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Die Schriften von Eduard August Schroeder zeichnen den bereits 1928 verstorbenen Juristen als glühenden Verfechter des Rechtsstaats aus. Besonders seine grundlegenden Gedanken zum Thema Psychiatrie haben bis heute kaum an Aktualität verloren, weshalb eine Neuausgabe seines 1890 bei Orell Füssli & Co. erschienenen Werkes »Das Recht im Irrenwesen« unabdingbar ist. Dass es im Ergebnis noch immer keinen Unterschied macht, ob ein Mensch im 19. Jahrhundert der Geisteskrankheit geziehen wurde, oder ob er in heutiger Zeit ihrer bezichtigt wird, unterstreicht nur die traurige Kontinuität des Wirkens der Psychiatrie in ihrem fatalen Zusammenspiel mit der Justiz.
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Seitenzahl: 237
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Eduard August Schroeder wurde am 25. Mai 1852 im schlesischen Teschen (heute: Český Těšín) geboren. Seine Schriften zeichnen den Juristen, Soziologen und Buchhändler als glühenden Verfechter des Rechtsstaats aus. Dass besonders seine grundsätzlichen Gedanken zum Thema Psychiatrie kaum etwas von ihrer Aktualität eingebüßt haben, einige seiner Lösungsansätze dem Puls der Zeit sogar bis heute voraus sind, machte eine Neuausgabe seines 1890 bei Orell Füssli & Co. erschienenen Werkes »Das Recht im Irrenwesen« unabdingbar. Der Autor verstarb am 16. Februar 1928.
Der Text des Originals wurde behutsam an die aktuelle Rechtschreibung angepasst. Wo in heutiger Zeit ungebräuchliche Ausdrücke den zeitgenössischen Lesefluss stören würden, wurden einige (wenige) sinngleiche Ersetzungen vorgenommen. Dass es im Ergebnis noch immer keinen Unterschied macht, ob ein Mensch im Jahre 1890 der Geisteskrankheit geziehen wurde, oder ob er in heutiger Zeit ihrer bezichtigt wird, unterstreicht nur die traurige Kontinuität des Wirkens der Psychiatrie in ihrem fatalen Zusammenspiel mit der Justiz.
Ursula Prem
Vorrede
Das Recht im Irrenwesen
Kritik
A. Das positive Recht
B. Ursachen der heutigen Rechtszustände
1. Die Interessen des ärztlichen Standes
2. Die menschlichen Schwächen der Ärzte
3. Das soziale Misstrauen
4. Das gesunde Material in den Anstalten
5. Die falschen Prämissen der Psychiatrie
6. Verquickung der Begriffe: Geisteskrankheit und Gehirn- und Nervenkrankheit
C. Grundsätze und Anschauungen im heutigen Recht
1. Die persönliche Freiheit
2. Das Prinzip der Gleichberechtigung
3. Der Prozess der Aufnahme in eine Anstalt
4. Der Arzt als Richter
5. Die Behandlung Geisteskranker
6. Die Anstalts-Visitationen
7. Verwaltung und Verwendung des Vermögens
8. Die Entlassung
D. Folgen der heutigen Rechtszustände
1. Die ungerechtfertigte Beschränkung der persönlichen Freiheit
2. Vergebliche Beschwerdeführung
3. Die Sanktionierung des Verbrechens
4. Die wirtschaftliche Lage des Gefangenen und Entlassenen
5. Die soziale Lage des Entlassenen
6. Gesundheitsschädigung
7. Der Selbstmord
8. Öffentliche Nachteile
9. Schädigung des Rechtsgefühls
System
Stellung, Teile und Wirkungskreis des Irrenrechtes
A. Der Schutz des Gesunden
1. Schutz vor Verdacht und Anklage
2. Schutz vor der ungerechten Verurteilung
3. Schutz vor dem Verbrechen
B. Der Schutz der Kranken
1. Der Schutz in körperlicher Beziehung
2. Der wirtschaftliche Schutz
3. Der soziale Schutz
C. Der Schutz öffentlicher Interessen
1. Das Irrenstrafrecht
2. Schutz vor öffentlichen Nachteilen
Kodex
…
I. § 1 - 4 Wirkungskreis
II. § 5 - 12 Allgemeine Bestimmungen
III. § 13 - 26 Antrag und Untersuchung
IV. § 27 - 36 Anklage und Urteil
V. § 37 - 42 Aufnahme
VI. § 43 - 50 Behandlung
VII. § 51 - 54 Visitationen
VIII. § 55 - 59 Entlassung und Rückfall
IX. § 60 - 81 Schutz-, Beschwerde- und Strafrecht
X. § 82 - 83 Schluss
Danksagung der Herausgeberin
Dem Heros des Rechtes Rudolf Jhering zugeeignet vom Verfasser
