Feingeist - Dankmar H. Isleib - E-Book
SONDERANGEBOT

Feingeist E-Book

Dankmar H. Isleib

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als die Tochter eines Staatssekretärs im bayerischen Bauministerium tot in ihrem Bett aufgefunden wird, schaltet ihr Vater Daniel Richter in die Ermittlungen ein. Ein mysteriöses Treffen, ein verwackeltes Video und ein Staatssekretär, den man Minuten nach dem Treffen in die Luft sprengte, führen Ex-LKA-Ermittler Richter von München nach Moldawien in die tiefsten Abgründe der menschlichen Natur und in die höchsten Kreise der Münchener Politik. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Der 'Doktor' Daniel Richter ist Experte auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität – bis er beim LKA Bayern gefeuert wird. Nun ermittelt der Ex-Cop mit dem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn halt auf eigene Faust ... FEINGEIS† ist der Start der neuen Thriller-Reihe 'münchenMAFIAmord' um den abgebrühten Privatermittler Daniel Richter. Der eigenwillige Ex-Bulle macht bei seinen Ermittlungen weder vor der Münchner Schickeria halt noch vor der moldawisch-russischen Mafia. Sein Credo: Gerechtigkeit ist unsterblich!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 349

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DANKMAR H. ISLEIB

FEINGEIST

THRILLER

münchenMAFIAmord

1

Hinweis

Diese Story ist in fast allen Komponenten komplett frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig und sind nicht gewollt. Die Namen der Straßen und Handlungsorte in München sind korrekt.

Aber daraus sollte nicht geschlussfolgert werden, dass in dem Haus „X“ die Person „Y“ lebt oder der Mord „Z“ im Lokal „XYZ“ geschehen ist.

FEINGEIST ist ein Thriller und nicht mehr …

Das Buch erhebt keinesfalls den Anspruch, ein Spiegelbild der Arbeit der Kriminalpolizei zu sein.

Übrigens:

Der Protagonist Daniel Richter ist ein Musikfreak. Wen die kurzen Songtexte stören, der sollte sie einfach überlesen. Sie passen zur Story, aber … Also: Bitte nicht darüber ärgern.

Inhalt

PROLOG

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

PROLOG

ICH bin Daniel Richter. Der ‚Doktor‘, aber das später. 35, 80 Kilogramm bei 1,87. Blondes, langes Haar. Junggeselle. Also fast, auch das später …

Gerade wollte ich noch mal so richtig durchstarten, da wurde ich beim LKA Bayern gefeuert. Karriere vorbei, bevor ich richtig Speed geben konnte. Das war‘s dann wohl. Also fast. Aber auch das kommt später.

Aus und vorbei. (??)

Eine Intrige, tja, aber auch das … na, Sie wissen schon … Der ‚Doktor‘!!, nun Hauptkommissar a. D.

Oder doch nicht?

Vielleicht geht ja noch was …

Organisierte Kriminalität, das war mein Spezialgebiet. Niemand kennt sich in München besser aus, was abgeht und über wen wie was läuft.

Abseitsfalle.

Zu ‚korrekt‘ im Dienst. Nur weil ich ein paar ‚da oben‘ aus der Münchener Schickeria angepisst habe!

Darf man nicht unbestechlich sein?! Ticken die noch richtig? Na, ich werde es wohl herausfinden müssen.

Aber die können mich mal.

Wer ist mir über die Jahre nicht alles in den Allerwertesten gekrochen.

Aus und vorbei, hmm.

Seit der Zeit nehme ich verschiedene Jobs an, um über die Runden zu kommen.

Mein Problem ist mein Credo: Die Gerechtigkeit ist unsterblich.

Nichts geht mir mehr auf den Sack, als wenn jemand falschspielt, lügt, mich für dumm verkaufen oder andere Menschen betrügen will.

Oder einfach nur ein Arschloch ist.

Und, wie mir sicher viele bestätigen können: Davon gibt es jede Menge!

Überall. Und besonders in München.

Irgendwie Scheiße: Ich bin in meinen allerbesten – jungen – Jahren und man könnte sagen, wenn man es genau nimmt, offiziell arbeitslos.

Wenn da nicht noch die Jobs wären, die ich eigentlich zu meinem Leben brauche wie einen Kropf. Nur weil mich mein mir selbst auferlegtes Credo zwingt, die abzuarbeiten …

Na ja – was soll‘s!

Erschwerend kommt hinzu, dass ich in München gerne lebe und dort auch bleiben möchte.

Woanders würde ich eingehen wie ein Elch ohne Tundra, echt!

Hassliebe und Gemeckere auf hohem Niveau, denn es geht mir trotz Rauschschmiss in München ziemlich gut:

Ich habe Anna und Fanny. Das sind mehr Freunde, als die meisten von uns haben.

Das Wort ‚Freund‘ ist in München inflationär im Gebrauch:

Zweimal zusammen einen gesoffen – schon hat man ‘nen neuen Freund.

Einmal die gleiche Alte gevögelt – schon hat man einen neuen Feind.

Die Medaille hat halt zwei Seiten …

München.

Patrona Bavariae, die Schutzheilige Bayerns.

Echt?

München. Weltstadt mit Herz.

Für mich aber auch Geldstadt mit Nerz.

Und in München wird betrogen ohne Ende. In jedem Bereich. Ich weiß, wovon ich rede. Keiner gönnt dem anderen Erfolg. Jeder hat angeblich mehr Kohle als sein Freund/Feind. Ist wichtiger, ist größer, ist schöner, ist – ach wer weiß, was noch alles.

Das ist schon verdammt nervig und riesiger Bullshit.

Es zählen doch andere Werte.

Was heißt schon Erfolg! Ich sage immer: Es gibt keinen Sarg mit Anhänger!

Was nicht heißen soll, dass ich schon morgen ins Gras beißen und in einer Holzkiste dauerhaft abhängen will.

Apropos Gras: Der FC mit seiner Schüssel-Arena geht mir am Arsch vorbei. Fußball, bei dem es nur noch um Kohle geht, ist nicht mein Ding. Sorry, Uli! Und: Das ist moderner Sklavenhandel. 222 Millionen Euro für einen Kicker? Da werden Summen hin- und hergeschoben …

Dennoch liebe ich München und sorge auf meine Weise dafür, dass es so bleibt, denn:

DIE GERECHTIGKEIT IST UNSTERBLICH.

(Buch der Weisheit 1,15 – um 50 v. Christus)

I

14:32. Mein Handy klingelte. Es war Sonntag. In München-Grünwald schien die Sonne bei mäßigen 18 Grad. Ich saß im Garten meiner verhassten Fast-Schwiegereltern und dachte ausnahmsweise mal an gar nichts. Anna hatte mir gerade einen grünen Smoothie gebracht, aber das Blumenbeet hatte Feuchtigkeit nötiger als ich.

