Der einfache Satz - Jochen Geilfuß-Wolfgang - E-Book

Der einfache Satz E-Book

Jochen Geilfuß-Wolfgang

0,0

Beschreibung

Dass Sätze aus Wörtern bestehen, ist für die meisten Sprecherinnen und Sprecher einer Sprache offensichtlich, doch sie tun sich sehr schwer damit, den Aufbau der Sätze zu durchschauen, ihre Struktur zu erkennen. Diese Einführung will zeigen, wie man ausgehend von den Wörtern den Aufbau der einfachen Sätze des Deutschen auf einem Basisniveau beschreiben kann und wie diese Art der Beschreibung im schulischen Grammatikunterricht vermittelt werden kann. So können Schülerinnen und Schüler einen exemplarischen Einblick in den Bau der Sprache bekommen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 157

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jochen Geilfuß-Wolfgang / Sandra Ponitka

Der einfache Satz

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ISBN 978-3-8233-8206-5 (Print)

ISBN 978-3-8233-0247-6 (ePub)

Inhalt

1 Einleitung1.1 Warum man sich mit Grammatik beschäftigen soll1.2 Um welche Art von Sätzen soll es gehen?1.3 Was sind einfache Sätze?2 Wörter2.1 Lexikalische und syntaktische Wörter2.2 Wortartwechsel2.3 Eigenschaften syntaktischer Wörter2.3.1 Morphologische Eigenschaften2.3.2 Syntaktisches Verhalten2.4 Wortarten haben unscharfe Ränder2.5 „Das Nomen ist mehr als ein Dingwort“ – Ausbildung von syntaktischen bzw. morphologischen Begriffen2.6 „Groß oder klein?“ – Arbeit mit Pseudoworttexten am Beispiel der GroßschreibungAnregungen für den Unterricht2.7 Kurze Zusammenfassung2.8 Aufgaben3 Phrasen3.1 Wie kommt die Bedeutung von Sätzen zustande?3.2 Zwei Arten von syntaktischen Einheiten3.3 Wie sind Phrasen aufgebaut?3.4 Syntaktische Bäume: Mütter, Töchter, Schwestern3.5 Was hält die Wörter in einer Phrase zusammen?a) Kasusrektionb) Kongruenzc) Valenzd) Semantische Rollene) Syntaktische Funktionen3.6 Eine Beispielanalyse3.7 Ambiguitäten und ihre Analyse als Potenzial für den Unterricht3.8 „Artikel und Nomen“ – fertig ist die Nominalphrase!3.9 „Einen Blick über den Tellerrand unserer Sprache, bitte!“ – Sprachvergleiche am Beispiel der Nominalphrase3.10 Kurze Zusammenfassung3.11 Aufgaben4 Sätze4.1 Wo die Verben im Deutschen stehen können4.2 Das Modell der topologischen Felder4.2.1 V2- und V1-Sätze4.2.2 Das Vorfeld4.2.3 VL-Sätze4.2.4 V2-, V1- und VL-Sätze zusammen4.3 Satzarten (Satztypen)4.4 Satzstrukturen4.4.1 VL-Sätze4.4.2 V1-Sätze und V2-Sätze4.5 „Alle auf ihre Plätze!“ – das topologische Feldermodell als Analyseinstrument im Unterricht4.6 „Zunge raus, kleiner Ameisenbär!“ – die Umstellprobe als Gegenstand des DeutschunterrichtsAnregungen für den Unterricht4.7 Kurze Zusammenfassung4.8 Aufgaben5 Satzglieder und Satzgliedteile5.1 Warum bestimmt man Satzglieder?5.2 Form ist nicht gleich Funktion5.3 Wie kann man Satzglieder ermitteln und bestimmen?5.3.1 Subjekte5.3.2 Objekte5.3.3 Adverbiale5.3.4 Prädikative5.3.5 Attribute5.3.6 Prädikate5.4 „Unterstreiche das Subjekt blau“ – Bestimmungs- und Markierungsübungen5.5 „Sicherheit vor Vagheit?“ – Einbezug von Zweifelsfällen und Problemen in den Grammatikunterricht5.6 „Das ist, glaub ich, das Adverbialobjekt“ – Problemfelder von Schülerinnen und Schülern sowie Studentinnen und Studenten5.6.1 „Welches Satzglied, Hans?“ – „Verb.“ – Verwechslung von Wortarten und SatzgliedernAnregungen für den Unterricht5.6.2 „Ich warte auf dem Bahnsteig auf den Freund“ – Unterscheidung von Adverbialen und Objekten5.6.3 „Das war doch schon immer ein Satzglied!“ – Umgang mit dem Prädikat im Rahmen der Satzgliedbestimmung5.7 Kurze ZusammenfassungLiteraturLösungshinweise zu den Aufgaben

