Das trauernde Kind - Dörte Joost - E-Book

Das trauernde Kind E-Book

Dörte Joost

4,9

Beschreibung

Kindliche Trauer hat viele Gesichter. Damit sich die Trauer entfalten und letzten Endes selbst überwinden kann, braucht sie in starkem Maße begleitende Erwachsene und deren Verständnis und Toleranz. Da es häufig der Fall ist, dass gerade Eltern in Trauerzeiten durch die eigene Betroffenheit wenig Stütze für ihre Kinder sein können, stellen Erzieher/innen bzw. Tagesväter/mütter im Rahmen der Kinderbetreuung eine Chance für eine weitere Hilfestellung dar. Sie können verbunden mit Fachwissen um mögliche Trauerreaktionen, zu durchlaufende Traueraufgaben und Erkenntnissen der Hirnforschung zu Trauerprozessen, das den ersten Abschnitt des Buches bildet, ins tiefere Verstehen gelangen und in ihre Rolle als wichtige Begleitperson für Kinder hineinwachsen. Der zweite Teil des Buches widmet sich den begleitenden Hilfsangeboten durch pädagogische Fachkräfte, die zur Trauerbewältigung bei Kindern beitragen können. Abgerundet durch beispielhafte oder eröffnende Antworten auf Kinderfragen und eigenen Empfehlungen zu Kinderbüchern schließt das Buch mit einem motivierenden Plädoyer. LESEPROBE: „Es lebe das Leben, es lebe die Jugend.“ Diese Parole bringt laut Spölgen und Eichinger die Grundeinstellung der heutigen westlichen Gesellschaft auf den Punkt. Alter und Krankheit werden aus dem Alltag und damit aus dem menschlichen Bewusstsein gedrängt, Sterben und Tod sogar tabuisiert. Als Gründe führen sie vorrangig die Verstädterung und Industrialisierung an, die eine Veränderung der Lebensgemeinschaftsformen von generationsübergreifenden Großfamilien zu Kernfamilien bzw. Teilfamilien mit zwei Generationen mit sich brachte. Kinder erleben demnach Alterungs-, Krankheits- und Sterbephasen nicht mehr so selbstverständlich mit, wie noch vor 100 Jahren. Auch die Anonymität in den Städten trägt erheblich dazu bei, dass der Abschied vom Menschen selten sichtbar wird. Alte bzw. kranke Menschen sterben oft von ihren Familien getrennt im Pflegeheim oder Krankenhaus, so dass die „modernen“ Menschen immer seltener Anlässe haben, sich mit der Realität von Sterben und Tod auseinanderzusetzen. (Spölgen & Eichinger, 1996)

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Impressum

Dörte Joost

Das trauernde Kind

Aktuelles Basiswissen und konkrete Hilfestellung im Rahmen der Kinderbetreuung

ISBN 978-3-86394-477-3 (E-Book)

Fachliche Begleitung: Prof. Dr. rer. Nat. Claudia Hruska der Hochschule Neubrandenburg

Fotos: Dörte Joost, mit freundlicher Genehmigung der Familien der abgelichteten Kinder

Umschlagentwurf: Dörte Joost

© 2014 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Trauer braucht Ausdruck, Raum, Zeit und Gemeinschaft.

Hinderer

Vorwort

Oft trifft sie einen wie der Schlag – Die Trauer über den Tod eines emotional sehr nahen Menschen. Blitzartig und unausweichlich fühlt sich alles anders an. Doch auch absehbare Abschiede bringen einen besonderen Schmerz mit sich, da man dem Tod gegenübertreten und ins Auge schauen muss. Angst macht sich breit, Ohnmacht legt oft alles lahm, Fragen nach dem „Warum“ erscheinen aus dem Nichts und Zukunftsängste lassen die Betroffenen nicht schlafen.

Das alles ist schwer zu ertragen. Schon Erwachsene haben ihr Tun, mit der Trauer umzugehen. Da fragt man sich zu Recht, wie es direkt betroffene Kinder schaffen können, möglichst ohne größere Blessuren durch die Zeit der Trauer zu gelangen.

Schwenken wir den Blick auf den kindlichen Alltag, so ist es im privaten Bereich die Familie, die ein trauerndes Kind durch die meist engen zwischenmenschlichen Beziehungen auffangen kann. Ist diese jedoch selbst von der Trauer betroffen, so können Familienmitglieder oft nur eine geringe Stütze für das Kind sein.