Den Anstoß zu der vorliegenden Arbeit gab mir folgende Stelle in Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie1, an welcher der Tübinger Professor L. Jolly, sprechend von der französischen Irrengesetzgebung und diese die formell vollkommenste nennend, wörtlich erzählt: »Trotz der großen Vorsicht dieser Bestimmungen verbreitete sich gegen das Ende der Napoleonischen Regierung die Befürchtung, dass sie die persönliche Freiheit nicht genügend sicherten. Obgleich die Regierung bekannt machte, dass von 1864 bis 1869 nur 52 gerichtliche Beschwerden wegen ungerechtfertigter Unterbringung in einer Anstalt erhoben worden seien, die sich sämtlich als unbegründet erwiesen hätten, konnte sie doch nicht umhin, unterm 12. Februar 1869 eine Kommission zur Revision des Irrengesetzes einzusetzen, welche sich mit dem Sturze des Kaiserreiches auflöste, aber bereits durch Verfügung vom 24. Oktober 1870 neu gebildet wurde. Über die Ergebnisse der Arbeiten dieser Kommission ist nichts bekannt geworden. Inzwischen legten Anfang 1870 die Deputierten Gambetta und Magnin dem gesetzgebenden Körper einen Gesetzentwurf2 vor, der zwar gleichfalls keinen Erfolg hatte, aber wegen seiner radikalen Bestimmungen bemerkenswert ist. Er geht von dem Grundsatz aus, dass der Schutz der persönlichen Freiheit wichtiger ist, als die Pflege der Gesundheit. Demgemäß sollen die Anstaltsvisitationen so gehäuft werden, dass mindestens alle vierzehn Tage eine stattfindet. Über die Aufnahme in eine Anstalt entscheiden Geschworene, vor denen der der Geisteskrankheit Beschuldigte durch einen Anwalt vertreten wird. Die Unterbringung kann nur mit ¾ der Stimmen beschlossen werden; gegen das Erkenntnis kann wegen Formfehlern Kassationsrekurs an das Gericht erster Instanz ergriffen werden. Die Entlassung erfolgt im gleichen Verfahren und außerdem auf die Gesundheitserklärung des Anstaltsarztes.«
Es lag für mich ein großer wissenschaftlicher Reiz darin, zu untersuchen, was wohl den Anlass zu diesem Gesetzentwurf gegeben hat und welche Motive der große Gambetta, der ausgezeichnete Jurist, für seine Postulate an die Irrengesetzgebung in einem Lande hatte, das ohnehin sich eines positiven Irrenrechtes rühmen kann, wie es vollkommener zurzeit noch kein anderer europäischer Staat besitzt.
Diese Untersuchung konnte ich am besten durch eine Kritik der bestehenden Rechtsverhältnisse bewerkstelligen, und in der Tat, was ich dadurch gefunden, musste mich veranlassen, nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben, sondern aus den gewonnenen Motiven ein System des Irrenrechtes – des ungeschriebenen, aber wirklichen, dem διχαιον, der Idee des Rechtes entsprechenden – aufzubauen zu versuchen und endlich dieses Irrenrecht zu kodifizieren.
Der Größe dieser Aufgabe mir wohl bewusst, würde ich den Mut zur Publikation dieses Buches nicht gehabt haben, wenn ich nicht das Bewusstsein hätte, die Wahrheit gesucht zu haben, um frei von jeder Eitelkeit die verloren gegangenen Gedanken eines der größten Männer dieses Jahrhunderts vielleicht wiederzufinden und der Menschheit wiederzugeben.
Diese Arbeit sei den Abgeordneten zu den gesetzgebenden Körpern aller Länder gewidmet. Sie möge sie zu dem Streben anregen, die große Rechtsunsicherheit auf dem Gebiete des Irrenwesens zu beheben, welche niemanden zu reformatorischer Tätigkeit mehr anspornen sollte, als eben den Abgeordneten selber; denn seine Immunität ist so lange von problematischem Wert, als er durch ein äußerst einfaches Verwaltungsverfahren durch ärztliche Richter und ohne das Recht der Verteidigung wegen Geisteskrankheit aus seiner legislatorischen Wirksamkeit gerissen werden kann. Und eben jene 52 gerichtlichen Beschwerdefälle, welche von 1864 bis 1869 in Frankreich wegen ungerechtfertigter Unterbringung in eine Irrenanstalt erhoben und registriert worden sind, beweisen, dass solche Beschwerden niemals von Erfolg sein können, solange die heutigen Rechtsanschauungen Geltung haben. Gewiss befand sich unter jenen Fällen wenigstens eine berechtigte Beschwerde; unzweifelhaft aber war es die, welche der Advokat Gambetta vor Gericht vertrat, die ebenfalls erfolglos blieb und nun den Deputierten zu seinem oben erwähnten Gesetzentwurf veranlasst hat.
