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Eine bunte Reise durch das zweite Jahr im CoViD-Ausnahmezustand mit weiterhin vielen unbeantworteten Fragen. Ist Corona nun das kleinste Problem, das wir haben oder ist es ein Beschleuniger, der aufgezeigt hat, welche Spaltungen existieren? Wie langanhaltend und vielschichtig giftig ist gesellschaftliches Long CoViD und wo zeigt es sich im sozialen Miteinander? Inwiefern grätschen sich Selbstvergessenheit und Unbekümmertheit als zwei Errungenschaften einer offenen Gesellschaft gegenseitig die Beine weg, wenn sie zu einer achtlosen Selbstverständlichkeit werden? Und wie zur Hölle kann der Spaß in dem Dilemma seinen Platz als wichtigste Notwendigkeit behalten? Oder sind Corona und die Maßnahmen nur ein Vogelschiss im Vergleich zu 250 Jahren erfolgreicher internationaler Umweltzerstörung? Die Frage, wann sich das Kultusministerium bei allen überforderten Eltern und verzweifelten Kindern entschuldigt, wird in diesem Buch ebenso wenig besprochen, wie die Frage, ob das Lied Wann wird's mal wieder richtig Sommer aus ökologischer Perspektive ge- so genannt -cancelt werden sollte. Stattdessen hat in dieses Tagebuch ein bunter Blumenstrauß an Fragen, Gegebenheiten und Besonderheiten des gesellschaftlichen (Long) CoViD-Alltags Einzug gefunden. Das inzwischen typische Mit- und Gegeneinander zeigt sich Dank vieler Begegnungen, (geheimer) 'Mitschnitte' von Telefonaten, ganz gewöhnlichen Situationen, die durch Corona plötzlich zu Besonderheiten wurden und findet sich in neuen Geschichten mit Verschwörungspotential. Unter die Lupe genommen wurde im Laufe von 13 Monaten fast alles, was nicht ohne Brille betrachtet werden konnte.
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Seitenzahl: 419
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Prolog
Tagebuch
Epi
demio
log
Es sollte ein einfaches Tagebuch werden. Eine seichte Auseinandersetzung, genährt durch den vorsichtig positiven Gedanken des Frühlings 2021, dass sich nach einem Jahr das große Thema Corona Stück für Stück in aerosolisierte Luft und Wohlgefallen auflöst und der Übergang zurück zum alten Leben stattfinden kann.
Im Nachhinein ist die Anfangsintention eine auf mehreren Ebenen sehr naive Vorstellung gewesen.
Naiv, weil sich im Frühling der optimistische Gedanke zeigte, diese außergewöhnliche Zeit unter anderem durch einen Impfstoff schnell bewältigen zu können, selbst wenn die Diskussion scheitert. Dieser Optimismus hat sich im Laufe der Monate verändert.
Naiv, weil es in Deutschland nicht nur wortwörtlich brennt und die dringende Aufmerksamkeit auf das Klima ausgeweitet werden muss, sondern mittlerweile auch das gesellschaftliche Klima sprichwörtlich so sehr brennt, dass im deutschsprachigen Raum mindestens zwei Menschen ermordet wurden.
Naiv, weil nebenan ein Mann an der Spitze eines Landes seit einem halben Jahr sein Nachbarland bombardieren lässt und einen Schockzustand über einen Schockzustand gelegt hat.
Niemand hat mehr Lust auf Corona. Gleichzeitig muss aber darüber gesprochen werden, inwieweit sich schon längst ein gesellschaftliches Long CoViD in die Köpfe und in den Alltag gebrannt hat und wie es sich gegebenenfalls zurückdrehen lässt.
Ist es schon gesellschaftliches Long CoViD, wenn sich Menschen einen kleinen Lockdown zurückwünschen, weil in diesen Phasen alles so schön ruhig war?
So wie ein Freund vor kurzem sagte:
„Ich brauche nur einen kleinen Lockdown. Damals konnte ich alles in Ruhe machen, weil nichts passiert ist.“
Kommt Long CoViD mit der Erlaubnisfrage, ob es in Ordnung ist Freundinnen und Freunde zu besuchen, obwohl Besuche etwas ungefragt Alltägliches sein sollten? Oder sind es die Befangenheiten und Aggressionen, mit denen sich mittlerweile Diskussionen entwickeln, Freundschaften zerstört werden und sich Dimensionen ans Tageslicht spülen, die zuvor ungesehen vor sich hinvegetierten?
Corona und die Folgen waren und sind gleichzeitig Projektion und Projektil, Katalysator und eskalativer Auslöser, manchmal explizit oft implizit, immer verbunden mit dem vorherigen Zustand des Menschen und niemals in Gänze erkennbar. Zwischen den Corona-Extremen gab und gibt es unzählige Spielarten des eigenen Umgangs. Mit der Zustandsmüdigkeit entwickelten sich nicht nur Wut und Zustandsphlegma, sondern auch neue Formen des unrealistischen Optimismus, um sich eigene neue Lücken zu erschaffen. Dort wo ich hinmöchte passiert schon nichts. Sich selbst dort zu belügen, wo die Freude auf ein Ereignis die Sorge vor einer Infektion überwiegt, geht in Ordnung.
„Beim Einkaufen möchte ich mich ungerne infizieren, aber auf einem Konzert hätte es sich wenigstens gelohnt.“
Der Unwille weiterhin in der Diskussion zu bleiben, ist in gleichen Teilen
verständlich, wegen der Überfrachtung,
erschreckend, weil noch sehr viel besprochen werden muss und
hoffnungsvoll, wenn die Generalprobe-Premiere-
Diskrepanz herangezogen wird.
Läuft eine Generalprobe unterirdisch, dann wird die Premiere ein Erfolg. In ihrem Buch Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird schreiben Nick Reimer und Toralf Staud in der Einleitung
Ein leistungs- und handlungsfähiger Staat ist in Zeiten des Klimawandels mindestens so überlebenswichtig wie während der Corona-Pandemie.
Meine Hoffnung, dass die Corona-Diskussion die unterirdische Generalprobe vor der Klimadiskussion ist, wird jedoch täglich auf mehreren Ebenen weggegrätscht. Menschen, die in einem Schlaraffenland wohnen und sich nun darüber beschweren, dass nicht mehr 100, sondern nur noch 99 Früchte am Baum hängen, zeigen die immense, dichtgefütterte Fallhöhe, wenn in dem Teil der Welt gelebt wird, der ausgebeutet hat und ausbeutet, aber nicht ausgebeutet wurde.
Pünktlich zu dem neuen Bericht des Club of Rome, in dem so drastisch wie selten zuvor notwendige Änderungen beschrieben werden, kommt eine Geschichte eines Freundes. Sein Bruder wohnt in den USA und er kam vor einigen Wochen mit einem Nachbarn ins Gespräch, der ein Barbecue veranstaltete:
„Hallo Fred, ich wollte nur Bescheid sagen, es könnte ein wenig lauter werden. Heute kommen einige Freunde und Arbeitskollegen.“
„Kein Problem. Viel Spaß. Ach, und dein Wagen läuft noch. Wahrscheinlich hast du gerade so viel hin und her zu räumen.“
„Ja, es kommen sehr viele Menschen. Der Kühlschrank ist schon voll und ich muss irgendwo das Bier kühlen. Der Motor läuft nur wegen der Klimaanlage.“
So lief der Wagen von mittags bis tief in die Nacht im Carport, um durch die voll aufgedrehte Klimaanlage das Bier servierfertig runterzukühlen.
Diese Geschichte ist bei weitem kein Einzelfall und eine gesamtgesellschaftliche Diskussionsbasis, sowie ein Verständnis zu schaffen wird herausfordernd sein. Ein altbekanntes Normal ist so weit entfernt, wie einige Gräben tief sind. Unter anderem entstanden durch verhärtete Diskursfronten und einer fehlenden Instanz zur Befriedung. Dabei sollte in der diskursiven Verantwortung die Aufgabe stecken, innerhalb der Auseinandersetzung und Diskussionen nicht zu spalten, sondern zu vereinen. Zumindest wenn das Ziel ein gemeinschaftlich getragenes Ziel sein soll.
Das Tagebuch startete letzten Frühling nüchtern theoretisch mit dem Versuch eine thematische Überdimension einzufangen, erweiterte nach kurzer Zeit den Radius und entwickelte sich zu einer bunten Sammlung aus Gesprächen, kopfschüttelndem Erstaunen, Erlebnissen und Geschichten. Erst recht, als die Ereignisse im Herbst und im Winter an Fahrt aufgenommen haben und es regelmäßig knallte.
Zwölf Monate voller fehlgeschlagener Möglichkeiten, unzähligen Erkenntnissen und ungezählten herrlichen Analogien, die weit über die Coronathematik hinausgehen.
