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Das Buch Das Spiel der Ansichten befasst sich mit der Frage, wie unsere Wahrnehmung unsere Realität formt und welchen Einfluss unterschiedliche Perspektiven auf unser Leben haben. Es geht um den Dialog zwischen Menschen, um Missverständnisse, um das Zusammenspiel von persönlichen Überzeugungen und äußeren Einflüssen. Dabei stehen zwischenmenschliche Kommunikation, Selbstreflexion und der Mut zur Veränderung im Mittelpunkt. Es zeigt auf, wie tief verwurzelte Ansichten nicht nur unser Denken, sondern auch unsere Entscheidungen, Beziehungen und unser Selbstbild beeinflussen. Es ist eine Geschichte über den inneren Wandel, die Kraft des Zuhörens und das Erkennen, dass es nicht die eine „richtige“ Sichtweise gibt, sondern dass wir durch die Akzeptanz verschiedener Perspektiven wachsen können Das Buch begleitet eine Gruppe von Menschen mit unterschiedlichen Lebenswegen, Gedankenwelten und Erfahrungen. Im Zentrum steht ein erfahrener Coach, der mit seinen Fragen und Impulsen die Teilnehmer eines Workshops dazu bringt, ihre eigenen Überzeugungen zu hinterfragen. Unter ihnen ist Bettina, eine ambitionierte Kollegin mit ihrem eigenen inneren Kampf, und eine Vielzahl weiterer Charaktere, die alle auf ihre Weise von der Kraft der Ansichten beeinflusst werden. Die Geschichte entfaltet sich in hitzigen Diskussionen, tiefgehenden Reflexionen und emotionalen Momenten, die den Leser dazu anregen, die eigenen Überzeugungen zu überdenken. Es wird gezeigt, wie Sprache, Kommunikation und innere Glaubenssätze unser Verhalten prägen – und wie wir durch bewusste Reflexion nicht nur unser Denken, sondern auch unser Leben verändern können. Das Buch stellt dabei eine zentrale Frage: Sind wir bereit, unsere Perspektiven zu erweitern und uns auf neue Sichtweisen einzulassen?
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Seitenzahl: 284
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das Spiel der
Ansichten
Sonntag, 26. Januar 2025
Copyright © 2025 Salah Abdedayem
An erster Stelle möchte ich meiner Familie danken für ihre unerschütterliche Liebe, Geduld und Unterstützung auf jedem Schritt meines Weges. Ihr seid meine größte Inspiration, mein sicherer Hafen und die Quelle meiner Stärke. Ohne euch wäre dieses Buch nicht möglich gewesen.
Mein tiefster Dank gilt auch allen Menschen, die an sich selbst glauben, die den Mut haben, sich weiterzuentwickeln, ihre eigenen Wahrheiten zu hinterfragen und ihren Weg zu gehen – trotz aller Herausforderungen, Zweifel und Rück-schläge. Ihr seid der lebende Beweis dafür, dass der Glaube an sich selbst Berge versetzen kann.
Dieses Buch ist für euch. Für all diejenigen, die in sich das Potenzial sehen, etwas Größeres zu erreichen, und die erkennen, dass Veränderung im Inneren beginnt. Eure Reise ist es, die die Welt bereichert und mit Hoffnung erfüllt.
Danke, dass ihr eure Geschichten teilt, eure Erfahrungen weitergebt und mit eu-rer Authentizität andere inspiriert. Möge dieses Buch euch begleiten, ermutigen und daran erinnern, dass es immer einen Grund gibt, an sich selbst und an die Kraft der Menschlichkeit zu glauben.
Mit tiefer Dankbarkeit,
Salah Abdeldayem
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ..................................................... 3
Vorwort ........................................................... 8
Der Raum der Ansichten ............................... 11
Ein Raum voller Geschichte ......................... 15
Zwischen Akten und Ansichten .................... 20
Der Knall im Besprechungszimmer .............. 25
Der Schatten des Visionärs ........................... 33
Brüche in der Harmonie ................................ 42
Verborgene Töne ........................................... 48
S.der Coach, Anja und die leise Stimme ........ 58
Der Beobachter und die Welt ........................ 65
Der Schritt in die Freiheit ............................. 70
Zwischen Wissen und Verantwortung ........... 83
Das Tempo der Menschen ........................... 100
Die Last des Wissens ................................. 114
Kreativität im Konflikt................................ 122
Wissen und Kreativität ................................ 127
Die Brücke des Vertrauens .......................... 148
Die Bedeutung des Vertrauens .................... 154
Die Macht der Ansichten ............................ 164
Zwischen Licht und Schatten ...................... 190
Was bleibt, wenn Worte fehlen ................... 202
Beobachtung und Anerkennung .................. 217
Ein neuer Anfang ........................................ 237
Das Spiel der Ansichten .............................. 243
Über den Autor ........................................... 257
Jeder Mensch trägt eine Welt in sich – geformt durch Erlebnisse,
Überzeugungen, kulturelle Prägungen und persönliche Wahr-
heiten. Doch was passiert, wenn diese Welten aufeinanderpral-
len? Wenn Meinungen und Perspektiven sich überschneiden, er-
gänzen oder widersprechen? Dies ist die zentrale Frage dieses
Buches.
In einer Reihe von Begegnungen, Gesprächen und inneren Re-
flexionen begleitet der Leser eine Gruppe von Menschen, die
scheinbar unterschiedlicher nicht sein könnten: ein erfahrener
Coach, der die Tiefe der menschlichen Wahrnehmung erforscht,
Bettina, eine unermüdliche Kollegin mit eigenem innerem
Kampf, und eine Vielzahl von Teilnehmern, die mit ihren eige-
nen Ansichten, Zweifeln und Träumen das Leben der anderen
bereichern.
