Der Bienenkönig - Helene Hammerer - E-Book

Der Bienenkönig E-Book

Helene Hammerer

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Beschreibung

Rosina lebt mit ihrer neunjährigen Tochter Valeria ziemlich abgeschieden bei Kilian, einem betagten Schafhirten. Die drei bilden ein kleine Wahlfamilie und freuen sich, als nebenan ein neuer Nachbar in das leerstehende alte Haus einzieht. Ludwig König erweist sich als freundlicher aufgeschlossener Mann und Valeria geht ihn fast täglich besuchen. Die Idylle bekommt jedoch schnell Risse, als sich herausstellt, dass Ludwig eine professionelle Bienenzucht betreiben will. Die ortsansäßigen Imker, zu denen leider auch Rosina zählt, fühlen sich dadurch bedroht und kämpfen mit allen Mitteln gegen den Neuen an. Valeria und Kilians schlechtem Gesundheitszustand ist es zu verdanken, dass die Nachbarschaft schließlich doch gelingt.

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Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhaltsverzeichnis

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Impressum neobooks

1

Rosina wirbelte in der Küche herum, um das Essen Punkt zwölf Uhr auf den Tisch zu bringen. Über der Gartenarbeit hatte sie am Vormittag die Zeit vergessen und war zu spät ins Haus gekommen, was jedoch kein Problem darstellte, denn als gelernte Köchin beherrschte sie ihr Handwerk und konnte in kürzester Zeit ein Essen auf den Tisch zaubern. Die Knödel lagen groß und rund im Wasser, das Sauerkraut brauchte im Kelomat noch zwei Minuten und die Bratwürste brutzelten in der Pfanne. Kilian schlurfte in die Küche und schaute ihr schmunzelnd zu. „Na, bist du wieder einmal am Zaubern?“, bemerkte er. „In fünf Minuten bin ich fertig“, grinste Rosina und deckte mit flinken Bewegungen den Tisch. Der alte Mann setzte sich schwerfällig an den Tisch und schaute ihr belustigt zu. Seit zehn Jahren lebte sie bei Kilian und schon mindestens genau so lange dauerte der Wettstreit, ob sie das Essen pünktlich auf den Tisch bringen würde.

Der gütige alte Mann hatte sie aufgenommen, als sie dringend Hilfe brauchte. Damals, hochschwanger und auf der Suche nach einer leistbaren Wohnung oder einem Zimmer, sah sie sein Inserat in der Zeitung. Er suchte einen Junghirten für seine Alpe. Rosina, selbst eine Bauerntochter, traute sich diese Arbeit zu und dachte, dass die frische Höhenluft ihr gut tun und sie eine leichte Arbeit spielend bewältigen würde. So konnte sie den Sommer über die Miete sparen und nach der Saison war bestimmt leichter etwas zu finden. Tatsächlich nahm Kilian sie mit auf die Hochalpe, wo er mit seinen Schafen und seiner Hündin Senta immer den Sommer verbrachte. Die beiden verstanden sich gut und schätzten einander bald und als der Herbst kam, zog Rosina bei Kilian ein, führte ihm den Haushalt und brachte bald darauf ihre kleine Tochter Valeria zur Welt. Seither waren sie wie eine Familie. Kilian, der Großvater, Rosina, die Mutter und Valli, die Freude der beiden. Obwohl der kleine Sonnenschein in letzter Zeit eher einem Apriltag ähnelte, mit seinen pubertären Launen.

Als die Zeiger der alten Küchenuhr auf zwölf standen, servierte Rosina Kilian sein Lieblingsessen, Semmelknödel mit Sauerkraut und Bratwürsten. Die Töpfe ließ sie auf dem Herd stehen, um das Essen für Valli warmzuhalten, die erst kurz vor ein Uhr von der Schule kommen würde. Nachdem sie ein wenig abgelegen wohnten, brauchte sie für den Weg ungefähr eine halbe Stunde, je nachdem, wie lange sie und ihre Freundin Bianca herumtrödelten.