Ich traf einen 85jährigen Bayer in Traunstein, der im Jahr 1954 zweitausend Kilometer mit dem Fahrrad in und durch die Schweiz fuhr, um bei der Fußball-Weltmeisterschaft dabei zu sein. Seit Oktober weiß ich, dass sich Jugendliche mit Red Bull einen Positivtest zu erzaubern glauben, um Squid Game gucken zu können und ein journalistisch gefütterter Unwissenheitsrassismus konnte verortet werden.
Es existiert ein passendes Convenience-Verhalten zu den fünf Conveniencestufen der Lebensmittelbranche und zu Beginn des Jahres 2022 hat ein Rennwagen aus Tschechien eine Diskussion entbrannt, bis wann unendlich gehen darf und wie viel eigentlich ohne Limit heißt?! Serdar Somuncu war kurzzeitig Posterboy des rechten Compact-Magazins und Richard David Precht hat in der Außenwahrnehmung einen U-Turn vom Staats- zum Querdenker vollzogen.
Spanisch bietet sich als bilinguale Konfrontationstherapie an und es lässt sich nicht nur wunderbar mit Bruce Lee Halli Galli spielen, sondern auch Peter Sloterdijk dabei beobachten, wie er aus einem Fahrradsattel einen Philosophiethron macht. Ich war erschrocken, ob der fehlenden Klangbreite des Reeperbahnfestivals und haderte mit dem Gedanken, inwiefern Corona und Co. eine musikalische Empfindungsverengung zu verantworten haben.
Einige neue (Verschwörungs-)Geschichten sind entstanden, weil bestimmte Fakten einfach miteinander verbunden werden wollten, auch wenn sie nicht immer zueinander passten. Dafür darf ein über viele Maßen unterirdischer Satz eines ehemaligen Kanzlerkandidaten während des Wahlkampfes ganz für sich alleinstehen. All die Vielfalt abseits der Coronafahrbahn war und ist notwendig, um den Spaß im Dilemma zu erhalten. Nicht zuletzt, weil sich aktuell die Frage stellt, ob es eine Renaissance des unkoordinierten Hineinstolperns in den dritten Herbst gibt oder wie sich die kalten Jahreszeiten prosozial gestalten (lassen).
Bei der Masse an zur Verfügung stehenden Informationen kann ein eigenes Weltbild nur dann alltagskompatibel rund gemacht werden, wenn sich eigene Interessens- und Wissenslücken mit eingebauter Abwehrhaltung erlaubt werden. In thematisch verdichteten Zeiten, in denen sich Menschen schnell und oft neu positionieren und auseinandersetzen müssen, zeigt sich Inkongruenz schneller als sonst. Zeigen sich nicht zueinander passende Worte direkter als sonst und droht den Sprechenden ein Gesichtsverlust, bevor ihnen klar geworden ist, dass sie überhaupt ihr Gesicht gezeigt haben! Die exponentiell gewachsene Wissensverfügbarkeit sollte eigentlich ein Jahrzehnt des Sortierens mit sich bringen! Eine Dekade des Informations- und Faktensortierens wäre angebrachter als ein Meinungsschlagabtausch. Aber sowas kollidiert schnell bei frontalem Alltagsgebrauch.
Aus Interesse und Neugier habe ich mich entgegen meiner Social Media-Abneigung mit Beginn der russischen Bombadierung für kurze Zeit bei Twitter angemeldet und war sehr schnell desillusioniert erschrocken, ob der unüberschaubaren Masse an unterirdischen und aneinander vorbeilaufenden Kommentaren und Meinungen. Andererseits konnte ich so auch sehr schnell Fan von Jessica Berlin werden, von der PropofolPrinzessin, mit dem wunderbaren Motto
Mein Kind wird nicht erzogen. Das wird großgeliebt!
oder der Hacktivistin Nella Allami.
Weil täglich neue Impulse aufkamen, beinhaltet dieses Tagebuch keinen Fließtext, sondern viele Mosaike zum Thema Corona und Gesellschaft. Daher erfordert das fragmentierte Schreiben auch ein sehr fragmentiertes Lesen.
Am Ende zeigte sich, dass das Ende immer noch ein Mittendrin ist, umrahmt von vielen Ernüchterungen und Fragen.
Konkretere Fragen, die schon vorher unwichtiger waren
Was passiert mit dem Fußreflexzonenpunkt für den Blinddarm, wenn der Blinddarm weg ist?
Warum können Hunde über Kilometer hinweg eine Fährte aufnehmen, aber müssen ihre Nase in jeden Hundehaufen tunken?
Wurde der Brexit vielleicht angeschoben, damit nicht mehr gesagt werden kann, England hat die schlechtesten Straßen der EU?
und schwer zu greifende Fragen, deren Beantwortung in viele Lebensbereiche gehört
Inwiefern ist die eigene Selbstvergessenheit, die eigene Unbekümmertheit, mit der Menschen in einer offenen Gesellschaft ausgestattet sind, im Verbund mit einer darauffolgenden Achtlosigkeit, ihr eigenes Verhängnis!?!
Wann gewinnt Rechtsextremismus gegen Klimaschutz und wann gewinnt Afghanistan gegen Corona?
Wie stabil erlebt sich eine vermeintlich freie und diverse Gesellschaft, wenn die Menschen eben dieser Gesellschaft mit ihren unterschiedlichsten Meinungen und Lebensvorstellungen plötzlich von einem Virus aufgefordert werden ihre unterschiedlichen Meinungen über Bord zu werfen, um an einem einzigen Strang zu ziehen?
Dieses Buch kommt weitestgehend ohne Verurteilungen aus.
Bei E-Scootern, sowie den Menschen, die die Idee hatten, Ananas erst zu schälen, danach in Plastik zu rollen und schlussendlich zurück in die Supermarkt-Kühlauslagen zu legen, war eine subjektive Verurteilung hingegen alternativlos.
Hamburg, 6. September 2022
Traurig, dass es nie wieder so ungezwungen wird, wie es mal war. Ich könnte kotzen. Wir werden lernen müssen, damit zu leben und zu sterben, wann auch immer… auf Polly 2021!!
Die Nachricht meines besten Freundes liest sich nicht nur nicht sonderlich optimistisch, sondern ist gleichzeitig der Startschuss für ein Tagebuch des zweiten Coronajahres.
Der Grund steckt in der Möglichkeit und dringenden Notwendigkeit rekapitulieren zu müssen, wie das Virus und die Maßnahmen mit allem Drumherum, bislang Einzug in das eigene Leben gefunden haben. Welche Aktivitäten verändert oder unterbunden werden mussten und welche eigenen Schlüsse und Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
Wie kann ein normaler Alltag in einer Ausnahmephase gelebt werden und wo nimmt die Ausnahmethematik dauerhaft Lebenszeit weg? Inwiefern hat sich das eigene Denken und das der Mitmenschen schon verändert und verändert sich weiterhin?
Besagter Freund ist niedergelassener Orthopäde in Nordrhein-Westfalen, seit einigen Wochen geimpft und rutschte aufgrund seiner Lebenssituation im Vergleich zu anderen Menschen relativ entspannt durch das erste Virusjahr.
Die Bestürzung der heutigen Nachricht kam mit einem Link zu einem Artikel auf sciencedirect.com bzw. thelancet.com mit dem Titel Risking further COVID-19 waves despite vaccination. (Trotz Impfung weitere COVID-19-Wellen riskieren)
In dem Artikel heißt es unter anderem:
Mutationen können verheerende Auswirkungen haben. Schlimmstenfalls könnten sie uns zwingen, das Impfprogramm von Grund auf neu zu beginnen, einschließlich der Notwendigkeit, strenge Beschränkungen durchzusetzen. Wenn Mutationen während einer neuen Infektionswelle zunehmen, könnten sie bereits überlastete Gesundheitssysteme stark treffen und die Reaktionsfähigkeit wird gering sein. Daher ist es wichtig, eine solche Welle zu vermeiden, um die Auswirkungen potenzieller Mutationen abzuschwächen.
Ist es dann notwendig, entweder fast endlose Beschränkungen zu haben, die ihre eigenen schädlichen Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaft haben oder den Anstieg einer weiteren Pandemiewelle in Kauf zu nehmen?
Die Hoffnung steckt weiterhin in einem Re-Start.
Die übrig gebliebene Kunst ist die Rest-Art.
Polly ist der Name des Hausbootes, auf dem wir uns ein Wochenende pro Jahr treffen.
Ein zweiter Grund für dieses Tagebuch ist es, die Eigenmotivation durch eine regelmäßige Auseinandersetzung mit dem Alltag und seinen Veränderungen, sowie die eigenen Abläufe aufrecht zu erhalten und gleichzeitig das Geleier von aneinandergereihten Maßnahmen mit schreibendem Abstand zu betrachten.
