Das schweigende Mädchen / Ulrike Maria Stuart - Elfriede Jelinek - E-Book

Das schweigende Mädchen / Ulrike Maria Stuart E-Book

Elfriede Jelinek

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Beschreibung

«Die Deutschen. Ihr Reich wird kein Ende haben, das ist bereits bewiesen, da dieses Reich ja noch besteht und das Ende sicher auch, nur weiß ich nicht, wo und wann und wie ich die beiden zusammenführen könnte, die Deutschen und das Ende, ich meine, sie hatten schon so viele Enden! Sie haben keinen Anspruch auf noch mehr.» Zwei Königinnen kämpfen in «Ulrike Maria Stuart» um die Deutungshoheit des Diskurses. Als beredte Untote geistern sie durch das Gefängnis ihrer RAF-Vergangenheit: Kinder einer revolutionären Ideologie, die sie längst ausgespien hat. Ganz gegenwärtig ist hingegen «Das schweigende Mädchen»: letzte Überlebende eines Neonazi-Trios, das eine Mordspur durch das Land zog. Als stumme Leerstelle steht sie vor Gericht, das sich zu einem Tribunal biblischen Ausmaßes weitet. In zwei großen, sprachmächtigen Stücken umkreist Elfriede Jelinek linken wie rechten Terrorismus – und schreibt zugleich deutsche Mentalitätsgeschichte. «Elfriede Jelinek ist die politischste, für die Katastrophen der Gegenwart empfänglichste Dramatikerin unserer Zeit.» (Süddeutsche Zeitung)

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Seitenzahl: 689

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Elfriede Jelinek

Das schweigende Mädchen / Ulrike Maria Stuart

Zwei Theaterstücke

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

«Die Deutschen. Ihr Reich wird kein Ende haben, das ist bereits bewiesen, da dieses Reich ja noch besteht und das Ende sicher auch, nur weiß ich nicht, wo und wann und wie ich die beiden zusammenführen könnte, die Deutschen und das Ende, ich meine, sie hatten schon so viele Enden! Sie haben keinen Anspruch auf noch mehr.»

 

Zwei Königinnen kämpfen in «Ulrike Maria Stuart» um die Deutungshoheit des Diskurses. Als beredte Untote geistern sie durch das Gefängnis ihrer RAF-Vergangenheit: Kinder einer revolutionären Ideologie, die sie längst ausgespien hat.

Ganz gegenwärtig ist hingegen «Das schweigende Mädchen»: letzte Überlebende eines Neonazi-Trios, das eine Mordspur durch das Land zog. Als stumme Leerstelle steht sie vor Gericht, das sich zu einem Tribunal biblischen Ausmaßes weitet.

 

In zwei großen, sprachmächtigen Stücken umkreist Elfriede Jelinek linken wie rechten Terrorismus – und schreibt zugleich deutsche Mentalitätsgeschichte.

 

Über Elfriede Jelinek

Elfriede Jelinek, 1946 geboren, wuchs in Wien auf. Für ihr literarisches Werk, das Romane ebenso umfasst wie Theaterstücke, Lyrik, Essays, Übersetzungen, Hörspiele, Drehbücher und Opernlibretti, erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Georg-Büchner-Preis, den Franz-Kafka-Literaturpreis sowie viermal den Mülheimer Dramatikerpreis.

2004 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen.

Sie ist mittlerweile die meistgespielte deutschsprachige Gegenwartsautorin; allein für ihr Theaterstück «Winterreise» gab es seit seiner Uraufführung 2011 über dreißig Inszenierungen.

Zuletzt erschien bei Rowohlt ihr Bühnenessay «Rein Gold».

 

Weitere Veröffentlichungen

Bambiland

Die Ausgesperrten

Die Kinder der Toten

Die Klavierspielerin

Die Kontrakte des Kaufmanns. Rechnitz (Der Würgeengel). Über Tiere

Die Liebhaberinnen

Ein Sportstück

Gier

Lust

Macht nichts

Michael

Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr

Rein Gold

Stecken, Stab und Stangl. Raststätte. Wolken. Heim.

Theaterstücke

Totenauberg

Winterreise

Inhaltsübersicht

Ulrike Maria Stuart1. Teilstück2. Teilstück3. TeilstückDas schweigende Mädchen

Ulrike Maria Stuart

Königinnendrama

Die Uraufführung von «Ulrike Maria Stuart» war am 28. Oktober 2006 am Thalia Theater Hamburg in der Regie von Nicolas Stemann.

Grundsätzliches, mit einem schönen Gruß, einem gehörigen Schuß von der Autorin: Ein Problem wird sein, daß die fast immer «gebundene» Sprache des Textes (Jamben, Trochäen) eine «Höhe» herstellt, die unbedingt konterkariert werden muß von der Regie. Die Figuren müssen sozusagen fast jeden Augenblick von sich selbst zurückgerissen werden, um nicht mit sich selbst ident zu werden. Der Gegenstand, sie selbst, zu dem sie immer wieder zurückkehren wollen, obwohl sie ihn selber gemacht haben und wissen müßten, daß er ihr eigenes Konstrukt ist, ein schiefes, schlecht zusammengezimmertes Brettergerüst, muß vielfältig gebrochen werden wie die Äste eines Baumhauses, wo das Ganze übrigens gut spielen könnte, denn diese Figuren sind ja nicht «sie selbst», sondern, nein, auch nicht einfach die berühmten, mir inzwischen längst lästigen Sprachflächen, sondern Produkte von Ideologie. Das muß also so inszeniert werden, daß die Figuren quasi neben sich selber herlaufen, daß eine Differenz erzeugt wird, und zwar von ihnen selber. Es steht nicht der reine Mensch vor uns, sondern seine Absonderung und seine Absonderlichkeit, wie Gestank, der ihn umweht; es darf keinesfalls vornehm oder dichterisch sein, es muß alles runter runter runter. Runter die Hosen, runter die Röcke! Die Königinnen können über ihrer Kleidung etliche schmutzige, befleckte Unterhosen tragen, die sie sich runterreißen, das ist nur ein Beispiel. Sie müssen auf erschreckende Weise, aber auch komisch, bis ins Groteske hinein (man denke in der Bildenden Kunst an Mike Kelley und Paul McCarthy!, dessen riesige Köpfe, die sie verkehrt aufgesetzt haben, so daß sie sich selber huckepack tragen, denn sie sind ja nicht sie selber, sie tragen sich, aber eben: verkehrt rum) mit sich selber den Boden aufwischen, auf dem sie nicht stehen können, denn sogar der ist ja schief, sie krallen sich an, fallen aber doch immer wieder runter und werden im Lauf der Handlung nicht reiner, sondern dreckiger. Und sogar der Dreck rutscht ab (und die DarstellerInnen an ihm). Die Figuren können mit allem, was sie haben, aufeinander losgehen, vor allem mit sich selbst. Ich möchte, daß Chaos, Schmutz, Unordnung zurückbleiben und daß das Schöne oder Hohe von Idealen uns sukzessive verläßt, bis sogar die Ironie am Schluß verschwindet (tut sie sowieso) und die Figuren vor sich selbst das Weite suchen, das aber nur eine Zelle und ein Strick aus Handtuchfetzen ist. In der Höhe der Ideologie, die ja falsch ist und eine Lüge, das ist ihre genetisch einprogrammierte Eigenschaft – dafür kann sie nichts, deswegen wird sie nie unschuldig sein, und das will sie ja auch nicht, dagegen arbeitet sie an, gegen die Unschuldigkeit – in der Höhe der Ideologie, aus der die Figuren sich er-lesen haben, ist dann nur noch ein Fensterkreuz, an dem man den Handtuchstrick festknoten kann. Und irgendwas rennt aus den Figuren auf und davon. Es sucht eben: das Weite, aber das gibt es nicht, es soll sehr hermetisch wirken, mit Dreck und Gestank und allem, was dazugehört. Die sollen sich in ihrer eigenen Scheiße wälzen! Also.

1. Teilstück

Ein Käfig mit den Prinzen im Tower, verschiedene Stimmen, deren Urheber man aber nicht sieht.

Die Prinzen im Tower:

Väter, sagt uns, ist die Mutter tot?

