Der blaue Vogel (illustrierte Ausgabe) - Maurice Maeterlinck - E-Book

Der blaue Vogel (illustrierte Ausgabe) E-Book

Maurice Maeterlinck

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Beschreibung

Der blaue Vogel Eine spannende Reise durch das Königreich der Feenwelt Diese Geschichte vom "Blauen Vogel" erinnert ein klein wenig an die märchenhafte Welt von "Hänsel und Gretel". Denn hier erzählt uns der Autor Maurice Maeterlinck von den spannenden Abenteuern zweier kleiner Kinder eines Holzfällers, die durch fantastische Regionen der Verzauberung ziehen, in denen sie ohne die Hilfe eines übernatürlichen Freundes den Launen hinterlistiger Feinde ausgeliefert wären. Unbelebte Dinge wie Brot, Zucker, Milch, Licht, Wasser, Feuer und Bäume können plötzlich wie Menschen sprechen. Auch Katze, Hund und viele andere Tiere erhalten individuelle menschenähnliche Eigenschaften. Von dem belgischen Literaturnobelpreisträger Maurice Maeterlinck stammt eine der fantasievollsten und schönsten Geschichten über die Suche nach dem wahren Glück. "Der Blaue Vogel" wurde von Maeterlinck als Theaterstück geschrieben und sehr erfolgreich auf die Bühne gebracht. Maeterlincks Lebensgefährtin Georgette Leblanc hat dieses Theaterstück in Form einer Geschichte für Kinder bearbeitet und veröffentlicht. Diese Geschichte für Kinder wurde von Caroline von Oldenburg ins Deutsche übersetzt und illustriert.

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Seitenzahl: 161

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

KAPITEL I: DIE HÜTTE DES HOLZFÄLLERS

KAPITEL II: BEI DER FEE

KAPITEL III: DAS LAND DER ERINNERUNG

KAPITEL IV: DER PALAST DER NACHT

KAPITEL V: DAS KÖNIGREICH DER ZUKUNFT

KAPITEL VI: IM TEMPEL DES LICHTS

KAPITEL VII: DER FRIEDHOF

KAPITEL VIII: DER WALD

KAPITEL IX: DER ABSCHIED

KAPITEL X: DAS ERWACHEN

KAPITEL I: DIE HÜTTE DES HOLZFÄLLERS

Es war einmal ein Holzfäller und seine Frau, die in ihrer Hütte am Rande eines großen und alten Waldes lebten. Sie hatten zwei liebe kleine Kinder, die ein außergewöhnliches Abenteuer erlebten.

Bevor ich euch jedoch alles darüber erzähle, muss ich euch die Kinder beschreiben und euch etwas über ihren Charakter erzählen. Denn wenn sie nicht so lieb, tapfer und mutig gewesen wären, wäre die merkwürdige Geschichte, die ihr gleich hören werdet, nie passiert.

Tyltyl – das war der Name des Jungen – war zehn Jahre alt, und Mytyl, seine kleine Schwester, war erst sechs.

Tyltyl war ein feiner, kleiner Kerl, kräftig und sehr freundlich, mit lockigem schwarzem Haar, das oft durcheinander war, denn er mochte es, wild herumzutollen. Er war bei allen sehr gern gesehen wegen seines lächelnden und gutmütigen Gesichts und des leuchtenden Ausdrucks in seinen Augen. Aber am besten von allem war seine Art eines mutigen und furchtlosen kleinen Mannes, die dennoch die guten Eigenschaften seines Herzens zeigte. Wenn er früh am Morgen neben seinem Vater, dem Holzfäller Tyl, den Waldweg entlang trottete, sah er trotz seiner schäbigen Kleidung so stolz und tapfer aus, dass jede und jeder auf der Erde und im Himmel darauf zu warten schien, dass er vorbeikam, um ihm zuzulächeln.

Seine kleine Schwester war anders, aber sie sah in ihrem langen Kleid, das Mama Tyl ordentlich geflickt hielt, sehr niedlich und hübsch aus. Sie war genauso blond, wie ihr Bruder dunkel war, und ihre großen ängstlichen Augen waren blau wie die Vergissmeinnicht auf den Feldern. Alles konnte sie erschrecken, und sie würde schon bei der geringsten Kleinigkeit weinen. Doch ihre kleine kindliche Seele besaß bereits die besten Eigenschaften: Sie war liebevoll und sanft und so innig ihrem Bruder zugetan, dass sie nicht zögerte, eine lange und gefährliche Reise in seiner Begleitung anzutreten, um ihn nicht im Stich zu lassen.