In diesem Fall können im Rahmen einer bestehenden, regelmäßigen Betreuung in einer Kindertagesstätte oder einer Kindertagespflege Erzieher/innen bzw. Tagesväter/mütter eine wichtige Rolle einnehmen. Doch wie genau können pädagogische Fachkräfte ein trauerndes Kind begleiten und bestmöglich unterstützen? Fragezeichen über Fragezeichen erzeugen nicht selten Sprachlosigkeit und den Wunsch, die Trauer doch lieber wegwischen zu wollen und möglichst schnell zur Normalität überzugehen.

Doch das wäre nicht im Sinne der Trauer. Sie will angenommen werden - von Groß und Klein - und sich letzten Endes selbst überwinden. So wäre es falsch, anzunehmen, Kinder seien für die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod noch zu klein und eine abgeschottete trauerfreie Zone schützt sie. Diese Strategie wird nicht aufgehen, was zahlreiche Erfahrungsberichte von derweil Erwachsenen zu bestätigen wissen. Es bleiben Wunden, die nicht heilen. Sie sind lediglich gut verbunden.

Bei einer intensiven Suche von Frühpädagogen nach einer Umgangsweise mit einem trauernden Kind heißt es demzufolge:

den Blick weit über den Tellerrand von Vorurteilen zu werfen und das Verstehen der Kinder nicht zu unterschätzen,

den biografischen Rückblick zu wagen und sich von alten Ansichten und eigenen Erfahrungen frei zu machen,

einen Einblick in die kindliche trauernde Seele zu erlangen und

sich einen Überblick von Handlungsansätzen zu verschaffen, die letzten Endes Kinderseelen helfen, möglichst unverwundet aus einer Trauerzeit hervorzugehen.

Mit der Zielstellung, Frühpädagogen/innen dabei zu unterstützen, geht das vorliegende Buch nach den theoretischen Erläuterungen zu Definition, Trauerreaktionen und -phasen auf die kindliche Trauer und die Rolle der pädagogischen Fachkräfte ein, um anschließend mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen verwoben verschiedene Handlungsansätze zur individuellen Trauerbegleitung aufzuzeigen, die in der Praxis anwendbar sind.

1 Aktuelles Basiswissen zur Trauer

Um tatsächlich ins Verstehen zu kommen und ein eigenes empathisches Verhalten zu ermöglichen, ist ein tiefer Blick hinter die Begrifflichkeiten und Prozesse mehr als nur eine Empfehlung. In den folgenden Kapiteln werden daher theoretische Erkenntnisse von verschiedenen Psychoanalytikern und Trauerforschern aufgeführt, welche die Charakteristika von Trauer veranschaulichen.

1.1 Definition von Trauer

Bei der Recherche nach der Trauerdefinition wurde deutlich, dass eine solche durch die Vielfalt an Trauerreaktionen schwer zu formulieren ist. Eine der ersten bekannten Begriffsbestimmungen stammt vom Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud. Bei dieser Definition bezieht sich die Trauer nicht nur auf den Verlust eines nahen Menschen, sondern auf ein weiteres Spektrum von Verlusten:

„Trauer ist regelmäßig die Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person oder einer an ihre Stelle gerückten Abstraktion wie Vaterland, Freiheit, ein Ideal usw.“ Er prägte in diesem Zusammenhang auch den Begriff Trauerarbeit, der sich auf den Verarbeitungsprozess des Verlustes sowie die Begleitung und Tröstung bezieht. (Freud, 1917/46)

Aus dem Blickwinkel der Bindungsforschung entwickelte John Bowlby die Theorie der Trauer und beschreibt Trauer als Vorgang, der durch den Verlust eines nahestehenden Menschen ausgelöst wird und sowohl bewusste als auch unbewusste Prozesse beinhaltet. (Rehberger, 2004)

Eine weitere Definition liefert die Psychologin Therese A. Rando. Bei der Übersetzung aus dem Englischen wurde der Begriff „grief“ mit „Kummer“ als psychischer Prozess dem Trauern gleichgesetzt:

„Kummer ist jener Prozess, in dem die intrapsychischen, verhaltensmäßigen, sozialen und körperlichen Reaktionen auf die Wahrnehmung eines Verlustes erlebt werden.“

Demzufolge hat Trauer folgende Charakteristika:

Trauer ist eine natürliche und absehbare Antwort auf einen Verlust.

Trauer ist ein prozessualer Vorgang, der viele Veränderungen mit sich bringt.

