"Vielleicht" ist nicht genug - Helene Hammerer - E-Book

"Vielleicht" ist nicht genug E-Book

Helene Hammerer

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Beschreibung

Nach einer gescheiterten Ehe kehrt die junge Schneiderin Imelda mit ihren beiden Kindern in ihren Heimatort zurück. Im malerischen Auenfeld ticken die Uhren noch langsam. Doch Imeldas beschauliches Leben ändert sich schlagartig, als der weltgewandte Lehrer Hannes nach Auenfeld kommt…

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Helene Hammerer

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Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (http://write.streetlib.com) erstellt.

1.

Imelda streckte ihren Rücken, setzte sich wieder aufrecht hin und fädelte einen neuen Zwirn ein. Nur noch zehn kleine, mit Stoff überzogene Knöpfe, dann waren auch die neuen Trachtenärmel für ihre Mutter fertig. Sie waren aus eisblauer Seide und passten zu den Stickereien am Halsausschnitt und auf dem Brusttuch. Ihre Mutter würde sehr elegant aussehen auf der „Hochzeit des Jahres“. Imelda schüttelte leicht den Kopf. Kaum zu glauben, dass sie erst seit drei Wochen wieder in Auenfeld lebte, dem kleinen Bergdorf, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte. Sie war mit gemischten Gefühlen zurückgekehrt, mit ihren beiden Kindern, und geschieden von dem Mann, den sie mit 19 für die Liebe ihres Lebens gehalten hatte.

Onkel Kaspar holte sie an jenem Tag, Anfang Juli, mit seinem Opel-Kombi am Bahnhof ab. „Gut, dass du endlich wieder da bist, Mädchen“, sagte er freundlich und schüttelte ihr die Hand. Den Kindern tätschelte er die Köpfe. „Na, ihr blassen Stadtpflanzen, euch machen wir auch noch zu strammen Auenfeldern.“ Sie lächelten, stimmten ihm zu, und folgten ihm zu seinem Auto. Übermäßige Gefühlsbekundungen und Umarmungen waren im Tal nicht üblich. Man zeigte mehr durch Taten, als durch Worte, was man empfand. So war dann auch das blitzblank geputzte alte Haus ihrer verstorbenen Großmutter der lauteste Willkommensgruß ihrer Mutter. „Schön, dass ihr da seid. Hattet ihr eine gute Fahrt?“, lächelte sie und führte alle gleich zum gedeckten Kaffeetisch. Die Kinder erzählten ihrem Säle, wie man die Großmutter im Tal nannte, alles über die aufregende Zugfahrt von Salzburg nach Dornbirn, aßen nebenbei Nusskuchen mit Schlagsahne und tranken Kakao. Onkel Kaspar schmunzelte und brummte ein wenig, während seine Frau Frieda in der Küche eine zweite Kanne Kaffee aufbrühte. Imelda nippte an ihrem Kaffee und kämpfte mit dem Kloß in ihrem Hals, teils aus Rührung, teils aus Erschöpfung. Die vergangenen Monate waren schwer gewesen und hatten sie körperlich und seelisch oft an den Rand ihrer Kräfte gebracht.

