Dekadent - Dankmar H. Isleib - E-Book
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Dekadent E-Book

Dankmar H. Isleib

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Beschreibung

Ein geheimer Club. Eine rätselhafte Mordserie. Eine mysteriöse SMS. Im privaten Club der Reichen und Schönen, dem Dekadent, sind auf mysteriöse Weise zwei Personen umgekommen. Im Laufe der nächsten Stunden werden immer mehr Tote gemeldet – alles Partygäste im Club. Als der Privatdetektiv Daniel Richter von der Witwe eines der Opfer engagiert wird, ahnt er nicht, dass er es mit einem völlig durchgeknallten, perversen Täter zu tun hat, der einen perfiden Plan verfolgt. Wieso plante der Mörder genau 111 Tote innerhalb von 24 Stunden? Und was hat es mit der kryptischen SMS auf sich, die die Partygäste vor ihrem Tod erhalten haben? Ein gnadenloser Wettlauf gegen die Zeit … Daniel Richter, der 'Doktor', ist Experte auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität – bis er beim LKA Bayern gefeuert wird. Nun ermittelt der Ex-Cop mit dem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn halt auf eigene Faust ... DEKADEN† ist der dritte Band aus der Reihe 'münchenMAFIAmord' um den abgebrühten Privatermittler.

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Seitenzahl: 299

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DANKMAR H. ISLEIB

86401DEKADENT

THRILLER

münchenMAFIAmord

3

Inhalt

Hinweis

PROLOG

EPILOG

ANHANG

Hinweis

Diese Story ist in fast allen Komponenten komplett frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig und sind nicht gewollt. Die Namen der Straßen und Handlungsorte in München sind korrekt.

Aber daraus sollte nicht geschlussfolgert werden, dass in dem Haus „X“ die Person „Y“ lebt oder der Mord „Z“ im Lokal „XYZ“ geschehen ist.

DEKADENT ist ein Thriller und nicht mehr …Das Buch erhebt keinesfalls den Anspruch, ein Spiegelbild der Arbeit der Kriminalpolizei zu sein.

Übrigens:

Der Protagonist Daniel Richter ist ein Musikfreak. Wen die kurzen Songtexte stören, der sollte sie einfach überlesen. Sie passen zur Story, aber … Also: bitte nicht darüber ärgern.

Prolog

ANNA, Fanny und ich flogen First Class von Kapstadt nach München, um zu heiraten. Also Anna und ich. Das mit der Luxusklasse hatten wir uns alle verdient. Anna, weil sie mich liebt – und das ist wahrlich bei einem Typen wie mir nicht einfach … –, Fanny, weil er mal in den Genuss kommen sollte, im Jumbo ganz vorne zu sitzen, auch wenn er freiwillig auf den Champagner verzichtete, mit den arroganten Passagieren der Luxusklasse nicht besonders gut klarkam und insgesamt mit der Fliegerei ein wenig überfordert schien, und ich – weil ich den letzten großen Fall perfekt gelöst und ein absolut geiles Honorar von einem Mann kassiert hatte, der inzwischen längst im Knast saß.

Wieder einmal hatte die Gerechtigkeit gesiegt und darauf war ich ein wenig stolz!

Kaum zuhause angekommen, traf ich den Anrufer, der mich ursächlich vom südafrikanischen Urlaubsparadies weggelotst hatte. Die Heirat hätte noch ein paar Tage warten können, aber in einem Anflug romantischer Stimmung am Strand von Kapstadt hatte ich Anna gefragt, ob sie denn …

Jetzt musste ich feststellen, dass der neue Auftrag nicht für einen schnellen Erfolg taugte und viel Zeit in Anspruch nehmen würde.

Ein Riesenprojekt mit umfangreichen Recherchen, alles ausgesprochen reizvoll. Erfolg über Nacht war schon deshalb nicht möglich, weil mich dieser Auftrag fast um den ganzen Globus führen würde. Wir saßen stundenlang beim ›Käfer‹ zusammen und je mehr mein neuer Auftraggeber erzählte, umso heißer wurde ich darauf, den Fall anzunehmen, und ich war auch sicher, ihn lösen zu können.

Nur so viel: Es würde sich um ein spezielles Glas handeln. Ich hatte vor diesem Gespräch noch nie davon gehört …

Mehr kann und darf ich zurzeit noch nicht preisgeben.

Ich denke schon, dass der Mann, der mich unbedingt sprechen wollte, wusste, was er tat, und einen der Besten der Branche für den Job ausgesucht hatte.

So viel Selbstbewusstsein muss sein.

Meine Position, die ich einst beim LKA hatte, zahlte sich inzwischen doch aus.

Als wir uns trennten, war der Handschlagdeal perfekt. Der Mann bot mir ein sehr gutes Honorar und üppige Spesen, die mir völlig freie Hand lassen würden.

Auf beiden Seiten gut gelaunt, verabschiedeten wir uns voneinander.

Danach bummelte ich noch durch die Stadt. Verglich Kapstadt mit München und stellte fest, dass man Städte nicht miteinander vergleichen sollte, dass Capetown viel aufregender ist als meine Heimatstadt und dass ich dennoch aus meinem geliebten Minga nicht wegwollte.

Dass mich ein anderer Fall vor dem Mammutprojekt, das ich per Handschlagdeal gerade zugesagt hatte, dermaßen aufwühlen und uns alle fast an den Rand des Wahnsinns treiben würde, damit konnte ich wirklich nicht rechnen.

Das Timing des total durchgeknallten Mörders war mal wieder perfekt.

Ich hatte nur einen einzigen Tag zur Lösung des Rätsels und selbst wenn es mir gelingen sollte, würden dennoch viele Menschen sterben müssen …

Eigentlich war ich ja ‚nur‘ zum Heiraten nach München gekommen.

Meine Anna!

Ich will nicht vorgreifen, aber das ging irgendwie in die Hose.

Wäre ich doch lieber in Kapstadt geblieben …

Aber ich liebe außer Anna nur München und meinen Job!

Und Fanny.

Um ehrlich und gerecht zu bleiben.