Das Buch beleuchtet die Macht der Worte, die Bedeutung von
Kommunikation und die Fragilität menschlicher Wahrneh-
mung. Es zeigt, wie wichtig es ist, die Perspektiven anderer zu
betrachten und dabei die eigenen Überzeugungen zu hinterfra-
gen. Zwischen hitzigen Diskussionen, philosophischen Einsich-
ten und emotionalen Momenten entfaltet sich eine Geschichte,
die uns dazu einlädt, die Welt mit neuen Augen zu sehen.
Doch am Ende führt jede Reise, jeder Konflikt und jede Einsicht
zu einer zentralen Erkenntnis: Wahre Veränderung beginnt
nicht im Äußeren, sondern in uns selbst. Dieses Buch ist eine
Einladung, die eigenen Ansichten nicht nur zu überdenken, son-
dern aktiv als Werkzeug zu nutzen – für ein friedlicheres Mitei-
nander, für persönliches Wachstum und für die Entwicklung
einer Welt, in der wir uns gegenseitig nicht bekämpfen, sondern
ergänzen.
Tauchen Sie ein in die Reise durch das Spiel der Ansichten –
eine Reise, die ebenso tiefgründig wie inspirierend ist und die
Wahrheit hinter der Vielfalt der menschlichen Wahrnehmung
enthüllt.
Salah Abdeldayem
Es begann in einem Raum, der die Zeit überdauert hatte. Die
Wände waren mit Mahagoniholz verkleidet, und die Luft schien
den Duft alter Entscheidungen zu tragen. Ein Raum, in dem
einst der Firmengründer, ein Mann mit einem legendären Blick
für Geschäfte, große Pläne schmiedete. Nun gehörte dieser
Raum ihr – der neuen Abteilungsleiterin, die von außen
betrachtet erfolgreich war, aber innerlich oft das Gefühl hatte,
nur einen weiteren Kampf zu führen, einen weiteren Anspruch
gerecht zu werden.
Das Büro war überwältigend. Der Schreibtisch, der fast wie ein
Monument wirkte, stand im Zentrum, ein Symbol von
Verantwortung und Autorität. Sie hatte ihn neu arrangieren
lassen, weil sie spüren wollte, dass dieser Raum, trotz seiner
Geschichte, jetzt ihr Raum war. Die großen Fenster ließen das
Licht auf ihre Arbeitsfläche fallen, während der Schatten der
Vergangenheit in den Ecken lauern blieb. Sie brachte ihre
eigenen Pflanzen, ihre eigenen Bilder, versuchte, dem Raum
Leben einzuhauchen, das zu ihr passte. Aber irgendwie spürte
sie immer die unsichtbare Präsenz derer, die vor ihr hier saßen
– und die unausgesprochenen Erwartungen, die an sie gestellt
wurden.
Es war nicht nur ein Büro. Es war ein Schauplatz für
Machtkämpfe, Meinungsverschiedenheiten und stille Kriege,
die sich hinter höflichen Worten verbargen. Sie war nicht naiv,
das wusste sie. Die Dynamik zwischen den Kollegen, die
Beziehung zur Geschäftsführung, das unsichtbare Netz aus
Loyalitäten und Eitelkeiten – all das war ein Spiel, das sie
täglich zu durchschauen versuchte. Doch je länger sie spielte,
desto mehr fragte sie sich: Wer war sie in diesem Spiel? War sie
die strategische Spielerin, die das Beste aus jeder Situation
machte? Oder nur ein weiterer Bauer auf einem Schachbrett, das
längst von anderen beherrscht wurde?
Dann kam dieser Morgen, der alles veränderte. Es war ein
gewöhnlicher Tag, bis der Anruf kam: eine kurzfristig
einberufene Sitzung. Der Geschäftsführer wollte sie und die
beiden anderen Abteilungsleiter sehen. Sie spürte eine leichte
Anspannung, die sie nicht zu deuten wusste. Routine oder
Krise? Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, während sie den
Kollegen aus dem Erdgeschoss abholte und mit der Kollegin aus
der zweiten Etage die Treppe hinaufging. Der Flur zum
Besprechungszimmer schien an diesem Tag länger als sonst.
Ihre Schritte hallten in einer Stille wider, die von
unausgesprochenen Sorgen erfüllt war.
Das Besprechungszimmer war hell, modern, beinahe steril. Der
Geschäftsführer wartete bereits. Sein Lächeln war höflich, doch
es trug einen Unterton von Anspannung. Er eröffnete die
Sitzung mit ruhiger Stimme, aber jeder im Raum konnte fühlen,
dass etwas brodelte – etwas, das bald die Oberfläche
durchbrechen würde. Die Atmosphäre veränderte sich mit
jedem Wort, das gesprochen wurde. Es begann sachlich, fast
harmonisch. Doch wie schnell Harmonie zerbrechen kann,
wenn unterschiedliche Ansichten aufeinanderprallen, wurde
hier bald offensichtlich.
Ein Kollege, der früher der Liebling der Geschäftsführung
gewesen war, wagte es, Widerspruch zu äußern. Erst leise, dann
mit wachsender Vehemenz. Worte wurden schärfer, die
Spannungen greifbarer. Der Geschäftsführer, der sonst so
visionär und charismatisch war, verlor die Fassung. Seine
Stimme wurde laut, sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. Es war,
als wäre eine unsichtbare Grenze überschritten worden – eine,
die niemand zuvor gewagt hatte zu berühren.
Sie saß da, zwischen den Fronten, und fühlte sich gelähmt. Ihr
Herz raste, während sie ihre Hände unter dem Tisch betrachtete,
als könnten sie ihr Halt geben. Einmal wagte sie es,
aufzublicken, und das Bild, das sie sah, brannte sich in ihre
Erinnerung ein: Der Kollege, der weiterredete, als ob ihn nichts
erschüttern könnte, und der Geschäftsführer, dessen Gesicht
eine Mischung aus Zorn und Enttäuschung zeigte. Sie fühlte
sich wie eine Beobachterin eines Dramas, das außer Kontrolle
geraten war.