Chor der Greise:

Nein, Kinder. Sie ist heimgesucht, doch euer Heim sucht sie nicht mehr und hat sie, glaube ich, im Grunde nie gesucht. Ihre Wohnadresse ist verloren, wohl für immer. Das Schafott fürchtet die Mutter und fürchtet sie auch wieder nicht. Wer kann in ihren Kopf hineinsehn? Nur der Strick, und auch der Strick sieht ihn von außen. Ihr papiernes Haupt steckt jetzt in eurem Wohnzimmer im Rahmen, auch auf Postämtern kann man es finden und in Polizeistationen, und von dort zumindest kann es nicht mehr fliehn, das ist die Strafe, und es wird noch dicker kommen. Sie, die Mutter, ist ein Bund, dem niemand bietet mehr die Hände. Niemals loskommt vom Verderben der Unzähligen, die ihren Tod am Wegrand fanden, aufgefressen von den Schweinen, diese Frau mit durchgestochnen Augen, die immer noch nur Elend sehen können, auch weil sie doch geblendet worden sind, ich weiß nicht mehr, von wem, vielleicht ist wütend sie auf sich, weil sie nichts sehen kann. Keines ihrer Augen will das andere begleiten, stellen Sie sich vor, Sie hätten dieses Leiden! Selbst wenn sie nichts als Mauern sehen, diese Augen, überschätzen sollte man sie auch nicht, eure Mutter, ihre Theorien sind nur auf Sand gebaut, wahrscheinlich hat sie keine und behauptet alles, ohne vorher auch nur einmal nachzudenken, denn für die Frau stellt sich das Sinnproblem viel unausweichlicher und auch massiver als für Männer, ja, die Fraun haben ein Emanzipationsproblem dazu, wie eure Mutter, die den Gatten endlich los ist, Freude bringt das nicht, so sieht es für uns aus, denn wir sind alt und wissens besser: Die Ärmste torkelt ohne Ziel herum, das heißt, ein Ziel, das hat sie, und das weiß sie auch, nur kennt sie es noch immer nicht nach all den Jahren, da sie es beschrieb für keinen, der es wissen wollte. Nur Verdammte dieser Erde (oder solche, die es gerne wären, doch nur ihre Stimmung halten und nichts sonst) folgen ihr, wohin den Weg sie weist, doch wer erkennt schon selbst den Weg, den er beschreibt, sie ist ja keine Reiseführerin! Na, mein liebes Deutschland, einmal hast du Bruderstaaten, und im nächsten Augenblick hast nicht mal Schwestern du, bist nirgends mehr rot angestrichen wie mit Blut, das unterm Zirkel fließt, und nicht mal ausgestrichen aus den Listen all der Staaten, die es nicht mehr gibt (wer macht sich schon die Mühe, sie zu zählen!), du bist mit Nachdruck auf den Platz verwiesen, der, bedeckt mit roter Asche, falls man einmal Sport auf ihm betreiben möchte, für dich vorgesehen war. Außer uns, den Ältesten, nimmt keiner sich mehr deiner an, der außer sich geraten möchte, liebes armes Land. Sie werden stets woandershin getrieben, die Verdammten, diese armen Kreaturen, die mit Kuba, Chile, Vietnam umhergeworfen haben wie ein Kind mit Bauklötzen, dort besucht sie sie, die liebe engagierte Frau, die eine, eure Mutter war – wer hat sie engagiert? Und ja, sie schmäht sie, diese Vollidioten, die von ihrer lächerlichen Revolution – sogar für die warn sie zu faul, diejenigen, die Terror machten und sich auf sich selbst als einem Instrument begleitet hatten – so bezaubert waren, daß sie nicht mal mehr die eignen Bilder sehen konnten. Jetzt besuchen diese Heimatlosen ihrer Länder dafür uns, wenn sie mal Lust dazu bekommen, so wie eure Mutter einst in umgekehrter Richtung, nein, die darf uns nie mehr kommen mit dem Schmus, na Gott sei Dank, die sind wir los, was wollt ich vorhin sagen, jetzt besuchen dafür die, die kein Zuhause haben, uns, das sagt ich schon, doch bei uns ist nichts zu holen, wir haben selbst noch nie genug gekriegt, den Hals haben wir noch lang nicht voll, den Hals, der, von Verfolgungen beschwert, das Leichtgewicht von eurer Mutter nicht mehr halten kann und ihr das Leben abpreßt, Hände hoch!, denn wir sind doch viel mehr verdammt als sie, verdammt zu grober Unzulänglichkeit, ja auch zu Untätigkeit, um nicht zu sagen Untat, und das ganz ohne Lohn, denn wir sind alt. Was unternehmen wir, was solln wir tun? In ihre Mitte die Verräter sind gemischt, so floh sie aus dem Reiche, schnell. Doch kam sie irgendwann zurück, die spinnt doch wohl, so ist das mit Fanatikern.

Ulrike:

Die Mutter, liebe Kinder, hat bestimmt kein Glücklicher beschützt. Und auch kein unglücklicher und auch noch linker Vollidiot, der niemand schützen will und nur sein Lebtag unter seinen Freunden saß, wer andrer war nicht zugelassen als der Klassenfreund, der nichts tut, als die andren von der Wut, die in ihm tobt, in Kenntnis auch zu setzen. So diskutierte ohne Sinn und Zweck die Mutter mit der Gruppe. Steht nun auf und leiht mir euer Ohr, nein, bleibt von mir aus lieber sitzen! Könnt eh nicht aufstehn. Käfighaltung bitter schwarz und tragisch, aber für euch nötig, sonst rennt ihr auch noch weg von mir. Nicht einmal euer Tod würde der Mutter ihren Thron vergällen, auf den sie sich gesetzt hat, doch grade um den Thron herrscht immer ein Verdrängungswettbewerb, und wenn es dafür Neuwahln geben muß, die niemals etwas andres bringen als das Alte! Also bleibt ruhig, wo ihr seid! Geht nicht in dieses schrecklich überfüllte Waisenhaus dort drüben in Jordanien! Bleibt, liebe Kinder, bleibt! In dieser Hölle werdet ihr dann irgendwann brutal, wie weltweit nur die Israelis sind, man nannte früher Juden sie, das darf man jetzt wohl nicht mehr sagen, dort werdet ihr erschossen, ich meine in Jordanien, alle beide, wenn ihr ausnahmsweise mal zusammenbleibt, ihr Kinder, so daß die eine Kugel alle zwei auf einmal euch erwischen kann, oder es fliegt gleich das ganze Lager, ihr dazu, mit allem, was darin ist, in die Luft, das kann ich euch schon heute garantieren, also seid schön folgsam, geht, wohin man es euch heißt, denn euer Name hängt euch ewig an! Laßt euch also holen, bleibt dort nur ja nicht, sonst bleibt ihr für immer, kommt nie mehr zurück zu eurem unglücklichen Vater, der die Zeit für Bessres zu verwenden hat, als eure Gräber auszuheben! Denn der Vater sagt, wie einst die Tochter: Unbegraben bleibt ihr nicht, das ist verboten!

Die Prinzen im Tower:

Was weint ihr denn so oft und schlagt die Brust, ihr lieben Alten, die ihr sie noch kanntet? Sie wäre irgendwann ja selber alt geworden. Nun, sie wird es nicht. Was ruft ihr sinnlos: O Ulrike Maria, Unglückselge? Was seht ihr, wenn ihr in die linke Ecke schaut? Und überhaupt: Was nennt ihr uns die armen, ausgestoßnen Waisen, wenn unsre edle Mutter doch am Leben?

Chor der Greise:

Ihr artgen Kinder mißversteht uns ganz, das macht die Ganztags-Umerziehung wohl durch eure Mutter. Ihr könnt nichts dafür. Und so passierts, daß nachts was angezündet wird, tagsüber jedoch auch, doch Nacht und Tag sind eins für die kaputte Wirtschaft. Wer Arbeit kriegt, der lebt in China oder Indien, und er lebt nicht schlecht, verglichen mit all denen, die bereits gestorben sind. Dort zieht die Arbeit hin jetzt, schwer ist ihr Koffer mit den Lohnkosten befrachtet, und sie wirft auf ihrem Wege alles ab, vor allem diese Kosten, bis sie endlich landet, ganz befreit. Doch das passiert nun leider nicht bei uns, bei uns sind alle frei, doch niemand wird befreit, auch nicht von sich. Dort drüben lebt die Arbeit jetzt, die wankelmütige Touristin, weiß jetzt noch nicht, wo sie ihr Zelt aufschlagen wird, in dreißig, vierzig Jahren, so lange dauerts noch, und sie ist immer noch nicht angekommen – auch heute, immer ist sie auf dem falschen Dampfer, mit dem falschen Fuß und noch dazu im falschen Fluß erwischt, die stille brave Arbeit, fährt noch ziellos in der Welt umher und schaut, wos Wetter besser ist; doch irgendwann, in Indien, China, Bangladesh, da darf sie sich dann austoben, man kann jetzt schon darauf wetten, und alles fällt dann allgemeiner Gier zum Opfer, Gier der Unternehmer selbstverständlich, und die Menschen klagen sinnlos drüber, denn es gibt kein Amt, das sie erhört und ihre Hoffnung nährt. Uns ists egal, wir sind ein Unternehmen, unternehmungslustig bis zur Allmacht selbstgewählter Ferien. Bald gibts dazu nur noch ein Deutschland, und das ist nicht einig, dafür ists bewaffnet, keine Ahnung, was es dann für Waffen haben wird, wahrscheinlich eine dicke fette Staatsschuld und ein Defizit und hohe Arbeitslosigkeit und grauenhaftes Elend, das dafür im BMW daherkommt, unvergleichliches Gehorchen ohne Freund und ohne Feind, ein grauenvolles düstres Land, haha, die Leute glauben das auch noch! Zwei wie derzeit wären besser, dann wärens nämlich zwei, die gegen alle andren antreten mit ihren Todesbataillonen, die gefolgt von Totenbataillonen, Totenköpfe überall, wohin man schaut, am Flughafen ein Massengrab, wer liegt denn dort schon wieder drin?, egal, an dieses einig Land wolln wenden wir uns in der Zukunft, die ist noch nicht angebrochen, dafür schon längst gegessen, komisch, wenden wir uns Deutschland zweifach Vaterland zu, denn wir haben ja kein drittes, na, das hätt uns noch gefehlt, es sind ja zwei zuviel, doch immerhin, wir haben sie, na gut, wir nehmen das im Westen, klarerweise, dort ists schön, denn außer Stränden lachen uns im Urlaub Berge sowie noch mehr Strände, alles ist bequem, wenn auch zu Fuß nicht zu erreichen, außer einer wohnt in Garmisch-Partenkirchen oder halt auf Sylt, das sind auch schon die größten Gegensätze, die es heut in Deutschlands Westen gibt. Der Job ist schwierig, eure Mutter macht schon wieder eine Leseliste, stellt sie sich zusammen aus dem eignen Heimgebirge von Gedrucktem, aus dem heraus ihr Feuer lodert, ohne daß es je verbrennt. Trotzdem, es wolln die Arbeiter wohl nicht so recht. Sie können dich in Unannehmlichkeiten bringen, falls du dich mal für sie einsetzt, und du kannst dann Schwierigkeiten kriegen, wenn du deinen Job machst, dieser Job, er heißt für eure Mami und in den ereignisreichen Märchen ihrer Terrorbande: Revolution, lest nach, wenn ihr schon lesen könnt, in dieser gelben Reihe, die ein stark politisierter Buchverlag, weils derzeit Mode ist, herausbringt, keinesfalls umsonst und doch umsonst! Gewerkschaft, ja, die gibt ein Infoblatt heraus, das tun wir auch, das tun wir alle, wichtig Zeug steht drin, so steht es hier, doch kein Verhältnis ist privat, das haben wir euch beigebracht, und das des Vaters zu der Mutter ist nicht mehr zu politisieren, das ist verbrannt wie Menschenfleisch im Fieber. Wichtig wäre allerdings, so hat sies auch gesagt, daß wir mal endlich Klarheit bringen in Beziehungen, das Verhältnis, noch bevor man eines hat, politisiert, politisch wirds ja doch, bloß etwas später. Eins steht fest: Man muß halt immer Bücher lesen, wie gesagt, wo man das Leben lernt, damit man es verlernen kann. Wir wolln keine Bücher und Broschüren lesen, wenn wir sehn, wie jemand ein Verhältnis und ein Feuer hat im Herzen. Wolln nicht länger hören, was wir dauernd hören, oh, die Wirtschaft steckt in Schwierigkeiten, nicht möglich!, was, schon wieder? Bedeutets diesmal Revolution? Nein, wieder nichts, denn wann und wo tut sie das nicht, die Wirtschaft, wahrlich, wir, wir Alten sagen euch: Nichts steckt ja derart ausdauernd in Schwierigkeiten wie die Wirtschaft, denn die Wirtschaft IST die Schwierigkeit persönlich, die leidet immer unter was, nur die Besitzer dieser Ungastwirtschaft, die Besitzer leiden nie, ja, immer hat sie was, dann hat sie wieder nichts, aber nur kurz, vielleicht ist sie ein Hypochonder, diese Wirtschaft, boomen tut sie anderswo, wo wir nie sind, das ist so ihre Art, so kriegen wir nichts mit, sie will uns nicht beunruhigen, und daß die überhaupt noch lebt, das wundert uns jetzt schon. Sie stirbt, wann tut sie das denn nicht? Der Hypochonder lebt am längsten, aber einmal stirbt er doch, wann tut er das denn nicht?, er stirbt schon tausend Tode, wenn er gar nicht krank ist. Auch die Wirtschaft stirbt wahrscheinlich mal, jetzt seh ich das noch nicht, doch sie ist krank und stirbt wohl irgendwann mal in dem blutgen Streit der Kronen und der Währungen, wieso lebt sie denn immer noch, die Untotste der Toten, wie? Ach so, sie lebt, weil viele andre von ihr leben?! Das ist so ein Märchen, an das alle glauben wollen, sogar die Mama hat Respekt vor ihr, der Wirtschaft. Und zwar stirbt zuerst im Supermarkt der alten Zwietracht unglückselge Glut der Marken, welche friedlich sich vermählten einst auf den Regalen. Sogar Geiz wird einmal geil sein, derzeit sinds nur wir mit unsren Magazinen, die wir mit einem Klicken unsren Augenwaffen einschieben, allein die vielen nackten Frauen, die dermaßen grinsen, als ob sie ihren eignen Körper lieben würden! Vielleicht tun sie das, und zwar als einzige, der Körper, der gehört ja schließlich ihnen, was solln sie denn machen, immerhin, der ist ihr Eigentum. Doch andre wolln ihn vielleicht auch, die wollen einen, der genauso ist, sie müssen nur noch rechnen, was das kostet und ob sichs rechnet, daß man dafür so viel ausgibt, denn die meisten Körper bringen gar nichts ein und müssen sich verschenken, falls sie einer gratis nimmt. Die Menschen werfen mit dem Geld um sich oder wollens doch zumindest einmal können, wenn auch nur auf dem Papier, das ist wie Reisen. Kataloge werden aufgeschlagen und auch wieder zu, doch wieviel wir von ihnen kaufen, diese Waren sind auf einem schlimmen Pfad und nehmen einen strengen Lauf wie das Gesetz, doch kein Gesetz gibt es, das Waren etwas vorschreibt. Erst Europa, ganz Europa wird das schaffen, doch das dauert noch, das dauert Jahre noch, bis endlos langer Schlaf die Lagerflächen und der Mensch die Liegeflächen flieht, weil er dann endlich einen Job hat, doch es fragt sich nur noch, welche Flächen, ja, das wird noch dauern, bis Europa einig ist und dafür nicht mehr leben will, weil es zu gut lebt in den Schuhen völlig fremder Menschen, die, wie Fähnchen, dieses Element des Winkens, neben diesen Schuhen gehen, weil sie selbst anstatt der Schuhe eingeschnürt sind (ja, selbst wenns einig ist, Europa, wird einig es nie sein, sagen wir so nebenher, das kann auch weggelassen werden) und die Revolte niemand nötig mehr befindet, die hat noch nicht mal einen Keim, den man ersticken könnte, die ist eine Totgeburt. Ach ja, und Terror wird dann nicht mehr Terror sein, man wird ihn, wenn man ihn verstaatlicht, doch zur Zeit ist noch Privatisierung angesagt, den Terrorismus nennen, was nur Übermut von jungen Menschen ist, die nichts als Coca-Cola trinken möchten in den fernsten Ländern und dazugehören, keine Ahnung haben wir, die Alten, wer zu wem gehören möchte, aber bitte, solln sie halt dazugehören, solange wirs nicht sind, wir sind der Tod, zu dem wolln Sie doch sicher nicht, Sie haben da ne falsche Abkürzung erwischt, da uns und unsresgleichen niemand wollen kann. Ihr glaubt mir nicht, ihr kleinen Prinzen? Wollt es selber ausprobieren? Ihr werdet noch an unsre Worte denken. Auf schlimmem Weg zum Immergleichen sind die Waren unausweichlich, das ist heut schon abzusehen wie Europas Grenzen, von denen es zusammenströmt, ein Meer von unblutigen Händen, die in den Zement sich graben, in den Gips oder in Farbe oder auch in mürbes Fleisch, für das ein Heim sich niemand leisten mag, das Umbringen ist für vieles eine Lösung, eure Mutter samt Genossen haben das sehr wohl gewußt. Schon damals, wie sies heute wissen, sogar wir Toten haben das einmal geglaubt. Dafür sehn wir am Horizont die Flammen neuer Bürgerkriege steigen, diesmal heißts nicht Bürger gegen Bürger, sondern Bürger gegens nackte Nichts, gegen das, was sie nicht haben und auch nie kriegen werden, gegen das, von dem man nicht mal Nacktheit sehen kann, doch keine Angst, sie sinken wieder, nicht die Bürger, ja, die auch, doch mehr die Kriege, wenn man lang genug nur wartet oder gleich die Kriege wartet mit ner Kanne Öl oder all die Brände austritt, die man lieber trinken mag als treten, Himbeer oder Kirsch, Tschetschenien oder Irland irgendwo im Norden dieser Zivilisation, schaut euch andre Länder an, es ist doch überall