Denn:

DIE GERECHTIGKEIT IST UNSTERBLICH.(Buch der Weisheit 1,15 – um 50 v. Christus)

Der ‚Doktor‘:

12:34 Uhr. Nicht mal zum Frühstück komme ich. Ich glaube, ich schmeiße mein Handy in den Pool. Katastrophe. Die Leute lassen mich einfach nicht in Ruhe. Ständig wird in München gemordet, geraubt, geklaut, geprellt, gefickt, gelogen, ge …

Geht‘s noch?

Und mich rufen sie dann an, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Irgendeinen Scheiß fabriziert haben, aus dem sie nicht mehr rauskommen. Oder was erlebt haben, was ihnen die Hutschnur zerlegt.

Neulich sitze ich im Café, am Nebentisch zwei Top-Tussis, aufgetakelt wie ein Fünfmaster kurz vor ‘ner Sturmwarnung, sagt die eine zu der anderen: „In München gibt es so viele neidische und bösartige Frauen. Die gönnen dir nicht mal das Schwarze unten den Fingernägeln, obwohl sie selbst so viel Geld haben, dass sie dich damit zusch … könnten – na du weißt schon, ich möchte ja nicht vulgär sein –, aber noch mehr Probleme, als Kohle haben …“

O. K., dachte mich mir.

Genau davon lebe ich.

Und nicht mal schlecht.

Der ‚Doktor‘ hat einen guten Ruf. In Kreisen, die um ihren guten Ruf besorgt sind.

Das iPhone. Es lärmt noch immer. Mein Klingelton? „Zero Days“ von PRONG. Hart, härter.

Ein Killersong.

Anna Fischer, meine Noch-immer-Freundin-und-bald-Ehefrau (JA!!), hatte mir die Nummer vor ein paar Wochen in Kapstadt draufgespielt. Findet crossover trash zurzeit „abgeschädelt“. Wollte mich wohl, ach was weiß ich …

»Ja?«

»Sie sind der Doktor, stimmt’s?«

Frauenstimme.

Als ob ich es geahnt hätte. Schrill wie ein Dampfkessel kurz vor dem Zerplatzen. Nervös, die Dame.

Blöde Frage. Sie hat meine Nummer. Die hat nicht jeder. Ich bin nicht auf Facebook oder Twitter, habe keine Website, hänge in München auch keine Plakate mit meiner Visage und der Handynummer auf. Instagram ist für mich eine neue Kaffeesorte. Trotzdem kennt Madame Schrillpfeife meine Nummer. Derjenige, der sie ihr gegeben hat, weiß doch genau, wer ich bin!

O. K.

Der Dampfkessel schrillt noch schriller weiter:

»Mein Mann, ja, der ist, eh, der war ein Arschloch! Ein riesiges!«

Klingt fein, die Ansprache. Was will die Schrille von mir?

»Der ist tot! Einfach so. Sagt der Rudi, der ihn mit ins DEKADENT geschleppt hat. Sie kennen den besten Privatclub Münchens, ja? Und mein Ecki …«

Ich verstehe nur Bahnhof.

»Halt! Stopp! Jetzt mal von vorne, gute Frau, bitte! «

»Der Anruf von Rudi kam vor genau drei Minuten. Er sagte, dass ‚das Spiel‘ jetzt beginne. Auf die Sekunde. Und er faselte was von Vierhundertsechzigtausend oder so. Und noch einer Toten. Und er gab mir Ihre Nummer, Doktor!«

»Noch mal, bitte. Wer sind Sie?«

Ich schaue zur Uhr, rechne zurück und schreibe mir automatisch die Zahl auf, die die Anruferin genannt hatte – 12:37. Der Ermittler in mir. Alles könnte wichtig sein. Das habe ich noch nicht abgelegt, aber es hat in meinem Job Vorteile, wenn man präzise arbeiten kann. Aber heute, ausgerechnet heute! Da geht bei mir gar nichts. Keine Zeit. Anruf annehmen, ja. Aber ansonsten: Anna, Fanny und ich haben nachher noch etwas Einmaliges, Besonderes vor uns …

»Ach so, ja, ich bin Gitti Mörsmann. Die Frau, eh, Ex-Frau, nein, falsch, die Witwe von Ecki Mörsmann.«

Schluchzen, das sich anhörte, als ob ein halbes Dutzend New-Yorker-Bullenkarren im nächtlichen Volleinsatz die Fifth Avenue Richtung Downtown rasen, um einen schießwütigen Junkie auf Speed einzufangen.

Mein iPhone machte schlapp …

Hussein-Hiob Hiebler:

12:37 Uhr. Der bullige Typ transpiriert. Ob es sein überflüssiges Bauchfett ist, dass ihm die Schweißperlen auf die Stirn treibt, die auf der Tastatur seines geöffneten Laptops staubumhüllte Regentropfen hinterlassen, ist eher zu verneinen. Schwerer Atem füllt den Raum. Die braunen, stechenden Augen starren gebannt auf den Bildschirm; flinke, ja zarte, lange Finger, die viel eher zu einer jungen Frau passen würden, huschen über die Tasten und verwischen den salzigen Regen – die Tastatur hätte mehr Pflege verdient –, der noch immer aus seinen schwarzen Haaren tropft.

Hussein-Hiob Hiebler hatte soeben den virtuellen und doch echten Startschuss zu seinem perfiden Spiel gegeben.

Auf die Sekunde genau.

‚Sie‘, alle die, die er zu dem Spiel eingeladen hatte, würde der Zeitdruck in den Wahnsinn treiben. Vorausgesetzt, sie kapierten das tödliche Spiel.