„Hast du gesehen, Ambros und Annele sind in Marieles Haus dran“, sagte Rosina. „Annele hat alle Fenster geputzt und Ambros räumt die Tenne aus. „Vielleicht zieht doch jemand ein“, meinte Kilian. „Ich weiß nicht“, zweifelte Rosina, „das Häuschen ist sehr einfach und hat keinerlei Komfort. Mariele hat nie etwas daran gemacht und Ambros will auch nicht viel hineinstecken, nachdem er es nun geerbt hat. Wenn von seinen Kindern jemand dort wohnen wollte, könnten sie es selbst herrichten, hat er gesagt.“ „Vielleicht so grüne Spinner, die zurück zur Natur wollen, oder Feriengäste“, mutmaßte der alte Mann.

Nach dem Essen legte er sich aufs Küchensofa, um sein Mittagsschläfchen zu halten. Dabei konnte ihn auch Valli nicht stören, die wenig später mit der Botschaft, sie habe einen Riesenhunger, in die Küche stürmte. „Bei Marieles Haus steht ein roter Bus“, verkündete sie ihrer Mutter, als sie vor einem vollen Teller saß und sich hungrig über das Essen hermachte. „Mit vollem Mund spricht man nicht!“, ermahnte sie diese, worauf Valli das Gesicht verzog und schnell schluckte. „Meinst du, es ist eine Familie mit Kindern?“, fragte sie hoffnungsvoll. Nachbarskinder zum Spielen zu haben, war ihr zweitgrößter Wunsch, nachdem sie den nach einer kleinen Schwester schon fast aufgegeben hatte. „Ich weiß es nicht“, meinte ihre Mutter und behielt ihre Zweifel für sich, um dem Mädchen die Hoffnung nicht zu nehmen. Es würde früh genug sehen, wer die neuen Nachbarn waren.

Nach dem Essen wusch Rosina das Geschirr ab und Valli, die eigentlich abtrocknen sollte, verschwand im Badezimmer, weil sie angeblich dringend aufs Klo musste. Als ihre Mutter sie einige Zeit später rief, bekam sie keine Antwort und im Badezimmer war auch niemand. Rosina seufzte resigniert. Valli war bestimmt zu Marieles Haus gelaufen, um zu sehen, wer dort war. Dass sie zuerst ihre Hausaufgaben machen sollte, kümmerte sie nicht und damit ihre Mutter es ihr nicht verbieten konnte, fragte sie diese gar nicht erst, ob sie zu den neuen Nachbarn gehen durfte.

Valeria war immer ein hübsches Kind gewesen, mit den blauen Augen und dem dichten hellbraunen Haar ihrer Mutter, der kleinen Nase und dem fein geschwungenen herzförmigen Mund. Sie war zierlich gebaut, bewegte sich leichtfüßig und war fast immer fröhlich, jedenfalls bis vor einem halben Jahr. Mit ihrem zehnten Geburtstag schien sie einen Schalter umgelegt zu haben, sie wurde aufmüpfig und tat oft einfach, was sie wollte. Rosina wusste sich dann keinen Rat und hasste es, mit ihrer Tochter zu streiten. Kilian brummte nur, das werde sich schon alles geben und war ihr keine große Hilfe. Ihre Schwestern munkelten, dass sie das Kind zu sehr verwöhnt habe und ihre Freundin Regina, selbst eine Rebellin, fand es gut, dass Valli ihren Kopf durchsetzte.

Also ging Rosina wieder in den Garten, um die Beete herzurichten, damit sie in den nächsten Tagen das erste Gemüse sähen oder anpflanzen konnte. Es stimmte, vor dem alten Haus am Waldrand neben Ambros' Geländewagen stand ein roter Bus. Obwohl sie auch neugierig war, wer dort wohl einziehen würde, wollte sie auf keinen Fall hinaufgehen und schauen. Es war gut, wieder Nachbarn zu haben, dachte sie und machte sich an die Gartenarbeit. Sie liebte es, an schönen, sonnigen Tagen im Freien zu arbeiten und als Kilian seine Schafe noch hatte, den Tieren zuzuschauen, die friedlich auf der Weide grasten. Nach einem Schlaganfall vor drei Jahren musste Kilian die Schafe verkaufen, weil er der Arbeit nicht mehr gewachsen war und seither einen Stock brauchte, aber sie waren beide froh, dass er überhaupt noch gehen konnte. Jetzt hatten sie nur noch zwanzig Hühner, die in der Wiese herumscharrten und Würmer suchten.