Seit einem Jahr reiht sich Lockdown, der keiner ist, aber so genannt wird, an Lockdown, der wieder keiner ist, aber immer noch so genannt wird, an erneut einen Lockdown, der natürlich wieder keiner ist, aber wenn er schonmal so einen Namen hat, dann eben weiterhin auch so genannt wird, bis auch wirklich alle von ihrer ‘Wir machen mit‘-Laune abfallen und sich nun in irgendwie zurecht genervte BürgerInnen verwandeln.
So erlebe ich im beruflichen Kontext als Sozialarbeiter eine Mischung aus Fatalismus und Ungreifbarkeit, aufgrund fehlender Transparenz und Blickrichtung. Dominant geworden ist der Zwiespalt, die Arbeit und die persönlichen Kontakte weiterführen zu müssen, bei gleichzeitiger Ahnungslosigkeit, ob des weiterführenden Weges mit dem Virus. Das alles verbindet sich in der Frage: Wie bekomme ich die Arbeit zufriedenstellend geregelt und mich gleichzeitig geschützt?
Im privaten Umfeld sehe ich viele individuelle Auslegungen, um sich eigene Lücken zu kreieren.
Die Anstrengungen kommen mit dem omnipräsenten Klassiker:
solange es keineR gesehen hat, ist es auch nicht passiert.
Bei mir selbst entdecke ich zwischen einer Genervtheit und gleichzeitig schulterzuckender Um- und Zustandsakzeptanz recht viel, weil sich ein Virus auch nach mehr als zwölf Monaten, unzähligen Talkshows und ähnlich unzähligen Reportagen nicht wegdiskutieren lässt. Erst einmal ungeachtet der individuellen Einschätzung von CoViD.
Von
„Corona ist eine Erfindung (der Mächtigen).“
„Das CoViD isn Schnupfen. Entspannt euch mal!“
bis hin zu
„Das Virus ist Leben zerstörend!“
ist alles gegeben.
Dazu passend wurden heute in der Tagesschau Mallorca-TouristInnen interviewt, deren Wortlaut in etwa so klang:
„Wir brauchen wieder etwas mehr Freiheit in unserem Leben!“
Und
„Ich habe jetzt ein Jahr lang meine Füße stillgehalten und mich an alle Vorschriften gehalten, jetzt müssen die Politiker mal liefern.“
In der zweiten Aussage steckt mehr Erstaunen als zustimmendes Nicken.
Ist ein einzelner Mensch ausschlaggebend?
Was bedeutet diese Jahresfrist?
Gibt es ein zeitliches Abkommen mit dem Virus?
Was ist mit liefern gemeint?
Gab es eine Abmachung, von der ich nichts mitbekommen habe?
Vielleicht so etwas wie:
Erst liefern die BürgerInnen, indem sie die Füße stillhalten und spätestens nach Ablauf der Jahresfrist liefern bitteschön die PolitikerInnen?
Und soll ein Plan geliefert werden, weil bisherige Pläne nicht funktioniert haben oder ein Abkommen mit dem Virus präsentiert oder ein Richtungswechsel eingeleitet werden?
Und was sollte bis zur Jahresfrist passieren?
Oder gehört der Mallorcaflug zum einfachen ‘Solange ich darf, mach ich das auch! Und du kümmerst dich um meine Konsequenzen!‘?
Bezüglich des Tagebuches kommen mir Zweifel, ob ich es schaffe ernsthaft in der eigenen Auseinandersetzung zu bleiben oder ob ich irgendwann zurück in ein reines Beobachten rutsche und mich auf erleichternde Witze, sowie auf belustigende Situationen stürze.
So wie die vierköpfige Familie, die mir Mitte letzten Jahres entgegenkam:
Vorneweg läuft ein zielstrebiger Vater im Stechschritt, brav dahinter die ca. 10jährige Tochter, dahinter die Mutter, umgedreht und zu der ca. 8jährigen Tochter gewandt, die wütend am Ende stapfte:
„Aber wer hat denn hier Randale im Kinderzimmer gemacht und wollte unbedingt raus raus raus?“
Die 8jährige Tochter:
„Ja, ich wollte kurz an die frische Luft, aber nicht auf so einen scheiss Spaziergang!“
Oder die beiden Jungs, ebenfalls ungefähr acht Jahre alt, die ich im Frühjahr 2020, als ich an ihrem Vorgarten vorbeilief, beim Krieger-Tick-Spiel erleben durfte:
Junge 1 rennt Junge 2 hinterher, Junge 2 dreht sich irgendwann um, lädt seine Wasserpistolenpumpgun und schreit:
„ICH BALLER DICH AB MIT CORONABOMBEN!“
Kalle Lauterbach
sieht Deutschland in der Klemme,
ist besorgt über den Zustand der Krankenhäuser
und weist darauf hin,
die dritte Welle habe gerade erst begonnen.
Für dich kann positiv werden:
Der Wert eines Meerblicks
hat mit Blick auf den Mehrwert
gegen jede Stadtmaueraussicht gewonnen.
Kurze Wochenstartnachricht an eine Freundin, die hin- und hergerissen ist, weil die Lockdownphase auf dem Land nicht nur elendig ist und nichts bietet, sondern die Umgebung mit ihrer Leere auch nichts an der inneren Empfindung ändert.
Impulse zu setzen, um im Anschluss daran die eigene Umgebung wieder als sehr entspannend zu betrachten fällt schwer, wenn die Möglichkeit genommen wird, überhaupt Impulse setzen zu dürfen.
Haben medienabhängige Teenies eine Online-Kohorte?
Um notwendige zwischenmenschliche Kontakte aufrecht zu erhalten, verbunden mit der Herausforderung Corona bzw. die dazugehörigen Maßnahmen langfristig unbeschadet zu durchleben, sehen sich pädagogische Arbeitsfelder mit einer dicken Grauzone konfrontiert.
Die aktuelle Kehrseite ist ihre Care-Seite und zeigt sich in dem Dilemma, wie notwendiger zwischenmenschlicher Kontakt in Zeiten der Kontaktlosigkeit umgesetzt werden kann!?
Hier geht es ganz konkret um familiäre Unterstützung, drohende Kindeswohlgefährdung und Begleitung von Menschen in herausfordernden Situationen jedweder Art. So etwas funktioniert nicht über das Telefon oder eine Videokonferenz. Sie bricht die Diskussion der Systemrelevanz neu auf in ein:
systemrelevant für Politik und Wirtschaft einerseits und
gesellschaftsrelevant unter anderem für ein zwischenmenschliches Auffangen von Problemkonstellationen und ein hilfsbereites Miteinander andererseits.
Nach den gestrigen Urlaubsinterviews fiel mir auf, dass im Laufe des letzten Jahres nirgendwo eine übersichtliche Darstellung aller Bereiche, Themen, Fragen, Sorgen, Herausforderungen, Möglichkeiten, Notwendigkeiten, Entwicklungen, Perspektiven, Meinungen und erklärten Maßnahmen usw. erstellt wurde!
Eine Übersicht, die nicht nur probiert alle Ebenen einzufangen, sondern alle Erkenntnisse auch noch so zueinander in Beziehung setzt, dass nicht mehr an jeder Stelle gestritten werden muss, sondern vermeintlich gemeinsam in die Zukunft überlegt werden kann.
Es gibt nicht nur ein exponentielles Wachstum an Gerede, sondern auch an echten Erkenntnissen, Geschriebenem, eigenen Interpretationen und Reportagen. Viele einzelne Stellen bieten zwar die Möglichkeit sich mosaikhaft ein eigenes Bild zu schustern, aber im wahrsten Sinne alles gesammelt auf einer Seite – zum Beispiel auf einer Homepage – habe ich nicht gefunden, dafür aber mal verschiedene Seiten durchprobiert.
Corona.de und .com existierten schon vor CoViD und zeigen beim Aufrufen den vielsagenden Slogan:
You must be of legal drinking age to enter this site.
Prost!
Corona.net und .org werden nicht geladen, bzw. wurden nicht gefunden.
Weitere CoViD-Kombinationen brachten unter anderem eine chinesische Homepage zum Vorschein, die im Sommer letzten Jahres mit dem CNN-Bericht aufwartete:
Russia has registered the world’s first CoViD-19 vaccine
Covid-19.de steht immer noch zum Verkauf und es findet sich auf der Startseite lediglich die Aufforderung ein Maximalangebot und die eigene Emailadresse anzugeben.
Wäre ich Kanzlerin, wäre die Domain schon längst an die ‘Arbeitsgruppe CoViD‘ übergeben worden, die sich damit befasst, Informationen aller Seiten zusammen zu tragen.
Eine Arbeitsgruppe CoVID, die sich keinen neuen Podcast aus den Zahnzwischenräumen drückt, sondern die sammelt, sortiert und einen Überblick verschafft. Die Informationen, Maßnahmen, Ängste, Entwicklungen, Fragen und Lösungen zusammenträgt. Ergebnisoffen.