das gleiche. Nein, sie steigen nicht, die Preise, derzeit fallen sie, wir meinen vielleicht ganz was andres mit dem Steigen und dem Fallen!? Steigen tut auf jeden Fall die Auflage der bunten Blätter, ein jedes Blatt, es steht für alle, so wie jeder Mensch, wie jede Revolution, und auch die Aktien, manche, andre steigen wieder nicht. Neinnein, sie sinkt, sie sinkt, die Auflage, was macht ihr jetzt, ihr Macher? Was macht ihr bloß, die DDR sind wir bald los, die das noch zahlt, was unsre Linke derzeit lesen darf, das sehn wir heut schon kommen, und dann zahlt uns keiner was dafür, daß wir dagegen sind, denn dagegen ist dann bloß ein Stoppschild oder eine Mauer, wahlweise ein Baum. Es bleibt sich gleich, am Ende bleibt die Anstrengung, ein Mensch zu sein, wir haben das schon aufgegeben und uns in aller Ruhe für den Tod entschieden, denn: Wozu ein Mensch sein, Mensch ist man von selber. Und Menschen wandern ohne Ziel, im Gegensatz zum Kapital, das eins nur weiß: Bloß weg von unsren Taschen! Und Finger weg von all den schönen Dingen! Sonst gibt es eins drauf. Doch manche haben eins, sie haben ein gewisses Ziel, es gibt so viele Ziele, jeder findet seins, wenn mans ihm anständig erklärt und einen Plan ihm gibt. Wohin auch immer Menschen ziehn, es wandert eure Mutter mit, zu den Verlorenen, darunter tut sies nicht, damit auch sie ein Ziel bekommen und dann stillhalten, wie wir. Und wo die Massen sind, wo sie am Ziel sind endlich, dort irrt eure Mutter jetzt herum, sie irrt umher, die Massen irren auch, wohl mangels Masse, mangels Maßstabs. Oder der, den sie schon haben, ist für sie zu groß. Wo die Verlornen sind, dort will auch sie sein, das ist logisch. Sagst du Heim zu ihr, meint sie Erziehungsheim, und nicht das ihre, schöne, das sie jetzt schon hat, allein die neuen Möbel und die Villa an der Elbe! Völlig Unbekannten bietet sie die Hände, eure Mutter, sie mit starkem Arm vor Armut ab sofort zu retten, rasch, nur raus, woraus auch immer, denn sie muß befreien, wen auch immer. Tastet fremde Leben ab mit ihren fühllosen Fühlern, die noch dazu verkehrt rum sitzen, leider nicht am Kopf: Ob sie Tod dort findet noch im Leben? Rasch, Beeilung! Und ihr, nehmt euchs zum Vorbild, bleibt nie, wo ihr seid, wenn auch nicht freiwillig, seid ja Kinder noch. Aus jeder noch so fremden Fremde kommt ihr wieder her zu uns zurück, zum Glück, das können wir bestätigen. Wißt ihr, was in dem Flüchtlingslager euch erwartet hätte? Nur der Tod, ihr wäret in die Luft geflogen, nichts hätt euch dort retten können, na, seid froh, daß ihr jetzt wieder hier seid! Wir alte Leute haben das vorhergesehn und holn euch heim, das heißt, wir lassen holen euch, um für den Rest des Lebens dann in euren Augen euren Kampf zu sehen um die Mutter, die jetzt weg ist, eurer Seele Kampf, denn euer Mutter Mund, der wagte es, die Wünsche auszusprechen, die die andren stets verborgen halten, Wünsche nur für andre, in Wahrheit für sich selbst, behaupten wir, der Revolutionär ist doch der nächste Blutsverwandte des unheilbar ichfixierten Egoisten, und gleich ihm ertrinkt er irgendwann in seinem Blut, der Hypochonder glaubt es nur, daß er gleich sterben muß, doch wer ein Kämpfer ist, stirbt richtig und in Echtzeit und auch in Person, nein, der läßt nicht andre für sich sterben, doch, läßt er schon, doch nur, damit in ihnen dann er selber sterben kann mit jedem Mal und furchtbar trauern, das ist doch auf Dauer ziemlich anstrengend, findet ihr das nicht, so viele Tode, schaut nur uns an!, und so viele hat es schon gegeben, denn der Tod ist kreativ wie eine Kinderbastelgruppe. Keiner überblickt das noch. Wir sagens euch noch einmal: Der Kämpfer ist ein unheilbarer Hypochonder seiner selbst. Das Richterschwert, womit der Mann sich ziert, verhaßt ists in der Frauen Hand, und grad die Frauen sind die militantesten, weil ihre Körper viel mehr durchzustehen haben, allgemein und im speziellen, die sind das von Geburt an ja gewöhnt, daß sie gebären müssen, und dann sind sie dafür von uns Männern wohl verwahrt und gut verwöhnt den Rest der Zeit, den sie noch haben; sicher ist es schwerer für den Mann, in dieser Hinsicht Leistung zu erbringen, das geht manchmal ziemlich weit, wenn ers versucht. Da robbt im roten Spielhöschen er durch den Sand dort in Jordanien, Gott, ist das heiß und trocken, wo ist Mineralwasser, schau an, da resigniert er schon, wir habens euch vorhergesagt, eh er begonnen, denn die Frau ist auch in diesem Fall viel militanter noch als er, der lieber selber Kind dann bleibt und bleiben darf, ein Kind auf ewig für die Frau, die seine Mutter werden darf, auch dies auf ewig, bis in diese Schule für die Revolutionäre er dann kommt, die Mutter schmiert sein Pausenbrot und legt noch einen Apfel ihm dazu voll Liebe und voll Stolz auf ihren kleinen Racker, um ihn unter Essen zu begraben. Menschen, ihr bedenkt die Unterschiede doch, bedenket auch die Pyramide der Gewalt, wir Greise sind ganz unten, daher kennen wirs, betrachtet all die Mechanismen und die Zwänge, die bei der Erziehung wesentlich, und zwar der Zwang, ein Kind zu sein, nicht Zwang brauchts zum Erwachsenwerden, das ist doch der Punkt, und das Gefängnis sei die Schule für euch Revolutionäre. So, ihr lieben Kinder, Früchte ihres Leibes, dieses Weibes, soll sie leben oder was? Nein, leben soll sie nicht, an die Gerechtigkeit des Weibes glauben wir schon lange nicht, wir Alten glauben nur an Deutschland, so wie früher, an sonst nichts. Dies Land, es scheint uns derzeit und in Zukunft ein Ideal zu sein, und der Prozeß gegen die Staatsverbrecher, sein so festliches Gepräng will uns als kühner Frevel nicht erscheinen wie so vielen andren, den Prozeß erwarten wir geradezu. Sobald ein Weib das Opfer wird, kann niemals mehr ein Richter von Gerechtigkeit dann sprechen, dann lieber Täter sein! Und das gilt allgemein! Das Weib hat kein Gewissen, und dieses, eure Mutter, hat erst recht keins. Das hat sie damals gegen das Atom verloren auf diesen Demos, das ist nun wirklich keine Schande, gegen das Atom verliern wir alle, das ist uns zu stark als Gegner, suchen wir uns einen leichteren. Nur die Gnade kann ihr jetzt noch helfen, und die kriegt sie nicht, ihr lieben Kinder, ihr könnt sie vergessen, beides, Gnade euch wie eurer Mutter, der nur ein Gott noch gnaden kann, vergeßt sie!, doch was machen wir jetzt mit euch Kindern, zum Erziehen sind wir wohl zu alt, wer würde euch uns anvertraun? Ein andrer müßte euch jetzt nehmen, wir haben keine Zeit. Wir kümmern uns ja schon um die Vertriebenenverbände aus dem Osten, die halten uns ganz schön auf Trab, die haben uns schon eingewickelt, die Verbände, für die in Zukunft schreiben werden wir verstärkt, das kommt aus tiefster Überzeugung, wir kennen schließlich noch die alte Heimat, oder etwa nicht? Da war doch was? Wahrscheinlich nicht, wir haben keine Überzeugung, das liegt hinter uns, und auch als Rechte werden wir beinahe völlig ignoriert, na Hauptsache, uns Vätern aller Väter macht es Spaß im Vaterland. Was macht ihr da? Kommt aus der fremden, fernen Stadt erst mal zurück, na, so fern ist sie wieder nicht, kommt her, ihr armen Kinder, ihr seid ja heute schon Vertriebene. Immer nach Hamburg kommt ihr gern zurück. Wieso denn ausgerechnet Hamburg? Was seht ihr in dieser Stadt? Hamburgs Luxus pur, das ist doch Humbug, oder? Der ist vergänglich, allerdings auch vorzüglich, wenn man ihn denn genießen kann, die Mutter konnte es zumindest eine Zeitlang, das steht fest! Es wäre allerdings nicht Hamburg, wenn ihr dort was sehen könntet, weil dort einfach alles bereits da ist, und das vor der Schöpfung. Dort herrscht meistens Nebel, denn es gibt zuviele Magazine, alles da, jawohl, die vielen knallend bunten Blätter, einfarbigen Blätter, Bäume ohne Blätter, Quatsch mit Soße oder ohne, je nach Wunsch, und all die Speicher, schicken, angesagten (denn ohne daß euchs einer ansagt, alles vorsagt, findet ihr sie niemals!) In-Lokale, wo einem das Aas im Mund gefriert beim Italiener, dort, wo man es in Nudeln und mit Trüffeln eingelegt hat, was es ganz gewiß nicht haltbar machen wird. Der Bissen welk im Mund und müd, dafür ist knackfrisch der Salat, bevor er überhaupt noch über eure gierig zugespitzten Lippen treten kann und alles überflutet, auch die Blusen, auch das jüngste Hauptgericht, das selber schon trompeten kann. Danach ist alles eins und Brei, vor allem was ihr sprecht. Wir Väter konnten ursprünglich ja euer Mutter Glauben an Reformen teilen, daß man jetzt mit mehr Olivenöl als Butter kochen soll, doch dann folgten wir ihr nicht mehr weiter, es war uns nicht mehr möglich. Schließlich hätte sie uns folgen müssen, die Erfahrung liegt auf unsrer Seite. Was sagt ihr dazu? Ihr wärt gar nicht in Hamburg, hätte man euch nicht zwangsweise geholt? Warum bliebt ihr nicht fort? Ihr wolltet nicht ins Waisenhaus? Da habt ihr recht. Bei uns daheim im Altersheim ist es viel schöner. Gut, daß ihr zurückgekommen seid. Wir zeigen euch jetzt alles, führen euch herum, damit ihr jetzt schon wißt, wie es im Jenseits aussieht, und damit das Bürgertum und seine Freuden, die so viele, die gern üppig täten, wenn sie könnten, unter ihre matten Arme nehmen würden, diese Freuden, damit die Armen vielleicht fliegen lernen. Etwas Auftrieb wär schon gut, ein leichter Aufwind würde also unter Flügel fahren, unter die dem Häßlichen nie einer greift. Dabei könnt grade der es brauchen.

