The Deutsche - Georg Meck - E-Book

The Deutsche E-Book

Georg Meck

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Beschreibung

Für die Deutsche Bank hat eine neue Zeit begonnen: Die Investmentbanker geben den Takt vor und das hat gravierende Folgen, für die internationale Rolle der Bank und für ihre Verankerung in Deutschland. Wer ist Anshu Jain, Star der Londoner Bankenwelt, der sich und seine Getreuen so konsequent positioniert, wie gefährlich ist der neue Kurs? Wird das deutsche Traditionshaus zur Zockerbude? Was bedeutet der Kulturbruch für die Kunden hierzulande und was für das Verhältnis zum Kanzleramt und zu den Konzernspitzen? Georg Meck, F.A.S.-Wirtschaftsredakteur und Deutsche-Bank-Kenner, porträtiert den neuen Vorstand und beschreibt die ersten Akzente nach der Machtübernahme. Ein spannender Einblick und die aufschlussreiche Bilanz der ersten 100 Tage der neuen Führung.

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Georg Meck

The Deutsche

Investmentbanker an der Macht:Wohin geht die Deutsche Bank?

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Für die Deutsche Bank hat eine neue Zeit begonnen: Die Investmentbanker geben den Takt vor und das hat gravierende Folgen, für die internationale Rolle der Bank und für ihre Verankerung in Deutschland. Wer ist Anshu Jain, Star der Londoner Bankenwelt, der sich und seine Getreuen so konsequent positioniert, wie gefährlich ist der neue Kurs? Wird das deutsche Traditionshaus zur Zockerbude? Was bedeutet der Kulturbruch für die Kunden hierzulande und was für das Verhältnis zum Kanzleramt und zu den Konzernspitzen?

Georg Meck, FAS-Wirtschaftsredakteur und Deutsche-Bank-Kenner, porträtiert den neuen Vorstand und beschreibt die ersten Akzente nach der Machtübernahme.

Ein spannender Einblick und die aufschlussreiche Bilanz der ersten 100 Tage der neuen Führung.

Über den Autor

Georg Meck, Diplom-Volkswirt, ist stellvertretender Ressortleiter Wirtschaft sowie »Geld & Mehr« der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Für die dort geschriebenen Unternehmer- Porträts erhielt er im Jahr 2002 den Quandt-Medienpreis. Er ist einer der wenigen, die mit allen Akteuren in der Deutschen Bank einzeln gesprochen haben, von Ackermann über Jain bis zu Fitschen und den neuen Aufsichtsräten.

Inhalt

Vorwort

Der Aufgalopp: Mit einer Kulturrevolution an die Weltspitze

Ein Inder und die Deutschen: »Uij, ist der süß«

Herkunft und Werte: Was hat Anshu Jain geprägt?

Eltern, Freunde und die große Liebe

Der Jainismus, die Religion der Vorfahren

Alle gegen einen: Investmentbanker unter Feuer

Der Hass auf die »Bankster«: Sind Banker böse?

Von Händlern und Haudegen

Das Risiko eines schlechten Rufs: Die Klagewelle gegen die Deutsche Bank

Der Angriff auf die Boni: Die Aktionäre rebellieren

Die Angelsachsen kommen: »The Deutsche« wird Investmentbank

Der Spätstart mit dem Kauf von Morgan Grenfell

Der interne Kulturkampf: London versus Frankfurt

Der Pakt zwischen Josef Ackermann und den Investmentbankern

Mit Bankers Trust an die Wall Street

London sabotiert die Fusion mit der Dresdner Bank

Der tragische Tod von Jains Lehrmeister Edson Mitchell

Eine Karriere in London: Anshu Jains Weg an die Spitze

Der 200-Millionen-Mann: Superstar Anshu Jain

Das komplizierte Erbe: Die Gegenwehr des Josef Ackermann

Die Stabübergabe

»A« gegen »B«: Die Geschichte eines Putschversuchs

Was bleibt von Josef Ackermann?

Der holprige Start: Eine Schlammschlacht ohnegleichen

»Dr. No« und andere Pannen

»Mich gibt es gar nicht«: Die Rolle der Einflüsterer

»Anshus Army«: Das neue Team

Soldaten oder Sardinen? Die Lehre vom Schwarm

Der engste Machtzirkel: Eine Multikulti-Truppe

Die Doppelspitze oder: Wer ist der Bestimmer?

Die Legende vom gleichberechtigten Doppelpack

Wo ist Fitschen?

»Boring ist the new sexy«: Paul Achleitners Programm

Welche Bank darf’s denn sein? Die Strategie der neuen Herren

Anshu Jains Schwur: »Die Deutsche Bank ist eine Universalbank«

»Zerschlagt die Deutsche Bank«: Die Debatte um Trennbanken gewinnt an Fahrt

Die Macht der Privatkunden

Der Abschied von den magischen 25 Prozent: Ein Ausblick

Chronologie: Die Deutsche Bank und Anshu Jain

Dank

Literatur

Personenregister

»Wenn schon jagen, dann Nashörner«

Bengalisches Sprichwort

Vorwort

Am 1. Juni 2012, einem sonnigen Freitag, hat Anshu Jain, ein Inder mit britischem Pass, die Führung in der Deutschen Bank übernommen: ein Kulturbruch, ein Experiment, abgemildert einzig durch die Tatsache, dass ihm mit Jürgen Fitschen ein der Tradition verpflichteter Co-Chef zur Seite gestellt wird.

