Der Elitenreport - Georg Meck - E-Book

Der Elitenreport E-Book

Georg Meck

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Beschreibung

Elite – wer ist das heute? Ein faszinierender Blick in das Innere der Macht «Elite», so sagt es der Duden, bedeutet «eine Auslese darstellende Gruppe». Nur: Wer gehört heute zu diesem kleinen feinen Kreis der Mächtigen und Einflussreichen? Und sind sie eine «Auslese»? Georg Meck und Bettina Weiguny, beide Wirtschaftsreporter der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», sind den Mächtigen zu ihren Treffen gefolgt, haben ihren exklusiven Zirkeln und Netzwerken nachgespürt, zwischen dem Silicon Valley und dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Sie haben beobachtet, wie Staats- und Konzernführer auf offener Bühne von der Verbesserung der Welt reden und im Stillen die nächsten Deals und Karrieren regeln. Wie aber rekrutiert sich die Elite? Wer verteilt die Eintrittstickets für diese exklusive Klasse? Meck und Weiguny besuchen die Kaderschmieden, die Privatuniversitäten und Beratungsfirmen, wo die Entscheidungsträger von morgen geschult werden. Sie tauchen ein in die verborgene Welt der Elite, untersuchen, welchen Einfluss diese Männer und Frauen wirklich ausüben, wie weit sie sich vom realen Leben entfernt haben und wie bedrückend sie dies bei allem Glamour bisweilen finden. Vor allem aber stellen sie die Frage: Versammelt die Elite wirklich «the best and the brightest» oder die ruchlosesten Machtmenschen?

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Georg Meck • Bettina Weiguny

Der Elitenreport

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Elite – wer ist das heute? Ein faszinierender Blick in das Innere der Macht

 

«Elite», so sagt es der Duden, bedeutet «eine Auslese darstellende Gruppe». Nur: Wer gehört heute zu diesem kleinen feinen Kreis der Mächtigen und Einflussreichen? Und sind sie eine «Auslese»? Georg Meck und Bettina Weiguny, beide Wirtschaftsreporter der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», sind den Mächtigen zu ihren Treffen gefolgt, haben ihren exklusiven Zirkeln und Netzwerken nachgespürt, zwischen dem Silicon Valley und dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Sie haben beobachtet, wie Staats- und Konzernführer auf offener Bühne von der Verbesserung der Welt reden und im Stillen die nächsten Deals und Karrieren regeln.

Wie aber rekrutiert sich die Elite? Wer verteilt die Eintrittstickets für diese exklusive Klasse? Meck und Weiguny besuchen die Kaderschmieden, die Privatuniversitäten und Beratungsfirmen, wo die Entscheidungsträger von morgen geschult werden. Sie tauchen ein in die verborgene Welt der Elite, untersuchen, welchen Einfluss diese Männer und Frauen wirklich ausüben, wie weit sie sich vom realen Leben entfernt haben und wie bedrückend sie dies bei allem Glamour bisweilen finden. Vor allem aber stellen sie die Frage: Versammelt die Elite wirklich «the best and the brightest» oder die ruchlosesten Machtmenschen?

Über Georg Meck • Bettina Weiguny

Georg Meck, geboren 1967, war Korrespondent des «Focus» in Brüssel und berichtete von dort aus über wirtschafts- und finanzpolitische Themen. 2001 wechselte er zur «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», seit 2016 ist er Ressortleiter Wirtschaft der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Bei Rowohlt · Berlin veröffentlichte er zuletzt «Auto Macht Geld».

Bettina Weiguny, geboren 1970, hat bei der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» eine eigene Kolumne und arbeitet als Reporterin, speziell über Themen aus der Wirtschaft. Von ihr erschien unter anderem «Die geheimnisvollen Herren von C&A».

VORWORTWarum wir uns um die Elite kümmern müssen

«Elite» ist ein ziemlich schmutziger Begriff, obwohl er doch eigentlich so positiv gemeint war. Das Adjektiv «elitär» wird sogar als Schimpfwort gebraucht, und das obendrein ziemlich beliebig. Der Begriff ist, und das ist sein Vorzug, so unscharf, dass «die Elite» jederzeit zum Feindbild taugt, ohne dass die Zürnenden sich genau festlegen müssen: Wer genau wird da jetzt beschimpft? Die Regierenden oder die Reichen, die Prominenten, die Oligarchen, die besonders Schlauen? Oder jemand ganz anderes?

Als wir angefangen haben, dieses Buch zu schreiben, war zunächst genau diese Frage zu klären: Wer zählt eigentlich zur Elite? Ist Elite identisch mit Oberschicht? Die Antwort darauf ist gar nicht so einfach. Über die Elite, so viel wurde bei der Recherche schnell klar, weiß der Statistiker so gut wie nichts. Zumindest nichts Stichhaltiges, was von Zahlen und Fakten gedeckt wäre. Hartz-IV-Bezieher sind in allen Facetten ihres Lebens und ihrer Bedürfnisse erfasst, das muss so sein, schließlich erhalten sie das Geld der Allgemeinheit. Am anderen Ende der Skala, ganz oben in der Gesellschaft, wird es dünn. Die Wissenschaft weiß wenig über Millionäre oder Milliardäre, nicht mal deren Zahl ist in den Statistiken vermerkt.

In diese Lücke springen die Autoren gerne, denn wir beide haben seit zwei Jahrzehnten als Journalisten mit Leuten zu tun, die – im weiteren Sinn – zur Elite zu zählen sind: Kanzler und Minister, arrivierte Konzernchefs und ambitionierte Macher von morgen. Sie haben wir für dieses Buch beobachtet, haben uns mit vielen unterhalten (für die Gesprächsbereitschaft an dieser Stelle herzlichen Dank!). Wir sind den Mächtigen zu ihren Treffen gefolgt, haben ihren Zirkeln und Netzwerken zwischen Silicon Valley und Davos nachgespürt und sie dort getroffen, wo sie sich sonst so herumtreiben.

Wir haben zugehört, wie Staats- und Konzernführer auf offener Bühne von der Verbesserung der Welt reden, und uns darüber geärgert, dass sie im Stillen meist anderes im Schilde führen. Im Zweifel suchen sie den eigenen Vorteil, den nächsten Deal. Wir sind eingetaucht in diese verborgene Welt der Eliten, haben nachgeforscht, welchen Einfluss diese Leute ausüben, und mit ihnen darüber debattiert, wie sehr sie dem realen Leben entrückt sind, manchmal auch, wie bedrückend sie das trotz des Glamours bisweilen empfinden. Und hinter allem steht die Frage: Versammelt die Elite wirklich die Auslese, oder schotten sich da ruchlose Machtmenschen ab vom Rest der Gesellschaft?

 

Frankfurt am Main, März 2018

Bettina Weiguny & Georg Meck

1Die Elite und der neue Populismus

Wer traut schon Managern und Politikern?

Der Widerpart zur Elite ist der Populist, und der hat Oberwasser, egal wohin man blickt: Trump in Amerika, Orbán in Ungarn, Erdogan in der Türkei, Le Pen in Frankreich. Dazu der Brexit in Großbritannien und die AfD im deutschen Bundestag: alles Triumphe von antielitären, antipluralistischen Bewegungen. Diese Siege des Populismus sind die Antwort auf ein Versagen der Eliten, so viel steht fest, ohne dass damit schon geklärt wäre, worin genau dieses Versagen besteht.

Populismus, so die These des Princeton-Politologen Jan-Werner Müller, folgt einer ganz bestimmten Politikvorstellung: «Einem moralisch reinen, homogenen Volk stehen unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüber.» Dabei nehmen die Populisten für sich in Anspruch, sie und nur sie seien die legitimen Vertreter des Volkswillens: «Wir und nur wir repräsentieren das Volk», wie Müller schreibt. Als der amerikanische Außenminister Rex Tillerson seinem Amtskollegen Sigmar Gabriel die Motive der Trump-Wählerschaft erklärte, sprach er von den «Can-you-hear-me-now-voters», den Hört-ihr-mir-jetzt-zu-Wählern. Diese Wähler versammeln sich, überträgt man Tillersons Analyse auf Deutschland, in der AfD und bei Pegida. Doch diese Bewegungen mit der Wut von Abgehängten zu erklären greift zu kurz: Wie käme es sonst zu den vielen Stimmen für die Rechtspopulisten im prosperierenden Süden Deutschlands, in Bayern und Baden-Württemberg? Regionen, in denen es praktisch keine Arbeitslosigkeit gibt, voller Profiteure der Globalisierung.