Wieder einmal wanderten ihre Gedanken zu dem Tag im Februar zurück, an dem ihr Ehemann, Max Reich, Mann von Welt und Besitzer von drei schicken Modeboutiquen in Salzburg und Umgebung, ihr erklärt hatte, er müsse zu einer Modemesse nach Rom. Er hatte seinen Koffer in aller Eile gepackt und Imelda war ein wenig erstauntgewesen, weil alles so überstürzt gewirkt hatte. Aber, was wusste sie schon von diesem Mann, der ihr in den letzten Jahren völlig fremd geworden war, und der nichts mehr mit dem charmanten, großzügigen Max gemeinsam zu haben schien, in den sie sich als junges Mädchen verliebt hatte. Am nächsten Morgen war die Polizei vor der Tür gestanden und hatte ihn wegen Betrug und Untreue gesucht. Damit waren der Schuldenberg und das gesamte Lügennetz ans Licht gekommen. Die Wohnung und die beiden teuren Autos gehörten der Bank. Die wunderschönen Antiquitäten und die kostbaren Teppiche wurden gepfändet. Kulanter Weise hatte man ihr und den Kindern erlaubt, bis zum Ende des Schuljahres in der fast leeren Wohnung zu bleiben, wenn sie im Gegenzug Interessenten durch die Immobilie führte. Zum Glück war sie offiziell immer als Änderungsschneiderin bei „Modereich“ angestellt gewesen und hatte wie alle anderen Mitarbeiterinnen Anspruch auf ihren Lohn und dann auf Arbeitslosengeld. Max hatte sich abgesetzt und bis heute fehlte jede Spur von ihm. Imelda hatte die Scheidung eingereicht und dafür gesorgt, dass für Wolfgang und Sophia ein Stück Normalität erhalten geblieben war. Hatte sie zur Schule und in den Kindergarten gebracht, war mit ihnen in den Park gegangen und hatte die halben Nächte an der Nähmaschine gesessen, um das Schulgeld für die teure Privatschule, die Musikstunden und die kleinen Freuden der Kinder weiter bezahlen zu können. Trotzdem hatten die beiden natürlich unter der Situation gelitten. Wolfgang hatte Asthmaanfälle und die kleine Sophia wurde von schlechten Träumen geplagt. Als ihre Mutter ihr von der freien Stelle im Hotel Alpenrose geschrieben und sie gebeten hatte, doch nach Hause zu kommen, wollte sie anfänglich nichts davon wissen. Nein, als Versagerin zurückzukommen, noch dazu geschieden, so hatte sie sich das nicht vorgestellt, als sie mit knapp zwanzig Maximilian Reich geheiratet hatte. Damals war es schon ein kleiner Skandal gewesen, dass die brave Imelda einen zwanzig Jahre älteren, geschiedenen Geschäftsmann aus Salzburg heiratete. Ihre Mutter hatte er mit seinem Charme um den Finger gewickelt, wie alle Frauen, aber Onkel Kaspar und ihre beiden älteren Brüder hatten nicht viel von dem „Modefritzen“ gehalten. Dass Imelda schwanger gewesen war, hatte die Sache auch nicht besser gemacht.

Schließlich hatte sie der Versuchung doch nachgegeben und dem Vorschlag ihrer Mutter zugestimmt, da er ihre dringendsten Bedürfnisse abdeckte, und sie allein einfach nicht mehr konnte. So könnte sie mit ihren Kindern in dem alten Bauernhaus leben, das seit dem Tod ihrer Großmutter im vergangenen Herbst leer gestanden hatte, gleich neben ihrer Mutter und Onkel Kaspar. Im Hotel Alpenrose, wo ihre Mutter als junge Witwe mit drei Kindern ausgeholfen und nun seit vielen Jahren die gesamte Wäscherei unter sich hatte, bekäme sie einen Job und hätte auch Hilfe mit den Kindern.

Frieda kam mit einer Kanne frischem Kaffee zurück. „Magst du noch eine Tasse?“, fragte sie freundlich und brachte Imelda damit in die Gegenwart zurück. Frieda ahnte wahrscheinlich, wie ihr zumute war. Sie lächelte aufmunternd, schenkte ihr Kaffee nach und kümmerte sich um die anderen. Imelda zwang sich, das große Stück Kuchen auf ihrem Teller in Angriff zu nehmen, obwohl sie überhaupt keinen Appetit darauf verspürte. Aber mit dem Essen kam auch der Hunger, wie man oft sagte, und mit dem Gefühl, mehr als satt zu sein, kam eine gewisse Ruhe über sie und neue Zuversicht.

