Der EMP-Effekt - Peter Schmidt - E-Book

Der EMP-Effekt E-Book

Peter Schmidt

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Beschreibung

... Flugzeuge und Raketen lahmlegt, Panzer stoppt und in Kriegen eingesetzt die Infrastruktur ganzer Staaten gefährden kann, z.B. in Kraftwerken und Umspannanlagen. Robert Karga ist Ingenieur und ein begnadeter Tüftler und Erfinder – dabei hat er eine Entdeckung gemacht, die alle Geheimdienste der Großmächte schlagartig auf den Plan ruft – die erste effektive Abschirmung gegen den EMP-Effekt … --- PRESSESTIMMEN: "Der EMP-Effekt ist nicht nur ein äußerst beklemmender und atmosphärisch ungewöhnlich dichter Thriller – fast schon kafkaesk –, sondern auch im besten Sinne aufklärerisch. Denn immer noch zu wenig bekannt ist die unglaublich bedrohende Vernichtungskraft des EMP". (Hans Walther, Kritiker)

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Peter Schmidt

Der EMP-Effekt

Agententhriller

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PRESSESTIMMEN

ÜBER DEN AUTOR

Die Hauptpersonen

1

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3

4

5

6

7

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9

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WEITERE TITEL

Impressum neobooks

ZUM BUCH

EMP ist das Kürzel für “elektromagnetischer Puls“, der durch Atombombenexplosionen, speziell entwickelte Mikrowellen-Generatoren oder Hochleistungsmikrowellensender Computer, Handynetze und Funkgeräte zerstört, Flugzeuge und Raketen lahmlegt, Panzer stoppt und in Kriegen eingesetzt die Infrastruktur ganzer Staaten gefährden kann, z.B. auch in Kraftwerken und Umspannanlagen.

Robert Karga ist Ingenieur und ein begnadeter Tüftler und Erfinder – dabei hat eine Entdeckung gemacht, die alle Geheimdienste der Großmächte schlagartig auf den Plan ruft – die erste effektive Abschirmung gegen den EMP-Effekt …

"Es ist schwer, das Ausmaß der Auswirkungen eines elektromagnetischen Pulses auf die zivile Infrastruktur auch nur zu erahnen", erklärte Physiker Gary Smith von der John Hopkins University. Nahezu unmöglich sei es, die gesamte Infrastruktur der USA zu schützen. (DER SPIEGEL)

PRESSESTIMMEN

http://autor-peter-schmidt-pressestimmen.blogspot.de/

Der EMP-Effekt ist nicht nur ein beklemmender und atmosphärisch ungewöhnlich dichter Thriller – fast schon kafkaesk –, sondern auch im besten Sinne aufklärerisch. Denn noch immer viel zu wenig bekannt ist die unerhört bedrohliche Vernichtungskraft des EMP.

(Hans Walther, Kritiker)

Auffallend an Schmidts dramaturgisch raffinierten Agenten-Storys sind - neben der Detailtreue - die skeptische Weltanschauung und eine geradezu undeutsch klare kühle Prosa.

(stern)

Deutschlands einziger (jedenfalls einziger ernst zu nehmender) Autor im Agenten-Genre.

(Vorwärts)

Unter den deutschen Kriminalschriftstellern ist der Westfale Schmidt fraglos einer der wenigen, die wirklich erzählerisches Format besitzen.

(Hamburger Abendblatt)

So wichtig die raffiniert eingefädelte, doppelbödige, absichtlich verwirrte Handlung auch ist (und in der Hinsicht ist beispielshalber Erfindergeist kaum zu überbieten): Hinter den Plots steckt mehr, anderes, als die dürre Nacherzählung vermuten lässt. Es geht Peter Schmidt immer um die Menschen, die agieren oder reagieren müssen. Es geht um die Macher, die gnadenlos ihre Komplotte einfädeln, es geht um die Opfer, die sich im Netz der Intrigen verheddern, und schaut man genau hin, ist jeder Macher und Opfer zugleich. Der kleine Macher das Opfer der großen Macher, die großen die Opfer ihrer selbst.

Was da ausgeheckt und durchgezogen wird, ist allenfalls noch in der literarischen Schlusspointe zu durchschauen. Das Komplott gewinnt eine solche Eigendynamik, dass sich keiner mehr entziehen kann, auch die Initiatoren nicht, dass es im Grunde nicht mehr zu stoppen ist.

(Krimikritiker Rudi Kost)

ÜBER DEN AUTOR

Peter Schmidt, geboren im westfälischen Gescher, Schriftsteller und Philosoph, gilt selbst dem Altmeister des Spionagethrillers John le Carré als einer der führenden deutschen Autoren des Spionageromans und Politthrillers. Darüber hinaus veröffentlichte er Kriminalkomödien, aber auch Medizinthriller (zuletzt „Endorphase-X“), SF- und Wissenschaftsthriller, Psychothriller und Detektivromane.

Bereits dreimal erhielt er den Deutschen Krimipreis („Erfindergeist“, „Die Stunde des Geschichtenerzählers“ und „Das Veteranentreffen“). Für sein bisheriges Gesamtwerk wurde er mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet.

Schmidt studierte Literaturwissenschaft und sprachanalytische und phänomenologische Philosophie mit Schwerpunkt psychologische Grundlagentheorie an der Ruhr-Universität Bochum und veröffentlichte rund 40 Bücher, darunter mehrere Sachbücher.

AUTORENINFO

http://autoren-info-peter-schmidt.blogspot.de/

WEITERE AGENTENTHRILLER

Der Agentenjäger

Erfindergeist (Deutscher Krimipreis)

Die Stunde des Geschichtenerzählers (Deutscher Krimipreis)

Augenschein

Mehnerts Fall

Die Hauptpersonen

Robert Karga - tüftelt gern, in der Firma und zu Hause

Anja Weißkirch – ist seit acht Jahren mit Karga verlobt

Richard Thaube – will die Revolution vom Krankenbett aus organisieren

Katja Leutner – möchte scheinbar nur Urlaub machen

Beppo Leutner – hat etwas ganz anderes im Kopf als Urlaubspläne

Harry Gart – missbraucht eiskalt seinen Charme

Eathscott – weiß, wie man Karriere macht

Sutter – kennt sich mit Gehirnwäsche aus

Holler – will nur das Beste

1

Die Veränderungen hatten ganz unmerklich begonnen. Irgendeine mysteriöse Macht streckte ihre Arme nach ihm aus. Ein unbeteiliger Beobachter hätte glauben können, er bilde sich das alles nur ein …

Aber Karga dachte sofort an seine Zeit nach dem zweiten Staatsexamen. Damals war er als frischgebackener Lehrer für Mathematik wegen seiner dreiwöchigen Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei auf überraschend nachdrückliche Weise ins berufliche Nichts hinauskomplimentiert worden.

Das Erschreckendste aber war gewesen, dass sich niemand zu diesem Grund wirklich hatte bekennen wollen.

Als habe irgendeine anonyme Macht wie Gott die Entscheidung getroffen, hatte er sich schon nach vierzehn Tagen auf der Straße wiedergefunden – trotz seiner Beteuerungen, nun endlich eingesehen zu haben, dass ihre Politik mit Gewaltlosigkeit und Klarheit so wenig zu tun hatte wie Gandhis Schriften mit der Hexenverfolgung.

Innerhalb weniger Stunden und unwiderruflich – mit dem vorgeschobenen Argument, es lägen zu viele Bewerbungen vor.