Wenn der Aufschwung von Populisten eine Verachtung für die Eliten voraussetzt, müssen diese eine Angriffsfläche bieten. Nur welche? Reicht dafür der Neid auf das viele Geld? Auf die Macht? Der Hass auf die Eliten muss tiefere Gründe haben. Wir wollen wissen, wie es dazu kam, und wenden uns an die Demoskopen, die von Berufs wegen das Ohr an Bauch und Verstand des Volkes legen.

Elite ist, wie gesagt, kein sympathischer Begriff. Davon zu sprechen war «bis vor kurzem in Deutschland verpönt», diagnostizierte das Institut für Demoskopie in Allensbach zur Jahrtausendwende und attestierte eine starke Abneigung des Volkes gegen die «Elite». 1992 fand eine satte Mehrheit von 62 Prozent der Befragten das Wort unsympathisch, und die Fan-Basis für die Oberschicht hat sich seither nicht vergrößert. Den Herrschenden in Politik und Wirtschaft sei nicht zu trauen, hören die Demoskopen ein ums andere Mal, wenn sie Volkes Stimme zu dem Thema einfangen.

Einzig der «PISA-Schock», der die Unzulänglichkeiten des deutschen Schulsystems offenbarte, hat ein paar festgefügte Meinungen vorübergehend verändert. Plötzlich dachte die Bevölkerung positiv über Elite nach, allerdings begrenzt auf das Thema Bildung: «Besonders begabte Schüler sollte man in Eliteklassen oder Eliteschulen fördern.» Das sagten 1999 53 Prozent der Westdeutschen, in Ostdeutschland sogar 55 Prozent. Quer durch die Parteien formierten sich Mehrheiten für eine Eliteförderung. Problematisch sahen das vor allem SPD-Wähler, da stand es 1999 nur knapp 45 zu 41 für die Eliteförderung.

Das schlechte Ansehen verbindet Manager und Politiker, es ist beiden Gruppen zur Gewohnheit geworden: «Elite im Dauerfeuer der Kritik», überschrieb Renate Köcher, Chefin des Allensbach-Instituts, schon vor zehn Jahren eine Studie; also vor der Finanzkrise, die das Vertrauen in die Elite noch weiter erschüttert hat. Köcher verwies damals auf den langfristigen Trend: Anfang der neunziger Jahre hatten lediglich 23 Prozent der Bevölkerung den Eindruck, dass das Ansehen von Unternehmern gelitten habe, 2008 dachte so die Mehrheit, und «viele nehmen in der Gesellschaft sogar Symptome von Feindseligkeit wahr».

Die große Distanz der Bevölkerung zu den Führungseliten aus Wirtschaft wie Politik ist beunruhigend. So lesen wir seither regelmäßig. Im Zweifel soll der Staat eingreifen und die Dinge regeln. Mit Gesetzen reglementieren, die Managergehälter begrenzen.

Den Akteuren an der Spitze wird in hohem Maße unterstellt, dass ihnen das Verständnis für die Sorgen des gewöhnlichen Volkes abgeht. Harte Arbeit, Mut, Kompetenz und Selbstlosigkeit verbinden die Leute mit der politischen Klasse noch weniger als mit den wirtschaftlichen Führungsspitzen. Und wenn Politiker öffentlich Manager angreifen, dann verbucht das Volk dies als Versuch der eigenen Profilierung, oder noch schlimmer: Vertuschung der eigenen Fehler.

Im Zweifel kommen Manager noch besser weg als Politiker. Einem Vorstandsvorsitzenden trauen laut «Edelman Trust Barometer», einer jährlich veröffentlichten Umfrage unter 38000 Personen in achtundzwanzig Ländern, wenigstens 37 Prozent der Menschen, Aussagen von Regierungsvertretern halten nur 29 Prozent für glaubwürdig. Integer sind beide Gruppen nicht, glaubt man Volkes Stimme. Wobei seit jeher gilt: Manager im Allgemeinen sind Schweine, aber nicht mein Chef, der ist in Ordnung – dies ist der tröstliche Punkt in den Umfragen, die das erodierende Vertrauen in die gesellschaftlichen Institutionen messen. Im Jahr 2017, Donald Trump war schon im Amt, haben 57 Prozent der Amerikaner ihre tiefe Skepsis gegenüber der Elite zu Protokoll gegeben, in Deutschland waren es 62 Prozent, in Italien und Frankreich sogar jeweils 72 Prozent.

Allen Ländern gemein ist: Das Misstrauen gegenüber der Elite hat sich spürbar verschärft. «Die Eliten interessieren sich nicht mehr für uns», «Die Eliten haben keine Berührung mit uns normalen Menschen», «Die Eliten sind reicher, als sie es verdient hätten», solche Sätze treffen auf eine breite Zustimmung. «Wir haben – auch in Deutschland – eine tiefgehende, langlebige, breit verankerte Vertrauenskrise», sagt Susanne Marell, Deutschland-Chefin der Agentur Edelmann. Kritikpunkte waren und sind die hohen Gehälter (diese fanden schon vor zehn Jahren 85 Prozent der Leute zu hoch), außerdem wird generell ein Verfall von Anstand und Moral diagnostiziert. Gier, Rücksichtslosigkeit, Egoismus wird der Elite in diesem Zusammenhang nachgesagt.

Keine Chance für die Jugend?

Der Volkssport Eliten-Bashing erfreut sich wachsender Beliebtheit, und das bis weit in die obere Mittelschicht hinein. Bis hin zu Typen wie Klaus, selbst ein Kandidat für die Elite, ein «High Potential», wie Talente seines Kalibers in der Sprache der Personalberater heißen: Klaus, der im wirklichen Leben anders heißt, ist Anfang dreißig, hat Prädikatsexamen, Doktortitel – und einen gewaltigen Brass auf die Eliten, weil er glaubt, dass es ungerecht zugeht in der Welt, weil er fürchtet, dass ihm, aller Begabung und allem Ehrgeiz zum Trotz, die Felle davonschwimmen. Deswegen geht er neuerdings auch so ungern zu Familienfesten, wo der Vater spätestens beim Rotwein losledert: «Wann kauft ihr endlich ein Haus? Kinder brauchen einen Garten – und Julia längst ein Geschwisterchen.» Je später der Abend, desto schärfer die Geschosse: Eigenheim, Hochzeit, ein fester Job, nichts davon kann Klaus vorweisen. «Ich stehe da wie ein Versager», sagt der Jurist. Dabei hat er alles Verlangte mit Bravour erledigt: toller Abschluss, feste Freundin, eine süße Tochter. Im Moment lernt er fürs zweite Staatsexamen. Im Prinzip stimmt alles. Nur im Vergleich zum Vater wirkt es glanzlos. Der war mit Anfang dreißig sein eigener Herr, hatte das eigene Unternehmen in der Elektrobranche hochgezogen. Tag und Nacht habe er gerackert damals, erzählt er nur zu gerne, «auch am Wochenende». Als Lohn standen eine Frau, drei Kinder und ein Haus samt Pool zu Buche, vom Geld auf der hohen Kante ganz zu schweigen. Sohn Klaus dagegen, der «Herr Doktor», wie ihn sein Vater nennt, könnte sich nicht mal die Vierzimmerwohnung in Wiesbaden leisten, in der die Kleinfamilie lebt. Die Miete zahlt Papa. Hier läuft etwas schief, findet Klaus. Und so denken viele seiner Altersgenossen. Sie rackern sich ab, kommen leidlich voran. Und trotzdem: Etwas fehlt. Status, Sicherheit, was die Eltern eben vorgelebt haben und nun von den Kindern einfordern.

