Das Orakel vom Teufelsstein - Hans-Peter Bauer - E-Book

Das Orakel vom Teufelsstein E-Book

Hans-Peter Bauer

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Beschreibung

"Das Orakel vom Teufelsstein" gehört in die mystische, historische Vergangenheit der Stadt und des Umlandes von Görlitz. Es ist ein Mystery Thriller aus dem Mittelalter.

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Seitenzahl: 286

Veröffentlichungsjahr: 2020

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INHALT

Prolog

«Görlitz»

«Franziska»

«Die Hexe»

«Der Grafenstein»

«Gerhardisdorf»

«Das Orakel auf dem Teufelstein»

«Im Asenland»

«Die Königin»

«Die Rückkehr»

«Die Hochzeit»

«Die Verbannung»

PROLOG

Es war zu jener Zeit, als sich das Görlitzer Franziskanerkloster und seine Kirche noch außerhalb der Stadtbefestigung befanden. Das war aber auch eine Zeit, in der es schon Menschen gab, die ihrer Zeit, in ihrem Handeln und Denken voraus waren, die diese aufblühende Stadt auf ihre Zukunft vorbereiteten und die um die Sicherheit ihrer Menschen Sorge trugen. Zwischen Lunitz und Neiße wuchs in dieser Zeit eine Stadt rasant empor, aber, wie schon gesagt, noch standen das Kloster und seine Kirche außerhalb der Stadtmauern. Das würde wohl noch eine Weile so bleiben, aber die Bestrebungen zur Aufnahme des Klosters in den Schutz der aufstrebenden Stadt, die waren schon überall sichtbar. Die Stadt wehrhaft zu machen, war für jeden Bürger etwas Selbstverständliches. Wußte doch jedermann in der Stadt, was sie erwartete, bliebe die Stadt dem Zugriff des Raubgesindels und der äußeren Feinde schutzlos ausgeliefert.

Es wurde also überall in der Stadt mit großem Eifer gebaut, besonders an der Stadtbefestigung werkelte man eifrig.

Fuhrwerke der Bauern aus der Umgebung, die für die Stadt Gespanndienste leisteten, brachten in ununterbrochener Folge Feldsteine und Granitblöcke aus den umliegenden Steinbrüchen. Sie wurden direkt vor der Mauer handgerecht abgeladen und gelagert. Fuhrwerke transportierten außerdem Sand und Lehm aus den Kiesgruben der Umgebung heran.

Besondere Fuhrwerke holten gebrannten Kalk aus dem Kalksteinbruch in Lodewigesdorph. Also ... hier funktionierte ein wohldurchdachtes System, das nicht nur zum Bau der Stadtbefestigung führte, sondern auch den Erbauern der Stadt die nötigen Materialien lieferte.

Den Lehmkalkmörtel mengten die Maurer in Bütten und mithilfe von Flaschen – so nannte man damals die Seilzüge – transportierten sie ihn auf die Mauern. Dazu diente auch der mit Seilen verspannte Hebebaum, an dem die Flasche befestigt ist und der über die Mauer ragte und somit den Hub der schweren Steinblöcke erst ermöglichte. Zwischen den Schenkeln des Hebebaums ist eine Haspel angebracht, die, wenn man sie drehte, die Last anhob und das Zugseil aufwickelte. Die Flaschen waren größtenteils aus Hartholz, sie nahmen die Rollen in sich auf, sowie die Zugseile, die über die Rollen gelegt wurden. Die Maurer und die Zimmerer verringerten damit die aufzuwendende Kraft um ein Vielfaches, die sie sonst zum Transport der Materialien auf die Mauer benötigten.

Es ging mit den Seilzügen alles wesentlich leichter und außerden auch schneller. Diese Seile aber sind etwas Besonderes, sie sind aus Haaren und Hanf gedrillt und sie sind, gerade durch diese verwendete Materialmischung, äußerst wetter- und zugfest.

In der jungen Stadt entstand mit dem Mauerbau ein neuer Handwerksbetrieb, eine richtige Seilerei, die sich ausschließlich mit dem Drillen solcher Zugseile befasste. Sie konnte über Mangel an Arbeit nicht klagen. Diese Seile wurden überall und nicht nur in der Stadt gebraucht. Die großen Steinblöcke wurden also mithilfe dieser Seilzüge auf die Mauern hochgezogen und sofort verbaut, der angemischte Lehmkalkmörtel durfte ja nicht aushärten, bevor die Steine richtig eingefügt waren. Findige Köpfe unter den Handwerkern hatten für die Seilzüge eine Plattform erdacht und gebaut, auf der Körbe mit den kleineren Steinen und die Mörtelbütten nach oben befördert wurden. Im gesamten Bauhandwerk war durch die Einführung der neuen Technik ein regelrechter Aufschwung zu vermerken. Alles in Allem, hier herrschte, trotz des regen Betriebes, eine mustergültige Ordnung.

DIE STADT

Der Polier des Baumeisters Ruppert, ein zugewanderter Flame mit Namen Niels, steht mit in die Hüften gestemmten Händen und beobachtete aufmerksam den Fortschritt der Bauarbeiten an den Befestigungsanlagen. Vor ihm auf einer Steinplatte liegt ein aufgerolltes und mit Steinen beschwertes Pergament mit den Rissen seines Baumeisters, die jenen Teil der Befestigungsmauern darstellen, an dem jetzt angestrengt gewerkelt wird. Die neue Stadtmauer soll schließlich einmal die Stadt gänzlich umschliessen.