Ich begleitete einen Klienten zu einem Schultermin. Er empfing mich mit einer Jacke des Fußballclubs FC Chelsea, der aktuell von Thomas Tuchel trainiert wird.
„Sehr schön! Hast du die Jacke wegen Thomas Tuchel wieder rausgekramt?“
„Äh, was ist ein Tomastucher?“
2001 habe ich während des Studiums die Arbeit von Ken Wilber kennengelernt und mich fasziniert sein Ansatz, dass alle Meinungen, Dynamiken, Fakten und Entwicklungen ihre Berechtigung haben und besser angeschaut werden können, wenn sie in einem passenden Gerüst verortet werden können.
An vielen Stellen wird Ken Wilber mit seiner integralen Theorie, sowie den Leitideen „It’s true but partial.“ („Es ist wahr. Teilweise.“) und „Nobody is smart enough tobe wrong all the time.“ („KeineR ist so schlau, sich immer zu irren.“) gerne und oft kritisiert, weil hier weder einzelne Disziplinen in den Mittelpunkt gerückt noch spezielle Standpunkte im Detail angeschaut werden, sondern mit so genannten Orientierungsverallgemeinerungen eine Möglichkeit entworfen wurde, unterschiedliche Phänomene in ein großes Ganzes zu bringen.
Was aber die verschiedenen Perspektiven anbelangen, kann das Schema sehr gut auf Corona runtergebrochen werden und es bietet eine Möglichkeit ein wenig zu sortieren. Der Idee nach gibt es für jedes Thema eine individuelle und eine kollektive, sowie eine innere und eine äußere Perspektive.
Daraus ergeben sich vier Bereiche.
Eine innere individuelle Perspektive
Eine äußere individuelle Perspektive
Eine innere kollektive Perspektive und
Eine äußere kollektive Perspektive
1. In der inneren individuellen Perspektive finden sich die Sorgen und Ängste der einzelnen Menschen. Ihre aufgekommenen Fragen, ihre Sehnsüchte und Wünsche, ihre Hoffnungen und Existenzängste, ihre Wut und ihr Hass.
Psychische Zustände mit möglicher Depression, aber auch neu entwickelter Schaffenskraft. Allgemein geschrieben jede denk- und erlebbare innere Kombination, jeder entwickelte Zustand und der innere Umgang mit der herausfordernden Situation. Je nach eigenem Zustand und PersönlichkeitstypIn. Des Weiteren finden sich hier die unterschiedlichen Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit, einer eigenen Vorbeugung, dem Umgang mit der Schulmedizin und so genannter Alternativmedizin. Dieser Bereich ist die Heimat der individuell interpretierten Sicht auf die Welt und das Empfinden der Welt in sich selbst.
2. In der äußeren individuellen Perspektive finden sich coronaspezifisch die Auswirkungen auf den greifbaren und sichtbaren Körper. Zum Beispiel die Beschreibung des sichtbaren Teils des Virus und sein Angriff auf bzw. sein Andocken an die Körperzelle. Die konkrete Beschreibung des Erregers und die körperlichen Auswirkungen bei einer Infektion. Die Ablagerungen auf der Lunge, die Sauerstoffunterversorgung des Körpers und Dutzendes mehr.
Alles Sicht- und Beobachtbare im und am eigenen Körper.
3. Die innere kollektive Perspektive beschreibt die Werte und Regeln einer Gesellschaft. Die sozialen Umgangsformen und Normen, auf die sich eine Gesellschaft beruft und deren Basis in Extremsituationen mehr denn je auf die Probe gestellt wird. An dieser Stelle kommen unter anderem all die Taxi fahrenden SoziologInnen zu Wort und Schrift, die seit über einem Jahr auf die Rückkehr in die Normalität hoffen. Innerhalb der ‘Arbeitsgruppe CoViD‘ wäre ihre Kompetenz gefragt, um darzustellen, wie Gesellschaften aufgestellt sind, wie sie sich verändern und entwickeln und worauf sie sich in dieser Krise berufen müssen, um an so vielen Stellen wie möglich tragend zu bleiben. Im Virus-Kontext geht es hier nicht in erster Linie um die speziellere Frage nach Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft für die/den EinzelneN, sondern um eine Basis bildende Gesellschaftsidee, die auch in einer Krise Bestand hat. Einige Fragen nach der Ungerechtigkeit entwickeln und zeigen sich im Krisenverlauf von ganz allein. So wie sich im letzten Jahr zum Beispiel gezeigt hat, dass ALG2-BezieherInnen mit bis zu 84% erhöhter Ansteckungsgefahr durchs Leben laufen. Diese Ursachen sind wiederum nicht in ihren Körpern (individuell Außen) oder kausal in ihrem Denken (individuell Innen), sondern in herausfordernden Lebensumständen (kollektiv Innen und kollektiv Außen) zu finden. Darüber hinaus finden sich in diesem Bereich eine Pia Lamberty, mit wichtigen Gedanken zur Intersubjektivtät und zum Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Sichtweisen diverser Einzelpersonen innerhalb einer Gemeinschaft und ein Armin Nassehi nicht aufgrund des identischen Vornamens und der sympathischen Frisur, sondern um der Frage nachzugehen, wo Gesellschaften gefordert und überfordert sind und welche Maßnahmen ergriffen werden könnten, um Gesellschaften nicht kippen zu lassen.
4. Die äußere kollektive Perspektive behandelt die harte Sozialarchitektur und ihre in der Pandemie herausgeforderten Institutionen. Es kann hier unter anderem aktuell um die Schaffung von Impfzentren gehen, generell um den Status von Schule, sowie im Einzelnen um die Finanzierung und Unterstützungsleistungen mit unterschiedlichen Maßstäben oder um den konkreten Abstand zwischen Tischen in der Gastronomie…und ebenfalls Dutzendes mehr.
Das Schwierige in diesem Bereich: Er wurde entworfen und wird regelmäßig angepasst von einer Gruppe aus Individuen, die wiederum ihre eigene Interpretation der Pandemie in sich tragen und nach ihrem Gutdünken die Maßnahmen aufstellen, aufgrund derer die harte Sozialarchitektur aktuell so aussieht wie sie aussieht.
Ein bekanntes Negativbeispiel für den kollektiven Sozialgesellschafts-Bereich zeigt sich in der zweiten Hälfte des Artikels 38 des Grundgesetzes.
In dem heißt es so passend:
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Hier können ganz schnell Maskendeals eigenlegitimiert werden.
Amüsant wird es, wenn Dinge miteinander vermischt werden.
Der Satz „Es ist nicht mein Geschmack, aber ist wahrscheinlich sehr lecker!“ verwechselt gut erkennbar Wahres und Schönes. Geschmack kann niemals eine objektive Größe sein. Daher kann auch nicht über Geschmack gestritten, sich wohl aber über ihn gewundert werden.
Andererseits verändert sich Wahrheit nicht aufgrund einer differenten Sichtweise oder Interpretation. Aber die Wahrheit herauszufinden wird schwieriger, wenn das neue Phänomen oder die neue Situation neue Methoden der Erkenntnisgewinnung bedürfen und sich die Erkenntnis erst im Laufe der Zeit bzw. im Laufe des Herumexperimentierens entwickelt.
Bei der Sammlung aller Fakten und auch aller Meinungen kommt es nicht darauf an unbedacht eine false balance zu kreieren, eine vermeintlich objektive Gleichstellung aller existierenden Argumente und Sichtweisen, sondern um ihrer Gefahr habhaft zu werden. Um die argumentativen Dimensionen umreißen zu können und um die Dimensionen in einen angemessenen Kontext zu setzen. Einer falschen Ausgewogenheit zu begegnen, noch bevor sie sich in der Diskussion verselbstständigt hat. Für DiskussionsleiterInnen sehe ich diese Aufgabe als wichtig und notwendig, um nicht in offene Messer oder offene Spritzen zu rennen.
Zwischen Fakt und Meinung liegt eine himmelschmale Interpretation und der Deichkind-Klassiker findet hier seine berechtigte Anwendung:
„Ich glaub‘ ab jetzt nur das was stimmt!“
Produktidee: ein Corona-Kartenquartett!
Notbremse sticht Brückenlockdown um 1,17 Milliarden Kurzzeit-Euros
KrankenpflegerIn schlägt Politik um 10 Engagement-Längen
Joker: Doppelt geimpft, 25 Jahre, männlich, keine Vorerkrankungen, sportlich topfit und in der Wirtschaft angestellt…oder schon Beamter!
