Der Fall Mozart - Helmut Perl - E-Book

Der Fall Mozart E-Book

Helmut Perl

4,9

Beschreibung

Mozarts letzte Lebensjahre fallen in eine der aufregendsten Zeiten der europäischen Geschichte. Wien war mehr als jede andere europäische Metropole ein Brennpunkt, in dem die exponiertesten Positionen der rivalisierenden Mächte in Staat und Kirche und deren Protagonisten aufeinander trafen. Diesem ideen- und geistesgeschichtlichen Umfeld war Mozart in einem Maße ausgeliefert, das wir uns heute kaum vorstellen können, und er hat als Mitglied zweier freidenkerischer Logen und in seinen Werken zu den aktuellen Ereignissen explizit Stellung bezogen. Der Autor hat in seiner Darstellung eine Vielzahl bislang unbekannter historischer Dokumente ausgewertet und zu den überlieferten Daten aus Mozarts Biographie in Beziehung gebracht. Als Resultat dieser Recherche ergibt sich nicht nur ein gänzlich veränderter Blick auf die zahlreichen "Geheimnisse" von Leben und Werk (Begräbnis, letzte Opern), sondern auch ein völlig neues Bild des Komponisten als gesellschaftlich engagiertem Künstler.

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Helmut Perl · Der Fall Mozart

Helmut Perl

Der Fall Mozart

Aussagen über ein missverstandenes Genie

Atlantis-Musikbuch

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Bestellnummer SDP 134

ISBN 978-3-7957-8558-1

© 2016 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Als Printausgabe erschienen unter der Bestellnummer ATL 6266

© 2005 Atlantis Musikbuch-Verlag, Zürich und Mainz

www.schott-music.com

www.schott-buch.de

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung kopiert und in ein Netzwerk gestellt werden. Das gilt auch für Intranets von Schulen oder sonstigen Bildungseinrichtungen.

Inhalt

Vorwort

1.  Joseph II. versus Rom

Wiener Kulturkampf – der historische Hintergrund der Zauberflöte

2.  Mozarts Freunde und die „Wiener Szene“

3.  Die drei Tempel der Zauberflöte Sarastro

4.  Die Zauberflöte – eine Parabel Synoptischer Kommentar

5.  Aufklärungspublizistik

6.  Leopold versus Illuminaten

7.  La clemenza di Tito – una porcheria tedesca Des Kaisers Kampf um Rom

8.  Briefe der Mozarts

9.  Ein höchst trauriger und schmachvoller Gegenstand Mutmaßungen über Mozarts Begräbnis

10.  Die Prozesse

11.  Epilog

Anhang

Anmerkungen

Literatur

Zeittafel

Namenregister

Bildnachweis

Vorwort

Es hat den Anschein, als wäre in ungezählten Biografien Mozarts alles überlieferte Material erschöpfend ausgewertet und interpretiert worden. Das ist zutreffend, allerdings nur dann, wenn man einen Bereich ausklammert: die im Zusammenhang mit den Josephinischen Reformen stehenden geistigen Strömungen und Auseinandersetzungen. Diese „Wiener Aufklärung“ erreichte ihren Höhepunkt, als Mozart 1781 nach Wien übersiedelte. Sie bestimmte das Wiener geistige Klima bis zu Mozarts Tod und darüber hinaus. Weil es hier erstmalig auch um die „breite Masse“ und deren Meinung ging, griffen Kleriker und aufgeklärte Schriftsteller mit einer Fülle von Publikationen in die Diskussion ein. Mozart erlebte in unmittelbarer Nähe die radikale Spätaufklärung: die Auseinandersetzung der modernen Philosophie mit dem Klerus als Verwalter tradierter Werte und Strukturen. Über diese Wiener Aufklärung ist im Zusammenhang mit der Vita Mozarts sehr wenig publiziert worden. Die vorliegende Publikation ist ein Versuch, Mozarts geistige Umwelt dieser Jahre zu beleuchten und seine Person und seine Werke in diesem Zusammenhang zu verstehen.