Für Deutschlands einzige Bank von Weltrang beginnt damit eine neue Zeit: Die Investmentbanker angelsächsischer Provenienz geben nun den Takt vor in den Frankfurter Doppeltürmen. Das weckt erst mal den Argwohn des Publikums: Wer ist dieser Inder an der Spitze? Wie riskant ist der Kurs der Investmentbanker wirklich? Und was bedeutet das für die Verankerung der Bank in Deutschland?

Denn: »The Deutsche« oder schlicht »Deutsche«, wie sie im Angelsächsischen bisweilen genannt wird, ist eine besondere Bank für die Deutschen, ihr aller Baby. Im Jahr 1870 auf »Allerhöchsten Erlass Seiner Majestät des Königs von Preußen« gegründet, zieht sie mehr Stolz, aber auch mehr Hass auf sich als jede andere Firma im Land. Ihre Chefs sind, zu jeder Zeit, mehr als gewöhnliche Manager: entweder Held oder Buhmann – Mittelmaß selten.

Die Deutsche Bank steht für Deutschland (das Vermögen in ihrer Bilanz, zwei Billionen Euro, entspricht gut 80 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts) – und sie profitiert von Deutschland: Draußen in der Welt, an den Märkten, genießt sie mehr Vertrauen, weil sie Europas stärkste Volkswirtschaft im Rücken hat. Die Bundesrepublik Deutschland steht im Zweifel für sie gerade: »Implizite Staatsgarantie« heißt das Stichwort.

Wenn eine Bank systemrelevant ist für Deutschland, dann »the Deutsche«: Patzt Anshu Jain, muss ihn im Zweifel der Steuerzahler rauspauken. Auf wen also lassen wir uns mit ihm ein, als Kunden, Aktionäre, Steuerzahler? Aus all diesen Fragen entstand die Idee für dieses Buch.

Es ist ein heikler Zeitpunkt, einem Investmentbanker – und ein solcher ist Anshu Jain mit Leib und Seele – die Gesamtverantwortung für einen Konzern wie die Deutsche Bank zu übertragen: Noch nie war der Berufsstand so in Verruf. Im täglichen Gespräch, bisweilen sogar im Bankenviertel, wird »Investmentbanker« als Schimpfwort gebraucht. Die Politik will die Banken an die Kandare nehmen, eine Trennung von Investmentbanking und Privatkundengeschäft wird gefordert. Das bedeutet: eine Zerschlagung der Deutschen Bank.

Auf den folgenden Seiten wird der Aufstieg Jains und damit verbunden der grundlegende Wandel der Deutschen Bank zur globalen Investmentbank nachgezeichnet: Sie tritt draußen anders auf, als es das traditionelle Bild vom Bankbeamten nahelegt, der in seiner Filiale Kredite an Häuslebauer und Mittelständler vermittelt: Angriffslustig, wenn nicht sogar aggressiv ist diese neue Art von Banking. Für das behäbige Filialgeschäft hatten ihre Vertreter, Jains Gefolgsleute in London, lange wenig übrig außer Verachtung. In diesem Buch wird die Strategie der Investmentbanker hinterfragt. Welche Strategie verfolgt Jain heute mit seinem Doppelpartner Fitschen, wie stellt er sich zu Politik und Gesellschaft, und was bringen seine Pläne für Deutschland als Finanzplatz, für die Deutsche Bank selbst, für ihre Kunden und Mitarbeiter?

Anshu Jain wollte dieses Buch nicht. Er hat sich gegen das Projekt gesträubt. Er sei zu frisch im Amt, war die erste Reaktion, eine Würdigung seines Lebens komme zu früh. Tatsächlich ist Anshu Jain – mit nicht einmal 50 Jahren – deutlich zu jung für eine Festschrift, nicht aber für eine journalistische Annäherung an diesen außergewöhnlichen Banker, der Außerordentliches vorhat mit der Deutschen Bank.

Georg Meck

Frankfurt, im September 2012

Der AufgaloppMit einer Kulturrevolution an die Weltspitze

Ende Januar 2012, Davos: Das »World Economic Forum« feiert seine 42. Auflage. Wie in allen Jahren zuvor geht es darum, die Welt, also den Kapitalismus, ein bisschen besser zu machen. Auch sonst bietet der Skiort das übliche Bild: Schnee, Stacheldraht, Staatsmänner, die im Helikopter einfliegen. Am Boden demonstrieren Limousinen des Sponsors Audi der Kernzielgruppe die Vorzüge des Allradantriebs.

Nur eines ist anders als sonst: In der Deutschen Bank läuft sich eine neue Führung warm, die sich in Davos zum ersten Mal gemeinsam dem Publikum zeigt – die drei Neuen als harmonisches Trio beim fröhlichen Netzwerken, als da wären: Anshu Jain, Sohn eines indischen Regierungsbeamten, Jahrgang 1963, ein Weltstar unter den Investmentbankern, und Jürgen Fitschen, 1948 auf einem Bauernhof in Hollenbeck nahe Buxtehude geboren, ein Gentleman-Banker alter Schule, seit 25 Jahren in der Deutschen Bank.