1Einleitung

1.1Warum man sich mit Grammatik beschäftigen soll

Warum soll man sich mit der Struktur deutscher Sätze beschäftigen und sich vertiefteres Wissen darüber aneignen? Diese Frage sollte nicht nur die Sprachwissenschaft, sondern auch die Sprachdidaktik beantworten können, um der Aneignung grammatischen Wissens in der Schule auch jenseits der Lehrplananforderungen einen Sinn geben zu können.1 Eine weit verbreitete Sicht formuliert Funke (2005, 307): „Wenn es überhaupt zu den Aufgaben des Deutschunterrichts gehört, die Ausbildung grammatischen Wissens zu fördern, dann – das ist vermutlich konsensfähig – so weit, als es sich um ein solches Wissen in Funktion handelt“. Der Wert des grammatischen Wissens, das sich die Schülerinnen und Schüler aneignen sollen, wird in seiner Funktion gesehen, sprachliche Leistungen ganz unterschiedlicher Art zu verbessern. Die Grammatik ist dann eine Art ‚Hilfswissenschaft‘, die ihr Wissen und ihre Methoden für praxisrelevante sprachliche Bereiche wie die Textproduktion oder die Orthographie zur Verfügung stellt.

Eine andere Sicht auf die Ziele und Zwecke des Grammatikunterrichts findet sich in Menzel (1999, 16): „Als Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer sollten wir daher nicht ständig die Ziele unseres Grammatikunterrichts defensiv vertreten: Einblick in den Bau der Sprache ist unser vorrangiges Ziel. Und das ist so selbstverständlich zu vertreten wie die Ziele des Physik- oder Biologielehrers zum Beispiel!“ Wir teilen diese Sicht und möchten mit diesem Buch einen Einblick in den Bau der deutschen Sprache vermitteln, der sich nicht an einer bestimmten Grammatiktheorie orientiert, sondern sprachdidaktische Überlegungen und die schulische Praxis mit einbezieht.

Nehmen wir als ein illustratives Beispiel die Beschäftigung mit dem Auge, die Teil der Biophysik ist. Wenn Schülerinnen und Schüler das Auge im Detail untersuchen, dann nicht mit dem Ziel, dass sie nach der Unterrichtseinheit besser sehen können. Sie sollen vielmehr verstehen, wie es uns die Augen ermöglichen, unsere Umgebung wahrzunehmen, und wie Beeinträchtigungen beim Sehen wie etwa Kurz- oder Weitsichtigkeit zu erklären sind. Einen Gutteil des Unterrichts nimmt entsprechend der Aufbau des Auges ein, in seiner ganzen Komplexität. Mithilfe der Sprache ist es uns möglich, die Gedanken, Vorstellungen, Wünsche oder auch Träume anderer Menschen zu verstehen, und es sollte eines der Ziele des Deutschunterrichts sein, dass die Schülerinnen und Schüler verstehen, wie die Sprache das ermöglicht, wie also die Sprache funktioniert. Das kann aber nur gelingen, wenn sie sich genauer mit dem Aufbau der Sprache beschäftigen, der auf eine andere Art ebenso komplex ist wie der Aufbau des Auges (eigentlich sogar noch deutlich komplexer). Genau das ist der Gegenstand der Grammatik: der Aufbau der Sprache.2

1.2Um welche Art von Sätzen soll es gehen?

Es ist eine Alltagserfahrung, dass man oft die Funktionsweise von Dingen erst dann richtig verstehen lernt, wenn sie nicht (mehr) richtig funktionieren. Solange sie funktionieren, wie sie sollen, erfüllen sie ihren Zweck und man beschäftigt sich gewöhnlich nicht genauer mit ihnen; so gut wie niemand denkt, wenn er eine Tür mit der Türklinke öffnet, über die Funktionsweise der Türklinke nach. Das ändert sich, wenn die Türklinke wackelt oder sogar abfällt oder sich nicht mehr bewegen lässt. Dann wird man neugierig und untersucht die Türklinke genauer, um das Problem zu beheben.