Zwei weitere Größen können und sollten noch in die Bereiche oder Quadranten (so werden sie von Wilber bezeichnet) eingebaut werden. Zum einen sind es die Fragen der jeweiligen Bereiche und zum anderen die gegenseitige Beeinflussung. Je drei bis fünf exemplarische Fragen von ebenfalls Hunderten könnten Folgende sein:
Innen-individuell:
Habe ich genügend Widerstandskräfte, um die lebenseinschneidende Pandemie weiterhin so unbeschadet wie möglich durchzustehen?
Weiß ich an welchen Stellen es für mich kritisch werden kann (finanziell, psychisch, sozial) und was ich eventuell dagegen unternehmen kann?
Besitze ich immer noch einen Glauben daran, ‘dass schon alles irgendwie wieder gut werden wird!‘?
Was bringt meinen Alltag wieder nach vorne?
Wo verschaffe ich mir einen Ausgleich oder hole mir Unterstützung, wenn ich in eine destruktive Phase rutsche?
Außen-individuell:
Was sind die Unterschiede zwischen mRNA-Impfstoff und Totimpfstoff und gibt es (Neben-)Wirksamkeiten?
Was ist über den Erreger und das, was gegebenenfalls mit meinem Körper passieren kann bekannt?
Kenne ich meinen Körper mit seinen Vorerkrankungen, seinen Fähigkeiten und seinen Grenzen? (Mit dieser Frage verbinden sich Gedanken und Interpretationen von dem sichtbaren Körper und der eigenen Interpretation des Wissens um ihn)
Innen-kollektiv:
Wie verständige ich mich mit meinen FreundInnen und wie gehen wir miteinander um? (Vor allem wenn wir unterschiedlicher Lockdown-, Pandemie- oder Umgangsmeinungen sind?)
Welche unhinterfragten zwischenmenschlichen Selbstverständlichkeiten werden auf die Probe gestellt und müssen neu angesehen werden?
Wie sieht die allgemeine Gesprächs- und Diskussionskultur (in meinem FreundInnenkreis aus?)
Außen-kollektiv:
Inwiefern hat sich mein Arbeitsalltag durch Kurzarbeit oder Homeoffice verändert?
Habe ich die Möglichkeit betriebs-relevante Konzepte zu entwickeln, die zumindest durchgelesen werden?
Welche Betriebe, Verbände und Institutionen stellen sich neu auf und strukturieren sich um?
An welchen Stellen sind die Maßnahmen praktisch (nicht) umsetzbar?
Welche Bürokratie bringt uns zu einer Orientierung und wieviel Bürokratie zu einem Überdruss?
Die jeweiligen bereichsübergreifenden Beeinflussungen ergeben sich aus der einfachen Logik, dass kein Bereich für sich allein stehen kann. So wie ich nicht nur ein physisches, sondern auch ein psychisches Lebewesen bin, existiere ich nicht allein, sondern in einer Gesellschaft, mit der ich mich in verschiedenen Lebensräumen bewege.
Früher mehr als momentan, aber genau dieser Punkt ist der aktuell heiß diskutierte. Nicht zuletzt durch die manchmal verständlichen und manchmal unverständlichen räumlichen Einschränkungen, die nicht alle Menschen mitgehen wollen.
Ein wunderbares Dilemma ist die Tatsache der Interpretationen gegebener Zustände. All das Erleb-, Greif-, Spür- und Sichtbare wird von einer Person interpretiert und bildet auf Grundlage ihres aktuellen Zustandes die persönliche Meinung und Haltung zu bestimmten Themenbereichen.
Somit befinden sich im individuellen inneren Bereich eben nicht nur MitarbeiterInnen des Robert Koch Instituts, sondern auch ein Sucharit Bhakdi, deren Interpretationen der Corona-Impfung unterschiedlicher nicht sein können und dementsprechend auch ihre Ausführungen bezüglich der körperlichen Auswirkungen (außen individuell) sehr voneinander abweichen. Hier wird es darauf ankommen zu differenzieren wessen Aussagen faktenbasiert sind und wessen Aussagen auf ein (eigens) formuliertes Ziel gerichtet sind, woraufhin Interpretationen von den Fakten abweichen können.
In dieser Flut von Informationen, Dynamiken und Besonderheiten fallen die einzelnen Meinungen nicht immer kongruent zueinander aus einem Menschen heraus, aber wer ist schon für sich und mit den eigenen Worten immer rund in allen Aussagen?
Einflüsse gehen von allen anderen Bereichen in die individuelle innere Perspektive und werden von dort als Interpretation wieder zurück in die Gesellschaft oder in Teile der Gesellschaft getragen. Ein entfesselnd schwieriges Wechselspiel.
Die Möglichkeit, die solch eine differenzierende Übersicht schafft, ist eine Verortung von Entwicklungen, Problemen, Einstellungen und Fragen.
Die Gefahr, die solch eine Pandemie mit sich bringt, ist ihre überdimensionale Omnipräsenz, weil die umgesetzten Konsequenzen der Maßnahmen immer mitgedacht werden müssen.
Andererseits stelle ich schon an Tag 6 des Tagebuches fest, ist dieses ständige Mitdenken für den eigenen Alltag sehr nervig und gefährlich. Oder anders:
Selbstvergessenheit erlebe ich aktuell bei den wenigsten Menschen. Dabei sollte doch gerade Selbstvergessenheit ein Merkmal von erlebter Sicherheit sein. Das was vorher neu und besonders war, ist nun Alltag oder wurde in den Alltag eingeflochten und wird eine neue Selbstverständlichkeit. Erst einmal unabhängig davon, ob die Pandemie nun herbeigeimpft ist, schulmedizinisch panisch gemacht, wirtschaftlich oder gesellschaftlich geplant, aufgrund von falschen Kenntnissen missinterpretiert oder einfach ein vermülltes Virus, das doch mehr zerstören kann, als es sich viele eingestehen oder sehen wollen.
Konkret muss es unter anderem darum gehen, bewusst zu behalten, welche prosozialen Aspekte des eigenen Lebens durch die Maßnahmen weggefallen sind, um sie in Erinnerung zu behalten, damit sie zurückgeholt werden können.
An dieser Stelle hat auch das egoistische
Was bringt meinen Alltag wieder nach vorne, zurück zum Altnormalen? den größeren Wert als die gesellschaftliche Komponente.
Funktioniert politisch diplomatischer Redefluss auch inmitten einer Schockstarre? Als Rehkitz vor dem das Virus den Scheinwerfer angestellt hat?
Ein klares Jain.
Neben der Schockstarre gibt es weitere altbekannte Binsenfragen, die sich immer stärker in den Scheinwerfer drängen:
Wann ist staatlicher Schutz Sicherheit und wann Eingriff in die Privatsphäre?
Wie erhalte ich innere Entspannung in einer angespannten Dauerschleife?
Und darf über Corona gelacht werden, angesichts der in alle Lebensbereiche greifenden Umstände?
Binsenantwort Teil 1:
Natürlich nicht! Also ja…um sich die Umstände erträglicher zu denken.
Ansonsten ist die dritte Welle sehr stark und die britische Mutation fast so ansteckend, wie das Grundgefühl der britischen Fußballfans vor 15 Jahren bei der WM 2006. Die haben sich so gut gelaunt breit gemacht, dass die deutschen Fans gar nicht mehr mit ihrem Vorurteil hinterherkamen, sondern beide Parteien festgestellt haben:
‘We have ja so much in common. Lasst uns was trinken gehen!‘
Darüber hinaus sind die Prognosen vom RKI sehr besorgniserregend. Bis ein ausreichender Impfschutz besteht, muss gerade dafür gesorgt werden, dass das Gesundheitssystem nicht an seine Belastungsgrenze stößt.
Dafür, dass vor knapp einem Jahr alle aufgeregt Richtung 50er-Inzidenz geblickt haben, finde ich die aktuelle 10er-Inzidenz recht entspannt. Oder es ist ein neuer Nachvornedenk-Fatalismus, den mir netterweise jetzt schon die morgige Impfung verschafft hat. Ob die Überlegung wichtig werden wird, inwiefern verschärfte Begrenzungen oder Notbremsen auch Geimpfte betreffen, wenn bestimmte Inzidenzwerte überschritten werden, kann noch nicht gesagt werden. Es werden aber aktuell sehr wirksame Maßnahmen gegen die dritte Welle propagiert:
Selbst- und Schnelltests!!
Da Moderna schon im Vorfeld mein Phlegma ein wenig aufgelöst zu haben scheint, habe ich eine weitere Idee bekommen, einer dritten Welle entgegenzuwirken:
Die zweite Welle einfach verlängern!!
Solange die zweite Welle anwesend ist, kann die dritte Welle auch nicht kommen!!!
Gern geschehen!
Sollte sich aber Ende Mai herausstellen, dass es nicht geklappt hat irgendetwas einzudämmen, nimmt sich die Ministerpräsidentenkonferenz heraus, regulatorische Vorgaben einzuleiten. Und an der Stelle kommt erneut die Frage, ob Geimpfte dann auch von den regulatorischen Maßnahmen betroffen sein werden?