Zusammen bilden sie die Doppelspitze, mit Paul Achleitner, dem dritten Neuzugang, wird daraus ein Triumvirat: Der Österreicher, Jahrgang 1956, Sohn eines Bankangestellten, wurde einst als Goldman-Sachs-Banker reich, dann als Allianz-Vorstand berühmt, jetzt widmet er sich als Aufsichtsratsvorsitzender hauptberuflich der Deutschen Bank.

Das erste gemeinsame Foto der drei, aufgenommen spätnachts auf der »Night Cap«-Party des Verlegers Hubert Burda in Davos, drucken fast alle Zeitungen. Wer genau hinschaut, erkennt im Hintergrund die Gattinnen: Geetika Jain, Ann-Kristin Achleitner und Friederike Lohse, die Frau von Jürgen Fitschen. Auch sie führen sich ein, flanieren über die Promenade durch den Skiort.

Anshu Jain kennt den Auftrieb, er ist Stammgast in Davos (»Ich komme seit Jahren hierher«). Seine Frau Geetika, Buchautorin und freie Journalistin, berichtet in ihren Reisekolumnen von dem Gipfel in den Graubündener Bergen, 1560 Meter über dem Meeresspiegel.

Die Klugen, Reichen und Schönen treffen sich hier jedes Jahr Ende Januar – mehr als 2500 Menschen, die sich zur globalen Elite zählen: Wirtschaftsführer und Wissenschaftler, garniert mit Ministern im Dutzenderpack, aufgelockert und abgeschmeckt mit etwas Künstlervolk, den Bonos und Paulo Coelhos dieser Welt. Altes Geld, vertreten durch die Wallenbergs aus Schweden oder die Porsches/Piëchs, trifft auf junge Internetmilliardäre. Dazwischen streunen die Investmentbanker umher. In besseren Zeiten, also vor Lehman, haben die Typen aus Amerika die Szenerie beherrscht. Dann haben sie den Ort wohlweislich kurz gemieden, aus Furcht vor Fotos mit Champagner und Austern – das wäre bei ihren Rettern, den Steuerzahlern zu Hause, schlecht angekommen. Etliche Banken waren gekippt, der Ruf der Spitzenleute hatte gelitten.

Nun sind die Investmentbanker wieder da, aber ihr Auftritt gerät eine Spur zurückhaltender. Es locken einfach zu viele Deals, zu viel Geld, etwa von den vermögenden Clans aus den Schwellenländern, die hier samt Großfamilie anrücken: aus Indien die Mittals, die in Stahl und Mode machen, die Tatas, die neben Autos alles Mögliche machen, oder die nicht minder eifrigen Mahindras.

Das wahre Zentrum dieses Speed Datings für Manager findet sich ein paar Minuten Fußweg vom Kongresszentrum entfernt, im Grandhotel Belvédère, bewacht vom Militär, angestrahlt in den Farben der jeweiligen Konzerne, die dort gerade ihre Partys abhalten: Google ist ein beliebter Gastgeber, McKinsey auch.

Die Deutsche Bank setzt ihren Höhepunkt am Ende der Woche. In der Nacht zum Samstag empfängt der Konzern traditionell Topkunden und sonstige Prominenz. Dieses Jahr hält Josef Ackermann das letzte Mal Hof als Vorstandsvorsitzender. Stundenlang schüttelt er Hände, schäkert mit Nobelpreisträgern, Nachtschwärmern, Notenbankern, amtierenden wie gewesenen: Mit Axel Weber, dem ehemaligen Präsidenten der Bundesbank, und einem Pils zieht er sich nach Mitternacht in eine ruhige Ecke zurück.

Für die beiden Nachfolger ist keine herausgehobene Rolle vorgesehen: Anshu Jain, ein Glas Rotwein in der Hand, zieht seine Runden; für Imran Khan, das ehemalige Cricketidol aus Pakistan, der heute in politischer Mission unterwegs ist, legt er sogar seine professionelle Coolness ab.

Andere Konzernchefs nutzen solche Anlässe, um die Nachfolger in die globale Wirtschaftselite einzuführen. Josef Ackermann tut das nicht. Er hat sich seine Nachfolger nicht ausgesucht, ganz im Gegenteil: Er hat sie zu verhindern versucht. Aber auch ohne sein Zutun ist das Interesse an Jain und Fitschen in Davos groß genug. Die versammelte Business-Gemeinde ist gespannt auf die beiden, gespannt auf das, was da kommt in der Deutschen Bank – einer Macht in der internationalen Hochfinanz.

Die Heimat ist der Bank längst zu eng geworden, die Tage als biederer Kreditgeber für deutsche Mittelständler sind Geschichte. In mehr als 70 Staaten fühlt sich die Deutsche Bank zu Hause; etwa 100 000 Mitarbeiter machen aus Geld noch mehr Geld – sie versuchen es zumindest.