Das gilt genauso für die Sprache, Köller (1997, 9) spricht hier von grammatischer Neugier: „Sie setzt ein, wenn die im praktischen Umgang vertrauten Phänomene zu Problemen werden und zum Staunen Anlaß geben“. Damit der Grammatikunterricht überhaupt gelingen kann, gilt es bei den Schülerinnen und Schülern diese grammatische Neugier zu wecken. Man benötigt dann für die Beschäftigung mit dem Aufbau von Sätzen in der Schule Sätze, die nicht vertraut, sondern seltsam, merkwürdig, staunenswert, abweichend, irregulär sind, Sätze, die auf irgendeine Weise nicht richtig funktionieren (s. Dürscheid 2007, 60–62). Für die sprachwissenschaftliche Forschung haben sich solche Sätze als höchst aufschlussreich erwiesen, in Schullehrwerken sind sie allerdings nur selten zu finden.1 Eines unserer Ziele ist unter anderem zu zeigen, welche Erkenntnisse sich aus ungrammatischen Sätzen2 wie *Das Schiff untergeht, Versprechern wie Ein Sommer macht noch keine Schwalbe und mehrdeutigen Sätzen wie Bitte verlassen Sie die Toilette immer in sauberem Zustand ziehen lassen. Man kann aber auch Sätze aus anderen Sprachen als dem Deutschen oder sogenannte Nonsenssätze verwenden, die keine Bedeutung haben. In all diesen Fällen kann auch im schulischen Unterricht die sprachwissenschaftliche Vorgehensweise angewendet werden, die darin besteht, die auf irgendeine Weise abweichenden Sätze systematisch zu untersuchen und dabei unter anderem nach dem Grund für die Abweichung zu suchen. Vergleicht man zum Beispiel den ungrammatischen Satz *Das Schiff untergeht mit dem grammatischen Satz Das Schiff geht unter, erkennt man, dass der Grund für die Ungrammatikalität in der nichtgetrennten Verbform untergeht liegen muss.

1.3Was sind einfache Sätze?

Man kann den Begriff des einfachen Satzes auf zweierlei Weisen verstehen, und zwar zum einen auf Nebensätze und zum anderen auf Satzglieder bezogen. Im einen Fall ist ein einfacher Satz ein Satz, der keinen Nebensatz enthält (Der Bundestrainer muss eine neue Taktik finden), im anderen Fall ist der Satz minimal und besteht nur aus einem Subjekt und einem einfachen Prädikat (Die Sonne scheint). Wir verwenden den Begriff so, dass einfache Sätze keine Nebensätze enthalten, unter anderem deshalb, weil sich bei genauerer Untersuchung herausstellt, dass die Struktur vermeintlich einfacher Sätze wie Die Sonne scheint in Wirklichkeit ziemlich komplex ist. Das hat unter sprachdidaktischer Perspektive schon Haueis (1999) gezeigt, wir gehen darauf in Kap. 4 genauer ein.

 

* * *

 

Dieses Buch zu schreiben hat deutlich länger gedauert, als wir eigentlich geplant hatten. Wir danken Sandra Döring, Peter Gallmann und dem Verlag sehr für ihre große Geduld und hoffen, dass sich das Warten gelohnt hat. Unser Dank gilt aber auch Franz d’Avis, Sandra Döring, Peter Gallmann und Anja Müller für ihre Kommentare, Hinweise und Verbesserungsvorschläge, die sehr hilfreich waren, und den Studierenden verschiedener Veranstaltungen zur deutschen Grammatik an den Universitäten Leipzig und Mainz für ihre Fragen und Antworten.

2Wörter

Wörter sind die Grundbausteine, aus denen Sätze zusammengesetzt sind, und die Beschreibung der Sätze beginnt gewöhnlich mit einer genaueren Beschreibung dieser Grundbausteine. Wir gehen in diesem Kapitel zuerst auf den grundlegenden Unterschied zwischen lexikalischen und syntaktischen Wörtern ein und diskutieren dann, welche Eigenschaften die verschiedenen syntaktischen Wortarten auszeichnen. Ein wichtiges Erkenntnisziel wird dabei sein, dass die Wörter einer Wortart keine homogene Klasse bilden und deshalb schematische Verfahren für die Wortartbestimmung nur mit einer gewissen Vorsicht verwendet werden sollten.

