Das Umgehen der Orte - Fabian Hischmann - E-Book

Das Umgehen der Orte E-Book

Fabian Hischmann

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Beschreibung

Lisa friert nicht. Sie kann es einfach nicht. Schwitzen dafür umso mehr. In den Sommermonaten flüchtet sie ins Eisstadion und stellt sich vor, es hätte sie noch weitaus schlimmer treffen können als in Südwestdeutschland. Etwa in Bangkok oder Miami. Und dann zieht Anne ins Nachbarhaus, ein Anti-Mädchen mit Gletscheraugen und einem Plan im Gepäck ... Wie Lisa und Anne sind alle Figuren in »Das Umgehen der Orte« Geheimnisträger, deren Wege sich kreuzen und Schicksale aufeinanderprallen. Einige trägt es hinaus in die Welt, nach Melbourne oder auf die Westmännerinseln, andere zieht ihre Last bis auf den Grund. Was zählt sind Freunde – die Familie, die man sich aussucht, wie es heißt. Mit ihnen teilt man: Träume, Ängste, die guten Momente und die richtig miesen. Kaum ein deutschsprachiger Autor unserer Tage vermag das Fangnetz der Emotion so sensibel und kunstvoll zu knüpfen wie Fabian Hischmann. In seinem neuen Roman erfindet er Figuren und Szenen, die berühren und verstören, die laut auflachen und die existenzielle Wucht des Beiläufigen erleben lassen.

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www.berlinverlag.de

Für meinen Neffen Jacob

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe

1.Auflage 2017

ISBN 978-3-8270-7896-4

Für die deutsche Ausgabe © Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2017

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck

»If your movies don’t perform,

they just stop calling you.«

Matt Damon

Festung

2004

Südwesten

*

Sie standen auf dem Kirchturm. Es regnete Eis, als Lisas Vater wieder und wieder versuchte, ihr die Anorakkordel festzuzurren und die Mütze tiefer ins Gesicht zu ziehen.

Aber Lisa war einfach nicht kalt.

Sie ließ sich nur deshalb weiter einpacken, weil er sagte, dass ihre Mutter ihm die Hölle heißmachen würde, sollte sie krank werden.

Lisas Opa hatte ihr von der Hölle erzählt, davon, dass die Bösen dort für immer in einer Sauhitze leiden müssten.

Schließlich wehrte Lisa sich nicht weiter, obwohl die Vaterfinger ganz klamm waren und ein bisschen Hölle denen wohl gutgetan hätte.

Beim Abendbrot sagte er zu ihrer Mutter: »Wusstest du eigentlich, dass wir ein Eskimokind haben?«

Ein paar Wochen später fand Lisa ihn auf dem Toilettensitz, nackt und blau angelaufen, eine Krawatte um den Hals, deren schmaleres Ende er mit dem Wasserrohr hinter sich verknotet hatte. Sein Penis sah aus wie eine dicke, haarige Raupe.

Lisas Mutter wickelte sie in die Kinderdecke und rubbelte ihr die Schultern. Kalt war Lisa nicht.

Nach der Beerdigung wollte Lisa wissen, ob der Papa jetzt im Himmel sei. Sie sagte ja.

Als Lisa aber ihren Großvater fragte, deutete der nur mit dem Zeigefinger nach unten. Da war Parkettimitat, darunter lag der Keller. Und unter dem Keller, sie befürchtete es, die Hölle.

Ihre Mutter entdeckte Wolle für sich.

Lisa entdeckte Snickers.

Beide gingen zum Psychologen.

»Kompensation«, sagte man zu ihnen und fügte für Lisa noch »Sport« hinzu.

Es nützte nichts.

Ihre Mutter brauchte länger und länger für die Pullover, weil Lisa immer schneller mit den Schokoriegeln wurde.

Mit siebzehn wiegt Lisa über 100Kilo.

**

Lisa und ihre Mutter räumen die Großvatersachen in Kisten für die Caritas. Sein Zimmer im Pflegeheim ist winzig. »Nicht viel größer als der Sarg bald«, sagte er bei seinem Einzug und pulte sich ein Stück Lauch vom Mittagessen von den Zähnen, die durchs Rauchen und die Zeit so aussehen wie die Klobrillen in Lisas Schule.

Gerade will Lisa sein Fernrohr auf die Militärorden in der kleinen Kiste mit der Aufschrift WasOpa behält! plumpsen lassen, als sie ein Mädchen entdeckt, das mit Straßenkreide ein Spielfeld in die Auffahrt des Nachbarhauses malt. Die Müllers sind vor gut einem Monat weggezogen, und das Mädchen ist dafür eigentlich schon viel zu alt. Lisa presst das Fernrohr an ihr linkes Auge: blonde Haare, Pferdeschwanz, Kapuze, gerader Rücken, Jeans, schwarze Doc Martens

– Drehung–

Blaue Augen. Gletscherblau. Wie die Erfrischungsbonbons, die ihr Vater beim Autofahren lutschte und immer schnell zerbissen hat. Seine letzte Tüte hat sie sich übers Bett gepinnt.

