Defying Gravity - Anna Augustin - E-Book

Defying Gravity E-Book

Anna Augustin

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Beschreibung

Eine zweite Chance für die erste Liebe Die Informatikerin Maggie braucht dringend einen Job, um sich eine Pflegekraft für ihren demenzkranken Großvater leisten zu können. Als sie von der NASA zur Bewerbungsrunde eingeladen wird, glaubt sie, endlich am Ziel zu sein. Doch um die Stelle zu bekommen, muss sie ausgerechnet mit ihrem Exfreund Alexander zusammenarbeiten. Seitdem sie seinetwegen von der High School geflogen ist, hassen sich die beiden. Daher beschließt Maggie, die Teamaufgabe im Alleingang zu lösen. Schnell wächst ihr die Doppelbelastung aus Bewerbungsverfahren und Betreuung ihres Großvaters über den Kopf. Ihr einziger Ausweg ist, Xanders Hilfe anzunehmen. Kann sie ihm diesmal vertrauen?

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Defying Gravity

Die Autorin

Anna Augustin, 1988 im hohen Norden Deutschlands geboren, ist schon seit ihrer Kindheit hoffnungslos in Worte verliebt. Ihr Herz schlägt für Geschichten über starke Frauen und große Gefühle, für das Prickeln auf der Haut und intensive Blicke - eine Prise Drama inklusive. Für die Liebe hat es sie 2014 in den Süden Deutschlands verschlagen. Dort lebt sie nun mit Mann und Tochter, arbeitet als Psychologin und nutzt die frühen Morgenstunden, um in die Welten ihrer Liebesromane abzutauchen.

Das Buch

Eine zweite Chance für die erste Liebe

Die Informatikerin Maggie braucht dringend einen Job, um sich eine Pflegekraft für ihren demenzkranken Großvater leisten zu können. Als sie von der NASA zur Bewerbungsrunde eingeladen wird, glaubt sie, endlich am Ziel zu sein. Doch um die Stelle zu bekommen, muss sie ausgerechnet mit ihrem Exfreund Alexander zusammenarbeiten. Seitdem sie seinetwegen von der High School geflogen ist, hassen sich die beiden. Daher beschließt Maggie, die Teamaufgabe im Alleingang zu lösen. Schnell wächst ihr die Doppelbelastung aus Bewerbungsverfahren und Betreuung ihres Großvaters über den Kopf. Ihr einziger Ausweg ist, Xanders Hilfe anzunehmen. Kann sie ihm diesmal vertrauen?

Anna Augustin

Defying Gravity

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinFebruar 2021 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung:zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-605-7

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Counting Stars

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Widmung

Für meinen lieben Opa.

Weil ich weiß, dass du immer bei mir bist.

Kapitel 1

Jetzt hat er das Haus angezündet!, schoss es mir durch den Kopf, kaum dass ich einen Fuß auf die Türschwelle gesetzt hatte. Der Gestank von verschmortem Plastik quoll unter dem Türschlitz hervor und versetzte meinen Körper innerhalb von Sekunden in den Autopiloten. Als hätte jemand die Enter-Taste für die Ausführung einer komplexen Handlungsroutine gedrückt, ratterte mein Gehirn nacheinander die Programmierbefehle runter.

Durchatmen, Schlüssel suchen, richtigen Schlüssel ins Schloss stecken, wieder durchatmen und Schlüssel herumdrehen.

Ich hatte mir immer vorgestellt, zu einer hysterischen Furie zu mutieren, wenn so ein Szenario wirklich passierte. Aber überraschenderweise behielt ich einen kühlen Kopf. Vielleicht lag es daran, dass ich diese Situation schon unendlich oft in meinem Kopf durchgespielt hatte. Oder daran, dass mich die vier Jahre WG-Leben mit meinem dementen Grandpa um einiges stressresistenter gemacht hatten als gedacht. Natürlich raste mein Puls wie ein ICE auf offener Strecke, aber die Panik schaffte es nicht, mein rationales Denken zu vernebeln.

Ich stieß die Haustür auf. Mit angehaltenem Atem hechtete ich durch den Flur, in dem bereits blaue Rauchschwaden hingen. Ich presste mir eine Hand vor den Mund und musste heftig blinzeln. Der Rauch brannte in meinen Augen, aber das ignorierte ich. Ohne zu zögern, preschte ich in die Küche und stieß die halb angelehnte Tür auf.

Die Küche war leer. Die verdammte Küche war leer! Das gesamte Himalaya-Gebirge fiel mir von den Schultern.

Ein völlig deplatziertes Lachen machte sich in meiner Kehle breit.

Kein bewusstloser Grandpa, der röchelnd auf dem Küchenboden lag. Nur eine uralte Plastikschüssel auf dem Herd, die bereits mannigfaltige Blasen warf. Damit kam mein Autopilot klar. Eine geschmolzene Salatschüssel brachte ihn nicht zum Absturz.

Die Hitze der voll aufgedrehten Herdplatten schlug mir entgegen, als ich mit einem Geschirrtuch bewaffnet nach dem stinkenden Klumpen griff.

»So ein Mist!«, fluchte ich. Das geschmolzene Plastik zog Fäden, und eine ordentliche Portion Schüssel blieb auf den Herdplatten kleben – wahrscheinlich für die Ewigkeit. Ich würgte, als sich die aufsteigenden Plastikdämpfe in meine Atemwege brannten. Schnell presste ich mir die freie Hand wieder vor Mund und Nase und schmiss den noch nicht flüssigen Teil der Schüssel in die Spüle. Das Plastik zischte, als ich das Wasser aufdrehte. Dann schaltete ich den Herd aus und riss fast zeitgleich das Küchenfenster auf. Ich brauchte frische Luft, und zwar viel davon. Der Wind, der von draußen in die Küche drängte, war zwar nicht halb so erfrischend wie erhofft, doch er würde immerhin die Rauchschwaden vertreiben. Von dem ekelhaften Plastikgestank würden wir allerdings noch die nächsten Jahre etwas haben. Aber das war mir jetzt genauso egal wie der ruinierte Herd. Was zählte, war Grandpa. Ich warf das Geschirrtuch auf die Arbeitsplatte und eilte zurück in den Flur.

»Grandpa?«, rief ich und musste heftig husten, als ich schon wieder eine ordentliche Portion Rauch einatmete. Ich riss die Tür zu seinem Schlafzimmer auf, dann die Tür zum Wohnzimmer. Nichts.

»Grandpa?« Meine Stimme war mehr ein Krächzen als ein Rufen. »Wo steckst du, Grandpa?« Mit jeder Sekunde ohne Antwort schnürte mir die Angst weiter die Kehle zu. Ich sagte mir immer wieder, dass er sich bestimmt nur irgendwo versteckt hatte – irgendwo, wo ihn der Gestank von verbranntem Plastik nicht erreichen konnte. Irgendwo, wo er sich sicher fühlte.

Dass er vor lauter Panik auch weggelaufen sein könnte, wollte ich mir nicht ausmalen. Wer wusste schon, wo er in seinem Zustand hinlief.

Ich stieß die Tür zu meinem Zimmer auf, und eine kräftige Windböe schlug mir entgegen. Am anderen Ende des Flurs fiel die Küchentür zu.

»Grandpa!« Ich lief zu der offen stehenden Terrassentür, raus in den kleinen Garten, der hinter dem Haus lag. Und da war er.

Mit Shorts und einem Unterhemd bekleidet, saß Grandpa auf einem der morschen Gartenstühle und hielt sein Gesicht in den einsetzenden Sprühregen.

»Was machst du denn hier draußen?« Ich versuchte die Angst und auch den aufkeimenden Ärger aus meiner Stimme herauszuhalten, auch wenn es mich einiges an Willenskraft kostete. Grandpa konnte Emotionen nur noch schwer deuten und wurde schnell ungehalten, wenn er nicht verstand, was ich ihm sagen wollte.

Er drehte mir sein regennasses Gesicht zu, und ein breites Grinsen brachte die Falten darauf zum Tanzen. »Maggie, wie schön! Du kommst gerade rechtzeitig.«

»Das kann man wohl sagen«, murmelte ich und ließ mich auf einen weiteren Gartenstuhl fallen. Mir war egal, dass meine Jeans sofort von dem feuchten Holz durchgeweicht wurde. Hauptsache, ich konnte sitzen und meinen butterweichen Knien etwas Ruhe gönnen. Kaum hatte ich mich angelehnt, explodierten kleine schwarze Punkte vor meinen Augen, und der Garten geriet seltsam in Schieflage. Ich zwang mich dazu, einige ruhige, tiefe Atemzüge zu nehmen.