Was passierte und wie unsere kleinen Helden und Heldinnen eines Nachts in die Welt aufbrachen, um nach Glück zu suchen: Das ist das Thema meiner Geschichte.

Die Hütte von Papa Tyl war die ärmste im ganzen Land, und sie wirkte noch elender als sie war, weil sie gegenüber einem prächtigen Haus stand, in dem reiche Kinder lebten. Aus den Fenstern der Hütte konnte man sehen, was im Haus passierte, wenn das Esszimmer und die Salons am Abend hell beleuchtet waren. Am Tag sah man die kleinen Kinder auf den Terrassen spielen, man sah in die Gärten und in die Gewächshäuser. Die Leute kamen sogar aus der Stadt, um die Gewächshäuser zu besuchen, weil sie immer mit den seltensten Blumen gefüllt waren.

An einem Abend, der nicht wie andere Abende war, denn es war Heiligabend, brachte Mama Tyl ihre Kleinen ins Bett und küsste sie noch liebevoller als sonst. Sie fühlte sich ein wenig traurig, weil Papa Tyl wegen des stürmischen Wetters nicht im Wald arbeiten konnte, und so hatte sie kein Geld, um Geschenke für Tyltyl und Mytyl zu kaufen. Die Kinder schliefen an diesem besonderen Abend bald ein, alles war still und ruhig, und kein Laut war zu hören außer dem Schnurren der Katze, dem Schnarchen des Hundes und dem Ticken der Standuhr. Doch plötzlich schlich sich ein Licht durch die Fensterläden, die Lampe auf dem Tisch leuchtete von selbst wieder auf, und die beiden Kinder erwachten, gähnten, rieben sich die Augen, streckten ihre Arme im Bett aus, und Tyltyl rief vorsichtig:

"Mytyl!"

"Ja, Tyltyl?", lautete die Antwort.

"Bist du schon eingeschlafen?"

"Bist du es?"

"Nein", sagte Tyltyl. "Wie kann ich schlafen, wenn ich mit dir spreche?"

"Sag mal, ist heute Weihnachten?"

Tytyl

"Noch nicht, erst morgen. Aber der Weihnachtsmann wird uns dieses Jahr nichts bringen."

"Warum nicht?"

"Ich habe Mama sagen hören, dass sie nicht in die Stadt gehen konnte, um mit ihm zu sprechen. Aber er wird nächstes Jahr wieder kommen."

"Ist nächstes Jahr noch weit weg?"

"Noch eine gute Weile", sagte der Junge. "Aber er wird heute Nacht zu den reichen Kindern kommen."

"Wirklich?"

"Hallo!", rief Tyltyl plötzlich. "Mama hat vergessen, die Lampe auszumachen! ... Ich habe eine Idee!"

"Was denn?"

"Lass uns aufstehen."

"Aber das dürfen wir nicht", sagte Mytyl, die sich immer erinnerte, was man durfte und was nicht.

"Wieso, hier ist niemand! ... Siehst du die Fensterläden?"

"Oh, wie hell sie sind!" ...

"Es sind die Lichter von der Party gegenüber", sagte Tyltyl.

"Welche Party?"

"Die der reichen Kinder gegenüber. Sie feiern Heiligabend. Es ist der Weihnachtsbaum, der so hell leuchtet. Lass uns die Fensterläden öffnen. ..."

"Dürfen wir das denn?", fragte Mytyl ängstlich.

"Natürlich dürfen wir, niemand wird uns aufhalten. ... Hörst du die Musik? ... Lass uns aufstehen."

Die beiden Kinder sprangen aus dem Bett, liefen zum Fenster, kletterten auf den Hocker davor und klappten die Fensterläden auf. Ein helles Licht erfüllte den Raum, und die Kinder schauten gespannt hinaus:

"Wir können alles sehen!", sagte Tyltyl.

"Ich kann nichts sehen", sagte die arme kleine Mytyl, die kaum Platz auf dem Hocker fand.

"Es schneit!", sagte Tyltyl. "Da sind zwei Kutschen, jede mit sechs Pferden!"