Allerdings würde der involvierte Personenkreis vermutlich erst zu spät erfahren, in welcher Gefahr er sich befand …

Figurella:

12:39 Uhr. Sie hätte jetzt Philosophie gehabt. Bei ihrem Lieblingslehrer. Verrückt: Für genau 12:39 Uhr hatte sie geplant, heftige Magenkrämpfe vorzutäuschen, um den Unterricht vorzeitig verlassen zu dürfen. Dr. Möller würde ihr das nicht abschlagen. Sie war für 12:45 Uhr mit ihrer Freundin Lyssie verabredet und brauchte vom Wilhelmsgymnasium exakt sechs Minuten bis zum ›Zepp‹, ihrem Lieblingscafé. Figurella, wenige Wochen vor ihrem sechzehnten Geburtstag, müsste Lyssie dringend berichten, wie es gestern im DEKADENT war. Beim nächsten Mal würde sie Lyssie, ebenfalls noch fünfzehn, mitnehmen, so viel stand fest. Wochenlang hatten die beiden Freundinnen überlegt, wie sie es anstellen könnten, in Münchens neuen Hotspot zu kommen. Es gab kein anderes Thema in ihrer Clique, seit der geheimnisvolle, streng geheime Club der Superreichen Münchens eröffnet wurde. Der Zufall hatte ihr vor acht Tagen das Glück direkt vor die Füße gespült.

Besser gesagt, ein Ecki Mörsmann war ihr vor die Füße gefallen. Die Mädchen lachten sich kaputt, als der Typ, einen Pappbecher mit Coffee to go in der Hand, ins ›Zepp‹ stolperte und mit seinem Gesicht straight auf den silbernen Kennel & Schmenger-Sneakers von Figurella landete, dabei mit dem Rest des Inhaltes des Pappbechers nicht nur die Sohlen vom Straßenschmutz abspülte.

»Die sind schon geputzt, Chef«, pflaumte sie den Hinfaller des Tages an, und grinste den gutaussehenden Mann mit dem vielsagenden Blick einer Möchtegern-Prostituierten aufreizend an. Der Typ rappelte sich auf, suchte seine Armani-Sonnenbrille und erkannte, dass an den silbernen Sneakers ein ausgesprochen attraktives Objekt mit goldenen Schnürsenkeln und blaugrünen Ringelsöckchen, knackigem Po, herrlich festen Titten und goldbraunem, lockigem Haar festgebunden war. Die braucht noch keine Medikamente, stellte er in Sekundenschnelle fest und auch, dass er den Kaffee im Café ohnehin nicht mehr brauchen und die Kleine gerne mit seiner Nudel beglücken würde.

Ungefragt setzte er sich zu den fröhlichen Girls – und schon lachten sie zu dritt über sein Missgeschick.

»Ecki«, stellte sich der Mann vor. Teuer gekleidet wie die Mädchen; er hätte locker zumindest ihr Vater, wenn nicht mehr sein können.

»Sorry, ich bin zum ersten Mal hier. Ich bin mit einem Kunden verabredet, aber wie ich sehe, ist der noch nicht da.«

»Macht nichts. Wir nehmen noch einen mit Latte, Ecki, nicht wahr, Lyssie?!«

Sie zeigte mit den Augen auf ihre Freundin.

»Ich bin übrigens Figurella.«

»Und ich Ecki Mörsmann. Patentinhaber. Ich mache in Pharmazie, wenn ihr versteht, was ich meine.«

Stolz, um nicht zu sagen großkotzig, prahlte der Ecki rum. Kohle schien er zu haben.

Die Mädchen warfen sich vielsagende Blicke zu.

»Das klingt abgefahren, dekadent! Patente!«, flötete Figurella den aus ihrer Sicht alten Mann an.

»Aha. Interessant. Wie kommst du auf „dekadent“?

Ecki fühlte sich ertappt:

Geheimclub. Nur für uns Reiche! Ging leider trotzdem durch die Klatschpresse. Weiß sie was? Aber die Kleine ist hot, very hot!

Anmachen, vollsülzen, protzen. Aushorchen.

Bla, bla bla.

Zwei Stunden später – der Kunde war vergessen, oder hatte Ecki vergessen – landete Figurella mit Ecki im Bett. Um die Ecke, nahe der Maximilianstraße, in einem kleinen Touristenhotel, das nicht den frischesten Eindruck machte. Es stank überall nach Reinigungsmitteln und in der ‚Suite‘ nach muffiger Bettwäsche. Das interessierte „Vater und Tochter“ nicht.

Der Kroate mit der goldgefassten Mütze an der Desk nickte verständnisvoll und ein wenig eifersüchtig, als er dem ungleichen Paar den Schlüssel für Zimmer 7 im Austausch gegen einen Fünfhunderter aushändigte. Gerne hätte er der jetzt folgenden Nummer beigewohnt. Denn: Als erfahrener Portier wusste er, was da gleich abgehen würde. Leider konnte er seinen Arbeitsplatz nicht verlassen und eine Kamera war auf dem Zimmer auch nicht installiert …

Als das ungleiche Pärchen eine Stunde später die Absteige wieder verließ, lief vor der Goldmütze ein Porno ab.

Figurella strahlte zwischen schüchtern und ich-will-mehr und dem erschöpften Pharmatypen namens Ecki stand auf der Stirn geschrieben:

Wenn meine Frau doch auch so geil wäre oder lieber doch nicht …

Figurella hatte ihr Ziel erreicht. Ein einziges Wort hatte ihren Schädel durcheinandergewirbelt:

Dekadent.

Zufall oder Schicksal?

Herr Eckehart Mörsmann war gerade Mitglied im geheimsten der geheimen Clubs in München geworden und ganz heiß darauf, sie dorthin mitzunehmen. Der One-Night-(Nachmittags)-Stand hatte sich für Figurella gelohnt.

Sie verabredeten sich für den heutigen Abend.

Spannend.

Geheimclub der Reichen.

Ecki würde sie um 23:00 Uhr bei ihrer Freundin Lyssie abholen; ihrer Mutter würde sie gesagt haben, dass sie bei Lyssie übernachten werde. Sie müssten noch gemeinsam für die Philosophie-Klausur lernen …

Leider kam alles ganz anders. Um 12:39 Uhr des auf den Abend im DEKADENT folgenden Tages, an dem sie den Philosophieunterricht verlassen wollte, also genau jetzt, fast auf die Sekunde, waren Figurella – wie auch Ecki – bereits seit gut zehn Stunden tot. Zeitgleich hatte es sie beide dahingerafft.

Für immer.

