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Der 1917 in München verstorbene Hermann von Bezzel war lutherischer Theologe, Rektor der Diakonissenanstalt Neuendettelsau und Oberkonsistorialpräsident der bayerischen Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. In diesem Werk finden sich zwölf Bibelstunden, die er während des Einsegnungsunterrichts im Jahre 1893 zum Thema Beruf und Berufung in der Diakonie gehalten hat.
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Seitenzahl: 168
Veröffentlichungsjahr: 2022
Der Beruf der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Diakonie
HERMANN VON BEZZEL
Der Beruf der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Diakonie, H. von Bezzel
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849662219
Cover Design : Cropped, 27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 87 by Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMRMaeyaert, Belgium - CC BY-SA.
https://www.europeana.eu/en/item/2058612/PMRMaeyaert_eaa59c4c3340ca0a0e5d1bfdf2aaafc1522cc823
www.jazzybee-verlag.de
Vorrede zur 1. Auflage.1
Vorwort zur 2. Auflage.1
1. Stunde.2
2. Stunde.8
3. Stunde.14
4. Stunde.21
5. Stunde.31
6. Stunde.39
7. Stunde.46
8. Stunde.54
9. Stunde.61
10. Stunde.67
11. Stunde.76
12. Stunde.82
Der diese Blätter ausgehen lässet, ist noch nicht so weit von lieben Beschäftigungen früherer Tage entfernt, daß er nicht wüßte, wie sehr der alte Römer warnt, vor dem neunten Jahre ein Blatt aus dem Pulte zu holen und in die (ob auch bescheidene) Öffentlichkeit zu senden. Aber – er weiß nicht, ob er nach neun Jahren noch so leben, ob er überhaupt noch sein wird, weiß aber, daß in unserer eilenden Zeit die Bewegungen in fiebernder Hast sich vollziehen, also daß jetzt angedeutete Gefahren bereits in die Erscheinung getreten sein werden. Darum wurden die Betrachtungen jetzt gedruckt, als Gruß denen, die sie gehört haben, wie denen, welche sie lesen mögen.
Vielleicht lesen manche und lesen nochmals, vielleicht auch wird das Büchlein da hingestellt, wo barmherziger Staub es deckt: wenn nur erreicht wird, daß sein Verfasser erkannt werde als ein nach dem Größten Ringender, schlecht und recht zu sein vor seinem Herrn.
Neuendettelsau, im Dezember 1893.
H. B.
Es ist uns eine Freude, den Unterricht unseres Heimgegangenen Rektors neu ausgehen zu lassen. Der Text ist selbstverständlich völlig unverändert geblieben.
Oktober 1926.
Diakonissenanstalt Neuendettelsau.
Am Tage St. Philippi und Jakobi: Montag nach Cantate.
Gebet: Ewiger Herr und Vater unseres Herrn Jesu Christi, ein Herr ewigen und täglich sich verneuenden Lichtes, wir bitten Dich von Herzen, schenke, weil Du Jesum Christum, das Licht der Welt, gegeben, Seine Gnade und Sein Erbarmen täglich allen denen, die auf Dich hoffen, und verleihe, daß in der Kraft Deiner unwandelbaren Gnade ihr Herz fest und ihr Sinn getrost werde, bis sie dermaleinst, allem Wechsel der Sünde und des Dunkels entnommen, bei Dir im ewigen Lichte weilen dürfen. Amen.
