Der Begriff des Politischen. - Carl Schmitt - E-Book

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Carl Schmitt

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Beschreibung

»Es soll [...] ein Rahmen für bestimmte rechtswissenschaftliche Fragen abgesteckt werden, um eine verwirrte Thematik zu ordnen und eine Topik ihrer Begriffe zu finden. Das ist eine Arbeit, die nicht mit zeitlosen Wesensbestimmungen anfangen kann, sondern zunächst einmal mit Kriterien ansetzt, um den Stoff und die Situation nicht aus den Augen zu verlieren. Hauptsächlich handelt es sich dabei um das Verhältnis und die gegenseitige Stellung der Begriffe Staatlich und Politisch auf der einen, Krieg und Feind auf der anderen Seite, um ihren Informationsgehalt für dieses Begriffsfeld zu erkennen.« Carl Schmitt, aus dem Vorwort zur 2. Auflage

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CARL SCHMITT

Der Begriff des Politischen

[3]

CARL SCHMITT

Der Begriff des Politischen

Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien

9., korrigierte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

[4]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage1932

2. Auflage1963 (Neuausgabe)

3. Auflage1979 (1. Nachdruck d. Ausg. v. 1963)

4. Auflage1987 (2. Nachdruck d. Ausg. v. 1963)

5. Auflage1991 (3. Nachdruck d. Ausg. v. 1963)

6. Auflage1996 (4. Nachdruck d. Ausg. v. 1963)

7. Auflage2002 (5. Nachdruck d. Ausg. v. 1963)

8. Auflage2009 (Neusatz auf Basis der Ausgabe von 1963)

9. Auflage2015. 1. Nachdruck d. Ausg. v. 2009, mit

Korrekturen aus Carl Schmitts Handexemplar

(Nachlass Landesarchiv NRW, RW 265

Nr. 28314) und einem Personenverzeichnis

Alle Rechte vorbehalten© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Berlin Printed in Germany

ISBN 978-3-428-14580-5 (Print)ISBN 978-3-428-54580-3 (E-Book)ISBN 978-3-428-84580-4 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papierentsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

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CARL SCHMITT

Der Begriff des Politischen

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Herausforderung (9-12); Versuch einer Antwort (12-16); Weiterführung der Antwort (16-18).

Der Begriff des Politischen (Text von 1932)

1. Staatlich und Politisch (19-25); 2. Die Unterscheidung von Freund und Feind als Kriterium des Politischen (25-26); 3. Krieg als Erscheinungsform der Feindschaft (27-35); 4. Der Staat als Form der politischen Einheit, durch den Pluralismus in Frage gestellt (35-42); 5. Die Entscheidung über Krieg und Feind (42-50); 6. Die Welt ist keine politische Einheit, sondern ein politisches Pluriversum (50-54); 7. Anthropologischer Ansatz politischer Theorien (55-63); 8. Entpolitisierung durch die Polarität von Ethik und Oekonomie (63 - 72).

Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen

1. Die Stufenfolge der wechselnden Zentralgebiete (74-80); 2. Die Stufen der Neutralisierung und Entpolitisierung (81-87).

Nachwort zu der Ausgabe von 1932

Begriffes der innerpolitischen Neutralität des Staates (1931) (89-93); 2. Über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind (1938) (94-102); 3. Übersicht über nicht staatsbezogene Möglichkeiten und Elemente des Völkerrechts (103-106).

Hinweise

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Vorwort

... Aristoteles spricht, das etlich weis sprechen und mainen, und spricht es mitsambt in, das freundtschaft und krieg ursach sindt der Stiftung und Störung. Cillierchronik S. 72 (von Otto Brunner, Land und Herrschaft, 1939, dem Abschnitt Politik und Fehdewesen als Motto vorausgeschickt).

