Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung - Konrad Hecker - E-Book

Der Faschismus und seine demokratische Bewältigung E-Book

Konrad Hecker

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Beschreibung

Faschismus – das weiß jeder, das hat man gelernt – ist das Gegenteil von Demokratie: Unrechtsherrschaft statt Herrschaft des Rechts; speziell der deutsche Nationalsozialismus ein System des Verbrechens, das alle Errungenschaften neuzeitlicher Politik außer Kraft setzt. Und trotzdem: 50 Jahre nach Hitlers Ende sind Warnungen vor einer jederzeit drohenden Wiederkehr des Faschismus an der Tagesordnung: Eine dauernde Gefahr soll er sein, die nur durch eine unermüdliche Anstrengung aller Demokraten in Schach gehalten werden kann. Wie das, wenn Demokratie und Faschismus doch so unvereinbar sind wie gut und böse? Kein Zweifel: Demokraten halten vom Faschismus nichts – sonst wären sie ja keine mehr. Allerdings kennen sie jede Menge nationaler „Probleme“, insbesondere solche „sozialpolitischer“ Art, um deren „Lösung“ Faschisten jederzeit die Konkurrenz mit ihnen aufnehmen könnten und durchaus nicht von vorneherein die schlechteren Karten hätten – deren „Politikentwurf“ kann soviel anders als der demokratische gar nicht sein. Wäre nicht allgemein bekannt, wie das Stück ausgegangen ist, dann fänden sich die aus Schaden klug gewordenen Demokraten in ihrer strikten Absage an den Faschismus anscheinend entwaffnet. „Nach Auschwitz“ dagegen ist alles klar – und man erspart sich eine politische Faschismuskritik, mit der Demokraten sich, zugegebenermaßen, schwer täten. Die Sache wird nicht besser, wenn radikalere Antifaschisten die real existierende Demokratie aufs Korn nehmen und ihr keinen schlimmeren Vorwurf zu machen wissen als den, sie sei eine einzige schiefe Ebene abwärts zum Faschismus. Wie alle Demokraten operieren auch sie mit der „Unvergleichbarkeit“ der beiden Alternativen – und ziehen nur die Grenzlinie anders. Für einen sachlichen Vergleich zwischen Demokratie und Faschismus spricht durchaus ein praktiches Interesse, und so ist es nicht bloß von historischem Wert, sich mit den Leistungen der nationalsozialistischen Herrschaft auseinanderzusetzen – und mit der Kritik der damaligen und heutigen Gegner des Faschismus.

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Konrad Hecker

Der Faschismus

und seine demokratische Bewältigung

© GegenStandpunkt Verlag 2017

Gegenstandpunkt Verlagsgesellschaft mbH

Kirchenstr. 88

81675 München

Tel (089) 2721604 Fax (089) 2721605

E-Mail: [email protected]