Baumeister Ruppert hat die gesamte Länge der Stadtmauer mit 5583 Ellen auf dem Pergament vermerkt. Eine gewaltige Länge und eine gewaltige Anstrengung seiner Erbauer.

Baumeister Ruppert hat die Fähigkeiten des Poliers bereits in Brügge kennengelernt. Das Ruppert gerade diesen Flamen als Bauführer auswählte, war also kein Zufall und hat seine Gründe. Niels ist ein erfahrener Mann und hat schon an verschiedenen Befestigungsanlagen im Lande sein Zeichen hinterlassen.

Niels hatte auch die Neuerungen mit den Flaschen aus Brügge mitgebracht, die eine enorme Leistungssteigerung für den Mauerbau zur Folge hatte.

Aber das, was hier entstand ... das ist ein Meisterwerk des Befestigungsbaus und dazu braucht Ruppert eben diesen Polier mit seinen Erfahrungen und seinem Organisationstalent.

Abgesehen von einem kurzen Stück auf der Ostseite der Stadt entlang der Neiße, ist die Stadtmauer ein doppelter Ring, der die Stadt umschließt. Eine strategisch kluge Entscheidung.

Die äußeren Mauern sind zwischen sechs und acht Ellen hoch, teilweise auch höher eingezeichnet. Die inneren Mauern hingegen sind noch höher und stärker.

Auch besitzen die inneren Mauern im Gegensatz zu den äußeren Treppen, Umgänge mit hölzernen Geländern und Schießscharten. Immerhin, die inneren Mauern sind mit Ziegeldächern versehen und schützten somit die künftigen Verteidiger auch vor der schlechten Witterung. Das Areal zwischen den beiden Mauern hat der Baumeister Ruppert auf dem Pergament als „Parchen“ bezeichnet.

Niels wurde aus seinen Gedanken gerissen und legte den Kohlestift zur Seite, mit dem er gerade Änderungen auf den Rissen markiert hatte.

Baulärm und lautes Schwatzen auf und unterhalb der Mauer lenkten ihn ab. Unten mischten die Mauerer den Lehm mit Kalk zu einem Lehmkalkmörtel. Er beobachtete die beiden jungen Maurer, die sich mit der Flasche abmühten, an der ein großer Granitblock hing.

Die Befestigumg des Blockes sah nicht gerade vertrauenserweckend aus. Die beiden jungen Leute waren ungeübt und damit heillos überfordert, den Stein in die richtige Richtung zu lenken ohne dass er aus seiner Halterung fiel und Schaden anrichtete.

»He, ihr da oben! Wartet, ich helfe euch!«, rief der Polier.

Niels lief zu dem großen Block am Fuße der Mauer und richtete die Befestigung der Teufelskralle, sodass der Block in Waage hing. Dann kletterte er rasch die Leiter empor und half den Beiden, den großen Stein mithilfe der Haspel richtig aufzuziehen und dann vorsichtig in die erforderliche Position zu bringen. Oben stand bereits eine Bütte mit angerührtem Mörtel.

»Hans, setz den Mörtel unter! Schnell beeile dich!«, befahl er.

Der junge Maurer leerte die Bütte mit dem halbflüssigen Lehmkalkmörtel in die vorgesehene Maueröffnung, strich ihn mit einer Mörtelmischhacke breit und dann schwenkten sie gemeinsam die Flasche mit dem großen Granitblock und setzten ihn langsam in die vorgesehene Öffnung ein. Schmatzend setzte sich der große Stein in das feuchte Lehmkalkmörtelbett.

Mit einem Haken zogen sie die Teufelskralle vom Stein und schwenkten den Bock zur Seite.

»So, jetzt nimm den feuchten Feutel und verstreiche die Fugen, Klaus, aber so, dass mir da keine Blasen bleiben!«, wies der Polier den anderen Maurer an.

Gemeinsam betrachteten sie die eingesetzten Steine und die beiden jungen Maurer verfüllten die noch offenen Fugen, setzten kleinere Steine in die vorhandenen Lücken und verstrichen sie mit dem Lehmkalkmörtel, sodass die Fugen glatt wurden.

Niels nickte zufrieden.

»Das sieht doch ordentlich aus. Jetzt kann die Mischung aushärten! Passt mir auf die Mischung auf, zuviel Kalk neigt bei der Trocknung zur Rissbildung!«, sagte er den Beiden.

»Ich schicke euch noch eine Hilfe für den Transport der großen Blöcke!«, sagte der Polier mit Blick auf die vor der Mauer liegenden wuchtigen Granitblöcke, die noch verbaut werden müssen.

»Komm, hilf mir!«, sagte er zu dem jungen Mann, der neben ihm stand. Niels holte eine Knotenschnur aus einer Holzkiste, in der die Untensilien der Maurer aufbewahrt wurden. Mit dieser Knotenschnur vermaßen sie anschließend die Winkel für die nächsten Etappen der Mauer. Schließlich musste das Fundament für den nächsten Bauabschnitt der Mauer hergerichtet werden. Niels markierte mit dem Kohlestift den Verlauf des Fundamentes in das vor ihm liegende Konzept, um es danach mit dem Baumeister Ruppert abzustimmen.

Von der Stadt her näherten sich zwei Reiter der Baustelle.

Stimmengewirr unter der Rüstung ließ ihn aufmerksam werden.

Der Polier unterbrach die Arbeit und schaute über die Brüstung.

Mehrere Menschen bedrängten unten die Maurer mit Fragen.

Ein junger Maurer zeigte nach oben.

»Sie wollen sich offensichtlich vom Fortschritt der Bauarbeiten überzeugen«, dachte Niels.