Der aufmerksame Leser sei hiermit gebeten, alles das, was in den kritischen Abschnitten dieses Buches gesagt ist, auch hinüberzuziehen in die Beurteilung des Systems und des angehängten Gesetzentwurfes. Er sei insbesondere gebeten, nicht einzelne Stellen aus dem Gefüge dieser Arbeit loszutrennen, sondern alles im Zusammenhange zu erwägen.
Und so schließe ich denn mit den Worten Rudolf Jherings3:
»Indem ich nun der Schrift selber es überlasse, den Leser von der Richtigkeit der Auffassung, die sie verteidigt, zu überzeugen, beschränke ich mich hier darauf, diejenigen, welche sich berufen halten, mich zu widerlegen, um zweierlei zu bitten. Einmal darum, dass sie es nicht in der Weise tun, dass sie meine Ansichten vorher entstellen und verdrehen. – Das Zweite, was ich begehre, ist dies, dass derjenige, dem es Ernst ist, sich über meine Theorie klar zu werden, den Versuch mache, der positiven Formel des praktischen Verhaltens, die sie entwickelt, seinerseits eine andere positive Formel gegenüberzustellen; er wird dann bald innewerden, wohin er gelangt.«
Teschen, im September 1889
Der Verfasser
1 Band II, S. 560 (Tübingen 1882);
2 Trotz wiederholter Bemühungen konnte ich nicht in den Besitz des Gesetzentwurfes in seinem Wortlaute gelangen.
3 Vorrede zur sechsten Auflage »Der Kampf ums Recht« (Wien 1881), S. 11;
So entsteht in jedem Rechtsgebiete im Allgemeinen, aber auch zugleich in jedem Verwaltungsgebiete im Besonderen ein Leben, in welchem die Idee des Rechtes – das Gerechte, το διχαιον – mit dem positiven, durch die bestehende Gesellschaftsordnung gesetzten Rechte kämpft, und sich gegenüber den gesellschaftlichen Ordnungen ihre Anerkennung und Geltung zu erzwingen sucht.
Lorenz Stein
Jede gesellschaftliche Einrichtung entstammt einem guten Impulse, einer gerechten Anschauungsweise und im Beginn entspricht sie auch den Intentionen, welchen sie ihre Entstehung verdankt; bald aber werden dieselben vergessen und die betreffende Institution schlägt in das Gegenteil um, sie wird zu einer schlechten Sache, dient der Macht derjenigen, in deren Händen sie liegt, und artet in die verabscheuungswürdigste Schlechtigkeit aus.
Der Beispiele zum Beweis dieser Behauptung gibt es viele.
Die Inquisition, welche, ein Makel der Kirchengeschichte, heute von jedermann verdammt wird, weil man nur an ihre Auswüchse denkt, war im Anfange keineswegs der schauderhafte und unsinnige Gräuel, welchem nach den 1834 zu Madrid veröffentlichten Aktenstücken von 1481 bis 1808 32.000 Personen zum Opfer fielen; sie war im Beginn nichts anderes, als die Aufsuchung solcher Personen, die nicht den christlichen Glauben hatten, aber unter Christen lebten; sie entstand lediglich aus der Absicht, die junge Kirche vor Leuten rein zu bewahren, die Zwietracht und Zwiespalt veranlassten. Erst bei Augustin, dem Kirchenvater, finden wir den reinen Standpunkt des Schutzes, den sich die Kirche in bester Absicht und ohne Gewalt schaffen wollte, verlassen, indem er der gewaltsamen Zurückführung der Ketzer in den Schoß der Kirche das Wort redet. Noch immer aber war die Inquisition nicht das, was sie später geworden ist: Sie wuchs in ihrer Ausartung mit der Macht der Kirche.
Sehr ähnlich war es mit dem Hexenprozesse und dem Hexenglauben überhaupt. Die altdeutsche Hexe, hagazisse (von hag, Hain), war ursprünglich Hainpriesterin oder vielleicht eine Art Waldgöttin; wohl glaubten die alten Germanen daran, dass sie Wettermacherinnen seien, doch das Prinzip des Bösen, der Teufel, wurde erst nach der Christianisierung der germanischen Welt mit den Hexen in Verbindung gebracht, und zwar aus einem ganz wohlgemeinten Grunde: Man wollte die jungen Christen abhalten, insgeheim an den Waldfesten der heidnischen Germanen, die des Nachts stattfanden, teilzunehmen. Später wurde Todesstrafe auf die Beteiligung an heidnischen Versammlungen gelegt und der Hexenprozess wuchs zu seiner Ungeheuerlichkeit mit dem Glauben an den Hexensabbat, das Hexenabendmahl, die Hexenfahrt und dergleichen mehr, ja die Verblendung ging so weit, dass sich Leute fanden, die den Hexenglauben allen Ernstes wissenschaftlich, freilich pseudowissenschaftlich, behandelten, so will ich nur den »Hexenhammer« (Malleus maleficarum) anführen, welcher von dem päpstlichen Inquisitor Jacob Sprenger verfasst, im Jahre 1489 zu Köln gedruckt wurde, den Hexenglauben in ein förmliches System brachte und den eigentlichen Hexenprozess als gerichtliches Verfahren begründete. Es ist darin die Rede von der Hexerei in ihren Arten und Wirkungen, von den Gegenmitteln wider dieselben und endlich von dem Prozessrechte in Hexensachen. Also eine Verirrung der Wissenschaft in ausgesprochenster Form.