Rosina harkte und rechte die feine Erde glatt. In Gedanken sah sie schon Erbsen und Bohnen wachsen, Karotten, Rote Rüben und Sellerie. Die Ringelblumen, die Malven und die Sonnenblumen wollte sie heuer vor dem Bienenhaus pflanzen, dann sah es dort schön aus und die Bienen hatten ihr Futter gleich vor dem Flugloch. Kilian kam aus dem Haus und meinte, er werde einmal nachsehen, was es bei Ambros Neues gebe. Langsam aber stetig ging er an seinem Stock zum Nachbarhaus. Er hatte keine Angst, neugierig zu wirken. Für ihn war es selbstverständlich, dass man sich für die Angelegenheiten der Nachbarn interessierte und sich auf einen kleinen Plausch mit ihnen traf.

Rosina tat der Rücken weh und so räumte sie ihr Gartenwerkzeug in die Tenne und ging ins Haus. Dort kochte sie sich eine Kanne Kräutertee und aß ein Stück Aniszwieback, einen leichten Biskuitkuchen, den Kilian gern am Nachmittag zu seinem Malzkaffee mochte. Den Tee nahm sie mit in ihr Arbeitszimmer, wo sie Kräuter abfüllte. Auf der Suche nach einer Verdienstmöglichkeit, hatte sie als Valli noch klein war begonnen, Kräuter für Tees, Kräutersalz und Suppenwürze zu sammeln und zu pflanzen, Marmelade und Sirup einzukochen, Kekse zu backen und im Winter die Schafwolle zu verarbeiten. Ihre Produkte verkaufte sie dann jeden zweiten Samstag auf dem Bauernmarkt. Inzwischen wusste sie, was ihre Kunden wollten. Seit dem vergangenen Jahr hielt sie auch drei Bienenvölker, denn Honig war ein begehrtes Produkt. Sobald sie mehr Erfahrung als Imkerin hatte, wollte sie das alte Bienenhaus mit zehn Völkern füllen und dann auch Kerzen und Propolistinktur herstellen und verkaufen.

Mit ihrer Freundin Regina wechselte sie sich immer am Marktstand ab und diese steuerte handbemalte Töpferware, originelle Kissen, Tischtücher und Läufer bei. Gina, wie sie genannt werden wollte, war Künstlerin und besaß im Haus ihrer Eltern in Rossbrunn eine Werkstatt und einen kleinen Laden. Dort kamen jedoch nicht genug Kunden vorbei, also verkaufte sie ihre Produkte zusätzlich auf dem Markt in Dornbirn. Ihr Sohn Antonio war nur einen Tag jünger als Valeria. Sein Vater lebte als Fischer in Sizilien. Für ihn war es undenkbar, nach Österreich zu ziehen und Regina hielt es in Sizilien nicht länger als ein paar Wochen aus. Die beiden jungen Mütter waren auf der Geburtenstation nebeneinander gelegen und freundeten sich sofort an, als sie bemerkten, dass sie beide in einer ähnlichen Situation waren. Valerias Vater, der Chefkoch im Hotel Bären, in dem Rosina gearbeitet hatte, wollte nämlich nichts von seinem Kind wissen und war inzwischen auch über alle Berge.

Rosina füllte Tee in spezielle Teesäckchen, auf die sie geschmackvolle, von Gina entworfene, Etiketten klebte. Da gab es Helios, den Sonnentee, Montana, den Bergkräutertee und Primavera, den Frühlingstee. Plötzlich fiel die Haustür zu und Valli rief: „Mama, wo bist du?“ Gleich darauf stürmte sie ins Arbeitszimmer. „Mama, er heißt Ludwig und er hat schwarze Locken und ist total nett“, sprudelte sie hervor. „Ambros gibt ihm Marieles Haus und er richtet es her und wohnt dann da. Und weißt du was er noch hat?“ Gespannt schaute das Kind seine Mutter an. Diese zuckte die Schultern. „Woher soll ich das wissen?“ „Dreimal darfst du raten“, rief Valeria aufgeregt. „Kinder?“, mutmaßte Rosina. „Nein!“ „Einen Hund?“ Valli schüttelte den Kopf. „Hm“, überlegte ihre Mutter. „Soll ich es dir sagen?“, zappelte das Mädchen herum und konnte nicht mehr warten. „Bienen, er hat Bienen“, platzte es heraus und grinste triumphierend. „Er hat Bienen?“, fragte Rosina verwundert. „Ja, sag ich doch“, bekräftigte ihre Tochter. „Ich hab ihm gesagt, dass du ihn einmal besuchen kommst“, schloss die Kleine selbstgefällig. „Man ladet sich nicht selbst ein“, tadelte ihre Mutter, „und außerdem bist du einfach verschwunden und hast deine Hausaufgaben noch nicht gemacht.“ „Ich hasse Hausaufgaben“, jammerte Valeria und trollte sich widerstrebend in die Küche.