Niels beugte sich über die Brüstung des Umlaufes, um besser sehen zu können. Als er genauer hinschaute, erkannte er den Bürgermeister Apez mit seinem Schreiber, die unten einige der Handwerker wahrscheinlich nach ihm befragten.

»Wir bekommen Besuch!«, rief er den Maurern zu und kletterte schnell die Leiter wieder herunter.

Die beiden Reiter leinten ihre Tiere an der stehenden Rüstung an und gingen zu der Steinplatte, auf der das Pergament lag. Nach kurzer Begrüßung beugten sich der Bürgermeister und der Schreiber gemeinsam über das Pergament mit den Rissen der Befestigung.

»Ihr seid weitgekommen, Niels!«, sagte der Bürgermeister anerkennend. »Als wir das letzte Mal hier waren, standen wir noch da vorn!«, Apez zeigte auf die etwa zweihundert Schritte entfernte Ecke an der Brüdergasse.

»Es wird Zeit, die Mauer zu schliessen, sodass wir den zahllosen Beutezügen des Raubgesindels Einhalt gebieten können«. Der Bürgermeister richtete sich wieder auf und wandte sich an den Polier.

»Aber das Schlimme ist, sie kommen immer öfter des nachts heimlich in die Stadt und keiner kann sie kontrollieren«.

Der Schreiber grinste, weil sich der Bürgermeister immer mehr in Rage redete. Der sonst ruhige und ausgeglichene Bürgermeister war nun nicht mehr zu bremsen.

»Dieses Raubgesindel richtet immensen Schaden an. Sie machen vor nichts halt, Klöster und Kirchen fallen ihnen genauso zum Opfer wie die Wagen der Kaufleute auf der Via Regia und das Schlimme ... sie töten wahllos alle Opfer, in dem sie ihnen die Kehlen durchschneiden. Vor allem Priester, Mönche und Nonnen sind begehrte Ziele ihrer Attacken, aber neuestens sind auch die Bäcker und Fleischhauer ihre Opfer! Das ist so eine verdammte Scheiße, dass einem nichts mehr dazu einfällt!«, ergrimmte sich Apez, setzte sich auf einen Stein und holte tief Luft um den nächsten Satz herauszupoltern.

»Es sind die reinsten Antichristen! Es ist eine wirklich riesengroße Scheiße, dass wir ihnen nichts entgegensetzen können!«, fluchte Apez mit hochroten Kopf.

Erschrocken sah Niels auf den Bürgermeister.

So kannte er diesen sonst so besonnen Mann nicht und jetzt berichtete er noch von einem weiteren Verbrechen.

»Gestern in der Nacht waren wieder welche in der Stadt. Es gab zwei tote Görlitzer Kaufleute, ausgeraubt in ihren eigenen Handelshäusern und natürlich, wie soll es anders sein, mit durchschnittener Kehle!«

Apez sprang auf und lief aufgeregt hin und her.

»Das scheint das Markenzeichen eines bestimmten Raubgesindels zu sein, sie schlitzen die Kehlen ihrer Opfer regelrecht auf. Die Stadtknechte haben sie zufällig in der Früh gefunden und es ist nur aufgefallen, weil die Eingangstüren zertrümmert waren und schief in ihren Angeln hingen! Sonst hätte das lange Zeit keiner bemerkt!«

Niels schaute entsetzt auf den Bürgermeister, nun verstand er ihn. Der Bürgermeister war sorgengeplagt. Immerhin trug er die Verantwortung für die Sicherheit seiner Bürger, der Handwerker und der Handelsleute in der Stadt.

Wenn jetzt sogar die ansässigen Handelsleute Opfer des Raubgesindels direkt in der Stadt werden, muss er etwas tun! Das verstand Niels und schaute auf den sorgengeplagten Bürgermeister, der sich nicht beruhigen konnte. Auch der Stadtschreiber machte ein sorgenvolles Gesicht.

Apez beugte sich erneut über die vorliegenden Risse. Niels schüttelte den Kopf.

»Aber das macht doch Lärm, das muss doch jemand gehört haben!«, monierte er den Bericht des Bürgermeisters. Der Bürgermeister setzte sich wieder und sah ihn von unten her an.

»Die Leute haben des nachts Angst, Niels ... wer lässt sich schon gern freiwillig die Kehle aufschlitzen. Es ist schlimm, in der Stadt geht die Angst um. Obwohl wir zwei doppelte Nachtwachen eingesetzt haben, passiert das immer wieder.

Die Wachen können aber auch nicht überall sein!«, antwortete Apez dem Polier. »Es fehlt eben die feste Mauer und die damit verbundene Kontrolle durch die Stadtwache. Alle die in die Stadt wollen müssen durch diese Kontrolle«, stellte er sachlich fest.

Der Stadtschreiber erhärtete die Feststellungen seines Bürgermeisters.

»Und immer, wenn wir sie stellen wollen, verschwinden diese Räuberbanden mit der Beute zwischen den Burgen in die dichten Wälder, aber sie werden tatsächlich immer dreister, sie schrecken vor nichts zurück und morden und morden ... «

Der Schreiber wurde in inmitten seiner Rede vom Bürgermeister erregt unterbrochen.

»In der vorigen Woche haben wir sieben Strauchdiebe an den Galgen gebracht, Niels, aber es nützt wenig! Auch wenn sie für jederman sichtbar am Galgen baumeln, schrecken sie offenbar das Raubzeug nicht ab. Kurz davor, am Sonntag haben unsere Stadtknechte vier tote auswärtige Händler zwischen ihren Wagen gefunden, sie wurden in der Nacht ausgeraubt und dann haben sie auch denen die Kehle durchgeschnitten. Ihre Wagen standen etwas abseits und somit hat das keiner bemerkt.