Ulrike:

Wieso habt ihr euch billig kaufen lassen, liebe Kinder? Warum hab ich euch bloß zum Einkaufen geschickt? Ich glaub, das hab ich gar nicht. Ich habe euch niemals geschickt, ich hab euch mitgenommen. Und ihr weint, da ihr keine Mutter habt, um Hamburgs Italiener Cuneo, wo wir einst saßen und diktierten, bis man uns gelesen oder nicht, das blieb sich gleich, obwohl ich sagen muß, daß damals echte Menschen uns gelesen haben, Information war damals Diskussion, heut ist sie Ware an den Tischen, wo wir einstmals, noch bevor wir es dann niederschrieben, bis es nicht mehr aufstand, miteinander sprachen endlos, nichts, was vor Gericht man vorzuweisen hätte als Beweis und nichts dagegen, es wär sinnlos, etwas vorzubringen. Tiefer Sinn wohnt wohl in diesen alten Bräuchen, doch sie warn schon immer sinnlos, oder besser: sinnentleert, wir haben uns bloß eingebildet, etwas hätte einen Sinn, doch wußten wir schon lang nicht, was das sein wohl könnte: Menschen glücklich machen. Einkaufen, essen, dann zum Italiener, noch mal essen, ja, auch wenn man gar nichts braucht, holt man sichs trotzdem, und wärs nur ein Porsche oder ein Mercedes. Essen gehen. Essen gehen. Dann ist es zu Ende, doch hat man immerhin gegessen vorher, um die Zustimmung der Massen zum bewaffnet dann geführten Kampf bewirken wohl zu können und damit die Emanzipation der Massen in die Gänge kann gebracht sein endlich, wann ist endlich endlich? Ist es denn das Gegenteil von zeitlich? Denn nur mit Gequatsche kann man die Szene des Politischen doch nicht verändern, jedenfalls nicht grundlegend, und schon gar nicht durch den Kampf einiger weniger in Waffen, aber das wolln wir nicht wissen, müssen wir auch nicht, die Kämpfer darf nämlich nie etwas ablenken von ihrem Vorgehn und der Weise ihres Vorgehns, die darin besteht, daß sie uns eben vorgehn. Und dann sind sie weg. Beamte haben sie von weitem kommen sehn und sie kassiert wie Kleingeld, das zu nichts mehr gut ist.

Chor der Greise:

Na, dann verteilt sie halt, die schönen Waren, bevor ihr selbst verurteilt seid, und dann laßt sie darum kämpfen, das macht Spaß! Wie soll die Revolution denn sonst in ihre Gänge kommen, doch wir können jetzt schon sagen, daß der Terror eurer Leute und die radikalste Spielart, euer Terrorismus, nicht als sozialistisch angesehen werden kann, nein, das ist keine linke Politik, das ist, im Gegenteil, Gefährdung linker Politik, Gefährdung ihrer eignen Existenz- und Handlungsmöglichkeit, was wollten wir gleich sagen außer dieser Binsenweisheit? Habt ihr denn nicht selbst den Eindruck, daß sie selbst das irgendwann geahnt? Sie konntens allerdings nicht zugeben, denn eine Zugabe gibts nicht im Knast, dort gibt es gar nichts extra, was man nicht bestellt hat, und das dauert, bis das Feld einmal bestellt ist, dieser Samen kommt wahrscheinlich nie hinein, das Feld liegt brach, bald sind sie alle tot, das kann man unschwer prophezeien. Wen habt ihr da schon wieder eingeholt, es wird der Neid doch stets den siegend Glücklichen verfolgen, oder etwa nicht? Warum hat man euch eingeholt? Für uns wars nicht! Wir hätten gut auf euch verzichten können! Viel lieber spielen wir im Grab mit unsern eignen Knochen.

Ulrike:

Niemals erlöschen wird mein Haß gegen die Väter, vor deren Anspruch Ruhe ich mir niemals schaffen kann. Und auch mein Mißerfolg hat viele Väter, und dort hinten seh ich mehr, noch viel mehr Väter, ich glaube, außer mir sind alle Menschen Väter. Das sag ich, die Mutter, die sich als Mutter nicht betragen will, denn für die höheren Beträge ist meist der Vater zuständig. Warum hat man euch geholt, so spricht er da schon wieder. Bloß weil ihr da wart, das heißt fort? Den Fehler hat schon diese Königin, wie üblich ganz sie selbst, die ich nicht sein möcht, auch gemacht. Einen weißen Pulli einholen, nur weil er grade da war, und er hat ihr wohl gefallen, genau die runden Bündchen, die sie sich gewünscht. Jetzt hat sie es, doch den Pullover hat sie nicht, noch immer nicht, jetzt muß sie betteln drum, ich hoffe, sie hat ihre eignen Väter, die ihr einen kaufen, auch um diese warmen Kniestrümpfe muß sie herumrutschen, nur endlos betteln auf Beton, doch ohne Sicht, das nennt man dann den Sichtbeton, nein, doch nicht, Sichtbeton heißt, daß man einfach nirgends raussieht, und ein Fliegengitter ist jetzt auch davor, daß man sich nicht zu weit ins Licht hinaus dann lehnen oder beugen kann, es ist dann wie in einem Flugzeug, aussteigen ist streng verboten, und es ist auch sinnlos, Höhenflüge sind gestrichen, und deutsche Botschaften sind nicht mal Außenposten, denn es gibt bald gar kein Ausland mehr, ihr werdets sehen, es wird dann, wo wir sind, Europa sein, und Europäer sind wir alle dann. Wir tragen uns als solche überall herum wie Schmutz, der von den Schuhen abfällt, denn wir selbst sind nichts, wir sind Europas Abfall, und der Arbeiter ist niemand, der ist ja der erste, der längst abgefallen ist, das ist der letzte, der für Disziplin, geschweige denn in einer Gruppe, sorgen kann. Ach, welch ein Wahnsinn! Ich bin nun bald seit einem Monat tot, das kann wohl jeder irgendwann von sich behaupten, daß er bald seit nem Monat tot gewesen sein wird. Und die Königin wünscht sich die neue Jacke, und zwar diesen Lumber-Jack, weißt du, mit so gestrickten Bünden um den Hals und an den Ärmeln und der Taille, Wildleder und schwarz, das unbedingt, in Größe 46, das gibts jetzt in etlich Läden, Selbach beispielsweise, sonst noch Wünsche? Sonst fehlt Ihnen nichts? Es müßte sich ein bißchen Mühe geben jemand, der die Jacke kaufen will, denn ich hoffe, daß ein, wenigstens ein Stück warme und zivile Kleidung sogar mir mal zugebilligt wird, so spricht die Königin, und diese Jacke soll nicht grade billig sein, das bin ich nicht gewöhnt, daß etwas billig ist, was ich besitze, denkt sie. Sonst hat sie wohl keine andren Sorgen? Wer spricht in den Text hinein, wer sucht ihn zu verwischen mit der eignen Stimme? Ich kenn mich jetzt nicht mehr aus, wer spricht, es ist ja alles sinnlos, unverständlich, allerdings, da kann man doch nur noch Waffe zeigen und die Flagge, falls man eine hat. Ihr lieben Kinder, sagt dem Journalisten, wenn er mit der Schießübung mittels kleinstkalibriger lächerlicher Luftdruckflinte fertig ist, die Übung sei hiermit beendet, sonst entsteht ein Schaden an dem PKW, auf den er schießt. Doch der ist ohnedies schon hin. Was ihr danach noch vorhabt, liebe Kinder, nein, ihr könnt es mir jetzt selber sagen: Da ist dieser Schreiber nun, na klar, aus Hamburg, woher sonst, schon wieder der!, der keinem Wortgefecht mehr unterworfen ist, weil alle andren bereits unterworfen sind von ihm, der Mann hat euch geholt, ihr Kinder, könnt ihm dankbar sein, wie ich heut weiß, und da, schaut her, vor lauter Angst hat er sich glatt doch ein Gewehr gekauft, wenn auch nur von diesem Kleinkaliber! Wo ist denn diesmal das Problem? Der Ärmste lebt davon, daß er Probleme sieht, wo welche sind, nur sieht er leider immer nur die falschen. Immerhin, Probleme sind ja immer reichlich da, er soll sich nur bedienen, denn die Bourgeoisie will ja bedient sein, und das Tag und Nacht, das ist die Aufgabe des Schreibers, nein, das Schießen ist es nicht, dafür ist er sein eigenes Kaliber, das zu klein ist, das muß ihm genügen. Hat es auch, denn nie mehr hat er damit auf ein Autowrack gezielt zum Üben, nur dies eine Mal, die Polizei war nachsichtig, mit Nachsicht kann der immer rechnen, denn auf Menschen hätt niemals er angelegt, der Liebe, Gute. Ihr hättet außerdem nicht mitgehen müssen! Doch da hatt die Flinte er noch nicht, als er euch traf, und ihr wart noch viel zu klein, um eine Finte zu erkennen. So seid doch endlich froh, daß ihr bei mir noch seid, genießt es! Wer spricht da eigentlich? Wahrscheinlich bin ichs selbst! Im Namen eures Vaters: Jetzt könnt ihr jedenfalls in Frieden aufwachsen und selber schreiben, wenn ihr wollt und was ihr wollt und gegen wen ihr wollt, auch wenn ihr gar nicht wollt, und keiner da, auf den ihr eifersüchtig sein müßt. Eure Mutter kommt euch lebend kaum mehr vor Augen. Jetzt haben euch die Väter, macht ja nichts, ihr seid doch liebe Kinder, unverdorben von der Mutter, und den Rest gewöhnen sie euch auch noch ab, na gut. Ich hör schon auf. Die Frau muß immer richten, ohne das Gesetz zu kennen, das kommt davon, daß sie immer alles reparieren muß im Haushalt und im Leben, denn der Vater hat doch niemals Zeit dafür. Die Frau, die schwingt sich auf zu Unerhörtem, deshalb wird sie wohl so selten nur gehört. Ich mußt euch zwischendurch genauso aufziehn, Kinder, deshalb weiß ich, was ich sage. Dieser Mann hat euch geholt, sagt danke. Immer danke sagen brav, auch zu den unkonventionellsten Menschen, grad zu denen, denn es fällt ihnen besonders schwer, etwas zu tun! Im Namen und zum Nutzen irgendeiner Person, die Rechte vergibt an die Krone – an den Bundesanwalt oder einen Dritten, den man später abknallt –, daß man gerichtlich gegen sie verfahre, auch noch danke sagen, daß der Schreiber euch gerettet hat. Ich will mir gar nicht vorstelln, was ohne ihn aus euch geworden wäre, Blut und Matsch, und keiner hätte euch erkannt, nicht mal der eigne Vater, bin das ich? Wahrscheinlich. Nein, doch nicht, ich bin vielleicht die Mutter, keine Ahnung. Und des Schreibers Chef schreibt es dann auf, damit es endlich wahr wird. Irgendwann darf wohl der Schreiber selber schreiben, weil sein Chef dann tot sein wird. Was nicht von ihm gezeigt, gesagt und auf das Cover schön gemalt wird, stimmt so nicht. Was nicht in unserm kleinen bunten Blatt konkret gesagt wird, stimmt schon gar nicht. Was niemals geschrieben wurde, hatte niemals eine Chance zu stimmen, einzustimmen in den Chor der Meute, die sich selber hetzt, weil sie sich derart wichtig nimmt. Sie ist es nicht. Am wenigsten stimmt das Geschriebne selbst. Wie das? Und welches denn? Es liest ja keiner. Also könnt es durchaus stimmen auch. Muß sich die Mühe gar nicht machen, falsch zu sein. Es wird verschlungen. Damit die Herzen reißen vor den Qualen Fremder, mit denen wir das eigne Leben schmücken wie mit dem Foto eurer Mutter an der Wand. Bis in den Tod die Schuldigen verfolgen, und da bewiesen ist, egal, wieso seid ihr schon wieder hier? Wieso hat der Schreiber dieses stinkenden gemeinen Machwerks bloß sein schlimmes Ziel mit euch erreicht und euch auch noch zurückgebracht? Wieso hat er euch nicht überhaupt gleich abgeschlachtet? Das Schießen, es ist gutes Recht! Und natürlich darf geschossen werden! Es darf doch auch zurückgeschossen werden. Warum dann nicht als erster schießen? Es ist ganz natürlich, daß das Reich des Lebens wie des Todes ihr, der Königin, gehört, worin sie schamlos jetzt als eine Gefangne schmachtet, recht geschieht ihr.

Ein versprengter Engel aus Amerika, aus der Zukunft kommend, wild, wenn auch sinnlos mit den Flügeln schlagend:

Ich möchte jetzt die These euch erläutern, daß der individuelle Terrorismus dieser Gruppe und auch andrer Stadtguerilla-Gruppen nicht als radikale Spielart linker Politik verstanden werden kann, daß er vielmehr und objektiv der Reaktion nur in die Hände arbeitet. Und zwar möcht ich, vor allem an dem Beispiel dieser längst verstummten Leute, auf die Grundirrtümer und die wahnhaften Verzerrungen der Wirklichkeit euch hinweisen, die dem Terrorismus als einer Verzweiflungsform der sozialistisch sich nicht nennenswerten Praxis oder einer sozialistisch wenigstens gemeinten Praxis seit den Anfängen zugrunde lagen, bevor zugrund gegangen sie dann sind endgültig, und ich möchte dann, zum zweiten, auf ein paar der Mechanismen weisen, die dazu beigetragen haben, daß eine Form, die einst als sozialistisch wohl gemeint war, doch in illegale Praxis abgedriftet ist, auch objektiv in nichts als Nähe, ich kann es nicht anders sagen, der Gewaltkriminalität von rechts gerückt ist, schaut euch euren Vater an, ihr Kinder, für wen schreibt der?, der schreibt jetzt für Ostpreußen, das es nicht mehr gibt, und was von seinen Menschen übrig ist, die alle nicht mehr leben, die es auch längst nicht mehr gibt, und für ein Land, das ebenfalls zum Glück schon lange nicht mehr existiert, und doch glaubt er, wie eure Mutter damals hat geglaubt an ihres, glaubt der Vater, daß dies wunderbare Deutschland einig sein muß, na, das werden wir womöglich auch erleben, jene, die noch leben, ja, und noch ein Stück von Deutschland, und dann: Wolln Sie noch ein Stück, ja bitte, gern, das Sahnestück, von dem schon lange keiner mehr gehört hat, keiner greift danach, dies Land, es macht euch niemand streitig. Denn das ist ein Ort, der seit Jahrzehnten nicht mehr da ist, stellt euch das mal vor, und dieser Trottel, euer Vater, ich kann es kaum glauben, ausgerechnet zu diesem Mann, der nur Bekanntes tönt, doch wems bekannt ist, fragt er nicht, zu dem wollt ihr zurück, nein, ihr wollt nicht, aber ihr müßt, ich raff das nicht so recht, was wird der wohl aus euch machen, frag ich mich. Ich sage, Irrtum ist mir lieber als die Illusion, daß die Bewegungen der Basis in der Dritten Welt, ich schwörs euch, daß die funktionieren, irgendwie zumindest, nein, ich sehe grad, daß die tot sind, die gehn ein, bevor ich es noch schreiben kann, daß sie gestorben sind, bis auf die armen Cocabauern oder durch dieselben, einer hier, der andre drüben. Daß Modelle also, die an den Bewegungen zur Freiheit dort gewonnen wurden, auf die Metropolen und Verhältnisse der hochindustrialisierten, parlamentarisch und dazu noch demokratisch ausgerichteten Gesellschaft niemals anzuwenden sind und aus. Was für die Cocabauern und die ungesetzlichen Vertreter, die sie sich genommen haben oder die sich sie als Geisel dort genommen haben, gültig sein mag, denn der Mais, die ganzen Feldfrüchte, die bringens nicht, die sind grad zum Verhungern oder, eine klitzekleine Spur verändert, für Monsanto profitabel, den berühmten Eßkonzern – natürlich heißt das nicht, daß man den essen kann! –, der ganze bäuerliche Sozialismus, will ich sagen, ist nicht brauchbar für die großen Städte. Dort muß man was andres machen, aber was? Nur Jahreszeiten ziehen leise an den Ausgebeuteten vorbei. Von unsereins erwartet man sich etwas mehr.