2.1Lexikalische und syntaktische Wörter

Eines der sprachlichen Alltagsphänomene, die für das Verständnis der Sprachproduktion eine sehr große Rolle spielen, sind Versprecher. Wenn wir Sätze äußern, gelingt es uns nicht immer, sie so äußern, wie wir es eigentlich wollen und wie es den Regeln unserer Sprache entspricht, weil uns alle möglichen Arten von sprachlichen Fehlleistungen unterlaufen können. Eine Art von Versprechern sind Ersetzungen wie in (1), bei denen das eigentlich gemeinte Wort durch ein anderes Wort ersetzt worden ist (aus Leuninger 1998, das richtige Wort ist wo nötig in Klammern hinzugefügt).

Eine Beobachtung zu solchen Ersetzungen ist, dass die an dem Versprecher beteiligten Wörter so gut wie immer zur selben Wortart gehören. Das zeigen auch diese Beispiele: In (1a) handelt es sich bei hinter und vor um Präpositionen, in (1b) wird das Pronomen ihm durch das Pronomen mir ersetzt, in (1c) ist unverändert wie unverheiratet ein Adjektiv, in (1d) sind mit anfällt und anstellt zwei Verben am Versprecher beteiligt und in (1e) mit Studio und Stadion zwei Nomen. Gleiches wird also durch Gleiches ersetzt.

Ein Teil des Sprachproduktionsprozesses besteht im Zugriff auf unser inneres Lexikon, in dem wir die Wörter unserer Sprache gespeichert haben, und eine Eigenschaft, die wir bei jedem Wort gespeichert haben, ist seine Wortart, also die größere Klasse von Wörtern, zu der das gespeicherte Wort gehört. In (1a) hat der Sprecher oder die Sprecherin im Lexikon auf die Präposition vor zugreifen wollen, aber versehentlich die bedeutungsähnliche Präposition hinter erwischt. Der Fehler ist also nicht in der Syntax entstanden, bei der Konstruktion des Satzes, sondern im Lexikon, und betroffen sind die lexikalischen Wörter, die Lexeme. Wenn man für die Notation der im Lexikon gespeicherten Wörter Kapitälchen verwendet, ist in (1a) das lexikalische Wort VOR durch das lexikalische Wort HINTER ersetzt worden; vor und hinter sind Präpositionen, was durch das tiefergestellte P markiert ist.

Eine solche Beobachtung lässt sich auch bei anderen Arten von Versprechern machen, denn auch „bei Wortvertauschungen werden vornehmlich Wörter derselben Wortart miteinander vertauscht“, so Leuninger (1996, 86). Man vergleiche den folgenden Versprecher:

Das Interessante an dieser Vertauschung ist, dass der aus dem Versprecher resultierende Satz trotz der Vertauschung grammatisch korrekt ist und nur eine falsche Bedeutung hat, aber nicht eine falsche Form. Das ist so zu erklären, dass es sich auch hierbei um einen Versprecher handelt, bei dem lexikalische Wörter betroffen sind.

Woran erkennt man, dass hier tatsächlich zwei Wörter im Lexikon und nicht zwei Wörter im Satz vertauscht worden sind? An der Form der Artikel ein und keine. Wenn die beiden syntaktischen Wörter Sommer und Schwalbe vertauscht worden wären, hätte das Resultat folgender Satz sein müssen, in dem die Artikel eine und keinen lauten:

Wir müssen also bei der Beschreibung von Versprechern sorgfältig zwischen lexikalischen und syntaktischen Wörtern unterscheiden. Die lexikalischen Wörter sind in unserem Lexikon gespeichert und werden durch die syntaktischen Wörter realisiert; größere syntaktische Einheiten wie die ältere Dame oder Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer bestehen nicht aus lexikalischen Wörtern, sondern aus syntaktischen Wörtern (vgl. Fuß und Geipel [2018, 18]):1

Lexikalisches Wort: Ein lexikalisches Wort ist eine abstrakte lexikalische Einheit, die Informationen über grundlegende Eigenschaften wie Lautgestalt, Kernbedeutung, Wortart und invariante morphosyntaktische Merkmale enthält.