"Da steigen zwölf kleine Jungen aus!", sagte Mytyl, die ihr Bestes tat, um aus dem Fenster zu spähen.

"Sei nicht albern! ... Es sind Mädchen ... "

"Sie haben Kniehosen an ..."

"Sei doch still! ... Und schau! ..."

"Was sind das für goldene Dinge, die da von den Zweigen hängen?"

"Nun, Spielzeug natürlich!", sagte Tyltyl. "Schwerter, Gewehre, Soldaten, Kanonen ..."

"Und was ist das, dort auf dem Tisch?"

"Kuchen und Früchte und Sahnetörtchen."

"Oh, wie hübsch die Kinder sind!", rief Mytyl und klatschte in die Hände.

"Und wie sie lachen und jubeln!", antwortete Tyltyl.

"Und die Kleinen tanzen! ..."

"Ja, ja, lass uns auch tanzen!", rief Tyltyl.

Und die beiden Kinder begannen vor Freude mit den Füßen zu stampfen:

"Oh, wie lustig!", sagte Mytyl.

"Sie bekommen die Kuchen!", rief Tyltyl. "Sie können sich den Kuchen aussuchen! ... Sie essen, sie essen, sie essen! ... Oh, wie schön, wie schön! ..."

Mytyl begann unsichtbare Kuchen in der Luft zu zählen:

"Ich habe zwölf! ..."

"Und ich viermal zwölf!", sagte Tyltyl. "Aber ich gebe dir welche davon ab. ..."

Unsere kleinen Freunde, die nun tanzten, lachten und vor Freude jubelten, erfreuten sich so sehr am Glück der anderen Kinder, dass sie ihre eigene Armut und ihren Mangel vergaßen. Sie sollten dafür bald ihre Belohnung erhalten. Plötzlich klopfte es laut an der Tür. Die erschrockenen Kinder hörten auf zu toben und rührten sich keinen Millimeter mehr. Dann hob sich der große hölzerne Riegel von selbst mit einem lauten Quietschen, die Tür öffnete sich langsam, und eine kleine alte Frau in Grün gekleidet, mit einer roten Kapuze über dem Kopf, schlich herein. Sie war bucklig und hinkte und hatte nur ein Auge. Ihre Nase und ihr Kinn berührten sich fast. Sie ging auf einem Stock gestützt. Sie war sicher eine Fee.

Sie humpelte zu den Kindern und fragte mit einer heiseren Stimme:

"Habt ihr hier das Gras, das singt, oder den Vogel, der blauer ist?"

"Wir haben etwas Gras", antwortete Tyltyl, der am ganzen Körper zitterte, "aber es kann nicht singen ..."

"Tyltyl hat einen Vogel", sagte Mytyl.

"Aber ich kann ihn nicht weggeben, weil er meiner ist", fügte der kleine Junge schnell hinzu.

War das nicht ein tolles Argument?

Die Fee setzte ihre große, runde Brille auf und betrachtete den Vogel:

"Er ist nicht blau genug", rief sie aus. "Ich muss unbedingt den Blauen Vogel haben. Er ist für mein kleines Mädchen, das sehr krank ist ... Wisst ihr, wofür der Blaue Vogel steht? Nein? Das dachte ich mir! Da ihr brave Kinder seid, werde ich es euch erzählen."

Die Fee hob ihren krummen Finger an ihre lange, spitze Nase und flüsterte in geheimnisvollem Ton:

"Der Blaue Vogel steht für Glück, und ich möchte, dass ihr versteht, dass mein kleines Mädchen glücklich sein muss, um gesund zu werden. Deshalb befehle ich euch jetzt, hinaus in die Welt zu gehen und den Blauen Vogel für sie zu finden. Ihr müsst sofort aufbrechen ... Wisst ihr eigentlich, wer ich bin?"

Die Kinder tauschten verwirrte Blicke aus. Tatsache war, dass sie noch nie zuvor eine Fee gesehen hatten, und sie fühlten sich ein wenig ängstlich in ihrer Gegenwart. Trotzdem sagte Tyltyl schnell höflich:

"Du bist so ähnlich wie unsere Nachbarin, Madame Berlingot.

