Der Besucher - Sarah Waters - E-Book

Der Besucher E-Book

Sarah Waters

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Beschreibung

Hundreds Hall, ein majestätisches Anwesen im ländlichen England. Hier wohnt die verwitwete Mrs. Ayres mit ihren erwachsenen Kindern Caroline und Roderick. Als der Landarzt Dr. Faraday wegen eines Notfalls herbeigerufen wird, ist er wie gebannt von der geheimnisvollen Atmosphäre des Hauses. Schon bald erfährt er, dass in Hundreds Hall merkwürdige Dinge geschehen: Möbelstücke, die ein Eigenleben führen, kryptische Zeichen, die plötzlich an den Wänden auftauchen, bedrohliche Geräusche, die unerklärbar scheinen.

Dr. Faraday begegnet der wachsenden Panik der Familie zunächst mit Ruhe und Beschwichtigung. Doch das Schicksal der Ayres nimmt unaufhaltsam seinen Lauf - und ist enger mit seinem eigenen verwoben, als er ahnt ...

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Seitenzahl: 912

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Titel

Sarah Waters

Übersetzung aus dem Englischen von Ute Leimann

Impressum

Lübbe Digital

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen Werkes

Lübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2009 by Sarah WatersTitel der englischen Originalausgabe:»The Little Stranger«

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2010 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, KölnDatenkonvertierung E-Book:Bosbach Kommunikation & Design GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-0424-1

Sie finden uns im Internet unterwww.luebbe.deBitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Widmung

Meinen Eltern, Mary und Ron, und meiner Schwester, Deborah

1

Ich sah Hundreds Hall zum ersten Mal im Alter von zehn Jahren, in dem Sommer nach Kriegsende. Zu jenem Zeitpunkt besaß die Familie Ayres noch einen Großteil ihres Vermögens und zählte zu den wichtigen und einflussreichen Familien in unserer Gegend. Anlässlich des Empire Day wurde ein großes Fest gegeben, und ich stand in einer Reihe mit den anderen Kindern des Dorfes und salutierte, während Mrs. Ayres und der Colonel vorbeidefilierten und uns Gedenkmünzen überreichten; danach setzten wir uns mit unseren Eltern an lange Tische – vermutlich auf der südlich vom Haus gelegenen Rasenseite – und bekamen Tee gereicht. Mrs. Ayres muss damals ungefähr vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein, ihr Mann ein paar Jahre älter. Und ihre kleine Tochter Susan wird etwa sechs gewesen sein. Sie gaben bestimmt eine sehr schmucke Familie ab, aber ich kann mich nur noch vage an sie erinnern. Am lebhaftesten blieb mir das Haus selbst im Gedächtnis, das mir als Inbegriff eines prächtigen Landsitzes erschien. Ich erinnerte mich noch gut an die zahlreichen würdevoll alternden Einzelheiten: das in die Jahre gekommene Mauerwerk, die welligen Gussglasfenster, die verwitterten Einfassungen aus Sandstein. Sie verliehen dem Haus ein verschwommenes, beinahe ungewisses Aussehen – wie ein Eis, das in der Sonne zu schmelzen beginnt, dachte ich damals.

Natürlich gab es keine Besichtigungstouren ins Innere des Hauses. Sowohl die Vorder- als auch die Terrassentüren standen zwar offen, doch war jede mit einem Seil oder einem Band versperrt; wir durften lediglich die Toiletten der Stallburschen und Gärtner im Stalltrakt benutzen. Meine Mutter hatte allerdings immer noch ein paar Freundinnen beim Hauspersonal, und als der Tee beendet war und die Leute durch den Park spazieren durften, führte sie mich unauffällig durch eine Seitentür ins Haus, und wir verbrachten ein bisschen Zeit bei der Köchin und den Küchenmädchen. Dieser kurze Besuch hat mich damals sehr beeindruckt. Die Küche lag im Untergeschoss, und man gelangte durch einen kühlen Gewölbegang dorthin, der mich an ein Burgverlies erinnerte. Eine ungewöhnlich große Zahl von Menschen eilte ohne Unterlass, beladen mit Körben und Tabletts, zur Küche hin und wieder zurück. Die Mädchen hatten einen derart großen Berg von Geschirr zu spülen, dass meine Mutter kurzerhand die Ärmel hochkrempelte und ihnen half. Als Belohnung für ihre Mühe durfte ich mich zu meiner großen Freude von den Geleespeisen und Puddings bedienen, die beim Fest übrig geblieben waren. Man setzte mich an einen Bohlentisch und gab mir einen Löffel aus dem Besteckvorrat der Familie – ein schweres Exemplar aus mattem Silber, dessen Laffe beinahe größer war als mein Mund.