Syntaktisches Wort: Syntaktische Wörter sind konkret auftretende Wörter, wie sie in tatsächlichen Sätzen bzw. syntaktischen Strukturen vorkommen. Ein syntaktisches Wort besteht aus einer Wortform und Angaben zu den morphosyntaktischen Merkmalen, für die die Wortform steht.

Das lexikalische Wort SCHWALBE hat die Lautform /ʃvalbə/ und die Bedeutung ‚Singvogel‘, gehört zur Wortart der Nomen (N) und hat das invariante, feste Genusmerkmal Femininum (Fem). Das syntaktische Wort Schwalbe in dem Satz Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, mit dem das lexikalische Wort SCHWALBE realisiert wird, ist wie das lexikalische Wort ein Nomen und hat neben dem Merkmal Femininum zusätzlich die Flexionsmerkmale Nominativ (Nom) und Singular (Sg).

In formal genauen Darstellungen der Syntax werden die syntaktischen Wörter immer komplett mit ihren morphosyntaktischen Merkmalen notiert. Da das aber sehr aufwändig ist und zu sehr komplexen Darstellungen führt, folgen wir in diesem Buch der gängigen Praxis und notieren die morphosyntaktischen Merkmale nur dort, wo es erforderlich ist.

2.2Wortartwechsel

Gewöhnlich wird in Schulbüchern nicht zwischen lexikalischen und syntaktischen Wörtern und somit auch nicht zwischen lexikalischen und syntaktischen Wortarten unterschieden. Der Grund dafür ist, dass die Wortart eines lexikalischen Wortes normalerweise mit der Wortart des syntaktischen Wortes übereinstimmt, mit dem das lexikalische Wort realisiert wird. Das lexikalische Wort SCHWALBE ist ein Nomen und das syntaktische Wort Schwalbe ist ebenso ein Nomen. Es gibt aber, worauf unter anderem die Duden-Grammatik (2016, 141) hinweist, systematische Ausnahmen, die dann zu Unsicherheiten in der Wortartbestimmung führen: „Zu manchen Lexemen können nämlich Formen gebildet werden, die sich hinsichtlich ihres syntaktischen Gebrauchs und ihrer Flexionsmerkmale wie die Flexionsformen anderer Lexemklassen verhalten“. Nehmen wir als ein Beispiel dafür das Wort Größeren im folgenden Satz:

Dieses Wort ist gemäß seinen Flexionsmerkmalen ein Adjektiv, was unter anderem daran zu erkennen ist, dass es ohne den Artikel die stark flektiert wird (Größere dürfen länger aufbleiben) und kompariert ist. In Satz (6) ist es trotz seiner adjektivischen Flexionsmerkmale ein Nomen und wird deshalb auch großgeschrieben. Das heißt, das syntaktische Wort Größeren ist ein Nomen, auch wenn das zugehörige lexikalische Wort ein Adjektiv ist.1

Für die satzinterne Großschreibung ist nicht die Wortart der lexikalischen Wörter von Belang, sondern die Wortart der syntaktischen Wörter.

Andere Fälle von systematischem syntaktischem Wortartwechsel betreffen die Partizipien und die einfachen Infinitive; die Partizipien können in der Syntax zu Adjektiven werden und die einfachen Infinitive zu Nomen. Die drei syntaktischen Wörter singenden, Singen und singen gehören in (7) zwar zu unterschiedlichen syntaktischen Wortarten, realisieren aber ein und dasselbe lexikalische Verb SINGEN.

Wenn man Sätze beschreibt, spricht man über syntaktische Wörter und nicht über lexikalische Wörter. Daher geht es im Folgenden auch um die syntaktischen Wortarten und nicht um die lexikalischen Wortarten. Statt von syntaktischen Wortarten spricht man oft auch von syntaktischen Kategorien.

2.3Eigenschaften syntaktischer Wörter

Machen wir ein kleines Experiment, das aus einem Grammatik-Kurs für Klasse 4 stammt (Kluge und Sennlaub 1996, 3). Die Aufgabe besteht darin, den folgenden Text in normaler Schreibschrift mit der richtigen Groß- und Kleinschreibung abzuschreiben; lesen Sie bitte erst weiter, wenn Sie das getan haben.