Anders als beim Glauben an Gott schien es weder die Möglichkeit der Reue und Läuterung noch Gnade zu geben.

Wenn er jetzt in seine Wohnung ging, eine armselige Mansardenwohnung, würde er die gleiche Beobachtung machen wie immer: der Wasserhahn tropfte, obwohl er ihn besonders fest zugedreht hatte, und im Toilettenbecken fanden sich Reste eines nach Medikamenten riechenden, hellgelben Urins.

Die Gardine des einzigen Fensters, aus dem man zur Straßenseite auf den Damm mit den Gleisen des Verschiebebahnhofs sah, war ein wenig abgegriffen, obwohl er selbst nur die Gardinenstange benutzte. Und diese Schmuddeligkeit erneuerte sich auf geheimnisvolle Weise innerhalb von wenigen Tagen.

Es gab noch weitere Hinweise: Einmal war der Werkzeugbehälter seines Fahrrads aufgebrochen gewesen. Dann war sein Personalausweis verlorengegangen. Er benötigte ihn, um sich einen Pass zu beschaffen, denn im Frühjahr wollte er mit Anja in den rumänischen Karpaten Urlaub machen.

Er hatte sie mühsam dazu überreden können, nicht an die Küste zu fahren, da er das Meer, wie überhaupt jede offene Wasserfläche, fürchtete.

Man hätte glauben mögen, ein verlorener Ausweis sei kein Problem. Mit einer Erklärung zur eigenen Identität, der Unterschrift oder dem Vergleich seiner Fingerabdrücke und des Ausweisfotos im Einwohnermeldeamt sei alles erledigt. In seinem Fall jedoch nicht. Es gab unerklärliche Verzögerungen …

Das Seltsamste aber war diese Episode am großen Verkehrsring in der Innenstadt gewesen. Es war Abend, ein Feiertag; welcher, daran erinnerte er sich nicht mehr. Wegen der späten Abendstunde gab es kaum Verkehr. Hohe Geschäftsfassaden säumten das Rondell, Gebilde aus metallgerahmtem Glas, in denen sich die wenigen Lichter spiegelten: zwei Verkehrsampeln und die gelbrote Hängelaterne, die wie in einem Spinngewebe an den sternförmig verspannten Elektroleitungen hing.

Nachträglich hatte er das Gefühl, der einzige Passant gewesen zu sein.

Mehr zufällig war sein Blick zum Dach des Kaufhauses geglitten, auf dem man ein neues Fernsehauge installiert hatte – für die Überwachung des Verkehrs, wenn er den Zeitungsberichten glauben durfte. Das Ding war auf ihn gerichtet …

Noch kein Grund, sich zu wundern. Es mochte bloßer Zufall sein. Als er nach links abbog und auf dem Zwischenstück an der roten Fußgängerampel wartete, folgte die Kamera seiner Richtung, wie er mit einem schnellen Blick bemerkte. Immer noch kein Anlass zu Misstrauen? Nun gut: so etwas kam vor.

Doch als er die Straße überquert hatte, fiel ihm ein, dass er den Telegrammschalter der Post aufsuchen wollte, um eine Nachricht an seine Stiefmutter abzusenden. Sie lebte in der DDR und kam ihn zum ersten Mal seit dem Mauerbau besuchen.

Mitten auf der Verkehrsinsel kehrte er im entgegengesetzten Winkel um. Und diesmal folgte ihm das Fernsehauge, bis er hinter der Hausecke verschwunden war!

Er lehnte sich tief atmend gegen die Mauerwand und wartete etwa zwei Minuten ab.

Ein eigenartiges Kribbeln hatte seine Glieder ergriffen, Ungeduld und Bestürzung zugleich. Doch er beherrschte sich, so gut es ging. Als er endlich zum Dach hinübersah, blickte die Kamera wieder auf das Zentrum des Platzes hinunter …

Dann war da dieses neuartige An- und Abmeldesystem bei der VVG, das Natorp, sein Vorgesetzter, kürzlich eingeführt hatte. Karga galt als ein guter Entwicklungsingenieur. Seitdem er nach seinem gescheiterten Versuch, Lehrer zu werden, mit einigen Semestern Elektrotechnik in die elektronische Unterhaltungsindustrie gegangen war, gab es keine Probleme mehr.

Doch Natorps plötzliche Sorge um sein Wohl überraschte ihn. Die Abteilung bestand nur aus fünf Mitarbeitern. Karga hatte beobachtet, dass er als einziger auf die Stempeluhr verzichten und sich dafür mündlich an- und abmelden durfte.

War das ein Privileg? Oder eine zusätzliche Kontrolle?

Denn Natorp versäumte es nie, ihn über seine Pläne für die Freizeit zu befragen. Sie lauteten fast immer gleich: Wenn er nicht gerade im Bastelkeller saß, würde er Anja, die zwei Etagen über ihm am Projekt eines weiterentwickelten Laser-Plattenspielers arbeitete, wie üblich zum Abendessen einladen.

Sie galten als die längste Verlobung des ganzen Konzerns. Man machte sich bereits über sie lustig. Aber was waren acht Jahre, um einen Menschen kennenzulernen? Außerdem gab es ein Problem zwischen ihnen: sie war eine begeisterte Seglerin, und er litt an Wasserphobie. Wasserflächen jagten ihm Angst ein. Er war unfähig, die kleinste Brücke zu überqueren, geschweige denn mit Anja in eine Segeljolle zu steigen.

Anscheinend gab es keine wirksame Therapie dagegen.

«Zeigen Sie mir einen geistig Gesunden», hatte sein Arzt nach einigen psychotherapeutischen Sitzungen achselzuckend erklärt. «Wahrscheinlich leidet er an krankhafter Selbstüberschätzung.»

Während des zweiten Schuljahrs hatte man Karga beim Schwimmunterricht in ein drei Meter tiefes Becken gestoßen – den Metallring der Rettungsstange vor sich, der immer einen halben Meter zurückwich, wenn er danach griff … und er wäre um ein Haar ertrunken …

Sein Schwimmlehrer war später aus dem Dienst entfernt worden. Er hatte schon vor dieser Episode als Schrecken aller Nichtschwimmer gegolten.

Karga ging durch die Unterführung, es war bereits dunkel, und die defekte Gaslaterne am Ende des Tunnels knallte dumpf und in unregelmäßigen Abständen.

Seitdem er sich kontrolliert wähnte, hatte er beschlossen, sich niemals umzublicken. Es wäre der Anfang vom Ende gewesen.

Nicht weil er dabei einen Verfolger zu entdecken glaubte, sondern weil man in jedem Mauerschatten ein Gesicht finden konnte, wenn man nur genügend Einbildungskraft besaß. Obwohl er sich streng an seinen Vorsatz hielt, war er aus irgendeinem Grunde sicher, nicht verfolgt zu werden. Die Straße war eine Art Refugium. Ja, sie mussten es auf etwas anderes abgesehen haben.

Auch seinen elektronischen Bastelkeller schienen sie noch nicht entdeckt zu haben! Er verfügte über zwei Keller, im einen bewahrte er den üblichen Plunder auf, ausrangierte Möbel, Kisten, Dinge, die man nicht mehr in den Schubladen unterbringen konnte.

Der andere war durch die Zusammenlegung zweier Wohnungen frei geworden. Man hatte ihm seine Bitte, ihn als Hobbywerkstatt zu benutzen, nicht abschlagen können.