Hoffentlich habe ich mir keine Rauchvergiftung zugezogen.

»Granny hat schon das Essen auf dem Herd. Es gibt dein Leibgericht. Hausgemachte Bolognese.« In seiner Stimme lag solch eine Vorfreude, dass sich mir die Kehle verengte. Ich konnte in diesem Moment nichts sagen, wenn ich Grandpa nicht auch noch mit meinen Tränen irritieren wollte. Stattdessen beugte ich mich vor und legte ihm einfach die Hand auf den Unterarm. Sofort schob er seine Hand auf meine. Sie fühlte sich kühl und schwielig an, und doch strahlte sie eine Geborgenheit aus, die eine verräterische Träne über meine Wange rollen ließ. Grandpas Lächeln erlosch, und in seinen Augen flackerte etwas, was ich als Bedauern interpretierte.

»Ich habe wieder etwas angestellt«, flüsterte er. Sein vorher so strahlendes Gesicht hing nun nach unten wie ein Luftballon, aus dem alle Luft entwichen war.

Ich nickte und schloss meine Hand fester um seinen Unterarm.

»Was war es dieses Mal?«

Ich räusperte mich, damit ich überhaupt etwas sagen konnte. »Du hast den Herd angeschaltet, mit der Salatschüssel darauf.«

»Die Salatschüssel.« Ich sah, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. »Meine Ellie hat diese Schüssel geliebt.«

Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. »Oh ja, das hat sie.« Ich sagte nichts weiter. Es hatte keinen Sinn, ihm jetzt Vorwürfe zu machen. Er würde nichts damit anfangen können, wenn ich ihm sagte, dass er beinahe unser Haus abgefackelt hatte. Im schlimmsten Fall hätte ich riskiert, dass unkontrollierbare Wut in ihm aufflammte, der ich nicht alleine Herr werden konnte.

»Wir sollten wieder reingehen«, sagte ich stattdessen. »Der Regen wird stärker, und du hast keine Regenjacke an.« Ganz zu schweigen von Hose und Pullover.

»Noch fünf Minuten«, sagte er bereits wieder mit einem Grinsen im Gesicht. »Ich liebe den Regen.« Die Salatschüssel hatte er längst vergessen.

»Aber wirklich nur fünf Minuten.« Ich tätschelte Grandpa noch einmal den Arm und erhob mich. »Ich lasse dir Wasser in die Wanne ein. Dann kannst du dich gleich wieder aufwärmen.«

Ich ging durch die Terrassentür zurück in mein Zimmer. Auch hier war die Luft mittlerweile komplett von dem Gestank des verschmorten Plastiks durchzogen. Ich musste erneut ein Würgen unterdrücken – vor allem wenn ich daran dachte, dass ich die Nacht in diesem Gestank verbringen würde. Ich musste mir dringend etwas einfallen lassen – wegen des Gestanks, aber vor allem wegen Grandpa. So konnte es nicht mehr weitergehen. Heute war es nur die Salatschüssel gewesen, aber was kam morgen? Und übermorgen? Seine Demenz wurde schlimmer, und auch wenn ich es am liebsten nicht wahrhaben wollte: Ich konnte ihn so nicht länger allein zu Hause lassen.

Ich ließ mich der Länge nach auf mein Bett fallen, legte einen Arm über mein Gesicht und erlaubte mir einen Moment der Hoffnungslosigkeit. Es gab nur noch diesen einen Ausweg, nur noch eine Möglichkeit, um Grandpa vor sich selbst zu schützen. Ich würde ihn ins Pflegeheim geben müssen, und zwar nicht in eins mit blühenden Gärten, Nachmittagskaffee und Seniorenclubs. Das konnten wir beide uns nicht leisten, und meine Mum hatte mir schon mehr als einmal zu verstehen gegeben, dass sie Grandpa und mir nicht helfen konnte. Oder wollte.

Bei dem Gedanken, wie Grandpa ganz allein in dem trostlosen Zimmer einer staatlichen Einrichtung hockte, die grauen Wände anstarrte und jeden Tag die gleiche Hafergrütze vorgesetzt bekam, brannten mir die Tränen in den Augen. Das würde er nicht überleben. Ich schluckte gegen die Enge in meinem Hals an. Seine Demenz würde in der fremden Umgebung sofort die Oberhand gewinnen und binnen Tagen auch den Rest seines Verstandes zerstören. Das war eine Reise ohne Wiederkehr. Bei diesem Gedanken setzte ich mich ruckartig auf und straffte die Schultern.

Reiß dich zusammen, Maggie!

Ich durfte mein lösungsorientiertes Denken nicht mit negativen Grundannahmen blockieren. Ich musste pragmatisch bleiben und meine Emotionen außen vor lassen.

Mein Blick fiel auf Grandpa, der immer noch im Garten saß und sein Gesicht lächelnd in den Regen hielt. Die Antwort war denkbar einfach. Auf keinen Fall durfte ich Grandpa von hier wegschicken. Er brauchte sein Haus, seinen Garten, die Nähe zu den Hinterlassenschaften meiner Granny. Hier hatte er beinahe sein gesamtes Leben verbracht. Hier hatte er seine Kinder und Enkel aufgezogen, Barbecues mit Freunden gefeiert und sogar die Trauerfeier für Granny abgehalten. Er war eins mit diesem Haus.

Ich atmete aus.

Gut, wenn die erste Grundannahme ist, dass Grandpa sein Zuhause nicht verlassen darf, ist der Rest der Gleichung ein Kinderspiel.

Wir brauchten jemanden, der hier auf ihn aufpasste und sich rund um die Uhr um ihn kümmern konnte. Und dafür brauchten wir vor allem Geld. Geld, das wir nicht hatten. Was wiederum nur eine Konsequenz zuließ: Ich brauchte endlich einen verdammten Job, der zu meinem exzellenten Uniabschluss passte und der nichts damit zu tun hatte, Bagels aufzubacken und Kaffee zu verkaufen. Doch das war leichter gesagt als getan.

Ich stand auf und drückte den Power-Button, um meinen Rechner hochzufahren. Sobald Grandpa im Bett lag, würde ich wieder Bewerbungen schreiben und einfach darauf hoffen, dass mein Können dieses Mal erkannt wurde. Ich hatte mittlerweile aufgehört zu zählen, wie viele geniale Jobs mir kurz vor dem Ziel durch die Lappen gegangen waren. Dieses Mal würde alles anders werden. Ich musste mich einfach noch mehr anstrengen. Schließlich hing Grandpas Gesundheit davon ab.

Ich stieß einen kleinen Schrei aus, als das Handy auf meinem Schreibtisch klingelte. Grandpa drehte sich draußen zu mir um und sah mich fragend an. Ich winkte ihm zu, um ihm zu signalisieren, dass alles in Ordnung war. Dann griff ich nach dem Handy.

Unbekannter Anrufer.

Ich runzelte die Stirn.

»Ja bitte?« Meine Stimme klang so rau, als hätte ich Kette geraucht und dazu eine ganze Flasche Whiskey runtergespült.

»Spreche ich mit Margret Johnson?«, fragte eine Stimme, die so blasiert klang, dass ich mir die Frau am anderen Ende unweigerlich mit Bibliothekarinnenbrille und strengem Dutt vorstellte.

»Ja, die bin ich. Was …« Doch bevor ich meinen Satz beenden konnte, redete die Frau einfach weiter.

»Mein Name ist Amanda Higgins vom NASA Ames Research Center. Es geht um Ihre Bewerbung auf die Stelle des Computer Scientist für Raumfahrtsysteme und KI.«

Ich sog scharf die Luft ein und hätte am liebsten einen zweiten Schrei ausgestoßen. Das kann doch nicht wahr sein! Werden meine Gebete etwa endlich erhört?

In meinem Kopf begann sich erneut alles zu drehen, und ich musste mich an meinem Schreibtisch festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

»Bin ich eine Runde weiter?«, fragte ich vielleicht etwas zu überschwänglich. Die Frau am anderen Ende räusperte sich, und ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie pikiert ihre perfekt gezupfte Augenbraue hob.