Musikgeschichte behandelt nicht nur Daten, Viten der Komponisten und deren Werke; sie vermittelt auch ein allgemeines Bild des Komponisten. Dieses Image ergibt sich nicht nur aus den überlieferten Fakten, schriftlichen Dokumenten, Biografien und anderen Publikationen, sondern auch aus einem Informationsdefizit, also aus dem, was ignoriert und worüber nicht berichtet wurde oder gar nicht berichtet werden konnte. Dieses Informationsdefizit überlässt einen Freiraum, der umso mehr mit Vermutungen ausgefüllt wird, je spärlicher die betreffenden Informationen sind. Um ein Beispiel zu nennen: Nachdem Anton Schindler zwei Drittel der Konversationshefte Beethovens vernichtet hatte, ist man auf Vermutungen angewiesen, was diese Hefte enthalten haben könnten, und welche Motive Schindler für diese Vernichtungsaktion hatte. Ähnlich geht es uns mit einem Teil der Briefe Mozarts. Die Korrespondenz mit seinem Vater aus dessen letzten Jahren ist „verschollen“, wie die Gesamtausgabe der Briefe mitteilt. Wie denn, wenn gerade diese Briefe nach dem Beitritt Leopolds in die Loge „Zur wahren Eintracht“ aufgeklärte Themen behandelt und aus einer modernen Sicht die sich unter reaktionären Einflüssen ändernden innenpolitischen Zustände der Monarchie betroffen hätten?

Ein Informationsdefizit entsteht auch durch Fehl- und Falschinformationen der Mozartbiografen, durch ein Missverständnis der Quellen und durch Geschichtsklitterungen und -fälschungen. Auch in dieser Richtung hat unsere Untersuchung einige interessante Aspekte ergeben.

Seit 1786 wandelte sich die Monarchie nach einer relativ liberalen Phase mehr und mehr in einen mit Agenten durchsetzten Polizeistaat. Korrespondenz, Presse und Literatur waren zwecks Verfolgung demokratischer Tendenzen zunehmend der Kontrolle der Polizei ausgesetzt. Furcht vor Entdeckung und Verfolgung wären eine plausible Erklärung für das Verschwinden dieser späten Briefe Mozarts und – noch wesentlich später – der Beethovenschen Konversationshefte. Es wurden in erhaltenen Briefen Namen unleserlich gemacht, um deren Träger vor Verfolgung zu schützen. Es ist zu vermuten, dass Mozart und sein Vater in diesen Briefen Dinge geäußert haben könnten, die nicht in ihr bisheriges, anderen Briefen zu entnehmendes Meinungsspektrum passten und wohl auch nicht mit unserem Mozartbild korrelieren. Insofern sind wir darauf angewiesen, Mozarts Denken indirekt zu erschließen. Diese Annäherung kann nur geschehen, wenn wir uns mit der Ideengeschichte und den innenpolitischen Verwicklungen seiner Wiener Jahre beschäftigen. Wie und was hat man in Wien damals gedacht? Was hat die Umwelt Mozarts bewegt? In welchen Bereichen prallten die Gegensätze aufeinander? Wie hat sich dieses „Klima“ in seinen letzten Werken niedergeschlagen?

Lückenhafte Darstellungen

Im Fall Mozart gibt es Themenbereiche, über die bisher wenig publiziert worden ist. So vermisst man in Biografien Informationen über die geistige Welt der beiden Illuminatenlogen, denen Mozart angehörte. Wenn gelegentlich eine Annäherung versucht wurde, kamen die Autoren meist zu Ergebnissen, die mit den Ideen dieser Logen und ihren politischen Intentionen allenfalls marginal korrelierten. Oder die Berichte beschränkten sich auf die wissenschaftliche Arbeit der Logen und der Minervalkirchen, vermieden jedoch den ideologischen und philosophischen Themenbereich, damit aber auch die säkularen Auseinandersetzungen vernachlässigend. Noch weniger berichten die Biografien über innenpolitische Konflikte dieser Jahre und gar nichts über das Schicksal von Mozarts Logenbrüdern, das sie in den Jakobinerprozessen des Jahres 1794 erfuhren. Damit ignoriert man allerdings die Verfolgungen, die geistesverwandte Schriftsteller, Dichter und andere Personen aus dem unmittelbaren Umfeld Mozarts erlitten. Dem Schicksal der Szene um Mozart nach dessen Tod ist daher ein eigenes Kapitel gewidmet.