Der Hausverwalter stand in seiner Schuld. Karga hatte ihm kostenlos eine einbruchsichere Alarmanlage in seiner Wohnung installiert, nach eigenen Plänen entworfen …

Das Haus war dicht vor ihm, ein elender alter Kasten, aber billig. Es stand in einer Reihe ebenso elender abgewohnter Bauten: wie Mahnmale einer ärmeren Vergangenheit, deren man sich angesichts der vollen Schaufenster manchmal besser erinnerte, um nicht völlig jedes Augenmaß zu verlieren.

In der Häuserlückejenseits der Baumkronen ragten die gezackten Türme des Domes vor dem schwarzen Nachthimmel auf.

Ein Güterzug donnerte hinter ihm über die Unterführung. Seitdem Karga bei der VVG arbeitete, hätte er sich eine bessere Wohnung leisten können, vor allen Dingen eine ohne Bahnlärm.

Doch er hing an dieser. Er hatte einen altmodischen Hang zu Dingen aus der Vorkriegszeit. Es passte ganz und gar nicht zu den supermodernen elektronischen Schaltungen, an denen er von morgens bis abends arbeitete. Aber das störte ihn kaum. Gefühle kannten keinen Widerspruch. Widersprüche gab es nur in der Logik oder Mathematik, und da waren sie bestens aufgehoben.

Wenn er sich während seiner Studienjahre auch beinahe fanatisch für die Politik interessiert hatte, so war es kein Widerspruch, sich jetzt um so nachhaltiger von ihr fernzuhalten. Politik war eine andere Form der Aggressivität. Er erfüllte sein Soll als Staatsbürger und ging alle Jahre wählen, wenn man ihm seine Wahlbenachrichtigung schickte. Im Übrigen aber las er keine Zeitungen oder überschlug den politischen Teil.

Er hatte den Dienst heute etwas früher beendet. Es hätte ihn eigentlich nachdenklich machen sollen. Natorp war wegen der Geburt eines Sohnes verhindert gewesen: so hatte Karga sich als sein eigener Vorgesetzter selbst freigegeben.

Erst als er den nur von einer einzigen gelben Glühbirne erleuchteten Hausflur betrat, wurde er sich plötzlich seines Leichtsinns bewusst. Man konnte nie wissen ... Es war still. Nicht ungewöhnlich still für dieses Haus, in dem hauptsächlich alte Leute wohnten.

Einige gingen sehr früh schlafen. Und es gab genügend Lebenszeichen: Essensgeruch von Kohl und gebratenem Speck hing in der Luft, dann ein eigentümlicher Gestank wie von verbranntem Styropor. Auf den ausgetretenen Holzstufen lagen Möbelprospekte. Neben dem Treppengeländer stand ein Kinderwagen. Über ihm ging die Wasserspülung – und mit ihrem Rauschen verlor sich auch seine Befangenheit, verschwand so unvermittelt, wie die Furcht gekommen war.

Schließlich waren sie immer sehr vorsichtig gewesen, vom Urin im Toilettenbecken und dem tropfenden Wasserhahn einmal abgesehen. Sie würden ihn auch jetzt früh genug bemerkt haben .

Er schloss seine Wohnungstür auf – und erstarrte …

In den Korridor fiel von drinnen Licht …

Ein Mann, der einen dunklen Hut trug, erschien an der offenen Wohnzimmertür, als Karga leise seine Korridortür mit der Schulter zudrücken wollte.

Karga schätzte ihn auf etwa vierzig. Er trug einen mittelgrauen Anzug und rieb sich nachdenklich mit dem Handballen über die scharfe Nasenfalte an seiner rechten Wange. Dann ließ er den Arm fallen und deutete mit dem Kinn ins Wohnzimmer.

«Sie? Was, zum Teufel, treibt Sie jetzt schon nach Hause? Kommen Sie rein.»

Seine Stimme klang, als dulde er keinen Widerspruch.

Karga war nicht gewillt, sich einschüchtern zu lassen.

«Darf ich fragen, was Sie in meiner …?»

«Natürlich dürfen Sie. Die Frage ist nur, ob Sie darauf eine Antwort bekommen.» Er lachte unmerklich in sich hinein.

Karga folgte ihm ins Zimmer. Am Tisch vor dem Sofa saß ein zweiter Mann, etwa im gleichen Alter und mit einem grauen Regenmantel bekleidet.

Er blickte auf, als sie eintraten und nickte amüsiert. Keine unverwechselbaren Kennzeichen, registrierte Karga. Ein Dutzendgesicht, glatt, noch mit der Haut eines Kindes.

Seine Arroganz beunruhigte ihn.

Der andere betrachtete Karga unter der Mansardenschräge hockend unverwandt, als studiere er ein großes, unbekanntes Tier, dessen Harmlosigkeit im persönlichen Umgang erwartet wurde. Vielleicht fühlten sie sich auch nur so sicher, weil sie zu zweit waren.

Er blieb vor einem hohen Stuhl stehen. Die Mahagonilehne reichte ihm bis zum Brustansatz, was ihn schmächtiger wirken ließ, als er war. «Falls Sie von der Polizei sind, würde ich jetzt gern Ihre Legitimation sehen …»

Der andere lachte wieder. Es war ein seltsam glucksendes, nach innen gerichtetes Lachen: fast ein Schluckauf, hätte Karga dabei nicht in sein Gesicht geschaut.

«Also keine Polizei? Gewöhnliche Einbrecher?»

Er ging langsam zum Telefon.

«Sie sollten besser die Finger davon lassen», sagte der zweite Mann scharf.

Karga ließ unwillkürlich seine Hände sinken.

Erst jetzt sah er, dass der Mann am Tisch in einer Biographie Mahatma Gandhis blätterte. Sie hatte oben auf dem Buchregal gestanden. Die Spitze seines Zeigefingers schnippte gegen das aufgeschlagene Portrait des Politikers.

«Ich mag‘s nicht, wenn man so mit meinen Büchern umgeht.»

«Ist das hier etwa ein Zeichen von Gewaltlosigkeit?»

Der andere schlug die Seiten um und zog ein Schwarzweißfoto heraus. Karga erkannte es selbst auf diese Distanz, obwohl er es schon vor vielen Jahren in dem Buch vergessen haben mußte. Es stammte aus der Zeit seines Examens und zeigte eine Gruppe Männer, die Strickkapuzen trugen und während einer Demonstration mit Holzknüppeln Schaufensterscheiben einschlugen.

«Ich war nicht daran beteiligt.»

«Schwer zu beweisen, oder? Schließlich tragen alle Kapuzen.»

«Vielleicht genügt es, wenn ich erkläre, dass ich der Fotograf war? Außerdem habe ich mich nicht vor Ihnen zu rechtfertigen.»

«Ihre Anwesenheit damals spricht für sich.»

«Sind Sie vom Verfassungsschutz?»

«Nein, wie kommen Sie darauf?»

«Nennen Sie mir Ihre Namen.»

«Karl – Karl und Franz», sagte der andere und unterdrückte nur mühsam sein glucksendes Lachen. «Ist Ihnen jetzt besser? Sind Sie nun zufrieden?»

«Durch Namen wird alles persönlicher», nickte Franz. «Wir sollten uns mit unseren Vornamen anreden.» Er zog ein Tablettenfläschchen aus der Manteltasche und schluckte zwei winzige gelbe Pillen.

«Ich möchte Sie doch bitten, wenigstens die Toilette abzuziehen, wenn Sie schon in meine Wohnung einbrechen», sagte Karga.