»Danke, das ist toll!«, sagte ich in den Wind.

Mein Smartphone machte noch immer Lärm: Joe Bonamassa sang „Sloe Gin“. Der Sound dieser kleinen Teile ist echt beschissen. Dennoch. Joe weckte mich auf. Der hat ‘nen geilen Groove.

Diese Stelle im Endlos-Repeat: „… I’m so damn lonely / Ain’t even high / I hate to go home alone / But what else is new? / I’m so damn lonely …“

Ja, genau so fühle ich mich. Trotz Anna und dem scheiß Smoothie. Welcher Trottel will denn heute was von mir …?

Mein Handy zeigte keine Rufnummer an.

Unterdrückt.

Dennoch wischte ich über das Display.

»Wer will was von mir?«

»Können wir uns treffen? Jetzt? Sagen wir in dreißig Minuten? An der Bavaria. Halten Sie direkt davor. Sie kommen vom Süden der Stadt. Es ist doch noch immer der dunkelgrüne Jaguar XKR …?«

»Nein. Der F-Type SVR von 2016. Wer sind Sie, was wollen Sie?«

Ich war sauer.

Das liebe ich: Menschen ohne Namen! Doch in der Stimme des Fremden war etwas, das mich aufhorchen ließ.

Klar, ich bin übervorsichtig. Aber der Typ, der mir meinen Sonntag klauen wollte, interessierte mich.

Stimmen sagen viel über einen Menschen und dessen Stimmung. Und so sagte ich zu dem Unbekannten, der mir meinen Sonntag verderben wollte:

»15:02!«

»Danke!«

»Fischer? Ich muss noch mal los. Bin in ‘ner Stunde zurück.«

Anna Fischer kannte das von mir. Für sie war ich der Fast-Immer-Mal-Wieder-Freund, der ‚Lässige, Arrogante’ und erst vor wenigen Monaten beim LKA München rausgeschmissene, nunmehr Ex-Hauptkommissar, von dem sie nicht loskam.

Und ich nicht von ihr. Aber das sage ich ihr nicht.

Der ‚Doktor‘ für die besonderen Operationen.

Scheiße.

Aus, finito, vorbei …

Anna wusste, bei mir war lange Leine angesagt. Klammern bringt nichts und so fragte sie auch nicht weiter nach. Ich bin mir sicher, dass sie sich seit Jahren über mich wunderte. Auch wenn sie fast nie darüber sprach. Ihre Blicke, ihre Haltung und ihre Art mich zu behandeln, sagten alles.

Auch ohne Worte.

In der Branche nannten mich in den letzten Jahren alle nur ‚Doktor‘. Nicht Doc, sondern Doktor. So viel Zeit muss sein.

‚Doktor‘ deshalb, weil ich meinen Vor- und Nachnamen ein einziges Mal mit „Dr.“ – Gekrakel – „Sowieso“ abgekürzt hatte und mich undercover in eine geschlossene Gesellschaft von verkackten, echt arroganten Ärschen im P1 eingeschlichen hatte.

Das funktioniert immer, wenn man nur selber arrogant genug rüberkommt und die richtigen Klamotten anhat. Aber ein Fotograf, der auf die mediengeilen C- bis Z-Klasse-Promis wartete und mich flüchtig als Bullen in Zivil von irgendwoher kannte, hatte das mitbekommen, meinen Eintrag im Gästebuch fotografiert und überall rumgezeigt.

Vollpfosten, dämlicher!

Niemand bei den Medien wusste exakt, was ich beim LKA machte. Aber genau deshalb war der ‚Doktor‘, wie sie mich seitdem riefen, interessant für die Journalisten.

Einmal getrickst und ich hatte meinen Spitznamen weg. Selbst beim BLKA, genauer also dem Bayerischen Landeskriminalamt, deshalb das „B“ vor dem LKA, sagten sie ab diesem Zeitpunkt, mit einem spöttischen Grinsen auf der Visage, nur noch: „… aaah, der ‚Doktor‘ kommt …!“

Freunde hatte ich dort kaum.

Dazu war ich zu erfolgreich gewesen. Hatte im Laufe der Jahre Dutzenden von Reichen und Schönen im direkten und übertragenen Sinne die Fresse poliert.

München ist ein besonderes Pflaster. Ich hatte so manchen Schicki- und Micki-Typen nach Stadelheim geschickt. Organisiertes Verbrechen. Das war mein Ding.

Ja, stimmt, ich komme arrogant rüber. Irgendwie muss man sich ja schützen, oder?! So, wie die Fischer das fast richtig erkannt hatte. Ach nee – die Fischer Anna kennt mich. Weiß, wer ich bin. Und wenn ich es genau betrachte, ist sie halt vielleicht genau deswegen mein fast einziger Freund. Neben Fanny.

Noch dazu wahnsinnig sexy. Also Anna.

»Du bleibst hier sitzen, bis ich wieder zurück bin!«, herrschte ich meinen Mastiff, auch bekannt unter dem Rassenamen Tosa Inu, wie er in Japan heißt, an.

98 Kilogramm Lebendgewicht drehten sich leicht gelangweilt zu mir um. Wahnsinn!

Ein wunderschöner, wirklich total gutmütiger Kampfhund, der in Japan, und nicht nur dort, seit dem 17. Jahrhundert zu den gefährlichsten Hunderassen gehört.

Eine Waffe, die keinen Waffenschein braucht, mit einem Kopf, größer als ein Baseball …

Fanny, auf den Namen hatte ich das herrliche Geschöpf getauft, schaute mich aus seinen treuen Augen ebenso liebevoll an, begriff, war jetzt völlig beleidigt und ließ den massigen Schädel wieder auf den Rasen fallen. Fanny, ein Rüde, nur um das gleich mal klarzustellen und keineswegs schwul, wie es der Name vermuten lassen könnte, löste damit ein leichtes Erdbeben aus, das bis nach Holzkirchen zu spüren war.

Fanny war mein anderer Freund.

Also hatte ich zwei.

Fanny war eine Seele von Tier! Aufmerksam, großzügig, absolut treu.

Im Gegensatz zu mir.

Ich schwang mich aus dem Rattansessel hoch, bewegte meinen Hintern in das Cabriolet, das nur einige Schritte neben mir auf dem Gartenweg des protzigen Anwesens der Fischers stand, ließ zum Ärger von Annas Eltern einmal kurz die 575 PS des 8-Zylinder-Monstergeschosses aufheulen und fuhr vom gut gesicherten Grundstück auf dem kürzesten Weg mit ziemlichem Tempo über den Flaucher, die Pfeuferstraße zur Theresienhöhe.

14:55. Noch 07:00 Minuten.

Ich hatte genügend Zeit, mir die Umgebung anzusehen. Es war sowieso nichts los. Sonntag halt. Die Familien waren auf ihrem Ausflug zum Starnberger See. Oma und Opa ausführen. Das Warten auf eine Erbschaft … Wer weiß, wie lange die noch Rente kassieren …

Oder sie spazierten mit ihren Kids, die sich noch in die Windeln kackten, durch den Westpark.