Als die Sitzung schließlich vorbei war, verließ der
Geschäftsführer den Raum, die Tür schlug laut hinter ihm zu.
Zurück blieb eine erdrückende Stille. Sie stand auf, ging zum
Fenster und atmete tief durch. Die anderen blieben sitzen,
unsicher, was sie sagen oder tun sollten. Der Konflikt war
vorbei, zumindest in diesem Moment, aber die Fragen, die er
aufgeworfen hatte, blieben: Was war ihre Rolle in diesem Spiel?
Hätte sie eingreifen können, etwas sagen sollen? Oder war es
besser, einfach nur zu beobachten, still zu bleiben?
Dieser Moment veränderte alles. Es war der Beginn einer Reise,
die sie zwang, ihre eigenen Ansichten zu hinterfragen – über
Führung, über Verantwortung, über sich selbst. Und es war der
Moment, an dem sie erkannte, dass jede Perspektive, jede
Überzeugung nur ein Teil eines viel größeren Bildes war.
Geschichte
Es war nicht einfach nur ein Büro. Es war ein Monument der
Vergangenheit, ein Ort, der die Geschichten all jener in sich
trug, die hier vor ihr saßen. Jeder Winkel, jedes Möbelstück,
selbst die Stille im Raum schien erfüllt von einem Gewicht, das
Bettina spüren konnte, sobald sie die Tür öffnete. Das
Mahagoniholz glänzte im gedämpften Licht, poliert von den
Jahren und der Hingabe, die diesem Raum entgegengebracht
wurde. Es war das Büro des Firmengründers – des Mannes, der
dieses Unternehmen vor Jahrzehnten aufgebaut hatte. Ein
Mann, dessen Entscheidungen hier getroffen wurden, dessen
Visionen sich von diesem Schreibtisch aus in die Welt hinaus
entfaltet hatten.
Als Bettina den Raum das erste Mal betrat, spürte sie einen Kloß
in ihrem Hals. Es war eine Mischung aus Ehrfurcht und
Unsicherheit, die sie überfiel. Der Schreibtisch, massiv und
eindrucksvoll, dominierte die Mitte des Raumes, ein Symbol für
Autorität und Kontrolle. Dahinter erhob sich eine Schrankwand,
die fast bis zur Decke reichte, mit abschließbaren Fächern und
Türen, die die Geheimnisse der Vergangenheit bewahrten. Alles
in diesem Raum schien Geschichten zu erzählen – von Erfolgen,
Niederlagen und Entscheidungen, die das Unternehmen geprägt
hatten.
Doch so beeindruckend das Büro auch war, Bettina fühlte sich
wie eine Fremde in dieser Welt. Sie stand still in der Mitte des
Raumes, ließ ihren Blick über die schweren Möbel, die großen
Fenster und die leichten Staubschichten gleiten, die selbst das
Licht nicht ganz zum Glänzen bringen konnte. Was machte sie
hier? War sie überhaupt bereit, die Verantwortung zu
übernehmen, die dieser Raum symbolisierte?
Träume und Hoffnungen
Bettina hatte sich diesen Moment in ihren Träumen ausgemalt –
nicht genau so, aber in einer ähnlichen Art. Sie hatte sich
vorgestellt, wie es wäre, eines Tages eine Führungsposition zu
übernehmen, in einem Raum wie diesem zu sitzen und den
Respekt der Menschen um sie herum zu genießen. Als junges
Mädchen, das aus einer einfachen Arbeiterfamilie kam, hatte sie
oft davon geträumt, mehr zu erreichen, als ihr Umfeld für
möglich hielt. Sie wollte beweisen, dass sie es schaffen konnte,
dass ihre Stimme zählen würde.
Aber ihre Träume waren nie nur von Macht geprägt. Bettina
wollte nicht einfach eine Führungskraft sein; sie wollte eine
Veränderung bewirken. Sie hatte die Vision, ein Arbeitsumfeld
zu schaffen, in dem Menschen sich gesehen und geschätzt
fühlten, wo Kreativität und Zusammenarbeit wichtiger waren
als Hierarchien und Statusspiele.
In diesem Moment, als sie in dem Raum stand, erinnerte sie sich
an die vielen Nächte, die sie mit Büchern und Projekten
verbracht hatte, um besser zu werden, um sich vorzubereiten.
Sie hatte von einer Zukunft geträumt, in der sie nicht nur für ihre
Arbeit, sondern für ihre Menschlichkeit bewundert werden
würde. Doch jetzt, wo sie hier war, fühlte sich dieser Traum
plötzlich zerbrechlich an.
Die Unsicherheit nagte an ihr. Was, wenn sie nicht gut genug
war? Was, wenn sie scheiterte? Der Raum erinnerte sie an die
vielen Männer vor ihr – Männer, die mit Selbstbewusstsein und
Kraft führten, die laut und bestimmt waren, ohne zu zweifeln.
Bettina hingegen zweifelte. Sie fragte sich, ob ihre einfühlsame
Art, ihre sanfte Führung ausreichen würde, um in einer Welt zu
bestehen, die oft Härte belohnte.
Ein Teil von ihr sehnte sich danach, den Raum umzugestalten –
nicht nur physisch, sondern symbolisch. Sie wollte zeigen, dass
Veränderung möglich war, dass es Platz für Empathie und
Kooperation gab, selbst in einem Umfeld, das so stark von
Tradition und Macht geprägt war. Doch ein anderer Teil von ihr
fühlte sich gelähmt. Was, wenn sie zu weich war? Was, wenn
sie das Vertrauen ihrer Kollegen und Vorgesetzten enttäuschte?