Versteht ihr nun unsere Eile, Niels? Wir stecken in einer Zwickmühle, was die Sicherheit unserer Stadt betrifft!«. Die Frage blieb unbeantwortet.

Apez sah nachdenklich auf die Risse vor ihm und fuhr dann unvermittelt fort.

»Ich habe das Gefühl, dass es jemanden gibt, der diese Raubzüge gezielt auskundschaftet und steuert! Das sind andere Verbrecher, das sind besondere Raubritter die das hier so gezielt ausführen!«.

Apez fuhr sich mit den Händen in den dichten Bart. Er versuchte, seine Nervosität unter Kontrolle zu bekommen, die zitternden Hände bezeugten aber das Gegenteil. Er schaute auf den Polier als könne der in Kürze Abhilfe schaffen.

»Deshalb ist es so wichtig, geschwind einen befestigten Raum für die Bürger und die Handelsleute zu schaffen, in dem sie Schutz vor diesem Raubgesindel finden und ... wir müssen wissen, wer bei uns ein und aus geht!«, sagte er nun etwas ruhiger geworden.

»Deshalb sollen Mauer und Stadttore so schnell als möglich fertig werden. Vor allen Dingen müssen wir die Kirchen und die Klöster vor diesem Raubzeug schützen!«, bedeutete Apez und zeigte auf das Kloster.

»Das Kloster hier und die Kirche haben zwar feste Portale aber ob die auf Dauer den ausreichenden Schutz bieten? Wer weiß!

Das Gesindel wird wohl sehr bald mit Mauerbrechern anrücken. Sie sind scharf auf die Kleinodien der Kirche, die ja meist aus edlen Metallen bestehen.

Es ist wirklich an der Zeit, die Stadtmauer und die Tore fertigzustellen und sie Tag und Nacht mit städtischen Mannschaften zu besetzen«, schloss er seine Rede.

Er neigte sich wieder über das Pergament und folgte dem Zeigefinger des Poliers.

»Auf dem Pergament ist schon zu erkennen, wie das künftige Frauentor beschaffen sein soll, Bürgermeister! Wie auf dem Riss ersichtlich, ist es dreifach ausgelegt. Das innere Tor ist auf beiden Seiten mit der inneren

Stadtmauer verbunden und steht stadteinwärts vor einem riesigen Turm mit besonders dickem Mauerwerk!«, erläuterte der Polier den beiden Herren die Ideen seines Baumeisters und das machte er richtig gut.

»Schaut mal Bürgermeister, dort werkelt schon die Rotte vom Meister Schuppan. Sie legen bereits das Fundament

für die innere Mauer und den Turm. Wenn das fertig ist, geht alles flott weiter!«

Apez schmunzelte als er den Riss betrachtete und mit der Wirklichkeit verglich.

Das war ganz nach seinem Geschmack.

»Der Ruppert hat aber auch an alles gedacht!«, stellte er hochzufrieden fest.

Der Polier verwies auf einen anderen Trakt.

»Schaut, Bürgermeister, das mittlere Tor ist mit einem Gebäude überbaut und besitzt ein starkes Holzfallgatter mit Eisenschuhen, das mittels Räder herauf- und hinuntergelassen werden kann. Das hat der Meister erst gestern fertiggestellt!«, erläuterte der Polier die Zeichnung des Baumeisters.

Eine fantastische Abbildung dazu hatte Ruppert dem Pergament beigefügt. Der Zeigefinger des Poliers fährt die Linien der Mauer entlang und er erklärt dem Bürgermeister.

»Betrachtet das hier, Bürgermeister! Das äußere Tor ist auch sehr wehrhaft gezeichnet und wirkt basteiähnlich, so wird es auch gebaut. Es steht weit außerhalb der Stadtmauer im Wassergraben und wird mit einer starken Mauer auf jeder Seite mit der eigentlichen Stadtmauer verbunden. In Richtung Süden vor dem Tor folgt die kleine Zugbrücke über den Graben«.

Sehr aufmerksam sahen sich die Herren den Entwurf vom Baumeister Ruppert an. Bürgermeister Apez war sehr zufrieden. Was er da sah stimmte ihn zuversichtlich.

»An diesen Mauern wird sich jeder Feind die Zähne ausbeißen!«, sagte der Polier überzeugt und laut. Er nahm die Steine weg, die den Risse beschwerten und rollte das Pergament zusammen.

»Wie ich das hier sehe, werden die Mauern bald auch diesem Kloster mit seiner Kirche ihren Schutz gewähren«, stellte auch der Stadtschreiber hochzufrieden fest und klopfte dem Polier anerkennend auf die Schulter.

»Schaffen wir es bis zum Wintereinbruch, wenigstens die großen Lücken bis zum Kloster zu schließen?«, fragte Apez den Polier und zeigte die Lücke auf dem Pergament.

»Warum fragt ihr Bürgermeister! Wenn alles so funktioniert wie bisher und das Wetter hält, gehe ich davon aus, dass die Lücke bis zum Winter geschlossen ist!«, antwortete Niels dem Bürgerrneister.

»Die Restarbeiten auf der Mauer erledigen wir auch im Winter!«, erklärte der Polier abschließend.

Er zog die beiden Herren hinter die Mauer und zeigte ihnen einen geordneten Haufen fester Stämme, die untereinander fest verbunden sind.