Dabei hätte gerade diese Generation keinen Grund zur Klage oder gar zum Hass auf Eltern und Elite. Keine Generation vor ihr startete besser ins Leben: Ein Studium ist für die Kinder der Mittelschicht, des Bildungsbürgertums, selbstverständlich. Und wer studiert, hat nur ein geringes Risiko, arbeitslos zu werden, das zeigen alle Studien, darf vielmehr ein ordentliches Einkommen erwarten. «Die Gehälter sind über die letzten drei Jahrzehnte deutlich gestiegen. Gerade die Aussichten für qualifizierte Berufsanfänger sind hervorragend und sie bleiben es auch», sagen die Vergütungsexperten der Unternehmensberatung Kienbaum. Wirtschaftswissenschaftler mit Universitätsstudium erwartet heute beim Berufseinstieg ein Gehalt, das um die Hälfte höher ist als vor zwanzig Jahren; bei Fachhochschülern ist der Anstieg noch größer. Juristen, Ingenieure, Informatiker und Naturwissenschaftler waren nie so gefragt wie heute. Der Taxi fahrende Dr. phil. sei als Massenphänomen «empirischer Unsinn», hat schon im Jahr 2007 Harald Schomburg festgestellt, der Projektleiter am Kasseler Internationalen Zentrum für Hochschulforschung (Incher), das 35000 Hochschulabsolventen aus achtundvierzig Hochschulen zu ihren Erfahrungen befragt hatte. Auch die «Generation Praktikum» war mehr Medienphänomen denn Realität. Uni-Absolventen brauchen in der Regel nur drei Monate, um eine Stelle zu finden; in den Geistes- und Sozialwissenschaften dauert es auch mal länger, aber das war früher nicht anders. Wenn jemand Angst haben muss vor der Arbeitslosigkeit, dann sind es Ungelernte und Hauptschüler. Deren Erwerbslosigkeit ist gestiegen in den vergangenen Jahrzehnten, während die der Akademiker auf geringem Niveau verharrt. Da beginnt die Wut der bildungsfernen Schichten auf die «Eliten», zu denen sie auch Klaus und all jene zählen, die studiert haben, denen es bessergeht. Nur woher kommt die Wut von Klaus und seinesgleichen?

Der Großteil der Dreißig- bis Vierzigjährigen kennt materielle Not kaum, schließlich sind sie die Kinder der reichsten Generation, die es in Deutschland je gegeben hat; Milliarden an Vermögen wollen vererbt werden. Das Bruttoinlandsprodukt, immer noch bestes Maß für den Wohlstand, hat sich seit 1980 fast vervierfacht und liegt heute bei 3,1 Billionen Euro. Bereinigt um die Inflation, bleibt eine Verdreifachung.

Trotzdem ist Klaus wütend. Der Soziologe Heinz Bude verweist auf eine scheinbar paradoxe Gesetzmäßigkeit in Bildungskarrieren: Die Dreißig- bis Vierzigjährigen sind Kinder einer Aufsteigergeneration. Und Kinder von Aufsteigern schaffen es oft nur schwer, die eigenen Eltern nochmals zu übertreffen. Das tut weh, Eltern wie Kinder empfinden dies als Versagen. Eine Schmach, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt.

«Die Akademiker starten reich in das Berufsleben. Das ist ein vergiftetes Geschenk», sagt der an der Hochschule St. Gallen lehrende Philosoph Dieter Thomä. Wer finanziell abgesichert durchs Studium gleitet, wem die Eltern das Auto, die Wohnung, die Praktika in aller Welt bezuschussen, der wird enttäuscht, wenn er nach dem Examen merkt, wie wenig vom eigenen Lohn übrig bleibt. Die Kinder dieser Generation sind – anders als die eigenen Eltern – im Wohlstand aufgewachsen, behütet, ohne Zwänge und Tabus. Sie suchen nicht die Revolution, wollen nichts zerstören, nicht die Gesellschaft, erst recht nicht die Umwelt oder das Klima. Die Schlachten ihrer Eltern sind Geschichte, sie sind Meister der persönlichen Nabelschau: «Wo stehe ich, wo will ich hin, passt der Job, der Partner wirklich zu mir?» Diese privaten Fragen trieben sie weit mehr um als die Sorge um das große Ganze, behauptet der Soziologe Martin Doehlemann, der den «Dreißigjährigen» ein ganzes Buch gewidmet hat. Kann es sein, dass die High Potentials heute zu viel auf einmal wollen? Ihre Eltern haben sich keine Weltreise gegönnt nach dem Abitur. Sie haben nicht über Sabbaticals nachgedacht und hatten in ihrer Kindheit keinen Apple-Laptop im Zimmer, als Student kein iPhone in der Tasche. Berufsanfänger gönnen sich heute eine Putzfrau und Urlaub mehrmals im Jahr. Sie leisten sich teure Hobbys, diversen Hightech-Schnickschnack und gehen jede Woche im Restaurant essen.

Die Eltern haben damals lieber fürs Eigenheim gespart. Das schmucke Häuschen im Grünen oder den Stilaltbau hätten die Jungen trotzdem gern – nur keinesfalls dort, wo ihre Eltern einst gebaut haben: in der Provinz. Dort könnten sie sich die Immobilie leisten, die Preise sinken seit Jahren. Die Jungakademiker aber zieht es zu ihresgleichen, in die Ballungsgebiete mit Erholungswert; das erklärt die Spitzenmieten in Städten wie München. Dort sind die Preise exorbitant gestiegen, ebenso wie in Universitätsstädten. Ein Haus kann sich dort nur leisten, wer reich erbt oder ein Spitzengehalt bezieht.

Die Dreißigjährigen wissen vor allem eines, hat Dieter Thomä festgestellt: «Mehr wäre besser.» Um keinen Preis dürfen sie zurückfallen. Sonst ist Schluss, dann kommt Hartz IV – auch wenn diese Furcht ziemlich unbegründet ist. Entgegen allen Unkenrufen rutscht die Mittelschicht nicht ab. Allein die vage Gefahr des Abstiegs jedoch nährt die Angst, jene Lebensqualität einzubüßen, an die ihre Kinder von klein auf gewöhnt waren: Haus hier, Ferienwohnung dort.

«Da ist einiges durcheinandergeraten», folgert Thomä. «Die Jungen kennen ihre Werte nicht mehr. Sie rennen und rennen, haben aber kein Ziel vor Augen.» Die Pfeiler von gestern – Familie, Religion, all das – sind brüchig geworden, die Jungen sind frei, sie haben die Wahl unter vielen unterschiedlichen, gleichberechtigten Lebensmodellen. Sie müssen nur wählen. Ihre Eltern können ihnen dabei wenig helfen. Bildung hieß deren Zauberwort, der gesellschaftliche Aufbruch füllte Schulen und Hörsäle. Heute warnt der Soziologieprofessor Bude jedoch: «Blindes Sammeln von Zeugnissen und Qualifikationen hilft gar nichts.»

Was fehlt, so Bude, ist Orientierung. Deshalb deuten die Jungen alles, was sie lesen, gegen sich, und dies schürt ihren Hass auf «die da oben»: auf die Superreichen und Topmanager, die angeblich alles zusammenraffen, was sie in die Hände kriegen, und auf die Politiker, die in ganz Europa die Banken retten, die dafür Staatsschulden anhäufen und zudem Hunderttausende Flüchtlinge aufnehmen – aus diesen Zutaten entsteht das Gemisch, das Dr. jur. Klaus in seiner Wut auf die Elite treibt. Wer genau damit gemeint ist, das ist im Folgenden zu klären.

2Wer oder was ist überhaupt Elite?

Das Elite-Paradoxon

Die Kanzlerin ist Elite, klar. Der Bischof auch (sofern nichts Strafrechtliches gegen ihn vorliegt, man weiß ja nie). Der Präsident der Europäischen Zentralbank gehört ebenso dazu wie der Theaterintendant oder der Siemens-Vorstand. Und damit auch Janina Kugel? Als Siemens-Personalvorstand ist sie, Jahrgang 1970 und diplomierte Volkswirtin, zuständig für 372000 Mitarbeiter in aller Welt, und sie ist der Star des Konzerns: schlau, charmant, mehrsprachig. Ihr Gehalt ist siebenstellig. Kugel hat Macht und Einfluss, Geld und Reputation. Natürlich ist so jemand Elite. «Selbstverständlich», müsste sie also auf unsere Frage antworten, ob sie sich als Mitglied der Elite fühlt. Sie aber zögert, in ihrem Kopf arbeitet es. Auf keinen Fall will sie arrogant erscheinen, aber auch nicht zu schüchtern, folglich drückt sie sich um ein klares Ja oder Nein, liefert dafür eine erste allgemeine Definition von Elite: «Menschen, die Dinge wirklich bewegen können – und die daraus eine gesellschaftliche Verantwortung ableiten», antwortet sie in ihrem Büro und muss dann auch schon weg. Schnell noch mal das Gesicht pudern, dann raus auf die Bühne in der schnieken neuen Siemens-Zentrale: Der Konzern ehrt Erfinder und Tüftler. Wie immer erledigt Kugel das mit der ihr eigenen mehrsprachigen Lässigkeit. Und wir lernen in diesem ersten Treffen, dass es gefährlich ist, über Elite zu reden.

