswort aus dem wunderbaren Überrest zu locken. Doch meine ich gehört zu haben, wie Godeke, wenn er allein war, manchmal mit diesem Heiligtum sprach. Mein Logis war hart vor seinem gelegen. (Auf der anderen Seite lag das Gemach oder Abtritt, dabei auch Kulls, des Aufwärters, Koje, dazwischen der Gang, der am Fuss des Besanmastes vorbei nach dem Mittelschiff führte.) Ich erinnere mich an keines jener Gespräche genau; denn sie waren verworren und vielleicht auch im Traum gesprochen. Godeke war überhaupt in manchen Dingen wie ein Kind, obschon ich diese Meinung eigentlich nur auf diesen Gegenstand anwenden möchte und da auch nur in gewisser Beziehung. Was Godeke auch tat, es hatte seinen Sinn, so verborgen es auch liegen mochte. Es war auch weit entfernt von der Verfinsterung der Zeit; denn wir verachteten den Anrufungsschwindel. In dieser Meinung über Godeke will ich mich nicht rühmen, wenngleich ich ihn gut verstand; keiner war so um ihn wie ich. Dies war eben das Unheimlichste an ihm, wenn er nachts sprach und seine Stimme leise und sanft war, so rauh sie sonst erdröhnte. Vielleicht auch nur, weil in der Nacht alles unheimlicher wird, zumal es vom Wind in allen Fugen knackt, wenn das Eis birst wie Kartaunenschläge, wenn die Blöcke an den Tauen schaben und das Wasser ächzt und wie mit Händen anplatscht und den Menschen hin und her hebt ohne Ruh. Da hab’ ich es manchmal zum Teufel gewünscht und mich selbst dazu, dass ich auf die dunkle See gegangen bin und in den Käfig der Schiffe. Es widerstrebte mir lange Zeit überhaupt hinzuhorchen, wenn Godekes Stimme um die Hundewache herum, da jeder froh ist, schlafen zu dürfen, mit der abgeschnittenen Zunge zu reden begann. Er hat es nie getan ausser damals, als unser letzter Frühling anbrach. Er sprach auch sehr dumpf, und ich musste mich anstrengen, es zu hören, oft schlief ich darüber ein, ja, wie oft mag ich trotzdem geschlafen haben, wenn er sprach. Zu meiner Schande muss ich es gestehen, ich war damals von Essen und Trinken behäbig geworden und konnte schlafen, sobald ich sass oder lag. Denn der Mensch ist wie eine Glocke, er tönt nicht mehr, wenn er vollgefüllt ist.

Doch die Frühlingsstürme machten uns alle wieder beweglicher, die Hulk kam eisfrei, sie flog auf und ab, und da ich es lange nicht mehr gewohnt war, solche Wiege zu haben, so schlief ich oft elend genug. Und ich hätte keine Ohren haben müssen, und es machte mir viel zu schaffen, was ich hörte; denn ich war es, der Godeke am nächsten stand, da Klaas dahin war.

Aber vorerst hatten wir noch viel zu leiden unter der Ausbesserung der Schiffe: kein Mensch war darauf gekommen, bis es einigen Rottenführern und Steuerleuten zu sehr an den Pickeln juckte und sie luvgierig nach den Booten grölten. Wie denn allmählich die übersatten Rülpser bei Stockfisch, Reis und Dünnbier sowieso aufhören mussten. Von Aschermittwoch bis den Tag nach Palmsonntag, da wir die Liburne fingen, mussten wir wohl oder übel die grossen Fasten mithalten, so wenig uns daran gelegen war. Es wurde knapp auf Helgoland.