Ihre Gedanken kreisten um die Menschen, die sie in ihrem
Leben unterstützt hatten – ihre Mutter, die immer sagte, dass
man niemals aufgeben dürfe, und ihr ehemaliger Mentor, der ihr
klarmachte, dass der Schlüssel zu guter Führung darin lag,
zuzuhören und zu lernen. Doch gleichzeitig hörte sie auch die
Stimmen derer, die ihr sagten, dass sie sich durchsetzen müsse,
dass sie härter sein müsse, wenn sie überleben wollte.
Bettina spürte, wie sich ihre Hände unbewusst auf den
Schreibtisch legten, als ob sie damit die Last, die auf ihren
Schultern lag, spürbar machen wollte. Ihr Herz raste, doch sie
zwang sich, tief durchzuatmen. Sie wollte nicht nur in diesem
Raum stehen und Entscheidungen treffen – sie wollte
Bedeutung schaffen. Sie wollte, dass ihre Arbeit etwas
veränderte, dass sie einen bleibenden Eindruck hinterließ.
Gleichzeitig wünschte sie sich Ruhe, einen Moment, in dem die
Welt stehen blieb und ihr die Zeit ließ, all das zu verarbeiten.
Sie wollte stark sein, mutig und selbstsicher. Aber sie wusste
auch, dass Stärke oft aus den kleinsten, unsichtbarsten Schritten
wuchs – den Entscheidungen, die niemand sah, den stillen
Kämpfen, die sie mit sich selbst führte.
Als sie sich schließlich auf den großen Ledersessel setzte, spürte
sie eine seltsame Mischung aus Stolz und Zweifel. Die
Verantwortung war überwältigend, doch sie wusste, dass sie
jetzt hier war. Es war ihr Raum. Ihr Moment. Und obwohl sie
nicht wusste, was die Zukunft bringen würde, war eines klar:
Bettina war bereit, ihre Ansichten, ihre Träume und ihre
Konflikte mit in diesen Raum zu bringen – und ihn dadurch zu
verändern.
Ansichten
Der Alltag in der Abteilungsleitung war ein Tanz zwischen
Ordnung und Chaos. Für Bettina fühlte es sich an, als stünde sie
mitten in einem unsichtbaren Spielfeld, auf dem ständig neue
Regeln geschrieben wurden – oft ohne Vorwarnung. Akten
türmten sich auf ihrem Schreibtisch, jede einzelne ein kleines
Puzzlestück eines viel größeren Bildes. Doch das wahre Spiel
fand nicht in den Aktenordnern statt. Es spielte sich in den
Köpfen, hinter verschlossenen Türen und in den
unausgesprochenen Spannungen zwischen den Menschen ab.
Bettina hatte schnell gelernt, dass Führung nicht nur eine Frage
der Struktur war, sondern auch der Dynamik zwischen den
Beteiligten. Ihre Kollegen – erfahren, ambitioniert, oft auch von
der eigenen Position überzeugt – waren wie unterschiedliche
Planeten in einem gemeinsamen Orbit. Jeder hatte seinen
eigenen Rhythmus, seine eigene Gravitation, doch wenn sie
kollidierten, konnte es heftig werden.
Einer ihrer Vorgesetzten und Kollegen, Markus, war ein Mann,
der den Raum dominierte, sobald er ihn betrat. Seine Stimme
war laut, seine Präsenz einschüchternd, und er hatte eine
Vorliebe dafür, Diskussionen zu gewinnen, indem er andere mit
Fakten und Zahlen überrollte. Markus war lange Zeit die rechte
Hand der Geschäftsführung gewesen, ein Mann mit einem
tadellosen Ruf – zumindest auf den ersten Blick.
Die Kollegin, Anja, war das genaue Gegenteil. Sie war ruhig,
analytisch, eine Frau, die nie ein Wort zu viel sagte, aber mit
einem einzigen Satz eine Diskussion in eine völlig neue
Richtung lenken konnte. Anja und Markus standen sich häufig
gegenüber, doch die Spannungen zwischen ihnen wurden nie
laut. Es war ein stiller Machtkampf, der in Blicken, leisen
Kommentaren und taktischen Schachzügen ausgetragen wurde.
Bettina beobachtete diese Dynamik zunächst aus der Distanz.
Sie wollte ihre Position nicht zu schnell preisgeben, wollte
verstehen, wie das System funktionierte, bevor sie sich
einmischte. Doch das änderte sich, als die erste größere
Konfliktsituation aufkam.
Es begann bei einer Abteilungsbesprechung. Die
Geschäftsführung hatte beschlossen, zwei neue
Mitarbeiterinnen für Führungspositionen einzustellen, und
Bettina, Markus und Anja sollten gemeinsam einen Plan für die
Einarbeitung erarbeiten. Was nach einer einfachen Aufgabe
klang, entwickelte sich schnell zu einem Streit um Kontrolle und
Ansichten.
Wir brauchen klare Strukturen und Vorgaben, begann Markus
mit seiner typischen, dominanten Haltung. Es kann nicht sein,
dass jeder hier einfach seinen eigenen Stil einbringt. Die neuen
Mitarbeiterinnen müssen genau wissen, was von ihnen erwartet
wird.
Klare Strukturen sind wichtig , stimmte Anja ruhig zu, aber zu
viel Vorgabe nimmt ihnen die Möglichkeit, eigenständig zu
denken. Wir sollten ihnen Raum geben, sich selbst zu
positionieren.
Bettina saß zwischen den beiden und fühlte, wie die Spannung
im Raum stieg. Es war, als ob jeder Satz ein weiterer Zündfunke
war, der das Pulverfass zum Explodieren bringen könnte.
Raum geben?, schnaubte Markus und lehnte sich zurück. Das
ist nicht unser Job. Wir sind hier, um sie zu führen, nicht um
ihnen Freiheiten zu schenken.