»Außerdem haben wir für den Fall aller Fälle Palisaden bereitliegen, die schnell aufgerichtet werden können, falls es einen offenen Angriff geben sollte, was ich nicht hoffe! Darauf sind wir bestens vorbereitet!«, fügte er noch hinzu. Der Bürgermeister nickte als er das von den Palisaden hörte und Sorgenfalten zeichneten sich auf seiner Stirn ab.

»Das ist gut, Niels! Die Sicherung der Stadt muss man immer im Auge behalten!«

Niels hatte die Sorgenfalten auf der Stirm des Bürgermeisters gesehen als er die Palisaden erwähnte.

»Was denkt ihr, Bürgermeister! Die Innungsmeister lassen sich regelmäßig hier mit ihren Wehrgesellen sehen und mit denen ist auch der Gebrauch der Palisaden abgestimmt!

Sie haben das Aufrichten der Palisaden mit ihren Wehrgesellen geübt!«, antwortete der Polier.

Apez nickte zufrieden, er war erleichtert.

»Mit eurer Erklärung hat sich meine Frage schon beantwortet, Niels. Das hatte der Rat auch so angewiesen und es ist gut, dass man das aus berufenem Munde bestätigt bekommt und dass das klappt!«

Apez erzählte dem Polier zum Schluss seines Besuches noch weniger erfreuliches.

»Unsere Kundschafter haben uns mitgeteilt, dass sich hinter dem Gebirge in Böhmen etwas gegen uns zusammenbraut. Im Frühjahr haben wir damit zu rechnen, dass wieder irgendwelches Gesindel geballt gegen unsere Mauern anrennen wird!«, erzählte der Bürgermeister und stand von seinem Stein auf.

»Das sind aber Andere, nicht zu vergleichen mit dem Raubgesindel, das uns jetzt andauernd heimsucht!«, sagte er. »Wir reiten im Anschluss gleich nach Zittau. Die Zittauer haben wohl neue Erkenntnisse dazu. Wenn wir zurück sind, sind wir wahscheinlich schlauer«.

In Anbetracht dieser Information aus berufenem Munde reagierte der Polier.

»Schickt mir noch ein paar Leute, Bürgermeister, die brauche ich hauptsächlich für den Transport! Am Material soll es nicht liegen, das haben wir ausreichend. Dann werden wir noch schneller fertig!«, forderte Niels.

»Ihr sollt sie bekommen, Niels!«, versprach der Bürgermeister und klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. »Schließlich wollen wir doch gemeinsam schnell fertigwerden und uns anderen Aufgaben zuwenden!«

Niels lachte.

Er wusste, dass die Arbeiten an der Befestigung der Stadt noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Schließlich bauen sich Turm und Tore nicht in ein paar Tagen auf. Da sind schon noch einige Anstrengungen notwendig.

Niels machte noch einen Vorstoß.

»Was haltet ihr davon, wenn wir in Anbetracht der dauernden Einfälle des Raubgesindels eine Bürgerwehr ins Leben rufen, über die der Stadthauptmann nach dem Läuten der Sturmglocken verfügen kann?«

Der Bürgermeister und der Schreiber stutzten.

»Aber wir haben doch unsere Stadtknechte ... «, sagte der Schreiber, etwas verunsichert.

»Nein, zusätzlich meine ich. Wenn Not ist, kann man die zusammenrufen und vielleicht hat es Erfolg und wir vertreiben das Raubgesindel aus der Stadt! Man müsste das mit den Innungen besprechen!«, sagte Niels.

»Das ist garnicht so schlecht! Darüber sprechen wir noch, Niels! Aber erst müssen wir nach Zittau, danach wissen wir, was uns erwartet!«, antwortete Apez.

GEFLÜGELTE SPIONE

Als sie im Aufbruch begriffen waren, schaute der Bürgermeister in den Himmel. Über der Baustelle kreisten zwei Adler. Bürgermeister Apez schüttelte den Kopf.

»Das ist doch ungewöhnlich!«, sagte er und wies seinen Schreiber auf die kreisenden Adler hin.

»Hier gibt es doch hier weit und breit keine Beute für Adler, und wie ich sehe, sind das Seeadler, die finden hier gleich gar nichts!«, stellte er fest. Er schaute genauer hin als einer der beiden Adler etwas tiefer flog.

»Das sind keine wilden Adler ... schaut hin, sie tragen beide ein Geschüh!«

Der Polier und der Schreiber sahen sich verständnislos an.

Apez bemerkte das und sagte ihnen:

»Die Tiere entstammen einem Horst, den Menschen betreuen und da bekommen sie an einem Fuß eine Art Kettchen zur Kennzeichnung und zum Anfesseln, wenn sie wieder auf ihren Ansitz fliegen. Das nennen die Falkner Geschüh. Das da oben sind also keinesfalls wilde Greifvögel!«

Ein ungutes Gefühl bemächtigte sich seiner.

Dieses Ereignis ging dem Bürgermeister nicht aus dem Kopf. Immer wieder schielte er zu den schwebenden Adlern hoch.

Apez ist leidenschaftlicher Jäger und aus diesem Grunde misstrauisch, weil das Bild «jagender Adler» so gar nicht zu seinem Jagdverständnis passte. Seeadler schweben über einem Gebiet, in dem es nichts, aber auch gar nichts für sie zu jagen gab, warum?

Außerdem, Seeadler gehörten nicht hierher.

Die Neiße ist doch auch kein Jagdgebiet für Seeadler!