Ulrike:

Ach, die Medea soll ich euch jetzt geben, eure Rabenmutter! Na, dann geb ich halt auch die. Hab eh schon alles hingegeben, warum nicht auch die Mutterschaft? Ihr seht mich selber, Kinder, bald seht ihr nur noch mein Bild, wie euer Vater sagt. O welchen Schatz bewahrt er doch, der gut trainierte Körper! Er bewahrt sich selbst, und das genügt ihm schon! Der Königin zu Füßen will sofort ich werfen mich oder jemand andrem aus der Gruppe, je nachdem, wen ich erwische, wer vorbeikommt, viel Platz ist ja nicht, vor dem hau ich mich auf den Boden, denn das tut nicht weh. Ja, Lord Leicester oder wie er heißt, den nehm ich auch, wenn er vorbeikommt, ganz gleich, wie ihr ihn nennt, den Onkel Hans, diesen Opportunisten seiner selbst, den ganz besonders, und hoffentlich erhört er mich, nein, leider nicht, er zieht die Königin mir ständig vor, das ist gemein, er hört mir auch nie zu, denn hören kann der schon mal überhaupt nicht. Fragen kann er, hören kann er leider nicht. Der will nur immer reden, und dann will er immer etwas machen, von dem er nicht mal ahnt, was es denn sein soll, blinder Aktionismus!, alle raus jetzt, auch durchs Fenster, was halt offen ist, da muß man durch. Man soll ins Offene nicht kommen, sondern durchs Offene, notfalls durch das Glas, durch das Dazwischen. Man soll ihn mir doch einmal wenigstens, Stirn gegen Stirne, vorführn! Dann werden wirs sehen. Begreif ich wohl, daß man die Freiheit mir nicht schenken kann, doch vielleicht Achtung könnt ich noch von ihnen kriegen, Hans und Grete: ihre Namen. Und die vielen andren Namen, nur zur Tarnung, ich selbst nenn mich Anna. Namen sind ja Schall und Rauch wie einst die vielen, die verschwunden sind, doch erst muß man sie noch verbrennen, das macht nun erstens Arbeit, zweitens Arbeit, drittens noch mehr Arbeit, das heißt: falls man es hinkriegt. Achten könnten sie mich schon, die beiden, Hans und Grete, findet ihr das nicht? Ihr habt es also nicht gefunden, auch gut! Ich beharre selbst schon dringend auf Vollstreckung meines Urteils an mir selbst, doch etwas Achtung könnten sie schon noch für mich haben, weil ich so viel schrieb! So viel schrieb und schrieb und schrieb und dachte und schrieb und dachte und schrieb! Und schrieb, bevor ich dachte, und dachte noch, bevor ich schrie, nein, schrieb, bevor ich dachte, schrieb sogar beim Pferderennen, innerlich geschrieben, ohne Hut, der hätte grade noch gefehlt, doch weiß, schneeweiß in meinen schönen Handschuhen und mit der dunklen Kette um den Hals, ganz genau wie später einmal, da ich den Menschen einst als Schnörkel, das sie gar nicht brauchen, nur zur Verzierung ist es da, da ich den Menschen also tapfer in die Wege trat wie später nie mehr wieder, da hab ich mich geirrt, denn etwas war um meinen Hals, nur wars ein Strick, und Menschen hab ich keine mehr gesehn, nie wieder, das ging sukzessive, daß ichs gar nicht merkte. Auf einmal war ich weg, getrennt sogar von mir. Wer hat mit mir dafür noch was am Hut? Wohl keiner. Was ließ der Kerker noch von meinem Schönheitsglanze, ganz verloren ist das Ganze. Doch noch umfließt mich Licht und Leben, auch wenns kein echtes Licht hier drinnen gibt, denn das, was künstlich ist, das ist kein Licht. Ich kann auch nicht mehr lesen, nie mehr setz ich meinen Fuß auf diese Schwelle, die für mich zu hoch ist. Sie reden nicht mit mir, die beiden, Hans und Grete, wer auch immer, schneiden mich. Ich bin ganz isoliert. Auch von den andren. Sie hören nicht auf mich. Sie dürfens nicht mehr hören, denn ihr Baby hats verboten, ja, das Kind, es ist erwachsen, seine Mutter hat ihm nie mehr was zu sagen, sie hat nur zu melden, nichts zu sagen, bei den Menschen draußen ists ja umgekehrt. Sie sagen viel, doch haben sie wohl nichts zu melden, man hält ewig in Reserve sie wie einen Feuerlöscher. Wie furchtbar naht Entscheidung mir, noch dunkler als das Dunkel, noch toter als der Tod. Nie mehr vor Lust entzückt, euch anzuschauen, Kinder! Mit jeder Stunde dringet die Gefahr. Aber die Königin. Wißt ihr, was die noch will? Die Königin will ein möglichst lustig Foto von dem eignen Kind, dem Sohn, wie aus dem Leben gierig rausgegriffen, rausgerissen soll es sein. Auch ihren Sohn hat sie zurückgelassen ohne Reue. Dafür nennt Andreas sie ihr Baby, was wollt ich noch sagen? Sie nennt ihren Andi, diesen Feigling, wie sie in Jordanien ihn in lautem Einvernehmen alle nannten, Baby, sie nennt ihren Hans ihr Baby, und sie heißt ihn so, sie gab ihm diesen Namen, der ist jetzt ihr Kind, die Frauen sind ja immer stärker als die Männer, und am stärksten sind sie wohl als Mütter. Mütter bleiben sie. Und auch als Revolutionärin sind sie stark, das ist das Gegenteil von Mutter, die aus ihrem Stolz heraustritt, wenns ums Kind geht, die sich selbst vergißt, bevor sie sich gekannt hat, komisch, hier geht das zusammen, bei der Königin geht das zusammen, ja, die schafft das, und das Nationale noch dazu, den Kampf um Deutschland, die kann solche Gegensätze mühelos verbinden, ich bewundre sie dafür. Diese Frauen! Mutter müssen sie ja immer sein, egal von wem. Bei der Genossin Grete wars ihr Baby Hans, der nichts so sagen konnte, wie er wollte, und es anders auch nicht sagen konnte, überhaupt nichts sagen konnte, sprechen erst von ihr, der Mama, lernen mußte, doch sie liebte ihn gerade dafür, daß er sprachlos war, nur immer Fotze Fotze Fotze sagen, wie ein Automat, wenn man den Knopf drückt, das konnte er, das kann ich bezeugen, ihr Fotzen, ihr seid doch nur stark, wenn ihr eure Männer anschrein könnt, das hat er dann gesagt, ihr Baby, brüll brüll brüll und schrei und kreisch und brüll und schrei in unbeschreiblich warmen Tönen, die ich nicht mal malen könnte, wenn ich könnte, nicht mal, wenn ich müßte, schreien, brüllen war die Hauptsache für ihn, das war wohl seine Muttersprache, nicht einmal die Königin, nein, er selber wars, aus dem es stets herausschrie wie die Springflut, wenn sie kommt und wenn man ausnahmsweise selber kommt, was nur passiert, wenn man mal Glück hat, der Hans war also Haupt- und Nebenwiderspruch in einem. Ja, das Baby Hans, das war ihr Kind, hat nur aus ihr heraus gelebt und sie aus ihm, denn keiner, keine ist je stärker als Die Mutter. Doch die ist widerlich, es tut mir leid, ich hasse Mütter, und obwohl ich selber eine bin, kann ich den Kindern nicht mehr antworten, kann auf einmal nicht mehr, auch als sie den schönen Kalender zu Advent mir eigenhändig bastelten und noch dazu auf meinen Wunsch. Ich konnt ihn nicht mehr nehmen, Annahme verweigert für den armen selbstgemachten Wandschmuck, dessen Fenster wohl die Tage bis zur Weihnacht zählen sollten, gesehen hab ichs nie, mein eigner Zähler läuft, ich seh ja auch aus keinem Fenster, Annahme verweigert, was soll denn eine, die kein Fenster hat, mit einem solchen Zimmerschmuck fürs Jesuskind wohl anfangen? So blöd sind Kinder, daß sie Fenster basteln, wo gar keine sind, das kommt wahrscheinlich davon, daß sie keine Mutter haben, bei den Palästinaflüchtlingen im Waisenhaus wärn besser sie ganz sicher aufgehoben als bei ihrem Vater, wo sie in der kargen Freizeit blöde Sachen für die Zellenwände ihrer Mutter basteln sollen. Konnt ihnen einfach nicht mehr antworten, den Kindern keine Antwort, zurückgeschickt die Bastelei, Annahme verweigert, geht retour. Die Mutter spricht nicht, doch sie schickt, und sie schickt meistens fort, es kann auch sein, daß sie es festhält, doch diese hier, die holt nichts mehr, sie holt nichts her und schickt nur fort, sie lehrt die Kinder unaufhörlich selber sprechen, bloß damit sies dann erst recht nicht können. Oder nur, damit sie sprechen, als wärn sie der Staat persönlich, sozusagen offiziell. Das ist ja ganz wie aus dem Leben: immer raus, wenn man mal drin ist. Ist man draußen, will man wieder rein ins Leben. Für mich ists zu spät. All das ist schon längst nicht mehr das Leben, denn ein andrer hats daraus gegriffen, und für uns wars Theorie. Die Geschichtlichkeit stimmt immer, denn sie ist gleichzeitig die Vergangenheit für immer, was sagt Mutter nun dazu? Sie sagt, das Sprechenlernen ist ja leicht, aber das Leben nehmen schwer, grade das, was schwer ist, interessiert uns ganz besonders. Lesen Sie doch Freud, mein liebes Leben, dann werden Sie gleich sehen, daß der Bürger, der den Humanismus ernst nimmt, was er sowieso nie tut, denn er nimmt ja nur sich selber ernst, daß der Bürger also merken muß, will er humanitär sein, daß dem Humanismus jede Menge Wirklichkeit doch fehlt! Wie soll er nehmen, was doch fehlt? Die Königin hats vorgemacht, das eigne Kind hat sie verlassen und den andren, den Hans, dafür an Kindes Statt genommen, damit er was über Geschichtlichkeit erfährt, was nun naturgemäß bedeutet, daß er so enden wird wie alle, wie wir alle, und sein Leben erst im Rückblick dann betrachten kann, das heißt: wohl gar nicht. Da hört für ihn die Welt dann auf wie für den Bürger, und er geht allein ins Nichts. Herausgegriffen aus dem Leben, und auch dies will er noch selber machen, dieses Baby ist zur Emanzipation verzogen, und so hat die Emanzipation es nie erreicht, das Baby wohnte damals schon woanders, nein, das führt auch sonst zu gar nichts, das sieht doch ein jeder. Selber aus dem Leben rausgegriffen! Selber muß man greifen, bevor von der Gesellschaft so brutal nach uns gegriffen wird, ach Kinder, lassen wirs! Was soll ich noch mit euch? Was ist mit eurem Foto, darf ich das nicht haben? Nein, ich brauch es doch nicht. Allein die jahrelange Eifersucht eures Vaters, natürlich bloß auf meine vielen Leser, hat mich langsam angeödet. Und jetzt ihr! Springt über diese Hecken, wie es sich gehört, zerschrammt eure Knie beim Revolutionsspielen, froh zerzauste Hunde? Doch die Revolution ist nie ein Spiel, die Freiheit wird uns nicht geschenkt. Mißhandlungen, die können haben wir, und gratis noch dazu, aber die Freiheit nie. Das, was am wenigsten uns kosten würde, diese Freiheit, die nur faul herumliegt, wolln wir nicht und kriegen wir auch nicht, wir müssen uns das Teurere dann nehmen, und das Teuerste, das ist nun mal das Leben. So. In ewgem Kerker will man mich bewahren und meine Rache, meinen Rechtsanspruch mit mir verscharren in Gefängnisnacht. Königin, hilf! Sprich mit mir! So hilf mir doch! Sprich doch mit mir, ein einzges Mal! Warum sprecht ihr nicht mehr mit mir, Grete? Hans? Wer auch immer? Sprecht! Wo seid ihr? In der Nachbarzelle? Unter meiner, ober meiner gilt nicht, über meiner unter meiner sieht man nichts! Sprecht mit mir, flachst wenigstens mit mir am Fenster, Königin, wo bist du, denn ich seh dich derzeit nicht? Sprichst du schon wie dein Baby, das heißt so haßerfüllt wie alle Kinder gegen ihre Eltern? Nein. Warum wollt fertigmachen ihr mich jetzt? Was hab ich euch getan? Durch falsches Zeugnis glaubte niemals ich zu retten mich, was also werft ihr mir jetzt vor?