Obgleich auf einem ganz anderen Gebiet, zeigt auch das Zunftwesen denselben Weg vom lobenswerten schönen Anfange bis zur Entartung in Machtmissbrauch und Ungerechtigkeit und bis zur Abschaffung beziehungsweise Reorganisation der alten gewerblichen Vereinigungen. Zuerst waren die Gilden und Handwerkszünfte nur darauf bedacht, die Interessen der Gewerbetreibenden und Kaufleute dort zu fördern, wo der Einzelne zu schwach dazu war, sie wahrzunehmen; und was wurden sie im Laufe der Zeit?: zu einem Institut, welches die Privilegien der selbstständigen Meister beschützte, jungen Kräften nicht gestattete, sich eine Selbstständigkeit zu erringen, ja so weit ging, dass es ganz von dem Willen derjenigen, welche die Macht dieser Einrichtung in Händen hatten, abhing, wie groß die Zahl der Werkstätten in einem Handwerk und an einem Ort sein durfte. Die Institution fiel wie die anderen. Das neue Innungsgesetz des Deutschen Reiches vom Jahre 1881 und schon früher die Einführung der Gewerbefreiheit in Österreich im Jahre 1859 hat einen ganz anderen, neuen Begriff von gewerblichen Vereinigungen geschaffen.
Und was war die verlästerte »heilige Vehme« ursprünglich? Die Fem- oder Freigerichte sind eine altgermanische Rechtsinstitution, welche später mit dem Rechte des Blutbannes vom Kaiser ausgestattet worden ist und insbesondere in der rechtlosen Zeit des Faustrechtes und des Interregnums eine wahre Wohltat für Deutschland war, weil man wenigstens vor diesen heimlichen Gerichten eine heilige Scheu empfand. Auch waren das Verfahren und die Einrichtung der Femgerichte im Wesentlichen dem der anderen altdeutschen Gerichte ähnlich. Die Ausartung dieser Gerichtsbarkeit hatte zunächst ihren Grund in der Macht derer, die dem geheimen Bunde angehörten, sodass nichts mehr vor der Verfemung schützte, als die Mitgliedschaft an dem Femgerichte. Das Urteil wurde immer rascher gefällt, die Formen, denen die Öffentlichkeit, die Verteidigung, ja oft die Bekanntgabe des Urteils fehlten, wurden immer geheimnisvoller, bis es als gleich galt, angeklagt, verurteilt und hingerichtet zu werden: Tausend Hände waren stets bereit, das geheime Urteil des Femgerichtes zu vollstrecken. Lange, hie und da bis heute, haben sich in Polizeifällen die lächerlich gewordenen Formen der Femgerichte erhalten.
Ganz ähnlich verhält es sich mit den Lynchgerichten in Nordamerika. Die staatliche Justiz reichte nicht hin, Verbrechen häuften sich auf Verbrechen, sodass die wehrlosen Ansiedler gezwungen waren, zur Selbsthilfe zu greifen. Ursprünglich waren die Formen dieser Gerichtsbarkeit auch sehr strenge, die Prinzipien der Öffentlichkeit, der Verteidigung, der Zeugenaussage und der Geschworenen aufrecht gehalten. Als aber die Mitglieder der Lynchgerichte örtlich immer mehr an Macht gewannen, da wurde das sogenannte Lynchgesetz zu einem wahren Schrecken. Unter dem Namen »Regulatoren« schweiften Banden umher, die nicht immer aus ehrlichen Ansiedlern bestanden, und lynchten nicht allein Pferdediebe und andere Verbrecher, sondern missbrauchten ihre Macht oft zur persönlichen Rache an Leuten, die nichts verbrochen hatten, zur Beseitigung von ihnen gefährlichen Zeugen und dergleichen mehr.