Die Kinder gingen mit dem Säle, um die Schlafkammern zu besichtigen, während Frieda und Imelda in der altmodischen Küche das Geschirr spülten. „Wir freuen uns alle, dass ihr wieder da seid“, meinte die warmherzige, rundliche Frieda. „Du wirst sehen, es wird alles gut“. „Ja, ich bin auch froh, dass ich wieder da bin“, seufzte Imelda. „Alle haben schon auf dich gewartet. Für die Hochzeit wollen viele Frauen neue Ärmel für ihre Trachten“, plauderte Frieda munter weiter und erzählte ausführlich von Alexander Felder, dem Besitzer der Alpenrose, Imeldas künftigem Chef, der die junge Lehrerin seiner Tochter heiratete. Dass der verwitwete Alexander eine wirklich nette Frau gefunden hatte und eine neue Mutter für sein Kind, sprach die romantische Ader in den sonst so bodenständigen Frauen im Dorf an. Imelda ließ Frieda reden, obwohl sie die ganze Geschichte schon von ihrer Mutter und Elsbeth, Alexanders Schwester, gehört hatte. Elsbeth war in Bad Hofgastein mit einem Großbauern verheiratet und für Imelda eine gute, mütterliche Freundin geworden. Tüchtig, wie sie war, hatte die schöne Elsbeth ihren Mann, ihre vier Kinder und den großen Haushalt gut im Griff. Imelda hatte, seit sie in Salzburg lebte, immer die Näh- und Flickarbeiten für sie erledigt, die in einer großen Familie anfielen. Auch ihre Meisterarbeit, ein aufwändiges Brokatdirndl, hatte sie für Elsbeth genäht. „Bestimmt findest du auch bald einen netten Mann, der für dich und deine Kinder sorgt“, beendete Frieda ihre Ausführungen, wrang den Lappen aus und legte ihn ordentlich neben die Spüle. „Mhm“, murmelte Imelda und wand sich innerlich. Solche Kommentare würde sie jetzt wohl ständig hören müssen. Hier im Dorf war die Familie noch das Fundament der Gesellschaft und eine alleinerziehende Mutter nur schwer vorstellbar. In ihrer Familie hatte Onkel Kaspar die Funktion des Mannes teilweise übernommen, nachdem ihr Vater bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war, wurde sich Imelda bewusst. Er hatte Brennholz gehackt, Reparaturen im Haus durchgeführt und den Kindern den Kopf zurechtgesetzt, wenn es nötig gewesen war.

2.