Für die Raser, die Wichtigtuer aus der „Weltstadt mit Herz“ – die an sich Geldstadt mit Nerz heißen müsste – und den Kaffs aus der Umgebung, war die Theresienhöhe uninteressant.

Tote Hose.

Um Motorenlärm und Auftrieb zu erleben, muss man am Wochenende schon auf die Maximilianstraße, oder auf die Ludwigstraße bis hin zum Odeonsplatz. Da tummeln sich die Schwanzlosen, die Zuhälter, Immobilienmakler und Gebrauchtwagenhändler, um ihre geleasten, aufgemotzten, getunten und auspuffgeschädigten Ferraris, ‚Lambordschinies‘, Porsches und Dodge Vipers vorzuführen.

Präsentieren laut ihren Schwanzersatz den Pflastersteinen und japanischen Touristen, die im Sightseeing-Dauerstress einfach alles auf ihr Handy bringen.

Also von dem Anrufer gut gewählt, die Bavaria, die weltliche Patronin Bayerns aus Bronze. Hatte das Symbolcharakter, dass er sich ausgerechnet hier mit mir treffen wollte? Der, der in seiner Stimme einen Sound hatte, der meine immer arbeitenden Gerechtigkeitsantennen angeknipst hatte?

»Meine einzige Tochter wurde ermordet.«

Ein kleiner, zierlicher Mann um die Fünfzig stieg zu mir ins Auto, während er das mit monotoner, fast lautloser Stimme sagte.

Ich hatte ihn im Rückspiegel kommen sehen; der Fremde hatte dreißig Meter hinter mir geparkt. Leicht ergrauter Kopf, Oberlippenbart, gepflegte Hände, unsicherer Schritt.

Kaum saß er im fast neuen Jaguar neben mir, zog er eine DVD aus seiner Jackentasche. Übergab sie mir, öffnete die Beifahrertür und schlug sie hinter sich zu. Der Stille ging wieder zu seinem Audi, stieg ein und drehte. Gab sanft Gas und verschwand Richtung Süden. Da, wo ich herkam. Bog links in die Pfeuferstraße ein und das war‘s auch schon. Schöner Sonntagsausflug.

„Meine einzige Tochter wurde ermordet“ – das war auch das Einzige, was er zu mir gesagt hatte. Was sollte ich damit anfangen? Verschwand einfach wieder. Ließ mich schlichtweg sitzen.

Was für ein Freak!

Ich war, zugegeben, einigermaßen verblüfft. Amateure verhalten sich anders. Die quatschen dich tot. Angst in der Stimme, den Augen. Auf der anderen Seite sah der nicht aus wie einer, der aus unserem Gewerbe stammt und schon gar nicht wie ein Gangster.

Ich habe einen Riecher für miese Typen.

Keine Falle für den ‚Doktor‘. Also blieb ich noch stehen, genoss den Duft des herrlichen Soft-Grain-Leders in meiner Angeberkarre und legte die DVD ein. 8-Inch Color Touchscreen Display.

Rascheln, dann war der Typ, der mir gerade die DVD übergeben hatte, halbwegs zu erkennen, wie er sich von unten ins Bild schob. Amateur.

Also doch.

Räuspern.

Mit fester Stimme begann er:

„Meine einzige Tochter wurde ermordet. Gerade mal 22 Jahre alt. Ich bin Staatssekretär im bayerischen Bauministerium. Gina, meine Tochter, haben ‚die‘ sich als Hausnutte gehalten. Als Nutte! Meine Tochter! Erpresst! Womit, weiß ich nicht. Sie hatte es mir vor zwei Wochen gebeichtet. Also dass sie sich für ‚die’ prostituieren muss. Aber nicht, weswegen und womit man sie erpresst hatte. Und schon gar nicht, wer ‚die‘ sind. Können Sie sich das vorstellen? Sie musste für diese Schweine die Beine breitmachen! Meine Tochter! Ich war geschockt. Entsetzlich geschockt. Kaum hatte sie mir das erzählt – ich bin geschieden, müssen Sie wissen – war sie auch schon tot. Am darauffolgenden Wochenende. Lag in ihrem Bett. Stand einfach nicht mehr auf.“

Jetzt rollten dem schlanken Mann Tränen über das Gesicht. Ich ließ ihm Zeit. Er machte einen fertigen Eindruck. Mit einem großen, weißen Taschentuch schnäuzte er sich verschämt. Er rang nach Fassung, richtete sich wieder einigermaßen auf und setzte seinen Bericht fort:

„Entschuldigung. Gina sah so schön, so unschuldig aus. Lag in ihrem Bett. Einfach so. Ich versuchte sie wachzurütteln. Nichts. Dann rief ich den Notarzt. Der stand schon zwei Minuten später vor unserer Haustür. Damals wunderte es mich nicht. Ich war ja froh, dass die Ambulanz so schnell kam. Der Arzt stellte einen natürlichen Tod fest, Herzversagen. Einfach so. Bei einer Zweiundzwanzigjährigen! Aber das glaube ich nicht. Denn ich hatte an ihren Armen und am Hals große Hämatome gesehen.“

Wieder machte er eine Pause.

Diesmal schaute er weiter in die Kamera und die Trauer in seinen Augen war herzzerreißend. Selbst für einen abgeklärten Agenten wie mich. Dann sagte er:

„Ja, die hätten ihr bei einem ‚Sexunfall‘ zugefügt werden können. Aber sie war seit Freitagmittag nicht mehr aus dem Haus gegangen. Und sie hatte auch keinen Besuch. Mir wäre das aufgefallen. Das mit den Hämatomen. Und wenn sie Besuch gehabt hätte. Denn seit ich von ihrem fürchterlichen, ungewollten Doppelleben wusste, habe ich sie mit ganz anderen Augen sehr aufmerksam betrachtet. Ich liebe doch meine Tochter! Der Notarzt verhielt sich merkwürdig. Ich wurde misstrauisch. Ich verlangte nach einem Amtsarzt, der die Todesursache ‚Herzversagen‘ bestätigt. Da zückte er einen Ausweis. Er sei Amtsarzt. Sagte er. Dr. med. Erwin Kravatt. So stand es auf seiner Plastikkarte. Und er stellte einen Totenschein aus. Den hatte er auch bei sich. Er musste dafür nicht mal zum Krankenwagen nach draußen gehen. Es kam auch kein Sanitäter mit ins Haus. Ich war zu fertig, um mir etwas dabei zu denken, verstehen Sie?“

Die nächste Pause.

Länger.

Noch immer hatte er seinen Namen nicht genannt.