»Ich habe Ihnen soeben die E-Mail mit der Einladung in die Gruppenphase zukommen lassen, ja. Ich rufe Sie an, weil ich Sie auch noch einmal telefonisch darauf hinweisen möchte, dass die Gruppenphase bereits morgen früh beginnen wird.«

In meinem Kopf galoppierten die Gedanken umher wie eine Herde junger Wildpferde.

Gruppenphase? Und dann auch noch gleich ab morgen? Was soll ich da mit Grandpa machen?

»Ist es Ihnen möglich, rechtzeitig bei uns zu erscheinen?«

Schnell schüttelte ich das Gedankenchaos ab und versuchte mich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.

»Ja natürlich«, antwortete ich hastig. »Darf ich fragen, was genau mit Gruppenphase gemeint ist?«

Wieder räusperte sich die Frau, und auch wenn sie viel zu professionell war, um das zuzugeben, wusste ich, dass sie bereits jetzt von mir genervt war. Ich konnte nur hoffen, dass sie kein Mitspracherecht bei der Auswahl der Bewerber hatte.

»Sie werden gemeinsam mit Ihren Mitbewerbern in Teams gegeneinander antreten, um Ihr Können unter Beweis zu stellen. Wie Sie ja sicherlich wissen, ist die Teamfähigkeit für uns bei der NASA ein essenzieller Bestandteil effektiven und effizienten Arbeitens. Alles Weitere erfahren Sie am morgigen Tag.«

»Ja natürlich«, sagte ich erneut, weil mir nichts Besseres einfallen wollte. Teamarbeit also. Das war vielleicht nicht meine größte Stärke, sollte aber keine wirkliche Hürde sein.

»Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihr Bewerbungsverfahren, Ms Johnson. Auf Wiederhören.«

Bevor ich noch etwas erwidern konnte, legte sie einfach auf. Höflichkeit wurde bei der NASA anscheinend bei Weitem nicht so groß geschrieben wie Teamarbeit.

Ich nahm das Handy vom Ohr und starrte ein paar Sekunden auf das dunkle Display. Ich war in keiner Weise religiös oder glaubte an Schicksal oder eine andere höhere Kraft. Aber dennoch kam mir dieses Telefonat wie ein Zeichen im richtigen Moment vor. Die NASA würde also die Lösung für all unsere Probleme sein. Ich würde mir diesen Job schnappen und mit meinem Gehalt sofort eine Pflegekraft einstellen.

Ich konnte ein Grinsen nicht länger unterdrücken. Grandpa und ich mussten nur noch ein paar Wochen durchhalten. Das war gar nichts.

In der nächsten Sekunde stürmte ich auf die Terrasse. Der Regen war inzwischen stärker geworden und prasselte mir ins Gesicht.

»Grandpa!«, rief ich und zog ihn aus seinem Gartenstuhl hoch, kaum dass ich neben ihm zum Stehen gekommen war. »Jetzt wird endlich alles gut. Ich verspreche es dir! Alles wird gut.« Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich seinen klitschnassen und eiskalten Körper an mich drückte. Er erwiderte meine Umarmung und lachte laut in mein Ohr. Kurz fühlte ich mich wieder wie das kleine Mädchen mit der Rotznase und der viel zu großen Lücke zwischen den Vorderzähnen, das darauf wartete, von seinem Grandpa durch die Luft gewirbelt zu werden. Dann übernahm der rationale Teil meines Gehirns. »Jetzt musst du aber wirklich ab in die Wanne! Du bist ja ein Eiszapfen.«

Sein erneutes Lachen klang wie Musik in meinen Ohren, und Hand in Hand rannten wir zurück in unser stinkendes Haus. Aber es war unser Haus, aus dem uns so schnell nichts vertreiben würde. Dafür würde ich sorgen.

Kapitel 2

Ich durfte mir auf keinen Fall die Augen reiben, auch wenn ich mit meiner Müdigkeit Dornröschen hätte Konkurrenz machen können. Eigentlich trug ich nie Mascara, aber das Bewerbungsgespräch, das meinen Grandpa vor der Abschiebung ins Pflegeheim bewahren sollte, erschien mir wichtig genug, um mit meiner Gewohnheit zu brechen. Leider hatte ich dabei nicht bedacht, dass ich die eine Hälfte der Nacht mit der Recherche über die NASA verbringen und die andere Hälfte mit rasendem Herzen in meinem Bett liegen würde. Nun musste ich mit brennenden Augen leben, die ich nicht reiben durfte.

Der Bus, der mich ins Silicon Valley bringen sollte, bremste.

Stau. Natürlich.

Ich ließ die Stirn gegen das kühle Busfenster sinken. Heute hatte ich das Glück anscheinend gepachtet. Das Unheil hatte damit begonnen, dass meine Mum mich mit gereizt zuckenden Augenbrauen ins Visier genommen hatte, kaum dass ich sie begrüßt hatte. Inklusive eines Schwalls an Vorwürfen, von denen mir immer noch die Ohren schrillten.

Du rufst immer nur an, wenn du was willst, Darling. Wie willst du jemals einen vernünftigen Mann finden, wenn du in diesen schmuddeligen Shirts rumläufst und dich immer hinter diesem Computerding versteckst? Bist du in letzter Zeit mal auf dem Friedhof gewesen? Meinst du nicht, dein Vater hätte etwas mehr Respekt verdient, nach allem, was er für dich geopfert hat?

Zu allem Überfluss hatte ich auch noch meinen Kaffee stehen lassen, weil ich ihren Dauermonolog über all meine Fehler keine Sekunde länger ertragen konnte.

Da war ich nun also: angehende NASA-Mitarbeiterin mit Augenringen bis zu den Kniekehlen, ohne Kaffee und mit einem Pulsschlag, der rekordverdächtig war.

Als ich eine Dreiviertelstunde später mitten im Herzen des Silicon Valley aus dem Bus stieg, kitzelten Sonnenstrahlen mein Gesicht. Der Bus hatte mich bis zum Campus der Carnegie Mellon University gebracht, der direkt an das Ames Research Center der NASA angrenzte. Vor einem weißen Universitätsgebäude mit fünf großen Torbögen sah ich Studenten im Gras sitzen und lachend die frühlingshaften Temperaturen genießen. Wie gerne hätte ich mich dazugesetzt und mich über Prüfungsstoff und nervige Dozenten unterhalten. Manchmal vermisste ich die Zeiten des unbeschwerten Studentenlebens.

Ich zupfte meinen Blazer zurecht. Schluss mit Nostalgie. Die Studentenzeit war vorbei. Jetzt galt es, dem Ernst des Lebens die Stirn zu bieten. Für Grandpa.

Das Pochen in meiner Brust, in meinen Schläfen, in meinen Händen schwang sich zu schnelleren Intervallen auf und trommelte den Takt für Tausende Ameisen, die meine Arme und Beine rauf- und runtermarschierten.

Ich zückte mein Handy, um mich zu der Adresse aus der Einladungsmail zu navigieren. Die Karten-App kündigte einen zehnminütigen Fußmarsch an. Bei meinem Glück reichte das, um mich in der Doppelschicht aus Bluse und Blazer zum Schwitzen zu bringen. Dabei waren Blazer so unnötig. Man schwitzte, fühlte sich eingeengt und sah aus wie eine Sekretärin. Aber ein guter erster Eindruck war bereits die halbe Miete. Ich hatte schließlich schon den verschmorten Plastikgeruch in den Haaren und die verquollenen Augen gegen mich.

Meine App führte mich vorbei an spiegelnden Glasbauten, Elektrorollern und vereinzelten Bäumchen, die den Dschungel aus Stahl und Beton verzweifelt aufzulockern versuchten.

Früher war ich oft mit meinem Dad im Silicon Valley gewesen. Wir waren zusammen durch die Straßen gelaufen und hatten uns den wachsenden Wald aus Technologieparks angeschaut – einer futuristischer als der andere.

»Irgendwann wirst du in einem dieser Gebäude arbeiten, und dann wird meine kleine Maggie die Welt verändern«, hörte ich meinen Dad sagen, als wäre es gestern gewesen. Damals war ich unglaublich stolz auf seine Zuversicht gewesen und hatte hart dafür gearbeitet, seine Erwartungen erfüllen zu können. Ich hatte wirklich alles getan und blind den größten Fehler meines Lebens gemacht.