Das moderne Irrenwesen nun war nach Beseitigung der unmenschlichen Narrentürme durch die besten Intentionen entstanden; die schöne Idee der Heilung geistiger Gebrechen durch Heilung des Körpers ist der Träger des heutigen Irrenwesens. So aber gelangte dasselbe ganz in die Hände der Ärzte, schuf eine Macht dieses Standes, die anfangs unbewusst geübt und ehrlich, wenngleich dem Irrtum unterworfen, gehandhabt wurde. Es war ein großer Fehler, das Recht im Irrenwesen an den Heilzweck desselben zu binden; denn beides, Recht und Heilung, hing nun von denselben Ärzten ab, die, wie kein anderer Stand, in Ausübung ihres Berufes dem Irrtum unterworfen sind; man bedenke nur, dass, wenn jemand, mit irgendeiner Krankheit behaftet, zu mehreren verschiedenen Ärzten geht, um über seinen Zustand aufgeklärt zu werden, er auch ebenso viele verschiedene Diagnosen hören wird. Die Diagnose im Irrenwesen bedeutet aber ein Urteil über den geistigen, wirtschaftlichen und sozialen Tod, also einen Rechtsspruch von allerhöchster Bedeutung. Da nun einmal die Macht dieses Rechtsspruchs den Ärzten zustand, so gewöhnten sie sich an diese Macht – und wie oft sie missbraucht wurde? Wer vermag das zu sagen?
Die Missbräuche aller jener Institutionen, die wir angeführt, haben vereinigt im Irrenwesen das Bürgerrecht empfangen. Die Untersuchung geschieht in einer Weise, die Hohn spricht allem Fortschritte und Hohn der Erforschung der Wahrheit in jedem einzelnen Falle. Gerüchte, die niemals bewiesen zu werden brauchen, weil die Zeugen dem Verdächtigen nicht gegenübergestellt werden, bilden die Grundlage der Anklage, wie im Inquisitionsverfahren und im Hexenprozess. Falsche Anschauungen und pseudowissenschaftliche Doktrinen lenken die Meinung der Ärzte und des Publikums, wie ehemals der »Hexenhammer« Sprengers. Tausend Hände waren einst bereit, an dem Verfemten das Urteil des Freigerichtes zu vollstrecken; tausend Zungen sind heute bereit, den einen Narren zu nennen, der einmal, wenn auch ungerechtfertigterweise, das Unglück hatte, dem modernen Femgerichte des Irrenwesens zu verfallen, oder von dem auch bloß, wenn auch unwahr, das Gerücht geht, dass es so wäre. Die Folter der Inquisition und des Hexenprozesses, sie sind im Irrenrechte umgewandelt in eine geistige Folter, die dem geistig Gesunden angelegt wird, bis man die Berechtigung gewonnen zu haben glaubt, zu behaupten, dass er nicht gesund sei, damit er entweder vernichtet oder durch die Kunst der Ärzte geheilt werde – wie man es eben braucht.
So mehren sich, wie im Hexenglauben und der Hexenverfolgung sich einstens die Zahl der Hexen wahrhaft fürchterlich vermehrt hat, heute die Fälle des Irrsinns. Je systematischer das Hexenwesen wurde, desto mehr Hexen wurden entdeckt, je ausgebreiteter und pseudowissenschaftlicher das Irrenwesen, umso mehr Irre wurden gefunden – und da suchte man nach den Ursachen überall, nur nicht dort, wo sie sind. Je bereitwilliger man ist, an den Irrsinn des Verdächtigen zu glauben, je weniger man ihnen Gelegenheit gibt, sich zu verteidigen, desto mehr Irrsinnige müssen logischerweise entdeckt werden, je mehr Verdächtige aber entstehen, desto größer muss die Zahl derer werden, die durch die geistige Folter dazu gestempelt werden.
Ich habe mich hier bemüht, in großen Zügen das Bild zu entwerfen, welches ich im Detail über das heutige Irrenrecht in den folgenden Kapiteln auszuführen gedenke, um zu beweisen, dass das Recht im Irrenwesen von dem Heilzwecke desselben vollständig getrennt werden muss.
Blüte edelsten Gemütes
Ist die Rücksicht, doch zu Zeiten
Sind erfrischend wie Gewitter
Gold ʼne Rücksichtslosigkeiten.
Theodor Storm
Mannigfache Faktoren sind es, welche das bestehende Irrenrecht überall zu einem systemlosen Konglomerat von Gesetzen und Verordnungen gemacht haben, die sich oft in der Weise widersprechen, dass eigentlich nur diese es sind, welche angewandt werden, und so ein Verwaltungsverfahren zur Folge haben, in welchem zumeist ein Polizeibeamter und ein Arzt die entscheidende Rolle spielen, während die Gerichte nur sehr selten in Aktion treten, um ein bestehendes Gesetz anzuwenden.
Das positive Irrenrecht der heutigen Tage fußt fast in der ganzen Welt auf Grundsätzen, wie sie sonst in keinem Rechtsgebiete zu finden sind, ja es stößt Prinzipien um, die sonst heiliggehalten werden.
Während sonst der Grundsatz gilt, es sei besser, 99 Schuldige straflos zu lassen, denn einem Unschuldigen die Freiheit zu rauben, macht man sich kein Gewissen daraus, die hauptstädtischen Beobachtungsanstalten mit einem Menschenmaterial zu füllen, das fortwährend wechselt und von dem ein überwiegender Prozentsatz nach kurzer aber unverdienter Freiheitsberaubung wieder freigelassen werden muss. Der Grundsatz dieses Verfahrens heißt: die zwangsweise Heilung Geisteskranker. Während sonst das Recht weit über die Gesundheit des Einzelnen gestellt wird, will man hier die Gesundheit des Einzelnen schützen und empfängt damit das Recht, dessen Rechte zu vernichten, sein moralisches und wirtschaftliches Leben von seinem physischen Dasein zu trennen.