Doch dann folgte eine noch größere Belohnung. Hoch oben an der Wand des gewölbten Korridors befand sich ein Verteilerkasten, in dem verschiedene Drähte mit Glocken zusammenliefen, und als eine dieser Glocken zu bimmeln begann und das Stubenmädchen nach oben klingelte, nahm sie mich mit hinauf, so dass ich einen Blick hinter den grünen Vorhang werfen konnte, der das Vorderhaus vom Dienstbotentrakt trennte. Ich dürfe dort stehen bleiben und auf sie warten, sagte sie, wenn ich ganz brav und leise wäre. Ich sollte nur in jedem Fall hinter dem Vorhang bleiben, denn wenn der Colonel oder die gnädige Frau mich entdeckten, würde es gewaltigen Ärger geben.

Für gewöhnlich war ich ein folgsames Kind. Doch gleich hinter dem Vorhang trafen zwei marmorgeflieste Korridore aufeinander, in denen sich die herrlichsten Dinge befanden, und als das Stubenmädchen erst einmal in die eine Richtung verschwunden war, machte ich ein paar wagemutige Schritte in die andere. Sofort wurde ich von einer unglaublichen Erregung ergriffen. Damit meine ich nicht nur den Nervenkitzel, etwas Verbotenes zu tun, sondern eine Erregung, die das Haus selbst hervorrief und die von jeder einzelnen Oberfläche auszugehen schien: vom blankpolierten Boden, von der Patina auf dem Holz der Stühle und Schränke, vom Schliff eines Spiegels oder der schneckenförmigen Verzierung eines Bilderrahmens. Ich fühlte mich magisch angezogen von einer der makellos weißen Wände, die ein Stuckfries zierte, ein Relief aus Eicheln und Blättern. Etwas Derartiges hatte ich bisher nur in der Kirche gesehen, und nachdem ich die Verzierung einen Moment betrachtet hatte, tat ich etwas aus heutiger Sicht ganz Unverzeihliches: Ich packte eine der Eicheln und versuchte sie aus ihrer Umgebung zu lösen, und als mir das mit den bloßen Fingern nicht gelang, zog ich mein Taschenmesser hervor und stemmte es in den Stuck. Das tat ich keineswegs aus Zerstörungswut; ich war weder ein boshaftes noch zerstörerisch veranlagtes Kind. Es war vielmehr so, dass ich aus bloßer Bewunderung für das Haus unbedingt ein Stück davon besitzen wollte – oder besser gesagt: Die große Bewunderung, die ich für das Haus empfand und die ein durchschnittlich veranlagtes Kind wahrscheinlich gar nicht in dem Maße empfunden hätte, schien mir überhaupt erst das Recht zu dieser Tat zu verleihen. Ich wollte mir einen Teil der Schönheit sichern, gerade so, wie ein Mann sich eine Locke von dem Haar des Mädchens bewahren möchte, in das er sich unsterblich verliebt hat.

Ich fürchte, die Eichel gab meinen Bemühungen schließlich nach – allerdings weniger akkurat, als ich es erwartet hatte, und als sie sich mit einer unschönen Bruchkante aus der Wand löste, bröselten feinkörniger Sand und weißer Staub zu Boden. Ich weiß noch, dass ich darüber ziemlich enttäuscht war; ich hatte wohl angenommen, dass sie aus Marmor sei.