Der Satz Im Nachhinein ist alles einfach findet seine aktuelle Herausforderung und Kunst darin, eben nicht erst im Nachhinein gesagt zu werden, sondern im Mittendrin einen Fahrplan zu entwickeln, damit ein lebenspraktischer Prozess ins Nachhinein gelingt.
Hamburg dies, Hamburg das, Hamburg Impftermin
Nicht son Wischi Waschi, sondern Echt-Vaccine
Willkommen: Impf-Team.
Nicht zu verwechseln mit der Gruppe von Menschen, die ihre Geringschätzung gegenüber anderen Menschen ausdrücken, indem sie stoßweise Luft zwischen die Zähne pusten.
Die sagen dann nämlich:
‘Willkommen im Pf-Team.‘
Seit Samstag bin ich aus Gründen im Team Moderna!
Eine Freundin war am Freitag im Impfzentrum in den Hamburger Messehallen, warnte mich vor den langen Wegen und freute sich im Nachhinein über ihren Arzt.
Um das Gewebe zu schonen, hat er ihren Pfizer-Biontech-Cocktail sehr langsam injiziert. Dieser Logik folgend hat mir mein Arzt gerade das komplette Oberarm-Schulter-Gewebe auseinandergestochen.
Andererseits ging es auch so schnell, dass mein Oberarm gar nicht mitbekommen hat, geimpft worden zu sein. Eine Stichstellen-Rückmeldung steht noch aus.
Aus Sentimentalitätsgründen habe ich die Maske fast den ganzen Fahrradrückweg auf der Nase gelassen. Es gibt einen Teil in mir, der Anlass-unabhängig wehmütig in die Vergangenheit guckt, einfach weil sie vorbei ist. Eine Ausnahmesituation – oder zumindest einen Teil – so einfach abzuschließen, ist trotz aller neuen Vorfreude gar nicht so einfach wie gedacht! Was sich nun verändert oder ob sich etwas verändert, wird sich zeigen, aber der Geist des Ich mache keine Pläne für die Zukunft hat sich in den vergangenen 13 Monaten zu breit gemacht hat, als dass er jetzt mit einer kleinen Spritze zur Seite gestochen werden könnte.
„Ich prangere das an!“
Früher konnte dieser Satz auf jeder Party in die Wohnung geworfen werden und schon traf sich, wer zusammengehören wollte.
Ein Freund hat vor 10 oder 15 Jahren seine Magisterarbeit mit dem Titel Helge Schneider und das Genre Kino geschrieben.
Nach mehreren Dokumentationen und Spielfilmproduktionen, die ihn durch ganz Deutschland und die halbe Welt jetten ließen, war sein persönliches Highlight im Rahmen der Arte-Sendung Tracks Helge Schneider zum Thema Kreativität zu interviewen und er war nach eigener Auskunft so aufgeregt, wie zur Abiprüfung.
So fangen dankbare Geschichten an.
Eine erste kurze Sequenz bekam ich vorab geschickt und fand danach noch auf YouTube einen Besuch von Helge Schneider bei TV Total mit einer wunderbaren Szene.
Stefan Raab:
„Warum hast du das Saxophon mitgebracht?“
Helge Schneider:
„Ich wollte ein bisschen Musik machen. Ich dachte Musik im Fernsehen gibt’s ganz selten, seitdem die Musik im Fernsehen nicht mehr so ist, sondern mehr im Radio.“
Das lenkt von den neusten Astra-Informationen ab, bezüglich möglicher Hirnvenenthrombosen und Lungenembolien bei Unter-60-Jährigen. Daran schließt sich aber die Überlegung an:
Was macht denn Moderna eigentlich mit Unter-50-Jährigen?
Mein persönlicher Grund mich impfen zu lassen, fußte auf der Grundlage naiven Vertrauens. Da ich kein Mediziner bin und mich auch nicht so umfassend mit mRNA auseinandergesetzt habe, wie mit meinen beruflichen Inhalten, adaptierte ich die mechanische Kompetenzhierarchie.
Die lässt mich nämlich vertrauensvoll in ein Auto steigen, weil die MechanikerInnen das wohl schon vernünftig zusammengebaut haben.
Eine medizinische Kompetenzhierarchie formuliert dann den Gedanken: die MedizinerInnen werden das wohl schon vernünftig entwickelt haben. Darüber hinaus habe ich die Hoffnung schnelle Diskussionsruhe zu bekommen und einen großen Schritt in Richtung eines freien eigenen Alltags zu machen. Auch wenn einige FreundInnen ihre Hände über den Kopf zusammenschlagen, weil die mRNA-Technologie auch gut als Gentherapeutikum durchgewunken werden kann. Mein Vertrauen geht ebenso in Richtung meines Körpers, der das schon irgendwie gut verarbeiten wird. Zumal es auch gefühlt meine erste Impfung war und ich mir nach 30 Jahren erstmal einen neuen Impfpass besorgen musste.
Tetanus hatte ich bislang nie mit einer Impfung in Verbindung gebracht.
Ich dachte, das ist französisch und heißt Arschgesicht.
Heute hab ich schon wieder das Joggen verpasst.
Durch die Zeitumstellung war es um 6:00 Uhr noch zu dunkel und um 7:00 Uhr zu spät.
Was mich seit einiger Zeit sehr nervt, ist die direkte und mittlerweile sehr enge Verbindung des Wortes Querdenker mit Menschen, die gegen die Maßnahmen oder Corona an sich oder die Regierung an sich demonstrieren. Die Bezeichnung verkommt zu einem Namen, der wie eine indirekte Beleidigung für alle quer denkenden Menschen klingen muss, die um des eigenen Impulses und der eigenen Entwicklung Willen quer und neu denken, assoziieren und kreieren und nicht für die mediale Aufmerksamkeit oder für Spendengelder. Natürlich gibt es auch die Querfrontstrategie, als antidemokratische Idee ideologische Inhalte von Rechts und Links gekonnt zu verbinden, aber querdenken war bei mir vormals ein positiv konnotierter Begriff und wird jetzt negativ zusammengeschmolzen. Darüber hinaus sind die Demonstrationsmassen so heterogene Gruppen und abseits der verstrahlten QAnon- und Reptiloid-AnhängerInnen, finden sich mehrere Gruppen. Menschen, die schlichtweg und aus guten Gründen mit den Maßnahmen und der Kommunikation nicht einverstanden sind, Dritte Weg-Sympathisierende, denen es wenig bis gar nicht um Corona, sondern vielmehr um ihren Tag X geht, HeilpraktikerInnen, deren Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit nicht von einem Virus gezogen wird, Eltern, die sich voll und ganz zurecht um ihre Kinder sorgen und so weiter und so fort.
Der Fokus liegt gerade verständlicherweise bei den lauten und aggressiven Menschen dieser Massen, aber wie kann eine so diverse Gruppe auf eine Bezeichnung reduziert werden, die als despektierliche Beschreibung aller Menschen fungiert, die nicht mitmachen (wollen)?
Eine richtige Diskussion mit offenem Austausch und offenem Abwägen fand entweder nicht statt oder ging schnurstracks an mir vorbei. Eine Diskussion, die allein durch ihren offenen und annehmenden Prozess Menschen mit Zweifeln, Ängsten und einem nunmehr sehr viel leerer gewordenen Leben hätte auffangen können. Schattenfamilien können ein Lied davon singen.
In der neusten NDR-Talkshow umriss Richie Precht noch einmal sein Erstaunen, ob der schnellen Handlungsfähig- und -willigkeit der Regierung, als es darum ging einen gesellschaftlichen Lockdown vom Zaun zu brechen.
Die Fragen Wie soll das denn funktionieren? und Kostet das nicht Unmengen? und Wie soll das alltägliche Leben denn ablaufen? wurden gar nicht gestellt, weil der Viruslogik nach gehandelt werden musste und nicht diskutiert werden konnte.
Das Erstaunen war seitens Precht deswegen so groß, weil eigentlich auch schon längst im Sinne des Klimas gehandelt werden müsste.
Ist also der Klimawandel den politisch verantwortlichen Menschen nun sehr egal oder nur egal?
Schule fällt heute aus, wegen die Lehrer krank sind.
Vor zehn Jahren haben mein damaliger Kollege und ich unseren Schülern einen Zettel mit obigem Hinweis an die Schulpavillontür geklebt. Danach versteckten wir uns im Nebenpavillon, um ihre Ankunft und die Reaktionen zu beobachten. Ein Schüler drehte sich direkt wieder um und wollte nach Hause gehen. Ein anderer Schüler funktionierte seinen Schulranzen zu einem Kopfkissen um und legte sich zum Schlafen vor den Pavilloneingang.