Um 01:34 Uhr.

Im DEKADENT.

Wie, warum und durch wen klärten gerade die Beamten der noch in der Nacht sofort und unverzüglich gebildeten Sonderkommission des LKA.

Sehr diskret.

Der Einsatzleiter hatte einen Anruf von ‚ganz oben‘ bekommen.

Mysteriös waren die Tötungsdelikte allemal.

Beamte des LKA, Figurella und Ecki:

12:41 Uhr und zwei Sekunden. Zufall oder nicht. Der Demi-Chef de Cuisine des Clubs läutete zum Essen. Der Clubchef hatte es sich nicht nehmen lassen, für die Leute des LKA einen Lunch zu kredenzen, der den ‚armen Hunden‘ von der Polizei zeigen sollte, wo der wahre Reichtum der Upperclass beginnt: Sautierte Jakobsmuscheln an Apfel, Curry-Kürbis an Endiviensalat, Bretonischer Hummer an frischen Steinpilzen, Pak Choi an Lauchpüree, Gratiniertes Carré vom Lammrücken an breiten Bohnen, Artischocken und Auberginen-Couscous, Mohnsoufflé mit eingemachten Kirschen an Vanille-Krokant-Eis.

Eine Glocke ertönte, die besser zum Big Ben gepasst hätte, als in den mit mittelalterlichen Wandgemälden überfrachteten Raum, in dem der Tisch – natürlich in Gold – eingedeckt war. Die Damen und Herren der SOKO, inklusive der Spezialisten der SpuSi, wussten nun nicht nur, wo der ach so geheime Geheimclub der Schickeria war, sondern auch, wie schwülstig und dekadent er eingerichtet war, und wie die es dort krachen ließen. Schon anhand der Bilder, die durch die Presse gegangen waren, bevor das DEKADENT eröffnet wurde, konnte man sich ausmalen, dass die fensterlosen Räumlichkeiten in einem Kellergewölbe eines alten Gebäudes der Stadt untergebracht waren. Edel, ja, aber total kitschig gestaltet.

Interessant allerdings der Ort.

Damit hatten sie nicht gerechnet.

Die Lage, das Gebäude – eine Sensation!

Was Franz-Josef wohl dazu gesagt hätte!, ging es dem Leiter der SOKO durch den Kopf, als er in der Nacht mit seinem erst Minuten vorher in Hochgeschwindigkeit auf Anweisung von ganz oben – also dem zuständigen Innenministerium – zusammengestellten Team von der Michaelstraße kommend in die Von-der-Tann-Straße einbog und dann vor dem prunkvollen Gebäude auf der rechten Seite seinen Dienst-BMW parkte.

Aber der hatte ja auch seine Geheimnisse gehabt.

Franz-Xaver Bleiling, Kriminalrat und nur noch sehr selten im Außeneinsatz, lächelte süffisant in sich hinein …

Protz hoch drei. Und überall Gold, Gold, Gold. Blattgold, versteht sich. Sooo viel Geld wollte man nun auch nicht investieren. Wert? Protz hoch zwei.

Höchstens.

Nachdem der Chef der SOKO das Festessen für sich und seine Kollegen abgenickt hatte, schlugen alle vierzehn Damen und Herren des LKA zu und träumten vielleicht hier und da auch davon, wie schön es doch wäre, wenn man zwanzig Millionen auf dem Konto hätte. Das sollte, so hieß es, die untere Schmerzgrenze an Vermögen sein, die zum Eintritt in den exklusiven Club berechtigen würde. Vom jährlichen Mitgliedsbeitrag von 100.000 Dollar – warum Dollar, wussten sicher nur die Erfinder des Betrugsladens! – mal abgesehen. So viel Kleingeld kann man schon mal für ein paar nette Clubabende ausgeben, oder?!

Wieder einmal war das Sachgebiet SG 203, Forensische DNA-Analytik – Blut, Speichel, Sperma, Gewebe verschiedener Herkunft, Hautschuppen und Haare – besonders gefragt, denn sie hatten es mit einer ungewöhnlichen Tötungsart zu tun.

Das ungleiche Pärchen, das sie im DEKADENT zu untersuchen hatten, saß noch immer unverändert auf den goldenen Stühlen, nachdem die anderen Clubmitglieder während des vorzüglichen Dinners der letzten Nacht bemerkt hatten, dass Eckehart, genannt ‚Ecki‘, Mörsmann und seine sehr junge, weibliche Begleitung sich nicht mehr bewegten.

Wie versteinert.

Wenn da nicht …

Mit weit aufgerissenen Augen und angstverzerrten Gesichtern hatten die anderen zehn Clubmitglieder fluchtartig den Tisch und das Gewölbe ›Tiberius Sempronius Gracchus‹ geräuschlos verlassen. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können.

Angst, Angst, Angst!

Und: Diskretion war angesagt.

Man war schließlich im DEKADENT und etwas Besonderes.

Münchens Elite.

Amen. Also wegen der ‚Elite‘ …

Aber der Schrecken über den Anblick des ungleichen Pärchens überwog; ein Bild wie dieses hatte keiner der Herren vorher gesehen. Es hätte eines der mystisch/grausamen Bilder von Hieronymus Bosch sein können.

Der Herr Mörsmann und seine Begleitung wirkten wie vom Blitz getroffen, versteinert. Einerseits. Andererseits merkwürdig lasch und fahl. Ein Widerspruch in sich, dem der Chef-Forensiker nur ein ungläubiges Lächeln entgegensetzen konnte.

Bei dem verdammt jungen Mädchen hatten sich auf der linken Seite ihres schönen Kopfes die Haare gelöst. Was war das? Trug sie eine Perücke? Hatte sie eine Chemotherapie erhalten?

Kahl die linke Seite.

Auf der eigentlich stofffreien Schulter – sie trug eine weit ausgeschnittene Seidenbluse ihrer Mutter in Royalblau – lange, braune Haare. Wie ausgerissen. Aber ihr Nachbar des Dinners, ein ziemlich verkrampft und nervös wirkender Privatbankier, hatte weder an ihr gerissen, noch sie in irgendeiner Weise sittlich oder unsittlich berührt.