Leslie Bodi hat erstmals in seiner umfassenden Darstellung Tauwetter in Wien auf die Bedeutung der Wiener Literatur dieser Josephinischen Epoche hingewiesen. Der Musikwissenschaft standen bis dahin nur unzureichende Forschungsergebnisse der Germanistik zur Verfügung; als wäre die Literatur dieser Epoche nicht der Beachtung wert. Die Mozartbiografen mieden die Beschäftigung mit dieser Literatur.

Das Tabu des Josephinismus galt auch für die Historiker Österreichs. [...] Das Fehlen von Arbeiten über die Bewertung der josephinischen Zeit und ihrer Literatur durch zeitgenössische ausländische, – deutsche wie anderssprachige – Journalisten und Publizisten erschwert die Arbeit ebenfalls.1

Es liegen hier nur sehr wenige Arbeiten vor, die aber allenfalls partiell in Verbindung mit Mozart ausgewertet worden sind. Anlass für solche Unterlassungen scheint eine Scheu zu sein, sich der Rolle der Kirche dieser Jahre kritisch zu nähern. Es ist nicht verwunderlich, dass selbst Bodi in der Darstellung des Endes des Josephinismus klare Aussagen vermeidet. Noch weniger verwunderlich ist, dass Unsicherheit in diesen Bereichen zu Fehlurteilen führt.

In einer „Quellendokumentation“ kommt es beispielsweise zu einem bemerkenswerten Missverständnis, das beweist, wie wenig uns Stil und Inhalte satirischer Publikationen am Ausgang des 18. Jahrhunderts vertraut sind. So vermutet der Herausgeber dieser Dokumentation die Autoren der Vier Briefe abgefasset von drey hellstrahlenden Kirchenlichtern (1785) in kirchlichen Kreisen. Dass es sich bei dieser Publikation dagegen um eine von Aufklärern verfasste Satire handelt, ist bereits dem spöttischen Ton des Titels zu entnehmen, der zudem auf Jesuitenpater Maximilian Hell anspielt, der sich als Astronom profiliert hatte. Er war 1769 nach Lappland gereist, um dort den von ihm vorberechneten Durchgang der Venus vor der Sonne zu beobachten. Sein Bericht darüber wurde unberechtigterweise angezweifelt. Jedenfalls war Pater Hell in doppeltem Sinne als „hellstrahlendes Kirchenlicht“ den Wienern bekannt. Form und Inhalt der Briefe parodieren den damaligen klerikalen Stil. Einer der fiktiven Autoren wird Pater Präputius genannt. Wien wird sich köstlich amüsiert haben2. Hell war trotz seiner wissenschaftlichen Verdienste immer wieder Zielscheibe der Aufklärer, weil er orthodoxe Positionen vertrat. Münter berichtet, dass Pater Hell die neu geplante Societät der Wissenschaften zur Verteidigerin der unbefleckten Empfängnis Mariä machen wollte.

Fragwürdige Interpretationen

Es darf nicht Wunder nehmen, dass Mozart und seine Zeitgenossen auf die widerstrebenden Ideen und politischen Tendenzen in der sich überstürzenden Folge der Ereignisse unterschiedlich und für uns vielleicht sogar unverständlich reagierten. Denn selbst heute – aus einer Distanz von über zweihundert Jahren – haben wir immer noch Probleme, diese Zeit angemessen zu interpretieren und zu würdigen. Geradezu als Geschichtsklitterung oder gar Geschichtsfälschung muss man beispielsweise neuere Publikationen qualifizieren, die Papst Clemens XIV. zum reaktionären Papst erklären, weil er 1772/73 den vorgeblich so reformfreudigen Jesuitenorden zerstörte und dessen Obere samt Ordensgeneral Ricci in der Engelsburg schmachten ließ; eine Legende, die schon Friedrich Münter 1782 widerlegen konnte3. Die Quellen dieser Epoche sprechen eindeutig gegen solche Deutungen von Gestalten und Ereignissen. Wären die kirchlichen Orden reformfreudig gewesen, hätte es die Wiener Szene der Aufklärung in ihrer radikalen Ausprägung nicht gegeben.