Der Begriff ist toxisch, bestätigt ein Marketing-Mann in Frankfurt am Main, der nächsten Station auf unserer Reise. «Jeder will dazugehören», sagt der Werbeexperte, «keiner aber als Elite angesprochen werden.» Das muss Gründe haben. Und die sind, wie so oft, in der Vergangenheit zu finden. Seit den Nazis ist das Wort «Elite» verbrannt. Diesen Satz werden wir im Laufe der Recherche noch häufig zu hören bekommen. Bitten wir Angehörige der Elite um ein Gespräch über die «Macher in Politik und Wirtschaft», sind sie gerne dabei. Soll es aber um die Elite gehen, reagieren sie mit Skepsis.

«Sind Sie Elite, Frau Achleitner?», wollen wir auch von Ann-Kristin Achleitner wissen. Die BWL-Professorin ist eine der mächtigsten Frauen in der deutschen Wirtschaft, Aufsichtsrätin in diversen Konzernen, noch dazu verheiratet mit Paul Achleitner, dem Oberkontrolleur der Deutschen Bank. Ex-Außenminister Joschka Fischer ist der Patenonkel ihres Sohnes, die Villa in München-Bogenhausen kündet von geschmackvollem Wohlstand: Wer, wenn nicht die Achleitners sind Elite in Deutschland? Trotzdem zögert auch sie. Sie würde den Begriff nicht verwenden, sagt sie schließlich, weil er so konnotiert sei, weil er schon rein sprachlich Assoziationen wecke.

Es führt also kein Weg daran vorbei: Wir müssen an die Quelle, müssen nachschauen, woher das Wort kommt – von dem französischen Verb «élire» nämlich, was «auswählen» bedeutet. Eliten sind also eine Auswahl, eine Auslese: die Besten der Besten. In Frankreich fand der Begriff seit dem 17. Jahrhundert Verwendung, das aufstrebende Bürgertum Frankreichs war es, das sich im 18. Jahrhundert mit der Bezeichnung «Elite» abzugrenzen suchte gegen Adel und Klerus. Nicht die Geburt sollte länger den Ausschlag über den Stand geben, vielmehr individuelle Leistung den Weg an die gesellschaftliche Spitze ebnen. Im 18. Jahrhundert schwappte der Begriff dann nach Deutschland herüber. Laut Brockhaus bezeichnet «Elite» eine Gruppe von Menschen, die sich durch eine «besondere Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft» auszeichnet. Ähnlich formuliert es Meyers Lexikon: Die Elite sticht demnach durch einen «besonderen Wert der Leistung» hervor. Das lässt Raum für Deutungen, etwa auf welchem Feld die Leistung zu erbringen und wie genau sie zu messen ist. «Manuel Neuer ist Elite, ich nicht», antwortet Adidas-Chef Kasper Rorsted. «Ich bin nur ein Manager und Familienvater, der versucht, sein Bestes zu geben.»

In der politischen Sprache Deutschlands taucht der Begriff relativ spät auf, obwohl ihn die einschlägigen Lexika bereits geführt haben, erklärt der Historiker Morten Reitmayer. Nur stand Elite dort – abgesehen von gelegentlich notierten Praktiken der Pflanzenzucht – bis zum Zweiten Weltkrieg lediglich für besondere militärische Einheiten, die sogenannten «Elitetruppen». Sprach man über politisch, wirtschaftlich oder kulturell privilegierte Gruppen, so dominierten Bezeichnungen wie «Adel», «Bürgertum» oder «die Gebildeten».

Gerade die konservative Elite wollte sich lange ausdrücklich nicht so nennen. Noch in der Weimarer Republik haben diese Kreise den Elite-Begriff entschieden abgelehnt, so Reitmayer, «weil damit meritokratische und individuell-kompetitive Sozialmodelle verbunden» waren: die Grundpfeiler einer bürgerlich-liberalen Gesellschaft. Edgar Julius Jung, einer der damaligen Vordenker der Neuen Rechten, begründete diese Ablehnung in einem Aufsatz mit dem Titel «Adel oder Elite» beispielsweise so: Elite sei ein bürgerlicher Begriff. «Die Elite muss leisten, um anerkannt zu sein» – aus heutiger Sicht eine durchaus sympathische Definition.

Doch könnte man im Gegenzug fragen: Reicht es, etwas zu leisten und seine Aufgabe vorbildlich zu erfüllen, um zur Elite zu gehören?

Um es klar zu sagen: Janina Kugel ist Elite. Daniela Katzenberger ist es nicht, auch wenn sie in den Fußgängerzonen der Republik die bekanntere der beiden Frauen sein dürfte. Prominenz und Elite dürfen nicht gleichgesetzt werden, auch wenn der Personenkreis, auf den beides zutrifft, sich überschneidet. Damit ist nichts gesagt über die Qualität der Leistung von Frau Katzenberger oder ähnlicher Phänomene im Unterhaltungsgeschäft: Die Fähigkeit, sich selbst zu inszenieren, kann durchaus als Leistung gelten (die auch Angehörigen der Elite hilft). Sie genügt nur nicht als Eintrittsticket: Eliten können, müssen aber nicht prominent sein. Sie brauchen Macht und Entscheidungsbefugnis, und damit scheidet manches Boulevard-Sternchen aus, wobei zuzugeben ist: Ganz trennscharf ist diese Unterscheidung nicht. Wie viele Millionen Follower muss ein x-beliebiges Twittersternchen haben, damit es als Influencer qua des damit verbundenen, stilbildenden Einflusses zur Elite gezählt werden darf?

Kann man «Elite» definieren?

Eliten gibt es viele, in vielerlei Verbindung. Hinter «ElitePartner» verbirgt sich eine Online-Partnerbörse mit dem impliziten Versprechen, dass dort besser geküsst und geliebt wird: «Elite» als Marketingtrick, um das paarungswillige Publikum zu verführen. Nicht viel anders verhält es sich mit Eliteschulen, Eliteakademien, Eliteinternaten. Wer sich hier einschreibt, wähnt sich als Teil einer Auslese. Nur wovon genau? Was genau verstehen wir unter Elite? Ist es die begabte, aber arme Schülerin mit Einser-Zeugnis auf dem öffentlichen Gymnasium, oder ist es der reichere, dafür geistig weniger rege Nachbarjunge, dem sie Nachhilfe gibt, der aber eine private Schule besucht, die sich als Eliteinstitution gebärdet und jeden zum Abitur schleppt? Würde der Intelligenzquotient entscheiden, wäre das Urteil eindeutig. Aber gibt der wirklich den Ausschlag? Eher nicht, würde man meinen. Zumindest nicht allein.

Machen wir uns auf die Suche nach einer aktuellen, umfassenden Definition, so merken wir schnell: Diese eine, von allen anerkannte Umschreibung, die gibt es nicht. Was es gibt, sind unterschiedliche Konzepte, Annäherungen – und eine Gewissheit: Wer ungefragt von sich behauptet, er gehöre zur Elite, gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dazu.

Wenn wir, wie es naheliegt, mit der begrifflichen Suche bei den Soziologen beginnen, dann landen wir als Erstes in Darmstadt, bei Michael Hartmann, einem emeritierten Soziologieprofessor und ungebrochen gläubigen Marxisten, der den Beruf des «Eliteforschers» erst erfunden hat. Mitglieder der Elite sind laut seiner Definition «Personen, die qua Amt oder Eigentum in der Lage sind, gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen». Ähnlich formuliert es die Professorin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin: Als Elite versteht sie «Inhaber von Führungsfunktionen in zentralen gesellschaftlichen Bereichen. Diese Personen haben einen formalen Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Entscheidungen und Entwicklungen.» Ihre Forscher haben in der Republik durchgezählt und kommen auf exakt 956 Menschen, die absolute Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft bekleiden.