»Schaut mal Niels, das sieht so aus als würden sie den Bau der Stadtmauer erkunden. Der eine fliegt genau auf der Linie der Mauer entlang. So tief fliegt nie ein Adler über den menschlichen Bauten, vor allem, wenn sich dort noch Leute bewegen, das ist doch unnatürlich!«

»Die kreisen schon den zweiten Tag über der Stadt. Mal am Vormittag und mal am Nachmittag!«, erwiderte Niels etwas verhalten und verstaute das gerollte Pergament und seine Aufzeichnungen in einer Lederhülle. Er hatte wohl die Äußerungen des Bürgermeisters nicht ganz begriffen. Als Apez und der wieder nach oben schauten, waren die Adler verschwunden.

»Merkwürdig!«, brummte Apez und nach einer Weile, »das ist wirklich merkwürdig, als hätten sie uns verstanden!«,

sagte er dann etwas lauter und schüttelte den Kopf.

»Das ist nun ganz gegen die Lebensgewohnheiten dieser Greifvögel«.

Apez kratzte sich am Hinterkopf und sagte:

»Sie benehmen sich, als hätten sie unsere Gespräche belauscht und nun verschwinden sie, weil wir etwas erfasst haben, was sie nicht wollten!«,

Niels und der Schreiber schauten etwas konsterniert auf den Bürgermeister. Hatten den alle guten Geister verlassen?

Das gibt es doch nicht, das ist Aberglaube. Tiere können doch nie die menschliche Sprache verstehen und dazu sollten sie noch den Bau auskundschaften? Das ist doch absurd! Trotzdem schauten sie ihn zweifelnd an. Aber sie ließen Apez in Ruhe und drangen auch nicht auf ihn ein.

Vom merkwürdigen Zwischenfall mit den Seeadlern abgesehen, verließen der Bürgermeister und sein Schreiber hoch zufrieden die Baustelle. Sind die entstehenden Mauern doch der Garant für die Sicherheit der Bürger in ihrer aufblühenden Stadt. Der Bürgermeister wird dem Polier noch einige Arbeiter schicken, um das Bautempo an den Mauern zu erhöhen. Dann kann auch der Winter kommen. Der Polier sah ihnen grüblerisch nach, als sie ihre Reittiere bestiegen. Auch ihn hatte jetzt, nach den Äußerungen des Bügermeisters, ein ungutes Gefühl ergriffen.

Adler kreisten über seiner Baustelle ... er wird dem zuküftig mehr Aufmerksamkeit schenken.

»Vielleicht hat Bürgermeister Apez mit seinem Verdacht recht und die Adler sind fliegende Kundschafter!«, dachte er und verwarf diese Gedanken sogleich wieder.

»Das ist ja Aberglaube, kein Tier würde das zustande bringen, es sei denn, es ist Zauberei!«, überlegte er. Dieser Gedanke verfolgte ihn aber noch eine ganze Weile. Vielleicht sollten einige Bogenschützen die Tiere vergrämen oder gar abschießen. Er würde dem Bürgermeister das nächste Mal einen solchen Vorschlag unterbreiten.

EINE HEXE?

P lötzlich wurde Niels von einem Tumult an der Neißeseite aus seinen Überlegungen gerissen. Zwei bewaffnete Männer zerrten eine sich sträubende, an den Händen gebundene junge Frau in Richtung der Stadt. Ein dritter Mann folgte ihnen und begrapschte laufend die Gefangene. Der Polier verstand nicht, was die junge Frau schrie, aber es schienen nicht gerade anständige Worte zu sein.

Als sie näher heran waren, sah er, dass das eine wunderschöne, rothaarige junge Frau war, die sich vehement gegen das unsittliche Begrapschen ihres Peinigers wehrte. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor, aber er wusste im Moment nicht, wo er das Gesicht der Frau einordnen sollte. Es wird ihm bestimmt wieder einfallen.

Auf den Mauern ruhte die Arbeit, die Handwerker schauten wie gebannt auf die Szene, die sich unter ihnen abspielte.

Der Polier schüttelte entsetzt den Kopf, als er den Mann, den Begrapscher erkannte.

»Das ist doch der Rudhardt aus der Schar der Herren von Wirsynge, denen er als Forstwächter dient. Was hat dieser Saufbold mit der jungen Frau zu tun?«, überlegte er.

Nachdem dieser seinen ehrbaren Tischlerberuf aufgegeben hatte, wurde er zu einem stadtbekannten Rauf- und Trunkenbold, den die Leute mieden.

Tischler ... das war das Stichwort.

Es erinnerte ihn sofort an die Tischlerei in Kunstinsdorf.

«Natürlich ... die junge Frau ist die Witwe des angesehenen Tischlermeisters Schubarth, der unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen ist. Die Umstände seines Todes wurden ja nie richtig aufgeklärt.

Was hat der Saufbold mit der jungen Frau im Sinn?», ging es dem Polier durch den Kopf.

Niels verstand sowieso nicht, wie sich die adlige Herrschaft der Dienste eines Säufers bedienen konnte und dass sie ihn noch dazu als Forstaufseher einsetzen.

Der brachte ihnen doch nichts wie Ärger ein.

Am liebsten würde er den Bürgermeister zurückrufen, denn der Kerl war ihm und auch seinen Leuten nicht suspekt, aber der Beritt des Bürgermeisters war schon zu weit weg. Auf der Mauer entwickelte sich Lärm, die jungen Maurer schwatzten laut über das Ereignis vor ihnen.

»He, ihr da oben! Macht euch an die Arbeit!«, schrie er und drohte den Handwerkern auf der Mauer mit der Faust.