Fünf Minuten später war sie zurück. „Mama, ich weiß nicht wie die Rechnungen gehen.“ „Dann hättest du in der Schule besser aufpassen müssen“, bemerkte diese. „Ich hab aufgepasst und in der Schule hab ich es gekonnt“, behauptete das Mädchen und wie auf Kommando traten Tränen in die blauen Augen. Rosina seufzte, ging aber sogleich mit ihrer Tochter in die Küche, um ihr zu helfen. Mit Engelsgeduld erklärte sie dem Kind alles noch einmal langsam und hoffte, dass Valli es sich bis zum nächsten Tag merken würde. Als sie endlich mit den Rechnungen fertig wurden, war es Zeit zum Abendessen und Valli versprach, danach zu lesen. Doch nach dem Essen wollte sie lieber mit Kilian fernsehen. „Ich lese es im Bett durch“, versprach sie. Rosina ließ sie gewähren, sie hatte keine Lust auf Tränen und Theater. „Es ist deine Verantwortung“, sagte sie nur. Kilian schlief bald vor dem Fernseher ein und Rosina brachte Valli ins Bett, obwohl diese dagegen protestierte und behauptete, sie könne sich allein waschen und ihre Zähne putzen. Zum Lesen war die Mutter dann doch gut genug und als dies erledigt war, ging sie in die Küche, wo sie das Radio einschaltete und sich ans Spinnrad setzte, das dort immer in der Ecke stand. Rosina liebte es, wenn das Spinnrad surrte und die Wolle gleichmäßig durch ihre Finger glitt und sich zu einem Faden drehte. Diese Arbeit beruhigte sie und half ihr, ihre Gedanken zu ordnen, die an diesem Abend um den neuen Nachbarn kreisten.

Um zehn Uhr kam Kilian in die Küche, um eine Tasse heiße Milch zu trinken, bevor er schlafen ging und erzählte Rosina ebenfalls, dass der neue Nachbar Ludwig hieß. Er werde das Haus herrichten und dafür eine Weile keine Miete bezahlen, so sei ihm und Ambros geholfen, meinte er. Rosina nahm sich vor, Ludwig bei der nächsten Gelegenheit einen Besuch abzustatten, und ging ebenfalls schlafen.

2

Ludwig setzte sich in der Stube auf die Eckbank, lehnte sich gemütlich zurück und genoss das Gefühl, angekommen zu sein. Zu Ostern, beim traditionellen Familienessen, war er mit seiner Schwägerin Gabi ins Gespräch gekommen und hatte ihr erzählt, dass er ein altes Bauernhaus im Tal suche, um es dort ernsthaft mit der Imkerei zu versuchen. Er war nach wie vor überzeugt, dass man davon leben konnte, wenn man es geschickt anstellte, obwohl alle seine Verwandten und Bekannten das Gegenteil behaupteten. Ihr Großvater habe ein altes Haus, das er zwar sicher nicht verkaufen, aber vielleicht vermieten werde, meinte Gabi. Gleich am nächsten Tag fuhr er mit ihr nach Sonnleiten, schaute sich das Haus an und wurde schnell mit Gabis Ähne Ambros einig. Ludwig würde es soweit herrichten, dass er gut darin wohnen konnte und dafür keine Miete zahlen, lautete die Abmachung, mit der beide gut leben konnten.