Anja antwortete nicht sofort, sondern sah ihn mit diesem
durchdringenden Blick an, der mehr sagte als Worte. Führung
bedeutet nicht Kontrolle, Markus , sagte sie schließlich. Es
bedeutet, Menschen zu entwickeln, nicht sie zu ersticken.
Bettina spürte, wie alle Blicke sich auf sie richteten. Es war einer
dieser Momente, in denen sie spürte, dass sie Stellung beziehen
musste. Doch während sie die Worte suchte, die sie sagen
wollte, spürte sie einen inneren Konflikt.
Ihr Herz pochte schneller. Sollte sie Markus unterstützen und
für Struktur und Kontrolle plädieren, etwas, das auch ihre
Unsicherheiten abdecken würde? Oder sollte sie Anja
zustimmen, deren Ansatz mehr zu ihrer Vorstellung von
Führung passte, aber riskierte, Markus gegen sich
aufzubringen?
Sie erinnerte sich an ihre eigenen Träume, an das Bild von
Führung, das sie hatte: ein Gleichgewicht zwischen Klarheit und
Freiheit, zwischen Strenge und Vertrauen. Doch in der Realität
fühlte es sich viel komplizierter an.
Ich denke, beide Ansätze haben ihren Platz , begann sie
vorsichtig, spürte aber sofort, wie die Worte in der Luft hängen
blieben. Markus verschränkte die Arme, Anja zog leicht die
Augenbrauen hoch. Es war klar, dass niemand eine
diplomatische Antwort wollte. Sie wollten Position.
Ich denke, wir müssen einen Mittelweg finden , fuhr sie fort,
bemüht, ihre Stimme fest zu halten. Struktur ist wichtig, aber
auch Flexibilität. Die neuen Mitarbeiterinnen sollten klare Ziele
haben, aber auch die Freiheit, ihren eigenen Weg zu finden.
Es war eine Antwort, die niemanden ganz zufrieden stellte, aber
auch keine weiteren Konflikte entfachte. Zumindest für den
Moment.
Nach der Besprechung blieb Bettina allein im Raum zurück. Sie
ließ den Blick über die leeren Stühle und den Tisch gleiten, an
dem gerade noch so viele unausgesprochene Emotionen
geschwungen hatten. Es war erschöpfend, dieses Spiel der
Ansichten und Machtkämpfe, und doch wusste sie, dass es
unvermeidlich war.
Sie dachte an Markus, der so viel Energie darauf verwendete,
seinen Status zu verteidigen. Und an Anja, die in ihrer Ruhe oft
wie eine Mauer wirkte, durch die niemand hindurchblicken
konnte. Bettina fragte sich, wie viel von dem, was sie gesehen
hatte, wirklich echt war und wie viel nur Fassade – ein
Schutzschild, um in einer Welt zu bestehen, die oft
erbarmungslos war.
Für sie selbst war es noch ein Lernprozess. Sie wollte kein Teil
dieses Machtspiels werden, wollte sich nicht in die Ränkespiele
verstricken. Doch sie wusste, dass es schwierig sein würde, sich
ganz davon fernzuhalten.
An diesem Abend saß Bettina in ihrem Büro, allein mit ihren
Gedanken. Sie blätterte durch die Akten vor ihr, doch die Worte
verschwammen vor ihren Augen. Ihr Kopf war voll von Fragen:
Wie sollte sie in dieser Dynamik bestehen? Konnte sie ihre
eigenen Werte bewahren, ohne dabei unterzugehen? Und wie
sollte sie jemals die Balance finden – zwischen Akten und
Ansichten, zwischen Kontrolle und Freiheit?
Besprechungszimmer
Der Besprechungsraum war erfüllt von einer schweren,
unsichtbaren Spannung, die jeden Atemzug schwerer machte.
Bettina saß an einem der langen, glatten Holztische, zwischen
Markus und Anja. Beide waren wie immer perfekt gekleidet,
ihre Gesichter eine Maske aus Professionalität. Der
Geschäftsführer, Herr Wagner, stand an der Stirnseite des
Tisches. Er hatte die Arme verschränkt, seine Miene wirkte
ruhig, aber seine Augen verrieten eine innere Unruhe, die
Bettina nicht übersehen konnte.
Es war eine kurzfristig angesetzte Besprechung, und Bettina
hatte von Anfang an gespürt, dass etwas anders war. Die
Stimmung war nicht nur angespannt, sondern auch geladen –
wie eine Wolke, die kurz davor stand, in einem gewaltigen
Gewitter zu entladen.
Danke, dass Sie alle so kurzfristig Zeit gefunden haben , begann
Herr Wagner und blickte in die Runde. Seine Stimme klang
ruhig, fast sanft, doch in seinem Tonfall lag etwas, das eine
gewisse Unnachgiebigkeit andeutete.
Bettina versuchte, ruhig zu atmen, während Herr Wagner
fortfuhr. Er erläuterte Pläne zur Umstrukturierung und die
Einführung neuer Arbeitsprozesse – etwas, das Markus und
Anja bereits in vorangegangenen Diskussionen kritisch
hinterfragt hatten.
Markus war der Erste, der sprach. Herr Wagner, ich verstehe,
dass Veränderungen notwendig sind. Aber diese Pläne sind
unpraktikabel, wenn wir nicht auch die bestehenden Ressourcen
berücksichtigen. Sie verlangen mehr von uns, als realistisch ist.
Es war ein kalkulierter Kommentar, höflich formuliert, aber mit
einem Unterton, der unmissverständlich war. Markus hatte oft
angedeutet, dass er die Entscheidungen der Geschäftsführung
für überstürzt hielt, und diesmal schien er nicht bereit,
zurückzustecken.
Ich sehe das anders, Markus, unterbrach Anja mit ihrer ruhigen,
aber durchdringenden Stimme. Die Veränderungen sind
notwendig, um langfristig erfolgreich zu sein. Das bedeutet,
dass wir alle bereit sein müssen, aus unseren gewohnten
Strukturen auszubrechen.