Diese kurzen Andeutungen, auf welche wir nach dem Plane dieses Buches betreffenden Ortes wieder zurückkommen werden, sind genügend, um die große Rechtsunsicherheit auf dem Gebiete des Irrenwesens ahnen zu lassen und die Zeit als gekommen zu erachten, »die baldige Inangriffnahme eines – ordentlichen Irrengesetzes überall – zu empfehlen, damit nicht, wenn sich erst einmal Besorgnisse verbreitet haben, die Angelegenheit unter sehr viel ungünstigeren Verhältnissen geordnet werden muss4.
Ursachen und Folgen der bestehenden Anschauungen und der positiven Gesetzgebungen sind von so großer und unausgesetzter Wechselwirkung, dass sich die aus den ersten Ursachen herausgebildeten Folgen heute bereits wieder als Ursachen des Fortbestehens unserer Zustände auf diesem Rechtsgebiete darstellen.
Wenn wir als Ursachen der bestehenden Rechtsunsicherheit vor allem die Interessen des ärztlichen Standes, seine menschlich begründeten Schwächen, wie Forschungssucht und Eitelkeit und das soziale Misstrauen gegen solche, die irgendjemand einmal irrsinnig genannt hat, hinstellen, so erscheint uns das schlechte, weil oft gesunde Material zum Studium der Geisteskrankheiten schon als Folge jener Ursachen. Diese Folge wird aber wieder zur Ursache für die falschen Prämissen der Heilkunde und für die ungerechtfertigte Verquickung der Begriffe der Geisteskrankheit und der Gehirn- und Nervenkrankheiten.
Und alle diese Momente, sie sind heute Ursache des Umstandes, dass ganz falsche gegen das Gerechte, το διχαιον, verstoßende Prinzipien auf dem Gebiete des Irrenrechtes gelten.
Ich will, um auch meiner Kritik ein System zu unterlegen, zuerst in kurzen Strichen – nur das Bedeutungsvolle und Charakteristische herausgreifend – das bestehende Recht der maßgebendsten Staaten skizzieren, dann die Ursachen der heute geltenden Gesetzgebungen behandeln, darauf die Prinzipien, welche aus diesen Ursachen hervorgewachsen und bis heute kaum angetastet worden sind, einer Kritik unterziehen, um endlich auch der schrecklichen Folgen zu gedenken, welche durch die geltenden Rechte und Anschauungen oft herbeigeführt worden, und die fortwirken – fortzeugend, wie alles Böse, alles Unrecht.
4 Jolly, Irrenpflege in Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie, II, S. 561;
Wir wollen mit den mangelhaftesten Gesetzgebungen beginnen, um mit der französischen zu schließen.
Das deutsche Irrenrecht entbehrt jeden Systems; Verordnungen der Einzelstaaten und Anstaltsreglements bilden ein rechtloses Verfahren, welches allerdings in den Händen gewissenhafter Menschen ungefährlich, gewiss aber nicht beruhigend ist. Die Bestimmungen über die Aufnahme und Entlassung der Kranken, über Visitationen und dergleichen mehr sind überall andere. Die endgültige Erklärung, dass jemand geisteskrank sei und ihm darum ein Vormund zu bestellen ist, steht nach dem bürgerlichen Rechte nur den Gerichten zu. Es ist demnach derjenige, welcher Vermögen besitzt und dem ein Kurator bestellt werden muss, in seiner persönlichen Freiheit weit gesicherter als der Arme; denn dieser kann oft über Polizeibeschluss seiner persönlichen Freiheit unter dem Titel der Geisteskrankheit beraubt, jener – wenigstens auf die Dauer – nur durch ein richterliches Urteil in eine Anstalt untergebracht werden. – Die Beschwerdeführung wegen ungerechtfertigter Inhaftnahme aufgrund angeblicher Geisteskrankheit ist überaus schwer, wenn nicht unmöglich.
Das österreichische Recht ist wenig besser, aber wenigstens einheitlich. Die Inhaftnahme eines Verdächtigen ist überaus einfach: Ein Polizeibeamter und ein Arzt beschließen seine Überführung auf die Beobachtungsanstalt. Während die dauernde Unterbringung in eine Irrenanstalt auch hier eines gerichtlichen Urteils bedarf, gegen welches von dem als geisteskrank Geltenden selber oder seinem Anwalt der Rekurs ergriffen werden kann, ist es möglich und geschieht tatsächlich, dass über Polizeibeschluss oder das Zeugnis eines Arztes und das Verlangen eines Verwandten jemand wochenlang unter Beobachtung gehalten wird, ohne dass es zu einem gerichtlichen Urteil zu kommen braucht.