Er kündigte also im Betrieb seines Vater, nahm den Resturlaub und heute Mittag war er mit der ersten Fuhre seiner Sachen in seinem Bus angekommen. Ambros und seine Frau Annele räumten und putzten bereits fleißig und jetzt fühlte er sich schon ganz zu Hause. Der alte Nachbar schien in Ordnung zu sein und das Mädchen lief ihm auf Schritt und Tritt nach, wie es alle Kinder taten. Seine Brüder nannten ihn immer „Herr Lehrer“, wenn sie ihn aufziehen wollten. Egal, er mochte Kinder und sie mochten ihn und Valli bildete keine Ausnahme. Das Bauernhaus war sehr alt und relativ klein, im Parterre befanden sich die Stube, das Schlafzimmer, „Gada“ genannt, das er als Arbeitszimmer nutzen wollte, und die Küche. Im oberen Stockwerk gab es zwei kleine Schlafkammern und darüber einen geräumigen Dachboden. Ein Badezimmer existierte nicht und das Klosett befand sich in der Tenne.

Er hatte mit Ambros vereinbart, einen gebrauchten Heizkessel zu organisieren, mit dem er die Küche, sein Arbeitszimmer und die beiden Kammern im oberen Stockwerk heizen wollte. In der Tenne konnte er einen Teil abtrennen und dort einen Schleuderraum und ein Badezimmer ausbauen. Sein Freund Heinz wollte am Wochenende kommen und ihm helfen. Das Holz stellte Ambros zur Verfügung und den Rest würde er im Baumarkt besorgen. Doch als erstes wollte er die Elektroleitungen erneuern, denn diese waren fast lebensgefährlich. Ludwig zog den karierten Schreibblock näher zu sich heran, las die Maße von seinem Notizzettel und begann den Plan für den kleinen Anbau zu zeichnen.

Sehr zufrieden mit sich und der Welt, ging er um Mitternacht ins Bett, schlief jedoch schlecht, weil es für ihn eindeutig zu schmal und zu kurz war. Auch das schwere, kurze Bettzeug war eine Zumutung und schon bald wusste er, was er am kommenden Morgen tun musste. Er würde ins Möbelhaus fahren und sich zwei neue Betten kaufen, mit allem Drum und Dran. Wenn sein Freund ihm schon half, sollte er auch gut schlafen können.

3

Am nächsten Vormittag steckte Rosina gerade die Zwiebeln, als der Briefträger auf seinem knatternden Moped vorfuhr und ihr Werbung und zwei Briefe überreichte. „Du hast einen neuen Nachbarn“, verkündete er. „Ich weiß, er heißt Ludwig, richtet Marieles Haus her und wohnt dafür mietfrei“, teilte Rosina ihren bisherigen Wissensstand mit dem neugierigen Willi. „Ich glaube, er ist ein Hippie“, mutmaßte dieser. „Er hat ziemlich lange Haare und so einen alten, rostigen Bus.“ „Den braucht er wohl für seine Bienen“, meinte Rosina und freute sich, dass Willi weniger wusste als sie. „Ah, er hat auch Bienen“, hakte dieser gleich nach, „das muss ich Xaver, dem Obmann, sagen, denn ohne Gesundheitszeugnis darf er sie nicht hierher bringen. Wir können nicht zulassen, dass er uns Krankheiten einschleppt.“ „Woher willst du denn wissen, dass seine Bienen krank sind?“, erkundigte sich Rosina und ärgerte sich über den Wichtigtuer. „Man weiß es eben nicht und darum muss man vorsichtig sein“, erklärte er und fuhr auf seinem Moped davon.

Rosina blieb in einer Abgaswolke mit schlechtem Gewissen zurück, weil sie Willi von den Bienen erzählt hatte. Während sie ihren Ärger im Garten abarbeitete, beruhigte sie sich mit der Tatsache, dass er es sowieso herausgefunden hätte und hoffte auf Xavers Besonnenheit. Nach dem Mittagessen buk sie einen Topfenkuchen und als Kilian zum Nachbarhaus spazierte, schlug sie ihm vor, Ludwig zum Kaffee einzuladen. Dann saugte sie Staub und ging in ihr Arbeitszimmer um zu bügeln. Kilian brachte einen großen, kräftigen Mann mit, der wirklich etwas zu lange dunkle Locken hatte. Seine braunen Augen blickten interessiert auf Rosina und ihre kleine Hand verschwand fast in seiner großen, als er sie ihr freundlich schüttelte. „Danke für die Einladung“, sagte er, „du musst Vallis Mutter sein.“ „Ja, ich hoffe, sie war nicht lästig“, lächelte Rosina. „Nein, nein, sie kann jederzeit vorbeikommen“, winkte Ludwig ab.