Die Geste des Poliers zeigte Wirkung.

Die Köpfe verschwanden blitzartig und machten wieder einer regen Bautätigkeit platz.

Niels grinste. »Sie haben eben doch Respekt vor mir!«, dachte er, klemmte die Rolle mit den Rissen unter den Arm und wandte sich zum Gehen. Baumeister Ruppert wartete in der Stadt auf die Angaben seines Poliers.

Zwei Tage später ... Der Bürgermeister hatte seine Zusagen eingehalten und dem Polier eine erkleckliche Anzahl von Arbeitskräften geschickt, die den Bau der Mauer vorantrieben.

DIE FRANZISKANER

D er hochgewachsene, alte Franziskanermönch, Pater Clemens, war ausgezogen, um in der Neißeniederung frische Kräuter für die Heilung eines erkrankten Bruders zu sammeln. Pater Clemens ist der Heiler des Klosters und er kannte fast alle Stellen in der Neißeniederung, wo auch die Arnika an den mageren Hängen der Berge gedieh und er kannte auch die Stellen, wo das Bilsenkraut wuchs. Pater Clemens brauchte das Bilsenkraut, eigentlich eine Giftpflanze, für die Zubereitung einer Medizin zur Linderung der Schmerzen seines Bruders. Denn Pater Clemens wusste auch, für jedes Leiden ließ der Herrgott ein Kräutlein wachsen, man musste es nur finden. Auf seiner Suche nach diesen Kräutern sah er unverhofft am Waldrand ein barfüßiges, rothaariges Mädchen von etwa zehn Jahren, das schnell versuchte, sich vor ihm im Unterholz zu verbergen. Neugierig ging der Pater auf das Kind zu, sich umblickend, ob er nicht irgendwo deren Eltern oder einen Erwachsenen entdeckte, die sich des Kindes annahmen.

Aber da war niemand zu sehen.

Als das Mädchen sah, wer vor ihm stand, atmete es sichtlich auf. Es glomm ein hoffnungsvoller Funken in seinen Augen auf. Es kannte doch die Mönche aus dem Kloster mit ihrem braunen Habit und der weißen Kordel als Gürtel. Oft hatte es mit der Mutter den Mönchen Kräuter ins Kloster gebracht.

Vor den Mönchen verspürte es keine Furcht.

»Wie heißt du denn? Bist du allein hier? Wo sind deine Eltern?«, fragte Pater Clemens das Kind und beugte sich zu ihm herab.

So viele Fragen auf einmal verkraftete das Mädchen nicht.

Es weinte plötzlich herzerweichend.

»Ich heiße Franziska«, schluchzte es unter Tränen.

»Und ... wo sind deine Eltern?«, fragte der Pater noch einmal.

»Ich habe doch nur noch meine Mutter!«, schluchzte die Kleine.

»Und wo ist deine Mutter?«, fragte sofort der alte Mönch. Erneut brach ein Tränenstrom aus den Augen des Kindes.

»Die hat doch vorhin der Forstmann mitgenommen, weil sie im Wald dort oben Holz und Pilze gesammelt hat und das sei verboten, hat er gesagt und dann hat er auf meinen Wolf mit dem Bogen geschossen und ihn verletzt!«, sprudelte es aus dem Mädchen heraus. Es wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.

»Du hast einen Wolf?«, fragte der alte Mönch verblüfft,

»und wo ist der?«

Die Kleine stand auf und fasste nun vertrauensvoll nach seiner Hand. »Komm!«, sagte sie und führte den Alten einige wenige Schritte in den Wald.

Dort, unter einer Buche, fand der alte Franziskanermönch einen riesigen, vor Schmerzen winselten Wolf. Als er nähertrat, sah er, dass im hinteren Lauf des Tieres ein abgebrochener Pfeil steckte.

»Du kannst mit ihm reden, Pater!«, sagte die Kleine und zog ihn dicht an das Tier heran.

Pater Clemens sah das Mädchen mitleidig an.

»Aber Franziska, man kann doch mit keinem Tier reden!

Das bildest du dir nur ein!«, brummte er vorwurfsvoll und legte dabei unabsichtlich die Hand auf den mächtigen Schädel des Wolfes.

»Doch, Pater, man kann mit ihm reden!«, sagte die Kleine bestimmt.

Er zuckte plötzlich zusammen, als er die Stimme des Wolfes klar und deutlich in seinem Kopf vernahm. »Pater ... «

Er nahm die Hand vom Kopf des Tieres, ungläubig schaute er sich um und dann nochmals auf das große Tier.

Aber da war niemand der mit ihm sprach. Also kam die Stimme tatsächlich vom Wolf.

Erneut legte er vorsichtig die Hand auf den mächtigen Schädel des Tieres.

»Hilf Franziska, Pater und wenn du kannst, hilf auch mir! Ich konnte ihnen nicht mehr beistehen, dieser Unhold schoss den Pfeil aus dem Hinterhalt auf mich. Nur weil ich einen Augenblick unaufmerksam war, hat er auch getroffen!«, klang es in seinem Kopf. Pater Clemens zuckte zurück und er war in der Tat zu Tode erschrocken.

Tatsächlich! Ein Wolf redete mit ihm und nannte ihn sogar Pater!

Das war zu viel für seinen Verstand.

Zögernd legte er wieder die Hand auf den mächtigen Schädel des Wolfes, der ihn mit seinen klugen Augen ansah.

»Siehst du, du kannst doch mit Harms reden!«, ereiferte sich die Kleine, die das alles beobachtet hatte.