Wie kam das?

Haare, überall Haare und eine Halbglatze.

Innerhalb von Minuten.

Und aus ihrer Nase tropfte Blut.

Noch immer …

Ihr Gegenüber, der in der Münchener Gesellschaft eigentlich völlig unbekannte Eckehart Mörsmann, mit dem gleichen Phänomen: sein Hinterkopf kahl. Wie frisch rasiert. Seine fahlblonden Haare in Büscheln verteilt auf dem schwarzen Sakko. Auf der Sitzfläche des mit goldenem Brokat bezogenen Sessels, auf dem der Tote saß, war blutiger, hellroter Kot zu sehen, der inzwischen den Boden des edlen Gemaches ›Tiberius Sempronius Gracchus‹ erreicht hatte.

Stinkend.

Ein Anblick, den die Flüchtenden nicht vergessen würden.

Ebenso leise und unauffällig verließen die anderen 88 Mitglieder den Club. Allein im Festsaal ›Romulus‹ hatten die 66 Gründungsmitglieder des DEKADENT gefeiert. Die acht Clubmitglieder, die sich alle schon von einer internationalen politischen Verbindung her kannten und befreundet zu sein schienen, und die im ›Caligula‹ schon einige Flaschen Absinth über den Durst getrunken hatten, waren hart im Nehmen. Sie wollten in ihrem Suff unbedingt einen Blick auf das gespenstische Pärchen im ›Tiberius Sempronius Gracchus‹ werfen, bevor sie schwankend den Ort des Geschehens verließen. Die ‚Freunde‘ gehörten definitiv zur Hardcore-Abteilung des DEKADENT und hatten nach dem Schockerlebnis ihren Abgang besonderer Art.

Niemand wollte letztlich mit dem merkwürdigen Gruselereignis in Verbindung gebracht werden.

Es wurde gesimst, dass die Handys glühten.

Anwälte schmissen ihre Geliebten oder Ehefrauen aus den Betten. Sie fingen zu rotieren an und wussten dennoch nicht, wo sie ansetzen sollten und wofür die Aufregung eigentlich gut sein sollte, außer für ihr eigenes Bankkonto.

Zwei Tote! Im DEKADENT!

Schrecklich!

Heuchelei pur.

Sie dachten alle nur an ihr Honorar, das in Fällen wie diesen besonders hoch ausfallen würde.

In den Stunden seit dem Eintreffen der SOKO waren sich die Spezialisten einig, dass sie es mit dem ungewöhnlichsten Fall zu tun hatten, der ihnen in ihrer Laufbahn untergekommen war.

Der Toxikologe der SpuSi stand regungslos vor den beiden sitzenden Leichen. Er schüttelte mehrfach seinen Kopf.

»Ich bin ratlos, Chef, völlig ratlos! Ich habe schon viele Tatorte gesehen, aber einen wie diesen …«

»Könnte es sein«, fragte Kriminalrat Franz-Xaver Bleiling den Toxikologen, »dass wir es hier mit den Folgen einer Radioaktivität zu tun haben? Mir fällt da gerade der Fall des russischen Spions Litwinenko ein, der vor etlichen Jahren in London einem Anschlag mit radioaktivem Material zum Opfer fiel. Wir hatten seinerzeit dazu mehrere Weiterbildungen. Haarausfall, Diarrhö, Blutungen und so sind da an der Tagesordnung.«

»Daran habe ich auch schon gedacht, aber die Möglichkeit sofort wieder verworfen. Wir leben in Deutschland, in München! Sind in einem obskuren Nachtklub der Neureichen und Angeber. Wer sollte hier mit atomaren Materialien arbeiten können?! Da kommt keiner ran. Und überhaupt: warum, wofür? Töten kann man auch anders. Das macht alles keinen Sinn. Aber wann sind Morde schon sinnvoll … Nein, Xaver, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, obwohl die Symptome passen könnten. Bei dem Russen war es Polonium, 210Po. Je nachdem, wie viel man von dem Zeug verabreicht, liegen die Halbwertzeiten in etwa zwischen 3·10−7 Sekunden für 212Po bis zu 103 Jahren für das künstlich hergestellte 209Po, wenn dir das was sagt!«

»Das heißt was?«

»Wie lange man auf so einen Tod warten muss, wenn man das Zeug verabreicht bekommt? Es hängt natürlich von der Menge ab. Und von der Art und Weise, wie das Polonium in den Körper gelangt. Vorausgesetzt, wir haben es hier überhaupt mit Polonium zu tun. Das kann der Doc erst feststellen, wenn er die beiden Leichen auf dem Tisch hat. Wenn Polonium-210 in den Körper gelangt – entweder über das Essen, über Getränke oder durch Einatmen –, kann das wahnsinnig schnell gehen. Dann entfaltet die Strahlung je nach Menge oft blitzartig ihre zerstörerische Wirkung. Zwar wird ein großer Teil des aufgenommenen Poloniums direkt wieder ausgeschieden, doch über den Blutstrom erreicht der Rest verschiedene Gewebe und Organe. Dort hat die Alphastrahlung eine so große Energie, dass sie Zellstrukturen geradezu in Sekundenschnelle zertrümmern kann. Das muss hier geschehen sein. Immer vorausgesetzt, wir haben es mit Polonium zu tun. Ist ja nur eine Vermutung. Einfach crazy, verdammt noch mal …«

»Du machst mir Angst, Toxi!«, erwiderte Kriminalrat Franz-Xaver Bleiling vom LKA. Er nahm den mit „Toxi“ angesprochenen Kollegen am Arm und sagte:

»Komm, lass uns was essen gehen. Könnte ja sein, dass das nicht vergiftet ist …«

Daniel Richter und Sepp Huberbauer:

12:43 Uhr. Der Monolog von Gitti Mörsmann hatte um 12:42 Uhr geendet. Fanny schaute mich an und ich ahnte, was er sagen wollte.

Die Alte hat dich genervt, stimmt’s?