*

Es wurde knapp, deswegen mussten wir uns umtun. So fuhren zwei Schniggen nach Marienhave, doch zeigten die Stedinger einen Geleitbrief von Störtebeker und auch vom Propste Hisko. Denn die Stedinger waren uns verbrüdert durch ihren Abschwur der welschen Fürbitter Gottes und der äusserlichen Gebote, sie waren frei in ihrer lieben Seele wie wir; doch hatte es sie nicht abgehalten, unsere Speicher dort leerzufressen im Winter ihrer Bedrängnis. Hans von Derlow liess ihrer einen mitkommen, damit er sich zu Helgoland verantworten solle, aber wir vermochten nicht, ihm viel Missgierde nachzutragen, hatten wir uns doch selber die Wänste nicht eintrocknen lassen und im Unmass gelebt. Dieser zudem war nur ein schmächtiger Mann dabei geblieben, verbissen auf die Heilige Schrift und mit hellsüchtigen Augen. Er kam gekleidet wie ein Franziskaner von der grauen Sorte, seine Hände waren noch rauh von Ackerwerk, wie Spaten eckig und dreckig, sein Bart war igelstruppig, und er ging ducknackig wie über einem schlechten Pflug. Seine Augen waren mir anfangs unbehaglich in ihrer Weisse, aber ich gewöhnte mich daran, sie kamen mir später vergleichsweise vor wie zwei helle Vögel, die über ein struppiges Buschland auffliegen, um an den Weltrand zu sehen. Und sie blieben sich immer gleich, selbst als ihm von der See übel wurde, ja, selbst als er den Tod leiden sollte. Er wurde auf unsere Hulk gelegt, Godeke wollte es so, und da ich mich mit ihm unterhalten konnte, war es mir nicht leid, war mir doch der Mund fast zugerostet diesen Winter.

Godeke Michels war aufgestanden, als die Schniggen zurück waren. Den Bericht Derlows hatte er noch im Bett angehört und sich den Stedinger besehen. Nun aber dröhnte das Deck von seinem Schritt.

Noch war keiner unserer Leute von Land, als hätten sie ihn nicht stören mögen die Zeit, aber drüben auf den Schiffen polterte es, die Marskörbe stiegen auf, die Rahen wurden emporgehievt. Godeke stand vorne am Klüver, seine Kappe beulte sich im Wind.

Kull schlurfte demütig hinter den Grossmast. Es war so seltsam, dass Godeke da vorne stand, als habe er nie geschlafen. In mir klopfte das Herz vor Freude, als sei ich eine Hulk in der Helling. Ja, es würde neu beginnen, das grosse Leben auf der See!

Godeke wandte sich um, er kam zurück; er hatte wohl das Meer gegrüsst und den Kalender gemacht für das runde Jahr. Er warf Kull ein Wort zu, und er ging weiter, und das Schiff dröhnte wie eine Schlachttrommel, die jäh abbrach, da er vor mir stehenblieb. Er sah mich nicht an, sondern ins Weite. Mir schimmerte es vor den Augen wie aus Feuer und Himmelsblau, ich wollte die Zunge ansetzen, da lachte er aus seinem roten Bart. Er lachte, als schreie er, kurzstössig und hell, die roten Borsten über seinen Augen zuckten, und er lachte in den Himmel, als schössen die kleinen Wolken aus seinem Munde, und sie zerstoben wie eine Lämmerherde; da wurde es über ihm sein blauer Baldachin, der von seinem Lachen widerhallte.

Und als er aufhörte zu lachen, da merkte man, dass der Rumor auf den Schiffen abgestoppt war, es standen alle an den Schanzkleidungen, und es begann leise erst ein Gemurmel und wurde stärker und trappelte an, als kämen Füllen von fern über eine Wiese, und dann brach es hervor, das Lachen der Schalme, und kam von allen Hulken, als wieherten sie wie Pferde und schnaubten gegen die See vor Lust und Ungeduld. Und vom Lande widertönte es, dröhnte aus den Felsenorgeln, von den Hütten, aus den Schuppen, von der Falm selbst und vom Oberland, so, als flögen Bienen in den ersten Blust, so heiter klang es und wohlgemut; denn auferstanden waren wir und grüssten in alle Winde, daraus es voll von Frühling blies.

Als es nun abgeklungen war und die Schiffsvölker eifriger ans Werk gingen, unsere Mannschaft sich nun auch am Unterland sammelte und die Boote ins Wasser schob, da knallte plötzlich unsere kleine Kartaune dazwischen, die wir den Pfeifer nannten, und sie pfiff einen kurzen, klagenden Ton in unsere Munterkeit. Die Seevögel wölkten von der Düne hoch, vollführten ein auf- und abgellendes Geschrei und sanken wieder hinunter. Nur eine grosse Mantelmöwe zog seewärts ab und lachte hohl und spöttisch als letzte dreimal über unseren Masten.