Den Rest des Nachmittags verbrachten sie damit, ihre Sachen auszupacken. Imelda hängte die mitgebrachten Kleider in den großen Schrank im Schlafzimmer ihrer Großeltern. Es fühlte sich eigenartig an, nun selbst hier zu wohnen und in dem großen, schweren Ehebett aus dunklem Holz zu schlafen, mit dem Heiligenbild quer über dem Bett. Alles war ihr von Kind an vertraut und inzwischen doch fremd. Die weißen Spitzenvorhänge an den Fenstern, die Bettumrandung mit dem Rosenmuster und die alte Frisierkommode mit der weißen Marmorplatte. Imelda betrachtete die abgeschossenen Vorhänge und den blinden Spiegel. Mit neuen Vorhängen, ein paar Pflanzen und anderen Bilder an den Holzwänden, ließe sich der Raum ganz passabel gestalten. Sie schloss die Schranktür und ging in die kleine Kammer nebenan, die ihre Mutter für die kleine Sophia hergerichtet hatte. Da standen ein Bett, ein Tisch mit Stuhl und ein schmaler Kleiderschrank. Außerdem hatte sie Imeldas altes Puppenhaus und den Korbpuppenwagen vom Dachboden geholt. Eifrig waren Sophia und das Säle dabei, die Spielsachen auszupacken, die sie von Salzburg hergeschickt hatten. „Schau, Mama, ich habe ein eigenes Zimmer, da kann ich jetzt immer spielen“, strahlte das kleine Mädchen, „aber schlafen will ich lieber bei dir im Bett.“ Die beiden Frauen sahen sich an und lächelten. „Natürlich kannst du bei mir im Bett schlafen“, versicherte Imelda ihrer Tochter und schaute dann nach Wolfgang. Er war völlig versunken in die Arbeit, seine Legobausätze, seine Bücher und die übrigen Spielsachen einzuräumen. Kurz schaute er auf und lächelte seine Mutter an. „Meine Sachen sind schon da, Mama, das Säle hat mir alles ins Zimmer gestellt. „Gut, dann ist dir in den Ferien zum Glück nicht langweilig“, meinte Imelda und schaute ihren Sohn prüfend an. Für seine knapp acht Jahre war er viel zu ernst und erwachsen. Seine blonden Haare waren zu lang und sein Gesicht mit den großen, grünen Augen viel zu blass und schmal. Hoffentlich tat ihm die klare Höhenluft in Auenfeld wirklich so gut, wie der Arzt gemeint hatte. Im Moment rang er jedenfalls nicht nach Atem und dafür war Imelda schon dankbar. „Elsbeth bringt den Teppich aus dem Kinderzimmer mit, wenn sie zur Hochzeit kommt. Den legen wir dann in dein Zimmer. Inzwischen kannst du einen aus meinem Schlafzimmer haben“, bot Imelda an. Wolfgang brummte Zustimmung und nickte. Seine Mutter holte den langen Läufer aus ihrem Schlafzimmer. Das Rosenmuster schien ihren Sohn im Moment noch nicht zu stören aber das würde sich bald ändern, wie sie wusste. Ihre Brüder hätten nie im Leben einen Rosenteppich in ihrem Zimmer geduldet.

Nachdem sie oben nicht gebraucht wurde, ging Imelda in die Küche, um das Abendessen herzurichten. Im Kühlschrank fand sie Butter, Wurst und Käse, im Vorratsschrank Brot und ein Glas eingelegte Gurken, Kräutertee und Johannisbeersirup. Ihre Mutter hatte wirklich an alles gedacht. Nachdem sie die drei gerufen hatte, setzten sie sich um den großen, alten Küchentisch. Imelda bedankte sich bei ihrer Mutter für die Essensvorräte, aber diese winkte ab. „Greift tüchtig zu, ihr seid alle viel zu dünn“, forderte sie die Heimkehrer auf. Und zum ersten Mal seit Monaten, genoss Imelda eine Mahlzeit. Das dunkle Brot und der würzige Bergkäse aus der Sennerei im Dorf schmeckten besser als jedes Gourmetmenü. Nach dem Essen ging Balbina nach Hause um die Sonntagstorte und das Mittagessen vorzubereiten. Endlich war wieder einmal die ganze Familie versammelt. „Ich hol euch um zwanzig vor neun für die Messe ab“, sagte sie beim Gehen. Imelda nickte lächelnd: „Danke für alles, Mama.“ „Ist schon gut“, meinte diese, „Gott sei Dank seid ihr wieder da.“ Liebevoll tätschelte sie ihrer Tochter den Arm.