»The Deutsche« ist seit Jahren weltweit die Nummer eins im Devisenhandel, sie ist führend im Anleihengeschäft, behauptet einen Spitzenplatz unter den Experten, die für Übernahmen und Fusionen (Mergers & Acquisitions), das M&A-Geschäft, gerufen werden. Drei der fünf größten Börsengänge weltweit hat sie im Jahr 2011 als führende Bank begleitet. Das ist der Lohn für den enormen Ehrgeiz, den die Deutsche Bank in den vergangenen beiden Jahrzehnten darauf verwandt hat, neues Terrain zu erobern.

Ende der 1990er Jahre wollten zwei Dutzend Banken unter die fünf besten Investmentbanken der Welt vorstoßen. Geschafft hat es ein einziges Institut, das nicht aus Amerika kommt: die Deutsche Bank. Heute sei sie »eine führende globale Investmentbank«, so lobt sie sich selbst, »mit einem bedeutenden und wachsenden Privatkundengeschäft«.

Der Zusatz ist wichtig. 29 Millionen Sparer, 2900 Filialen, 260 Milliarden Euro Einlagen von Privatkunden: das macht etwas her – Rang sechs unter Europas Filialbanken. Herr und Frau Privatkunde, im Wirtschaftsdeutsch »das Retailgeschäft«, gleichen die stark schwankenden Erträge der Investmentbanker aus und zerstreuen obendrein den Verdacht, der Konzern hätte das traditionelle Banking glatt vergessen.

Die Beförderung von Anshu Jain hat diesen Eindruck verstärkt. Dagegen redet er an beim Aufgalopp in Davos, unterstützt von Co-Pilot Jürgen Fitschen. In Einzelgesprächen arbeiten sich die beiden Banker tagsüber durch die Liste mit aktuellen und potenziellen Kunden aus der Industrie. Der Hoteldirektor hat für improvisierte Büros einen Seitentrakt freiräumen lassen, aus den Einzelzimmern wurden die Betten entfernt, an deren Stelle steht ein kleines Buffet, frisches Obst, Tee, Wasser, Saft.

Wand an Wand sitzt dort in diesen Tagen die globale Finanzelite, Allianz neben Deutscher Bank, Credit Suisse neben UBS. Auf der anderen Seite des Flurs, untergebracht in kleinen Kammern, halten die Vorstandsstäbe die Nachrichtenlage im Blick, dirigieren die Topmanager, reichen die Dossiers über die jeweiligen Gesprächspartner.

Intern haben sich die Truppen in der Deutschen Bank zu diesem Zeitpunkt, Monate vor der offiziellen Inthronisierung, längst auf die neuen Verhältnisse ausgerichtet. Wer noch etwas vorhat mit seiner Karriere, weiß, was zu tun ist. »Nichts wird entschieden, was Jain oder Fitschen missfallen könnte«, berichtet ein Deutschbanker an der Kaffeebar des Hotels, im festen Wissen: Es wird Sieger und Verlierer geben. Sein Vorgesetzter, schwant ihm, gehört zu den Verlierern. Und so wird es, keine drei Monate später, auch kommen. Der Vorstand muss gehen, als eines der ersten Opfer der neuen Führung.

Sein Hauptziel, so sagt Anshu Jain in Davos, sei es, die Deutsche Bank als Gewinner aus der Finanzkrise zu führen. »Wir wollen zu den Besten der Welt gehören«, variiert Jürgen Fitschen die Melodie. Die andere Botschaft lautet: Kein Blatt Papier passt zwischen die Protagonisten. Wir sind ein Team. Schluss mit den Soloauftritten. Nie wieder »Joe-Show«! Unter dem Stichwort hatten sie intern über Josef Ackermanns Hang zu Soloauftritten auf den großen Bühnen der Finanzwelt gelästert. Zu Hause sei manches liegen geblieben, deutet der neue Co-Chef Anshu Jain an.

Sein Ehrgeiz kennt nur ein Ziel: die Weltspitze. Da will er die Deutsche Bank sehen, dorthin will er sie führen. »Das ist mein Auftrag.« Zu messen ist das Gelingen dieses Vorhabens in den Hitparaden, die Investmentbanker so lieben: in den »League Tables«, an denen ihre Laune hängt, den Rankings der Finanzkonzerne, ermittelt in diversen Disziplinen – Handel mit Anleihen, Devisen, Aktien, Rohstoffen, Vermittlung von Deals. Überall bildet sich das Kräfteverhältnis in Ranglisten ab. Und wie der Fernsehmensch auf die morgendliche Zuschauerquote vom Vorabend starrt, bestimmen diese Tabellen Marktwert und Selbstwertgefühl der Banker: Wo stehe ich, wo die Konkurrenz?

Die Deutsche Bank soll in den relevanten Märkten unter den Top 3 liegen. Allenfalls ein Platz unter den besten fünf ist für Jain tolerabel. Das Feld sortiert sich gerade neu: Etliche Wettbewerber sind ganz verschwunden, andere wurden verstaatlicht und beschränken sich auf den Heimatmarkt. Das einfältige Wort von der »Krise als Chance« – im Fall der Banken stimmt es tatsächlich: Wer jetzt stark ist, dem bieten sich alle Chancen. In den nächsten Jahren werden nur noch wenige globale Investmentbanken das Spiel bestimmen. Die Top-Fünf-Anbieter werden in Zukunft die Hälfte des globalen Geschäfts unter sich aufteilen, prognostiziert die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) im Frühsommer 2012 – heute ist es nur ein Viertel.