Genug davon, Maggie! Konzentriere dich.

Ich sah auf meine Uhr. Mir blieb noch beinahe eine Stunde, bis ich am Gebäude N-233 des Ames Research Centers sein musste. Vielleicht konnte ich es doch wenigstens für zehn Minuten den Studenten gleichtun, und mich mit einem Kaffee ins Gras setzen und das Gesicht in die Sonne halten. Das beruhigte hoffentlich meine Nerven.

Ich zoomte meinen Weg auf der Karten-App heran und jubelte innerlich, als ich ein kleines Tassen-Icon erkannte. Nur fünf Minuten weiter gab es ein Café. Vielleicht hatte es ja das Zeug, mein neues Stammcafé zu werden.

Die zehn Minuten in der Sonne konnte ich mir gleich wieder abschminken. Vor dem Café stand das halbe Silicon Valley Schlange, als gäbe es weit und breit keine andere Möglichkeit, an einen Kaffee zu kommen.

Na wunderbar!

Ich konnte es nicht ausstehen, mich irgendwo anzustellen und zu warten, weil es dann jedes Mal zu diesen komischen Momenten kam. Man sah sich in der Schlange um, nickte den anderen Wartenden zu, und nach einer weiteren Minute der Warterei war man dazu gezwungen, peinlichen Small Talk zu führen. Mein persönlicher Albtraum!

Natürlich hätte ich einfach weitergehen können, aber da war mir bereits der würzige Duft frisch gemahlener Kaffeebohnen in die Nase gestiegen. Unter keinen Umständen konnte ich dem widerstehen.

Als ich in der Schlange stand und den gurgelnden Geräuschen des Milchaufschäumers lauschte, ertappte ich mich dabei, wie ich die Leute um mich herum beobachtete. Trotzdem dauerte es bestimmt drei Minuten, bis mir auffiel, dass die meisten hier Jeans und T-Shirts trugen. Der Mann vor mir hatte sich sogar die Kapuze seines dunkelroten Hoodies über den Kopf gezogen.

Mir lief es eiskalt den Rücken runter. Ich war so mit der inhaltlichen Vorbereitung meines Bewerbungsgesprächs beschäftigt gewesen, dass ich mir gar keine Gedanken über den NASA-Dresscode gemacht hatte. Rühmten sich nicht Silicon-Valley-Konzerne wie Apple, Google und Co. damit, dass ihre Mitarbeiter stets legere Kleidung trugen? Hielt die NASA das genauso? Und warum, verdammt noch mal, wusste ich das nicht?

Auf einmal kam ich mir mit meinem Blazer und der weißen Bluse wie eine Außerirdische vor. Wobei ich als Außerirdische bei der NASA eigentlich ganz gute Chancen haben müsste, oder?

Ich schnaubte nicht gerade damenhaft.

Der Mann mit dem Hoodie drehte sich zu mir um und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Dann entgleisten ihm und mir gleichzeitig alle Gesichtszüge.

»Das ist doch ein schlechter Scherz.« Seine vorher vor Überraschung geweiteten Augen verengten sich innerhalb von Sekunden zu schmalen Schlitzen.

Mir schoss die Hitze ins Gesicht. Und das nicht, weil ich diesen Typen mit den perfekt geschwungenen Lippen und den putzigen Grübchen für den Traum meiner schlaflosen Nächte hielt. Nein, viel eher hätte ich meine linke Niere dafür gegeben, diesen Idioten nie wiedersehen zu müssen.

»Alexander.« Sein Name war wie Säure auf meiner Zunge. Ich hatte mir geschworen, nie wieder auch nur einen Gedanken an diesen Arsch zu verschwenden. Was hatte ich bitte verbrochen, ihm ausgerechnet heute über den Weg laufen zu müssen?

Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen und brachten seine strahlend weißen Zähne zum Vorschein. »Warum so förmlich, Maggie?«

Kurz fragte ich mich, ob er auf diesen bescheuerten Blazer anspielte. Doch dann dämmerte mir, dass er auf seinen Spitznamen hinauswollte. Alexander nannte ihn nur seine Mum.

»Ich möchte in Ruhe einen Kaffee trinken.« Ich hoffte, er verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und würde sich endlich wieder umdrehen.

»Heute zum ersten Mal hier?« Er streifte die Kapuze ab, und zum Vorschein kam dieselbe dunkelbraune Wuschelfrisur, die er schon auf der Highschool getragen hatte. Das Bild von meinen Händen in seinen Haaren flackerte kurz vor meinem inneren Auge auf, doch ich konnte es mit einem schnellen Blinzeln wieder vertreiben.

»Ich habe gehört, der Kaffee soll hier besonders gut sein.« Ich reckte das Kinn und erwiderte sein dämliches Grinsen. Aus mir würde er nichts rauskriegen. »Und du?«, fragte ich stattdessen. »Du bist hier anscheinend schon heimisch?« Ich deutete auf seinen Kapuzenpulli und bemühte mich dabei um einen möglichst abschätzigen Blick.

»Kann man so sagen.« Wieder dieses Grinsen. »Dieses Café ist quasi mein Wohnzimmer.«

»Wie beeindruckend! Im eigenen Wohnzimmer für Kaffee anzustehen, hört sich nach einem sehr erstrebenswerten Ziel an.« Zumal ich mich nicht daran erinnern konnte, dass Xander Kaffee trank.

Für eine Sekunde erlosch sein Grinsen, doch er fing sich für meinen Geschmack viel zu schnell wieder. Seine Augen blitzten auf diese ätzende Art, von der ich auf der Highschool immer weiche Knie bekommen hatte. Zum Glück hatte ich mein naives Teenager-Selbst längst hinter mir gelassen.

Er hob den Zeigefinger. »Warte ab und lass den Meister machen.« Dann schob er sich an den vier Wartenden vor uns vorbei und lehnte sich über den Tresen.

»Hey, Jake, ich hab’s leider eilig. Machst du mir einen Oolong Tee und einen schwarzen Kaffee für meine Freundin hier?« Er deutete auf mich, und wieder stieg mir die Hitze ins Gesicht. Hatte dieser Arsch mich gerade als seine Freundin bezeichnet? Die Antwort des Barista ging im empörten Gemurmel der anderen Wartenden unter, doch Xander ließ sich weder von den Beschimpfungen der Wartenden noch von meinen Todesblicken beirren.

Nur zwei Minuten später reichte er mir meinen Becher mit einem triumphierenden Ausdruck im Gesicht.

»Einmal Kaffee mit zwei Löffeln Zucker und einem Schuss Milch.«

Ich murmelte ein »Danke« und ärgerte mich darüber, dass er immer noch genau wusste, wie ich meinen Kaffee am liebsten trank.

»Jetzt sollten wir hier verschwinden. Ich habe möglicherweise den Zorn der Kaffeedeprivierten auf uns gezogen.« Er lachte, legte mir eine Hand auf den Rücken und schob mich aus dem Café. Ich schüttelte seine Hand ab, kaum dass wir draußen waren.

»Ich kann allein laufen«, knurrte ich und versuchte die prickelnde Wärme zu ignorieren, die sich auf meinem Rücken ausbreitete. »In dem Café kann ich mich jetzt nicht mehr sehen lassen. Vielen Dank auch!«

Xander winkte ab. »Das haben die morgen schon wieder vergessen.«

Der Plauderton, der in seiner Stimme mitschwang, gefiel mir nicht. Für meinen Geschmack hatte ich meine Regel »Wechsle nie wieder ein Wort mit Xander Phillips« schon viel zu sehr strapaziert.

»Also dann.« Ich hob den Kaffee und hoffte, er verstand, was ich damit sagen wollte. »Hat mich gefreut, dich wiederzusehen.« Nicht.

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite.« Seine Stimme troff vor Ironie.

Idiot!

»Also dann«, sagte ich erneut. »Mach’s gut.«

Ich marschierte einfach los. In meinem Kopf fuhren die Erinnerungen Achterbahn, doch ich wollte jetzt nicht über meinen Ex-Freund nachdenken. Ich hatte einen Job zu gewinnen, und dazu musste ich hellwach und präsent sein.

Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee und hätte am liebsten gestöhnt.

Gab es etwas Besseres auf diesem Planeten als Kaffee?

»Jakes Kaffee ist der beste, oder?«, ertönte auf einmal Xanders Stimme hinter mir.

Ich schloss kurz die Augen.

Was ist denn heute los? Ich habe doch schon Mums Tiraden über mich ergehen lassen. War das nicht genug Qual für einen Tag?

Ich ging einfach weiter, ohne etwas auf Xanders Frage zu erwidern. Ich hörte das Knirschen der Kieselsteine, als er zu drei, vier großen Schritten ansetzte, um aufzuholen.

»Verfolgst du mich jetzt auch noch?«

Er grinste und nahm einen Schluck aus seinem Becher. »Ich muss zufällig in die gleiche Richtung.«

»Was du nicht sagst.«

»Ach komm schon, Maggie. Wir haben uns bestimmt sieben oder acht Jahre nicht gesehen. Da werden wir doch wohl fünf Minuten gemeinsamen Fußweg überstehen.«

»Kommt drauf an, wie du zu heißem Kaffee im Gesicht stehst.«

Er lachte. »Immer noch so schlagfertig wie früher.«

Ich hätte mich bei der Nostalgie in seiner Stimme am liebsten übergeben. Unsere Vergangenheit war nichts, worin es sich zu schwelgen lohnte. Aber Xander lief anscheinend gerade erst zur Höchstform auf.

»Was hast du die letzten Jahre so getrieben?«

»Xander, bitte, ich habe zu tun.«

»Seit wann bindet Laufen all deine kognitiven Ressourcen?«

»Seit du derjenige bist, der mich von der Seite vollquatscht. Ich habe gleich einen wichtigen Termin und würde mich gerne darauf konzentrieren, statt mit dir alberne Highschool-Storys aufzuwärmen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen. Dann eben Laufen ohne Reden.«

Dieses Mal konnte ich mir ein Stöhnen nicht verkneifen. »Ich wäre gern allein, Xander.«

»Das habe ich schon verstanden. Aber was soll ich machen? Ich muss nun mal in dieselbe Richtung.«

Da lief es mir eiskalt den Rücken runter. »Wo musst du denn hin?«, fragte ich, und meine Stimme klang viel zu schrill in meinen Ohren.

Er deutete mit dem Becher in der Hand nach vorne, auf ein mehrstöckiges, komplett verglastes Gebäude, das am Ende des gepflasterten Weges lag. Jetzt wurde mir wirklich schlecht.

»Du arbeitest bei der NASA?« Natürlich arbeitete er da. Er hatte immer Astronaut werden wollen. Wie hatte ich das vergessen können?

»Bald.« Er lachte und nahm noch einen Schluck Tee. Er merkte erst drei Schritte später, dass ich stehen geblieben war, und drehte sich zu mir um. »Was ist?«

»Du hast jetzt gleich ein Bewerbungsgespräch bei der NASA?«

»Als Computer Scientist, ja.«

Die Gebäude um uns herum gerieten auf einmal seltsam in Schieflage. Ich brauchte eine Parkbank, einen Baum, irgendetwas, woran ich mich festhalten konnte. Warum gab es hier verdammt noch mal nichts weiter als Beton und Stahl und Glas? Ich griff mir an den Kopf.

»Du willst mich doch verarschen.« Ich deutete auf seinen Hoodie. Niemals konnte er so zu einem Bewerbungsgespräch gehen.

Kurzerhand stellte Xander seinen Tee auf dem Boden ab und zog sich den Pulli über den Kopf. Zum Vorschein kam ein blütenweißes Businesshemd.

Verdammt!

»Aber du wolltest doch immer Astronaut werden. Warum belästigst du dann jetzt uns arme Programmierer?«

»Man braucht mindestens drei Jahre Berufserfahrung, bevor man die Ausbildung zum Astronauten beginnen kann.« In seiner Stimme schwang ein »Das müsstest du doch eigentlich wissen« mit.

»Und die drei Jahre musst du ausgerechnet bei der NASA verbringen?«

Xander bückte sich nach seinem Tee. »Aus deinen Begeisterungsstürmen schließe ich, dass wir auch den Rest des Tages miteinander verbringen werden?«

Ich schloss die Augen und zwang mich, tief durchzuatmen.

Fokussier dich, Maggie. Du darfst jetzt nicht in Panik verfallen. Du schaffst das, auch wenn du den ganzen Tag mit diesem Arschloch konfrontiert wirst.

Als ich die Augen wieder öffnete, war Xanders Grinsen verschwunden und hatte einer Falte zwischen seinen Augenbrauen Platz gemacht. »Na dann hoffe ich auf einen fairen Wettkampf.«

Für die Art und Weise, wie er das Wort »fair« betonte, hätte ich ihm am liebsten eine gescheuert.

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, marschierte ich auf den verglasten Eingang von Gebäude N-233 zu.

Ich würde diesen Tag erfolgreich hinter mich bringen, und ich würde diesem Idioten beweisen, dass ich ihm auch ohne Tricks und Hintertürchen den Job vor der Nase wegschnappen konnte.

Kapitel 3

Ein Zittern ging durch meinen Körper, als ich direkt vor dem Haupteingang stehen blieb. Das gewaltige NASA-Logo gepaart mit dem Schriftzug »Ames Research Center« prangte wie ein Bollwerk vor dem Gebäude und ließ mein Herz eine Etage tiefer rutschen. Die zweite Verteidigungsmauer bestand aus unzähligen Kameras, die jeden meiner Schritte mit ihren stumpfen Augen zu beobachten schienen. Beinahe rechnete ich damit, dass sie sich jeden Moment surrend auf mich ausrichteten. Und dann waren da noch die abweisenden silberfarbenen Jalousien, die fast jedes der bodentiefen Fenster vor neugierigen Blicken abschirmten. Ich schluckte gegen die plötzliche Trockenheit in meinem Mund an.

»Wann ist aus Maggie Johnson ein Schisser geworden?« Mit einem Lachen drängte sich Xander an mir vorbei, als wären ihm Kameras und einschüchternde Logos egal. Er zog etwas aus der Hosentasche, das aussah wie ein Plastikkärtchen zum Treuepunktesammeln, und hielt das Plastikteil gegen eine metallische Fläche direkt neben dem Haupteingang. Ein elektronisches Piepen ertönte, und die elektrische Schiebetür zu Gebäude N-233 glitt zur Seite.

»Bitte nach Ihnen, Mademoiselle!« Er sprach das Wort »Mademoiselle« übertrieben französisch aus und deutete noch dazu eine Verbeugung an. Idiot!

»Ich dachte, du arbeitest hier nicht«, zischte ich.

»Tue ich auch nicht wirklich.« Wieder legte Xander mir eine Hand auf den Rücken und schob mich in das Gebäude, als ich keine Anstalten machte, seiner Aufforderung zu folgen. »Ich bin hier Praktikant, zumindest noch bis nächste Woche.«

Mein Herz sank. Er kannte sich hier also aus und hatte wahrscheinlich längst alle wichtigen Leute mit seinem klebrigen Charme um den Finger gewickelt. Wenn noch mehr Praktikanten unter den Bewerbern waren, konnte ich gleich wieder einpacken.

»Guten Morgen, Trish.« Xanders Schritte hallten im Eingangsbereich wider. Außer einem Tresen aus Milchglas, der von drei blauen Leuchtstreifen durchzogen war, einem überdimensionalen NASA-Logo an der Wand und ein paar geschmackvollen Sesseln aus weißem Leder war der Raum quasi leer. Hinter dem Tresen schnellte eine zierliche Frau mit geflochtenem Zopf in die Höhe. Sie strahlte Xander mit ihren zu pink geschminkten Lippen an, als wäre er die Sonne selbst.

»Guten Morgen, Xander! Heute ist der große Tag, nicht wahr?« Ihre Augen waren so sehr mit Xanders Gesicht verschmolzen, dass ich mir sicher war, dass sie meine Anwesenheit noch gar nicht registriert hatte. Schon in der Highschool hatte Xander das zweifelhafte Talent gehabt, einen Raum vollkommen für sich einzunehmen. Die Empfangsdame legte ein Klemmbrett auf den Tresen und reichte Xander einen Stift dazu.