Nach englischem Rechte ist die Aufnahme in eine Irrenanstalt nicht so durch ein kompliziertes Verfahren, als dadurch erschwert, dass man ein großes Gewicht auf den Unterschied zwischen gefährlichen und ungefährlichen Geisteskranken gelegt, und dem Moment der Beaufsichtigung und Inspektion der Irrenanstalten durch vollständig unparteiische Männer aus dem Laienstande im Interesse des Schutzes der persönlichen Freiheit volle Rechnung getragen hat, sodass wenigstens in letzter Richtung das englische Recht nichts zu wünschen übrig lässt. Die Aufnahme in eine Anstalt kann von zwei Friedensrichtern, in dringenden Fällen von einem Friedensrichter, aber auch vom Ortsgeistlichen und dem Armenaufseher verfügt werden; ja jede Privatheilanstalt darf aufgrund eines in bestimmter Form ausgestellten Zeugnisses den Kranken aufnehmen. Dagegen werden in öffentlichen (Grafschafts- und Stadt-) Anstalten nur die in einem Strafprozess wegen Geisteskrankheit Freigesprochenen oder in der Voruntersuchung als geisteskrank Befundenen, oder sonst unter Umständen, welche auf Geisteskrankheit mit verbrecherischer Neigung hindeuten, Ergriffenen aufgenommen. Jede Anstalt untersteht einer staatlichen Oberaufsichtsbehörde, welche bei ihren häufigen Visitationen Personen, die ohne genügenden Grund festgehalten werden, sofort entlassen kann, dasselbe Recht steht aber überdies noch einem von den Friedensrichtern bei ihren Quartalssitzungen ernannten Aufsichtskomitee zu.
Über die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten von Nordamerika ist im Allgemeinen zu erwähnen, dass für irrsinnig nur derjenige gehalten wird, der von mehreren Ärzten als unfähig bezeichnet wird, das Gute vom Bösen, das Recht vom Unrecht zu unterscheiden. Sonst ist das relativ Beste aus der englischen und französischen Gesetzgebung entlehnt.
Das französische Irrenrecht ist das relativ vollkommenste, es übt Vorsicht in der Aufnahme der Kranken nach jeder Richtung hin, es sorgt für öftere Visitationen der Anstalten und für die Möglichkeit einer raschen Entlassung.
Jolly6 skizziert dasselbe trefflich, wie folgt: »Die Aufnahme eines Kranken in eine Anstalt erfolgt entweder auf Antrag irgendeiner Privatperson oder auf Befehl der Behörde. Ersterenfalls muss der Antrag schriftlich gestellt werden und ist mit einem Pass oder sonstigem Identitätsnachweis der aufzunehmenden Person und mit einem ärztlichen Zeugnis, welches die Notwendigkeit der Aufnahme des Kranken in eine Anstalt konstatiert, zu belegen; in dringenden Fällen ist das ärztliche Zeugnis entbehrlich. Der Präfekt kann in einem motivierten Beschlusse die Unterbringung eines Kranken in einer Anstalt anordnen, wenn derselbe die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit der Personen gefährdet; in dringenden Fällen kann die Ortspolizei die notwendigen provisorischen Anordnungen treffen. Die Unterbringung wird aufgehoben durch Gerichtsbeschluss auf eine vom Geisteskranken selbst, seinem Vormund, einem Verwandten, einem Freund oder dem Staatsanwalt erhobene Beschwerde, ferner durch Beschluss des Präfekten und endlich – wenn die Unterbringung nicht auf einem Befehl des Präfekten beruht – sowohl durch die Gesunderklärung der Amtsärzte als aufgrund der Entlassungsforderung der nächsten Verwandten oder desjenigen, der die Unterbringung herbeigeführt hat, vorausgesetzt, dass der Präfekt nicht im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die Festhaltung beschließt. – An diese Bestimmungen reihen sich dann solche an, welche den zur Entlassungsverfügung zuständigen Behörden das zur Begründung solcher Verfügungen notwendige Material liefern und die fortwährende Übereinstimmung der Anstaltsverwaltung mit den bestehenden Vorschriften sichern sollen. Der Präfekt und die von ihm oder dem Minister ermächtigten Personen, ferner der Gerichtspräsident, der Friedensrichter und der Maire haben die öffentlichen und die Privatanstalten von Zeit zu Zeit zu visitieren; der Staatsanwalt hat die öffentlichen Anstalten mindestens zweimal, die Privatanstalten mindestens viermal jährlich zu besuchen. Wenn ein Kranker auf Antrag einer Privatperson aufgenommen worden ist, hat der Anstaltsdirektor innerhalb 24 Stunden dem Präfekten Anzeige zu erstatten, welcher das mit dem Kranken übergebene ärztliche Zeugnis und ein Zeugnis des