Die drei setzten sich an den Küchentisch und während sie Kaffee tranken und Kuchen aßen, erzählte Ludwig von seinen Plänen, in Marieles Haus eine neue Kücheneinrichtung und ein Badezimmer einzubauen. „Für Richtigem solltest du die Hütte zuerst gründlich isolieren und neue Fenster einbauen“, meinte Kilian. „Ja, wenn mir Ambros das Haus verkaufen würde, wäre das der richtige Weg“, bestätigte der junge Mann. „Genau, wie du es gemacht hast.“ Er schaute sich in der Holzküche um. „Schön habt ihr es hier.“ Kilian nickte und erzählte, wie er das alte Haus nach und nach saniert hatte. „Auf meine alten Tage schätze ich die Zentralheizung am meisten“, schmunzelte er. Rosina ließ die beiden reden und als wenig später Valli von der Schule heimkam, stand diese im Mittelpunkt.

„Mama hat mir gar nicht glauben wollen, dass du Bienen hast“, verkündete sie. „Doch, das stimmt“, bestätigte Ludwig, „und sie sind auch der Hauptgrund, warum ich ins Tal herein gezogen bin. Bei uns draußen ist die Trachtlage einfach nicht so gut.“ „Du brauchst ein Gesundheitszeugnis, wenn du Bienen hierher bringen willst“, informierte ihn Rosina sicherheitshalber. Ludwig musterte sie skeptisch. „Gehörst du auch zu den Imkern, die einem Kollegen nichts gönnen? Da war heute schon so ein komischer Kauz bei mir.“ „Nein, nein“, beeilte sich Rosina zu versichern, „Willi, der Briefträger, hat es zu mir gesagt und ich dachte, dass du es wissen solltest.“ Bei dem Gedanken an Willi plagte sie gleich wieder das schlechte Gewissen und sie errötete leicht. „Ich habe nur drei Völker, da reicht es leicht für deine Bienen auch noch.“

Ludwig zog die Augenbrauen hoch. „Ich habe 50 Völker und werde auf 100 aufstocken. So viele brauche ich, dass ich davon leben kann.“ Ambros pfiff durch die Zähne: „Wenn du davon leben willst, musst du gut sein, ich kenne hier keinen, der das könnte.“ Ludwig zuckte die Achseln: „Sie betreiben die Imkerei nur als Hobby, das ist etwas anderes.“ Im weiteren Gespräch stellte sich heraus, dass Ludwig Elektriker war und dass seine Eltern eine Elektrofirma hatten, die sein Bruder übernehmen wollte. „Ich fühle mich mehr zur Natur hingezogen“, erklärte er. „Im Garten werde ich dich um Rat fragen“, wandte er sich an Rosina. Diese erklärte, ihm gerne zu helfen, und so verabschiedeten sie sich in bestem Einvernehmen.

4

In den kommenden Tagen regnete es, aber nachdem inzwischen Mitte April war, fing die Löwenzahnblüte bald an. Vom Nachbarhaus her hörte man jeden Tag Hämmern und den hohen Ton einer Kreissäge. Ludwig war offensichtlich fleißig am Umbauen. Er sollte langsam seine Bienen herbringen, dachte Rosina und als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, baute der junge Mann am selben Tag Gestelle vor dem Haus, um die Völker aufzustellen. Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne und vor Ludwigs Haus standen bunt bemalte Bienenkästen. Rosina lief hinauf, um sich die Bienen anzusehen, aber ihre Freude verflog jäh, als sie die Bienen näher betrachtete. Sie hatten einen orangen Streifen zwischen den hellen und braunen. „Du hast die englischen Killerbienen!“, beschuldigte sie Ludwig, der aus dem Haus kam. „Von Killerbienen kann keine Rede sein“, wehrte sich dieser, „meine Bienen sind sehr sanftmütig.“ „Ha, jeder weiß, dass sie andere Völker ausrauben und dann ihren Honig stehlen“, ereiferte sich die junge Frau. „Wer hat dir denn so einen Quatsch erzählt? Wohl auch dieser Willi?“, erkundigte sich Ludwig und griff sich an die Stirn. „Das ist kein Quatsch, wir hatten einen Vortrag darüber“, verteidigte sich Rosina und marschierte heimwärts.