Internet: www.gegenstandpunkt.com

Alle Rechte vorbehalten

Druckausgabe ISBN 978-3-929211-02-5

Inhaltsverzeichnis
VorbemerkungZum richtigen Vergleichen
Teil 1Der Begriff des Faschismus
A. Vertraute Töne in der faschistischen Kritik am Mißerfolg der Nation – oder: Volkstümliche Argumente für einen ganz ordentlichen Staat
Kritik am Volk im Namen des Staates
Kritik an der Politik im Namen des Volkes
Die faschistische Konsequenz aus den bürgerlichen Notstandsideologien: Eine Volksbewegung für die Rettung der Staatsmacht
B. Die radikale Bereinigung des gestörten Verhältnisses zwischen dem Klassenstaat und seinem Volk
Statt demokratischen Verfalls: Führen und Kämpfen
Der Umgang des faschistischen Staates mit den Klassen
a) Staat und Lohnarbeit: Ehre den braven Knechten!
b) Staat und Kapital: Von der Verantwortung des Eigentums
C. Das Recht einer rechtschaffenen Nation auf die ganze Welt oder: Krieg – was denn sonst?
D. Gerechtigkeit – oder: Der faschistische Staat vollzieht seine Auslese über Rassismus, Judenmord, Euthanasie, Lebensborn
„Der Jude“
„Die Intelligenz“
Die Volkserziehung
„Rassenhygiene“
Der Krieg
Teil 2Adolf Hitler – ein deutscher Politiker
Arbeit & Armut
Autobahn & Arbeitslose
Bolschewismus & Marxismus
Ehre & Heldentum
Fremdarbeiter
Führer & Bewegung
Geld & Finanzkapital
Gewerkschaft
Juden & Arier
Kleiner Exkurs zum „Antisemitismus“
Judenvernichtung
Kapital & Wehrwirtschaft
Klassen & Klassenkampf
Natur, Geschichte, Vorsehung
Parlament & Politiker
Recht & Gewalt
Staat, Volk, Rasse & Erhaltung der Art
Versailles & Weltwirtschaftskrise
Weltanschauung
Weltmacht, Lebensraum & Europa
Wissenschaft, Kunst, Religion & völkische Erziehung
Teil 3Demokratische Faschismustheorie – oder: ,Wie konnte es dazu kommen?‘
A. Wie es zur Herrschaft der Nazis gekommen ist. Eine sachliche Antwort
B. Wie passieren konnte, was nicht passieren durfte. Eine rhetorische Frage aus patriotischer Betroffenheit
Das Regime
Der Weltkrieg
Die Judenvernichtung
C. Wie es zum Unbegreiflichen kam. Die Kunst der sittlich einwandfreien Faschismus-Deutung
Das Dritte Reich – eine große Hitlerei: Der biographische Ansatz
Totalitarismus:
Der politologische Ansatz
Weimar, Versailles, Weltwirtschaftskrise und andere gute Gründe für Hitlers Erfolg: Der zeitgeschichtliche Ansatz
Subjektiver Faktor und nationaler Charakterfehler: Der sozialpsychologische Ansatz
Dialektik der Aufklärung und biblischer Holocaust: Der philosophisch-theologische Ansatz
Teil 4Demokratische Vergangenheitsbewältigung
A. Entnazifizierung und Revanchismus: Die Staatsräson der Bonner Republik
Vom politischen Gehalt des „Persilscheins“
Die eine „Lehre aus der Geschichte“: Nie wieder eine schwache Demokratie!
Die andere „Lehre aus der Geschichte“:
Nie wieder einen Krieg verlieren!
Die „Wiedergutmachung“ – ein Meisterstück revisionistischer Diplomatie
B. Antifaschismus als Antikommunismus: Die Staatsideologie der BRD
Nation, Tradition, Revanchismus
Nationaler Revisionismus, durch demokratischen Antikommunismus geläutert
Demokratische Umerziehung: Kontinuität und Aufrüstung des Nationalismus von unten
Oppositioneller Antifaschismus in der BRD: Die Entdeckung „brauner Flecken“ auf „weißen Westen“
Sorgen um den demokratischen Reifestand des deutschen Volkes
C. Konjunkturen des Antifaschismus in der alten BRD
„Die 68er“: Das antifaschistische Gewissen der sozialliberalen Reformpolitik
Das „Modell Deutschland“: Über jeden Faschismus-Vergleich erhaben
Die „geistig-moralische Wende“: Mit neuen „Lehren aus dem Faschismus“ hinein in den Endkampf gegen das „Reich des Bösen“
D. Die realsozialistische Alternative: Der Antifaschismus der DDR
Das Programm einer naturwüchsig antifaschistischen Klassengemeinschaft
Exkurs zur Herkunft des Antifaschismus der DDR: Die verkehrte Faschismus-Theorie der Kommunistischen Internationale
a) Das Proletariat: Die gute Hälfte der Klassengesellschaft
b) Der Klassenfeind und seine Fraktionen: Monopole contra Demokratie
c) Die Sozialdemokraten: Arbeiterverräter und Bündnispartner
d) Die Faschisten: Rattenfänger mit vorbildlichen Rezepten
e) Statt kommunistischer Umtriebe: Volksfrontpolitik für Frieden mit dem Sowjetstaat
Recht und Moral im Realen Sozialismus der DDR: Im Namen der antifaschistischen Volkseinheit gegen die selbstgeschaffene Unzufriedenheit der Massen
Der antifaschistische Abwehrkampf gegen die BRD
E. Der Antifaschismus des ‚wiedervereinigten‘ Deutschland
Die Abrechnung mit der Ex-DDR als „zweite Vergangenheitsbewältigung“
Die allerletzte Lehre aus dem Faschismus:
Deutschland über alles!
„Auschwitz-Lüge“ und Auschwitz-Gedenken
Eine Siegesfeier 50 Jahre „danach“