»Klar, mein Alter!«, antwortete ich ungefragt meinem Tosa Inu und streichelte ihm über seinen dicken Dickschädel. Die achtundachtzig – oder waren es schon fünfundneunzig? – Kilogramm Lebendgewicht – er hatte in Südafrika wirklich zugelegt! – drehten sich zur Seite. Fanny irrte sich so gut wie nie.

Er war zufrieden und bestand weiterhin auf seinen Mittagsschlaf.

Ich wählte unverzüglich eine Nummer in der Ettstraße; es war 12:44 Uhr. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass bei diesem Fall der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle spielen sollte, aber ich wusste nicht, welchen:

»Sepp, kennst du einen Club namens DEKADENT?«, fiel ich mit meinem Anruf Hauptkommissar Huberbauer vom Morddezernat München 1 vermutlich direkt in seinen Mittagsschlaf.

»Natürlich, du Ignorant!«, brummelte Sepp in den Hörer.

»Da scheint es einen Doppelmord gegeben zu haben. Bist du nicht eigentlich dafür zuständig?«

Jetzt war Hauptkommissar Huberbauer hellwach.

»Was sagst du da? Einen Doppelmord? Im DEKADENT? Wann denn? Gerade eben? Warum weiß ich nichts davon?«

Ich hatte ihn.

Er log mich nicht an. Der clevere Graukopf, ein ruhiger Typ und mich irgendwie an Colombo aus der alten US-TV-Serie erinnernd, wusste wirklich nichts. Aber warum? Hatte mich die Mörsmann, die mich in einer Stunde im Café Luitpold treffen wollte, veralbert? Gab es gar keinen Mord?

»Sepp, ich bin in zehn Minuten bei dir.«

Rascheln. Grummelgrummel.

Aufgelegt.

Huberbauer war stinkig und würde sofort in die Vollen gehen. Ich weckte Fanny und schon waren wir unterwegs in Richtung Ettstraße. Anna hatte mir ein ätzend orangefarbenes Fahrrad mit der Bemerkung geschenkt: »Damit ihr nicht verfettet« – und meinte tatsächlich Fanny und mich.

Frechheit!

Als wir das Büro des Hauptkommissars betraten, hing Sepp mit hochrotem Kopf noch immer am Telefon. Dann knallte er den Hörer auf.

Wie bei mir.

Diesmal ohne ‚Grummelgrummel‘.

»Irgend so eine Pfeife aus der Staatskanzlei hat doch tatsächlich den Bleiling vom LKA letzte Nacht aus dem Schlaf geholt, eine SOKO bilden lassen und in den dämlichen Club geschickt. An mir vorbei! Kannst du das glauben? An mir vorbei! Bin ich denn schon in Pension oder wie?! Zwei Tote. Blutjunges Mädchen und ein reicher Armleuchter. Da läuft was, was mir gar nicht gefällt. LKA! Und noch viel weniger, dass du, Doktor, schon wieder mehr weißt als ich, und deine Finger im Spiel zu haben scheinst!«

Stille.

Nicht ganz, denn die Klimaanlage machte ätzende Geräusche.

Huberbauer war angepisst.

Hussein-Hiob Hiebler:

12:45 Uhr. Hussein-Hiob Hiebler transpirierte noch immer und das würde sich in den nächsten 85541 Sekunden auch nicht ändern. Innerhalb dieser gerade begonnenen 85541 Sekunden würde seine Wahrsagung, die er insgesamt an 108 (+ 2) (+ 1) – also 111 – Personen per SMS mit einem sekundengenauen Versprechen verschickt hatte, in Erfüllung gegangen sein.

Für jeden Einzelnen. In exakt berechneten Abständen, so, dass man die Atomuhr in Brüssel danach stellen könnte.

Sogar an sich selbst hatte er eine Kopie der SMS geschickt („+1“). Der guten Ordnung halber, um die Kraft der Zahl 111 nicht zu zerstören. Allerdings hatte er für sich die Message, die er soeben an die anderen 108 Männer geschickt hatte, von negativ in positiv gewandelt.

Zwei weitere Personen waren von der Weissagung ausgeschlossen. Die hatten ihre Message direkt zum Zeitpunkt der Erfüllung erhalten und waren schon einem Exempel zum Opfer gefallen.

Ein herrlicher Anblick, den er leider nur für Augenblicke genossen hatte!

Und, was nur er wusste: Morgen um diese Zeit wäre bereits alles vorbei! Auf die Sekunde …

111 Mitglieder hatte der Club der Reichen und Neureichen, DEKADENT.

Eine Powerzahl.

Hussein-Hiob Hiebler hatte die Gründungsväter der ach so geheimen neuen Supervereinigung Münchens reichster Männer geschickt dazu überreden können.

111 – keine Person mehr, keine weniger.

Manipulation war eine seiner Stärken.

Und als er vom Initiator des DEKADENT-Clubs auf die Möglichkeit einer Mitgliedschaft angesprochen wurde – ‚man‘ hatte sein Vermögen geprüft und mit aktuell 217 Millionen Euro für ausreichend befunden –, hatte HHH, wie er in der Branche der auffällig Reichen nicht ohne Bewunderung genannt wurde, sofort an eine okkulte Zahl gedacht, die es einzubringen gelte …

HHH – er wusste, dass ihn seine Kommilitonen mit Nicknamen HaHaHa nannten, ihm war ÄitschÄitschÄitsch, natürlich Englisch ausgesprochen, schließlich leben wir in Deutschland, dem Land der Anglisten, viel lieber, das machte was her! Hussein-Hiob Hiebler galt in der Schickeria der bayerischen Hauptstadt als ein kleines, einsvierundachtzig großes Genie. Ein Emporkömmling, dem man in Kreisen des meist neureichen Geldadels eine gewisse Hochachtung zollte.