Auf dem Pulli des Mädchens steht Sonic Youth.

»Es brennt noch immer«, stöhnt Lisas Mutter aus dem Hintergrund. Sie kommt vom Klo zurück, zum x-ten Mal, hat eine Blasenentzündung, wie alle paar Wochen.

Vor Schreck fällt Lisa fast das Fernrohr aus der Hand.

»Gibt’s da was Interessantes draußen?«

»Nur neue Nachbarn«, sagt sie und schiebt das Rohr zusammen.

Am nächsten Tag auf dem Weg zum Schulbus bleibt sie vor dem Kreidefeld stehen.

Jemand ruft: »Anne! Was ist mit deinem Pausenbrot?«

»Behalt’s!«

Kurz darauf steht Anne vor Lisa, verpennte Gletscheraugen mustern sie.

Anne sagt: »Hüpfekästchen.«

Lisa nickt, ohne Bescheid zu wissen, ihr Mund steht einen Lutscher breit offen, was sie in Annes verspiegelter Sonnenbrille sieht, jedoch nicht ändern kann. Anne sperrt ebenfalls den Mund auf und lässt gleich darauf die Lippen ploppen. Ein blonder Karpfen, denkt Lisa, und schafft es endlich auch, ihren Mund zu schließen.

»Pass auf«, sagt Anne, wirft Lisa ihren Rucksack in die Arme, springt ins Feld und federt von einem Kästchen ins nächste. Als sie fertig ist, ist Lisa froh, den Rucksack festzuhalten, sie würde ihr sonst applaudieren.

»Musst du auch zum Bus?«

Lisa nickt wieder.

»Tja«, sagt Anne grinsend. »Den haben wir wohl verpasst.«

Ab da sind sie ein Team.

Das A-Team.

Anne führt und Lisa folgt ihr.

Die beiden Mädchen gehen Richtung Kläranlage. Anne sagt, sie brauchen einen Ort, den alle meiden.

»Wo man relaxt schwänzen kann, weißte.«

Wäre Samstag, würde Lisa ihr Zimmer vorschlagen. Da Montag ist, fällt ihr bloß die Anlage ein. Die stinkt an manchen Tagen bis über den Hügel und in die Häuser. Viele Leute wissen das nicht, wenn sie hierherziehen. »Man gewöhnt sich an alles«, sagt Lisas Mutter dazu. Sie sagt es ständig und zu allem. Seit Lisas Vater tot ist, ist das ihr Satz. Und Blasenentzündung ihr Infekt.

Bevor sie richtig schwänzen können, müssen sie zur China-Box. Anne will Bier kaufen. Der Edeka ist zwar näher, aber Anne meint, da sitzt ein Neonazi an der Kasse, der ihr gestern, als sie für ihre Mutter was besorgen musste, auf die Titten geglotzt hat. Anne hasst Deutschland, erzählt sie Lisa. Bei der letzten Fußball-WM haben sie und ihr Exfreund alle Fahnen in der alten Nachbarschaft geklaut und anschließend verbrannt. Sie fragt, wie Lisa Deutschland findet. Lisa antwortet, Deutschland sei ihr egal.

»Egal ist okay«, sagt Anne.

Obwohl es erst halb zehn ist, hat die Box schon auf. Es riecht nach gebratenem Reis. Anne zieht die Kapuze über und geht hinein. Lisa wartet draußen an der Seite.

Ans Wellblech gelehnt, sieht sie den leeren Schulbus vorbeifahren. Sie fühlt sich nicht leicht, aber ein bisschen frei.

Eine halbe Stunde später sitzen Lisa und Anne unweit der Scheißebecken auf einem Stromkasten. Es stinkt, aber die Sonnenstrahlen sind warm für März. Für Lisa zu warm. Sie zieht den Pulli mit dem Rautenmuster über den Kopf, und Anne schiebt ihn sich unter den Hintern.

»Geiler als jeder Sessel«, sagt sie.

Die Wollpullover lassen Lisa ein Doppelleben führen. Zu Hause trägt sie, ihrer Mutter zuliebe, nichts anderes. Doch sobald sie vor die Tür geht und außer Sichtweite ist, zieht sie die Teile meistens ganz schnell aus und bringt sich in Ordnung, um nicht zu zerfließen und den Tag zu überleben.

Anne reicht Lisa die China-Box-Tüte. Zwischen den Bierdosen und vier Paar Stäbchen liegen zwei Snickers.

Anne sagt: »Ich wusste nicht, ob du Schokolade magst.«

Lisa macht ein Augenbrauen-Ziehen, eine Sekunde, zwei – dann prusten sie los.