Godeke hatte durch den Schuss das Zeichen für die Schiffer und Steuerleute geben lassen, sich zu versammeln auf der Sunte Mareiken; wie Godeke stets die rechte Zeit gewusst hat, Rat zu schlagen und der Likedeeler Meinung zu befestigen. Da stieg sein Fluger stolz auf in den Anbeginn des Jahres, der Stern im schwarzen Feld, das ist der Jupiter, darunter das schräge Schwert Michaels, darunter der gekrümmte Drache im blauen Feld.

Wir tagten in der Back, weil das rote Zelt noch nicht aufgeschlagen war und Godekes Kajüte nicht für jedwedens rohe Beine herhalten konnte und für ihrer zehn Anführer. So musste der Stedinger, der dort im Logis von seiner Kotzerei ausschlief, hinaus, und ich gab ihm meine Koje solange.

Wohl hoffte ich, Godeke würde sogleich vorschlagen, nach Westen zu segeln trotz Sir Williams hirnvernagelter Antwort. Denn mir war das Gequengel zwischen den Küsten in den Hals zuwider, wie wir es drei Jahre geführt hatten, ungeachtet die zwei binnenlandes in der Ostsee zu meiner Zeit. Meine Seele war der unbekannten Ferne zugewandt, seit ich die Salzsee geschmeckt hatte, und es war in mir aufgestiegen mehr und mehr, dass ich oft meinte, den Kopf in mir selber vergraben zu müssen, so unsinnig zog es mich davon. Aber diesen Tag war noch keine Rede über die grosse Fahrt. Godeke war scharf und kurz. Es wurde nur die schnelle Kalfaterung und Aufarbeitung für alles Seegeschirr anbefohlen. Keine Sanduhr war abgelaufen, als das Gehämmer und Geschabe um das Doppelte eifrig gen Himmel prasselte. Unsere Gasten schwoiten nun auch in den Booten heran und wälzten sich an Deck. Sie bemühten sich, gleich Luchsen auf die Planken zu hüpfen, aber die Wintermast lag wulstig um ihre Knochen, sie plumpsten wie die Säcke in die Luken, stolperten über jeden Bolzen. Ihre Finger stöhnten auf, wenn sie sich mit den Leinen vermengen sollten, ihre Knie schlotterten, wenn sie auf die Wanten schielten. Einige spuckten sich tollkühn in die Hände und wrungsten sich mühselig hinauf und hingen wie die Pflaumen an der Rahen, reif zum Abfallen, es war ein wahrer Jammer. Immerhin hatten sie es wohlweislich abgepasst. Godeke frühstückte in seiner Kajüte. Ich war oben geblieben, sie zu empfangen. Als er aber herauskam und die Bescherung sah, da lachte er noch einmal, aber schneidend wie ein geworfenes Beil, und es war, als bliebe es im Grossmast stecken, eben über der Rah, und hinge über uns allen. Wir duckten uns, so gut es ging. Aber zwei Tage und zwei Nächte lang hörte unser Herz wie ein armer Specht nicht auf zu klopfen. Denn er nahm uns vor, unser Winterfett im kalten Salzwasser garzukochen.

Wir sangen den Anker auf, es klang wie ein Pestlied. Wir beschlugen die Segel, da lagen wir schon im Drift, und wir gierten davon, vollgebrasst und eben über die blinden Klippen weg, dass es uns schauerte, und kamen in den freien Wind, und Godeke stand am Steuer. Sein Kommando hieb uns ins kreuz, wir lavierten scharf in der steifen Kühlte. Helgoland war bald ausser Sicht. Die Hulk schüttelte uns durcheinander, als sollten wir gescheffelt werden. Dennoch setzten wir Schönsegel, damit wir noch mehr Fahrt hätten, und sausten stampfend im Gischt.