Der 32-jährige Hussein-Hiob hatte es tatsächlich geschafft: Sein Vater, Hussein III., Ägypter und vor 33 Jahren als knapp Neunzehnjähriger aus Alexandria nach Deutschland gekommen, arbeitete noch immer am Fließband bei BMW. Den Job bekam er, kaum dass er ein paar Tage in München war. Schon am zweiten Arbeitstag, als er für seinen ersten Hilfsarbeiterposten eingearbeitet wurde, stand plötzlich neben ihm ein Mädchen, in das er sich auf Anhieb verguckte. Liebe auf den ersten Blick oder die Angst vor der Einsamkeit? Er ließ den Schraubenschlüssel fallen und starrte nur noch die Schönheit an, nicht die Hinterachse des 3er BMWs. Das Mädchen, das völlig unerwartet vor ihm stand, brachte ihm einen Fragebogen von der Personalabteilung vorbei, den er ausfüllen sollte. Hussein sprach zwar fließend Französisch, da er in Alexandria auf eine französischsprachige Schule gegangen war und auch recht gut Englisch. Mit dem Deutschen tat er sich mehr als schwer, obwohl er vor seiner Flucht die Sprache des Landes seiner Träume gepaukt hatte.

Leah, so hieß die Kleine mit den langen pechschwarzen Haaren, war Lehrling. Gerade mal 15 Jahre. Sie wollte Sekretärin werden. Auch sie eine Immigrantin, aus Kiew, das zu der Zeit, als ihre Eltern mit ihr nach Deutschland kamen, noch zu Russland gehörte. Hussein lächelte sie an und bat um Hilfe. Sie verabredeten sich nach der Arbeit, um den Fragebogen gemeinsam auszufüllen. Hussein nahm Leah mit auf seine Bude im Olympiapark – da hatte BMW ein paar Zimmer angemietet, die sie neuen Mitarbeitern für die Zeit zur Verfügung stellten, bis sie eine Wohnung gefunden hatten – und fiel sofort über sie her. Frauen und Islam, da verstehen junge Männer oft etwas falsch. Aber Hussein junior hatte Glück. Leah war selig – endlich wurde sie entjungfert und zur richtigen Frau. Auch sie war scharf wie Nachbars Lumpi. Ihre Freundinnen in der Berufsschule, die meist älter waren, erzählten von nichts anderem als vom ‚Bumsen‘ und wie schön das wäre und gebrauchten diesen Begriff immer, wenn sie Leah anmachten, es doch endlich auch mal zu versuchen.

Seit diesem Tag, es waren fast 33 Jahre vergangen, waren Leah und Hussein ein Paar. Sie hatten noch während ihrer Schwangerschaft geheiratet. Denn: Gleich beim ersten Mal hatte es geklappt – Leah, selbst noch ein Kind, erwartete ein Kind. Ganz zur großen Freude ihrer Eltern …! Eine Minderjährige …! Zuerst wurde nach jüdischer Zeremonie geheiratet, dann muslimisch. Alles lief harmonisch ab, Leahs Eltern waren zwar nicht happy, aber extrem tolerant und akzeptierten das junge Paar.

Beide, Hussein und Leah, arbeiteten noch immer bei BMW, liebten ihre Jobs – Hussein als Fließbandarbeiter und Leah als Sekretärin – und lehnten das Angebot ihres einzigen Kindes ab, von ihm, Hussein-Hiob, ausgehalten zu werden. Das war unter ihrer Würde. Ja, sie waren stolz auf ihren Sohn, aber gleichzeitig war es ihnen nicht geheuer, wie man als junger Mann schon so viel Geld auf ehrliche Art und Weise machen konnte. Sie malochten lieber und verdienten ihr Geld mit richtiger, anständiger Arbeit.

Hussein-Hiob ging das völlig am Arsch vorbei.

Er hatte in all den Jahren seiner Kindheit und noch während des Studiums damit zu kämpfen, dass man ihn akzeptierte. Seine Hautfarbe war für einen deutschen Mann zu dunkel; die braunen, stechenden Augen zu schräg, zu asiatisch und zu direkt, die Hände zu ‚weibisch‘, wie man es ungalant in Bayern nannte, nur weil sie zart, lang und schmal waren. Die einen empfanden seinen durchdringenden Blick, für den er gar nichts konnte, als aufdringlich. Stechend-widerlich die anderen.

Hussein-Hiob hatte einen großen Hass auf seine Eltern, darauf, dass sie ihn gezeugt hatten. Prahlen konnte man ohnehin mit ihnen nicht und schließlich waren die schuld, dass er so aussah, wie er aussah. Warum mussten die ein Kind kriegen! Vögeln, ja. Das machte er selber ausgiebig und so gut wie täglich. Er benutzte die Frauen, egal wie schön, jung oder alt sie waren. Er war sich bewusst, dass sie letztlich seine Millionen vögelten, nicht ihn. Eine war anders. Sie liebte ihn, sagte sie immer. Aber das war HHH egal. Er bemerkte es nicht mal. Das Gesülze war ihm lästig. Um so einen Scheiß konnte er sich nicht kümmern.

Liebe.

Während des Studiums des Mathematical Engineerings an der Uni der Bundeswehr gab es nur wenig Frauen. Die schauten durch ihn durch. Beachteten ihn nicht. Sie hatten schnell mitbekommen, dass der Hussein-Hiob ein weinerlicher, wahnsinnig aggressiver Typ war. Lief irgendetwas, und sei es die kleinste Kleinigkeit, nicht nach seiner Vorstellung, seinem Willen ab, wurde er jähzornig. Extrem jähzornig und sah dann aus wie ein zerplatzender, knallroter Luftballon. Dazu sein Gang. Der war einfach nur lächerlich. HaHaHa lief wie ein frisch aufgezogener, mechanisch und recht plump arbeitender Roboter der ersten Versuchsreihen, die nach siebzehn mühseligen Schritten bei der kleinsten Unebenheit umfielen.

Eckig, kantig, klobig, unbeholfen, unmusisch.

Das törnte die wenigen Studentinnen der Uni ab.

Wenn der sich auch so beim Ficken anstellt – na denn Prost Mahlzeit. Da kannste nur flüchten! – das war die einhellige Meinung der Damenwelt.

Aber es sprach sich ebenso schnell rum, dass ‚HaHaHa, der Aufgezogene‘, was in der Birne hatte. Ein Rechengenie. In dieser Hinsicht kam in München-Neubiberg Bewunderung auf. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand, von verschämtem Gekicher begleitet, denn Neid gehört zum Leben.