Dieser Neudruck der Schrift über den „Begriff des Politischen" enthält den unveränderten, vollständigen Text der Ausgabe von 1932. Im Nachwort von 1932 ist der streng didaktische Charakter der Arbeit hervorgehoben und ausdrücklich betont, daß alles, was hier zum Begriff des Politischen gesagt wird, nur „ein unermeßliches Problem theoretisch encadrieren" soll. Es soll, mit andern Worten, ein Rahmen für bestimmte rechtswissenschaftliche Fragen abgesteckt werden, um eine verwirrte Thematik zu ordnen und eine Topik ihrer Begriffe zu finden. Das ist eine Arbeit, die nicht mit zeitlosen Wesensbestimmungen anfangen kann, sondern zunächst einmal mit Kriterien ansetzt, um den Stoff und die Situation nicht aus den Augen zu verlieren. Hauptsächlich handelt es sich dabei um das Verhältnis und die gegenseitige Stellung der Begriffe Staatlich und Politisch auf der einen, Krieg und Feind auf der anderen Seite, um ihren Informationsgehalt für dieses Begriffsfeld zu erkennen.

Die Herausforderung

Das Beziehungsfeld des Politischen ändert sich fortwährend, je nach den Kräften und Mächten, die sich miteinander verbinden oder voneinander trennen, um sich zu behaupten. Von der antiken Polis her hat Aristoteles andere Bestimmungen des Politischen gewonnen wie ein mittelalterlicher Scholastiker, der die aristotelischen Formulierungen wörtlich übernahm und doch etwas ganz anderes im Auge hatte, nämlich den Gegensatz von Geistlich-Kirchlich und Weltlich-Politisch, das heißt: ein Spannungsverhältnis von zwei konkreten Ordnungen. Als die kindliche Einheit Westeuropas im 16. Jahrhundert zerbrach und die [10] politische Einheit durch christlich-konfessionelle Bürgerkriege zerstört wurde, hießen in Frankreich gerade diejenigen Juristen politiques, die im Bruderkrieg der Religionsparteien für den Staat als die höhere, neutrale Einheit eintraten. Jean Bodin, der Vater des europäischen Staats- und Völkerrechts, war ein solcher typischer Politiker dieser Zeit.

Der europäische Teil der Menschheit lebte bis vor kurzem in einer Epoche, deren juristische Begriffe ganz vom Staate her geprägt waren und den Staat als Modell der politischen Einheit voraussetzten. Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren. Mit ihr geht der ganze Uberbau staatsbezogener Begriffe zu Ende, den eine europa-zentrische Staats- und Völkerrechtswissenschaft in vierhundertjähriger Gedankenarbeit errichtet hat. Der Staat als das Modell der politischen Einheit, der Staat als der Träger des erstaunlichsten aller Monopole, nämlich des Monopols der politischen Entscheidung, dieses Glanzstück europäischer Form und occidentalen Rationalismus, wird entthront. Aber seine Begriffe werden beibehalten und sogar noch als klassische Begriffe. Freilich klingt das Wort klassisch heute meistens zweideutig und ambivalent, um nicht zu sagen: ironisch.

Es gab wirklich einmal eine Zeit, in der es sinnvoll war, die Begriffe Staatlich und Politisch zu identifizieren. Denn dem klassischen europäischen Staat war etwas ganz Unwahrscheinliches gelungen: in seinem Innern Frieden zu schaffen und die Feindschaft als Rechtsbegriff auszuschließen. Es war ihm gelungen, die Fehde, ein Institut des mittelalterlichen Rechts, zu beseitigen, den konfessionellen Bürgerkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts, die auf beiden Seiten als besonders gerechte Kriege geführt wurden, ein Ende zu machen und innerhalb seines Gebietes Ruhe, Sicherheit und Ordnung herzustellen. Die Formel „Ruhe, Sicherheit und Ordnung" diente bekanntlich als Definition der Polizei. Im Innern eines solchen Staates gab es tatsächlich nur Polizei und nicht mehr Politik; es sei denn, daß man Hofintrigen, Rivalitäten, Fronden und Rebellionsversuche von Malkontenten, kurz „Störungen“, als Politik bezeichnet. Eine solche Verwendung des Wortes Politik ist natürlich ebenfalls möglich, und es wäre ein Streit um Worte, über ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit zu diskutieren. Nur ist zu beachten, daß beide Worte, Politik wie Polizei, von demselben griechischen Wort Polis abgeleitet sind. Politik im großen Sinne, hohe Politik, war damals nur Außenpolitik, die ein souveräner Staat als solcher, gegenüber andem [11] souveränen Staaten, die er als solche anerkannte, auf der Ebene dieser Anerkennung vollzog, indem er über gegenseitige Freundschaft, Feindschaft oder Neutralität entschied.