Tyltyl dachte, dass er der Fee ein Kompliment machte, indem er dies sagte. Denn Madame Berlingots Laden, der neben ihrer Hütte war, war ein sehr angenehmer Ort. Er war mit Süßigkeiten, Murmeln, Schokoladenzigarren und Zuckerpuppen und Zuckerhühnern gefüllt, und zur Weihnachtszeit gab es große Lebkuchenpuppen, die überall mit Goldpapier bedeckt waren. Die gute Madame Berlingot hatte eine Nase, die genauso hässlich war wie die der Fee. Sie war auch alt, und wie die Fee ging sie tief gebückt. Aber sie war sehr freundlich und sie hatte ein liebes kleines Mädchen, das an Sonntagen mit den Kindern des Holzfällers spielte. Unglücklicherweise litt das arme kleine hübsche, blondhaarige Mädchen immer wieder an einer unbekannten Krankheit, die sie oft zwang, im Bett zu bleiben. Wenn das passierte, bat sie, mit Tyltyls Taube spielen zu dürfen. Doch Tyltyl liebte den Vogel so sehr, dass er ihn ihr nicht geben wollte. All das, dachte der kleine Junge, ähnelte sehr dem, was die Fee ihm erzählte, und deshalb nannte er sie Madame Berlingot.

Zu seinem Erstaunen wurde die Fee vor Überraschung ganz rot. Es war ihr wichtig, niemandem zu gleichen, weil sie eine Fee war und ihr Aussehen von einem Moment zum nächsten nach Belieben ändern konnte. An diesem Abend war sie zufällig hässlich und alt und bucklig. Sie hatte ein blindes Auge und zwei schmale Strähnen grauer Haare hingen über ihre Schultern.

"Wie sehe ich aus?", fragte sie Tyltyl. "Bin ich hübsch oder hässlich? Alt oder jung?"

Ihr Grund für diese Fragen war es, die Güte des kleinen Jungen zu testen. Er drehte seinen Kopf weg und wagte es nicht, laut zu sagen, was er von ihrem Aussehen hielt. Dann rief sie:

"Ich bin die Fee Berylune!"

"Oh, das ist in Ordnung!", antwortete Tyltyl, der inzwischen am ganzen Körper zitterte.

Das befriedigte die Fee. Da die Kinder immer noch in ihren Nachthemden waren, forderte sie sie nun auf, sich anzuziehen. Sie half selbst Mytyl, und während sie das tat, fragte sie: "Wo sind euer Vater und eure Mutter?"

"Dort drüben", antwortete Tyltyl und zeigte auf die Tür rechts. "Sie schlafen."

"Und eure Großeltern?"

"Sie sind tot ..."

"Und eure kleinen Brüder und Schwestern ... Habt ihr welche? ..."

"Oh ja, drei kleine Brüder!", sagte Tyltyl.

"Und vier kleine Schwestern", fügte Mytyl hinzu.

"Wo sind sie?", fragte die Fee.

"Sie sind auch tot", antwortete Tyltyl.

"Möchtet ihr sie wiedersehen?"

"Oh ja, natürlich! ... Sofort! ... Zeig sie uns! ..."

"Ich habe sie nicht in meiner Tasche", sagte die Fee. "Aber das wird sich fügen! Ihr werdet sie sehen, wenn ihr durch das Land der Erinnerung geht. Es liegt auf dem Weg zum Blauen Vogel, gleich links, nach der dritten Abzweigung ... Was habt ihr gemacht, als ich geklopft habe?"

"Wir haben gespielt, als ob wir Kuchen essen würden", sagte Tyltyl.

"Habt ihr Kuchen? ... Wo ist der Kuchen? ..."

"Im Haus der reichen Kinder ... Komm und sieh es dir an, es ist so schön!"

Und Tyltyl zog die Fee ans Fenster.

"Aber die anderen essen den Kuchen!", sagte sie.

"Ja, aber wir können sehen, wie sie essen", sagte Tyltyl.

"Seid ihr nicht wütend auf sie?"

"Weshalb denn?"

"Deshalb, weil die anderen Kinder alle Kuchen essen können. Ich finde es sehr falsch von diesen Kindern, euch nichts zu geben."

"Na ja, sie sind reich! ... Siehst du nicht, es ist wunderschön dort drüben!"

"Hier ist es genauso schön, nur kannst du es nicht erkennen . . . ."

"Doch, das könnte ich, wenn es so wäre", sagte Tyltyl. "Ich habe sehr gute Augen. Ich kann die Zeit auf der Kirchturmuhr sehen - und Papa kann es nicht!"