So eng wollen wir unsere Definition im Weiteren nicht fassen, die grobe Linie aber steht: Elite bedeutet Führung, Macht, meistens auch Geld. Sportler, Musiker und Showstars fallen somit heraus, selbst wenn sie ungeheuer vermögend sind und/oder über Millionen von Fans Einfluss ausüben – im strengen Sinn gehören sie nicht zur Elite, dazu fehlt es ihnen am «Amt», an der «formalen Macht». Im Folgenden orientieren wir uns an dem «deskriptiven, empirischen Elitebegriff» der Soziologen, wie ihn insbesondere Julian Nida-Rümelin geprägt hat. Danach lässt sich Elite folgendermaßen umschreiben: In fast allen Kulturen und Gesellschaften gibt es kleine Gruppen, denen es gelingt, sich in zentralen Macht- und Einflusspositionen zu etablieren, was oft mit Besitz verbunden ist. Diesen Menschen gelingt es, ihr Vermögen zu stabilisieren und möglicherweise an weitere Generationen zu vererben. «Das ist für eine demokratische Gesellschaft kein sehr sympathischer Elitebegriff», urteilt Nida-Rümelin, «aber es ist ein völlig legitimer, ein empirischer Elitebegriff, mit dem man forschen und zu dem man sehr viel untersuchen kann.» So also wollen wir es im Folgenden halten.

Wie die Nazis das Wort «Elite» in Verruf brachten

Wir haben bereits gesehen, wie unterschiedlich die Deutschen mit ihrer «Elite» umgehen, verglichen mit Franzosen und Briten. In Frankreich ist die Tradition der institutionalisierten Elitenausbildung ungebrochen. Die «Grandes Écoles» geben den Ausschlag, wer Zugang erhält zur Macht in Verwaltung, Wirtschaft und Politik: So wächst ein normiertes Führungspersonal heran, das zwischen den Bereichen hin und her wechselt.

Auch in Großbritannien sind die Klassen viel schärfer getrennt: Wichtig ist, auf welcher Schule oder Universität die Ausbildung absolviert wurde. Eton, Oxford, Cambridge, die London School of Economics – das sind die klingenden Namen, die führenden Elite-Zulieferer im britischen Königreich.

In Deutschland haben die Nationalsozialisten den Begriff verseucht, indem sie ihn für sich vereinnahmt haben: Die Vorstellung, dass eine kleine Elite über die Masse herrschen müsse, untermauerte ihre Führerideologie. Das Wort «Elite» wurde rassistisch besetzt: Im Dritten Reich entschied die arische Abstammung über den Werdegang. Seither gilt «Elite» als antidemokratisch und «elitär» als Schimpfwort.

Wer dazugehörte und der Auslese für würdig befunden wurde, wurde in Eliteschulen getrimmt. Gleichzeitig vernichteten die Nationalsozialisten Teile der Elite systematisch, im Film- und Showbetrieb etwa, und nicht nur dort muss man diesen Verlust bis heute betrauern. «Die urbane Intelligenz wurde bereits im Herbst 1933 zu einem großen Teil aus Deutschland vertrieben», schreibt der Historiker Heinrich A. Winkler.

Schauen wir uns also die Eliteeinrichtungen des Dritten Reichs näher an, die «Napolas», kurz für«Nationalpolitische Lehranstalten». Dort haben die Nazis die Jugend für ihren nationalen Sozialismus gedrillt, haben sie vorbereitet für den Eroberungs- und Vernichtungskrieg. «In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, unerschrockene, grausame Jugend will ich. So kann ich das Neue schaffen», ordnete Adolf Hitler an, im Wahn, eine «Herrscherelite» zu schaffen für sein Drittes Reich, für SS und Wehrmacht, «Herrenmenschen» im Nazi-Jargon, Unterdrücker und potenzielle Massenmörder.

Die Kaderschmieden der Nazis, zwischenzeitlich mehr als vierzig Internatseliteschulen, standen in der Tradition der preußischen Kadettenanstalt. Kadavergehorsam und Pflichterfüllung bis zum Letzten propagierten sie als Ideale. Wer dorthin wollte, wurde in einem strengen, mehrstufigen Verfahren ausgewählt. Gute Noten waren Pflicht, dazu körperliche Leistung, selbstverständlich auch ein «Arier-Zeugnis» sowie ein bestimmter Charakter: Stolz und selbstbewusst sollte der Nazi-Führungsnachwuchs heranwachsen. Die Jugendlichen wurden an der Schule hartem Drill unterzogen: Frühsport, paramilitärische Übungen (Schießen, Handgranatenwerfen) und Mutproben, Schindereien bis zur physischen Erschöpfung, dem «Totpunkt», an dem jener neue Mensch zum Vorschein kommen sollte, der den Nazis vorschwebte: «Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und schnell wie Windhunde.» Gegen Ende des Krieges gehörten viele der Napola-Zöglinge zum letzten Aufgebot Hitlers, von ihm verheizt im «Endkampf» um Berlin. Nach 1945 gelangten von den Überlebenden tatsächlich einige in einflussreiche Positionen, allen voran der spätere Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen, Jahrgang 1930, ausgebildet an der Napola Feldafing am Starnberger See. «Ich habe aus diesen Jahren keinen Schaden, sondern eine Menge an preußischen Tugenden mitgenommen, die mir im Leben weitergeholfen haben», wird der Bankier zitiert, der nach seinem gewaltsamen Tod zum moralischen Unternehmensführer aus einer besseren Zeit verklärt wurde.

Weitere Napola-Schüler waren der Fabrikant Heinz Dürr, später AEG- und Bahn-Chef, der Maler Horst Janssen, der spätere Chefredakteur der «Frankfurter Rundschau», Werner Holzer, und der Herausgeber der Wochenzeitung «Die Zeit», Theo Sommer: «Wir wurden zur Wehrhaftigkeit erzogen, wir wurden zur Lauterkeit erzogen, zu Rechtschaffenheit – und wir hatten ein Ideal», wird Sommer zitiert.

Das Comeback der Elite als Exzellenzuniversität

Seit der Nazizeit also tun die Deutschen sich schwer mit dem Elitebegriff, auch wenn es um die «Elitehochschulen» geht, mit denen andere Länder wie Amerika, Großbritannien, Frankreich sich brüsten – und um deren Ruhm und Ehre viele Deutsche sie beneiden.

Auch dem Land der Dichter und Denker stände eine Aushängeuniversität gut zu Gesicht. Eine, die auf der ganzen Welt berühmt ist, die man nur erwähnen muss, um Eindruck zu schinden. «Wow, Sie waren in Stanford!» – «Oh, Sie haben in Harvard studiert.» Oder in Paris, an der berühmten École Nationale d’Administration, kurz ENA. Ja, so eine «Grande École», das wäre was. Ein deutsches Oxford, ein deutsches MIT. Oder wenigstens ein deutsches Fontainebleau, aber nicht einmal das kann Deutschland bislang vorweisen, auch wenn die eine oder andere Business-School sich auf dem Weg dorthin wähnt.

Nun nennen die Begehrenswerten sich nicht nur «Elitehochschulen», es sind meist – zumindest in Amerika – auch noch private Einrichtungen, die ihren Studenten und deren zahlungskräftigen Eltern offen das Gefühl vermitteln: Wer es hierher geschafft hat, ist etwas Besonderes. Der gehört zu den Besten der Besten. Der zählt zur Elite, der erhält die beste Förderung, und das kostet eben.

In Deutschland aber sind die meisten Hochschulen in staatlicher Hand und kosten so gut wie nichts. Was also ist zu tun, wenn trotzdem ein Harvard entstehen soll? Welcher Politiker will einen Teil der Wähler mit einer Bildungsoffensive für die verhasste Elite verprellen? Wer will eine Eliteschule schaffen?

Erstaunlicherweise war es gerade die SPD, die es gewagt hat, den Deutschen mit Elitenförderung zu kommen. Im Januar 2004 trat der damalige Generalsekretär Olaf Scholz, später dann Bürgermeister in Hamburg, vor die Presse und verkündete, die Sozialdemokraten würden in Deutschland gerne «Eliteuniversitäten wie Harvard» errichten.

Seine Parteikollegin Edelgard Bulmahn, damals Bildungsministerin, machte sich fortan daran, den Wettbewerb unter den Universitäten anzuheizen. Zwei Milliarden Euro Fördermittel lobte sie dafür aus. Alle Hochschulen konnten sich um die öffentlichen Gelder bewerben. Im ersten Durchgang qualifizierten sich drei Hochschulen – die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Technische Universität München sowie in Karlsruhe das Institut für Technologie (KIT).