«Das werden wir. Geschenkt», bestätigte Franz. «Wir sind schließlich keine Banausen.»

«Sondern?»

«Verschwenden Sie daran keine Gedanken», sagte Karl. Er versperrte Karga den Weg, als er ein zweites Mal den Telefonhörer abheben wollte. Er wirkte einen halben oder ganzen Kopf größer, und die Hände in den Taschen seines grauen Jacketts waren zu Fäusten geballt.

«Oder noch besser: Lassen Sie es sich eine Warnung sein. Sie wissen schon, wovon ich rede.»

«Warnung? Nein, ich habe keine Ahnung.»

«Er hat von nichts eine Ahnung», erklärte Karl mit einer Kopfbewegung zu Karga hin. «Wer hätte das gedacht? Der Weihnachtsmann?»

«Sie Schießbudenfigur …», sagte Karga.

«Wenn Sie beleidigend werden, bringt Ihnen das nur Ärger ein. Ziemlichen Ärger sogar.»

«Ich habe seit fünf Jahren nichts mehr mit der DKP im Sinn. Warum könnt Ihr mich nicht in Ruhe lassen?»

«Das ist eine ungeklärte Frage. Natürlich würden Sie es in dieser Situation nicht zugeben – es wäre der denkbar ungünstigste Augenblick.»

«In dieser Situation? Was meinen Sie?»

Franz klappte das aufgeschlagene Buch zu. «Lass uns gehen», sagte er. «Wir verschwenden nur unsere Zeit, Leute seines Schlages beherrschen ihre Lügen.»

Karl nickte und riss das Telefonkabel aus der Wand.

«Wenn Sie sich noch einmal hier blicken lassen, gibt‘s ein Unglück …“, rief Karga ihnen mit verhaltener Stimme nach. Vom Fenster aus beobachtete er, wie sie um die Ecke bogen. Wahrscheinlich stand ihr Wagen hinter der Bahnunterführung.

2

Er betrat das Polizeirevier und wartete ab, bis eine dickliche Marktfrau mit ihrer Beschwerde zu Rande kam. Jemand hatte ihren Stand umgestoßen. «... der ganze schöne Kohl auf dem nassen Pflaster – und die Trauben zertreten!»

Karga blickte sich ungeduldig um. In der Halle standen drei Reihen Schreibtische, seine Vernehmung zur Demonstration damals fiel ihm ein, und ein Pulk von Bildern – Verhöre, denen er an den Nachbartischen hatte zuhören können – stieg augenblicklich vor seinem inneren Auge auf, als er die Schreibmaschinen und Besucherstühle sah.

«Die Gewalt nimmt zu», erklärte der Polizeibeamte. Er hatte rötliche Koteletten und einen müden Zug um den Mund. «Gegen Menschen und Sachen, wir sind machtlos.»

«Ein Zeichen zunehmenden Wohlstands», mischte Karga sich ein. Er war selbst überrascht darüber: gewöhnlich gab er sich eher zurückhaltend, aber das Thema interessierte ihn. «Zuviel Wohlstand oder zu wenig – es hat immer die gleiche Wirkung. Die Veränderung muss von innen kommen. Wenn man etwas verändern sollte, dann nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern den einzelnen Menschen.

Gandhi hat dafür den Weg gewiesen. Massen von gewaltlosen Einzelnen sind der Schlüssel zur Zukunft.»

Die Alte wandte sich um und sah ihn missmutig an. «Ihr Gerede macht meinen Kohl nicht heil.»

«Es wäre nie so weit gekommen.»

«Bitte warten Sie, bis Sie an der Reihe sind», sagte der Beamte verdrießlich.

Karga wandte sich achselzuckend ab. So war es immer: Sobald er sich engagierte, gab es Ärger. Dabei war alles ganz einfach: nicht die Eier mußte man verändern, wenn man besseres Rührei wollte, sondern die Henne, die sie legte. Es waren Gedanken, mit denen er wie mit einer Gleichung spielte. Bloß, dass er sie nicht in die Tat umsetzen konnte. Sie waren nichts als ein theoretisches Spiel.

Es dauerte mehr als zehn Minuten, bis er an die Reihe kam.

«Ich habe einen Einbruch zu melden. Genaugenommen sogar einen Überfall.»

«Bitte nehmen Sie Platz.»

Er wurde an einen der Tische gebeten, auf dem eine Schreibmaschine stand.

«Ihren Personalausweis bitte.»

«Meinen Ausweis, wozu?»

«Es erleichtert die Aufnahme, wenn ich Ihre Daten abschreibe.»

«Tja, tut mir leid. Er wurde gestohlen. Ich nehme an, dass er mir gestohlen wurde», berichtigte Karga.

«Haben Sie seinen Verlust gemeldet?»

«Beim Einwohnermeldeamt, ja. Ich beantragte gerade einen Pass, um nach Rumänien zu reisen. Deshalb konnte ich ihn nicht abholen, man verlangte dafür den Ausweis.»

«Sie sind also ohne Papiere?»

«Es … es gibt noch diesen Werksausweis», sagte Karga und zog eine graue Plastikkarte mit seinem Foto und einem an der rechten Seite durchlaufenden Magnetstreifen aus der Brieftasche.

«VVG … ist das nicht die Firma, die Stereorecorder und Taschenradios herstellt?»

«Unter anderem, ja.»

«Mein Sohn geht mit so einem Ding ins Bett, das man in die Hemdentasche stecken kann.»

«Von der Größe einer Scheckkarte», bestätigte Karga. «Unsere Entwicklung.»

«Meiner Meinung nach rauschen diese kleinen Dinger viel zu stark.

Für den Klang der größeren Anlagen fehlt ihnen einfach die Antennenleistung.»

«Das wird jetzt anders», erklärte Karga mit geheimnisvoller Miene. «Wir haben einen wirksameren Rauschfilter entwickelt.»

«Einen …? Aha.»

«Atmosphärische Störungen und so weiter.»

«So was sollten Sie in unsere Funksprechgeräte einbauen lassen.»

«Gar nicht so übel, der Gedanke. Leider produzieren wir nur Geräte der Unterhaltungselektronik.»

«Glauben Sie mir – die besten Radios waren die alten Volksempfänger. Ich erinnere mich noch gut an das Radio meiner Großmutter, eine hochglanzpolierte Holzkiste, so groß wie ein kleiner Farbfernseher. Sein Klang war unvergleichlich …»

Nach einer längeren Abschweifung, bei der Karga unbehaglich auf dem Stuhl hin und her zu rutschen begann, kamen sie endlich auf seinen Fall zu sprechen.

«Wurde etwas gestohlen?»

«Soviel ich weiß, nicht.»

«Und die Täter, sind sie Ihnen bekannt?»

«Ich sah sie zum ersten Mal.»

«Aber man drohte Ihnen Gewalt an?»

«Man hinderte mich, die Polizei zu benachrichtigen.»

«Auf welche Weise?»

«Indem man sich mir in den Weg stellte. Später riss man das Telefonkabel aus der Wand.»

Er klapperte Kargas Angaben mit zwei Fingern auf der Schreibmaschine herunter und ließ sich die Personenbeschreibungen geben. «Groß, klein, dick, dünn?»

«Einer der beiden scheint krank zu sein. Er schluckt Pillen, vielleicht ein Herzmittel.»

«Wenn Sie nichts vermissen, handelt es sich nur um Hausfriedensbruch. Und Sachbeschädigung.»