Auch Walther Brauneis erklärt wenig, wenn er Hans-Josef Irmens Mozart – Mitglied geheimer Gesellschaften heranzieht, um die Handlung der Zauberflöte als Kampf zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb des königlichen Ordens der Freimaurerei darzustellen, also der Illuminaten gegen die Asiatischen Brüder oder dergleichen4. Solche Publikationen ignorieren den eigentlichen Ansatz der Aufklärung. Sie vergeben die Chance, dem „Skopus“ – hier im Sinne einer allgemeinen Botschaft der epochalen Kunst – auf die Spur zu kommen. In solchen Publikationen begegnet man, wie seinerzeit in den antiaufklärerischen Äußerungen der Kleriker um Mozart, immer noch dem Begriff „Freidenker“ als Bezeichnung eines minderwertigen Mitbürgers. Äußerungen von Freidenkern darf man – weil a priori als negativ eingestuft – ignorieren.

Über die Zusammenhänge der Zeremonien in der Zauberflöte ist bereits ausgiebig publiziert worden, beispielsweise bei H. C. Robbins Landon, der auch die Symbolik der Zahlen diskutiert5. Dass Fehlinterpretationen in fataler Konsequenz sinnentstellende, modern sich gerierende Inszenierungen zur Folge haben, sei am Rande vermerkt.

Daneben wird das Bild Mozarts von künstlerischen Bearbeitungen seiner Vita getrübt. Seit Mörikes Mozarts Reise nach Prag und den Mozartfilmen darf anscheinend „wissenschaftlich“ fabuliert werden, als habe sich unter Mozarts Klientel ein Bedürfnis nach romantischen Legenden herausgebildet, das man befriedigen müsse. Es entsteht eine Aura der Verklärung, die sich wie ein undurchdringlicher Schleier über einige Stationen seiner Vita legt. Man denke nur an die „Berichte“ und nicht enden wollenden Diskussionen um Krankheit und Tod, die aber auch zeigen, dass manche Vorgänge nicht mit exakt wissenschaftlichen Methoden aufzuklären sind, die aber dennoch nach einer Klärung verlangen. Dieser Situation entspricht ein Umgang mit Historie, der einerseits alles außer Betracht lässt, was nicht dokumentiert werden kann, andererseits jedoch eigenen Fantasien freien Lauf lässt. Unter solchen Prämissen sind anscheinend die Berichte über Mozarts Beerdigung verfasst worden, denen daher ein eigenes Kapitel gewidmet ist.

Neuer Ansatz

Wenn wir uns erneut mit den letzten Jahren und Monaten Mozarts beschäftigen, so kann das nur mit einem grundlegend neuen Ansatz erfolgen, der bisher nicht genügend berücksichtigt worden ist. Aus ihm lassen sich jedoch wesentliche Faktoren und Thesen ableiten und zur Diskussion stellen, wenn diese sich nicht sogar in logischer Konsequenz ergeben. Es geht um ein weites Feld, das mit dem Begriff Geistesgeschichte nur undeutlich umschrieben wird. Dieser ideen- oder geistesgeschichtlichen Umwelt war Mozart in einem Maße ausgeliefert, das wir uns heute kaum vorstellen können. Es geht um die Positionen der führenden Mächte, die in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts öffentlich attackiert wurden. Mozarts letzte Jahre zählen daher zu den aufregendsten der europäischen Geschichte. Wien war mehr als jede andere europäische Metropole ein Brennpunkt, in dem die exponiertesten Positionen der rivalisierenden Mächte und ihre Protagonisten direkt aufeinander trafen. Nachdem in Paris zum ersten Male in der Geschichte der unmündige Bürger, die breite Masse, der „Pöbel“, eine entscheidende Rolle zu spielen begonnen hatte, ging es auch in Wien in diesen Auseinandersetzungen um die öffentliche Meinung. Das Volk begann zu begreifen, was Meinungsfreiheit ist und wie sie sich auswirken konnte. Die Vertreter des ancien régime erkannten die Gefahr. Der Bürger versuchte, sich als politische Kraft zu verstehen und zu äußern. Er konnte eine andere Meinung haben, als die von den weltlichen und geistlichen Obrigkeiten verkündete: „Freidenker“.