Nur hießen die Gewinner nicht «Eliteuniversität», sondern «Exzellenzuniversität». Die Sozialdemokraten hatten das böse E-Wort damit klammheimlich aus dem Verkehr gezogen. Vorausgegangen waren heftige innerparteiliche Kämpfe um den umstrittenen Begriff. Elite sei von Grund auf «unsozialdemokratisch», hatte etwa der Landesverband Nordrhein-Westfalen geschimpft. Die SPD stehe ganz im Gegenteil für «Chancengleichheit», für «die soziale Öffnung aller Hochschulen». Elitenförderung sei das Gegenteil.

Also musste das Vorhaben umgetauft werden. Aus «Elitenförderung» wurde die «Exzellenzinitiative» mit all seinen ungelenken Wortschöpfungen bis hin zum «Exzellenzcluster». Nur geholfen hat die neue Verpackung wenig. Ein Wolf im Schafsfell bleibt ein Wolf. Exzellenz draufschreiben, aber Elite meinen, den Trick haben die Elitengegner natürlich sofort durchschaut. Die kämpfen seither gegen die Reform an. Der Vorwurf: Die Hochschulen seien nun geteilt in «Elite» und «Nicht-Elite». Und natürlich bevorzugen Studenten und Professoren sowie Förderer und Drittmittelgeber die Eliteeinrichtungen. Deshalb benachteilige die Förderung einzelner Universitäten all jene Schulen, die das Siegel nicht erhalten. Die «Frankfurter Rundschau» schrieb dazu: «Im Schatten der Sieger steht nun eine Gruppe von Verlierern, denen nach und nach die Argumente für ihre Existenz ausgehen könnten.» Das alles führe zu einem «Zweiklassensystem» in der Bildung. Und dieser Vorwurf ist ein sicheres Totschlagargument in Deutschland! Auf der einen Seite steht die elitäre Spitzenforschung, auf der anderen eine mittelmäßige Massenausbildung. Oder um den Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann zu zitieren: «Während die traditionellen Universitäten zu mehr oder weniger berufsqualifizierenden Ausbildungsgängen mit knappen Ressourcen heruntergewirtschaftet worden sind, rettet sich die halbierte humanistische Universitätsidee in die aus dem neoliberalen Geist des Wettbewerbs geborene Elitekonzeption.»

So weit wird es allerdings, wie wir heute wissen, nicht kommen. Schon in der zweiten Runde der Exzellenzinitiative ist die Große Koalition dazu übergegangen, das Geld eher gießkannenartig über Dutzende von Projekten und Clustern zu verteilen. Ab 2018 sollen pro Jahr 500 Millionen Euro bereitstehen, für etwa fünfzig verschiedene Universitäten, Forschungsverbünde oder Einzelprojekte. Da kann die Elitekonkurrenz aus Amerika nur milde lächeln.

«500 Millionen Euro – das entspricht dem jährlichen Budget einer unserer sieben Fakultäten», mokierte sich 2016 der damalige Stanford-Rektor John Hennessy. «Wenn Sie in Deutschland wirklich Exzellenz fördern wollen, müssen Sie sich verabschieden von der Vorstellung, dass alle Universitäten in etwa gleich gut sind und ähnlich viel Geld bekommen sollten. Sie müssen akzeptieren, dass die Gruppe der wirklich großartigen Weltuniversitäten begrenzt ist und auch bleiben wird.» Adieu, Stanford. Adieu, Harvard.

3Elite auf dem Gipfel

Der Homo Davosiensis

Der Gipfel ruft: Jedes Jahr, Mitte Januar, reisen die Großen und Wichtigen aus Politik und Wirtschaft nach Davos, dem Graubündener Skiort, 1560 Meter hoch gelegen und beileibe keine Schönheit. Kluge, Reiche, auch Schöne treffen sich hier. Wirtschaftsführer und Wissenschaftler, garniert mit Ministern und Regierungschefs im Dutzender-Pack, aufgelockert und abgeschmeckt mit etwas Künstlervolk, den Bonos und Paulo Coelhos dieser Welt.

Wer hier erwartet wird, hat es geschafft, er ist Teil der globalen Elite, für die ein eigener Gattungsbegriff gefunden wurde: der «Davos-Mensch». Und egal, wie die Welt sich dreht, diese Gattung Mensch hält sich wacker. Wer genau ihn erschaffen hat, ist strittig, der liebe Gott warʼs jedenfalls nicht. Der Name stammt entweder von dem Ökonomen Paul Krugman, Amerikaner und Nobelpreisträger, oder dem Politologen Samuel Huntington, so viel ist klar.

Rudelweise fällt der Davos-Mensch in die Schweizer Berge ein, aus allen Teilen der Welt. Zweieinhalbtausend Exemplare sind es insgesamt, wie anhand der Erkennungsmarken, um den Hals baumelnde Namensschildchen aus Plastik, leicht nachzuzählen ist. Drei Dutzend Staats- und Regierungschefs hängen die sich für gewöhnlich um, etliche Nobelpreisträger und noch viel mehr Milliardäre, mehr als eintausend Konzernchefs marschieren vermummt während dieser Tage durch die Straßen des Ortes (man mag es kalt), altes Geld trifft junge Disrupter. «Disruption» hält sich übrigens seit mehreren Saisons als Modewort auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF), das inzwischen selbst zur Marke geworden ist. Der Gründer des Ganzen, Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab, 1938 in Ravensburg geboren, taxiert den Markenwert auf «zwischen einer und zwei Milliarden Euro». Nur hat er selbst nichts davon: Das WEF ist als Stiftung organisiert, Schwab als Präsident darf nicht mehr verdienen als der höchstbezahlte Staatsdiener in der Schweiz. Das ist der Präsident der Notenbank, so wollen es die Gesetze der Eidgenossen. Hungern muss der Zeremonienmeister der Weltelite natürlich trotzdem nicht.

Die von ihm alljährlich zusammengetrommelte Gattung ist es, die den Fortschritt und Wohlstand auf dem Planeten am Laufen hält oder den Globus zugrunde richtet, je nach Ideologie. Geboren wurde die Spezies einst aus dem anthropologischen Bedürfnis, einen Begriff zu finden für die «wurzellosen Kosmopoliten» (Paul Krugman), die den Takt in der Weltwirtschaft angeben, jene Menschen also, «welche die Revolutionäre als Erstes an die Wand stellen würden», wie der Nobelpreisträger im Scherz gemeint hat. Lustiger klingt nur noch, wie Nordkorea die Spezies abgekanzelt hat: Davos sei die jährliche Zusammenkunft westlicher Plutokraten, die zur Belustigung einer verkommenen Oberschicht Zwerge und Narren durch die Manege treibe, so der O-Ton der nordkoreanischen Nachrichtenagentur. Wohl dem, der solche Gegner hat.

Generell gilt für den Davos-Menschen: Der Typ ist anpassungsfähig, was die Voraussetzung dafür ist, als Art zu überleben – und Auftrag an den Beobachter, seine Wandlungen zu erforschen.

Ganz wichtig: Davos-Mensch ist nicht gleich Davos-Mensch. Vor einem halben Jahrhundert, als er zum ersten Mal aufgefallen ist, sah er anders aus, er fühlte anders, er benahm sich anders. Zum natürlichen Feind erwuchs ihm damals der «Seattle-Mensch» als Prototyp des Globalisierungsgegners. Der legte mit Gewalt 1999 eine Welthandelskonferenz in Seattle lahm und mag seither in den Genen des Anti-TTIP-Aktivisten fortleben, dem Freihandelsgegner unserer Zeit. Vor Ort aber, im Stammgebiet des Davos-Menschen, ist der Seattle-Mensch verschwunden, ausgestorben. Die Protestler sind müde. Das Jahr 2016 markierte den Einschnitt, als zum ersten Mal in der WEF-Geschichte keine Gegendemonstration angemeldet wurde, keine einzige, nachdem der Protest in den Jahren zuvor schon zur routinierten Folklore verkommen war. Den Globalisierungsgegnern gehen die Gegner aus. Grenzen und Protektionismus fordern jetzt auch andere. Allen voran Amerikas Präsident Donald Trump, der 2018 zu seiner «America First»-Tour mit großem Gefolge in Davos eingeflogen ist, um sich vor der Elite zu präsentieren, gegen die er für gewöhnlich polemisiert. Der Davos-Mensch hat noch jeden Gegner zu sich auf die Bühne geholt.