«Diese Kerle waren schon öfter da. Sie ziehen nie die Toilettenspülung, lassen den Wasserhahn tropfen und verschmutzen meine Gardine – ich nehme an, weil einer von ihnen am Fenster Schmiere steht.»

«Also wiederholter Hausfriedensbruch», berichtigte er. «Meiner Meinung nach suchten sie nach etwas und wurden dabei überrascht.»

«Haben Sie eine Vorstellung, wonach?»

«Keine. Das ist mir absolut schleierhaft.»

«Könnte es mit Ihrer Arbeit zusammenhängen? Werkspionage zum Beispiel?»

«Nein. Ich arbeite nicht in der Wohnung.»

«Sie nehmen auch keine Unterlagen mit?»

«Das ist untersagt. Ich beschäftige mich zwar manchmal nebenberuflich in meinem Bastelkeller mit ähnlichen Problemen wie in der Firma. Wenn man es als Hobby betrachtet, steht man einfach weniger unter Druck und kommt zu besseren Ergebnissen.

Man kann experimentieren, auch auf die Gefahr hin, dass es zu nichts führt. Der Entstörfilter ist übrigens ein Ergebnis meiner Freizeitbeschäftigung, wenigstens zum Teil. Aber für Werkspionage wäre unsere Arbeit nicht bedeutend genug. Was wir erfinden, unterscheidet sich kaum von den Produkten der Konkurrenz – und den Rest kann man später als Lizenzen kaufen.»

«Also keine Hinweise.»

Karga zögerte einen Moment, dann erzählte er ihm auch von den übrigen Vorfällen.

Der Beamte hörte schweigend zu; sein Blick wurde deutlich abweisender; er betrachtete ihn plötzlich wie eine hypochondrische alte Frau, die ihm von ihren zahllosen Zipperlein berichtete.

«Sie verbinden da eine Menge Dinge, die nichts miteinander zu tun haben müssen: das Fernsehauge, die Fahrradtasche, Ihren verlorenen Ausweis … Die Befreiung von der Stempeluhr würde ich eher als Vertrauensbeweis ansehen.»

«Ehrlich gesagt, ich bin fest davon überzeugt, dass der Verfassungsschutz hinter mir her ist.»

«Dann hätte man sich zu erkennen gegeben.»

«Auch bei einem Wohnungseinbruch? Verstehen Sie mich richtig, ich kam etwas früher nach Hause als sonst. Sie hatten nicht damit gerechnet, erwischt zu werden. Als es zu spät war, wollte keiner dazu stehen. Vertuschung illegaler Praktiken. So was steht doch täglich in den Zeitungen.»

«In diesem Falle kann ich nur eines für Sie tun.» Er riss ein Blatt vom Block und schrieb Karga eine Adresse auf. «Dies ist die zuständige Stelle beim Verfassungsschutz – ich werde Sie telefonisch ankündigen, damit man Sie vorlässt. Schildern Sie dort Ihren Fall. Dann wird man weitersehen.»

3

Karga hatte plötzlich das Gefühl, er sei vielleicht nur überempfindlich …

Falls seine Phantasie mit ihm durchging, blieben immerhin die beiden Männer in der Wohnung. Sie waren keine Einbildung. Alles andere mochte eine Täuschung sein, aber man hatte seine Wohnung durchsucht.

Es war kurz vor zwölf. Er hatte völlig vergessen, sich um Thaube zu kümmern!

Thaube kurierte irgendeine mysteriöse Krankheit aus. Genauer gesagt versuchte er sie auszukurieren. Man nahm an, dass es die Lustseuche «Aids» war. Thaube neigte unbezweifelbar dem eigenen Geschlecht zu, aber er hatte nie versucht, Karge zu nahe zu treten. Sie kannten sich seit der Studienzeit. Er war es, der ihn in die Kommunistische Partei eingeführt hatte.

Thaube war später in den terroristischen Untergrund gegangen, wenn auch nur für kurze Zeit. Das herausragendste Ergebnis seiner Aktivitäten war eine zweijährige Haftstrafe gewesen. Er gehörte zu den harmloseren Figuren der Szene: schnell aufschäumendes Brausewasser, das ebenso rasch wieder sackte und einen faden Geschmack hinterließ. Seit seiner Erkrankung wollte sich niemand mehr mit ihm abgeben. Er schien innerlich zu verbrennen. Karga brachte ihm zu essen und gelegentlich etwas frische Bettwäsche.

Um diese Zeit war nur noch der Kiosk im Bahnhof geöffnet. Einzelne Männer schlenderten ziellos durch die Halle; drinnen war es zwar nicht geheizt, aber wärmer als draußen.

Ein Zug von Verlorenheit lag jetzt um Mitternacht auf ihren Gesichtern …

Karga dachte, dass er sich immer noch in seine Arbeit flüchten konnte, auch an den Wochenenden und Abenden, falls er jemals die innere Leere verspüren sollte, hier herumzulungern. Er kaufte belegte Brötchen, Dosenbier und ein paniertes Kotelett. Beim Zahlen rollte ihm das Wechselgeld in die Auslage, die Frau hinter der Theke suchte eine Weile vergeblich zwischen den Käsestücken und weichgewordenem Stangenbrot – schließlich gab Karga es auf.

«Betrachten Sie es als Trinkgeld», sagte er.

Als er wieder auf dem Gehsteig stand, fielen eigentümlich blinkende, winzige Schneeflocken wie der Glimmer von Weihnachtsbäumen. Es mußte mit dem Wetterumschwung zusammenhängen, denn einige Schritte weiter hatte sich alles schon wieder verloren, und laue Windböen trieben die Straße von der Uferpromenade herauf.

Thaubes Haus war ein hellhöriger Neubau, zurückgesetzt in einer Reihe alter Häuser. Umlaufende Betongalerien, die so dicht mit Sprüchen aus der Spraydose verziert waren, dass man glauben konnte, in ein verfilztes Buschgestrüpp zu treten, hatten das fade Bild des rechteckigen Kastens etwas auflockern sollen.

Doch diese Absicht war derart gründlich misslungen, dass einige Wohnungen jetzt leer standen.

Während er die letzten Stufen nahm, wurde ihm unvermittelt bewusst, dass seine Freundschaft zu Thaube den Staatsschützern vielleicht Anlass zu Verdächtigungen bot. Diesen Gesichtspunkt hatte er noch gar nicht bedacht. Zu Verdächtigungen … aber zu welchen?

Er besaß einen eigenen Wohnungsschlüssel. Thaube war so schwach auf den Beinen, dass ihm das Öffnen der Tür Mühe bereitete. Nur wenn die Tageszeitungen kamen, setzte seine Schwäche für Augenblicke aus, dann saß er aufgerichtet im Bett und beklagte lautstark die politische Korruption im Lande. Er zeigte zwar alle typischen Symptome der Krankheit: geschwollene Drüsen, Gewichtsverlust, Fieberanfälle und Schweißausbrüche, gelegentlich auch Anzeichen von Verwirrung; trotzdem ließ Karga sich nicht davon abbringen, dass sein eigentliches Leiden eine eigentümliche Willenlosigkeit war – welcher Ursache, das hatte er noch nicht herausgefunden.

In dem abgedunkelten Zimmer stand die Luft. Es roch nach einer undefinierbaren Mischung, die von allem möglichen herrühren konnte: von Schweiß, japanischem Heilpflanzenöl, schmutzigen Socken und verschüttetem Bier.

Trotz seiner vierzig Jahre erinnerte Thaubes Kopf über dem Oberbett an einen gerade volljährig gewordenen Jungen.