Sollte sie Xaver anrufen und ihm die Neuigkeit berichten, fragte sie sich, ließ es dann aber doch bleiben. Sie wollte ihren Nachbarn nicht in Schwierigkeiten bringen, die bekam er sicher früh genug. Stattdessen rief sie Gina an, um ihrem Ärger Luft zu machen, aber diese nahm das alles nicht ernst und lachte nur. „Lass ihn einmal anfangen, dann siehst du schon, ob an den Gerüchten etwas dran ist“, riet sie ihrer Freundin. „Ich bin für leben und leben lassen.“ „Du hast leicht reden, du bist ja keine Imkerin“, protestierte Rosina. „Bei uns Kunsthandwerkern ist das nicht anders, da sind die Konkurrenz und der Futterneid auch groß“, erwiderte Gina und damit hatte sie Recht. Am Abend wollte sie noch Ware vorbeibringen und verabschiedete sich, weil Tonio gerade nach ihr rief.

Rosina ging in die Küche, um frische Mandeltaler zu backen, die sie am nächsten Tag mit auf den Markt nehmen wollte. Die feinen, mit Himbeergelee gefüllten Mürbteigkekse waren unter ihren Kunden sehr beliebt und so buk sie fast jede Woche frische. Normalerweise half ihr Valli gerne dabei, aber sie war zum „Feind“ übergelaufen und verbrachte den Nachmittag wieder einmal bei dem neuen Nachbarn. „Ludwig macht die Elektroleitungen neu und ich muss ihm dabei helfen“, hatte sie beim Mittagessen verkündet. „Ich könnte dich zum Backen brauchen“, wandte ihre Mutter ein, doch Backen war langweilig, wenn man im Gegenzug Elektroleitungen verlegen konnte. Also schaltete Rosina das Radio ein und knetete einen geschmeidigen Mandelteig, rollte ihn aus und stach Kreise aus. Aus den Deckeln stach sie kleine Herzen aus und buk alles schön goldgelb. Dann füllte sie Himbeergelee in den Spritzbeutel und gab auf jeden Boden einen Klecks Marmelade. Routiniert setzte sie die Kekse zusammen und bestreute sie mit Staubzucker. Sobald die Kekse nicht mehr verrutschten, kamen sie in kleine Zellglasbeutel, die Rosina mit einer rot-weiß karierten Schleife verschloss. Die fertigen Säckchen stellte sie ordentlich in eine Transportkiste und war am späten Nachmittag recht zufrieden mit dem Ergebnis.

Als Gina und Tonio nach dem Abendessen vorbeikamen, trollten sich die Kinder gleich zum Spielen in Vallis Zimmer. Tonio war der einzige Bub, der in Vallis Augen nicht „blöd“ war und bei ihm verhielt es sich umgekehrt mit Mädchen genauso. Da Gina zu jeder Tages- und Nachtzeit Kaffee trinken konnte, kochte ihr Rosina eine Tasse und bot ihr frische Mandelkekse an. „Mhm, da hatte ich doch wieder einen guten Riecher“, grinste Gina und biss genüsslich in das Gebäck. Anschließend zeigte sie der Freundin die neuen Töpferwaren. Seit einigen Jahren kreierte sie vermehrt Dekorationen für Haus und Garten und der letzte Schrei waren ihre Gartenfrösche und die Zierstäbe, auf die verschiedene Elemente aus Ton aufgereiht wurden und deren Abschluss eine Spitze zum Anschrauben bildete. Diese hatte Gina in Zusammenarbeit mit einem Schlosser entwickelt. Rosina hatte den Verdacht, dass mehr dahinter steckte, als nur berufliche Zusammenarbeit, aber in diesem einen Fall war Gina sehr zurückhaltend mit Informationen. „Ich kenne Alwin seit Kindertagen“, lautete ihr Kommentar, als ob das alles andere ausschließen würde.

Gemeinsam beluden sie Rosinas alten Ford Kombi und dann wollte Gina alles über den neuen Nachbarn hören. „Scheint ein interessanter Typ zu sein“, meinte sie und hob vielsagend die Augenbrauen. „An deiner Stelle würde ich die Sache mit den Bienen nicht zu wichtig nehmen, Rosie.“ Diese nickte und sagte nichts mehr, denn Gina verstand sie in diesem Punkt nicht.