Die Welt zu retten, das ist der offizielle Auftrag. Konkret heißt das, grün zu sein. Und das bedeutet in Davos zunächst einmal, dass sich die Limousinen an einem Stand Ökoplaketten abholen müssen, bevor sie sich im Stop-and-go-Tempo durch das Bergdorf schieben. Es bedeutet aber auch, dass Klimawandel, Nachhaltigkeit und sonstiges ökologisch korrektes Gedöns auf den Bühnen des Forums so lange munter durchbuchstabiert werden, bis selbst WWF und Greenpeace die Spucke wegbleibt.

Nein, die Feinde des Davos-Menschen sind nicht mehr die Seattle-Menschen, es sind nicht die westlichen Mittelschichtskinder, die McDonaldʼs und Coca-Cola hassen und in gelegentlichen antizivilisatorischen Wallungen die Fensterscheiben multinationaler Konzerne zertrümmern. Der wahre Gegner des Davos-Menschen geht auch nicht brav aufs Amt, um Demos anzumelden. Wenn, dann sind es die IS-Terroristen, die ihn bedrohen, die Gotteskrieger, die gegen alles kämpfen, was dem Davos-Menschen etwas bedeutet: Freiheit, Unternehmertum, eine offene, global vernetzte Gesellschaft. Dass die Terroristen dabei auf die Techniken des vorgeblichen Feindes zurückgreifen, stört sie nicht. Facebook, WhatsApp, Twitter nutzen alle gleichermaßen, in dieser Hinsicht hat sich die Welt wirklich globalisiert.

Die Angst vor Terroristen sitzt dem Davos-Menschen im Nacken. Der Islamische Staat landet in Umfragen zu den Gefahren, die Manager umtreiben, regelmäßig unter den Top Five. Deshalb hat die Schweiz die Sicherheitsvorkehrungen hochgefahren, in Davos wie auch an anderen neuralgischen Orten. Armee und Polizei prüfen die Autos, die sich dem Skiort nähern, in jüngerer Vergangenheit deutlich strenger. Vor dem Kongresszentrum werden Betonsperren aufgebaut, damit kein Selbstmordattentäter mit dem Auto hineinrasen kann. Auf den Dächern der Hotels postieren sich Scharfschützen. Im Himmel drehen Helikopter ihre Runden. Alles wirkt heute eine Spur martialischer als in früheren Jahren.

Hinter den Sicherheitskontrollen freilich nimmt der Zirkus alljährlich den gewohnten Lauf. Auf Podien diskutieren sie die industrielle Revolution und die Roboter der Zukunft (womöglich bedenklich), das Auf und Ab der Börsen (halb so schlimm), das Ende des klassischen Bankings (kommt!) und den medizinischen Fortschritt (dank Digitalisierung auf einem guten Weg). Große Fragen werden behandelt, Krieg und Frieden etwa, schlagzeilenträchtige Konflikte sowieso: Brexit, Katalonien, all diese Sachen. Und in Person von Deutsche-Bank-Chef John Cryan hat der Davos-Mensch schon mal das Ende des Bargelds ausgerufen.

Der Davos-Mensch selbst zahlt ohnehin mit Kreditkarte, am besten mit der goldenen. Die Preise für Hotels sind sagenhaft unverschämt, vermittelt werden die Zimmer von den Veranstaltern zentral, in bester planwirtschaftlicher Manier. Auch die Share-Economy reagiert sehr sensibel auf die Kräfte des Marktes: Knappes Angebot trifft auf übermäßig zahlungsbereite Kunden, das ergibt Mondpreise. Wer es partout darauf anlegt, günstiger wegzukommen, landet womöglich im Kinderzimmer einer Schweizer Familie, welche die Chance zur persönlichen Umverteilung beim Schopfe gepackt hat: Das Walt-Disney-Bettzeug wird der sparsame Konzernchef so schnell nicht vergessen. Dafür war das Bier im Kühlschrank gratis.

Der Davos-Mensch schluckt die Preise, leicht murrend, er kalkuliert schließlich anders. Der Trip in die Berge rechnet sich dank des geschäftsfördernden Speed-Datings für Manager in den Hotels in Laufnähe zum Konferenzzentrum. In zweckentfremdeten Einzelzimmern oder fensterlosen Abstellkammern knüpfen sie Kontakte, besprechen Karrieren. Immer unter vier Augen, alles im Halbstundentakt, dann ist der Nächste dran. Fünfunddreißig bis vierzig Termine an drei Tagen, so viel schafft der geübte Davos-Mensch. Das erfordert Disziplin («Kein Bullshit, kein Powerpoint») – und ist höchst effizient. Effizienz ist schließlich das, was diese Gattung liebt.

Streng genommen verteilt sich die Spezies auf zwei Lebensräume, gibt es Davos also in doppelter Ausführung: das offizielle Forum, wo viel von Ethik und Moral die Rede ist, und daneben das schöne Geschäft. Nur durch einen braunen Vorhang abgetrennt, beginnt direkt im Konferenzzentrum, in den sogenannten Partner-Lounges, die Networking-Zone, in den besseren Hotels sind ganze Flure für solche «private meetings» gebucht.

Von morgens um sieben bis Mitternacht läuft die Maschinerie; vom Arbeitsfrühstück bis zu Dinner und «Night Cap» genannten Empfängen, zwischen denen der Davos-Mensch eifrig hin und her rauscht. An der Zahl der Einladungen zu exklusiven Events ist die Rangordnung innerhalb des Rudels abzulesen. Putzig zu sehen, wie Alphatiere dabei untereinander wetteifern, wenn etwa überehrgeizige Minister aus Berlin in die Alpen fliegen, um sich gegenseitig auszustechen. Wer bringt es auf mehr Gespräche mit noch Wichtigeren: Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) war darin ein Meister, Ursula von der Leyen (CDU) müht sich redlich, indem sie Topmanager zum Tee bittet.

Der geübte Davos-Mensch reagiert sensibel auf Verschiebungen im Machtgefüge. So nahm er 2018 sofort zur Kenntnis, dass Angela Merkels Rede spärlicher als sonst besucht war. Die Kanzlerin hatte stets vor vollem Haus gesprochen. Ist also Emmanuel Macron der neue starke Mann in Europa? Größeren Auftrieb als der junge Hoffnungsträger aus Paris verursachte nur Donald Trump mit seiner Rede, die dann allerdings, da war die Weltelite sich einig, merkwürdig blass blieb. Kaum verbale Ausraster (außer gegen die versammelte «fake news»-Presse), keinerlei Beleidigungen anderer Staatsmänner oder Völker. Stattdessen nur Eigenlob in einer Endlosschleife und ein Fazit, das geradezu versöhnlich anmutete: «America first does not mean America alone.»

Wer karrieretechnisch schon auf Schussfahrt ins Tal donnert, bekommt in Davos die unerfreuliche Bestätigung: Für solche Leute, angehende Verlierer, hat die Elite ein feines Gespür. «Meide Unglückliche und Glücklose», rät Management-Experte Robert Greene in seinem Klassiker «Power». «Glücklose ziehen das Unglück an, und sie werden es auch über Sie bringen», heißt das zehnte von seinen achtundvierzig Gesetzen der Macht. Welcher Topmanager mag sich mit einem angezählten Minister zeigen, der womöglich demnächst von der eigenen Partei gemeuchelt wird?

Falls ein Konzernchef diese Mechanismen nicht selbst durchschaut, so hat er seine wachsamen PR-Strategen, die zur Vorsicht raten, wem man die Hände schüttelt und wem besser nicht: «Das könnte unschöne Fotos mit einem Loser geben.» Vermutlich auch die Letzten, denn Karriereknick oder Pensionierung bedeuten das Ende der Einladung. Der Davos-Mensch steht auf dem Zenit seiner Macht. Er fühlt sich als Elite. Und so benimmt er sich auch, «manche mit mehr Recht, andere mit weniger», spottet ein deutscher Konzernlenker über Mittouristen, die arg dick auftragen.

Die Woche Davos ist wohlgemerkt ein anstrengender Sport, schon körperlich: Der Davos-Mensch braucht gute Kondition und wenig Schlaf. «Schlafen kann ich, wenn ich wieder zu Hause bin», hat Jürgen Großmann einst als Losung ausgegeben. Der Riese Großmann, Selfmade-Milliardär und ehedem Chef des Energiekonzerns RWE, ist mit seinem Vollbart und der dröhnenden Stimme schon äußerlich ein Davos-Urahn. Über viele Jahre war er ein zuverlässiger Gastgeber seines Hummer-Dinners, zu dem die deutschsprachige Ausprägung des Davos-Menschen sich zusammenrottete. Gereicht wurde der Hummer im Holzhüttenflair, die Decke war niedrig, sodass man ständig fürchtete, Großmann, dieser Koloss von Unternehmer, schlage sich gleich den Kopf an.