«Leg‘s da hinten ab», sagte er und hob mit einer schwächlich wirkenden Gebärde den Arm. «Und komm mir nicht zu nahe. Ich glaub, ich hab gerade wieder einen Bakterienschub.»

«Unsinn. Erstens weiß man gar nicht, um welche Art von Erreger es sich handelt, vielleicht ein Virus, und zweitens ist es nicht so ansteckend, wie du glaubst.»

Kargas Augen gewöhnten sich langsam an das Halbdunkel, erließ den Blick über das Durcheinander im Zimmer gleiten.

Dann zog er mit einer schnellen Bewegung die Gardine auf, um zu lüften.

Im selben Augenblick gewahrte er auf der gegenüberliegenden Hausseite eine Bewegung. Es war ein Fenster in der gleichen Etagenhöhe. Ein mattglänzender, zylindrischer Gegenstand, der ziemlich lang war, wurde hinter die Gardine zurückgezogen. Kein Objektiv, wie er eben noch erkannte, sondern es erinnerte an … ja, er war ganz sicher: das Ding mußte ein Richtmikrofon sein.

Der Fensterflügel drüben war weit nach innen zurückgeschlagen, und die Übergardine aus dunklem Stoff hing jetzt leicht vom Wind bewegt als einziges Hindernis im Fenster.

«Sie haben‘s auf uns abgesehen …», sagte er, ohne seine Stimme zu dämpfen, als er sich ins Zimmer zurückwandte.

«Wer?»

«Ich weiß nicht. Aber sie beschatten uns. Drüben im Fenster war gerade ein Richtmikrofon.»

Thaube stieg mühsam aus dem Bett und trat neben ihn, sein Gang war leicht schwankend, und auf seiner hohen Stirn glänzten Schweißtropfen. Er trug ein altmodisches weißes Nachthemd, das aus der Wäscheschublade des möblierten Zimmers stammen mußte. Die Vermieter, ältere Leute, hatten ihm ihre Sachen überlassen.

Neben Karga wirkte er sehr hager und lang; während er sich mit einer Hand am Fensterkreuz abstützte, erinnerte seine verzogene Figur an die Darstellungen des traurigen Ritters von la Mancha, der für einen Augenblick vom Klepper gestiegen war und seine Lanze in die Ecke gestellt hatte.

«Sicher wegen meiner zahllosen Anschläge auf den Papst und die europäischen Königshäuser», sagte er und drohte mit erhobener Faust zur anderen Seite hinüber.

«Ich bin nicht sicher, ob sie immer zwischen Scherz und Ernst unterscheiden können», gab Karga zu bedenken.

«Was kann mir noch passieren? Ich bin ein toter Mann.»

Karga beschloss, ihm nichts von den Männern in seiner Wohnung zu sagen. Es würde ihn nur zu unüberlegten Reaktionen provozieren. Er zog das Bettzeug ab und legte ein frisches Laken auf. Er arbeitete schnell und geschickt, und Thaube sah ihm dabei vom Lehnstuhl aus zu. Um unter die Matratze am Kopfende zu gelangen, mußte er das Bett abrücken; es verursachte ein quietschendes Geräusch auf dem Kachelboden.

«Alles vergebliche Mühe», murrte die Gestalt im Lehnstuhl.

«Du solltest deinen Pessimismus nicht wie einen Geburtstag abfeiern.»

«Meine Geburtstage waren immer pessimistisch.»

Als Karga nach einer halben Stunde wieder auf der Straße stand, atmete er auf. Es gab zwei Dinge, die er nicht ausstehen konnte: Hypochondrie und Willenlosigkeit. Sein eigenes Leiden entzog sich jeder willentlichen Beeinflussung.

Aber er machte nicht viel Aufhebens davon. Er mied Schiffsfahrten und Brücken und ging niemals Schwimmen. Wie andere ihren Analphabetismus, so hielt er sein Gebrechen wo er konnte geheim. Trotzdem ließ es sich nicht immer vermeiden, dass man davon erfuhr.

Bei Taxifahrten über die Rheinbrücken schloss er schon einige Straßen vorher die Augen, um im Ungewissen zu bleiben, wann sie das Wasser überquerten.

Während er das gegenüberliegende Haus passierte, spielte er einen Augenblick mit dem Gedanken, seine Beobachter dort oben zur Rede zu stellen.

Er trat in den Hauseingang und zündete mehrere Streichhölzer an. Der Wind blies die Flamme immer wieder aus.

Die mittlere Klingel war ohne Namensschild, wahrscheinlich eine leerstehende Wohnung. Sein Finger ruhte nachdenklich auf dem Klingelknopf.

Dann argwöhnte er, dass es sie nur um so vorsichtiger und geschickter vorgehen lassen würde. Je mehr er nach den Gründen seiner Beschattung suchte, desto rätselhafter erschien sie ihm. Vielleicht lag seine Chance darin, dass sie sich auf irgendeine Weise verrieten?

Er wartete es nicht ab. Als er erwacht war und beim Frühstück saß, fühlte er plötzlich Ärger aufsteigen. Der Gedanke, einer anonymen Verfolgung ausgesetzt zu sein, die sich offensichtlich nicht einmal durch den Gang zur Polizei abstellen ließ, war eine solche Ungeheuerlichkeit, dass seine Entschlossenheit obsiegte und seine angeborene Vorsicht ins Hintertreffen geriet. Warum nicht zum Angriff übergehen?

Er hatte die Adresse, und er war telefonisch angekündigt.

Doch er hätte nie geglaubt, über wie viele Personen man in einem Amt weitergereicht werden konnte, das sich angeblich mit nichts anderem beschäftigte, als die Verfassung zu schützen.

Für einen Tag im späten Februar war das Wetter erstaunlich mild, die Sonne verbreitete frühlingshafte Wärme, und während Karga aus dem Busfenster sah, erinnerte er sich ihrer Reise nach Poiana Brasov in den rumänischen Karpaten.

Er hatte einige Wochen Urlaub verdient. Sie würden in einem Berghotel wohnen. Nach Kronstadt gab es nur eine selten verkehrende Busverbindung, also konnten sie dort oben mit sehr viel Ruhe rechnen.

Angeblich war die Gegend so urwüchsig, dass junge Bären manchmal von den Hängen herabstiegen und nachts die Abfalltonnen der Hotels plünderten.

Der Verdacht – und mehr als ein Verdacht war es wohl nicht –‚ dass man seinen Pass zurückhielt, um die Reise zu verzögern, brachte ihn noch mehr in Rage. Er würde das alles hier zur Sprache bringen.

Die Auskunftsstelle befand sich im zweiten Stock. Sie war nur mit einem blassenjungen Mädchen besetzt, das seine dünnen Handgelenke massierte.

Es saß in einem bis auf das Telefonbuch und den Kalender völlig leeren Verschlag und verwies ihn an eine angeblich zuständige Stelle im vierten Stock, als er seinen Namen nannte.

Dort sagte man ihm, falls gegen ihn ermittelt werde, müsse erst die Genehmigung zur Auskunft eingeholt werden. Er wanderte von Zimmer zu Zimmer. Niemand schien zuständig zu sein. Es gab einen Sicherheitstrakt, Eintritt für Unbefugte verboten. Aber wie unterschied man Befugte und Unbefugte? War er als Betroffener nicht automatisch «befugt»?