© 2017 GegenStandpunkt Verlag

Vorbemerkung

Zum richtigen Vergleichen

Faschismus – das weiß jeder, das hat man gelernt – ist das Gegenteil von Demokratie: Unrechtsherrschaft statt Herrschaft des Rechts, Willkür von oben statt Kontrolle von unten; speziell der deutsche Nationalsozialismus ein System des Verbrechens, das alle zivilisatorischen Errungenschaften neuzeitlicher Politik außer Kraft gesetzt hat. Und trotzdem: Ein halbes Jahrhundert nach Hitlers Ende, mitten im erfolgreich restaurierten System der Bürgerfreiheit, sind Warnungen vor einer jederzeit drohenden Wiederkehr des Faschismus an der Tagesordnung; eine dauernde Gefahr soll er sein, die nur durch eine unermüdliche Anstrengung aller Demokraten, insbesondere die wachgehaltene Erinnerung an das böse Ende, in Schach gehalten werden kann. – Wie das, wenn Demokratie und Faschismus doch so unvereinbar sind wie gut und böse?

Steigen dann in der famosen demokratischen Nation die Arbeitslosenziffern über die 2-, 3-, 4-Millionen-Marke – infolge ökonomischer Sachzwänge, wie die zuständigen Politiker versichern, die nur sie richtig zu handhaben verstehen –, dann wächst in gleichem Maß die Sorge vor faschistischen Tendenzen und einem neuen Hitler. – Freiheitliche Wirtschaftsvernunft wäre demnach also für die von ihren Betrieben „freigesetzten“ Massen doch kein recht einleuchtendes Angebot, Diktatur und Unterdrückung hingegen, wenn das denn schon der Inbegriff des Faschismus sein soll, eine attraktive Alternative?

Gediegene demokratische Parteien bekennen sich in solch „schwerer Lage“ zu dem Auftrag, die Wählermassen bei sich zu „integrieren“, die andernfalls, wenn nämlich die Demokraten den Rechtsradikalismus den Rechtsradikalen überlassen, nur zu leicht faschistischen „Rattenfängern“ nachlaufen. – Was bleibt da noch an sachlicher Differenz zwischen einem demokratisch geadelten Patriotismus und einem verwerflichen faschistischen Nationalismus?

Kein Zweifel: Demokraten halten vom Faschismus nichts; sonst wären sie ja keine mehr. Einigermaßen fragwürdig nehmen sich allerdings die Gesichtspunkte aus, unter denen sie die faschistische Herrschaft so entschieden ablehnen. Der Verweis auf die Greueltaten der Nazis erscheint schlagend, verfügt gewissermaßen ein Ende jeder politischen Würdigung und Schluß der Debatte, noch bevor sie losgegangen ist; trauen mag ihm aber keiner so recht. Ihr eigenes Gemeinwesen stellt sich den demokratischen Antifaschisten als prekäre Veranstaltung voll schleichender Übergänge zum anderen System dar. Und das nicht einmal nur, weil es überall böse Menschen gibt: Sie kennen jede Menge nationaler „Probleme“, insbesondere solche „sozialpolitischer“ Art, um deren „Lösung“ Faschisten jederzeit die Konkurrenz mit ihnen aufnehmen könnten und durchaus nicht von vornherein die schlechteren Karten hätten – deren „Politikentwurf“ kann soviel anders als der demokratische also gar nicht sein. Die abgrundtiefe Differenz schwindet vollends dahin, wenn verantwortungsbewußte Demokraten kritisch und selbstkritisch an die durchschnittliche politische Gemütslage der breiten Volksmassen denken: Kaum einer mag die Hand dafür ins Feuer legen, daß er und seinesgleichen oder zumindest „die andern“ „unterm Hakenkreuz“ nicht auch mitgemacht hätten. Gemeinsam mit ihrem Kanzler danken die demokratischen Nachkommen der Hitler-Generation für die „Gnade der späten Geburt“. Das ist schon ein weitgehendes Eingeständnis; und das wird mit der Ermahnung, deswegen um so besser aufzupassen und „den Anfängen zu wehren“, solange es noch ohne Risiko geht, nicht widerrufen, sondern vollendet: Wäre nicht allgemein bekannt, wie das Stück ausgegangen ist, zu welchem Ende Aufstieg und Herrschaft der Nazis die „Anfänge“ waren, dann fänden sich die aus Schaden klug gewordenen Demokraten in ihrer strikten Absage an den Faschismus entwaffnet. „Nach Auschwitz“ ist ihnen alles klar – vorher offenbar gar nichts. Deswegen wohl müssen sie immerzu die „Erinnerung“ an KZs, Massenmord und Kriegskatastrophe wachhalten: Ohne das wären sie sich ihrer Abneigung gegen die faschistische Alternative selber gar nicht mehr sicher. Umgekehrt erspart der Blick auf Hitlers Leichenberge ihnen eine politische Faschismuskritik, mit der sie sich zugegebenermaßen schwer täten.