Die Fee wurde plötzlich wütend:

"Ich sage dir, dass du es nicht sehen kannst!", sagte sie.

Und sie wurde immer wütender. Als ob es wichtig wäre, die Zeit auf der Kirchturmuhr zu sehen?

Natürlich war der kleine Junge nicht blind, aber da er gutherzig war und glücklich sein sollte, wollte sie ihm beibringen, das Gute und Schöne in allen Dingen zu sehen. Das war keine leichte Aufgabe, denn sie wusste sehr wohl, dass die meisten Menschen leben und sterben, ohne das Glück zu genießen, das sie umgibt. Dennoch, da sie eine Fee war, war sie allmächtig, und so beschloss sie, Tyltyl einen kleinen Hut zu geben, der mit einem magischen Diamanten verziert war. Der Diamant besaß die außergewöhnliche Eigenschaft, ihm immer die Wahrheit zu zeigen, was dem Jungen helfen würde, das Innere der Dinge zu sehen und ihm verständlich zu machen, dass jedes von ihnen ein eigenes Leben und eine eigene Existenz hat, geschaffen, um uns zu erfreuen.

Die Fee nahm den kleinen Hut aus einer großen Tasche, die an ihrer Seite hing. Er war grün und hatte eine weiße Kokarde, mit dem großen Diamanten in der Mitte. Tyltyl war außer sich vor Freude. Die Fee erklärte ihm, wie der Diamant funktionierte: Indem man auf die höchste Spitze drückte, sah man die Seele der Dinge. Wenn man ihn ein wenig nach rechts drehte, entdeckte man die Vergangenheit; und wenn man ihn nach links drehte, sah man die Zukunft.

Tyltyl strahlte vor Freude und tanzte, und dann hatte er sofort Angst, den kleinen Hut zu verlieren:

"Papa wird ihn mir wegnehmen!", rief er.

"Nein", sagte die Fee, "denn solange er auf deinem Kopf ist, kann ihn niemand sehen . . . Wirst du ihn ausprobieren?"

"Ja, ja!", riefen die Kinder und klatschten in die Hände.

Kaum saß der Hut auf dem Kopf des kleinen Jungen, da geschah eine magische Veränderung. Die alte Fee verwandelte sich in eine junge und schöne Prinzessin, gekleidet in Seide, und sie war mit funkelnden Juwelen bedeckt. Die Wände der Hütte wurden durchsichtig und glitzerten wie Edelsteine. Die bescheidenen Möbel aus Kiefernholz glänzten wie Marmor. Die beiden Kinder liefen von rechts nach links, und klatschten in die Hände.

"Oh, wie schön, wie schön!", rief Tyltyl aus.

Und Mytyl stand verzaubert von der Schönheit des Kleides der Prinzessin sprachlos da.

Aber weitere und viel größere Überraschungen warteten auf sie. Hatte die Fee nicht gesagt, dass die Dinge und die Tiere zum Leben erwachen, sprechen und sich wie die Menschen verhalten würden? Siehe da, plötzlich öffnete sich die Tür der Standuhr, die Stille wurde mit der süßesten Musik erfüllt, und zwölf kleine hübsch gekleidete und lachende Tänzer begannen um die Kinder herum zu hüpfen und zu wirbeln.

"Das sind die Stunden deines Lebens", sagte die Fee zu Tytyl.

"Darf ich mit ihnen tanzen?", fragte Tyltyl und betrachtete mit Bewunderung diese hübschen Geschöpfe, die wie Vögel über dem Boden zu schweben schienen.

Aber in genau diesem Moment brach er in ein wildes Gelächter aus! Wer war dieser lustige dicke Kerl, ganz außer Atem und mit Mehl bedeckt, der gerade mühsam aus einem Brotkorb herauskletterte und den Kindern zuwinkte? Es war Brot! Brot höchstpersönlich, der die Gunst der Stunde nutzte, um einen kleinen Spaziergang auf der Erde zu machen! Er sah aus wie ein kräftiger, komischer alter Herr. Sein Gesicht aus Teig war aufgeblasen, und seine großen Hände am Ende seiner dicken Arme konnten sich nicht treffen, wenn er sie auf seinen großen, runden Bauch legte. Er trug einen enganliegenden Anzug in Krustenfarbe, mit Streifen über der Brust wie die auf den leckeren Butterbrötchen, die wir morgens zum Frühstück bekommen. Auf seinem Kopf - stellt euch das vor! - trug er ein riesiges Brötchen, das eine lustige Art von Turban bildete.