Chor der Greise:

Wir hatten Kinder auch! Wir waren sogar Kinder selber einst. Wir kennen das, nur ist es lange her! Ihr Kinder! Wo immer ihr nun seid, ihr kommt doch immer wieder, wenn auch nicht ganz freiwillig. Zwei Bumerangs. Könnt ihr nicht endlich einmal bleiben, wo ihr fort seid? Euer Mutter Krankheit jammern wir, und ihr Verlust macht Sorge uns. Ob tot oder lebendig, trauern kann schon mal nicht schaden.

Die Prinzen im Tower:

So wißt ihr, Väter, Greise, sie ist tot! Oder ist sie nicht tot, oder ist sie tot? Oder doch nicht? Oder doch? Lebend tot? Tot lebendig? Wer ist darum zu schelten, daß sie jetzt nicht da ist? Sie sollte unter Menschen gehn, die liebe Mutter! Doch es geht nicht. Sie geht niemals fort. Sie kann nicht, ist ja leider eingesperrt. Dann würde ihr der Ausstieg doch vielleicht ermöglicht, wenn sie bloß nicht eingesperrt im Kerker wäre. Wenn sie nur nicht eingesperrt wär, dann wär Ausstieg möglich. Wenn nur die Zelle fahren könnte, wär auch Ein- und Ausstieg möglich. Doch sie nimmts nicht wahr. Man stellt ihr Augenzeugen gegenüber, doch sie schaut sie gar nicht an, man muß ihr erst den Nacken kitzeln, daß sie ihren stolzen Kopf hebt für die Kamera des Staates, für dessen Erkennungsdienst, den Strick, den Galgenstrick, den tun wir nachher rum in aller Ruhe, wenn die Zeugen fort sind. Dafür schauen die jetzt aus der Wäsche dumm, die Zeugen! Warum ihr eine Gunst, ein Recht verweigern, das man dem Mörder nicht versagt? So eine Gemeinheit, vor allem gegen uns, denn Mörder sind wir schließlich auch! Ein Mörder ist doch jeder, da ist nichts dabei, das geht ganz schnell. Wir sind allein und bleiben so zurück. Sie alle werden wissen, daß zurückgeblieben sind sie, auf des Staates Stärke sie zu Recht berufen sich, das ist für Häftlinge wohl nicht so günstig, wenn die Leute abfalln, wenn der Kampf vergessen wird.

Ulrike:

Ich bin die Schwache, sie die Mächtgen, wer auch immer, Hans und Grete, oder wie sie sich gerade nennen. Sie brauchen die Gewalt, sie töten mich. Sie töten mich. Der Staat muß gar nichts tun. Sie töten mich schon selber, die Genossen, debattieren klassisch, und dann töten sie. Wer sich auf Geschichtlichkeit verläßt und ihre schrecklichen Gesetze, der ist ganz verloren, denn er hat nichts mehr davon, was immer sie beschließen, die Gesetze, heute richtig, morgen falsch, Hans oder Grete, wer auch immer, bald doch sind sie selber tot, ich schwörs euch. Diese Königin, nicht auf der Stärke schrecklich Recht berufen soll sie sich, ich sagt es schon: Den Biedermann, den sie für typisch hielt, hat sie verachtet stets, sie hat gesagt, daß er das eine und doch immer nur dasselbe ist und alles unter einem Dach, an das den Docht sie halten möchte, daß es brennt. Und doch hat sie gerichtet ihre Worte stets an diesen Biedermann. Die andren wußten ohnedies, wovon sie sprach, nur die, dies noch nicht wußten, sollten hören und dann notfalls fühlen. Sowas fühlt auch sie, die hohe Frau. Und dem Kläger die Beklagte vorzustellen ist er schon wieder da, Herr und Frau Mustermann, grüß Gott. Wer hat schon Tugend und Gewissen, wo gibts das zu kaufen? Gäbs