Zwischen diesen beiden bis dato kaum in Frage gestellten Mächten gab es einen fundamentalen Unterschied. Vom Hof erfuhr der Bürger die politische Absicht des Kaisers als persönliche Äußerung eines austauschbaren Herrschers, dessen ererbte Position bereits weithin nicht mehr als gottgewollt oder unabdingbar hingenommen wurde. Wien erlebte in zwei Jahren drei Kaiser, die nach unterschiedlichen Prinzipien regierten. Was die Kirche verkündete, wurde dagegen als überzeitliche und göttliche Wahrheit und Weisheit ausgegeben. Über die kaiserliche Politik konnte man noch diskutieren; die kirchliche Position war – nach Ansicht des Klerus – Tabu. Der Wille Gottes, den die Kirche formulierte, konnte nicht kritisiert werden. Allerdings: Sogar Kaiser Joseph II. stellte diese Kompetenz der Kirche in Frage. Zwischen diesen verhärteten und doch gleichermaßen labilen Positionen etablierte sich die wissenschaftliche und künstlerische Intelligenz auf einer moralisch-ethischen Basis.

Gegenüber absolutistischem Staat einerseits und dogmenfixierter Kirche andererseits bezog der neue mündige Bürger die gleiche Position. Die Zauberflöte nennt sie mit den Logoi der drei Tempel: Natur, Vernunft, Weisheit. Hierauf gründete sich der Anspruch der Vertreter der Aufklärung. Sie forderten, dass Kirche und Staat diese neue Mündigkeit zu respektieren hatten. Eine provokante Ideologie hatte sich in einem historischen Moment unüberhörbar als Radikalaufklärung formuliert und präsentiert, als der Staat im Absolutismus seine Vollendung zu finden glaubte und die Kirche angesichts zunehmender Verunsicherung ihrer Anhänger auf der akribischen Beachtung ihrer Dogmen, Lehren und Riten, vor allem aber auf ihrer unfehlbaren Hierarchie bestand, die alles andere zu sichern schien. Die Frage der Zauberflöte lautet dementsprechend, unüberhörbar aus ihrem Hintergrund und zwischen jeder Zeile: Wer verkündet die Wahrheit? Wer darf den Anspruch erheben, die Grundlagen der Gesellschaft zu definieren? – Die eindeutige Antwort der Zauberflöte lautet: Wir – und das ist weder Staat noch Kirche; wir – das ist der „Bund“ der Erleuchteten, der Illuminaten, der Aufgeklärten, die den mündigen Bürger vertreten. Die aufgeklärte Intelligenz versteht sich als Sprachrohr aller, auch der Entmündigten, der noch nicht Mündigen.

Was hat also die Intelligenz gedacht? Was hat sie geäußert? Wie hat Mozart mit den Protagonisten dieser Szene gedacht und sich geäußert?

Leben im Umbruch

Staat und Kirche hatten bis zur Mitte des Jahrhunderts versucht, sich ihrer gegenseitig zur Erreichung der jeweiligen Ziele zu bedienen. In der Habsburger Monarchie des 17. und 18. Jahrhunderts entstanden zunehmend Interessenkonflikte, die zunächst noch vor der Öffentlichkeit verborgen blieben. Unter Joseph II. prallten die Gegensätze dieser beiden Mächte zum ersten Mal offen und unversöhnlich aufeinander. Die Kirche hatte es neben dem Streit mit Kaiser und Aufklärern mit einem „Reformkatholizismus“ in den eigenen Reihen zu tun, mit Ideen, die sich inhaltlich der protestantischen Reformation näherten und vom traditionsbewussten Klerus als „Jansenismus“ und „Gallikanismus“ verketzert wurden. Kaiser Joseph sympathisierte mit solchen Ideen. Er beschäftigte exponierte Aufklärer in seinem Regierungsapparat, zu denen Staatskanzler Fürst Kaunitz-Rietberg und der Präses der Zensurhofkommission und der Hofbibliothek Gottfried van Swieten gehörten.