Wir gehen davon aus, dass Sie die Wörter tackte, tockelten und tackst kleingeschrieben haben, doch warum? Für die Groß- und Kleinschreibung gilt es, die syntaktische Wortart eines Wortes zu bestimmen. Dafür kann man verschiedene Arten von Erkennungsmerkmalen nutzen. Bei Fantasiewörtern kann die Bedeutung für die Bestimmung der Wortart nicht genutzt werden, aber stattdessen kann man zwei andere Arten von Erkennungsmerkmalen nutzen, und zwar die morphologischen Eigenschaften der Wörter und ihr syntaktisches Verhalten. Bei den morphologischen Eigenschaften ist zwischen Wortbildung und Flexion zu unterscheiden; typische Wortbildungssuffixe sind -ung und -heit bei Nomen (Lösung, Dunkelheit), -bar und ‑lich bei Adjektiven (brauchbar, löslich), -ier bei Verben (plakatieren) und -s bei Adverbien (nachts). In den drei Wörtern tackte, tockelten und tackst können die drei Verbflexionsendungen -te, -ten und -st identifiziert werden. Das heißt, die drei Wörter tackte, tockelten und tackst werden wie finite Verben flektiert und sie kongruieren auch, wie es im Deutschen erforderlich ist, mit den drei Subjekten der Tuck, die Tocke und du. Sie werden aber nicht nur wie finite Verben flektiert, sondern sie stehen auch dort, wo finite Verben in solchen Sätzen zu stehen haben, und zwar in der zweiten Satzposition; die erste Satzposition, das Vorfeld (dazu mehr in Kap. 4), wird von den Wortfolgen der Tuck, wie er so über das Tick tackte und was besetzt.1

2.3.1Morphologische Eigenschaften

Oft ist es möglich, die syntaktischen Wörter mithilfe ihrer Flexionsmerkmale zu bestimmen. Nomen, Pronomen, Artikelwörter und Verben treten in Sätzen immer flektiert auf, wobei es zu beachten gilt, dass auch infinite Verben wie gelacht, lachen oder zu lachen als flektiert zählen. Nomen, Pronomen und Artikelwörter sind nach Kasus, Numerus und Genus flektiert (wobei das Genus bei Nomen kein Flexionsmerkmal ist, sondern fest), finite Verben nach Person, Numerus, Tempus und Modus (wobei Imperativformen kein Tempusmerkmal haben) und infinite Verben zeichnen sich durch eine Art verbalen Kasus aus, den man Bech (1983) folgend als Status bezeichnen kann.

Kasus — Nominativ (Nom), Genitiv (Gen), Dativ (Dat), Akkusativ (Akk)

Numerus — Singular (Sg), Plural (Pl)

Genus — Femininum (Fem), Maskulinum (Mask), Neutrum (Neut)

Person — 1, 2, 3

Tempus — Präsens (Präs), Präteritum (Prät)

Modus — Indikativ (Ind), Konjunktiv (Konj), Imperativ (Imp)

Status — Infinitiv (Inf), zu-Infinitiv (zu-Inf), Partizip 2 (Pt2)1

Adjektive sind im Deutschen hinsichtlich ihrer Flexion ein etwas schwierigerer Fall. Sie treten in Sätzen oft flektiert auf wie in (9a), aber auch unflektiert wie in (9b–c). Deshalb ist es bei Adjektiven wichtig, zwischen flektiert und flektierbar und zwischen syntaktischem und lexikalischem Wort zu unterscheiden: Das syntaktische Wort langsam in (9b–c) ist nicht flektiert, das dazugehörige lexikalische Wort LANGSAM ist aber flektierbar. Die drei Verwendungsweisen der Adjektive in (9) werden nach der syntaktischen Funktion unterschieden (Genaueres dazu in Kap. 5).

Die Adjektive werden im Deutschen nur flektiert, wenn sie als Attribute fungieren, als Prädikative und Adverbiale werden sie nicht flektiert. Von den drei Flexionsmerkmalen Kasus, Genus und Numerus zu unterscheiden ist zum einen die Komparation der Adjektive, da die Adjektive auch bei prädikativem und adverbialem Gebrauch immer ein Komparationsmerkmal haben (Positiv als Grundform, Komparativ oder Superlativ)2, und zum anderen die Eigenschaft, dass die Flexion der attributiven Adjektive von der syntaktischen Umgebung abhängt. Geht dem attributiven Adjektiv ein Artikelwort mit einer Flexionsendung voran wie alle oder diese, wird es schwach flektiert, sonst stark.