In dieser Riege der Spitzenreiter will Jain die Deutsche Bank dauerhaft sehen, weit weg vom dem, was in Deutschland an Finanzkonzernen übrig bleibt, auf Augenhöhe mit Namen wie J. P. Morgan, HSBC, Barclays, Goldman Sachs: »Wir müssen eine von den fünf oder sechs wahrhaft globalen Banken werden. Und wir könnten die einzige in Kontinentaleuropa sein.«

Wenn es aus eigener Kraft dazu nicht reicht, will Jain gegebenenfalls andere Häuser kaufen. »Die Konsolidierung in Europa wird kommen, und wir werden sie aufmerksam verfolgen«, kündigt er an.

Noch überlagern die Euro-Turbulenzen alle strategischen Überlegungen. Wenn die ausgestanden sind, wenn eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages die Finanzwelt die Krisen abgeschüttelt und sich neu zurechtgeruckelt haben wird, dann muss die Deutsche Bank zu den Siegern gehören. »Das ist nicht verhandelbar«, sagt der Banker streng bei diesem Treffen Ende Januar 2012. Zum offiziellen Amtsantritt fehlen ihm da vier Monate; die alte Riege ist noch da, die neue schon voller Tatendrang, aber nach außen auf stumm geschaltet. In diese komplizierte Zwischenzeit fällt unser Gespräch in einem Hotelzimmer in Davos. Leise trägt Anshu Jain seine Vision von der Weltspitze vor, fast flüsternd, aber sehr bestimmt, sehr klar.

Erstaunlich viel redet er von Werten, von Vertrauen. Und von seiner Motivation. Das Geld ist es nicht, das ihn treibt, sagt er. Wenn das stimmt, was ist es dann? »Ich will meine Geschichte zu Ende schreiben«, antwortet Anshu Jain. Seine Geschichte, das sind bald 20 Jahre in der Deutschen Bank. 1995 hat er dort, mit Anfang 30, als kleiner, unbekannter Banker, angefangen, nun ist er ganz oben. Darauf hat er hingearbeitet. Dafür hat er Allianzen gebildet (und auch geschaut, dass der eine oder andere Rivale am Rand liegen bleibt). Nun erfüllt ihn der Stolz, es geschafft zu haben – ein erhebendes Gefühl für Anshu Jain. Er, der Fremde, ist vielleicht der mächtigste Banker Europas, der wichtigste Deutschlands ganz bestimmt.

So viele Geldhäuser von Rang hat die Republik nicht mehr zu bieten: Die Commerzbank wurde teilverstaatlicht, nachdem der Kauf der Dresdner Bank ihr fast das Genick gebrochen hätte. Die HypoVereinsbank gehört längst den Italienern von Unicredit. Und die Landesbanken hat, von Ausnahmen abgesehen, die Krise zerrupft: Die einst machtvolle WestLB hat sich aus der Geschichte verabschiedet, die BayernLB hat Vorstände ebenso wie Politiker im Freistaat verschlissen.

Bleibt die Deutsche Bank. »Herausforderungen« hat auch sie zu bestehen – diese Vokabel nutzen Manager, wenn es knüppeldick kommt. Den Banken, allen Banken, stehen anstrengende Zeiten bevor. Die Regulierer, vorgeschickt von der Politik, nehmen sie hart ran. Noch ist nicht jedes Detail klar, wohl aber die Richtung. »Wir sollen schrumpfen«, sagt Jürgen Fitschen. »Deleveraging« heißt es in der Fachsprache, wenn Banken ihre Bilanzen eindampfen.

Mehr Eigenkapital wird künftig verlangt, weniger Risiken. Banken müssen wieder langweilig werden – so heißt die neue Losung, vorgetragen von Professoren und Politikern. Auf dass nie wieder der Kollaps einer Bank den Wohlstand der Welt gefährdet – das ist eine der Lehren nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. Eine weitere heißt: Es muss sich etwas ändern in den Gepflogenheiten innerhalb der Banken. Stichworte: Zocker und Gier.

Für die Deutsche Bank haben sich Jain und Fitschen nicht weniger vorgenommen als eine Kulturrevolution, die Erneuerung des Konzerns von innen: mehr Anstand, weniger Boni. (Fast) alles, was gestern noch gut war, zählt heute nicht mehr. Ein neuer Geist muss her, die Banker, gerade diejenigen in der Investmentsparte, müssten mehr an das Wohl der Firma und weniger ans eigene Konto denken, heißt es nun: »Wir bekennen uns dazu, beim Kulturwandel in der Finanzindustrie in der vordersten Reihe zu stehen.«

Zu lange hatte man zu einseitig den Profit betont, glaubt Jürgen Fitschen, der seit Jahren die These vertritt, eine Bank habe zunächst »kompetent, vertrauenswürdig, sympathisch« aufzutreten, dann ergebe sich das mit der Rendite schon von allein.

