Das Paradies des Doktor Caspari - Andrea Grill - E-Book

Das Paradies des Doktor Caspari E-Book

Andrea Grill

4,3

Beschreibung

Seit zehn Jahren erforscht der Wiener Biologe Franz Wilhelm Caspari auf einer Insel in Indonesien die vermeintlich ausgestorbene Schmetterlingsart "Calyptra lachrypagus". In und um sein Haus mit Garten, das Caspari von einem geheimnisvollen Privatier zur Verfügung gestellt wurde, züchtet er die winzigen Nachtfalter, deren Ernährung aus menschlichen Tränen besteht. Um diese zu bekommen, ist Caspari nicht nur Zaungast bei allen Begräbnissen der Insel, sondern versucht auch auf listige Weise, Freunde und Bekannte für die Tränengewinnung einzuspannen. Andrea Grill gelingt in ihrem Roman Erstaunliches: Sie verwandelt Vorgänge der Naturwissenschaft in einen Roman voller Witz und Sinnlichkeit.

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Seitenzahl: 342

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Zsolnay E-Book

Andrea Grill

DAS PARADIESDES DOKTORCASPARI

Roman

Paul Zsolnay Verlag

ISBN 978-3-552-05750-0

Alle Rechte vorbehalten

© Paul Zsolnay Verlag Wien 2015

Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Foto: © Oli Scarff/Staff/Getty Images

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen

finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

I.

DAS WICHTIGSTE SIND DIE KÖRPER. So fragil, dass ich sie nicht angreifen, nur berühren kann; mit der Spitze eines Pinsels aus Marderhaar setze ich behutsam einen nach dem anderen auf ein Stück glattes durchsichtiges Papier und die Waage, ein Gerät, wie es in Apotheken verwendet wird, auf tausendstel Gramm genau. Ich notiere ihre wöchentliche Gewichtszunahme. Sie rühren sich nicht, während ich sie halte, wirken kaum lebendig. Wenn ich sie zurücksetze in ihre Schalen, quadratische, flache Heimaten aus Plastik, ausgestattet mit Blättern, den richtigen, also solchen, die sie fressen, und feuchtem Zellstoff, kringeln sie sich zusammen, bleiben als reglose Kugeln liegen. Bis ich nicht mehr hinsehe, nachts. Wenn es dunkel ist, werden sie aktiv, kriechen hinauf zu den Spitzen der Aststücke. Ich kenne sie persönlich, verfolge und dokumentiere die Entwicklung jedes einzelnen Tieres vom Stadium des kaum einen Millimeter langen Hautsacks, der nur dafür lebt, sich mit Pflanzen zu füllen, bis zum flugfähigen Falter. Die Körper sind das Wichtigste, von Anfang an, die Unversehrtheit der Körper.

Erst wenn sie größer sind, das dritte Larvalstadium überschritten haben, nehme ich sie, vorsichtig, mit einer Pinzette. Larven, wie sie nennt, wer ihre Unfertigkeit betonen will, bestehen vor allem aus Körper – Körper und Kopf. Über und über leicht behaart, bleiben sie an meiner Pinselspitze hängen, ob sie wollen oder nicht. Das heißt: Sie haben nichts zu wollen. Das Härteste an ihnen ist die Kopfkapsel, sie bleibt bei jeder Häutung übrig und wird vom Tier selbst gefressen. Es verspeist seinen Schädel, weil ihm schon ein neuer gewachsen ist: Kauwerkzeuge, Spinndrüsen, Sehfelder aus Anhäufungen verschwindend kleiner Punktaugen, damit erblickt es, soweit bekannt, nur Schattierungen im Licht, heller oder dunkler. Hat nichts vor, als zu wachsen; weil die Haut nicht mitwächst, muss es ihr ständig wieder entschlüpfen – dreizehn Segmente, immer, so ist es gebaut. Kann riechen und tasten, bewegt acht Paar Beine: drei an der Brust, vier am Bauch und eins ganz hinten, damit das dreizehnte Segment des Larvenleibes nicht nachschleift; aus den Brustbeinen entwickeln sich die Beine des Falters, die übrigen verschwinden. Was vier Paar Bauchbeine hat, wird später ein Schmetterling, würde ein Taxonom sagen. Ich bin keiner.

Ich verfüge frei über meine Zeit, und darum beneiden mich alle, außer Heinrich. Du bist dein eigener Herr, Teacake, sagt Mr. Pants jedes Mal, wenn ich bei ihm tanke und jedes Mal exakt dann, wenn er den Hahn an die Zapfsäule hängt, Mr. Pants war der Erste auf Mangalemi, mit dem ich eine freundschaftliche Beziehung entwarf, ein Tankstellenbesitzer. Du bist dein eigener Herrscher, sagt er und nickt dabei zustimmend. Über etwas herrschen heißt, die Verantwortung dafür übernehmen, diese Verantwortung lastet auf mir, sie lastet auf allen, die ihre Zeit einteilen können, wie sie wollen. Ich bin verantwortlich für die Zeit, okay, nur meine Zeit, aber eine andere erlebe ich nicht, und etwas Größeres als die Zeit existiert nicht in unseren Dimensionen. Heute habe ich Zeit bis zum Abend, muss bis dahin überlegen, wo ich Futter für meine Tiere auftreibe.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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