Was ist das Klassische an einem solchen Modell einer nach innen geschlossen befriedeten, nach außen geschlossen als Souverän gegenüber Souveränen auftretenden politischen Einheit? Das Klassische ist die Möglichkeit eindeutiger, klarer Unterscheidungen. Innen und außen, Krieg und Frieden, während des Krieges Militär und Zivil, Neutralität oder Nicht-Neutralität, alles das ist erkennbar getrennt und wird nicht absichtlich verwischt. Auch im Kriege haben alle auf beiden Seiten ihren klaren Status. Auch der Feind ist im Krieg des zwischenstaatlichen Völkerrechts als souveräner Staat auf gleicher Ebene anerkannt. In diesem zwischenstaatlichen Völkerrecht enthält schon die Anerkennung als Staat, solange sie noch einen Inhalt hat, die Anerkennung des Rechtes zum Kriege, demnach die Anerkennung als gerechter Feind. Auch der Feind hat einen Status; er ist kein Verbrecher. Der Krieg kann begrenzt und mit völkerrechtlichen Hegungen umgeben werden. Er konnte infolgedessen auch mit einem Friedensschluß beendet werden, der normalerweise eine Amnestieklausel enthielt. Nur so ist eine klare Unterscheidung von Krieg und Frieden möglich, und nur so eine saubere, unzweideutige Neutralität.

Die Hegung und klare Begrenzung des Krieges enthält eine Relativierung der Feindschaft. Jede solche Relativierung ist ein großer Fortschritt im Sinne der Humanität. Freilich ist es nicht leicht, ihn zu bewirken, denn es fällt den Menschen schwer, ihren Feind nicht für einen Verbrecher zu halten. Dem europäischen Völkerrecht des zwischenstaatlichen Landkrieges ist der seltene Schritt jedenfalls gelungen. Wie er andern Völkern gelingen wird, die in ihrer Geschichte nur Kolonial- und Bürgerkriege kennen, bleibt abzuwarten. Auf keinen Fall ist es ein Fortschritt im Sinne der Humanität, den gehegten Krieg des europäischen Völkerrechts als reaktionär und verbrecherisch zu ächten und statt dessen, im Namen des gerechten Krieges, revolutionäre Klassen- oder Rassenfeindschaften zu entfesseln, die Feind und Verbrecher nicht mehr unterscheiden können und auch nicht mehr unterscheiden wollen.

Staat und Souveränität sind die Grundlage der bisher erreichten völkerrechtlichen Begrenzungen von Krieg und Feindschaft. In Wahrheit enthält ein nach den Regeln des europäischen Völkerrechts korrekt geführter Krieg in sich mehr Sinn für Recht und Reziprozität, aber [12] auch mehr an rechtlichem Verfahren, mehr „Rechtshandlung" wie man früher sagte, als ein von modernen Machthabern inszenierter Schauprozeß zur moralischen und physischen Vernichtung des politischen Feindes. Wer die klassischen Unterscheidungen und die auf ihnen aufgebauten Hegungen des zwischenstaatlichen Krieges niederreißt, muß wissen was er tut. Berufsrevolutionäre wie Lenin und Mao Tse-tung wußten es. Manche Berufsjuristen wissen es nicht. Sie bemerken nicht einmal, wie die überkommenen klassischen Begriffe des gehegten Krieges als Waffen des revolutionären Krieges benutzt werden, deren man sich rein instrumental, freibleibend und ohne Verpflichtung zur Gegenseitigkeit bedient.