»Heute hole ich mir die Dauereintrittskarte, Trish.« Xander hielt demonstrativ seine Transponderkarte in die Luft und kritzelte dann etwas auf das Klemmbrett. Ich stöhnte. Meine Nerven würden diesen Idioten keine Minute länger ertragen.

»Dann sehen wir uns also auch in Zukunft hier.« Sie lachte hinter vorgehaltener Hand und hörte sich trotz der damenhaften Geste an wie eine verknallte Football-Cheerleaderin.

»Hier ist dein Namensschild. Ich drücke dir die Daumen.« Xander nahm die kleine Plastikkarte, auf der sein Name, ein Foto von ihm und der Schriftzug »Bewerber« vermerkt waren, und heftete sie sich an die Brust. Statt danach einfach weiter ins Gebäude hineinzugehen, blieb er am Empfangstresen stehen und funkelte mich herausfordernd an.

»Und Sie sind?« Trishs Stimme hatte sich merklich abgekühlt, als sie sich an mich wandte. Ich trat zu Xander an den Tresen.

»Margret Johnson. Ich habe hier heute ein Bewerbungsgespräch.«

Trish nickte und klickte ein paarmal auf ihrer Maus herum. »Ich brauche Ihre ID Card«, sagte sie schließlich und deutete dann wieder auf das Klemmbrett. »Und tragen Sie sich bitte hier ein.«

Gerade hatte ich meinen Namen, meine Adresse und meine Unterschrift notiert, als Trish etwas über den Tresen hielt, das ich erst auf den zweiten Blick als Webcam erkannte.

»Und einmal recht freundlich bitte.«

Bevor ich überhaupt realisierte, dass sie gerade ein Foto von mir gemacht hatte, war die Webcam auch schon wieder hinter dem Tresen verschwunden, und weitere Mausklicks echoten durch die Eingangshalle. Ich öffnete den Mund, wollte protestieren, doch Xanders amüsierter Gesichtsausdruck hielt mich davon ab. Ich wollte ihm nicht noch eine Steilvorlage für einen seiner unverschämten Kommentare liefern.

»Sie müssen hier durch die Tür, den Gang hinunter und dann rechts in den Raum A.C. 102. Mr Phillips zeigt Ihnen sicher den Weg.« Als Trish Xanders Nachnamen aussprach, huschte erneut ein Lächeln über ihr Gesicht. »Viel Erfolg.«

Dann knallte sie mir mein Namensschild mit einem Foto auf den Tresen, das erschreckende Ähnlichkeiten mit der Vogelscheuche aus dem »Zauberer von Oz« hatte.

»Du hast wirklich Topmodelqualitäten«, sagte Xander prustend. Sein Foto sah aus wie aus einem Hochglanzmagazin. Perfekt ausgeleuchtet, Xander in einem weißen Hemd mit perfekt gescheiteltem Haar und strahlendem Lächeln. Eindeutig ein Bewerbungsfoto.

Die Haare auf meinem Foto waren so weit von perfekt entfernt wie die Erde vom Rand der Milchstraße. Das seltsam bläuliche Licht des Tresens macht aus meinem eigentlich ganz passablen Blond ein verwaschenes Mausgrau. Noch dazu hatten sich feine Babyhärchen aus meinem Pferdeschwanz gelöst und umrahmten meinen Kopf wie eine Sonnencorona. Von den Mascara-Spuren unter meinen weit aufgerissenen Augen und der feuerroten Nase wollte ich gar nicht erst anfangen. Ich konnte nur hoffen, dass sie ein neues Bild von mir machen würden, wenn ich hier richtig anfing.

»Halt einfach die Klappe.« Ich klippte das Schild an meine Bluse, reckte das Kinn und stolzierte auf die Tür zu, auf die Trish gedeutet hatte. Leider war es da schon wieder vorbei mit meinem dramatischen Abgang, denn die Tür schwang nicht wie erwartet auf. Ich sah mich um, suchte nach einem Transponderfeld oder einer Minitastatur, um einen Code einzugeben, aber da war nichts.

»Das kann ja interessant werden, wenn du nicht mal mehr weißt, wie man eine Tür aufmacht.« Xander marschierte lachend an mir vorbei und drückte die Tür einfach auf.

Ich hätte ihm am liebsten irgendeine Gemeinheit hinterhergeschrien, doch ich biss mir rechtzeitig auf die Zunge. Ich wollte einen guten Eindruck machen, und davon würden mich auch Xander Phillips und sein ätzendes Getue nicht abbringen. Ich bemühte mich um ein möglichst neutrales Gesicht und folgte Xander mit einigem Abstand.

Der Flur war großzügig geschnitten. Alle paar Meter hingen Bilder eindrucksvoller NASA-Momente an den Wänden – die Mondlandung, ein im Weltraum schwebender Astronaut, ein startendes Spaceshuttle. Das Summen mehrerer Stimmen lag in der Luft, und je mehr Bilder und Türen wir passierten, desto lauter wurde es.

Wie viele Bewerber haben sie denn für die nächste Runde eingeladen?

Ich wusste nicht, womit ich gerechnet hatte, aber das klang wie ein ganzer Bienenstock und nicht wie zwei oder drei Bewerber, die es unter die Top-Auswahl geschafft hatten.

Der Gang bog nach rechts ab, und schon standen wir vor einer offenen Tür, aus der das Stimmengewirr drang. Xander betrat den Raum, ohne zu zögern, und ein Chor aus mindestens fünf verschiedenen Stimmen begrüßte ihn. Ich zögerte. Warum waren meine Knie auf einmal so weich? Das da waren nur meine Mitbewerber, nichts weiter. Wenn ich schon beim bloßen Klang ihrer Stimmen Schiss bekam, wie sollte es dann erst bei den tatsächlichen Bewerbungsgesprächen werden?

»Angst davor reinzugehen?«, fragte eine unangenehm schneidende Stimme neben mir. »Ich halte gerne dein Händchen, wenn dir das hilft.« Ein junger Mann mit roten Haaren und einem überheblichen Grinsen auf den Lippen musterte mich von oben bis unten. Er trug einen grauen Nadelstreifenanzug, der geradezu nach Geld schrie und mich eher an einen Fond-Manager als an einen NASA-Mitarbeiter erinnerte.

»Das schaffe ich gerade noch allein. Vielen Dank!«, erwiderte ich und trat die Flucht nach vorne an. Einen Wimpernschlag später stockte mir der Atem. In dem schlauchartigen Raum standen mehrere weiße Tische wie in den Seminarräumen, die ich von der Uni kannte, und an diesen Tischen tummelten sich bestimmt an die zwanzig Leute.

Zwanzig Leute!

Gestern war mir mein Ticket in die nächste Bewerbungsrunde noch so exklusiv erschienen. Der Boden der Realität hatte rein gar nichts mehr mit Exklusivität zu tun.

Ich blieb in der Nähe der Tür stehen. Menschengruppen machten mich von jeher nervös, und dieses Gewusel aus Mittzwanzigern dehnte die Grenzen meiner Komfortzone deutlich über den roten Bereich hinaus. Xander und der schmierige Typ von draußen hatten sich hingegen mitten ins Getümmel geschlagen. Sie schien die große Anzahl an Bewerbern keineswegs zu überraschen. Geschweige denn aus der Ruhe zu bringen.

Ich zog mir einen der letzten freien Stühle heran, drückte meine Laptoptasche schützend vor meine Brust und schluckte den Neid hinunter, der beim Anblick meiner gelassenen Mitbewerber in mir aufstieg. Sie wirkten so unbeschwert, während es für mich um alles ging.

Ein hochgewachsener Mann in Jeans und weißem Hemd betrat den Raum. Er trug eine Nickelbrille, hatte blonde Locken und konnte höchstens Mitte dreißig sein. Er sah aus wie ein typischer Tutor an der Uni, mit dem man nach dem Unterricht noch ein Bier trinken ging. Doch der Ausdruck in seinen Augen war messerscharf und teilte uns innerhalb weniger Sekunden in Kategorien ein. Zu laut, zu geschwätzig, zu introvertiert, zu nachlässig.

Sofort verstummte jegliches Gemurmel.