Eine Bewegung, welcher Art sie auch immer sein möge, hat nur soviel Lebensberechtigung, als sie Lebenskräfte in sich birgt. Wenn die Lebenskräfte irgend dem Erlöschen nahe oder aufgezehrt sind, so hört die Lebensberechtigung auf, ob auch nicht die Lebensmöglichkeit. Die Lebensmöglichkeit kann noch durch einen gewissen Nachklang früherer Kräfte sich erhalten, sich zurückführen lassen auf gewisse bessere Zeiten; ja selbst in der Erinnerung an solche liegt noch die Möglichkeit, ein Leben, wenn auch kurzer Dauer, zu fristen. Aber die Lebensberechtigung liegt doch nur im Besitz von Lebenskräften. Es ist jede Bewegung an sich zum Tode verurteilt, welche die Lebenskräfte nicht mehr weiß, die aus dem Quell alles Lebens entstammen, die aus Gott ihren Ursprung genommen haben. Man nennt wohl mit einem Worte diese Lebenskräfte, welche irgend einer Erscheinung ihre Berechtigung verleihen, Ideale. Daran also erkennt man die Berechtigung irgend einer Lebensform, ob sie noch Ideale hat. Es kann ein Mensch ohne Ideale leben, so kann auch Menschenwesen ohne Ideale sein – die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit ist nicht ausgeschlossen – aber die Berechtigung des Lebens geht jedem Menschenleben und -Wesen ab, das der Ideale ermangelt. Das Wort Ideal muß in der Zeit, in der wir leben, mit besonderem Ernst betont werden, im Gegensatz zu der sog. realistischen Auffassung des Lebens, welche die Dinge nimmt, wie sie sind, und nicht, wie sie sein und werden sollen. Man vergißt, daß man mit dieser wirklichen und tatsächlichen Anschauung des Lebens der Sünde die größtmögliche Berechtigung zugesteht, daß man eine Macht als mindestens gleich berechtigt einordnet, welche erst von außen her in dies von Gott so begnadete Leben eingetreten ist; ja man verleiht der Sünde größere Macht und Bedeutung als dem Guten. Die realistische Auffassung des Lebens zeigt sich auch nicht zum mindesten in der Entwicklung der Kirche Gottes auf Erden. Die neuere Theologie ist eine Theologie der Diesseitigkeit, sie vergißt das apostolische Wort, daß unser Bürgerrecht nicht hinieden ist, daß wir eine Schar von Wanderern sind, die keine bleibende Stätte hier haben, noch haben dürfen. Wenn also große kirchliche Bewegungen, ohne ihnen Unrecht zu tun, mit dem Namen der Diesseitigkeit sich bezeichnen lassen, so liegt zu nahe, daß diese Diesseitigkeit alle Bewegungen infizieren und ankränkeln kann. Wenn nun Bewegungen nicht von sich selbst hinaus- und weggehen zum ewigen Ziel, sondern von Tatsachen zu Tatsachen eilen, ohne zu berücksichtigen, daß wir eben diese Tatsachen zu ändern haben und daß dies das Geheimnis der täglichen Reue ist – wenn diese Bewegungen um sich greifen, so liegt die Angst nahe, daß unsere Kirche stirbt. Denn nur die Kirche wird leben, die Ideale hat.
Die rein idealistische Anschauung aber, welche mit dem Gegebenen nicht mehr zu rechnen vermag und nur hinübersieht in das Reich der Vollendung, hat auch wieder ihre Gefahren, weil sie die Fühlung mit der Wirklichkeit verliert. Es sind das jene eigentümlichen Erscheinungen, welche in der alten Kirche mit dem Namen Montanismus und Donatismus, in unseren Tagen mit dem des Irvingianismus und Perfektionalismus bezeichnet werden.