Herr Wagner nickte, sichtlich zufrieden mit Anjas Beitrag.
Bettina beobachtete, wie Markus’ Gesicht sich versteinerte. Es
war dieser Moment, in dem sie wusste, dass die Situation kippen
würde.
Ausbrechen?, fragte Markus, seine Stimme nun eine Nuance
lauter. Das ist leicht gesagt, Anja. Aber wer trägt die Last dieser
Umstellungen? Wir! Wir sind diejenigen, die diese halbfertigen
Ideen umsetzen müssen, ohne die Unterstützung, die wir
brauchen.
Herr Wagner ließ ihn ausreden, doch Bettina konnte die
Veränderung in seiner Körpersprache erkennen. Seine Schultern
spannten sich, und seine Finger klopften ungeduldig auf den
Tisch.
Diese ‚halbfertigen Ideen‘, wie Sie sie nennen, Markus,
basieren auf Analysen und Überlegungen, die Sie offenbar nicht
nachvollziehen können , sagte Herr Wagner schließlich. Seine
Stimme war schärfer geworden, und Bettina spürte, wie die
Temperatur im Raum zu steigen schien.
Markus lehnte sich nach vorne, seine Stimme jetzt ebenfalls
erhoben. Was ich nachvollziehen kann, Herr Wagner, ist, dass
Sie Entscheidungen treffen, ohne die Realität der Abteilungen
zu kennen. Sie wollen Veränderungen, aber Sie ignorieren, was
wir dafür brauchen.
Es war, als hätte jemand eine Bombe gezündet. Die Worte
hallten im Raum nach, und für einen Moment herrschte Stille –
eine Stille, die von einer explosiven Energie durchdrungen war.
Herr Wagner stand auf. Seine sonst so kontrollierte Fassade war
gefallen, und seine Stimme schnitt durch den Raum wie ein
Messer. Hören Sie mir gut zu, Markus. Ich habe genug von Ihrer
ständigen Kritik! Sie sind hier, um Lösungen zu finden, nicht,
um Probleme zu schaffen!
Die Lautstärke seiner Worte ließ Bettina zusammenzucken. Sie
fühlte, wie ihre Hände sich verkrampften, ihre Atmung flach
wurde. Ihr Herz raste, und sie konnte sich nicht rühren. Es war,
als wäre sie in diesem Moment gefangen – unfähig, etwas zu
sagen oder zu tun.
Markus, unbeeindruckt von der Wut des Geschäftsführers, blieb
sitzen, seine Stimme nun genauso laut wie die von Herrn
Wagner. Und ich habe genug davon, dass Sie uns wie
Schachfiguren behandeln! Ihre Visionen mögen beeindruckend
sein, aber sie sind nichts wert, wenn Sie uns nicht einbeziehen!
Es war ein Schlagabtausch, der jede Grenze überschritt. Bettina
sah, wie die Adern am Hals des Geschäftsführers hervortraten,
wie Markus’ Gesicht vor Zorn rot wurde. Sie wollte etwas
sagen, wollte vermitteln, doch ihre Stimme blieb stumm.
Bettina fühlte sich, als würde sie von außen auf die Szene
blicken. Ihre Gedanken rasten. Was mache ich hier? Warum
halte ich den Mund? Warum kann ich nicht einfach eingreifen?
Aber sie konnte nicht. Sie war wie gelähmt.
Die Wucht der Emotionen im Raum war erdrückend. Bettina
hatte das Gefühl, dass die Luft dicker wurde, als ob der Raum
selbst unter dem Druck des Konflikts ächzte. Sie wollte
aufstehen, den Raum verlassen, doch sie konnte ihre Beine nicht
bewegen.
Dann, plötzlich, verließ Herr Wagner den Raum. Die Tür knallte
so laut hinter ihm zu, dass Bettina zusammenzuckte. Die Stille,
die folgte, war fast noch lauter als der Streit selbst.
Markus lehnte sich zurück, atmete schwer, während Anja ihn
mit einem Ausdruck ansah, der zwischen Enttäuschung und Wut
schwankte. Bettina konnte keinen von beiden ansehen. Sie
blickte stattdessen auf ihre Hände, die zitternd auf dem Tisch
lagen.
Bettina blieb allein im Raum zurück. Die Stille nach dem
Konflikt war ohrenbetäubend, als würde der Raum selbst den
Atem anhalten. Die Energie des Streits hing noch immer in der
Luft, schwer und bedrückend. Sie starrte auf ihre Hände, die
flach auf dem Tisch lagen, die feinen Linien auf ihrer Haut
schienen sich in einem wirren Muster zu verlieren – ein Symbol
für ihre Gedanken, die ebenso durcheinander waren.
Warum hatte sie nichts gesagt? Warum war sie in diesem
Moment wie gelähmt gewesen? Sie spürte den vertrauten Stich
des Zweifels. War sie überhaupt für diese Rolle gemacht?
Während sie über diese Fragen nachdachte, drängten sich
andere, tiefere Gedanken in den Vordergrund, Gedanken, die sie
immer wieder an die Oberfläche trugen, wenn die Welt um sie
herum aus den Fugen geriet.
Sie dachte an ihre Familie. An Martin, ihren Mann, der jetzt
vermutlich zu Hause war und auf der Couch saß, in seiner Welt
aus Noten und Melodien versunken. Er liebte seine Musik, das
konnte sie ihm nicht vorwerfen. Aber manchmal, in Momenten
wie diesen, fragte sie sich, wo er war, wenn sie ihn brauchte.