Tatsächlich, so lange der Alte die Hand auf dem Kopf des Wolfes hielt, konnte er ihn laut und deutlich verstehen.

«Die Gedankensprache», fuhr es dem alten Franziskaner durch den Kopf, »ja, das ist die Gedankensprache!« Der Wolf schniefte zustimmend, er hatte den Gedankengang des Paters, solange er die Hand auf dem Kopf zu liegen hatte, aufgenommen.

Pater Clemens kannte diese längs vergessene, mystische Eigenschaft, die es eigentlich nur zwischen auserwählten Menschen gab, aber vom Tier zu den Menschen?

Aber das hier ist doch etwas zu mystisch ... Selbst für ihn, der doch die Mystik kannte und sie zu verstehen glaubte, ist das doch sehr außergewöhlich. Vor allen Dingen, dieses kleine Mädchen hier konnte mit dem Wolf reden. Das machte ihn noch konfuser.

Der Alte hatte schon viel erlebt in seinem langen Erdendasein, doch, dass ein Wolf in der Gedankensprache mit ihm reden konnte, kam einem Wunder gleich.

Das schmerzgepeinigte Tier musste außerdem über einen ungeheueren, fast menschlichen Intellekt verfügen, das merkte der Pater an der Wortwahl des Wolfes.

Der alte Franziskaner ist nun gänzlich verunsichert.

»Bei allen Heiligen! War das Gotteswerk oder hatte hier Belial seine Hände im Spiel?«, fragte er sich und schlug ein Kreuz vor der Brust und küsste das Ordenskreuz des Heiligen Franziskus.

Doch dann obsiegte der Wissensdrang in ihm.

Wieder legte er die Hand auf den mächtigen Schädel des Wolfes und erfuhr, wie sich das Unglück zugetragen hatte.

Der Wolf nannte ihm seinen Namen und den von Franziskas Mutter und dann sagte er unmissverständlich:

»Es ist kein Teufelswerk, Pater! Harms heiße ich ... nennt mich einfach Harms, Pater!«

Pater Clemens kam sich vor, als hätte ihm jemand vor den Kopf geschlagen. Das musste er erst einmal verdauen. Er ließ die Hand auf dem mächtigen Schädel des Tieres ruhen und erfuhr die ganze Geschichte.

»Ich bin ein Wolfshund aus dem Asenland und meine Herrin ist, seit ihrer Taufe im Kloster, Franziska!« schniefte er dem Alten zu.

Der Wolf winselte vor Schmerzen.

»Clarissa, die Mutter Franziskas wurde von den Unholden verschleppt und ich konnte sie nicht schützen!«, teilte ihm der Wolf in der Gedankensprache mit.

Pater Clemens ist erneut verunsichert, er nahm die Hand vom Schädel des Tieres.

»Was soll ich nur tun? Ich muss doch helfen, denn auch dieses ungewöhnliche Tier ist doch ein Geschöpf Gottes!«, ging es ihm durch den Kopf.

Und das tat er dann auch.

»Aber ... was ist das Asenland, davon habe ich noch nie gehört!«, dachte er und schaute zu dem Kind. Er verzichtete darauf, den Wolf nach dem Asenland zu fragen. Wichtig ist, dass er jetzt helfen musste. Zuerst dem Wolf und dann dem Kind!

Aus seinem unergründlichen Beutel zog er einen Flakon mit einer roten Flüssigkeit und träufelte daraus dem Wolf einige Tropfen zwischen die starken Reißzähne.

Der ließ das zu, ohne sich zur Wehr zu setzen, denn er wusste, der Pater half.

Pater Clemens legte die Hand auf den Kopf des Wolfshundes.

»Das ist eine starke, schmerzstillende Kräuteressenz, die ihm den Schmerz nimmt!«, erläuterte er Franziska, die ihn fragend ansah. »Diese Tropfen versetzen deinen Harms in einen tiefen Heilschlaf!«, sagte er zu ihr. Auch der Wolfshund hatte es verstanden und blieb ruhig liegen.

Er wartete noch eine kleine Weile, bis das Tier die Augen schloss und tief atmete, dann zog er mit einem Ruck den abgebrochenen Pfeil aus dem Hinterlauf.

Harms zuckte nur kurz zusammen und schniefte leise.

Der Pater betrachtete die Pfeilspitze.

»Er hatte Glück, Franziska, es ist ein Jagdpfeil, der hat keine Widerhaken. Aber die Spitze saß sehr tief im Muskelfleisch. Hoffentlich ist nicht noch etwas anderes verletzt!«, sagte er zu dem Kind.

»Komm, hilf mir Harms auf die Seite zu drehen, er muss ruhig liegen, während ich ihn verbinde!«

Aus seinem Beutel zog er noch ein Stück sauberes Leinen und eine kleine Kapsel mit einer grünen Paste. Mit einem kleinen Holzspatel drückte er etwas von der grünen Paste in die Wunde.

»Was ist das?«, fragte das Mädchen mit einem neugierigen Blick auf die grüne Paste.

»Das ist eine Heilpaste aus Arnika und einigen Kräutern, die die Wundheilung fördern und sie verhindert, dass sich die Wunde entzündet, Franziska!«, sagte der Pater.

Dann riss er das Leinen in Streifen und verband damit die wieder blutende Wunde des Wolfshundes.

Franziska hatte die Handlungen des Paters sehr aufmerksam verfolgt und schaute ihn jetzt wieder fragend an.

»Pass auf, Mädchen! Ich trage Harms jetzt in meine Hütte und dann sehen wir weiter!«, beantwortete der Pater den fragenden Blick des Mädchens.