Er starrte ins Leere. Musste sich erneut sammeln. Dann sprach er – jetzt mit leiser, fast unhörbarer Stimme, völlig verzweifelt – wieder in die Kamera, die er wohl direkt vor sich aufgebaut hatte, denn es war nur sein ständig sich bewegender Kopf groß und sehr oval zu sehen.

Amateur.

Alles in allem eine unwirkliche, absurde Situation. Ich war gefesselt und schaute gebannt auf meinen kleinen Monitor im Auto:

„Ich bin Fred Wille. Sie werden meinen Namen brauchen. Denn ich bitte Sie, den Mörder meiner Tochter zu finden. Ich weiß, dass sie der Beste sind, Herr Richter. Auf Ihr Konto habe ich Zwanzigtausend überwiesen. Mehr kann ich zur Zeit nicht aufbringen. Das Haus ist abgezahlt, aber ich muss meine Geschiedene durchfüttern und jetzt die Beerdigung. Sie war erst gestern, müssen Sie wissen. Das arme, arme Mädchen. Meine Tochter! Ich recherchierte in den letzten Tagen, so gut ich konnte. Den Arzt habe ich hier an keiner Klinik gefunden; er hat auch anscheinend keine Praxis in München. Zufall oder nicht? Nach nur wenigen Minuten, wo ich doch ziemlich abseits wohne?“

Pause. Rascheln. Erneutes Naseputzen.

„Und, was ich ihnen noch sagen will: Mir war schon seit etlichen Jahren einiges im Ministerium komisch vorgekommen. Nein, ich habe keine Beweise. Aber wenn Sie mich fragen: Es ist einer unserer Minister in merkwürdige, um nicht zu sagen, mafiöse Geschäfte verwickelt. Welcher Art? Ich kann es nicht sagen. Bitte, finden Sie das heraus. Da gibt es Geldbewegungen, die keinen Sinn ergeben. Sie müssen wissen, ich habe Zugang zu vertraulichen Dokumenten vom Finanzministerium, dem Bauministerium und dem Umweltministerium. Da fehlten Etliche. Auf einmal. Es ist ja bei der Behörde alles durchstrukturiert und korrekt abgespeichert. Das wissen Sie am besten. Die Dokumente, die ich noch kurz zuvor gesehen hatte, waren nicht mehr da. Alle verschwunden. Auch nicht mehr auf dem Hauptrechner. Nicht aus meinem Ministerium. Eigenartigerweise aus dem Kultusministerium. Glaube ich jedenfalls. Da waren sie zuletzt und nun weg. Wie das mit den anderen Ministerien zusammenhängt, kann ich nicht sagen. Da hatte ich mich eingehackt, wie man so sagt, weil die Zahlungen zum Teil dorthin liefen. Große Summen. Immer wieder. Also mit dem richtigen Passwort. Sie verstehen: Ich muss wissen, wer meine Tochter umgebracht hat! Ich muss. Bitte! Finden Sie den Mörder meiner Tochter! Ich …“

Da brachen die teilweise konfusen Sätze der Aufzeichnung ab.

Was Herr Wille mir sonst noch sagen wollte, steht in den Sternen. Es war auf dem Monitor nur noch Grau zu sehen und ein lautes Rauschen zu hören. Minutenlang. Aber es kam nichts mehr. Nicht sehr ergiebig, nicht gut strukturiert, was er andeutete, aber meine Neugier war geweckt.

Das Abhören hatte eine halbe Stunde in Anspruch genommen, denn ich hatte mir das Gespräch mehrfach angesehen und angehört, um irgendetwas an zusätzlichen Informationen entdecken oder die Aufzeichnung als Fake, als Falle identifizieren zu können.

Doch es gab nichts.

Nichts, was mir irgendeinen Hinweis auf irgendetwas gegeben hätte. Das war alles echt. Auch die Verzweiflung in der Stimme des Herrn Staatssekretärs Wille. Also nahm ich die DVD wieder aus dem Fach, steckte sie in die Hülle zurück und legte sie neben mich auf den Beifahrersitz. Ich suchte meine Festplatte ab. Die passende Musik musste es jetzt sein, damit ich besser nachdenken konnte. Ich blieb bei Steve Ray Vaughan hängen.

Ja, ich gebe es zu: Ich stehe auf Blues und Bluesrock. Altmodisch? Vielleicht. Aber gut!

„Little Wing“: „Well she‘s walking through the clouds / With a circus mind that‘s running wild / Butterflies and zebras / And moonbeams and a fairy tale / That‘s all she ever thinks about / Riding the wind…“

Ich wendete meinen neuen F-16 auf der breiten Straße.

Ein Geschenk von Anna zu meinem Fünfunddreißigsten. Erst vor ein paar Wochen, um ihre reichen Eltern zu ärgern und weil ich meinen Dienstwagen dem LKA zurückgeben musste. Ich drehte die Anlage ziemlich weit auf und fuhr zurück nach Grünwald.

Ablenken.

Anna beglücken.

„…and moonbeams and a fair tale – that‘s all she ever thinks about…“

Ich war ganz in Gedanken bei dem Staatssekretär Wille und konzentrierte mich gleichzeitig auch irgendwie auf die Musik. Ätzend laut. Die volle Dröhnung, die brauchte ich jetzt.

Wer ist Staatssekretär Wille …?

Seine Tochter umgebracht? Ich switchte gedanklich zu Anna. Was wäre, wenn sie …

Nein, nur nicht zu Ende denken.

Anna, die Träumerin: …and moonbeams and a fair tale – that‘s all she ever thinks about…

Ja, so ist sie. Immer in fernen Welten. Eine Träumerin.

15:57. Wie ich in die Geiselgasteigstraße einbiege, sehe ich schon von weitem auf der Höhe zur Einfahrt in die Bavaria Filmstadt Blaulicht. Ich drossele das Tempo und den Sound – gerade läuft „Superstition“ mit Steve Ray Vaughan, was mich normalerweise zum Gasgeben veranlasst hätte – und rolle langsam an die Stelle des Blaulichts.

Ein Unfall.

Armageddon am Sonntagnachmittag.

Ich werde durchgewinkt. Sehe den Blick des Bullen. Der denkt sich: Junger Schnösel. Jaguar und Ray Ban. Typisch Grünwald. Muss einer von den Schicki-Micki-Idioten sein!

Dann sehe ich ein total zerstörtes Auto.

Nur ein Auto.

Marke? Schwer zu erkennen. Es sind nur noch Reste zu sehen. Wie nach einer Explosion. Aber da ist das Nummernschild. München Land. Das hatte ich mir vor nicht einmal 50 Minuten an der Bavaria eingeprägt:

Staatssekretär Wille! Polizei, Feuerwehr, ein Abschleppwagen, ein Krankenwagen. Neben dem Auto ein grauer Blechsarg.

Ein Unfall …?

Ich bin viel gewohnt; ein „cooler Hund“, wie meine Ex-Kollegen mit einer gewissen Achtung sagten, und dennoch. Immer wieder ein leichter Schock.