Trauer kann auf alle Arten von Verlust folgen und meint nicht nur die Reaktion auf den Tod eines Menschen.

Das Trauererleben hängt von der individuellen Wahrnehmung des Verlustes ab. (Rando, 2003)

Der bekannte Trauerforscher Jorgos Canacakis verfasst folgende, emotional formulierte Definition:

„Trauer ist eine gesunde, lebensnotwendige und kreative Reaktion auf Verlust und Trennungsereignisse. Trauer ist angeboren und eine Antwort der Seele und des Körpers.“ (Canacakis, 1987)

Rundet man letztere Definition mit der Zielstellung der Trauer ab, so kann man festhalten, dass weder Erwachsene noch Kinder ohne Trauer schmerzhafte Verluste begreifen, in ihr Leben integrieren und sich neu orientieren können. Niemand bleibt von der Trauer verschont und nichts als nur die Trauerzeit selbst kann sie bewältigen und umwandeln helfen.

1.2 Trauerverlauf und Phasenmodelle

Der gesunde Verlauf einer Trauer ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass nach der ersten schmerzenden Zeit des Abschieds eine Abnahme des emotionalen Leidens und anderer damit verbundener Trauerreaktionen einhergeht. Dabei kommt es nicht zu einem gleichmäßigen Abfall der Trauerreaktion, da die Quantität der Trauer große Schwankungen aufzeigt und zyklisch ist (Rando, 2003). Dies hat vor allem mit dem Wechelspiel aus Vermeidung und Auseinandersetzung zu tun. Die Realisierung des Todes der geliebten Person gelingt meist nur sehr langsam und dauert laut Znoj (2004) länger als gesellschaftlich angenommen. Es wird davon ausgegangen, dass ein vollständiger Verarbeitungsprozess nur schwer möglich ist, die akuten Trauerreaktionen bei einem normalen Verlauf jedoch zeitlich begrenzt sind. Von einer gelungenen Trauerarbeit kann man demnach sprechen, wenn der Tod des geliebten Menschens schrittweise akzeptiert wird und eine Neuorientierung im Leben ohne den Verstorbenen erfolgt.

Auf der Basis von langjährigen Beobachtungen und Gesprächen mit sterbenden und trauernden Erwachsenen wuchs in der Wissenschaft die Auffassung, dass Trauer prozesshaft verläuft. Mit diesem Hintergrund wurden seit Ende der sechziger Jahre „normative“ Trauerphasen formuliert, die in einer Vielzahl von Phasenmodellen mündeten. Die Theorien unterscheiden sich im wesentlichen in der Anzahl und der Bezeichnung der unterschiedlichen Phasen. Gemeinsam ist allen die erste Phase, die von den Forschern unterschiedlich bezeichnet wird, z.B. als Verleugnung (Kübler Ross, 2011), Vermeidung (Rando, 2003) oder als Nicht-Wahrhaben-Wollen (Kast, 2006). Gemeinsam ist allen auch eine abschließende Phase wie z.B. Phase der Reorganisation (Bowlby, 2006), Akzeptanz (Kübler Ross, 2011).

Die angesprochenen Phasenmodelle werden aus zwei Blickrichtungen sehr kritisch gesehen. Seitens der Wissenschaft wird bemängelt, dass bis dato noch keine empirisch gesicherten Belege dafür existieren, dass Trauer tatsächlich in Phasen verläuft. Aus Sicht von professionellen Trauerbegleitern bergen die Trauermodelle das Risiko einer irritierenden Wirkung, da einige Phänomene in verschiedenen Phasen auftreten und auch wiederkehren können. Abgeleitet daraus wird an dieser Stelle dazu geraten, die bestehenden Phasenmodelle in der Trauerarbeit lediglich als Hilfestellung zu nutzen. Sie bilden kein verlässliches, starres Konstrukt, sondern vielmehr eine Orientierung in vielfach orientierungslosen Zeiten.

1.3 Trauerreaktionen

Jede Trauer ist anders. So sind die Reaktionen auf den Tod eines nahe stehenden Menschen bei Erwachsenen wie Kindern sehr vielgestaltig und können über eine lange Zeit hinweg anhalten. Auf die Frage, welche Hauptmerkmale Trauer kennzeichnen, beschreibt der Psychotherapeut und Assistenz-Professor Hansjörg Znoj die Charakteristika von Trauer auf vier verschiedenen Ebenen:

Auf der emotionalen Ebene kann es zu ausgeprägten Gefühlen wie Angst, Wut, Schuld, Traurigkeit, emotionale Leere, Einsamkeit, aber auch zu dem Gefühl der Erleichterung kommen.