Kaum war er aus seinem Brotkorb heraus, da folgten ihm andere Brotlaibe, die genauso aussahen wie er, aber kleiner waren, und sie begannen mit den Stunden herumzutollen, ohne an das Mehl zu denken, das sie über die hübschen Damen streuten, und das sie in große weiße Wolken hüllte.

Es war ein seltsamer und bezaubernder Tanz, und die Kinder waren begeistert. Die Stunden tanzten mit den Broten, die Teller, die sich dem Spaß anschlossen, hüpften auf dem Schrank auf und ab, in der großen Gefahr, herunterzufallen und zu zerbrechen. Die Gläser im Schrank klirrten zusammen, um auf das Wohl aller anzustoßen. Was die Gabeln betrifft, sie klapperten so laut mit den Messern, dass man sich vor lauter Lärm selbst nicht mehr hören konnte. . . .

Es ist nicht zu sagen, was passiert wäre, wenn der Lärm noch viel länger gedauert hätte. Papa und Mama Tyl wären sicherlich aufgewacht. Glücklicherweise, als das Toben seinen Höhepunkt erreicht hatte, schoss eine enorme Flamme aus dem Kamin und füllte den Raum mit einem roten Leuchten, als wäre das Haus in Brand geraten. Jeder flüchtete erschrocken in die Ecken, während Tyltyl und Mytyl, vor Angst schluchzend, ihre Köpfe unter dem Mantel der guten Fee versteckten.

"Habt keine Angst", sagte sie. "Es ist nur Feuer, das gekommen ist, um sich an eurem Spaß zu beteiligen. Er ist von der guten Sorte, aber ihr solltet ihn besser nicht berühren, denn er hat einen hitzigen Charakter."

Die Kinder sahen ängstlich durch die schöne goldene Spitze, die den Mantel der Fee säumte, und sahen einen großen, roten Kerl, der sie ansah und über ihre Ängste lachte. Er trug rote Strumpfhosen mit Pailletten. Von seinen Schultern hingen Seidenschals, die wie Flammen aussahen, wenn er sie mit seinen langen Armen schwang, und seine Haare standen auf seinem Kopf in roten, flammenden Locken. Er begann, wild mit den Armen und Beinen zu fuchteln und sprang wie ein Verrückter durch den Raum.

Tyltyl, obwohl er sich etwas erleichtert fühlte, wagte es noch nicht, sein Versteck zu verlassen. Dann hatte die Fee Berylune eine geniale Idee: Sie zeigte mit ihrem Zauberstab auf den Wasserhahn, und sofort erschien ein Mädchen, das wie ein Springbrunnen weinte. Es war Wasser. Sie war sehr hübsch, aber sie sah extrem traurig aus, und sie sprach so süß, dass es wie das Plätschern einer Quelle klang. Ihr langes Haar, das ihr bis zu den Füßen fiel, könnte aus Seetang gemacht worden sein. Sie hatte nichts an außer ihrem Nachthemd, aber das Wasser, das über sie strömte, kleidete sie in schimmernde Farben. Zuerst zögerte sie und warf einen Blick um sich. Dann, als sie Feuer immer noch wie einen großen Narren herumwirbeln sah, machte sie einen wütenden und empörten Ansturm auf ihn, besprühte sein Gesicht, spritzte und benetzte ihn mit aller Kraft. Feuer geriet in Wut und begann zu rauchen. Trotzdem, als er sich plötzlich von seiner ewigen Feindin behindert sah, hielt er es für klüger, sich in eine Ecke zurückzuziehen. Auch Wasser zog sich zurück, und es schien, als würde wieder Frieden einkehren.

Die beiden Kinder, die sich endlich von ihrem Schrecken erholten, fragten die Fee, was als Nächstes passieren würde, als ein erschreckendes Geräusch von zersplitterndem Geschirr sie zum Tisch hinüberblicken ließ. Was für eine Überraschung! Die Milchkanne lag auf dem Boden, in tausend Stücke zerschlagen, und aus den Scherben erhob sich eine bezaubernde Dame, die kleine Schreie der Angst ausstieß und die Hände faltete und die Augen mit einem flehenden Blick nach oben drehte.