Jene Richtungen, welche die Vollkommenheit des Christen in diesem Aeon betonen, übersehen, daß wir hier noch im irdenen Gefäße unsere Schätze tragen und auch diesen irdenen Gefäßen in dieser Leiblichkeit untergeordnet sind. Die realistische Richtung ist eine diesseitige und verliert das Streben über sich hinaus zu höherer Vollendung. Die idealen Richtungen sind Richtungen der Jenseitigkeit, um dies schlechte Wort zu gebrauchen, und dienen damit auch nicht der Wirklichkeit. Die Ideale sind groß und edel und machen denen, die ihnen huldigen, Ehre; aber nützen werden sie nimmer an sich, nützen kann nur eine Richtung, welche das Ideale ins Reale umzusetzen vermag, welche die gegebene Ansicht nicht als bleibende noch notwendige, wohl aber als zu heiligende ansieht. Nicht alles, was ist, hat auch das Recht, zu sein. Die Sünde ist; aber wir haben die Aufgabe, ihr das Recht zu sein, zunächst an unserm eigenen Leben abzuringen bis aufs Blut, unsern alten Menschen zu entkräften in der Gewalt Dessen, der uns erlöset hat. Dies ist die rechte Verbindung von Idealem und Realem, von dem, was droben, und dem, was hienieden ist. Ein neuerer Dichter (Scheffer) sagt: „Es stirbt der Mensch an seinen Göttern“, an seinen Idealen. Ja wenn die Ideale sterblich sind, von der Erde kommen, so sterben die mit, welche ihnen dienen. Wenn die Ideale nichts anders sind, als durch eigene Imagination, durch eigene Phantasie gesteigerte Realitäten, nichts anders, als die öde Wirklichkeit, der wir einen verklärenden Schimmer aufgelogen haben, dann sterben wir an diesen Idealen. Wenn also Ideale sich aus der Bewegung selbst ergeben und nicht über der Bewegung hinausliegen, so muß die Bewegung an und mit diesen Idealen sterben, in welchen sie ja Fleisch von ihrem Fleisch erkennen muß. Wenn aus den bestehenden Bewegungen heraus man sich Gedanken, Pläne und Gebilde konstruiert, so sind eben diese Pläne nichts anders als der Niederschlag aus dieser Bewegung. Wir aber wissen, daß das Ideal in der Person Dessen liegt, der über diese Erde gegangen mit der bis zur Stunde noch nicht beantworteten Frage: „Wer unter euch kann Mich einer Sünde zeihen?“ in der Person Dessen, unter dem alles Gemeine und Ungerechte tief lag, der die Wirklichkeit mit der Wahrheit so verbunden hat, daß Er die Wirklichkeit erlöste, um sie zur Wahrheit zu führen, daß Er unser Leben befreite, um es zum Leben gnädig hindurch sich ringen zu lassen. In Christo Jesu liegen beschlossen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis und damit alle Ideale. Jesus Christus ist der Quell alles Großen und Schönen, alles Herrlichen und Wahren, was unserm Leben Gehalt und bleibenden Wert verleiht. Er ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit und verleiht Seinem Reiche erst die wahre Existenzberechtigung. Ein Ideal, wie es keines mehr giebt. Er hat allen Bewegungen, die in Seiner Kirche sich regten, bleibenden Wert gegeben. Er wird auch der Bewegung, von der Sie hier sich ergriffen finden, den bleibenden Wert aus Gnaden geben, den Er allen den Pflanzen geben will, die Seinem himmlischen Vater zu Ehren gesetzt sind, all den Blüten, deren Duft Gottes Gnade verkünden soll.
Menschen sterben an ihren Idealen; Christen leben vom Idealen, durch Ideales und im Idealen! Christen leben vom Idealen, denn Menschen ein Bild Ihm zu ewiger Gleiche: so hat sich das Ideal im Menschen ausgewirkt, die Sünde hat es zerstört. Christen leben durch Ideales: das Ideal ist Mensch geworden und hat Sein Bild befreit von den Banden der Sünde und des Todes und Sein Bild von des Schöpfers Meisterschöne wieder verklärt zur Klarheit, die es Selbst hatte, ehe der Welt Grund gelegt war. Christen lebenin Idealen: „Was ich nun lebe, das lebe nicht ich, sondern Christus lebet in mir.“ Neue Kreatur in Christo!