Die Verhaltensebene kann durch apathische Zustände, Hysterie, Betäubungsverhalten, selbstverletzendes Verhalten bzw. Ess- und Schlafstörungen gekennzeichnet sein.

Auf der kognitiven Ebene zeigt sich Verleugnung, Gedankenleere und Gedankenrasen.

Schmerzzustände, motorische Unruhe und Herz-Kreislauf-Störungen können auf der körperlichen Ebene beobachtet werden (Znoj, 2004).

Befindet sich der trauernde Mensch in einem akuten, vielleicht sogar traumatischen Zustand, der von starker innerer Zerrissenheit geprägt ist, richtet sich der gesamte Organismus darauf ein, eine Stabilisierung herzustellen. Er bewahrt sich selbst mit der Ausschüttung von körpereigenen Stoffen zur Betäubung wie auch zur Aktivierung vor dem absoluten Zusammenbruch. Diese natürliche Schutzreaktion baut darauf, durch Zeit ein Mindestmaß an Bereitschaft zur Verarbeitung und an innerer Sicherheit zu erlangen. Sie kann als vorübergehende Verdrängung und Abwehr von Trauer gewertet werden, die für den Betroffenen überlebensnotwendig ist. Beispiele für derartige Schutzreaktionen sind Abblocken, cooles Auftreten, Ablenkung oder aber die selbstgewählte Isolation. An dieser Stelle ist es für die Umgebung meist schwierig, sich gelassen und geduldig darauf einzulassen. Für den Trauernden jedoch ist es die einzige Chance, sich bei geschwächtem Ich nicht mit den Anforderungen der Realität zu überfordern (Onnasch & Gast, 2011).

Im Stress der Trauer werden insbesondere zwei der drei Grundmuster, die in der Entwicklungsgeschichte entstanden sind, mobilisiert: „Flucht“ und „Aggression“. Während die „Flucht“ als Stressreaktion ziellos wirkt und der Trauernde von großer Unruhe geprägt ist, kann sich die Aggression als Zeichen der Ohnmacht gegen andere wie z.B. Ärzte oder die eigene Person richten. Letzteres kann den Stress in der Trauer unerträglich steigern, so dass zum Gelingen des Trauerprozesses Entlastung und Lösung notwendig ist (Onnasch & Gast, 2011).

Wenn Trauer so absolut ist, dass sie keinen Raum mehr für anderes lässt, dann läuft diese natürliche Emotion aus dem Ruder. Dann verliert sie ihr Ziel aus dem Auge, das darin besteht, den Verlust zu überwinden. An dieser Stelle spricht man von Trauerstörungen, die sich durch einzelne oder mehrere der folgenden Symptome kennzeichnen lässt (Znoj, 2004):

keine allmähliche Abnahme der Trauerintensität

starke anhaltende Schuldgefühle

keine oder kaum Anpassung an die neue Wirklichkeit

Depression, langfristige Schlaf- bzw. Essstörungen

Vernachlässigung des sozialen Netzes und Vereinsamung.

1.4 Gehirnforschung zu Trauerprozessen

Neben neurobiologischen Erkenntnissen, die hilfreiche Hinweise zum Umgang mit der Trauer geben, entschlüsselt die Hirnforschung derzeit die verschiedenen Felder und Kräfte im Gehirn, die bei dem Gefühl von Trauer zeitgleich aufeinander einspielen und zusammenwirken. Eine wichtige Erkenntnis besteht in dem Wissen, dass durch ständige bewusste wie unbewusste Gewohnheiten und Übungen Bahnungen zwischen den einzelnen Nervenstellen (Synapsen) entstehen, die sich weiter ausbauen, wenn sie nur häufig genug „befahren“ werden. Auf den Trauerzustand übertragen, bedeutet dies, dass über einen langen Zeitraum gewohnte Muster und Hirnvorgänge durch den Tod des geliebten Menschen zerrissen werden. Es bedarf dann einer Veränderung von bisher funktionierenden Vernetzungen, die auf diesen Menschen eingestellt waren, indem mit der Zeit neue, stabilisierend wirkende Bahnungen erzeugt werden. Dies geschieht auf allen drei Ebenen des Gehirns.

Vegetative Ebene