Zahlen hatten es ihm angetan.

Alles, was es an Literatur zu Zahlen und ihrer Bedeutung gab, hatte er schon während der Zeit auf dem Gymnasium verschlungen. Er ließ nicht locker, sich auf diesem Gebiet weiterzubilden. So war ihm die kosmische Bedeutung der Zahl 1 bestens bekannt.

Dynamik und Kraft.

Das steht für die 1. Und die 11 ist gewissermaßen der Gegenpol. Ying und Yang. Diese Zahl erfordert hohe Aufmerksamkeit. Sie kann Kräfte ins Positive wie ins Negative umwandeln. Anders ist es mit der 111. Sie ist mit ungemeiner Power geladen. Wenn man die kosmische Zahl richtig nutzt, ist man der King des Universums. Zumindest aber Münchens.

Also stand für ihn fest, dass es nicht mehr und nicht weniger als 111 Mitglieder im geheimen Club der Reichen Münchens geben dürfte.

Damit sie, die Mitglieder, über ungebremste Macht verfügen würden. Die er an der Spitze des DEKADENT zu übernehmen gedachte …

Ob das seinen Club-Brüdern im DEKADENT bewusst war, interessierte ihn nicht.

Manipulation.

Darum ging es ihm.

9/11.

Er hatte die Zahlen des Ereignisses in New York genauestens studiert.

Die Basis war letztlich die 11. Was hatte sie für Unheil angerichtet!

Das begeisterte den zahlenperversen Herrn Hiebler.

Gott spielen.

Die Kabbala nutzen.

HHH war total einseitig gebildet. Alles in seinem Leben übersetzte er in Zahlen, handelte nach ihnen. So, wie die Schöpfung es vorbestimmt hatte. Es war kein Zufall, dass es im Saal ›Romulus‹ 66 Plätze gab, im Raum ›Tiberius‹ 12 Plätze, die die Gegenspieler zu den zwölf Aposteln darstellen sollten, von denen zwei teuflisch besetzt waren, ein weiteres Zimmer, ›Caesar‹, 13 Sessel hatte.

13 – im deutschen Volksmund keine Glückszahl. In anderen Regionen schon. Die Thora Gottes erwähnt 13 Attribute der Gnade. Im Sikhismus wird die Gründung der Khalsa am 13. April gefeiert. Im Hinduismus wird 13 Tage nach einem Todesfall ein Festschmaus (Tehranvi) organisiert, um dem Verstorbenen ewigen Frieden zu geben. Die Colgate Universität, USA, hält die Zahl 13 für eine Glückszahl, weil die Universität von 13 Männern mit 13 Dollar, 13 Gebeten und 13 Berichten gegründet wurde. Die Universität befindet sich auf dem Oak Drive Nummer 13. Für die Mitglieder der Universität ist alles, was mit der 13 zusammenhängt, ein gutes Omen. Auch in Italien hält man die 13 für eine Glückszahl.

Für Hiebler waren es die zwölf Apostel: Simon Petrus, Andreas, Jacobus der Sohn des Zebedäus, Johannes, Philippus, Bartholomäus, Thomas, Matthäus, Jakobus der Sohn Alphäus, Thaddäus, Simon und Judas. Ein weiterer Sessel war für ein geheimnisvolles Wesen reserviert. Man munkelte, der 13. Platz in der Runde wäre für Gott – oder Satan, je nach Auslegung von Ying/Yang.

Dann gab es noch den seiner Meinung nach am schönsten gestalteten Raum des Kellergewölbes, ›Augustus‹. Der hatte 22 Plätze.

Die 22 ist eine Meisterzahl, eine Schwingungszahl, die höchste und mächtigste Zahl und sehr selten.

Davon träumte HHH.

Er wollte der Meister sein. Konnte sich aber nicht entscheiden, denn eigentlich gefiel ihm der kleinste Raum in seiner Bedeutung auch.

Ambivalent, ja: ›Caligula‹, mit nur 6 Stühlen!

Die Zahl 6 repräsentiert das Gleichgewicht, die Vollkommenheit.

Aber die Deutung stand im Widerspruch zu seinem Namen, Caligula. Die antiken Quellen – und HHH hatte alles über den Herrscher gelesen, dessen er habhaft werden konnte – beschrieben Caligula praktisch einhellig als wahnsinnigen Gewaltherrscher mit zahlreichen Skandalgeschichten. Der Kaiser war wie kaum eine zweite Herrscherpersönlichkeit der Antike zum Gegenstand belletristischer und populärwissenschaftlicher Bearbeitungen geworden. Einige Beiträge der jüngeren Forschung diskutieren allerdings alternative Ansichten und gelangen so zu einer differenzierteren Darstellung. Eben ambivalent. Das gefiel dem Psychopathen Hussein-Hiob und er fand sich irgendwie auf die Neuzeit gespiegelt.

HHH wollte auf Nummer Sicher gehen. Alles berücksichtigen.

Der Gründer des Clubs folgte Hieblers suggestiver Manipulation und fand die Idee einfach nur riesig! Dass er sich durch den hatte manipulieren lassen, begriff er nicht. In seinem Kopf gab es nur eines: Geld. Er glaubte, er sei so gut wie Milliardär, stand eigentlich aber kurz vor der Pleite. Luftschlösser. Hussein-Hiob war drauf und dran, dem Typen alles wegzunehmen. Dank seiner Kenntnisse über die Macht der Zahlen.

Das Leben war für ihn ein Zauberwürfel.

Der ‚Magische Kubus‘.

HHH ging die Offenbarung des Johannes, Kapitel 13, Vers 18 durch den Kopf, als er sein spezielles Spiel mit den Clubmitgliedern begann. Auch die religiöse Verschleierung der Kraft der Zahlen war HHH bekannt. Letztlich war die Mystifizierung eines Zahlenspiels von immenser Bedeutung.

Das alles wollte sich der Manipulator zunutze machen. Für ihn stand fest, dass er der reichste Mann Münchens werden würde …