Jetzt ist Läuterung angesagt. Eine Bank, und sei sie noch so stark, braucht ein Mindestmaß an Vertrauen in der Gesellschaft. Und das ging verloren, sagt Jain selbst: bei den Kunden, in der Politik und auch bei den Investoren. Auf die aber kommt es am Ende an. Ohne deren Rückhalt ist jeder Vorstand verloren. Um sie muss Jain werben, muss die Punkte abräumen, welche die Bank vornehm als »Reputationsrisiken« aufführt. All die Skandale und Klagen, die immer mehr Seiten in den Geschäftsberichten des Konzerns füllen: alles schlecht fürs Image, irgendwann auch für das Geschäft und somit für den Aktienkurs.

Anshu Jain ist der Mann, den die Aktionäre, die Eigentümer der Deutschen Bank, wollten. »Er ist getrieben vom Erfolg«, sagt ein Analyst. »Die Frage ist, ob er politisch akzeptiert wird.« Allein, ohne deutschen Co-Chef, würde er es nicht schaffen, meint ein erfahrener Headhunter: »Dafür ist die Zeit noch nicht reif.« Dafür ist es auch im Frankfurter Haifischbecken zu gefährlich, ergänzt einer aus der Zentrale. Unter seinesgleichen genießt der Inder einen exzellenten Ruf. Jain sei »ein glänzender Investmentbanker«, bestätigt ein Topmann von der amerikanischen Konkurrenz: »Fraglich nur, ob er ins gesellschaftliche Klima passt.« Die Antwort nach den ersten 100 Tagen: Er müht sich außerordentlich.

Die Bande innerhalb der Bank hatte Jain längst geknüpft, in seinem inneren Zirkel findet sich kaum jemand, der »nicht seit mehr als zehn Jahren in seinem Lager mitkämpft«, sagt einer der Kollegen. Und nach außen wird eifrig gearbeitet.

In Deutschland ist ein Ausländer an der Spitze eines Konzerns noch immer weit exotischer, als der Titel des »Exportweltmeisters« vermuten lassen könnte. In Wahrheit ist freilich wenig an der Deutschen Bank so richtig deutsch. Gewiss, der Sitz ist Frankfurt, hier zahlt der Konzern Steuern. Die meisten Gewinne aber fallen im Ausland an; die Mitarbeiter sind mehrheitlich nicht in Deutschland geboren; etwa die Hälfte der Eigentümer hat keinen deutschen Pass. Das ist bei der Deutschen Bank nicht anders als bei den meisten DAX-Konzernen: Selbst in Paradefirmen wie Adidas oder BASF stellen deutsche Aktionäre nur die Minderheit.

Über kurz oder lang wird auch das Management internationaler, wie ein Blick in die Vorstandsetagen beweist: Bayer hat einen Holländer (Marijn Dekkers) an der Spitze, Henkel einen Dänen (Kasper Rorsted), SAP einen Dänen und einen Amerikaner (Jim Hagemann Snabe und Bill McDermott). Und dann sind da noch Österreicher und Schweizer, die aber zählen nicht wirklich als Exoten: Deutsche Börse (Reto Francioni) oder Siemens (Peter Löscher).

Eine Studie der weltweit aktiven Personalberatung Heidrick & Struggles, veröffentlicht 2012, bringt ein auf den ersten Blick erstaunliches Ergebnis: Deutschland ist gar nicht so provinziell. Die deutschen Konzerne sind weniger national geprägt als die in Frankreich oder selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika. 16 Prozent der Vorstandsvorsitzenden hierzulande sind Ausländer, in Frankreich liegt der Anteil bei 12 Prozent, in den USA nur bei elf Prozent.

Allein das Vereinigte Königreich hat sich multikulti-mäßig abgesetzt: Mit 42 Prozent Ausländern sind die Briten die absoluten Ausreißer, eine bunte Mischung regiert auf der Insel. War der Standort London mit seiner Commonwealth-Historie Voraussetzung für Anshu Jains Karriere? Geholfen hat es bestimmt. In München, Stuttgart oder Düsseldorf hätte ein Inder es vermutlich schwerer gehabt.

Ein Inder und die Deutschen»Uij, ist der süß«

Von den Dingen, die Anshu Jain sich für das erste Jahr als Co-Chef der Deutschen Bank vorgenommen hat, ist dies für ihn besonders drängend: »to connect emotionally with Germany«, eine emotionale Bindung zu Deutschland schaffen. Der Inder und die Deutschen, das ist eine diffizile Angelegenheit.

Um eine Ahnung von den Ressentiments zu bekommen, muss man gar nicht erst dahin gehen, wo es wirklich wehtut: in die Blogs und Internetforen, wo der Mob seinen Dreck absondert. Nein, im Café für höhergestellte Großmütter ist nur der Ton angenehmer, die Botschaft nicht minder verletzend. Toleranz schön und gut, sagt die Frau am Nachbartisch, »aber ich kann mein Geld doch nicht Wildfremden anvertrauen«. Fünfzig Jahre habe sie das Konto nun bei der Deutschen Bank, einen Inder würde sie aber nicht an ihr Vermögen lassen: »Gott sei Dank haben die da noch diesen anderen, diesen Fitschen.« So wie die Dame »Inder« ausspricht, ist klar: Sie meint es nicht als Kompliment.