Auf unsere Frage, wieso er da so gemütlich liegt, bekamen wir die Antwort:
„Hier zu schlafen, ist immer noch besser, als nach Hause zu gehen.“
In Gedenken an vergangene Zeiten und um sich in der aktuell unterirdischen Schulsituation den Spaß zu erhalten, wiederholte mein Kollege die Aktion mit seiner jetzigen Klasse und hat sich gleich dreifach gefreut.
Erstmal über die Erinnerung, dann über die Reaktionen der SchülerInnen und drittens über die Reaktionen der mitgekommenen Eltern.
So geht gute Kommunikation.
Auf der anderen Seite des Atlantiks hat sich ebenfalls eine (Vor)-Schulsituation abgespielt, deren Hauptrolle keine Lehrkräfte bekleideten, sondern die Polizei.
Ein fünfjähriger Recke hatte weniger Lust, als er zum Sitzenbleiben benötigte und er entfernte sich vom Unterricht. Die alarmierte Polizei sammelte den Ausreißer nicht nur wieder ein, sondern ließ die gesamte Szenerie eskalieren, da die beiden PolizistInnen zum Leidwesen des jungen Beteiligten die Situation absolut nicht einzuschätzen wussten. Manchmal müssen sich Menschen ihre Souveränität erstmal erschreien. Und das haben sie wahrlich getan. Aus den beiden wirkte eine zerstörerische Mischung aus eklatanter Geringschätzung, verbaler Drohung und Gewalt, verbunden mit einem die aktuelle Sicherheit ignorierenden Verhalten. Das alles noch unterfüttert von einem Blick – an der Kamera vorbei ins Leere, der sagt:
‘Bitte nehmt mir meinen Job weg oder holt mich aus der Situation raus, denn ich bin heillos überfordert.‘
All das, während die Polizistin dem fünfjährigen Geschockten zurief:
„Ich hoffe, deine Mutter verprügelt dich zu Hause!“
Die Folgen des Geschreis sehen so aus, dass der fünfjährige Schulausreißer ein schweres Trauma erlitten hat, jetzt nicht mehr schlafen kann, Angst vor der Polizei hat und in therapeutischer Behandlung ist.
Wenn deutsche Schulbehörden noch eine Referenz benötigen, um zu veranschaulichen, dass es hierzulande doch gar nicht so schlimm ist:
Et Voilà!
Oder um es mit Bud Spencer zu sagen:
„Ät Viola!!“
Der intersubjektive Raum ist eine Fledermaus
Früher war der intersubjektive Raum von FreundInnen besetzt, die gemeinsam Eis essen oder sich woauchimmer treffen. Das war einmal und ich merke:
Ich brauche wieder etwas Banales! Etwas Einfaches zum Befassen. Ein Eis, das aus der Waffel fällt oder ein platter Fahrradreifen. Oder eine matschige Hose nach einem Spaziergang. Wenigstens einmal eine Pause von der fortwährenden, dumpfen Anspannung, weil Obacht geboten ist. Pause von sozialer Aufmerksamkeit, die die eigene Achtsamkeit beschlagnahmt hat und meine Antennen jetzt mehr denn je im Außen verharren lässt, um bloß nichts Beachtenswertes zu verpassen.
Da fällt mir noch eine Situation ein.
Inmitten dieses Virusschwitzkastens und des ersten Lockdowns machte ich im letzten Frühjahr den Fehler, das Buch Die unbewohnbare Erde von David Wallace-Wells zu lesen. Dessen Informationsdichte hallte stark nach und ich bin unter anderem mit folgenden Gedanken durch die Kleingärten gegangen:
Wie lange sind wir noch unter Hausarrest?
Was passiert danach?
Wie viel Tote verlangt das Virus den Menschen ab?
Erleben wir nur im Kleinen oder auch im allgemein Alltäglichen danach eine Prioritätenneuordnung?
Ach ja, und was zur Hölle erbt eigentlich die nächste Generation für eine Erde?
Als ich am Ende um eine Ecke bog, traf ich einen Nachbarn an seiner Altpapiertonne, begrüßte ihn und bekam als Antwort ein verstimmtes:
„PAPPE GEHÖRT NICHT IN DIE BLAUE TONNE!“.
Präferenzen gibt es hier und dort anders.
Ansonsten verwischen sich die Tage von selbst, verschwimmen miteinander und schon steht Ostern vor der Tür, ohne dass ein konkret erlebtes Jahr zwischen den beiden Osterwochenenden lag.
Ein früherer Schüler fragte einmal erstaunt und entrüstet über Ostern:
„Wieso feiert man einen Toten in einem Ei??!!“
‘Bar oder Karte?‘
‘Ich dachte Bar oder Kneipe?!‘
In der Bahn traf ich einen ehemaligen Arbeitskollegen, der sich sehr seiner Bürozeiten erfreut, da sie für ihn segensreicher Freizeitausgleich vom Homeoffice sind. Auch bei ihm verwischen sich zu Hause Arbeit, Familie, Freizeit, Qualitätszeit für sich, seine Frau, den Kindern und eine generelle Orientierung im Raum, weil die für die jeweiligen Aktionen angedachten Orte und Zeiten neu gefunden werden mussten. Die Möglichkeit der Neusortierung kam erst nach der eigenen Schockstarre, aber findet im eigenen sozialen Miteinander und dem persönlichen Alltag wenig Verankerung. Erst recht nicht, wenn sich ein soziales Wesen aktuell nur dann sozial verhält, indem es sich unsozial verhält, bzw. wenn das gemeinsame Miteinander runtergefahren wird. Dieser Widerspruch lässt jedes Spiegelneuron vor Lachen vom Stuhl fallen.
Es gibt mehrere Gründe, weswegen ich mich nicht nur von Menschen, sondern auch von einigen Dingen fernhalte. Entweder habe ich es schon oft und lang genug gemacht und bin mit dem Thema durch oder eine Sache ist fernab meiner Lebensrealität.
Oder aber ich traue mir bestimmte Aufgaben nicht zu.
Der Job des Krankenpflegers gehört in die dritte Abteilung. Daher haben alle Kranken- und AltenpflegerInnen nicht nur aus Gründen der gesellschaftlichen Relevanz, sondern auch aufgrund ihrer Arbeitsinhalte und der arbeitsunfreundlichen Struktur, derer zum Trotz sie immer weiter machen, meinen allergrößten Respekt. Eine so immens wichtige Arbeit, über die ich hocherfreut bin, wenn sie gemacht wird, denn ich bin dazu nicht in der Lage.
Ein Arzt aus unserer ehemaligen oder kurz pausierenden oder hoffentlich bald wieder startenden Pokerrunde hatte sich schon im April 2020 einen 52-Wochen-Plan erstellt und steckte damals in der Überlegung aus Sicherheitsgründen seine Familie auszuquartieren, da er die
Dimensionen, die Corona für ihn mit sich bringt bevorfürchtete.
Die vorahnende Dauer und die dahintersteckende tagtägliche Anstrengung, lassen mich das Geklatsche auf den Balkonen im Nachhinein sehr lächerlich und demütigend erscheinen. Nach zwei Wochen mussten sich viele KlatscherInnen selbst ermuntern, indem sie übertrieben jubelten und eine Klatschparty aus den wohlgemerkt immer nur 20 bis 40 Sekunden machten. Nach diesen zwei Wochen setzte so langsam die Erkenntnis ein, dass die Pandemie mehr ist als eine Phase, die kurz aus Wuhan oder nach neusten Ideen aus Italien rüberschwappte, sondern eine ernster zu nehmende Geschichte. Ich habe nie mitgeklatscht, weil ich mir aufgekommene Fragen nur unzureichend hätte beantworten können.
Was will ich mit dem Klatschen erreichen?
Wen will ich mit dem Klatschen erreichen?
Hält meine Anteilnahme wirklich nur 40 Sekunden täglich?
Klatsche ich, um mein Gewissen zu erleichtern?
Stelle ich mich auf den Balkon, um klatschend von anderen gesehen zu werden?
Kann ich meine Dankbarkeit wirklich nur über Handschläge zeigen?
Klatschen die Balkonmenschen nun für ÄrztInnen und PflegerInnen oder auch für PaketbotInnen und SupermarktkassiererInnen?
Was ist mit ApothekerInnen, Alleinerziehenden beim Homeschooling und allen anderen, die am Anschlag gehen?
Die notwendige Anerkennung übersteigt jedes Balkonklatschen, jedes
Wort und jede Bebauchpinselung à la ‘Ihr seid wichtig, danke und gut, dass wir euch haben.‘.
Ohne strukturelle Veränderung steckt dahinter lediglich ein ‘So und jetzt stört hier nicht rum, sondern macht weiter. Es wartet Arbeit auf euch.‘.