Die Verfassung lebt von den Menschen, ohne sie wäre sie ein Nichts, eine ideale Konstruktion. Nun gut: er wollte nichts weiter, als dass man seine verfassungsmäßig niedergelegten Rechte schützte.

Man hatte ihm die Nummer eines Zimmers im Kellergeschoss gegeben; doch er war nicht mehr willens, das würdelose Spiel noch länger mitzumachen. Während er durch lange, hohe Gänge schritt, deren Gewölbedecken Ähnlichkeit mit den Gängen in Gerichten besaßen, las er auf einem Türschild:

FJ. Wagner, Zugang nur über das Sekretariat, Zimmer 49.

Entschlossen drückte er die Klinke, und tatsächlich ließ sich die Tür öffnen.

Ein weißhaariger Mann mit einem kurzen Zigarillo zwischen den Zähnen blickte vom Schreibtisch auf.

«Wagner?»

«Sie wünschen?»

«Aus der Schleuse nebenan schließe ich, dass Ihre Funktion hier keine untergeordnete ist?»

«Schleuse?»

«Das Sekretariat.»

«Ah – verstehe.» Die Augen des anderen blitzten amüsiert, er nahm den Zigarillo und drückte ihn im Ascher aus. «Sie haben sich in der Bürokratie verirrt?»

«So kann man es nennen, ja.»

«Ich bin Amtsbereichsleiter.»

«Seit einer guten Dreiviertelstunde schickt man mich von Zimmer zu Zimmer, weil ich eine Auskunft über Ermittlungen gegen mich wünsche. Ich werde von Ihren Leuten beschattet. Gestern brach man in meine Wohnung ein. Es gibt weitere Hinweise. Das alles muss mit meiner früheren Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei zusammenhängen.»

Wagner notierte sich seinen Namen und führte ein kurzes Telefongespräch, bei dem es um den Zutritt zu irgendeinem dubiosen Dateiraum im Kellergeschoss ging. Karga bemerkte, dass es die Nummer des Zimmers war, die man ihm weiter oben gegeben hatte. Anscheinend war man über seinen Fall unterrichtet. «Wir werden das ganz unbürokratisch regeln», beruhigte Wagner ihn und legte den Hörer auf. «Außerhalb des üblichen Amtsweges.»

«Ich habe schließlich ein Recht darauf.»

«Sie sollen nicht glauben, hier werde illegal gegen Sie ermittelt. Falls es einen Einbruch gab, wird man die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.»

«Mir liegt nichts an Bestrafung. Nur an Aufklärung.»

«Um so besser.»

Wie schon auf der Polizeiwache überkam Karga plötzlich der Verdacht, er sei vielleicht nur überempfindlich.

Ämter und Behörden hatten immer etwas Anonymes, Unpersönliches. Die Linke wusste nicht, was die Rechte tat. Ein Gewirr von Verordnungen lenkte das Handeln. Darüber mußte man hinwegsehen. Entscheidend war, was schließlich für den einzelnen dabei herauskam. In den Gewölbegängen hallten ihre Schritte.

Dann kam ein moderner Anbau aus Beton. Mit dem Paternoster gelangten sie in das Kellergeschoss.

Der Raum, nachdem sie eine dreitürige gläserne Kontrollschleuse passiert hatten, in der Wagner eine Weile eindringlich, aber offenbar erfolgreich auf einen merkwürdig gesichtslos wirkenden jungen Mann am Eingangstisch einredete, war die Datenbank: mehrere Monitore und Datenspeicher in glatten grauen Metallkästen gaben Karga das Gefühl, wieder vertrauten Boden zu betreten.

Die Wände waren hell gefliest, wie in einer Metzgerei oder Leichenhalle.

Ganz ähnlich sah es auch bei der VVG aus. Als er sich umwandte, bemerkte er, dass der junge Mann ihm missbilligend nachstarrte; Zugang zum Allerheiligsten wurde nur den Priestern gewährt.

«Mehr Menschlichkeit ins System …»‚ brummte Karga über die Schulter zurück. «Gewöhnen Sie sich daran, dass Ihre Arbeit für den Menschen da ist, nicht umgekehrt. Ihre Vorschriften sind nur Krücken.»

Zufrieden registrierte er die Sprachlosigkeit im Blick des anderen. Wagner hörte geflissentlich darüber hinweg. Er nahm an einem der Monitore Platz.

«Sie dürfen es sich als seltenes Privileg anrechnen, bis hierher vorgedrungen zu sein», meinte er, nachdem er Kargas Daten eingegeben hatte; dabei nahm er einen Zigarillo aus der Hemdentasche und steckte ihn sich kalt zwischen die Lippen.

Karga nickte und beobachtete aufmerksam die Datenreihen auf dem Bildschirm.

«Eintritt in die DKP März 1981 – Austritt drei Wochen später. Nach eigenen Angaben, weil Sie einer gewalttätigen Demonstration beiwohnten, die Sie nicht gutheißen konnten. Vermummte Mitglieder der Partei schlugen mit Holzknüppeln Schaufensterscheiben ein. Stiefmutter in Karl-Marx-Stadt. Über Richard Thaube Kontakte zu linksextremistischen Kreisen. Reisen in den Ostblock. Für den Lehrerberuf als nur bedingt geeignet eingestuft.»

«Was heißt bedingt? Ich bekam keine Einstellung.»

«Sie wissen ja, wie heutzutage die Arbeitschancen für Junglehrer sind.»

«Fragen Sie nach meiner Überprüfung.»

Wagners schlanke Finger spielten über das Tastenfeld; die Schrift wurde invertiert und zeigte:

NO

«Was heißt das schon wieder? No kann alles mögliche bedeuten. Zum Beispiel keine Auskunft.»

«Es heißt: Keine weiteren Überprüfungen. Sonst würde dort stehen: Informationszugang nur mit Code.»

«Und meine Ausweispapiere? Ich habe schon vor mehreren Wochen einen Pass beantragt. Als ich ihn abholen wollte, kam mir auf mysteriöse Weise mein Personalausweis abhanden.»

Wagner arbeitete wieder an der Tastatur. Nach einigen Versuchen schüttelte er den Kopf. «Darüber weiß die Anlage nichts.» Er betätigte eine Taste und ließ das Ergebnis ausdrucken. «Dies ist eine amtliche Bescheinigung», sagte er und reichte ihm das Papier. «Sie können sich jederzeit darauf berufen.»

«Aber irgend jemand ist hinter mir her.»

«Ich kann Ihnen nicht helfen, bedauere», sagte er freundlich. «Wenden Sie sich an die Polizei.»

Sein alter Wagen war schrottreif. Er hatte für die Reise in drei Wochen einen neuen bestellt: einen roten Zweisitzer. Anja schätzte extravagante Fahrzeuge. Sie würden unabhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln sein.

Mit Anjas Pass gab es offenbar keinerlei Probleme, auch das Visum für Rumänien war ohne Verzögerung ausgestellt worden. Karga war jetzt festen Willens, sein Recht auf Ausweispapiere einzuklagen. Noch bevor er den Wagen auf der Autobahn ausprobierte, würde er das in Ordnung bringen.

Merkwürdigerweise bekam er sowohl seinen Pass wie auch den neuen Ausweis sofort ausgehändigt, als er seine Absicht ankündigte.

«Ihre Papiere liegen schon seit vorgestern hier bereit», sagte das Mädchen hinter der Theke.