Martin war ein Mann voller Träume, aber ohne Drang, sie in die
Realität umzusetzen. Er konnte Stunden an seiner Gitarre sitzen,
die Augen geschlossen, den Kopf leicht wiegend, während er
die Klänge genoss, die er selbst schuf. Doch das Geschirr
stapelte sich in der Küche, die Wäsche wartete, und die kleine
Marie, ihre Tochter, rief nach Aufmerksamkeit. Martin hörte sie
oft nicht, nicht wirklich.
Marie. Allein der Gedanke an sie ließ Bettinas Lippen zu einem
kleinen Lächeln zucken, auch wenn ihre Augen müde blieben.
Ihre Tochter war sechs Jahre alt, ein aufgewecktes Mädchen mit
leuchtend blonden Locken, die im Sonnenlicht wie ein
Heiligenschein wirkten. Bettina nannte sie oft die Strahlen
meiner Sonne .
Marie war klug – manchmal fast zu klug. Sie stellte Fragen, die
Bettina überraschten, und sie hatte eine Art, Dinge zu
durchschauen, die Bettina oft unvorbereitet traf. Doch Marie
war auch anspruchsvoll, ein Kind, das ständig Aufmerksamkeit
wollte. Mama, du störst , hatte sie einmal gesagt, als Bettina
abends ihre Unterlagen auf dem Esstisch ausbreitete. Bettina
hatte gelächelt, obwohl die Worte sie getroffen hatten. Marie
störte nie. Selbst wenn sie laut, ungeduldig und manchmal
schwierig war, war sie Bettinas größter Schatz.
Doch in Momenten wie diesen, wenn die Last der Arbeit sie
niederdrückte, fühlte sich Bettina zerrissen. Sie wollte alles sein
– eine gute Mutter, eine starke Frau, eine erfolgreiche
Führungskraft. Aber wie? Sie dachte an die Nächte, in denen sie
sich gequält hatte, um ihre Studien abzuschließen.
Es war nicht einfach gewesen. Bettina kam aus einfachen
Verhältnissen. Ihre Eltern hatten hart gearbeitet, um ihr und
ihren Geschwistern ein einfaches, aber stabiles Leben zu bieten.
Bildung war ein Luxus, den sie sich hart erkämpfen musste.
Während des Studiums in Menschenmanagement, das sie sich
in jeder Hinsicht selbst finanzierte, hatte sie oft an ihre Grenzen
stoßen müssen.
Sie erinnerte sich an die unzähligen Nächte, die sie in einer
kleinen Studentenwohnung verbracht hatte. Es gab Nächte, in
denen sie an ihrem Schreibtisch saß, während sich Berge von
Büchern und Notizen um sie auftürmten, und sie das Gefühl
hatte, dass der nächste Atemzug sie erdrücken würde. Aber sie
hatte weitergemacht. Sie hatte sich durchgebissen, während sie
nebenbei in Cafés und Büros arbeitete, um die Miete zu
bezahlen.
Und dann der Doktortitel. Dr. Bettina Weber , las sie damals
zum ersten Mal ihren Namen in gedruckter Form auf der
Urkunde. Es war einer der stolzesten Momente ihres Lebens
gewesen, aber auch einer der einsamsten. Martin war damals
schon in ihrem Leben, doch selbst an jenem Tag hatte er keine
große Begeisterung gezeigt. Er hatte sich über den Abschluss
gefreut, ja, aber es war klar, dass es für ihn nicht die gleiche
Bedeutung hatte wie für sie.
Bettina hatte den Titel nicht für die Anerkennung anderer
geholt. Sie hatte ihn für sich selbst geholt – um zu beweisen,
dass sie mehr war, als die Welt von ihr erwartete. Es war ein
Kampf gegen die Erwartungen, gegen die Hindernisse, die sich
ihr in den Weg stellten, und gegen die Zweifel, die sie oft nachts
wach hielten.
Die schmerzhafte Realität
Doch nun, da sie alles erreicht hatte, worauf sie hingearbeitet
hatte, fragte sie sich oft, ob es genug war. Sie war in einer
Führungsposition, hatte einen Doktortitel, eine Familie. Aber
warum fühlte sie sich so erschöpft, so leer? War das der Preis
für ihre Träume?
Während sie aus dem Fenster des Besprechungsraums schaute,
sah sie die Bäume im Wind schwanken. Sie dachte daran, wie
sie oft das Gleichgewicht finden mussten, um nicht
umzuknicken – ein Gleichgewicht, das sie selbst immer wieder
suchte.
Martin würde nie der Mann sein, der sie auffing, wenn sie fiel.
Das hatte sie akzeptiert. Doch Marie – sie war der Grund, warum
Bettina jeden Tag weitermachte. Sie wollte ihrer Tochter zeigen,
dass Stärke auch dann möglich war, wenn alles schwer fiel. Und
tief in ihrem Inneren wusste Bettina: Sie war stark. Sie musste
es sein, für Marie, für sich selbst.
Der Besprechungsraum war leer, doch in ihrem Kopf tobte noch
immer das Nachbeben des Konflikts. Sie richtete sich auf, strich
ihren Blazer glatt und atmete tief durch. Sie würde
weitermachen, wie immer. Vielleicht nicht perfekt, vielleicht
nicht ohne Zweifel – aber sie würde weitermachen.
Visionärs
Bettina saß in ihrem Büro und starrte auf die Dokumente vor ihr.
Die Zahlen, die Tabellen, die Projekte – sie waren alle wichtig,
alles war Teil des großen Plans, den sie gemeinsam mit dem
Geschäftsführer und dem gesamten Team verfolgte. Doch je
mehr sie sich mit den Details beschäftigte, desto mehr spürte sie
die Last, die mit dieser Verantwortung einherging. Die Arbeit
war nie wirklich fertig. Es gab immer noch etwas, das erledigt
werden musste. Ein Ziel, das noch nicht erreicht war. Eine
Erwartung, die noch nicht erfüllt wurde.