Aufgeklärte Menschen fordern allen Ernstes: Wer in der Zeitung (oder einem Buch) über Anshu Jain schreibt, dürfe ihn nicht als »Inder« titulieren – das sei fremdenfeindlich. Ein seltsamer Einwand, schließlich ist es gängige Übung, Prominente mit ihrer Herkunft/Nationalität näher zu kennzeichnen, und sei es nur als Stilmittel: um den Namen nicht bis zum Überdruss zu wiederholen.

Aus Boris Becker wird »der Leimener«, aus Arjen Robben »der Holländer«, aus Pelé »der Brasilianer«. Oder in der Welt der Wirtschaft: Josef Ackermann ist »der Schweizer«, Henkel-Chef Kasper Rorsted »der Däne«, Siemens-Lenker Peter Löscher »der Österreicher« und Bill Gates »der Amerikaner«.

Niemand denkt sich etwas Böses dabei. Nur Anshu Jain darf nicht »der Inder« sein. Warum nicht? Diese Frage müssen andere beantworten, Psychologen oder Anthropologen vielleicht, jedenfalls kein Wirtschaftsjournalist. Für dieses Buch, das sei an dieser Stelle ein für alle Mal geklärt, gilt: Die Bezeichnung »der Inder« wird absolut neutral gebraucht, nicht anders als »der Schwabe« oder »der Ostfriese«.

Zurück zum Chef der Deutschen Bank: Dessen Integration fängt damit an, womit sie immer anfängt – mit der Sprache. Für eine globale Bank, die ihr Geschäft längst auf Englisch abhandelt, mag es provinziell und albern wirken; dennoch ist der Punkt für die Außenwirkung entscheidend: Spricht Anshu Jain Deutsch? Versteht er es zumindest?

Diese Frage begleitet ihn seit dem Tag, als er als junger Investmentbanker zum ersten Mal in der Bank nach außen sichtbar wird. Sie wird umso drängender, je höher er aufsteigt. Lange behandelt der Konzern den Stand seiner Sprachkunde als Geheimnis. Das macht es nicht besser, hat aber gute Gründe: Aus der Tatsache, ob Anshu Jain Vokabeln paukt oder nicht, werden haarscharf Rückschlüsse gezogen: Er erhöht den Einsatz, wirft sich mit aller Macht in das Rennen um die Ackermann-Nachfolge – oder eben nicht.

»Anshu Jain kann kein Deutsch, und er nimmt auch keine Deutsch-Lessons«, stellt Ackermann Anfang 2007 klar. Gerade war wieder eine Ablösedebatte über ihn hinweggeschwappt, mit Anshu Jain als dem vermeintlich kommenden starken Mann.

Der Hinweis auf den fehlenden Wortschatz bedeutet in dieser Situation natürlich etwas anderes: Da lauert so schnell kein Rivale. Wer weiß schon, wie ernst Jains Ambitionen wirklich sind, wird damit ausgedrückt, vielleicht hat der Inder ganz anderes vor. Denn: Natürlich hat der Investmentbanker in all den Jahren nie offiziell seine Kandidatur angemeldet. Das Argument mit der Sprache gerät so zum allzeit einsetzbaren Joker im großen Ratespiel: Wer wird der nächste Chef der Deutschen Bank? Der Tenor lautet zumeist: Nichts Genaues weiß man nicht. Das ist wenigstens nicht falsch.

Erst einen Tag bevor Anshu Jain offiziell als Co-Chef antritt, erfährt die Sprachfrage ihre amtliche Klärung. »Ja, Herr Jain lernt Deutsch«, antwortet der scheidende Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Börsig in der Hauptversammlung am 31. Mai 2012 auf die Frage eines Aktionärs: »Aber Sie wissen selbst, wie schwierig die deutsche Sprache ist.«

Zwei Wochen später, am 12. Juni 2012, vor dem CDU-Wirtschaftsrat im Berliner Hotel Interconti, dann die historische Premiere: Anshu Jain – inzwischen mit 300 deutschen Vokabeln ausgestattet – wagt die ersten deutschen Sätze vor Publikum, vor konservativen Politikern und Unternehmern. Ein durchschlagender Erfolg. »Uij, ist der süß«, entfährt es einer Blondine in der sechsten Reihe, als Jain, sorgfältig akzentuiert, seine Rede beginnt – auf Deutsch: »Sehr geehrte Damen und Herren, ich fühle mich sehr geehrt, heute vor Ihnen zu stehen – dies besonders als Co-Chef der Deutschen Bank.« Applaus. »Ich möchte Ihnen auch herzliche Grüße meines Partners, Jürgen Fitschen, überbringen.« Noch mal Applaus, sehr herzlich. »Seit fast zwanzig Jahren ist die Deutsche Bank mein Leben und mein Zuhause. Wie Sie aber merken, arbeite ich noch an der deutschen Sprache und muss diese Zeilen ablesen. Ihr Englisch ist besser als mein Deutsch … also erlauben Sie mir bitte, jetzt ins Englische zu wechseln.« Geschafft. Weiter geht’s in gewohnter Diktion über »the future challenges for the banking industry«.