Um beide Momente, die zu einem durchgeführten Vergleich gehören, ist es bei der polemischen Abgrenzung der Demokratie gegen den Faschismus also schlecht bestellt: Ihre Identität wird gar nicht namhaft gemacht, geschweige denn auf den Begriff gebracht, stattdessen sorgenvoll unterstellt und dementiert zugleich; die Differenz wird genausowenig ermittelt, vielmehr durch einen moralischen Unvereinbarkeitsbeschluß ersetzt, der sich zu der Behauptung versteigt, beide Arten, Staat zu machen, wären im Grunde unvergleichbar; ungeachtet dessen besteht die Befürchtung fort, die gute Herrschaft möchte nur zu leicht in die andere, böse Variante umschlagen...

*

 Die Sache wird nicht besser, wenn radikalere Antifaschisten ihre kritischeren Vergleiche anstellen. Es hat sich ja einmal eine ganze linke Bewegung, aus dem Geist der Distanz zum offiziellen bundesdeutschen Antifaschismus heraus und in Widerspruch zum guten nationalen Gewissen, um eine Theorie des Faschismus bemüht. Man hat die „verkürzten Fragestellungen“ der bürgerlichen Befassung mit dem Thema gerügt und kritischere „Ansätze“ durchprobiert1) – und ist doch immer bloß auch zu dem Befund gelangt, daß der Faschismus die Negation des demokratisch Guten war, das in der wirklichen Demokratie als halbe Wirklichkeit und schönes Versprechen drinsteckt; weil bloß halb verwirklicht, sei die reale Demokratie jedoch schon arg weit zum Faschismus unterwegs... Daß als die schlechte Hälfte der demokratischen Realität der Kapitalismus ermittelt wurde, hat an dieser moralischen Betrachtungsart nichts korrigiert; der Glaube an die eigentlich gute demokratische Mission der Staatsgewalt hat sich vielmehr in die methodische Debatte verstrickt, ob dann die Nazi-Herrschaft als pure Unterwerfung des Staats unter das Kapital aufzufassen sei oder ob nicht doch Tendenzen zu einer Ökonomie-widrigen Verselbständigung der SS-Diktatur eingeräumt werden müßten. Argumente, die uns die Kritik des Faschismus abgenommen oder leichter gemacht hätten oder auf die wir wenigstens als Quelle unserer Überlegungen verweisen könnten, sind dabei nicht herausgekommen.