Wofür mache ich das eigentlich? , dachte sie oft. Die Frage, die
in ihrem Kopf kreiste, hatte keine einfache Antwort. Sie wusste,
dass sie erfolgreich war. Sie wusste, dass sie in ihrer Position
gebraucht wurde. Aber in den stillen Momenten, wenn sie allein
war, überkam sie ein Gefühl der Leere. War der Erfolg wirklich
das, wonach sie sich sehnte? Oder hatte sie sich nur von der
Vision des Geschäftsführers mitreißen lassen – von dieser Idee,
dass mehr immer besser war?
Bettina dachte zurück an ihre Anfänge im Unternehmen, als sie
sich noch voller Enthusiasmus in die Arbeit stürzte, als jede
Herausforderung eine Möglichkeit war, zu wachsen. Damals
hatte sie noch das Gefühl, die Kontrolle zu haben. Doch nun,
Jahre später, hatte sie das Gefühl, dass sie von der Vision des
Unternehmens, von den ständig steigenden Anforderungen und
den endlosen To-do-Listen überrollt wurde. Sie fragte sich,
wann sie das letzte Mal einen Moment der Ruhe gefunden hatte
– nicht nur für sich selbst, sondern auch, um die eigenen Werte
zu reflektieren.
Der Geschäftsführer war der Architekt der Vision, aber er war
auch derjenige, der die Last der Verantwortung am stärksten
trug. Bettina konnte sehen, wie der Druck auf ihn lastete. Seine
Versuche, immer ein Schritt voraus zu sein, seine ständige
Suche nach dem nächsten großen Ziel, das nächste große Ding
– es schien, als ob er nie wirklich zur Ruhe kam. Und doch
verstand sie auch, warum er so handelte. Wenn man eine Vision
hatte, die so groß war wie seine, konnte man nicht aufhören.
Man konnte nicht einfach stehen bleiben und zufrieden sein.
Immer vorwärts, immer weiter, immer mehr.
Doch war das der richtige Weg? War das der Weg, den auch
Bettina weitergehen wollte?
In ihren stillen Momenten fragte sie sich, wie lange sie noch in
diesem Hamsterrad aus Anforderungen und Erwartungen laufen
konnte, ohne zu kollabieren. In der Vergangenheit hatte sie
immer versucht, alles perfekt zu machen, die Balance zwischen
Arbeit, Familie und persönlichen Zielen zu finden. Doch je
mehr sie versuchte, es allen recht zu machen, desto mehr verlor
sie sich selbst aus den Augen.
Es war Marie, ihre Tochter, die sie immer wieder daran
erinnerte, was wirklich wichtig war. Sie wollte der kleinen
Marie nicht nur eine starke Mutter zeigen, sondern auch eine
Mutter, die sich selbst treu blieb. Eine Mutter, die wusste, wann
es Zeit war, anzuhalten und durchzuatmen. Bettina hatte oft
überlegt, wie sie diese Balance im Leben finden konnte, ohne
sich selbst aufzugeben. Sie wollte nicht der Vision folgen, um
des Erfolgs willen – sondern eine Vision leben, die ihren
eigenen Wert und ihre eigenen Bedürfnisse respektierte.
In den nächsten Tagen nahm Bettina sich vor, das Gespräch mit
dem Geschäftsführer zu suchen. Sie wollte verstehen, was ihn
wirklich antrieb. Sie wollte herausfinden, ob seine Vision ihn
erfüllte oder ob er sich selbst dabei verlor. Vielleicht war es an
der Zeit, gemeinsam darüber nachzudenken, wie man die Vision
des Unternehmens mit den eigenen Werten in Einklang bringen
konnte. Vielleicht gab es einen anderen Weg, eine nachhaltigere
Herangehensweise, die nicht nur den Erfolg im Blick hatte,
sondern auch das Wohl der Menschen, die diese Vision trugen.
Vielleicht konnte sie – und vielleicht auch er – die Vision nicht
nur mit einem klaren Blick, sondern auch mit einem offenen
Herzen führen.
Der Raum scheint sich zu verengen, die Luft zwischen ihnen
wird immer dichter. Bettina atmet tief ein, ihre Hände zittern
leicht, während sie Markus weiterhin anblickt. Markus weicht
ihrem Blick aus, seine Fäuste ballen sich langsam. Keiner sagt
etwas, doch jeder spürt, wie der Raum vor unausgesprochenen
Worten vibriert.
Bettina:
Markus... warum hast du nie nachgefragt? Warum hast du nie
verstanden, dass hinter dieser Fassade mehr steckt? Glaubst du,
ich hätte dir nie etwas gezeigt, weil ich es nicht wollte? Oder
weil du nie gesehen hast, was direkt vor dir lag?
Markus:
Seine Stimme ist leise, aber hart.
Weil du nie etwas gezeigt hast, Bettina. Du bist immer so
perfekt, so kontrolliert, als ob du nie Hilfe gebraucht hättest. Du
redest jetzt von deinen Gefühlen, aber was sollte ich daraus
machen? Du hast mir nie etwas gesagt. Du hast immer nur deine
Arbeit erledigt, immer nach dem nächsten Ziel gestrebt. Ich
habe dich nie als jemanden gesehen, der sich fallen lassen
könnte... und jetzt stehe ich hier, und du verlangst von mir, dass
ich alles verstehe?
Bettina:
Ein bitteres Lächeln spielt auf ihren Lippen, doch es erreicht
ihre Augen nicht. Ihre Stimme ist zerbrechlich, beinahe ein
Flüstern. Und was ist mit dir, Markus? Hast du je versucht, dich
wirklich auf mich einzulassen? Du hast es mir immer
vorgeworfen, dass ich mich zu sehr in meine Arbeit verliere,
aber du warst genauso. Wir haben beide nur funktioniert, aber
nie wirklich miteinander gesprochen, nie wirklich... uns
gesehen. Du hast immer erwartet, dass ich stark bin, doch ich