Diese paar Sätze freilich genügen, damit ihn die Bild-Zeitung am nächsten Tag als »Sieger des Tages« auf die Titelseite bringt. Als »zupackend und präzise« lobt ihn Finanzminister Wolfgang Schäuble, vielleicht etwas »zu freundlich und zu höflich«, fügt er mit schelmischem Blick hinzu.

Wohl wahr: Ein »Schauspiel der Demut« (F.A.Z.) bietet Jain, der bei dieser Gelegenheit irgendwie noch seriöser wirkt als sonst: Liegt es an dem besonders akkurat gescheitelten Haar? An der einen Tick dunkleren Krawatte? Egal, es passt jedenfalls zu den honorigen Wirtschaftsleuten im Saal: eher männlich, eher nicht ganz jung, überwiegend dunkler Zwirn, Wirtschaftsprüfer, Mittelstand, Makler, die ganze Palette.

Vor diesem Querschnitt der Kernklientel preist Jain Deutschland im Allgemeinen (»Das Modell der sozialen Marktwirtschaft hat sich bewährt«) und den deutschen Mittelstand im Besonderen: »Es gibt kein englisches Pendant für das Wort.«

Als »heimliche Helden« charmiert er die Anwesenden: »Sie stehen für zwei Drittel aller Beschäftigten und mehr als die Hälfte der deutschen Wirtschaft. Ein großer Teil Ihrer Produktion geht in den Export, und Sie sind echte Global Player.«

Zur deutschen Nationalhymne, traditionell Abschluss der Veranstaltung, erhebt er sich, ohne freilich die Lippen zu bewegen. Das stört niemanden mehr. Die Pluspunkte sind eingefahren. Anshu Jain hat einen gelungenen Tag in der deutschen Hauptstadt hinter sich: ein hübsches Foto mit einer gut aufgelegten Bundeskanzlerin, aufgenommen in der Lobby des Hotel Intercontinental, ist dabei herausgesprungen. Die eine oder andere Politikerhand hat er geschüttelt, bei Mineralwasser und Kaffee in der »Cigar Lounge«. Zwischendurch, als es nicht auffällt, rauscht er von der Tagung ins Berliner Büro der Deutschen Bank: richtig arbeiten.

Auch wenn diese Kontaktpflege Zeit frisst, wenn sicher nicht jede Rede seinen Anspruch an gedankliche Schärfe erfüllt – Anshu Jain muss sich daran gewöhnen. Das wird von einem Chef der Deutschen Bank erwartet im Land der Industrie- und Handelskammern, der Verbände und Familiendynastien: Das ist ein anderes Publikum als das, was der Investmentbanker bisher bespielt hat. Er hat entsprechend gut geübt. Das hohe Lied auf den Mittelstand als »Rückgrat der deutschen Wirtschaft« hat er schon drauf, im Original ohne Untertitel: »backbone of the German economy«.

Diese Klientel mag kein Casino und auch keine Zockerbude als Partner. Wahre Werte sind gefragt. Gleichzeitig aber will man stolz darauf sein, dass sich die Deutsche Bank draußen in der Welt gegen all die gerissenen Mächtigen behauptet. Wie eins zum anderen passt, ist dem Publikum letztlich egal. Die Bank hat jedenfalls da zu sein, wenn der Kolbenfabrikant sie braucht, ob nun in Guangzhou (China) oder Ouagadougou (Burkina Faso).

Von Beginn an, seit der Gründung 1870, ist sie eine besondere Bank für Deutschland. Auf der Feier zum hundertsten Geburtstag, am 9. April 1970, vermerkt die Festschrift stolz, wie bereits in den ersten Lebensjahren »die Weichen für eine fortschrittliche Geschäftspolitik« gestellt wurden: Die drei Bereiche, die schon Gründungsdirektor Georg von Siemens kultivierte, fährt der Text fort, sind bestimmend geblieben für die Arbeit der Bank »bis auf den Tag«: »Auslandsgeschäft, Depositengeschäft, Emissionsgeschäft«. Die Privatkunden kamen erst mit 90 Jahren Verspätung dazu, im Jahr 1959.

Der Konzern sei »das Baby aller Deutschen« – dieser Ackermann-Satz gilt bis heute. Das macht es nicht einfach für die handelnden Akteure: Ob Deutsche-Bank-Chef, Bundeskanzler, Fußball-Nationaltrainer – jeder hat dazu eine Meinung, jeder redet mit, jeder kennt sich aus. »Unter den Vorständen in Deutschland gibt es keine Position, die ähnlich stark beachtet wird«, sagt Hilmar Kopper, langjähriger Chef des Vorstands und des Aufsichtsrats der Bank.

Die Vorstandsvorsitzenden von Siemens, VW und Daimler sind der breiten Masse noch ein Begriff, dahinter wird es dünn. Wenn es aber in den Frankfurter Doppeltürmen kracht, ist man nur zu gerne live dabei – schließlich steht, irgendwie, auch das Wohl der Nation auf dem Spiel.