Das ist die Lage. Eine so verwirrte Zwischensituation von Form und Unform, Krieg und Frieden, wirft Fragen auf, die unbequem und unabweislich sind und eine echte Herausforderung in sich enthalten. Das deutsche Wort Herausforderung bringt hier sowohl den Sinn eines Challenge wie den einer Provokation zum Ausdruck.

Versuch einer Antwort

Die Schrift über den Begriff des Politischen ist ein Versuch, den neuen Fragen gerecht zu werden und weder den Challenge noch die Provokation zu unterschätzen. Während der Vortrag über Hugo Preuß (1930) und die Abhandlungen „Der Hüter der Verfassung" (1931) und „Legalität und Legitimität" (1932) die neue innerstaatliche, verfassungsrechtliche Problematik untersuchen, treffen sich jetzt staatstheoretische mit völkerrechtlich-zwischenstaatlichen Themen; es ist nicht nur von der – im damaligen Deutschland noch völlig unbekannten – pluralistischen Staatslehre die Rede, sondern auch vom Genfer Völkerbund. Die Schrift antwortet auf die Herausforderung einer Zwischenlage. Die Herausforderung, die von ihr selber ausgeht, richtet sich in erster Linie an Verfassungsexperten und Völkerrechtsjuristen.

So lautet gleich der erste Satz: „Der Begriff des Staates setzt den Begriff des Politischen voraus." Wer soll eine so abstrakt formulierte These verstehen? Es ist mir heute noch zweifelhaft, ob es sinnvoll war, eine Darlegung in dieser, auf den ersten Blick undurchsichtigen Abstraktheit zu beginnen, weil oft schon der erste Satz über das Schicksal einer Veröffentlichung entscheidet. Dennoch ist die fast esoterisch begriffliche Aussage gerade an dieser Stelle nicht fehl am Ort. Sie bringt [13] durch ihre provozierende Thesenhaftigkeit zum Ausdruck, an welche Adressaten sie sich in erster Linie wendet, nämlich an Kenner des jus publicum Europaeum, Kenner seiner Geschichte und seiner gegenwärtigen Problematik. Mit Bezug auf solche Adressaten erhält das Nachwort überhaupt erst seinen Sinn, weil es sowohl die Intention der „Encadrierung eines unermeßlichen Problems" wie auch den streng didaktischen Charakter der Darlegung hervorhebt.

Ein Bericht über die Wirkungen der Schrift innerhalb dieses Fachbereiches seiner eigentlichen Destinatäre müßte spätere Veröffentlichungen miteinbeziehen, die den Ansatz dieses Begriffs des Politischen weiterführen und die Encadrierung auszufüllen suchen. Dahin gehört das Referat über „Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff" (1938) und das Buch über den „Nomos der Erde" (1950). Ein solcher Bericht müßte auch die Entwicklung der Anschauungen über politisches Verbrechen und politisches Asyl und über die Justiziabilität politischer Akte und justizförmig ergehender Entscheidungen politischer Fragen umfassen, ja, er müßte die Grundfrage des gerichtlichen Prozesses überhaupt miteinbeziehen, also eine Untersuchung darüber, wieweit das gerichtliche Verfahren schon durch sich selbst, als Verfahren, seinen Stoff und Gegenstand verändert und in einen andern Aggregatzustand überführt. Alles das übersteigt bei weitem den Rahmen eines Vorwortes und kann hier nur als Aufgabe angedeutet werden. Auch die Frage der politischen – nicht nur wirtschaftlichen oder technischen – Einheit der Welt würde dazu gehören. Dennoch möchte ich hier aus der Vielzahl der Äußerungen zwei völkerrechtliche Aufsätze nennen, die sich kritisch und ablehnend mit meinen Ideen auseinandersetzen und doch das Thema sachlich im Auge behalten: die beiden Stellungnahmen, die Prof. Hans Wehberg, Genf, in seiner Zeitschrift „Friedenswarte" 1941 und 1951 veröffentlicht hat.