Nachmittags schralte der Wind von der Sonne ab, es wurde böig, die Seen plantschten über das Mitteldeck. Godeke liess alle Fetzen oben. Ich sass im Lugkorb, fast ohne Besinnung von der Schleuder. Mein Herz schrie zwischen Verzagen und Jauchzen, er solle es noch toller machen. Es röhrte in den Marsen, als ob sie gepeitscht würden wie Schilfkolben. Ich schwang über der prall sausenden Segelwolke, das Raumhohl klöterte tief unten, ein nasses Fass voll Erdenschrei, und oft war es eben vorm Bersten. Mit zitternden Fäusten knoteten die Kerle an Fock und Nock, gewärtig, im nächsten Nu in die See zu kippen. Es krachte in den Klinkern, wir torkelten zwischen den Wogengebirgen, als sollten wir alle zur Hölle. Vom Klüver kamen Geräusche wie von einem brechenden Zahn. Nichts war getan und in Ordnung, nichts gelabsalbert an dem alten Rumpf. Gegen Abend musste das Leck im Bug gestopft werden, das sich wieder auftat vom Rammen auf der Ems her. Wie Säcke hingen sie verklammt in den Wanten, die Bäuche der Schalme, sie teilten sich schmerzhaft über der schwingenden Rah, wo die Reffbänder auf- und zugeschnürt wurden. Wie Godeke es wollte. Hinnerk Spillbeul fiel vom Spritsegel, wo fein Platz war, und wir konnten ihm nicht helfen. Er war der schwersten einer geworden, seine Backen hingen ihm bis in die Kniekehlen, Gott sei ihm nicht gram in seinem milden Schoss. Doch auch Herrn Büssow verschwand wie ein Stein, als er mich abgelöst hatte im Ausguck, da der Marskorb beim Halsen schiefrutschte, und es traf uns kein Wort, ihn aus der See zu holen. Wir verklemmten den Schreck, hatten es auch sauer genug, uns selber zu halten; denn ich blieb auch auf Deck, da ich die Backbordwache führte und gleich einem Steuermann galt, trotzdem sie heimlich mich immer für einen Unbefahrenen und Soldaten achteten, ja für einen Laffen, weil ich eben nicht wie sie nur das eine sein konnte.

Als der Wind ein wenig einnickte, bald nach Mitternacht, da rief Godeke meinen Namen und gab mir das Steuer und wies auf den Strich im Nachthaus, wo die Kompassnadel in der schwimmenden Schale schimmerte, von der Hecklaterne ein wenig beleuchtet. Sooft ich auch auf grossen Schiffen das Ruder geführt hatte und den Windlauf berechnet und die Vermeidung der Brecher, so war es mir doch nach dem langen Winter, als sei es das erstemal, und als sei ich ein Knabe, so bebte meine Hand. Es stand eine grobe See, doch blies es noch stetig genug, so dass mir der Steuerdruck gut gehorchte. Aber wir hatten auf den gebotenen Strich hin viel Schlagseite, und als die Luke zugeklappert war, da liess ich die Hulk ein wenig sachter gleiten, ich schor, wenngleich dreist eigenmächtig, einige Striche gegen Lee, um sie steifer zu kriegen, denn wir seilten sowieso nur nach Norden. Auch hoffte ich, sie würden es mir danken, und ich berief die beiden Bootsleute, Zore Humpelpack und Gerd Gröning, aber sie sahen mich im fliegenden Mond misstrauisch an, trotzdem sie sich vorher kaum im Lot hatten halten können. Ich liess die Steuerbordwache in die Bultsäcke kriechen, hatte ich an der halben Back doch Manns genug, da sie unserer fünfundzwanzig waren, denn die über Bord gegangenen gehörten zu Godekes Seite, was mich mit ihrem Tod schneller versöhnte, als mir selber erspriesslich dünkte. Und wenn sie auch verfressen aus dem langen Winterschlaf kamen, es waren doch sture Kerle, wie ich ihnen überhaupt allen zugetan war und mir nie eine liebere Gesellschaft gewünscht habe als der Schalme Brüder oder nie für lange Zeit.