5

Am Samstag machte sich Rosina schon morgens um sechs Uhr auf den Weg. Das Wetter versprach schön zu werden und dies wiederum versprach ein gutes Geschäft. An einem schönen Frühlingstag kamen die Leute scharenweise auf den Markt und mit der Frühlingsstimmung kam auch die Kauflaune. Rosina stellte mit Hilfe ihres Standnachbarn Reinhold, der Schnäpse und Liköre verkaufte, den Stand auf und verteilte ihre Waren darauf. Inzwischen war sie darin ein Profi und die Kundinnen schätzten dies und kauften fleißig. Zu Mittag packte sie die restliche Ware wieder ordentlich in die Kisten und fuhr zurück nach Sonnleiten. Xaver hatte versprochen, mit ihr die Frühjahrskontrolle der Bienenvölker zu machen, also beeilte sie sich, heimzukommen. An Markttagen schaute Kilian auf Valli, machte ihr Frühstück und briet für sie und sich selbst Spiegeleier mit Speck und Bratkartoffeln zum Mittagessen. Dass das Fett und die Eier nicht gut für seine Diabetes waren, kümmerte ihn nicht. „Einmal stirbt jeder“, meinte er gelassen.

Als Rosina zu Hause eintraf, war Valli schon wieder ausgeflogen und Kilian hielt noch sein Mittagsschläfchen. Also lud sie ihre Kisten aus, stellte sie ins Arbeitszimmer und aß statt des Mittagessens ein Käsebrot. Um drei Uhr erwartete sie Xaver, doch dieser kam nicht. Als sie zur Haustür hinausschaute, stand sein Auto bei Ludwig und Rosina sah die beiden Männer neben den Bienenstöcken stehen. Oh je, dachte sie, Xaver wird sich furchtbar aufregen. Eine Viertelstunde später fuhr Xaver mit dem Auto vor. Gleich öffnete er den Kofferraum, holte seinen Imkerschutzanzug heraus und zog ihn an. Außerdem den Hut mit Schleier und Gummistiefel. In der Rauchmaschine machte er mit Hilfe seiner Spezialmischung aus Tannennadeln und Kräutern Rauch und als Rosina aus dem Haus kam, begaben sich die beiden ins Bienenhaus. „Der Neue hat diese englische Biene“, meinte Xaver düster, „du musst dich in Acht nehmen.“ Rosina nickte und sie machten sich an die Arbeit.

Xaver öffnete den Deckel des ersten Bienenstocks, fuhr mit der Rauchmaschine darüber, damit die Bienen auf den Waben sitzen blieben und schaute dann mit Rosina jede Wabe aufmerksam an. Bald fanden sie die ersten Brutzellen und ziemlich genau in der Mitte des Volkes die Königin. „Siehst du, sie hat schon ein schönes Brutnest angelegt“, meinte Xaver stolz. „Wir hängen vorne und hinten noch leere Waben ein, damit du den Blütenhonig schleudern kannst, falls es welchen gibt.“ Rosina nickte, soviel wusste sie inzwischen. Das zweite Volk sah schlechter aus. Es waren nur noch wenige Bienen im Stock und die Brut wies Lücken auf. „Die Königin ist schlecht begattet“, erklärte Xaver.“ „Muss ich nicht eine neue Königin haben?“, fragte sie. „Nein, das Volk zieht selbst eine junge Königin, wenn die vorige zu alt ist oder nicht mehr gut legt und die alte schwärmt dann ab. Wenn du den Schwarm siehst, ruf mich an, dann fangen wir ihn ein. Ich geb dir dann eine neue Zuchtkönigin dafür, sobald ich eine habe.“ Xaver betrachtete sich als großen Imker und züchtete jedes Jahr Königinnen, die er dann den anderen Imkern verkaufte. Die Nachfrage war jedoch so groß, dass es eine besondere Gunst war, eine davon zu bekommen. „Dann kann ich den Blütenhonig wohl vergessen“, meinte Rosina bedauernd. Der Experte wiegte den Kopf: „Bei diesem Volk schon, aber das andere ist ja stark.“ Beim dritten Volk war auch alles in Ordnung.