So sehen wir auch mit ernster Frage Ihrer Weiterentwicklung entgegen und fragen: Wie viel Idealität besitzen Sie? Es wird sich als unweisbare Pflicht für Sie alle geltend machen, daß Sie von dem Beruf, dem Sie dienen und in wenig Tagen ganz eingegliedert werden sollen, den größtmöglichen Begriff haben. Die Welt tut dann schon das ihre, um mögliche Ueberspannungen auf das richtige Maß zurückzuführen. Gott erhalte Ihnen, mehre Ihnen, und wo sie nicht vorhanden, erwecke Ihnen die Idealität. Sie können von dem Beruf nicht hoch genug, von den Persönlichkeiten, von Ihnen, nicht niedrig genug denken. Halten Sie vom Beruf das Größte, von Sich selber das Mindeste, dann sind Sie wohl vorbereitet. Idee und Wirklichkeit im harten Kampf, das ist der Kampf, der uns verordnet ist. Wenn aber der Kampf zu schwer wird und der Widerstreit zwischen Seinsollen und Sein zu gewaltig, dann sehen wir auf Jesum Christum, den Anfänger und Vollender des Glaubens und aller dem Glauben entstammenden Bewegungen. Wenn zwischen Idee und Wirklichkeit die Kluft sich zu sehr verbreitert, so sehen Sie auf Den hin, Der in sich Idee und Wirklichkeit vereinigt, weil Er die Wahrheit ist, Jesus Christus, der Herr.
Mit diesen einleitenden Worten grüße ich Sie und wünsche für Ihr späteres Leben, daß der Herr in Ihnen mehren wolle alle die Gesinnung, die Sein lieber Sohn, Jesus Christus, unser einiger Herr, gegeben, bewahrt und geschenkt hat.
Wir gehen nun über auf das eigentliche Thema des Einsegnungsunterrichtes, als welches ich Ihnen vorlegte „Das Charisma der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Barmherzigkeit, die charismatische Veranlagung unserer Kirche zum Amt der Diakonie.“
Wir kommen zunächst auf die Frage von den Gnadengaben überhaupt. Im letzten Grunde sind nach Röm. 5, 16 und 17 alle die Gaben, die Gott in Jesu Christo uns geschenkt hat, Gnadengaben; dieses muß festgehalten werden, um aller fleischlichen Ueberschätzung der Charismen vorzubeugen. Diese Gnadengaben können sich spezifizieren auf bestimmte Vorgänge, spezielle Zwecke und Absichten vereinzeln. Das sind jene Bewegungen, welche der Hl. Geist verleiht aus der Fülle Dessen, der im Evangelium des gestrigen Sonntags, Cantate, sagt: „Von dem Meinen wird Er es nehmen.“ Es sind also keine andern Gnadengaben als die, welche der Herr Christus jeder Seele im ganzen und großen verleiht, es sind nur besonders angediente, angepaßte und applizierte Gnadengaben, welche der Hl. Geist, wie Er will, nach dem vorhandenen Bedürfnis des Einzelnen und der Kirche austeilt. Es sind Gaben, welche der Hl. Geist andient der einzelnen Kirchenzeit, der einzelnen Seele, der einzelnen seelischen Bewegung. Die Charismen unterscheiden sich von den andern Gaben, die Jesus jedem Menschen gegeben hat, nicht dem Wesen nach, sondern nur dem Grade, der Art nach. Es sind einzeln angediente Aeußerungen derselben Gnade, die in unserm Herrn Jesu Christo beschlossen ist.
Man teilt wohl die Charismen ein nach Wortgaben und Tatgaben. In den Bereich der Wortgaben fallen Ermahnung, Weissagung, auch das Zungenreden. Die Tatgaben sind die, in welche das Amt des Herrschens, der Diakonie, der Heilungen usw. sich einordnen. Denn jene bekannte Zwölfzahl ist kein abgeschlossenes Verzeichnis. Gott gibt den Hl. Geist ohne Maß und Einschränkung und der Hl. Geist teilt sich mit, wie Er will; es ist Seines Reiches Geheimnis, Seine Gaben da einsetzen zu lassen, wo Er sie für nötig erkennt. Die außerordentlichen Gnadengaben sind zurückgetreten, aber Gnadengaben des Hl. Geistes bestehen. Und wenn wir auch nicht der starken Blumhard’schen Richtung huldigen, als ob Gnadengaben außerordentlicher Art, Wundertaten, ein Kennzeichen der Kirche sein müßten, so halten wir doch daran fest: Ohne Gnadengabe ist nie eine Kirchenzeit gewesen und wäre es die allergeringste. Wir aber leben in einer großen Zeit.