Der Achtzylinder grummelt vor sich hin, Stevie Ray Vaughan lässt seine Gitarre aufjaulen. Die Stimmung passt. Sie ist zerstörerisch/traurig. Mein dunkelgrüner F-Type SVR rollt gemächlich die Nördliche Münchner Straße entlang, bis ich, ohne zu blinken, nach rechts in die Dr.-Max-Straße einbiege.

Ich bin mir sicher, es mit einem besonderen Fall zu tun zu haben. Es gibt in meiner Branche keine Zufälle …

II

FANNY zeigte keinerlei Gemütsregung, als ich wieder auf das Grundstück in Grünwald rollte. Diesmal ohne Potenzgeheule des Achtzylinders; man muss ja seine Fast-Schwiegereltern nicht immer ärgern, oder? Noch dazu, wo sie letztlich den PS-Protz bezahlt haben.

Anna wollte ihrem Alten den Mittelfinger und so …

Seine Kohle. Hassliebe.

Dafür zeigte die Anlage – Digital Surround Sound System 770W – in dem F-Type, was sie drauf hat. Massiver Lärm drang aus den geöffneten Fenstern des Jaguars: Das Dach des Pavillons, an dem ich vorbeifuhr, wölbte sich leicht.

Oder doch nicht?

Kaffeetassen klirrten.

Zu viel Bass & Drums.

„Voodoo Child“, ursprünglich von Jimi Hendrix. Nun vom Texaner Stevie Ray Vaughan, einem Verrückten, der auch schon lange tot ist, gesungen. In einem ziemlich abgefahrenen Mix eines New Yorker DJs.

Fanny reagiert grundsätzlich immun auf Lärm, war aber noch immer sauer, dass ich ihn zu der Spritztour nicht mitgenommen hatte. Erst Minuten später, ich hing bereits über meinem Laptop, warf er mir einen verächtlichen Blick zu. Und wieder ließ er seinen massigen Schädel fallen. Ich sag‘ nur Holzkirchen.

Sie wissen schon …

Und die Fischer erst.

Die war angefressen …!

Las in irgendeinem Scheißblatt. Klatsch und Tratsch. Strafte mich mit der gleichen Verachtung wie der Köter. Weil ich nichts gesagt hatte, ihr keinen Kuss gab, als ich kam und mich sofort über den Laptop stürzte.

Die Sache war heiß. Zu heiß.

No time for love, Baby!

„…If I don’t meet you no more in this world then uh / I’ll meet ya on the next one / And don’t be late / Don’t be late / ‘Cause I’m a voodoo child voodoo child…“

Tochter tot.

Der Mann sagte mir das – und dreißig Minuten später ist auch er tot.

Das heißt, ‚die‘ hatten den auf dem Radar. Spätestens seit dem Mord an seiner Tochter Gina. Vermutlich viel früher. Die Tochter war ein Warnschuss für ihn, den er nicht als solchen begriffen hatte.

Der Wille hatte recht:

Ohne es geprüft zu haben – die junge Dame war nicht eines natürlichen Todes gestorben. So viel steht fest.

Der muss echt einer großen Sache auf der Spur gewesen sein. Leider kann er nichts mehr sagen. Ich dachte, dass ich ihn noch mal treffen würde. Allerdings nicht so wie eben … Und ‚die‘ haben Mister Staatssekretär beobachtet. Wissen natürlich, dass er sich mit mir getroffen hat.

Fuck.

Keine Amateure. Die hatten ihn per GPS immer auf dem Schirm. Und ‘ne feine, kleine Bombe in seiner Karre. Aber warum haben sie die erst gezündet, nachdem er mir seine Message übergeben konnte? Ungewöhnlich. Ich muss vorsichtig sein, verdammt vorsichtig! Ich denke, ‚die‘ wollten mir ein Zeichen geben …

… Wenn du dich einmischst, Daniel Richter, bist du der nächste Kandidat für ‘nen Sarg.

Fuck!

Doktor: Du hast einen neuen Fall.

Jedenfalls hatten ‚die‘ es geschafft, mir den Sonntag zu verderben.

»Süße, ich muss nachdenken. Fanny wird mich begleiten. Ich laufe ein bisschen am Isar-Hochufer, okay?«

»Richter, du bist ein Arschloch!«

Was für ein Sonntag!

Sonntag. Merde.

Mein Schädel schien halb ausgeschaltet zu sein. Was bin ich für ein Blödmann. Treffe mich mit einem, den ich vorher nicht abcheckte. Das passiert mir Montag bis Freitag nicht! Ich hatte auf Relaxen geschaltet.

Da war mein untrügliches Gefühl, dass der, der mich anrief, etwas Interessantes hatte. Das hat man im Urin oder auch nicht. Meine Blase und meine Nase waren geschult auf Zwischentöne zu achten. Oder waren es die Ohren? Ich meine wegen der Zwischentöne? Nur deshalb habe ich mich mit dem Unbekannten getroffen. Aber gleich auf zwei Tote, bin ich wahrlich nicht scharf …

Mein Surfen durch die für die Allgemeinheit nicht zugänglichen Quellen war bislang nicht besonders ergiebig. Ja, ich wusste nun, wer der Staatssekretär Diplom-Ingenieur Architekt Fred Wille war. Seine Schule, Studium, Karriereleiter. Zwei Jahre hatte Fred Wille im Ausland gearbeitet. Hatte den Bau der neuen Botschaft in Madrid überwacht. Irgendeine bayerische Baufirma, die mir nichts sagte, die Bavarian sowieso AG, bekam damals den Zuschlag. Nix Besonderes, der Wille. Beamter halt. Wie ich es auch mal war … Besonderheiten: parteilos. Der typische Karrierist. Nur nicht anecken. Immer rauf auf der Leiter.

Was hatte er nun davon?

Im Blechsarg?

Die Reste eingesammelt?

Familie fast ausgelöscht?

Die geschiedene Frau. Auch die checkte ich. Sie war inzwischen mit einem Trainer eines Fußballklubs in Unterhaching verheiratet. Kleinbürgerliches Leben. Das Reihenhaus war vermutlich fast abbezahlt. Die werde ich interviewen. Frau Ex-Wille, geborene Huber, verheiratete Schneider.

Wo soll ich sonst ansetzen?

Klar, ich werde meinen Mann in der Ettstraße anrufen. Kriminalfachdezernat 1. Zuständig für Tötungs-, Brand- und Sexualdelikte. Das kann ich erst morgen machen. Wochenende ist heilig. Die Bullen haben es nicht leicht.

»Fanny, du Pfeife, komm, lass uns ein wenig laufen!«, herrschte ich den nicht mehr so sehr beleidigten Mastiff an und zwang ihn, seinen massigen, aber durchtrainierten, muskelbepackten Body in Bewegung zu setzen.