»Guten Morgen!« Sein tiefer Bass ließ die Luft vibrieren. »Mein Name ist Patrick Campbell. Ich bin einer der Chief Technologists und heiße Sie alle im Namen der NASA herzlich willkommen zu unserem Auswahlverfahren für die Position des Computer Scientists für Raumfahrttechnik und KI.«

Meine Mitbewerber klatschten, was ich sehr irritierend fand. Machte man das so bei der NASA? Mr Campbell ließ sich davon jedenfalls nicht beeindrucken. In seiner Hand hielt er ein Tablet, das er einschaltete, um dann ungerührt fortzufahren.

»Ich habe hier eine Liste mit Ihren Namen, denen ich randomisiert eine Nummer zugeordnet habe. In der Reihenfolge dieser Nummern werden zwei meiner Kollegen und ich nacheinander Kurzgespräche mit Ihnen führen. Diese Gespräche werden nur fünf Minuten dauern.« Er ließ den Blick durch den Raum schweifen, und ich hatte das Gefühl, er sähe jedem von uns bis in die Abgründe seiner Seele. »Im Anschluss wird uns bereits die Hälfte von Ihnen wieder verlassen.«

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Wie bitte? Das konnte er doch nicht ernst meinen! Ich hatte gerade einmal fünf Minuten, um ihn davon zu überzeugen, dass ich die richtige Kandidatin für den Job war? Dafür der ganze Auflauf hier? Für verdammte fünf Minuten?

Mr Campbells Augenbraue zuckte, als er in meine Richtung sah.

Verdammt, wahrscheinlich stand mir mein Unwille in Leuchtbuchstaben ins Gesicht geschrieben. Großartig, für den perfekten ersten Eindruck hatte ich also gesorgt.

»Nach der Bekanntgabe der Nummern gebe ich Ihnen noch einmal zehn Minuten Zeit, sich zu sammeln. Dann gilt es.« Der Hauch eines Lächelns huschte über sein Gesicht. Er begann die Nummern vorzulesen. Seine Stimme verschwamm mit dem Rauschen in meinen Ohren.

Wie sollte ich es schaffen, innerhalb von gerade einmal fünf Minuten aus dieser Vielzahl an Bewerbern hervorzustechen? Vor allem wenn über die Hälfte hier so abgeklärt war, dass sie bei Mr Campbells Ansage noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatten. Mein Herz donnerte gegen meinen Brustkorb, als wollte es Reißaus nehmen.

»Ms Johnson?« Mr Campbells Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Vor Schreck rutschte mir meine Laptoptasche vom Schoß. Ich fing sie gerade noch rechtzeitig auf, wollte mir aber nicht vorstellen, wie ich dabei aussah. Mit einem gequälten Lächeln erwiderte ich Mr Campbells Blick.

»Verzeihung.«

Er zeigte wieder keinerlei Regung, während ich Xander am anderen Ende des Raumes lachen hörte. Wie oft hatte ich ihn heute schon als Arsch bezeichnet?

»Sie haben die Nummer 16.«

»Alles klar.« Ich lächelte, doch Mr Campbell hatte den Blick schon wieder zurück auf seine Liste gerichtet. Was für ein seltsamer Typ. Vielleicht war er ja der Prototyp einer neuen KI, die es noch nicht so sehr mit Emotionen hatte?

»Gut, das waren alle.« Campbell schaltete sein Tablet aus. »Wir beginnen in zehn Minuten im Raum nebenan. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.«

Ich atmete aus. Mir blieb noch über eine Stunde, bis ich dran war. Die Zeit konnte ich genauso gut für ein wenig Recherche nutzen. Vielleicht fand ich ja etwas über Campbell heraus, um ihn besser einschätzen zu können. Ich zog meinen Laptop aus der Tasche und fuhr ihn hoch.

»Na, versuchst du dir einen Vorteil zu verschaffen?« Xander lehnte sich gegen den Tisch neben mir. Die Art, wie er die Frage betonte, ließ mein Wutbarometer innerhalb einer Sekunde von null auf hundert schnellen.

»Verzieh dich«, zischte ich und zwang meinen Blick zurück auf den Computerbildschirm. Ich wollte die nächste Stunde nutzen, um mich mental zu sammeln, und nicht, um mich mit diesem Idioten rumzuschlagen.

»Ich wollte nur sichergehen, dass wir hier alle mit denselben Voraussetzungen starten, nichts weiter.«

Ich schlug meinen Laptop so fest zu, dass ich hoffte, mein Display hatte keinen Sprung davongetragen. »Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann hab auch den Mumm, es mir direkt ins Gesicht zu sagen.« Ich versuchte all meine Wut in meinem Blick zu konzentrieren. »Ich will diesen Job, und ob du es glaubst oder nicht, ich werde ihn bekommen. Auch wenn ich dafür Himmel und Hölle in Bewegung setzen muss.« Ich schnappte nach Luft. »Also kümmere dich bitte um deinen Kram und versuche nicht, mich mit zweideutigen Anspielungen aus der Fassung zu bringen. Das wird nichts bringen.«

»Oje, da bin ich dem Hund wohl auf den Schwanz getreten.« Xander vergrub die Hände in den Taschen und lachte. »Ich wünsche dir viel Erfolg, Maggie. Wir sehen uns.« Er nickte mir zu und verließ dann immer noch grinsend den Raum, während ich das Gefühl hatte, gleich vor Zorn in die Luft zu gehen.

»So ein Arsch«, murmelte ich und ließ meinen Kopf nach hinten gegen die Wand sinken. Jetzt hatte er seinen Willen doch noch bekommen und mich aus der Ruhe gebracht. Ich schloss die Augen und rief mir das Gesicht meines Grandpas ins Gedächtnis. Ich musste mich auf mein Ziel konzentrieren. Dann würde schon alles gut werden. Noch einmal würde ich nicht zulassen, dass Xander Phillips mein Leben zerstörte.

Kapitel 4

Man hätte die Stille schneiden können, so schwer lag sie in der Luft. Mittlerweile hatte sich der Raum deutlich geleert. Außer mir waren nur noch drei weitere Leute hier. Die anderen Bewerber waren nicht wieder zurückgekommen.

Mit jeder weiteren verstreichenden Minute schnürte mir meine Nervosität mehr den Hals zu. Was, wenn Mr Campbell gleich zurückkam und verkündete, dass er schon genügend vielversprechende Bewerber gefunden hatte? Natürlich war das höchst unwahrscheinlich, weil jedem von uns eine Chance zugesichert worden war, aber trotzdem wollte der Gedanke sich nicht aus meinem Kopf vertreiben lassen.

Ich zog mein Smartphone aus der Laptoptasche. Mum hatte sich natürlich nicht gemeldet, was hoffentlich ein gutes Zeichen war. Dafür strahlte mir eine Nachricht von meiner besten Freundin Letti entgegen. Ihr kirschrotes Lächeln blitzte vor meinem geistigen Auge auf.

Zeig ihnen, was in dir steckt, Mags. Du rockst das! xxox

Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein. Ich wünschte, ich hätte die gleiche Zuversicht wie Letti. Ich steckte das Smartphone wieder weg und erhob mich. Als ich den Raum verließ, fühlten sich meine Knie an, als hätten sich jegliche Knochen und Knorpel in Gummi verwandelt – in höchst elastisches Gummi. Zum Glück hatte ich mich für die Ballerinas entschieden und mir von meiner Mutter nicht die schwarzen Pumps aufschwatzen lassen. Ich hätte mir beide Beine gebrochen.

Ich war kaum bei dem Besprechungsraum angekommen, als die Tür schon aufschwang und Nummer 15 herauskam. Der junge Mann war blass, und Schweißperlen glänzten auf seiner hohen Stirn. Als er mich bemerkte, schlug er die Augen nieder und eilte an mir vorbei. Die Tür hatte er offen gelassen.

»Ms Johnson? Kommen Sie gerne herein«, hörte ich Mr Campbell von drinnen sagen.

Ich sog so viel Sauerstoff wie möglich in meine Lungen und versuchte mich an die Haltungsregeln meiner Mutter zu erinnern. Rücken gerade, Schultern zurück, Brust raus. Und dann Augen zu und durch. Ich setzte ein Lächeln auf, betrat das Zimmer und hoffte, dass ich dabei nicht aussah wie ein frisch geborenes Fohlen bei den ersten Gehversuchen.