Während dieser Wiener Aufklärung gab es die unterschiedlichsten Positionen. Von radikaler Kirchenkritik und Ablehnung absolutistischer und hierarchischer Strukturen bis zu schüchternen Reformversuchen und totaler Anpassung an die alten Mächte: in Wien gab es alles. Hier erschienen ab 1782 provokante Broschüren, in Passau und Augsburg wurden hingegen Schriften jesuitischer Autoren verlegt, die jeden Reformversuch verteufelten. Vermutlich kam aus diesem Lager bereits 1793 eine verfälschte und entschärfte, im wahrsten Sinne des Wortes reaktionäre Fassung der Zauberflöte heraus.

Wie sehr diese Verhältnisse in das Leben des Einzelnen eingriffen, lässt sich an vielen Schicksalen nachzeichnen. Etliche Freimaurer, Illuminaten, Schriftsteller und Wissenschaftler waren Mönche oder Jesuitenschüler gewesen. Mit zehn oder zwölf Jahren waren sie von ihren Eltern Klöstern und Kollegien zur Erziehung übergeben worden. Aus dieser Generation entwichener und entlassener Zöglinge rekrutierten sich später entschiedene Vertreter der Aufklärung. Wir finden sie unter den Wiener Freunden und Logenbrüdern Mozarts. Etliche sind Mozarts Altersgenossen. Den umgekehrten Weg gingen sehr wenige, und zwar erst unter dem Eindruck der brutalen Methoden der Französischen Revolution. Sie schlossen sich dem Lager der Reaktion an und distanzierten sich von den Ideen der Aufklärung, weil diese als eigentlicher Anlass der Revolution angesehen wurden. Mozart muss zu denen gezählt werden, deren Position offenbar sehr gefestigt war. Es gibt Anzeichen dafür, dass seine kritische Distanz zu beiden absolutistischen Mächten – Kirche und Monarchie – im Laufe seines Lebens zunahm. Sein Selbstbewusstsein erwuchs nicht nur aus seiner Kompetenz als Musiker. Wenn man Mozart von dieser Seite beleuchtet, sind neue Aspekte seines Persönlichkeitsbildes zu erkennen. Diesbezüglichen Äußerungen in seiner Korrespondenz ist daher ein eigenes Kapitel gewidmet.

Die Sekundärliteratur kritisiert gelegentlich Männer, die als Jesuiten erzogen, dann Freimaurer, Illuminaten, Rosenkreuzer und schließlich Gegner des Fortschritts wurden, als „schwankende Gestalten“. Eine solche Biografie lag jedoch damals in der Luft. So waren die Zeiten nicht, dass man eine einmal bezogene Position ungebrochen durchhalten konnte. Wer sich konsequent in Richtung demokratischer Ideen entwickelte, dessen Leben endete als verpönter Halbkrimineller oder Spinner. Georg Forster, Carl Ignaz Geiger, Johann Kaspar Riesbeck, Josef Martin Prandstätter, Adolph von Knigge, Karl Friedrich Bahrdt, Gustav Friedrich Wilhelm Großmann und vielen anderen, auch aus der Wiener Szene, erging es so, auch wenn manche von ihnen das Glück hatten, nicht verurteilt zu werden. Einige von ihnen sollen hier zu Wort kommen.

Zeitgeist

Selbstverständlich haben die Protagonisten der künstlerischen und wissenschaftlichen Szene dieser Jahre Stellung zu den aktuellen Ereignissen bezogen. Sie haben sich geäußert, zwar auf eine uns mitunter schwer verständliche Weise, jedoch für damalige Leser und Opernbesucher eindeutig und unmissverständlich. Es ist daher unumgänglich, sich mit dem „Zeitgeist“ zu beschäftigen, mit dem also, was in der Luft lag, was gedacht, geschrieben, gelesen und diskutiert wurde. Wir müssen die betreffenden Publikationen aus dem Umfeld Mozarts beleuchten, denn nur so können wir uns seiner Stellungnahme zu diesen Vorgängen annähern. Der Einblick in diese spannungsgeladene Epoche der europäischen Geschichte kann uns den Zugang zu Werk und Person Mozarts erleichtern.