‘Ich steh auf Lady Gaga!‘
‘Ich steh auf, wenn der Wecker klingelt!‘
Während eines Spaziergangs bedankte sich ein Mann wegen meines Seitenwechsels, als ich ihm entgegenkam. Das gab es lange nicht mehr. Im Frühling letzten Jahres war ich sehr von der zwischenmenschlichen Achtsamkeit angetan. Bei Spaziergängen wurde vielerorts mit einem freundlichen Lächeln aufeinander geachtet und der empfohlene Abstand gerne eingehalten. Regenbogenbilder fanden sich in vielen Fenstern und zeigten Solidarität. Eine bunt bemalte interaktive Steinschlange im Park wurde von Woche zu Woche immer länger und zeigte durch die Bilder, die vielen Fragen und Worte, die sich auf den Steinen fanden, welche Sorgen und Wünsche Menschen aus der Nachbarschaft mit sich durch die Zeit trugen.
Irgendwann meldete sich der Anspannungs-Entspannungs-Klassiker und kombinierte sich mit der erschöpften Hoffnung, bald in einen neuen Zustand wechseln zu dürfen. Denn andauernd mit hochaufmerksamen Antennen in demselben Status der Anspannung umherzulaufen, zerrt an der Grundstimmung.
Daher kann ich jedes
‘Halt die Fresse!‘
in Richtung Corona verstehen, und auch irgendwie jedes
‘Wollt ihr uns verarschen? Hört auf neue Worte für einen Lockdown, den es seit April/Mai 2020 nie wieder gab, zu finden, sondern findet neue Lösungen. Irgendwann wird notwendiger demokratischer Austausch zu lähmendem Gelaber. Inkompetente FöderalistInnen!‘
nachvollziehen.
Ich habe gehört, wir sollen uns jetzt zur Begrüßung in die Armbeuge husten.
Am 6. Mai 2020 habe ich mit einem jugendlichen Klienten eine Zeitkapsel an der Bille (einem Fluss in Hamburg) vergraben. Seine Idee war es, die Zeitkapsel entweder selbst nach einiger Zeit wieder auszubuddeln oder den markierten Standort fürs Geocaching freizugeben. Nun haben wir uns also wieder an die Stelle begeben und ich stellte erschreckend fest, dass Ereignis bezogene Witze eine sehr sehr kurze Halbwertszeit besitzen.
Auf einem der beiden Zettel stand Folgendes:
Die Quarantäne hat mich bislang 600 Euro gekostet. Ich habe beim Online-Kniffeln meinen Computer kaputtgeschüttelt.
Singt Mick Jagger auf dem
One World: together at home
-Konzert eigentlich: ‘I can’t get no disinfection!‘?
Laufen infizierte Hunde auf allen Viren durch die Wohnung?
Wenn ein Metalfan Corona hat, bangt er dann
auch noch
oder eher
immer noch
oder
doppelt
um sein Leben?
Trockenübungen beim Schwimmen.
Aufpassen beim Delfinschwimmen. Nicht, dass sie sich die Stirn stoßen.
Alle ItalienerInnen schreien überall:
WAS, GRIPPE?!?
Alle Kinder schreien auf dem Spielplatz:
GRASWIPPE!!
Damals fanden wir es lustig, weil es neu war, aber mittlerweile kommen mir viele Coronawitze so unlustig und überholt vor, da die Pandemie einschneidender ist als noch im letzten Mai gedacht. Sei sie nun herbeigetestet, wie Bernd Höcke behauptet oder gar eingebildet.
Solche Neuassoziationen – und nichts anderes sind Witze – sind allerdings stimmungserhaltend und für einen besonderen Alltag wichtig, aber verpuffen aufgrund der Dynamik der gesamten CoViD-Entwicklung recht schnell.
„Aber bitte keinen Alkohol davon kaufen.“
Ich glaube Jeff Bezos hat sein Guthaben verdoppelt. Das haben auch wohnungslose oder -suchende Menschen. Aus Nichts wurde Doppelnichts und durch das heruntergefahrene gesellschaftliche Treiben, reduzieren sich ihre Möglichkeiten, um Essens- oder Geldspenden für eben Essen oder wärmenden und ablenkenden Cognac zu bitten. Ich bin selbst seit Monaten ohne Münzgeld unterwegs und bin eher unbewusst als aktiv gewollt zu einem Kartenzahler geworden. Eigentlich freue ich mich darüber, meine Bankkarte so wenig wie möglich zu nutzen, sammle das Jahr über Münzen, und tausche sie Ende des Jahres gegen ein Ticket des Eurosonic-Noorderslag-Festivals in Groningen. Plus Busfahrkarte. So kann ich nicht nur die umfunktionierten Kaffeebecher von Sascha, Ludmilla und Frederik aus der U-Bahn füttern, sondern auch noch Mitte Januar den Festivalsommer einleiten.
Das oben angestellte Zitat kommt von einer zirka 70-jährigen Frau, die einem Mann in der U-Bahn einen 10-Euro-Schein mit den Worten zusteckte:
„Ich weiß, das ist gerade eine schlimme Zeit für (Sie) alle und Sie machen mir einen sympathischen und verlorenen Eindruck, darum möchte ich Ihnen gerne etwas geben. Aber bitte keinen Alkohol davon kaufen, sonst wäre mein Vorurteil bestätigt und das wäre schade!“
Der Satz Das will ich gar nicht wissen! ist in vielen Zusammenhängen nicht nur eine Bankrotterklärung, sondern gleichzeitig eine Arroganz, wenn bestimmte Themen aufgrund einer Bedeutungslosigkeit für das eigene Leben zur Seite geschoben werden dürfen, ohne dass irgendwelche Konsequenzen zu befürchten sind.
Dennoch stelle ich auch bei mir manchmal zum Selbstschutz fest:
Ich will gar nicht wissen, wie vielen Menschen es nun durch die Pandemie und ihre Begleiterscheinungen um ein Vielfaches schlechter geht (als mir).
Ich habe eine Initiativbewerbung ans Theater geschickt.
Mein Angebot:
Ich entwerfe Szenarien für zehn Arien.
In Großbritannien ist Herdenimmunität in dieser Woche ein großes Thema. Außerdem gibt es viele Öffnungen im Einzelhandel, bei Fitnessclubs, in der Gastronomie und FriseurInnen. In der britischen Herde steckt aber auch lediglich eine 30er Inzidenz. Sehr entspannt im Vergleich zu Deutschlands 136er Inzidenz.
Aber apropos Herde:
Was ist eigentlich mit all den Tieren, die im Rudel unterwegs sind?
Oder andersrum. Der Unterschied zwischen einer Herde und einem Rudel ist die ausgeprägtere Rangordnung des Rudels.
Eine Herde ist ein Individuen aushebelnder Sozialklumpen und ein Rudel hat ein Leithammel-Organigramm.
Allerdings ist noch nicht geklärt, ob sich der Herden (-immunitäts-) gedanke überhaupt mit einer vorgegebenen Impfreihenfolge und
Impferlaubnis deckt. Während der Herdendiskussion haben Aerosol-ForscherInnen die allerneuste Erkenntnis, dass sich Menschen ausschließlich in Innenräumen, nicht jedoch draußen anstecken, direkt in einem Brief Richtung Berlin geschickt. Ob auf Grundlage dieses Briefes die Kontaktbeschränkungen verändert werden und nur dort greifen, wo sowieso keineR kontrollieren kann – nämlich in Innenräumen – sind spannende Stolpersteine für die nächsten Wochen und
Monate.
Die Impfreihenfolge hatte mich in den letzten Wochen ein wenig begleitet, daher war mein Erstgedanke bezüglich der Impfungen angebotshierarchischer Natur.
Ich erfreue mich oft an den Logiken anderer Menschen und brauche dann eine Mischung aus Aufklärung, warum diese Logik so ist wie sie ist und einem kleinen Zeitraum zwischen Kenntnisnahme der Logik und ihrer Erklärung. Denn solange ich die Hintergründe noch nicht kenne, bleibt mehr zum Wundern und Amüsieren.
Bezogen auf die Impfreihenfolge stach mir besonders ins Auge, dass sich in der Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 Personen mit Trisomie 21 und Personen mit einer Demenz in der Impfanspruchsabteilung mit hoher Priorität befinden und sich Personen mit Asthma bronchiale erst in der darunter liegenden erhöhten Prioritätengruppe wiederfinden.
Zuerst können AsthmatikerInnen ihr Spray nicht benutzen, weil sie die Maske vor dem Mund tragen und dann müssen sie auch noch darauf warten, bis diejenigen Menschen weggeimpft sind, die andauernd ihre Termine vergessen.
‘Ich such Toilettenpapier und dann bräuchte ich noch des Infektionsspray da hinten!‘
‘Kein Problem! Welches hätten sie denn gerne?‘