Mr Campbell saß an einem langen weißen Besprechungstisch und wurde links von einer Dame und rechts von einem Mann mittleren Alters flankiert. Die Frau war vielleicht im Alter meiner Mutter und trug einen modischen Kurzhaarschnitt. Sie hatte den gleichen durchdringenden Blick wie Mr Campbell.

Gehörte der hier bei der NASA zum guten Ton?

Der andere Mann trug seine dunklen Locken zu einem Zopf gebunden. Er lächelte mich freundlich an. Anscheinend hatte er die Weiterbildung »Eiskalter Blick« noch nicht besucht.

Ich schloss die Tür hinter mir und nickte dann allen zu.

»Guten Tag!« Meine Stimme hörte sich an wie das Quieken einer verschreckten Maus.

»Ms Johnson, setzen Sie sich doch.« Mr Campbell deutete auf den Stuhl, der den dreien gegenüber stand.

»Vielen Dank.« Der Stuhl hätte nicht besser stehen können, um sich wie bei einem Polizeiverhör zu fühlen. Fehlte nur noch die Schreibtischlampe, die mir direkt ins Gesicht leuchtete.

»Mit meiner Kollegin Ms Higgins haben Sie ja bereits telefoniert. Sie ist als Human Resources Manager in unserem Business Management tätig.«

Ich schluckte. Oje, das war also die genervte Bibliothekarin. So wie sie mich ansah, konnte sie sich noch genau an mich und meine blöde Frage erinnern.

»Und das ist Mr Anderson. Er ist einer unser Senior Entwickler und wird mit Ihnen in einem Team arbeiten, sollten Sie eine der beiden ausgeschriebenen Stellen bekommen.«

Mein Herz machte einen Satz. Hatte er gerade von zwei Stellen gesprochen? Das verdoppelte meine Chancen. Ich spürte, wie sich ein Lächeln auf mein Gesicht schlich, das prompt von Mr Anderson erwidert wurde.

»Nun, Ms Johnson.« Mr Campbell faltete die Hände zu einem Dreieck. »Sie wissen, unsere Zeit ist knapp. Die Informationen zu Ihrer Person konnten wir bereits Ihren Bewerbungsunterlagen entnehmen. Daher werde ich Ihnen nun ein paar Fragen stellen, die etwas darüber hinausgehen.«

Ich nickte und lächelte. »Sehr gerne.«

Ms Higgins zog eine Augenbraue hoch, doch ich versuchte mich davon nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.

»Gut, die erste Frage lautet: Welchen Rat würden Sie Ihrem sechzehnjährigen Ich geben?«

»Wie bitte?«, platzte es aus mir heraus. Was war das denn bitte für eine Frage? Was hatte mein sechzehnjähriges Ich damit zu tun, ob ich für den Job geeignet war oder nicht? Warum stellte Mr Campbell mir keine fachliche Frage?

»Soll ich die Frage noch einmal wiederholen?« Zwischen Mr Campbells Augenbrauen hatte sich eine steile Falte gebildet. Oje, ich befand mich auf dünnem Eis.

»Nein, ich bin nur etwas überrumpelt worden von der Art der Frage.« Ich versuchte mich an einem möglichst unverfänglichen Lächeln, während ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss.

»So ging es mir damals auch.« Mr Anderson nickte mir aufmunternd zu. »Nehmen Sie sich ruhig etwas Zeit, um die Frage sacken zu lassen.«

»Gut«, erklärte ich, während ich in meinem Gehirn wie verrückt nach einer halbwegs eloquenten Antwort suchte. Was wollten sie bloß von mir hören? Welche Antwort würde am besten zu einem Computer Scientist bei der NASA passen?

Ich räusperte mich. »Ich würde mir wahrscheinlich sagen, dass ich mein Ziel immer im Auge behalten und Tag für Tag hart arbeiten muss. Dann kann ich alles erreichen.«

»Sie würden wahrscheinlich? Das klingt wenig überzeugend.« Mr Campbell lehnte sich in seinem Stuhl nach vorne. Sein Blick bohrte sich in meinen. »Nach dem Durchsehen Ihres Lebenslaufs hätte ich mehr von Ihnen erwartet, Ms Johnson.« Seine Worte und die Art, wie er sie betonte, ließen das Bild meines damaligen Schuldirektors vor meinem geistigen Auge aufflackern. »Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen, Margret. Ich habe so viel mehr von Ihnen erwartet. Es tut mir sehr leid, aber unter diesen Umständen muss ich Ihnen den Platz an meiner Schule entziehen.«

Meine Kehle schnürte sich zu, als die Verzweiflung der sechzehnjährigen Maggie wie eine Welle über mich hereinbrach. Ich schluckte und sah auf meine bebenden Hände, bevor ich antwortete.

»Ich würde mir sagen, dass ich mich von Rückschlägen nicht unterkriegen lassen darf. Dass ich den Kopf nicht in den Sand stecken darf, nur weil sich eine Tür für mich geschlossen hat.« Ich hob den Blick und sah Mr Campbell fest in die Augen. »Ich würde mir sagen, dass es immer einen Weg gibt, auch wenn es nicht immer der direkte ist.« Ich hielt den Atem an und wartete. Mr Campbells Mundwinkel zuckte, während Mr Anderson mit seinem Grinsen nicht hinter dem Berg hielt.

»Gut. Die nächste Frage: Was wäre ein Grund, warum wir Sie nicht einstellen sollten?«

Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht wieder »Wie bitte?« zu fragen. Die Frage saß wie eine Ohrfeige. Wie sollte ich ehrlich auf so eine Frage antworten, ohne mich damit gleich zu disqualifizieren?

»Da fällt mir nur ein, dass einer der anderen Bewerber besser ist als ich, mehr Erfahrung oder Fachwissen hat oder seine Leidenschaft mit mehr Enthusiasmus präsentieren kann.« Nun beugte ich mich in meinem Stuhl nach vorne. »Aber eins kann ich Ihnen versprechen: Was mir aktuell vielleicht noch an Erfahrung fehlt, werde ich durch Wahnsinn wieder rausholen.«

Mr Anderson klopfte sich lachend auf die Schenkel, während die anderen beiden fragend die Augenbrauen hoben.

»Können Sie diesen Wahnsinn etwas genauer beschreiben?«, wollte Ms Higgins wissen. Die Skepsis in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

»Ich meine damit, dass ich bisher immer tausend Prozent gegeben habe, um meine Ziele zu erreichen. Ich habe alles dafür gegeben, Computer Science studieren zu dürfen. Ich habe Tag und Nacht gearbeitet und einiges dafür geopfert, um den Abschluss machen zu können. Und genau dieses Herzblut und dieser Ehrgeiz werden auch in meine Arbeit fließen. Zu tausend Prozent!« Mein Herz trommelte wie eine Gewehrsalve gegen meine Brust. Ich presste die Lippen zusammen und versuchte die Gesichter der drei zu lesen, aber außer einem kleinen Nicken von Mr Anderson zeigte keiner eine Regung. Ich konnte nur mutmaßen, ob ich mit meiner Antwort richtig- oder meilenweit danebenlag. Mr Campbell machte sich Notizen, bevor er sich mir erneut zuwandte.

»Ich habe noch eine letzte Frage an Sie. Was ist das Verrückteste, das Sie jemals getan haben?«

»Das kommt darauf an, was Sie als verrückt bezeichnen würden.«

»Was würden Sie als verrückt bezeichnen?«, konterte Ms Higgins. Ihr Gesicht war weicher geworden. Sie war kurz davor, mir freundlich zuzulächeln.

»Meine Definition von Verrücktheit stimmt nicht unbedingt mit der anderer Leute überein. Ich habe meinen Abschlussball verpasst, weil ich für die Aufnahmeprüfung an der Uni lernen wollte und wurde für verrückt erklärt. Als ich nach der Schule Informatik studieren wollte, hielten mich alle für irre. Als ich bei meinem dementen Großvater eingezogen bin, um mich um ihn zu kümmern, wurde ich als nicht mehr ganz dicht abgestempelt.« Ich lächelte, als ich an Grandpa dachte. »Für mich sind das die normalsten Dinge der Welt. Wenn ich aus meiner Sicht sagen sollte, was das Verrückteste war, das ich je gemacht habe …« Ich machte eine bedeutungsschwere Pause. »… würde ich sagen, ich habe Fischstäbchen mit Nutella gegessen.«