Bei der Auswahl des Materials ist das, was damals in Wien verfasst und gelesen wurde, besonders berücksichtigt worden; ferner, was sich in Mozarts Nachlass nachweisen lässt, ebenso Schriften, die in dem offiziellen Nachlassverzeichnis nicht aufgeführt werden konnten, weil sie inzwischen auf den „Catalogus librorum prohibitorum“ gesetzt worden waren. Sie wurden gegebenenfalls entschädigungslos konfisziert. Man tat also gut daran, indizierte Publikationen vor einer Revision verschwinden zu lassen. Mozart muss solche Schriften gekannt haben, denn selbstverständlich reichten die Autoren ihre Werke unter den Logenbrüdern weiter. Solche Schriften stehen auch heute noch fast ausschließlich im Originaldruck zur Verfügung. Reprints könnten hier wesentliche Aufklärungsarbeit leisten.

Darüber hinaus sind die Wiener Publikationen durch Schriften anderer Provenienz zu ergänzen, denn in Wien fokussierten Ideen, die ganz Europa bewegten. Hier war zu Zeiten Josephs jedwede Literatur irgendwie verfügbar. Johann Friedrich Reichardt hat in seinen Vertrauten Briefen aus Wien noch 1809 die Lage treffend beschrieben: In den Läden gäbe es nichts Interessantes, auch nichts aus dem Ausland; in den Bücherschränken der Wiener Bürger jedoch könne man alles Wesentliche finden. Was der ehemalige Berliner Opernchef für lesenswert hielt, war selbstverständlich die radikale Aufklärungsliteratur, deren Vertreter er in den Vertrauten Briefen besonders aufführt: Born, Haschka, Ratschky, Denis, Blumauer, Sonnenfels, Alxinger, Prandstetter, Pezzl, Gemmingen; mit einem Wort: die Illuminaten-Schriftsteller aus Mozarts Loge und der Schwesterloge.

Vom ersten Tage seines Wiener Aufenthalts hatte Mozart Verbindung zu den profiliertesten Vertretern der Aufklärung: der Fürstin Thun-Hohenstein, Baron Gottfried van Swieten, Sales von Greiner, Fürst Kaunitz-Rietberg und anderen. Diese Namen tauchen bereits in seinen ersten Wiener Briefen auf. Es waren Kontakte, die sich auf den ersten Blick anscheinend aus rein musikalischen Gründen ergaben. Aus Briefen vieler Zeitgenossen wissen wir, dass eine Bekanntschaft oder Freundschaft Kommunikation in vielen anderen Bereichen einschloss. Die Zeit scheint diskussionsfreudig gewesen zu sein. Man darf dabei nicht übersehen, dass Musik keineswegs nur als Unterhaltung verstanden wurde. Sie trat gleichberechtigt oder gleichwertig neben Philosophie und Naturwissenschaften, die in den Logen betrieben und gelehrt wurden. Musik, traditionell seit Jahrhunderten unter den Humaniora, stand nunmehr direkt im Zusammenhang mit der modernen bürgerlichen Emanzipationsbewegung, der Aufklärung. Musik selbst wurde als Medium der Aufklärung verstanden, Zauberflöte, Sinfonien und Maurermusiken reden in einer Sprache. Die so genannten Wiener Klassiker waren Mitglieder der Illuminatenlogen, oder sie standen, wie Beethoven, ihren Ideen geistig nahe.

Der Wiener Illuminat und Logenbruder Mozarts Karl Leonhard Reinhold (1757–1823) druckte seinem Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens 1789 folgende Widmung voraus: Seinen väterlichen Freunden Ignaz von Born in Wien, Immanuel Kant in Königsberg und Christoph Martin Wieland in Weimar. Die Adresse nennt ein Dreigestirn, das man – umgeben von dem genannten Zirkel Wiener Autoren – als Protagonisten des geistigen Milieus der Epoche bezeichnen kann. In den Briefen Mozarts – Vater und Sohn – heißt es mehrmals: unser Wieland. Seine Schriften wurden herumgereicht. Kants Ideen zirkulierten ohnehin überall. Es lässt sich nachweisen, dass die Wiener Publizistik auf Kants Schriften schon wenige Wochen nach deren Erscheinen reagierte. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte in der Vita Mozarts, die uns berechtigen, den Wiener Meister aus dieser glänzenden Szene auszuklinken.