Als sie sich wieder gefangen haben, will Lisa wissen, wofür die Stäbchen gut sind. Anne reicht ihr eins und stellt sich vor sie hin. Sie sagt: »En garde!«

Und sticht Lisa mitten ins Herz.

Am Ende des Tages hat der Himmel rote Tupfen.

Wenn er so ist, sagt Lisas Mutter immer: »Gott schämt sich. Recht hat er.«

Auch die Mädchen sind rot im Gesicht vom Bier.

Lisa hat gefragt, ob Anne sie fett findet, und Anne meinte bloß: »Fett ist das falsche Wort. Du bist halt mehr als andere.«

***

Lisa pustet Flammen aus.

Ihren Mundschutz hat sie dafür in die Stirn geschoben.

Der Berliner, in den Anne die Kerzen gesteckt hat und aus dem das Pflaumenmus auf die Pappe läuft, ist ein außerirdischer Igel, haben die Mädchen beschlossen.

Anne übergibt Lisa ein Geschenk. Ihr »Happy Birthday« klingt dumpf durch den Mundschutz, auf den sie Party hard!!! geschrieben hat. Das Geschenk ist in Alu eingepackt. Lisa denkt an Kartoffeln und Glut und Asche, daran, wie ihr Vater auf einem Grillfest der Spedition, für die er gearbeitet hat, die silbernen Kugeln aus dem Feuer holte und reihum auf die Teller verteilte, ohne dass ihm die Hitze etwas ausmachte. Nie brauchte er Topflappen, wenn er das Essen vom Herd nahm, und auch nie Schlappen, wenn die Freibadsteine im Hochsommer glühten. Im Winter legte er dafür Lammfellsohlen in ohnehin schon gefütterte Schuhe und trug zwei lange Unterhosen übereinander.

Er war nicht mein Gegenstück, denkt Lisa, sondern mein Gegenteil.

Als sie die Folie zu allen Seiten wegklappt, blitzt neben den Vaterbildern auch die Obduktionsszene aus Alien 3 auf, die sie vorgestern noch mit ihrer Mutter gesehen hat.

Sie lieben Science-Fiction, beide. Anne meint, das sei doch logisch, wenn einen die Realität so dermaßen gefickt hat. Für alles hat sie Lösungen parat oder zumindest ein paar Sätze.

Das Innere ist schwarz und XL und 100Prozent fair gehandelt. Dinosaur Jr. steht auf der Vorderseite des Hoodies.

Erwartungsvoll sieht Anne Lisa an. Ihre Bonbonaugen glitzern. Lisa ist sprachlos und schwitzt, weil es Mitte Juli ist, Anne ein knallenges Top trägt, ihr Vanilledeo sich gegen die Scheiße durchsetzt und sie nicht nur dankbar, sondern auch sehnsüchtig macht.

Sie teilen eine Kippe. Dann holt Anne zwei Steine, Papier und Stifte aus ihrem Rucksack. »Jede von uns schreibt jetzt auf, was sie unbedingt loswerden will, okay?«

»Okay«, sagt Lisa.

Bei jedem anderen hätte sie sofort nein gesagt. Der Kindertherapeut wollte auch immer solche Spielchen mit ihr spielen, viel malen sollte sie. Aber weil Anne Anne ist, supersexy und normalerweise anti alles, macht Lisa den Psychoquatsch mit.

»Wen oder was schickst du zum Teufel?«

Lisa will antworten, doch Anne funkt sofort dazwischen: »Mensch Lisa, niemals, unter gar keinen Umständen, darfst du’s mir verraten! Sonst gilt’s nicht, weißte doch.«

Sie wickeln das Papier um die Steine und laufen bis zum Schutzzaun. Über dem Klärbecken stottert die Hitze.

»Countdown läuft«, verkündet Anne.

»Drei, zwei, eins.«

Die Mädchen werfen.

»Scheiße zu Scheiße«, sagt Anne.

»Scheiße zu Scheiße«, sagt auch Lisa, die ihren Mundschutz wieder trägt.

VIP, hat Anne auf ihren geschrieben.

Anne checkt ihre Casio.

»Alles klar, mein Herz, wir können los. Mein Vater ist in der Luft und meine Mutter bei den Kleppern.«

Mein Herz, denkt Lisa, wenn du wüsstest, wie das rast.

****

Immer wenn Lisa in Annes Wohnzimmer sitzt, ist sie baff. Alles hier ist beige, bis auf das schwarze Samurai-Schwert an der Wand und die geschnitzte Antilopenherde auf dem Glastisch in der Mitte des Raums. Und alles ist teurer als drüben bei Lisa und ihrer Mutter. Von außen ist das nicht zu sehen, die Fassade tanzt überhaupt nicht aus der Reihe.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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