Sie trug eine kreisrunde Brille. Die einzige modische Extravaganz, die sie sich leistete, schien eine dunkelrote, mit Eloxal eingefasste Plastikspange in ihrem altjüngferlichen Haarknoten zu sein. Karga schätzte sie auf höchstens achtundzwanzig.

Als sie zum Karteikasten ging, sah er, dass ihre Füße in bequemen Schuhen mit flachen Absätzen steckten. Auf dem hellgemaserten Aktenschrank lag eine Butterbrotdose.

Plötzlich ritt ihn der Teufel. Die Langeweile, die sie wie ein schlechtes Parfüm verströmte, war seine Chance. Er sah eine Möglichkeit, das Geheimnis zu lüften – auch wenn es nicht ganz die feine Art sein würde, die er eigentlich bevorzugt hätte.

Neugierde korrumpierte nicht weniger als Habgier oder Eifersucht.

«Sie sind ein Schatz …», stellte er fest und beugte sich mit möglichst einnehmender Geste über die Theke – den Arm lässig aufgestützt. «Für diese gute Nachricht sollte ich Sie eigentlich zum Essen einladen.»

«Ende gut, alles gut», sagte sie, als habe sie den Satz eben erst erfunden.

«Was halten Sie von einer kleinen Spritztour nach Dienstschluss? Ich bin gerade dabei, meinen neuen Zweisitzer auszuprobieren.»

«Eine Autofahrt?» Sie musterte ihn neugierig.

«Mit dem Sportwagen. Einmal um den Autobahnring.»

«Beim schnellen Fahren bekomme ich leicht Schluckauf.»

«Dann halten wir sofort an.»

«Ehrenwort?»

«Was denken Sie? Ich muss schließlich auf meinen guten Ruf bei den Ämtern denken», meinte er zweideutig.

Sie verzog keine Miene. «Alles in allem sehen Sie ja nicht aus wie ein Notzuchtverbrecher», sagte sie und schob ihren dunklen Haarknoten zurecht.

4

Die beiden Männer trugen steif wirkende graue Hüte. Als sie an der Ampel hielten, nahm der Beifahrer seinen Hut für einen Augenblick ab und strich mit den Fingerkuppen über die Einbeulung. Es war mehr eine Verlegenheitsgeste: er fühlte sich zur Untätigkeit verdammt.

Sein schwarzes Haar war sorgfältig gescheitelt und gekämmt. Sie folgten dem roten Sportcoupé jetzt über eine Dreiviertelstunde, das machte ihn nervös und ungeduldig. Er hatte sich vorgestellt, dass sie ihr Geld leichter verdienen würden.

Alles hatte viel weniger kompliziert geklungen – nicht einfach, aber machbar. Nun jagte dieser Bursche mit dem Mädchen schon zum drittenmal über den Autobahnring, als gelte es eine ganze Kolonne Streifenwagen abzuhängen.

Der andere Mann saß nur dumpf brütend über dem Steuer und zischte hin und wieder durch die unmerklich geöffneten Zähne. Er war etwas älter, seine Finger fühlten sich verschwitzt an. Er wurde von dem Wunsch gepeinigt, es endlich hinter sich zu bringen. Wie man ihnen gesagt hatte, würden sie nachher vielleicht vor Gericht aussagen müssen; aber das verursachte ihm weniger Unbehagen als der Unfall.

Im Augenblick bezweifelte er sogar, dass der dritte Wagen noch hinter ihnen war. Er mußte sie verloren haben, denn sooft er auch in den Rückspiegel sah, konnte er ihn nirgends entdecken.

Der Auftrag des anderen Wagens verlangte viel mehr Fahrkunst: er mußte blitzschnell reagieren, die günstigste Straße abpassen, dann mit überhöhter Geschwindigkeit den Häuserblock umrunden, Ampeln eingerechnet, und genau im passenden Augenblick auf der Kreuzung sein. Da er seinen Fahrer ebenso wie den Mann mit dem Geld nie zuvor gesehen hatte, wusste er nicht, ob er seiner Aufgabe gewachsen sein würde.

Der Mann ohne Namen hatte sie in einer Kneipe hinter dem Römisch-Germanischen Museum aufgegabelt. Sie verbrachten dort die meisten Abende, weil sie beim Wirt Kredit besaßen.

Sein Äußeres wirkte so unauffällig wie die Art, in der er sprach; er trug einen dreiviertellangen Ledermantel mit hellem Kragenbesatz, seine Hände waren unberingt, die Finger weder gelb vom Zigarettenrauch noch ungewöhnlich gepflegt, als versuchten sie auf diese Weise ihre Anonymität zu unterstreichen, und er sprach mit leiser, akzent- und dialektfreier Stimme auf sie ein. Nicht eindringlich, aber bestimmt.

Seine Stimme klang eher, als sei es längst ausgemacht, dass sie seinen Vorschlag akzeptieren würden: als ginge es nicht mehr um das Ob sondern nur noch um das Wie.

Dabei nannte er eine Summe, die ihnen für Augenblicke die Sprache verschlug …

Nach einem Vorgeplänkel hatten sie das Lokal gewechselt: mit dem Taxi zum Hinterzimmer eines Cafés im Norden der Stadt. Er schien alles über sie zu wissen: dass der eine geschieden war und zwei Töchter versorgte, die sich noch in der Ausbildung befanden.

Und dass sein Freund wegen einer Vorstrafe kaum damit rechnen konnte, jemals wieder in seinen alten Beruf zurückzukehren, jetzt, in diesen schlechten Zeiten, wo es für jeden guten Job mehrere Bewerber gab.

Erst als er über ihre Verschwiegenheit sprach, wurde seine Stimme hart. Seine tiefliegenden Augen bekamen einen unbarmherzigen Blick; wenn auch nur so kurz, wie schnell treibende Wolken den Mond verdunkelten. Geschwätzigkeit sei etwas, das mit härtesten Strafen geahndet werde.

Das Unternehmen – er nannte es mit amüsiertem Grinsen Unternehmen –‚ das er vertrete, sei nicht zimperlich. Es arbeite zwar im Rahmen der Gesetze, wo immer sich das machen ließe – aber es schrecke auch nicht vor dem Äußersten zurück. Er hatte ihnen auch zu verstehen gegeben, dass sie nur bezahlt würden, wenn sie erfolgreich waren: alles oder nichts.

Eine zusätzliche Schwierigkeit war der Straßenverkehr. Das hatte er ihnen immer wieder eingeschärft. Wenn hinter ihnen ein fremder Wagen mit Zeugen fuhr, die das Gegenteil über die Stellung der Ampel aussagten, gab es kein Geld.

Ein langer Weg, dachte er seufzend, bis sie endlich etwas in die Finger bekamen.

Aber da sie beide seit Monaten arbeitslos waren, hielt er es immer noch für ein günstiges Angebot.

«Glaubst du, dass sie vor Gericht inkognito bleiben können?», fragte sein Nebenmann zweifelnd.

«Wenn sie uns ihre Namen bis jetzt verschwiegen haben, dann werden sie einen Weg finden, es später genauso zu halten.»

«Vielleicht weiß der Fahrer des dritten Wagens auch nicht mehr als wir?»

«Möglich, ja.»

In diesem Augenblick fuhr ein grauer Mercedes, der lange hinter den Häuserblocks außer Sicht gewesen war, über die Kreuzung. Es gelang ihm, um Haaresbreite vor dem roten Zweisitzer zu stoppen – aus einem Grund, den sie zunächst nicht verstanden. Der Fahrer des Coupés hupte ärgerlich. Zu Recht: die Ampel stand auf Grün.