Doch niemand kam; niemand ertappte mich bei meiner Tat. Es war, wie es so schön heißt, das Werk eines Augenblicks. Ich stopfte die Eichel in meine Hosentasche und schlüpfte wieder hinter den Vorhang. Kurz darauf kehrte das Stubenmädchen zurück und nahm mich wieder mit nach unten; meine Mutter und ich verabschiedeten uns vom Küchenpersonal und gingen zurück zu meinem Vater in den Garten. Ich konnte das harte Gipsstück in meiner Tasche spüren und empfand eine Mischung aus Übelkeit und Erregung. Plötzlich bekam ich es mit der Angst zu tun, dass Colonel Ayres, ein furchteinflößender Mann, den Schaden entdecken und die Feierlichkeiten beenden würde. Doch der Nachmittag ging ohne besondere Vorkommnisse dahin, bis die bläuliche Abenddämmerung sich herabsenkte. Meine Eltern und ich traten gemeinsam mit etlichen anderen Leuten aus Lidcote den langen Heimweg durch die Felder an, begleitet nur von den Fledermäusen, die wie an unsichtbaren Fädchen an uns vorüberhuschten.

Natürlich entdeckte meine Mutter die Eichel irgendwann. Ich hatte sie immer wieder aus der Tasche gezogen und zurückgesteckt, und sie hatte eine Kreidespur auf dem grauen Flanellstoff meiner kurzen Hosen hinterlassen. Als meine Mutter endlich begriff, worum es sich bei dem merkwürdigen Ding in ihrer Hand handelte, wäre sie fast in Tränen ausgebrochen. Doch sie gab mir weder eine Ohrfeige noch erzählte sie meinem Vater von dem Vorfall; für solche Auseinandersetzungen fehlte ihr immer der Mut. Stattdessen schaute sie mich bloß vorwurfsvoll mit Tränen in den Augen an, als schäme sie sich meiner.

»Ein gescheiter Bursche wie du sollte es doch eigentlich besser wissen«, hat sie vermutlich gesagt.

Solche Bemerkungen musste ich mir als Kind ständig von den Erwachsenen anhören. Meine Eltern, meine Onkel, die Lehrer – jeder Erwachsene, der sich für mein Fortkommen in der Welt interessierte, gebrauchte diese oder ähnliche Formulierungen, und sie versetzten mich jedes Mal in hilflose, stille Wut, denn einerseits wollte ich unbedingt meinem Ruf gerecht werden, ein gescheiter Junge zu sein, auf der anderen Seite aber kam es mir sehr ungerecht vor, dass diese Intelligenz, um die ich nie gebeten hatte, plötzlich dazu verwendet wurde, mich abzukanzeln.

Die Eichel wurde in den Ofen geworfen. Ich fand die verkohlten Reste am nächsten Tag in der Asche wieder. Doch jenes Jahr dürfte ohnehin das letzte große in der Geschichte von Hundreds Hall gewesen sein. Die Feierlichkeiten zum nächsten Empire Day wurden von einer anderen Familie in einem der benachbarten Herrenhäuser ausgerichtet; auf Hundreds Hall hatte ein stetiger Niedergang begonnen. Wenig später starb die Tochter der Ayres, und Mrs. Ayres und der Colonel zogen sich aus der Öffentlichkeit zurück. Ich kann mich noch dunkel an die Geburten der beiden folgenden Kinder erinnern, Caroline und Roderick, doch da war ich schon auf dem Leamington College und hatte genug mit meinen eigenen Sorgen zu tun. Meine Mutter starb, als ich fünfzehn war. Wie sich herausstellte, hatte sie während meiner Kindheit eine Fehlgeburt nach der anderen erlitten, und an der letzten war sie dann gestorben. Mein Vater lebte gerade noch so lange, dass er den Abschluss meines Medizinstudiums und meine Approbation mitbekam. Colonel Ayres starb ein paar Jahre später, an einem Aneurysma, glaube ich.

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