Das 19. Jahrhundert, an dessen Ende wir stehen, ist ein Jahrhundert des Kampfes um die alleredelsten Güter gewesen. Als es anfing, hat man dem Christentum nur noch wenige Jahre gegönnt. Man hat allerwärts gemeint, es werde gar zu Ende gehen, und dieses Jahrhundert, das viele Liebhaber der Kirche so trüb ansahen, ist ein Missionsjahrhundert geworden, wie keines vorher. Es hat alle Erfindungen menschlicher Kunst und Wissenschaft, alles und jedes in den Dienst der großen Aufgabe Matthäi 28 gestellt: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker.“ Das läßt uns das sichtbare Walten des Hl. Geistes gerade mit besonderer Ehrerbietung und Dank betrachten. Dies Jahrhundert, das auch treue Bekenner mit Angst und den schwersten Befürchtungen betrachteten, ist ein Jahrhundert geworden, in dem das Banner Jesu Christi so mächtig vorgetragen wurde, wie in keinem andern, in dem die Gnade Jesu Christi sich über alles Erwarten verbreitet und vertieft hat, es ist vor allen Dingen das Jahrhundert der evangelisch-lutherischen Kirche geworden.
Es ist kein Lieblingsgedanke von mir, sondern ein Ergebnis nicht ganz oberflächlicher Betrachtung, daß unsere Kirche mit ihrem ökumenischen Sinn und mit jenem feinen Verständnis für alles Große, Wahre und Schöne der andern Kirchen noch das Zentrum werden wird, auf welches alles hineilen wird. „Du hast eine kleine Kraft und hast Mein Wort behalten, sie sollen kommen und sehen, wie sehr ich dich geliebet habe.“
Ja, das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der ev.-lutherischen Kirche geworden. In diesem Jahrhundert hat diese verachtete, im 18. Jahrhundert in Formenkram so furchtbar herabgekommene Kirche, sich wieder aufgerafft und ist aufgefahren mit Flügeln wie Adler (Jes. 40) und hat nun ihren Herrn und Heiland wieder gefunden. Es ist das der größte Gedanke, der Kirche anzugehören, welche mit ihrem seinen Takte und mit ihrer gerechten Würdigung für alle Vorzüge anderer, doch fest und unbeweglich steht auf dem, was ihr ewiges Erbteil geworden. „Du hast eine kleine Kraft und hast Mein Wort behalten.“ So ist unsere Kirche in den Mittelpunkt aller Erscheinungen getreten, und wir sehen je länger je mehr, wie der Kampf aller christusfeindlichen Elemente gegen unsere Kirche sich anbahnt, zeugend, daß eben unsere Kirche besonders die Hüterin Seines Wortes ist.
Gnadengaben hat der Hl. Geist je und je verliehen, Gnadengaben sind selbst die einzelnen Konfessionskirchen. Es wird alles darauf ankommen, wie man sich die Entstehung derselben denkt – ob diese nur durch menschliche Sünde entstanden oder aber ob sie nicht auch Gnadengaben des Hl. Geistes sind. Es ist wahr, es sind die Teilkirchen Ausfluß menschlicher Sünde, es hat sich viel Sünde hineingemengt; aber es sind auch die einzelnen Teilkirchen Individualisationen der einzelnen Wahrheiten, ausgehend von dem Worte: „In Meines Vaters Hause sind viele Wohnungen.“ Die Trennungen sind nicht bloß von Gott zugelassen, sondern von Gott gewollt, bis der Tag kommt, wo alle eins sind. So gewiß die vier Evangelien ein und denselben Christum von verschiedenen Standpunkten aus ansahen, so gewiß die großen Apostel für ein und denselben Christum bei aller Verschiedenheit den Tod erlitten, so gewiß sind nun in der Stellung der einzelnen Apostel die verschiedenen Stellungen der Teilkirchen zu Jesu Christo präformiert.