Ich brauchte dringend etwas für den Abbau meines Adrenalinspiegels. Noch hatte ich nicht vor, das Zeitliche zu segnen.

Wir liefen die Isar aufwärts und keuchten beide, als ob uns der Teufel jagen würde. Wenn ich nur wüsste, wie der aussieht. Nimmt immer neue Gestalt an.

In Russland sagen sie: „Der Teufel hat immer eine Kugel mehr im Lauf.“

Herrliche Aussichten!

Mit dem Gegner ist nicht zu spaßen. Mord ist immer das allerletzte Mittel, wenn der zur Ermordung Anstehende durch nichts mehr von seinem Plan, anständig zu bleiben oder problemlos mitzuspielen, abzubringen ist.

Wille schien zu der aussterbenden Sorte Mensch gehört zu haben.

Wirklich?

Über den Arzt, der den Totenschein ausgestellt hatte, konnte ich absolut nichts in Erfahrung bringen. Der Grund? Den gab es gar nicht. Zumindest nicht unter dem Namen. Und da ich kein Bild von Dr. med. Erwin Kravatt hatte, konnte ich den auch nicht durch den Scanner der Polizei laufen lassen. Auch dazu hatte ich Zugang. Doch was nützte es? Weder im Münchener Ärzteregister gab es einen Kravatt noch im Bayerischen und auch nicht bundesweit. Es war eine scheiß Arbeit für meinen Mac mir zu sagen, dass es unter den rund 330.000 Ärzten in Deutschland keinen mit dem Namen gibt. Es dauerte fast zwölf Minuten, die ich auf die Antwort warten musste. Sie brachte mich keinen Schritt weiter.

Das nervte.

Fazit: Ich stand bei Null! Das war frustrierend und ich brach abrupt mein Joggingprogramm ab. Fanny stoppte, dass der Sand eine Nebelfront bis Garmisch bildete, und schaute mich fragend an.

»Sag nichts, Köter. Ich bin sauer!« Dabei streichelte ich ihm über seinen riesigen Schädel und Fanny fing zu grinsen an.

Wir waren wieder Freunde.

Zwei Tote und ein Arzt, den es nicht gab, der aber einen Totenschein für eine junge Frau ausgestellt hatte, die, nicht nur nach Ansicht vom Vater, ermordet worden war. Also musste ich unauffällig an das Original des Papiers kommen und sehen, ob da noch Fingerabdrücke zu finden waren, die mich zu dem ‚Arzt‘ führen würden. Eine Obduktion von Gina Wille konnte ich nicht anordnen, müsste mir aber auch dazu etwas einfallen lassen, um sicherzugehen, dass die Behauptung des nicht freiwillig verblichenen Staatssekretärs und meine Vermutung stimmten.

Das wird sich arrangieren lassen, aber nicht mehr heute.

Still trabten wir zurück zur Villa der Familie Fischer. Musste ich mir wirklich Sorgen um mein eigenes Leben machen? War ich durch meine kurze Begegnung mit Wille in ein Wespennest getreten, dessen Bewohner mich stechen konnten? Ich stimmte mit Fanny ab und wir waren beide für „Ja“.

Scheiße. Wieder einmal Gefahr für Anna.

Als Erstes ging ich am Montagmorgen zu meiner Bankfiliale. Die würden sich riesig freuen, wenn mein Konto endlich wieder schwarze Zahlen auswies. Die Ärsche waren nur deshalb noch freundlich zu mir, weil sie meinen Job kannten. Als erster Hauptkommissar, Besoldungsgruppe A13 im höheren Dienst, hatte ich mit Zuschlägen, die fast höher als mein Gehalt waren, immer so um die 5.000 € netto überwiesen bekommen. Bei Auslandseinsätzen noch ‘nen Tausender drauf. Beamter, dachten die sich. Kann nichts anbrennen. Dass die mich beim BLKA gefeuert hatten, sagte ich denen nicht. Wozu auch? Aber der geschniegelte Affe auf seinem geschniegelten Bürosessel, an seinem geschniegelten, leeren Schreibtisch, der aussah wie sein Gehirn, ahnte, dass mit mir etwas nicht stimmen würde, weil nur noch unregelmäßig Geld einging. Auch da trickste ich, aber das ging die nichts an. So lange ich noch konnte, hob ich von meiner Dienst-Kreditkarte, die das LKA erst sechs Wochen nach meiner Entlassung angemahnt hatte, so viel Geld wie möglich ab und zahlte es gleich wieder cash auf mein Konto ein. Das sah dann für den Geschniegelten so aus, als ob immer noch Kohle da sei. Funktionierte leider nicht lange.

Fuck off.

Irgendwann in ein paar Jahrzehnten würden die meine Pension auf ihre dämliche Filiale überwiesen bekommen. In schöner Regelmäßigkeit. Immerhin fast vier Mille. Mindestens. Alle vier Wochen. Aber das würde noch eine Zeit dauern.

Rechtsstreit mit dem Staat!

Was sagt uns das …?

Fröhlich begrüßte ich den Geschniegelten. Zwanzig Mille wären jetzt wunderschön. Die müssten ja da sein.

Niente!

Der Sesselfurzer grinste, aber nur kurz, denn Fanny schaute ihn an, als ob des Sesselfurzers letztes Stündchen geschlagen haben könnte. Also bewilligte er mir ‘nen Tausender und ich holte mir die Kohle an der Kasse bei einer adretten, mich immer anlächelnden Blondine im gestreiften Kostüm ab. Sie wartete schon seit Ewigkeiten darauf, dass ich sie mal auf einen Drink einladen würde und schaute bei der Auszahlung nicht auf die Noten, sondern auf meinen Schritt. Aber die war nicht mein Typ.

Da hatte Anna Glück.

Ich tankte den Boliden voll, 80 Liter für 112 Euro. Fanny war selig, wieder neben mir sitzen zu dürfen, und wir fuhren nach Unterhaching. Auf dem Weg dorthin rief ich meinen Kumpel in der Ettstraße an. Er hatte Zeit. Wir würden uns später zu einem Espresso im ›Brenner‹ auf der Maximilianstraße treffen. In dem Laden fällt man am wenigsten auf.

Da treffen sich Bürohengste, Makler jeder Art, Zuhälter, Anwälte, Nutten, Models, Professoren, Banker und nichtsnutzige Damen, deren Kerle sich bei XY für kleines Geld – nicht mal ‘ne Mio pro Jahr! – abrackerten, und Touristen. Ein menschliches Sammelsurium. Herrlich. Manchmal dachte ich mir, ich sollte da Klunkerzoll verlangen, so viel Rolex & Co. wurden dort täglich zur Schau gestellt …

»Sind Sie Frau Wille? Also ich meine, die ehemalige Frau Wille?«, fiel ich mit der Tür ins Haus. Ich hielt ihr meinen – gefälschten – Presseausweis unter die Nase und gab ihr dazu mein Kärtchen, das mich als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung auswies. Überreichte ihr einen Strauß weißer Chrysanthemen und sprach ihr mein Beileid aus. Alles in einem. Ich bin da nicht sehr taktvoll, denke ich mal. Die Frau schaute mich mit kalten Augen an. Keine Regung. Puh, dachte ich mir, die werden wohl nicht im Guten auseinandergegangen sein. Das ist auch kein Wunder.