So stand ich am Ruder und hielt es im Zügel, dass es blieb, wie ich wollte. Die Handhaben waren bis auf den höchsten Überlauf geführt, künstlich das ganze Heck hinauf, so dass man frei stand und eben unter die Segelkanten hinwegsah bis auf das Vorkastell und über den Bugspriet hin. Es war darum, weil Godeke es liebte, Steuermann und Befehlshaber zugleich zu sein. Und ich fühlte mich wie er und sah die kleine Nadel schweben, die es warm hatte in ihrem Mantel Strohhalm, und ich sah sie vornweg stechen wie einen Spiess nach der Erde Ende. Meine Gedanken fuhren auf der Kuppe hin und her und entwetzten endgültig über Backbord. Da war es mir, als müsse ich das Ruder herumlegen, ihnen nachzukommen, und den Wind bitten, mit Siebenmeilenstiefeln aus Nordost zu blasen, so dass es lange Zeit Nacht wäre und wir dahinflögen, ohne dass uns die Sonne einhole, durch die Hoofden, durch die Spanische Bucht und hinaus in den unbekannten Ozean, und so schnell, dass wir die Sonne wieder erreichen würden am anderen Ende der Erde, wo sie gerade untergeht über den Glückseligen Inseln, darauf die goldenen Abendmahlzeiten schon auf den Bäumen wachsen und die Menschen bräunlich und wohlriechend umherwandeln seit der Schöpfung in eitel Freude und Unschuld.

Als ich mir dieses noch weiter ausmalte, da begann mich schrecklich zu frieren, so dick mein Wams auch war, denn es wurde gegen Morgen, und Schauer von winzigen Eisnadeln brachen durch die Takelung. Ich stierte auf meine nördlichen Striche, der Wind mallte, es kam viel Wasser über die Reling, ich liess hin und her brassen, damit die Kerle warm blieben. Das Hecklicht warf meinen Schatten zerstückelt in die wechselnden Segelmulden, in denen meine Stimme zerscholl. Bis ich es müde wurde und vor mich hindöste ohne Nachsinnen. Das Besandreieck lag wie eine Nachtmütze über mir, aus deren Wölbung sich mein Schatten schläfrig über mich beugte.

Im ersten Ring der Dämmerung tief auf der zackigen Kimmung sah ich einen Küstenwall aufdunen, nach der Landkennung war es auf der Höhe von Blaavands-Huk. Ich hielt noch ein wenig westlicher und schleckte die paar Striche wie Sahne. Die Wache löste ab, Gerd Gröning klomm herauf; ich blieb und wollte keine Ablösung.

Die See polterte grob gegen die Wände. Wie Wagschalen flogen die Kastelle, und ich war bald zu schwer, bald zu leicht, es war, als hielte uns ein Schlagbaum mittschiffs unterm Kiel, darauf wir wippten. Und ich sah es wohl, wer vorn am Bugspriet stand und gegen mich ausgewogen wurde. Danach ging es wie ein Kinderkreisel, wir drehten wie verrückt, doch die Nadel pendelte kaum. Ich presste das Ruder angstvoll in die Achselhöhle; wie abgestorben waren meine Seiten, eine steife, fühllose Handspake war ich, eingespiekert in das Heck, das Schiff damit zu pieken, dass es tanze. Es tanzte wie ein Bock, ritt grasig auf den hohlen Bülgen, nun sprang es eine Meile weit, nun bäumte es zurück, nun schurrte es den Grund, nun schlug es an den Himmel. Die Segel labberten wie Apostelbärte, knallten, winkten mir zu, strafften sich und scheuerten knurrend am Gewölbe. Das Tauwerk lief gespensterhaft aus der Dunkelheit, schimmernd von Reif. Die Nadel zitterte, wieder einen Strich nach Westen. Ich sah mich um wie ein naschender Kater und drehte rasch wieder bei, sieh, Godeke, es ist der schnurgerade Kurs auf den kleinen Brummbären zu, als wären wir hild darauf, ihn zu fangen. Der Polstern surrte wie ein irrer Funke um den Mars. Gischt schlug mir auf die Augen, die in mir sengten gleich zwei Kerzen vor einem Eisfenster.

Und wie es mich jählings hob und ich das Fieber spürte aus Kälte, Übernächtigkeit und Frühling, da meinte ich, durch das Takelgezerre und den jammernden Kasten von unten herauf Godekes Stimme zu vernehmen, und sie war sanft und zutröstlich. Da hörte ich wohl, was sie sprach, und sie sprach, was ich schon kannte aus den wachen Nächten vor Helgoland, und ich krümmte mich über den Helmstock vor Brandung meines Blutes. Was redete er so kindermild von der Schönheit der Welt, von der Süsse der Ferne und von den Meeren, die Gewalt haben über des Menschen Seele. Mein Herz brach in die Wanten des Himmels vor Bangigkeit und Lust. An allen Enden der Erde waren die Leuchtfeuer entzündet zu unserer