Imelda ließ den Kindern ein Bad in der großen, altmodischen Wanne einlaufen. Sophia jammerte, dass es kein Kinderschaumbad gab, aber im Badezimmerschrank fand sich eine alte Bürste mit Stiel, mit der sich die Kinder gegenseitig den Rücken schrubben konnten, und bald lachten und kreischten die beiden ausgelassen. Frisch gebadet kuschelte sich Sophia in das dicke Federbett und wartete auf ihre Gutenachtgeschichte. Wolfgang schmökerte lieber selbst in seinen Sachbüchern oder las Abenteuergeschichten. „Mama, wo bleibst du denn so lange?“, rief das kleine Mädchen ungeduldig. „Bin schon da“, lächelte ihre Mutter, zog die Vorhänge zu und knipste die altmodische Nachttischlampe mit dem Seidenschirm und den kleinen Troddeln am Rand an. Sophia war entzückt davon und betätigte mehrmals den Schalter. Imelda setzte sich auf die Bettkante, um vorzulesen, und bevor die Geschichte zu Ende war, schlief die Kleine schon friedlich. Die langen Wimpern warfen Schatten auf die fast durchscheinende Haut und auf der kleinen Nase waren ein paar Sommersprossen. Sophia hatte die blauen Augen und die roten Haare ihrer Mutter geerbt, sehr zu deren Leidwesen. Zum Glück schienen die Kinder in der Stadt toleranter zu sein und ihre Tochter nicht zu hänseln. In Imeldas Schulzeit war es manchmal ein hartes Los gewesen, Fuchs zu heißen und rote Haare zu haben. „Schlaf gut, mein Mäuschen, und träum was Schönes“, flüsterte Imelda und strich ihrer kleinen Tochter leicht übers Haar. Sie ließ die Nachttischlampe brennen, falls Sophia aufwachen sollte, und ging zu Wolfgang, um ihm Gute Nacht zu sagen. Ihr Sohn blickte von seinem Buch über Meerestiere auf, als sie das Zimmer betrat. „Blauwale sind die größten Tiere auf der Erde“, erklärte er, „sie sind aber keine Fische, sondern Säugetiere, und müssen immer wieder auftauchen, um Luft zu holen.“ Imelda nickte und schaute mit ihrem Sohn in sein Buch, wo ein Blauwal abgebildet war. „Lies nicht mehr zu lange“, ermahnte sie ihn, wohl wissend, dass dies nicht viel nützte, wenn ihn etwas interessierte. Sie strich ihm übers Haar und drückte ihm einen leichten Kuss darauf. „Gute Nacht, Wolfi, schlaf gut.“ „Gute Nacht“, murmelte er abwesend und war schon wieder in sein Buch vertieft. Imelda beschloss, selbst noch ein Bad zu nehmen und sich die Haare zu waschen. Wenn sie morgen schon mit ihrer Mutter zur Sonntagsmesse gehen musste, wollte sie wenigstens einen guten Eindruck machen. In Salzburg waren sie nicht regelmäßig zur Messe gegangen. Als frisch vermähltes Ehepaar hatten sie gerne gemütlich gefrühstückt, wenn Max am Wochenende zu Hause war, und danach hatten sie kleine Ausflüge gemacht, waren im Sommer Radfahren oder Baden gegangen und im Winter Schi gefahren. Als Max immer häufiger weg war, hatte Imelda allein mit den Kindern etwas unternommen. Erst in den vergangenen Monaten hatten sie öfter die Messe besucht. Sie hatten sich schön angezogen und waren anschließend durch die Stadt spaziert oder auf den Schlossberg. Manchmal hatten sie auch den Zug nach Bad Hofgastein genommen und Elsbeth besucht. Einige Male verbrachten sie die Sonntage mit ihrer Nachbarin, einer älteren, vornehmen Dame. Von ihr wurden sie ins Museum oder zu Ausstellungen eingeladen, was für sie selbst und für Wolfi immer sehr spannend und interessant war, während Imelda das zweifelhafte Vergnügen hatte, die gelangweilte Sophia zu beschäftigen. Hinterher spendierte Frau Hofstätter jedoch immer Kuchen oder Eis in einem Café und so liebte auch die Kleine diese Ausflüge und vergaß ihre Langeweile schnell wieder. Hier im Dorf hatte sie kein Problem mehr mit langen Sonntagen, wurde Imelda bewusst. Hier stand der Sonntag im Zeichen von Kirche und Familie, des Sonntagsbratens und Bergen von Kuchen.

3.