Und jetzt? Beide hin.

Erst die Tochter, dann ihr Ex. Wer weiß, weshalb die sich hatten scheiden lassen.

»Kommen Sie rein«, sagte die Witwe und ich ging an ihr vorbei direkt in das Wohn-Esszimmer; der Trainer schien beim Training zu sein. Ich setzte mich ungefragt auf die karierte Couch. Frau Wille, die jetzt auf den äußerst seltenen Namen Schneider hörte, ging in die Küche, suchte nach einer passenden Vase für die Chrysanthemen. Ich hatte den Eindruck, dass sie eher durch den Wind war als so kühl, wie ihre Augen das aussagten.

Außerdem trug sie ein interessantes Parfüm. Italienisch. Dafür habe ich eine Nase.

»Wollen Sie einen Kaffee, Herr …«

»Michelsky, Frau Schneider, André Michelsky.«

»Na, wenn Sie schon hier sind, mache ich uns einen.«

Die Blumen hatte sie inzwischen auf einem ziemlich hässlichen Sideboard abgestellt. Geschmack war nicht ihre Sache. Dort standen auch mehrere Fotos der Familie. Kaum war sie in der Küche verschwunden und ich hörte die Kaffeemaschine zischen, durchsuchte ich den Raum. Machte Fotos von den Bildern, die dort standen, durchwühlte die Schubladen. Nichts. Pure Langeweile im Haus des Trainers und seiner Second-Hand-Angetrauten. Vielleicht würden mir wenigstens die Bilder etwas sagen. Zu spät.

Schon war die fleißige Hausfrau da. Die obligatorischen Kekse vom Aldi oder Tengelmann fehlten nicht, Sahne zum Kaffee, der sogar einigermaßen roch, und strahlend weiße Zuckerwürfel. Wie schrecklich!

Witwe Wille taute auf.

»Worüber schreiben Sie denn in der Süddeutschen? Mein jetziger Mann liest ja nur die Abendzeitung und da den Sportteil, wissen Sie?«

Journalist. Das zieht meistens. Scheint für viele Leute ein interessanter Beruf zu sein. In den Angelegenheiten anderer Menschen rumschnüffeln. Kann mir nur recht sein.

»Wir sind in der Redaktion der Ansicht, dass der Tod Ihrer Tochter und der Ihres Ex-Mannes kein Zufall war. Schließlich hatte Ihr Mann eine verantwortungsvolle Position im Ministerium. Wir vermuten«, legte ich ohne Umwege gleich voll los, »dass er einer großen Sache auf der Spur war. Dem wollen wir nachgehen.«

Ich machte eine Kunstpause, aß einen der leidlich schmeckenden Kekse und goss mir widerwillig Kaffee in den Rachen, der letztlich auch nicht von besserer Qualität war.

Egal.

»Wir wollten in der Redaktion den Arzt interviewen, der für Ihre Tochter den Totenschein ausgestellt hat, konnten ihn aber nicht finden. Ich denke, Sie müssten doch seine Adresse haben, oder?«

Aufmerksam hatte Frau Wille-Schneider, geborene Huber, zugehört. Ihre Augen weit geöffnet. Nun waren sie voller Sorge, Angst, Neugier.

Sie schaltete schnell.

»Wollen Sie andeuten, dass beide, mein Mann und unsere Tochter, beide …«

»Ich will Sie nicht beunruhigen, aber ich denke, dass da einiges nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Ich kann Ihnen nur empfehlen – ich will mich um Gottes Willen nicht in Ihre Familienangelegenheiten einmischen –, an Ihrer Tochter eine Obduktion vornehmen zu lassen. Aufgrund des Unfalls Ihres Ex-Mannes ist es nur verständlich, dass Sie das bei der Behörde beantragen. Dafür wird man Verständnis haben. Wenn Sie wollen, liebe Frau Schneider, gebe ich Ihnen den Namen eines mir bekannten Kommissars im Polizeipräsidium, der sich dann sicher der Sache annehmen wird.«

Stille.

»Ich verstehe, wenn das Wunden bei Ihnen aufreißt und Sie auch kein Interesse mehr daran haben zu wissen, wie der Herr Staatssekretär ums Leben kam, aber für Ihre einzige Tochter …«

»Ja, Sie haben völlig Recht, Herr …«

»Sagen Sie doch bitte André zu mir …«

»André … Gut, André. Ich mag den Namen«, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, das eigentlich sehr hübsch war. Überhaupt, wenn die Starre von ihr abfiel, war sie eine gutaussehende Frau in den allerbesten Jahren mit einer blendenden Figur. Eigentlich Material für mich. Aber das wäre dann doch zu pietätlos und so ließ ich den Gedanken an eine schnelle Nummer ebenso schnell wieder fallen.

»Ich habe auch die ganzen letzten Tage gegrübelt, was meiner Tochter wohl gefehlt haben könnte, dass sie so plötzlich verstorben ist! Wir hatten seit der Trennung von meinem Mann, also Ex-Mann, leider nur noch wenig Kontakt. Gina hatte sich für ein bequemeres Leben an der Seite ihres Vaters entschieden. Sie mochte meinen jetzigen Mann, den Robert, nicht besonders. Meinen Sie, dass ihr Tod mit dem Amt meines Ex im Zusammenhang steht?«

»Ich weiß es nicht. Ich bin nur Journalist, kein Rechtsmediziner. Und auch kein Kriminaler. Aber ich an Ihrer Stelle …«

»… Sagen Sie doch bitte Hannelore zu mir!«

Sie räusperte sich etwas verlegen.

»Ich, Hannelore, würde dem nachgehen.«

Der Köder war ausgelegt.

Hannelore würde alles daran setzen zu erfahren, wie ihre Tochter gestorben war. Und sie würde es mir, dem verschwiegenen Redakteur von der SZ, anvertrauen. Nun hatte ich sie auch soweit – inzwischen war ich bei der dritten Tasse Kaffee, wartete auf das Eintreten von Sodbrennen und hatte mir vier Kekse runtergewürgt –, dass ich mit ihr über den Job ihres Ex reden konnte. Von André zu Hannelore.

Einschleimen war angesagt.

Wir saßen inzwischen nebeneinander auf der Couch und ich hatte ihre kalte Hand genommen, um sie zu beruhigen. Das mit dem Händchenhalten hatte sie wohl missverstanden, denn sie wurde plötzlich rot und warm, um nicht zu sagen heiß.