Weil die Schrift über den Begriff des Politischen, wie jede rechtswissenschaftliche Erörterung konkreter Begriffe, einen geschichtlichen Stoff behandelt, wendet sie sich gleichzeitig an die Historiker, in erster Linie die Kenner der Epoche der europäischen Staatlichkeit und des Uberganges vom mittelalterlichen Fehde-Wesen zum souveränen Flächenstaat und seiner Unterscheidung von Staat und Gesellschaft. In diesem Zusammenhang muß der Name eines großen Historikers genannt werden, Otto Brunner, der in seinem bahnbrechenden Werk „Land und Herrschaft" (1. Aufl. 1939) eine wichtige historische Verifizierung meines Kriteriums des Politischen erbracht hat. Er schenkt der [14] kleinen Schrift auch Beachtung, wenn er sie auch nur als einen „Endpunkt" registriert, nämlich den Endpunkt der Entwicklung einer Lehre von der Staatsräson. Zugleich erhebt er den kritischen Einwand, daß sie den Feind und nicht den Freund als das eigentlich positive Begriffsmerkmal hinstelle.

Durch die Kennzeichnung „Endpunkt" wird die Schrift in das imperialistische Zeitalter verwiesen und ihr Autor als Max-Weber-Epigone eingestuft. Wie meine Begriffe sich zu denen einer typisch imperialistischen Staats- und Völkerrechtslehre verhalten, ergibt sich deutlich genug aus der Anmerkung 9 S. 32, die ein typisches Produkt dieser Ära betrifft. Der Vorwurf eines angeblichen Primates des Feindbegriffs ist allgemein verbreitet und stereotyp. Er verkennt, daß jede Bewegung eines Rechtsbegriffs mit dialektischer Notwendigkeit aus der Negation hervorgeht. Im Rechtsleben wie in der Rechtstheorie ist die Einbeziehung der Negation alles andere als ein „Primat" des Negierten. Ein Prozeß als Rechtshandlung wird überhaupt erst denkmöglich, wenn ein Recht negiert wird. Strafe und Strafrecht setzen nicht eine Tat, sondern eine Untat an ihren Anfang. Ist das vielleicht eine „positive" Auffassung der Untat und ein „Primat" des Verbrechens?

Unabhängig davon wird der Historiker, für den Geschichte nicht nur Vergangenheit ist, auch die konkret gegenwärtige Herausforderung unserer Erörterung des Politischen, nämlich die verwirrte Zwischenlage von klassischen und revolutionären Rechtsbegriffen, beachten und den Sinn unserer Antwort auf diese Herausforderung nicht mißverstehen. Die 1939 einsetzende Entwicklung von Krieg und Feind hat zu neuen, intensiveren Kriegsarten und zu völlig verwirrten Friedensbegriffen, zum modernen Partisanen- und zum revolutionären Krieg geführt. Wie kann man das alles theoretisch erfassen, wenn man die Wirklichkeit, daß es Feindschaft zwischen Menschen gibt, aus dem wissenschaftlichen Bewußtsein verdrängt? Wir können die Diskussion solcher Fragen hier nicht vertiefen; es sei nur daran erinnert, daß die Herausforderung, auf die wir eine Antwort suchen, inzwischen nicht entfallen ist, sondern ihre Kraft und Eindringlichkeit noch unerwartet gesteigert hat. Im übrigen gibt das zweite angefügte Corollarium von 1938 einen Überblick über das Verhältnis der Begriffe Krieg und Feind.