Das ist auch nicht erstaunlich. Es beweist eben keine bessere Einsicht, weder in die faschistische noch in die demokratische Herrschaft, die real existierende Demokratie mit antifaschistischer Radikalität aufs Korn zu nehmen und in ihr noch weit mehr nicht abgewehrte „Anfänge“ des Nationalsozialismus dingfest zu machen, als die mehr einverstandenen Freunde und Anhänger der demokratischen Regierungsart zu befürchten behaupten. Die polemische Gleichsetzung des Alltags im demokratischen Staat mit den Brutalitäten des Faschismus, abgeschwächt und zugleich unanfechtbar gemacht durch die Öffnungsklausel, es handle sich eben um lauter „Anfänge“, zielt genausowenig wie das übliche Mahnen und Warnen auf einen ehrlichen Vergleich. Sie ermittelt weder die nationale Sache, um die es Faschisten und Demokraten tatsächlich gleichermaßen zu tun ist; noch geht sie auf die spezielle Problemdefinition und Methodik der Problemlösung ein, in der Faschisten und Demokraten tatsächlich voneinander abweichen und miteinander konkurrieren. Wer dem demokratischen Gemeinwesen keinen schlimmeren Vorwurf zu machen weiß als den, es sei eine einzige schiefe Ebene abwärts zum Faschismus, der operiert eben mit einer moralischen Disjunktion, unterstellt nämlich wie alle Demokraten die „Unvergleichbarkeit“ der beiden Alternativen in sittlicher Hinsicht und zieht nur die Grenzlinie anders. Nämlich zwischen jener wahren & eigentlichen Demokratie, die noch jedem enttäuschten mündigen Bürger als Ideal im Kopf herumgeistert und durch keine demokratische Realität zu blamieren ist, und der Gesamtheit schnöder Realitäten, die sich vor diesem Ideal allemal blamieren – nach dem oppositionellen Geschmack der radikalen Antifaschisten ungefähr fast genauso gründlich wie die Schandtaten der Nazis.

*

 Schon rein theoretisch ist das alles sehr unbefriedigend. Für eine Untersuchung, die ohne moralische Verurteilungen – um deren Ehrlichkeit es ohnehin nie sonderlich gut bestellt ist – Identität und Differenz ermittelt, für einen sachlichen Vergleich also zwischen Demokratie und Faschismus spricht außerdem ein praktisches Interesse: Wenn ein politisches System ausgerechnet um der großartigen Leistung willen Anspruch auf Anerkennung erhebt, daß es seinen Untergebenen im Fall treuer Ergebenheit den faschistischen Tyrannen erspart – also mit ihm droht, dann ist Vorsicht geboten; dann möchte man schon wissen, woran man ist mit einem Staat, der aus seiner Verwandtschaft und Nähe zum grell ausgemalten faschistischen Terror kein Geheimnis und ausgerechnet deswegen aus seiner Differenz dazu sein unschlagbares Gütesiegel macht.

Die theoretisch billige und ideologisch nur allzu produktive Übung, beim Stichwort „Faschismus“ eine gute Meinung über die Demokratie – im Zweifelsfall: die „eigentliche“ – neben eine schlechte Meinung über die Nazis – deren „Untaten“ nämlich – zu halten und sich an dem unausbleiblichen Kontrast zu erfreuen, sollte man also besser meiden. Ein richtiger Vergleich erfordert stattdessen die wissenschaftliche Befassung mit beiden Seiten. Die fällt schon deswegen etwas unterschiedlich aus, weil nicht mehr der Faschismus, sondern die Demokratie die Grundsätze politischer Herrschaft liefert, nach denen derzeit in der maßgeblichen Oberliga der Staatenwelt und nicht nur dort verfahren wird – übrigens ohne daß da auf eine scharfe Abgrenzung gegen die Verfahrensweisen, mit denen die Faschisten einst ihre demokratischen Konkurrenten übertrumpfen wollten, politische Energien verschwendet würden. Form und Inhalt demokratischer Herrschaft bieten daher Grund und Stoff genug für kontinuierliche Kritik, um die sich unsere Vierteljahreszeitschrift GEGENSTANDPUNKT bemüht – wobei sie ganz gut ohne „Erinnerungen“ an Deutschlands nationalsozialistische Vergangenheit auskommt.