Schätze, sie war ausgehungert.

Eindeutig: Der Trainer trainierte zu viel an der falschen Stelle und mit den falschen Bällen. Leider hatte ich keine Zeit und musste los zu meinem Rendezvous mit dem Kommissar und außerdem saß Fanny im Wagen und war sicherlich total stinkig, dass ich ihn nicht in das Haus der heißen Dame mitgenommen hatte.

Aufpasser unerwünscht!

»Versprochen, Hannelore, ich komme morgen wieder. Leider habe ich jetzt einen Termin in der Redaktion und bin schon fast überfällig.«

Wir standen zeitgleich auf, sie drückte sich heftig an mich und ich spürte ihr Verlangen.

»Bis morgen. Gegen elf Uhr, passt dir das, André?«

Aha, da muss der Alte wieder zu seinem Verein, das erste Training des Tages.

»Gegen Elf.«

Ich war so angefressen von der Sache, dass ich es in Kauf nehmen musste, von Hannelore vergewaltigt zu werden.

Wenn es denn der Sache dient …?

Fanny schaute mich schon wieder beleidigt an.

»Mein Alter, ich nehme dich jetzt mit ins Brenner. Abgemacht. Kannst dich entspannen, okay?«

Fanny verstand.

Selbst „Devils Haircut“ vom schrägen Kalifornier Beck ließ ihn nicht an mir verzweifeln: „Somethin’ wrong cause my mind is fading / Ghetto blastin’ disintegrating / Rock ‘n’ roll, know what I’m saying? / Everywhere I look there’s a devil in waiting / Got a devil’s haircut in my mind / Got a devil’s haircut in my mind…“

Mir standen mehrere Prüfungen bevor. Schon wieder war der Teufel im Spiel. Bei Beck.

Stimmt: Something wrong. Vase my mind is fading …

Nicht zuletzt Rock’n‘Roll.

Mit Hannelore …

Wir bekamen im Brenner einen Platz an der Sonne. Na ja, fast. Sonne scheint draußen zwischen den Häusern nicht durch. Nur im Juni/Juli. Da steht die Sonne hoch genug und kann auf uns runterschauen. Sonst? Wenn überhaupt, dann nur gespiegelt über ein Fenster von irgendwoher. Es war aber besser, als drinnen zu sitzen. Fanny ist nämlich kaum zu halten. Er räumt den Models und leichteren Mädels in Gucci und Trallala mit seinem prächtigen Schwanz – nicht den, den Sie meinen! – den Latte Macchiato vom Tisch und den Herren Advokaten und solchen, die es gerne wären, ihr Carpaccio di Tonno. Da steht er drauf.

Aufräumen.

Fanny scheint zu verstehen, wer und was im Leben wichtig ist …

Kaum saßen wir, sagte mir mein Kumpel auf den Kopf zu, wonach ich suchte.

»Du willst wissen, was ich weiß, was am Samstag direkt vor der Einfahrt zu den Bavaria Filmstudios passiert ist. Stimmt‘s? Nun schau nicht so blöd. Meine Kollegen machten Fotos von allen Autos, die während der Zeit da vorbeigefahren sind. Darunter warst auch du mit deinem Angeberschlitten, den ich aber sehr cool finde. Ich stand schon immer auf Jaguar. Aber bei meiner Gehaltsklasse …!«

Ich war von den Socken.

Hätte mir ja denken können, dass die Bullen nicht so blöd sind. Aber dass sie gleich Fotos machten? Nicht vom Unfallwagen, sondern von denen, die sich dort aufhielten oder vorbeikamen, das sagte viel aus. Hatten sie den Herrn Staatssekretär auch auf dem Kieker und beobachteten ihn? Wussten sie sofort, dass das kein Unfall war?

»Sag an, Mario. Du gibst mir doch Recht, dass das kein Unfall war, oder?«

»Das hat uns die Streife schon nach dreißig Sekunden gesagt. In den Wagen war ein kleines, feines Bömbchen eingebaut. Es gab keine Fremdeinwirkung, keine Fahrerflucht und auch keinen Motorschaden, der den Audi so hätte zerlegen können. Deshalb haben wir sofort ein Sonderkommando an die Stelle geschickt. Die Reste des Audis werden gerade noch untersucht. Die Staatsanwaltschaft lässt wegen Mordes gegen Unbekannt ermitteln. Wir stehen vor einem halben Rätsel. Halb deswegen, weil wir kein Motiv sehen. Bis jetzt nicht. Der Tote war zwar Staatssekretär im Bauministerium, vermutlich weißt du das längst, aber irgendwie dort nur geparkt. Abstellgleis, wenn du verstehst, was ich meine.«

Mein Kumpel war redseliger, als ich mir das erhofft hatte. Wenn er was weiß, erfahre ich es. Das war schon mal klar. Jetzt hatte ich die Gewissheit, dass die Sache zum Himmel stank. Nun konnte ich meine Recherchen beginnen und meiner Spürnase heute einen Schampus ausgeben, weil sie mal wieder richtig geschnuppert hatte.

Ich tätschelte Fanny und er lächelte zurück. Nur für mich erkennbar …

Wenn nun noch morgen die zwanzig Mille auf meinem Konto eingehen würden, könnte ich mit Volldampf loslegen.

Wohin mich die Reise mit der Familie Wille am Hacken noch treiben würde, davon hatte ich an diesem Spätnachmittag keine Ahnung.

Ich lud meinen Kumpel noch auf einen French Icône ein, das relativ neue In-Getränk der Münchener In-People: 2 cl Wodka, 1 cl Rose-Sirup, 2 Barlöffel Sommerbeerentee, 15 cl Champagner. Der Kellner musste erst noch einmal nachfragen, ob sein Barkeeper das Zeug mixen kann. Er war wohl nicht auf dem Laufenden oder neu in der Branche. Entzückt servierte er uns wenig später die Drinks und ich muss sagen – dieser French Icône, erfunden vom Barkeeper von Klaus Hoppe vom ›Charles Hotel‹ hinterm Bahnhof, ein edler Schuppen, hat Zug, schmeckt und geht ab wie ‘ne Rakete.

Côte d’Azur-Feeling.

Wird Zeit, dass ich Geld verdiene, damit ich mir den öfter leisten kann …

Ich ließ Fanny das Glas auslecken. Er schmatzte, wie nach einem Rinderfilet frisch vom Grill, medium! Dann kam der Rülpser. Laut und deutlich.

Fanny!

»Wollen wir uns morgen um die gleiche Zeit wieder hier treffen, Mario? Ist mir sicherer als das Handy.«

»Geht klar, Kumpel. Pass auf dich auf und grüß Anna von mir, ja?!«

Wunder über Wunder.

Sooo eng waren wir nun auch wieder nicht. Dass er sich um mich Sorgen macht und Anna grüßen lässt? Vielleicht weiß er doch schon mehr, als er mir sagte.