Wenn wir festhalten, daß die einzelnen Kirchen Gnadengaben des Hl. Geistes sind, so werden wir zu der rechten Duldung vordringen, welche unsere Kirche so sehr auszeichnet. Bei aller Scheidung der Kirche ist die Gnade mächtiger geworden als die Sünde.
1. Hat nun unsere evang.-lutherische Kirche, geschichtlich und dogmatisch besehen, ein Charisma zum Amt der Barmherzigkeit?
2. Wenn ja, worin besteht und warum besteht dies Charisma?
Es verleihe Ihnen der Herr, daß Sie in diesen Stunden Besitz für die Ewigkeit einheimsen dürfen. Er verleihe mir, daß ich Ihnen Worte sage nicht von mir, sondern von Oben, daß ich Worte sage, die Ihr ewiger Herr und Meister Seinem Knechte gegeben hat um Deswillen, der bei aller Sünde und Sündenschwere nie vergessen hat für uns zu hoffen.
Gebet: O Herr Jesu Christe, Du ewiger und barmherziger Sohn Gottes, der Du nicht geachtet hast all der Not, die Deiner wartete, sondern aus freier ungeschuldeter Liebe zu uns gekommen bist, laß die Gewißheit Deiner Gnaden in unser aller Seelen bleibend, segnend, beseligend und befreiend sein und verleihe, daß wir in Kraft Deiner Gnade je länger je mehr Dir zueilen, Deinen Namen preisen, Deinen Ruhm verkündigen und zu Deinen Ehren täglich in den Kampf mit Welt und Sünde uns wagen und darin beharren. Schenke uns zu solchem Kampf die Gewißheit Deiner Nähe, Deiner Teilnahme und Deines Sieges. Amen.
Montagabend.
Gebet: Laß, o getreuer Herr und Heiland, alle die Worte, die Du zu lehren und zu hören gibst, uns nicht dermaleinst, weil ungenutzt, vor Deinem allerheiligsten Angesicht verklagen, sondern verleihe, daß sie seien Zeugnis des Dankes für alle Deine Treue und Erweis des Lobes für all Dein Erbarmen. Siehe, ob wir auf dem Wege Deiner Gebote sind, führe uns den Weg, den wir wandeln sollen und erhalte uns alle bei dem Einen, daß wir Dich fürchten. Amen.
Außerordentliche Zeiten bedürfen außerordentlicher Gaben; aber diese außerordentlichen Gaben des Geistes erscheinen eben nur uns außerordentlich und daraus läßt sich eben alle Teilung geistlicher Dinge als mißlich erweisen. Alle Wunder auf Erden sind über die Natur, doch alles, was wir als Durchkreuzung und Ueberholung der natürlichen Ordnung ansehen, ist bei Ihm längst vorgesehen. Bei Ihm ist es eine Kette von Entwicklungen, die von Ewigkeit her vor ihm liegen, während wir nach der Unzureichendheit unseres Wesens und bei der Kürze unserer Tage nur Ereignis nach Ereignis ansehen können. Es ist ja richtig, es sind Gnadenwirkungen des Hl. Geistes, welche die ersten Jahrhunderte so zu ihrer Stärkung wie zu ihrer Legitimation bedurfte. Sie sind hinweggegangen, vielleicht, ja wohl gewiß, auf Nimmerwiederkehr. Gleichwohl ist es ganz unrichtig, wenn man wollte um eine Neuausgießung des Heiligen Geistes bitten. Halten wir uns an die Worte Luthers: „Ich bitte Dich, o Herr, daß Du mich ohne Wunder durch diese Welt kommen lassest.