Es liegt auf der Hand, dass hier die Wiener Verhältnisse nicht erschöpfend dargestellt werden können. Es sei auf die grundlegenden Arbeiten von Leslie Bodi, Gerda Lettner, Harm Klueting, Alfred Körner, Edith Rosenstrauch-Königsberg und Ernst Wangermann aufmerksam gemacht, in denen auf weiterführende Literatur hingewiesen wird.

Hinweise zur Orthografie

Zitate werden in der Orthografie des Originals wiedergegeben, ohne dass auf ungewöhnliche Schreibweisen durch (!) und (sic) hingewiesen wird. Die in der österreichischen Handschrift des 18. Jahrhunderts verwendeten Verdopplungszeichen für Konsonanten – ein h-ähnliches Signum der deutschen Schrift – werden im Unterschied zur Gesamtausgabe der Briefe Mozarts und anderer Sekundärliteratur aufgelöst; also „kommen“ statt „kohmen“.

1.    Joseph II. versus Rom

Wiener Kulturkampf –der historische Hintergrund der Zauberflöte

Als Mozart nach Wien übersiedelte, hatte die Alleinherrschaft Josephs II. gerade begonnen. Mozart erlebte aus unmittelbarer Nähe, was die Geschichtsschreibung später als Josephinismus bezeichnet hat: des Kaisers Versuch, im Zuge einer umfassenden Staatsreform die Kompetenz der römisch-katholischen Kirche auf den religiösen Bereich zu beschränken, ihre Machtpositionen in der Gesellschaft zu reduzieren und eine aufgeklärte Kritik des Klerus und seiner Aktivitäten zuzulassen und sogar zu fördern. Der Kaiser bewies mit dieser Reform, dass er und seine Berater aus der Geschichte der letzten zweihundert Jahre die Konsequenzen zu ziehen entschlossen waren. Die Kirche sollte eine staatstragende und gesellschaftsfördernde Funktion übernehmen.

Kulturkampf der Gewalten

Bereits 1769 hatte Fürst Kaunitz-Rietberg in einem ausführlichen Memorandum Von der oberherrlichen Gewalt der römisch-katholischen Fürsten in Bezug auf die Religion und die Clerisey Grundsätze einer künftigen Kirchenpolitik entwickelt, in der er die weltliche Macht als

nicht allein befugt, sondern vielmehr nach ihren Pflichten schuldig, mit ununterbrochener Aufmerksamkeit beständig über all jene zu wachen, welchen dieselbe die Ausführung eines Amts in dem Staat aufgetragen oder erlaubet hat. Der Clerisey hat sie die Ausübung ihres apostolischen Amtes, so wie einem jeden anderen Stande, welchem ein Amt anvertrauet, gewähret.

Daher habe die oberherrliche Macht auch die Pflicht, die Art und Weise der Ausführung dieses Amtes zu überwachen; die Behauptung einer Unabhängigkeit der „Clerisey“ hinsichtlich des geistlichen Amtes sei unbegründet1.

Es handelte sich hier einerseits um die Wiederaufnahme des mittelalterlichen Investiturstreits unter modernen staatspolitischen Aspekten, andererseits um die Vorwegnahme dessen, was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als „Kulturkampf“ die Innenpolitik Preußens und des deutschen Reiches beschäftigte. Wien erlebte am Ende des 18. Jahrhunderts eine fundamentale Auseinandersetzung zwischen kirchlicher und weltlicher Macht. Dabei ging es nicht nur um die Klärung formal-rechtlicher Positionen, sondern um wesentliche Inhalte der verkündeten und praktizierten Religion. Die Motive des Kaisers gehen aus einem Memorandum hervor, das er bereits am 8. Oktober 1771 als Mitregent seiner Mutter vorgelegt hatte. Es beleuchtet nicht nur die Position des Kaisers, sondern auch die religiöse Situation in den Erblanden; es sei daher in Auszügen zitiert:

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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