Anstaltsarztes beizufügen ist. Der Präfekt benachrichtigt den Staatsanwalt und entsendet, wenn der Kranke in eine Privatanstalt aufgenommen worden ist, einen Arzt, welcher den Gesundheitszustand desselben untersucht. Nach Verlauf von 14 Tagen hat der Anstaltsarzt dem Präfekten ein eigehendes Gutachten zu erstatten und alle sechs Monate hat der Anstaltsvorstand demselben über alle Pfleglinge zu berichten. Der Präfekt hat bezüglich der auf seinen Befehl aufgenommenen Kranken alle sechs Wochen über die Fortdauer oder Aufhebung der Festhaltung zu beschließen. Wenn in der Zwischenzeit zwischen zwei Semestralberichten die Ärzte die Entlassung eines auf polizeilichen Befehl aufgenommenen Kranken als möglich erkennen, haben sie dem Präfekten sofort Anzeige zu erstatten. Die Unterbringungsbefehle und die halbjährigen Erneuerungen derselben hat der Präfekt dem Staatsanwalt und der Familie des Kranken mitzuteilen. Über jeden Pflegling muss in der Anstalt ein Protokoll geführt werden, in welches der Arzt mindestens einmal monatlich seine Beobachtungen einzutragen hat und welches den Beamten, welche die Visitationen vornehmen, jedes Mal vorzulegen ist.« – Der Mangel der französischen Gesetzgebung liegt insbesondere darin, dass eine Dringlichkeit in Bezug auf die Unterbringung eines Verdächtigen anerkannt wird.
5 Eine vollständige Sammlung der europäischen Gesetzgebungen findet sich in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie, XIX, Suppl. 1862;
6 In Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie, II, S. 559;
Die Ansichten über Recht und Unrecht wechseln auf jedem Rechtsgebiete; sie verdrängen sich jedoch nur langsam und schwer, und selbst wenn eine neue Auffassung bereits Wurzel gefasst und allgemein geworden ist, wuchert die alte wie Unkraut noch hie und da fort.
Das Irrenwesen war einmal ganz okkupiert von der Religion; denn der Geisteskranke galt für einen vom Teufel Besessenen im alten, für einen Seligen im neuen Testamente – »Selig sind die Armen im Geiste; denn ihrer ist das Himmelreich« lehrt Christus, und was ein Geisteskranker sprach, wurde in prophetischem Sinne aufgenommen.
Noch sind beide Anschauungen nicht ausgerottet, hier lebt diese dort jene fort, obgleich längst schon der Grundsatz, den der Bonner Professor Nasse zuerst aufgestellt hat: »Die geistige Gebundenheit ist stets in Krankheitszuständen des Nervensystems, speziell des Gehirns zu suchen«, allgemein anerkannt ist.
Mit diesem Grundsatz, der nicht mehr sagen will, als er sagt, und an und für sich wahr und richtig ist, wurde jedoch der Geisteskranke nicht allein zur Heilung, der alleinigen Aufgabe des Arztes, aber auch zur Verurteilung einer Freiheitshaft an den Arzt überliefert. Nicht das körperliche allein, sondern auch das rechtliche Moment des Irrenwesens fielen an den Arzt, und damit erhielt im sozialen Leben der ärztliche Stand eine Machtstellung, die er früher nie besessen hatte, die ihm nicht zukommt, die jedoch sein Ansehen hob und seinen Einfluss auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens ausdehnte.
Wie ist es anders möglich, als dass der ärztliche Stand, unterstützt von geltenden Vorurteilen, diese soziale Machtstellung auch zu wahren und zu erweitern strebt, dass er einerseits die für ihn günstigen Verhältnisse nährt und seine Kunst als eine μάϑησιϛ μυστιχή behütet, dass das Volk in dem Glauben an die ärztliche Autorität erhalten wird, dass andererseits die allgemein menschlichen Schwächen der Ärzte wie Eitelkeit, Bequemlichkeit und dergleichen mehr ein oft gesundes Material in die psychiatrischen Kliniken schleppen, dass man dadurch falsche, weil eben an Gesunden gefundene Symptome von Geisteskrankheiten entdeckt zu haben glaubt, dass endlich nerven- oder gehirnkrank auch geisteskrank heißen muss, wenn nicht der eine oder andere Patient der Zwangsbehandlung sich entziehen soll: Dass schließlich Lehrsätze aufgestellt worden sind, die dem gesunden Menschenverstande ins Gesicht schlagen, nur um die Autorität des ärztlichen Standes in um ein so mystischeres Licht zu rücken.
1. Die Interessen des ärztlichen Standes
Der Kampf der Stände ist keine neue Erscheinung, wenngleich sie erst in der Neuzeit zu deutlichem Durchbruch gelangt ist, weil sie früher versteckt hinter dem Kampfe der Religionen, später dem der Nationen lag.