Großmann hat inzwischen Platz gemacht für den Alibaba-Chef Jack Ma, der nun zu der Zeit seine auserlesenen Gäste bewirtet. Die Schar ist deutlich internationaler als Großmanns Runde, sehr hochkarätig, mit Christine Lagarde an Mas Seite.

Insgesamt wird der Davos-Mensch jünger. Andere Typen tauchen auf, mit anderen Berufswegen: wagemutige Kerle, hochklassig ausgebildet, deren Ehrgeiz nicht auf einen Vorstandsposten in einem Großkonzern zielt. Diese Leute haben mit Anfang dreißig ein halbes Dutzend Firmen gegründet. Die eine oder andere davon ist zwar längst bankrott gegangen, die eine schlagende Idee aber, so berichten sie aufgekratzt, verkaufen sie gerade für eine Milliarde an einen der Giganten – nennen wir ihn Google oder Amazon.

Ausschweifungen gönnt sich der Davos-Mensch nur in Maßen. Achtsamkeit ist Trumpf, gegenüber dem eigenen Körper wie auch gegenüber der gesamten Schöpfung. Man achtet auf sich, auf eine gesunde Ernährung, auf Sport und Bewegung. Man ist schlank, durchtrainiert, versiert in Meditation. Der moderne Davos-Mensch beginnt seinen Gipfeltag mit einer halben Stunde davon, undenkbar für seine Vorfahren. Die Kurse des amerikanischen Meditationsgurus Jon Kabat-Zinn sind derart überbucht, dass schon eine halbe Ewigkeit vorher anrücken muss, wer mitmachen will. Wer später kommt, steht vor verschlossener Tür. Doch auch das hindert den Davos-Menschen nicht an der Einkehr ins Ich. «Dann meditieren wir einfach spontan hier zusammen», beschließen die Nachzügler, setzen sich im Schneidersitz auf den Boden, entledigen sich der Schuhe und schließen die Augen.

Später am Tag taucht der Davos-Mensch fast immer mit Smartphone am Ohr und Laptop auf den Knien auf. Das ist ziemlich neu. Noch bis vor kurzem war es in Davos ausdrücklich untersagt, elektronische Geräte zu nutzen, solange die Debatten liefen. Nebenher Mails zu checken galt als unhöflich. Mit dem Handy zu fotografieren, Inhalte nach draußen zu mailen war verboten. Jetzt aber werden Selfies geschossen, der Davos-Mensch twittert, was das Zeug hält. Elektronische Tafeln zeigen an, wessen Gezwitscher die höchste Aufmerksamkeit erregt. Bill Gates ist in diesem Wettbewerb nur schwer zu schlagen. Allenfalls von Sheryl Sandberg, der Topmanagerin von Facebook – ein neuer Star der Gattung, aber auch eine Ausnahme.

Außer Konkurrenz, auch in der Twitter-Hitliste, läuft @realDonaldTrump, der jedes Mal ein Selfie-Gewitter auslöste, wenn er irgendwo auftrat. Ein vor Macht strotzender Fremdling, der zum Dinner fünfzehn europäische Konzernchefs verspeiste, als die wie Schuljungen aufsagen durften, wie toll sie ihn finden und wie viele Milliarden sie deshalb in Amerika investieren.

Der Davos-Mensch ist, das muss man leider festhalten, in seiner überragenden Mehrheit männlich, auch wenn er liebend gerne weiblicher wäre. Diversity und Gleichberechtigung sind schon seit einigen Jahren Lieblingsthemen auf dem WEF. Sheryl Sandberg, Marissa Mayer (ehemals Yahoo) und Christine Lagarde (IWF) stürmen unermüdlich die Bühne und rufen ihre Artgenossinnen dazu auf, es ihnen gleichzutun. Sich reinzuhängen, sich ins Männerrudel zu drängen, Leittier zu werden. Der Davos-Mann nickt dazu brav, unterschreibt alle Studien, die nahelegen, dass Frauen die besseren Chefs – und natürlich Menschen – sind. Und doch stagniert der Anteil der Davos-Frauen bei knapp 20 Prozent. Der Gipfel ändert nichts daran, wie die Dinge nun mal sind: Die Mehrheit der CEOs ist männlich. Und damit auch die Mehrheit der Gipfelstürmer. Da helfen weder die Initiativen der Davos-Organisatoren noch die Aussicht auf Rabatt, der Konzernen gewährt wird, wenn sie mehr Frauen in ihren Delegationen mitschicken. Der Fortschritt bricht sich hier nur mühsam Bahn, allein das schlechte Gewissen der Männer wird von Mal zu Mal größer. Das Gattinnen-Programm, früher ein Highlight für die stolze Ehefrau, die ihren Alpha-Gatten in die Berge begleiten durfte, wurde umbenannt in ein genderneutrales «Outdoor-Programm» und zudem rigoros zusammengestrichen. Die Partnerinnen, meist gut ausgebildet und selbstbewusst, verbieten es sich heute, wie früher zu Kaffeefahrten und Shoppingtouren ins nahe gelegene St. Moritz geschickt zu werden. Lieber freuen sie sich an der intellektuellen Inspiration, die ihnen die mehr als dreihundert mit Koryphäen besetzten Panels bieten, und an einer mit dem Mann gemeinsam verbrachten Woche in den Bergen.

Dies erklärt, warum der Davos-Mensch auch in Paaren auftritt. Unter all den Wichtigen, die einen Manager von Welt umgeben, das hat Initiator Schwab schlau erkannt, ist seine Ehefrau keineswegs die Unwichtigste. Im Gegenteil! Wohl zu keinem anderen Anlass dieser Güte strömt so viel Begleitung wie zum Weltwirtschaftsforum. Nie rückt der familiäre Anhang der globalen Elite enger zusammen als jedes Jahr Mitte Januar in Davos.

Der Milliardär bringt seine treue Gefährtin mit, der Hagestolz seine jüngste Trophäe, distinguierte, reifere Damen schweben durch den Ort, getragen von einer Wolke der Wichtigkeit ihres Gatten. Etwa jeder Dritte fliegt mit Gattin ein. Viele indische Manager sind ohnehin gern in größeren Familienverbänden unterwegs, auch Amerikanerinnen vergnügen sich offenbar mit Vorliebe in den Alpen. Und für deutsche Topmanager bietet Davos eine der raren Gelegenheiten, Ehe und Dienst miteinander zu verknüpfen. Auf gewöhnlichen Geschäftsessen hat die Ehefrau so wenig zu suchen wie in Aufsichtsratssitzungen und Bilanzpressekonferenzen. Auf Geschäftsreisen nach China und anderswohin geht es mit dem persönlichen Stab samt Assistentin, nie aber mit der eigenen Frau.

Der Davos-Mensch zieht die meiste Zeit des Jahres einsam seine Kreise. Vom Urlaub abgesehen, verbringt er selten so viel Zeit mit seiner Gattin wie in dieser Woche im Schnee in Davos. «Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt fünf Nächte am Stück mit meiner Frau in einem Bett geschlafen habe», gesteht ein führender Chemiemanager. Und endlich lernt die Gattin auch leibhaftig den Aufsichtsrat und den Konkurrenten des Mannes kennen, von denen zu Hause nur als «Lowbrainer», «Versager» und «Fiesling» die Rede ist.

Was also, wenn der tiefere Sinn des Gipfels einzig darin besteht, dass die Davos-Männer eine Woche lang der Gattin vorführen, wie toll und wichtig sie sind? Solche ketzerischen Gedanken sind durchaus zu vernehmen, die Lästermäuler unter den Davos-Veteranen behaupten dies allen Ernstes. «Unsinn», widerspricht die selbstbewusste Chef-Gattin: «Um zu sehen, wie toll mein Mann ist, muss ich nicht extra in die Schweiz fahren.» Der Davos-Mensch, der zu Hause mit den Kindern spielt, und der Konzernlenker, der im Büro die Mitarbeiter erzieht, gehörten zwei völlig unterschiedlichen Gattungen an. «Das sind verschiedene Rollen, verschiedene Männer», sagt die Vorstandsgattin.