Der Sonntagmorgen hielt mit strahlendem Sonnenschein Einzug ins Tal und Imelda stand vor ihrem Kleiderschrank und wusste nicht, was sie anziehen sollte. Das dunkelgrüne Dirndl war ihr viel zu weit, ebenso der cremefarbene Hosenanzug, den sie als nächstes probierte. Das schwarze Kleid hatte einen zu gewagten Seitenschlitz und das dunkelrote war zu weit ausgeschnitten, jedenfalls für einen Kirchgang in Auenfeld. Schließlich entschied sie sich für einen lachsfarbenen Wickelrock und ein Twinset in einer etwas helleren Farbe. Ihr langes, kupferrotes Haar wand sie zu einem Knoten im Nacken. Mit Schminke ging sie sehr dezent um, nur ein wenig, um ihre Blässe zu verdecken. Die lange Perlenkette und die passenden Ohrstecker dazu vervollständigten ihre Garderobe, während sich Imelda selbstironisch eine Grimasse im Spiegel schnitt. In Salzburg hatte sie nicht so lange gebraucht, um sich für die Oper oder einen Ball zurechtzumachen. Sie schloss ihre Schmuckschatulle und legte sie in die oberste Schublade der alten Kommode. Dass sie den teuren Schmuck noch hatte, verdankte sie Frau Hofstätter. Zu Beginn ihrer Ehe hatte sie von Max zu jedem Anlass edlen Schmuck bekommen, den sie auch häufig trug. Als einmal im Nachbarhaus eingebrochen worden war, hatte ihr Frau Hofstätter angeboten, den Schmuck in ihrem Safe zu verwahren. Imelda hatte eingewilligt, mehr um die alte Dame zu beruhigen, als aus Furcht, bestohlen zu werden. Als Max dann gesucht wurde, war der Schmuck bei Frau Hofstätter geblieben, während alle annahmen, er habe ihn mitgenommen. In Salzburg hatte Imelda nicht mehr gewagt, ihn zu tragen und ihre Nachbarin hatte ihr die Schatulle erst am Vorabend ihrer Abreise in die Hand gedrückt. „Das haben wir gut hinbekommen. Betrachten Sie ihn als kleine Entschädigung, mein Kind“, hatte sie augenzwinkernd gemeint. Sie würde der guten Frau Hofstätter bald schreiben, nahm sich Imelda vor.

Als sie in ihre Schuhe schlüpfte, hörte sie schon die Kinder von unten rufen. Sie hatten das Säle abgeholt und warteten nun auf sie. Das anerkennende Lächeln ihrer Mutter sagte Imelda, dass ihre Kleidung passend war, und zu viert machten sie sich auf den Weg zur Kirche. Vor deren Haus trafen sie Onkel Kaspar und Frieda, die genau wie Balbina einen großen Strauß aus Gartenblumen in der Hand hielt, um ihn vor der Messe noch aufs Grab zu stellen. Kaspars Enkel, Jodok, der nur wenig älter als Wolfgang war, tat sich gleich mit diesem zusammen und die beiden Buben liefen voraus, während Sophia doch lieber an der Hand ihrer Mutter ging. Imelda spürte die neugierigen Blicke der anderen Kirchgänger, die höflich grüßten, hinter ihrem Rücken zum Teil aber alles andere als freundlich über sie sprachen, dessen war sie sich sicher. Sie war froh, den ersten Gang ins Dorf in Begleitung ihrer Familie zu tun. Als ihr Onkel Kaspar verschmitzt zuzwinkerte, wusste sie, dass er sich absichtlich mit ihr sehen ließ, um zu demonstrieren, dass sie zu seiner Familie gehörte, und unter seinem Schutz stand.

Nach dem Kirchgang wechselten alle die Sonntagskleider gegen etwas Bequemeres und Imelda ging mit Sophia zu ihrer Mutter, um ihr beim Kochen zu helfen. Wolfi und Jodok wollten die Drachenburg aus Lego wieder aufbauen, die für den Transport zerlegt worden war. Hier im Dorf konnten die Kinder allein zu Freunden gehen und mussten nicht hingebracht und abgeholt werden, wie in der Stadt.