“ Es liegt darin ein tiefes Verständnis Jesu Christi; liegt doch in dem Worte: „So ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht,“ eine Mahnung für uns alle, daß wir nichts Außergewöhnliches begehren, sondern uns genügen lassen an den großen Gnadentaten, die dadurch nicht gewöhnlich werden, daß wir täglich von ihnen zehren, die nur für uns ihren Wert zu verlieren scheinen um unserer Sünde willen. Für nervöse Christen ist der Hl. Geist nicht ausgegossen. Für solche, die Abwechslung bedürfen, denen der gewöhnliche Weg Gottes zu gering ist, ist überhaupt keine Einwirkung Gottes, sondern nur für die Schwachen und Armen, für die Müden und Verlassenen, für die Törichten ist Jesu Kraft und ewige Gottheit. Wir haben also, wenn wir nicht in ein furchtbares Gericht fallen wollen, keineswegs um eine zweite Ausgießung des Hl. Geistes bitten, sondern vielmehr den Herrn anzuflehen, daß Er den Hl. Geist mit all Seinen Gaben und Gnaden uns erhalten wolle, daß Er die Kraft des Hl. Geistes, vermöge deren Er uns in Wahrheit zur Wahrheit leiten will, mächtig stärke, ihre einen Sieg um den andern verleihe und sie die beherrschende Macht unseres Lebens werden lasse. Denn darauf kommt ja alles an, daß, wenn sonderliche Gaben und Erweisungen des Hl. Geistes sich zeigen, alle diese Betätigung der Erkenntnis zum gemeinen Nutzen geschehen. Daran erkennt man, ob es des Hl. Geistes Geschenke oder ob es selbstwillige eigenmächtige Positionen sind, wenn man diese Gnaden für sich genießen will oder zu gemeinem Nutzen anwendet. Das ist eben der neue Begriff, den das Christentum in die Welt gebracht hat: „Alles zu gemeinem Nutzen.“ „Einer trage des andern Last, einer komme dem andern zuvor, einer diene dem andern.“ Dies Zusammengreifen der Gaben und Kräfte zu gemeinem Nutzen ist es, was sich auch in den Teilkirchen regt. Wir müssen die Teilkirchen, die Konfessionskirchen (natürlich können hier nur die drei Haupt-Teilkirchen: Die katholische, die reformierte und die lutherische in Betracht kommen) so ansehen, daß diese Teilkirchen nicht bloß Werke der Sünde, Ergebnisse sündlicher Abschließung, sondern auch Werke des heiligen Gottesgeistes sind, der das Natürliche zwar nicht zu unbedingter Voraussetzung hat aber an alles natürliche anknüpft. So lange es in einer Teilkirche noch möglich ist, den Prozeß zu erleben, den der Herr Jesus Christus Wiedergeburt nennt, so lang eine Seele in ihr noch rühmen kann:
„Ich lief verirrt und war verblendet,
Ich suchte Dich und fand Dich nicht;
Ich hatte mich von Dir gewendet
Und liebte das geschaffne Licht.
Nun aber ist durch Dich gescheh’n,
Daß ich Dich hab’ erseh’n.“
so lange ist diese Teilkirche christlich. So lange in einer Teilkirche noch Jesus Christus, über den der Apostel Paulus im 1. Kapitel des 1. Korintherbriefes so schmerzlich ruft: „Ist denn Christus zertrennet?“ gepredigt wird als Gottes Sohn, weil er des Menschen Sohn und als Menschensohn, weil er Gottes Sohn ist, so lange hat jede Teilkirche noch die göttliche Legitimation für sich.
Es ist nicht zu leugnen, daß wie in der Auffassung des Herrn Christi, so in der Auffassung des christlichen Ideals, unter den Aposteln schon Verschiedenheiten auftraten. Wie man den Herrn Jesus anders gezeichnet findet bei jedem Evangelisten, so ist auch das Paulinisch-Johanneische Ideal ein anderes als das Petrinisch-Jakobinische, und wir dürfen ganz einfach sagen, das Paulinisch-Johanneische steht höher als das Petrinisch-Jakobinische. Es haben eben die Apostel das Leben des Herrn Christi anders auf sich wirken lassen und verschieden sich gestaltet. Ein Paulus hat mehr opfern müssen als ein Petrus, ein Paulus ist auch auf anderm Wege zu ihm gekommen, als ein Petrus.