Aber nicht nur Juristen und Historiker, auch bedeutende Theologen und Philosophen haben sich mit dem Begriff des Politischen befaßt. Hierfür wäre ebenfalls ein besonderer kritischer Bericht erforderlich, [15] um ein halbwegs vollständiges Bild zu vermitteln. In diesem Bereich treten allerdings neue, außerordentliche Schwierigkeiten gegenseitigen Verstehens zutage, so daß eine überzeugende Encadrierung der gemeinsamen Problematik fast unmöglich wird. Das Wort Silete theologüy das ein Jurist des Völkerrechts am Beginn der staatlichen Epoche den Theologen beider Konfessionen zugerufen hat, wirkt immer noch weiter. Die arbeitsteilige Aufsplitterung unseres geisteswissenschaftlichen Lehr- und Forschungswesens hat die gemeinsame Sprache verwirrt, und gerade bei Begriffen wie Freund und Feind wird eine itio in partes fast unvermeidlich.

Das stolze Selbstbewußtsein, das aus jenem Silete! am Anfang der staatlichen Epoche sprach, ist den Juristen ihres Endes in weitem Maße abhanden gekommen. Viele suchen heute Abstützungen und Aufwertungen bei einem moraltheologischen Naturrecht oder sogar in wertphilosophischen Generalklauseln. Der Gesetzespositivismus des 19. Jahrhunderts genügt nicht mehr, und der revolutionäre Mißbrauch der Begriffe einer klassischen Legalität ist offenkundig. Der Jurist des öffentlichen Rechts sieht sich – gegenüber Theologie oder Philosophie auf der einen, sozial-technischer Adjustierung auf der andern Seite – in einer defensiven Zwischenstellung, in der die autochthone Unangreifbarkeit seiner Position entfällt und der informatorische Gehalt seiner Definitionen bedroht ist. Eine derartig verwirrte Situation würde schon für sich allein den Neudruck einer seit vielen Jahren unzugänglich gewordenen Schrift über den Begriff des Politischen rechtfertigen, damit ein authentisches Dokument vor falschen Mythisierungen gerettet und eine echte Aussage ihrer ursprünglichen, informatorischen Bestimmung zurückgegeben werden kann.

Das berechtigte Interesse an dem authentischen Wortlaut einer Aussage gilt noch weit mehr für außerwissenschaftliche Bereiche, für Tagespublizistik und massenmediale Öffentlichkeit. In diesen Bereichen wird alles den nächsten Zwecken des tagespolitischen Kampfes oder Konsums angepaßt. Hier wird die Bemühung um eine wissenschaftliche Encadrierung einfach absurd. In diesem Milieu hat man aus einer vorsichtigen, ersten Absteckung eines Begriffsfeldes ein primitives Schlagwort gemacht, eine sogenannte Freund-Feind-Theorie, die man nur vom Hörensagen kennt und der Gegenpartei in die Schuhe schiebt. Hier kann der Autor nicht mehr tun, als den vollständigen Text nach Möglichkeit in Sicherheit bringen. Im übrigen muß er wissen, daß die Wirkungen und Auswirkungen seiner Veröffentlichungen nicht mehr [16] in seiner Hand liegen. Kleinere Schriften insbesondere gehen ihren eigenen Weg, und was ihr Verfasser mit ihnen eigentlich getan hat, „sagt erst der andre Tag“.

Weiterführung der Antwort

Die Ausgangssituation dauert an und keine ihrer Herausforderungen ist überwunden. Der Widerspruch zwischen der offiziellen Verwendung klassischer Begriffe und der effektiven Wirklichkeit weltrevolutionärer Ziele und Methoden hat sich nur noch verschärft. Die Reflexion über eine derartige Herausforderung darf nicht aufhören und der Versuch einer Antwort muß weitergeführt werden.