Deren Erklärung ist dennoch nicht bloß von historischem Interesse; vor allem eben deswegen, weil dieses „Kapitel“ im ideologischen Haushalt der Nation, bei ihren demokratischen Apologeten wie bei ihren demokratieidealistischen Anklägern, eine so prominente Rolle spielt – diese wird im 3. und 4. Teil des vorliegenden Buches eigens gewürdigt.2) Aus dem Begriff des Faschismus – 1. Teil – und dem politischen Alphabet seines deutschen Chefs – 2. Teil – geht immerhin hervor, auf welcher sachlichen Identität die Geistesverwandtschaft beruht, aus der heraus Demokraten sich vor dem Faschismus als vor einer immerwährenden Versuchung warnen. Es wird geklärt, wie weitgehend sich Notstandsdefinition und -ideologien der Demokratie mit der politischen Problemsicht des Faschismus decken und sogar noch mit dessen polemischer Absage an die demokratische Einrichtung der Staatsmacht konform gehen. Und es wird ermittelt, wo dann die Geister sich scheiden, und mit welchen Konsequenzen beim Einsatz politischer Gewalt zur Behebung nationaler „Mißstände“ Faschisten ihren demokratischen Kontrahenten den Schneid abkaufen wollen und im Nachhinein geradezu wahnsinnig vorkommen3) – übrigens nicht ohne ihnen zugleich zu imponieren: Schließlich waren es gerade in Deutschland Demokraten, die – gestützt auf den Willen ganz vieler enttäuschter Nationalisten im Volk – den Nationalsozialismus als „die bessere Lösung“ anerkannt und an die Macht gebracht haben.

1) Das Meiste haben dazu die Zeitschrift „Das Argument“ sowie die ‚Marburger Schule‘ beigetragen.

2) Dort stehen dann auch die sachlichen Gründe dafür, daß wir in der ersten Hälfte des Buches so leichten Herzens auf die Gepflogenheit der „Auseinandersetzung mit den vorliegenden Forschungsergebnissen“ verzichten konnten, die üblicherweise wissenschaftliche Reputierlichkeit verbürgt, indem sie die eigene Theorie als Quintessenz dessen erscheinen läßt, was die eine Hälfte der Forschergemeinde – die bessere – eigentlich gemeint und die andere – unqualifizierte – zu Unrecht bestritten hätte.

3) Damit müßte sich dann nebenbei auch ein Bedenken erledigen, das Faschismusforscher und Vergangenheitsbewältiger schon anderen Untersuchungen entgegengehalten haben: Bei einer Analyse, die sich so wie die unsere auf Hitler als Quelle stützt, würde das historische „Phänomen“ des Faschismus mit Hitlers inkompetentem Gequatsche verwechselt bzw. darauf „verkürzt“. Es macht gerade die – für ein patriotisch aufgeregtes Volk höchst eindrucksvolle – Konsequenz der Faschisten aus, daß Wort und Tat bei denen allen Ernstes zusammengefallen sind. Wäre es anders, und uns wären kennzeichnende Abweichungen zwischen Programm und gemachter Politik aufgefallen, so hätten wir kein Problem damit gehabt, das zum Leitfaden unserer Erklärung zu machen.

 Wer übrigens diese Feststellung zur Tugend der Konsequenz im Faschismus für ein Kompliment an die Nazis hält und unsere sachliche Behandlungsart des Themas überhaupt für eine Verharmlosung – der hat im folgenden die Chance, sich durch unbefangene Lektüre eines Besseren belehren zu lassen.

© 2017 GegenStandpunkt Verlag

Teil 1 Der Begriff des Faschismus

A. Vertraute Töne in der faschistischen Kritik am Mißerfolg der Nation – oder: Volkstümliche Argumente für einen ganz ordentlichen Staat

„Pflichterfüllung; das heißt, nicht sich selbst genügen, sondern der Allgemeinheit dienen.

Die grundsätzliche Gesinnung, aus der ein solches Handeln erwächst, nennen wir – zum Unterschied vom Egoismus, vom Eigennutz – Idealismus.“

Die Belehrung stammt nicht aus einem der – immer zahlreicheren – Krisenjahre der bundesdeutschen Demokratie, in denen die Inhaber der „geistigen Führung“ und Anwälte einer „moralischen Erneuerung der Nation“ es regelmäßig für nötig halten, Botschaften dieser Art unters Volk zu bringen. Die Aufklärung über den Gegensatz zwischen der „Allgemeinheit“, deren Fortschritte sich mit dem selbstsüchtigen Materialismus von „einzelnen“ prinzipiell so schlecht vertragen, steht in dem Buch „Mein Kampf“ von Adolf Hitler auf Seite 327. Der Gröfaz war damals derselben Auffassung zugetan wie seine demokratisch ermächtigten Nachfolger heute, die gegen das Wohlstandsdenken, gegen den Verfall der nationalen Sitten, gegen die ewige Miesmacherei und für Solidarität mit dem Gemeinwesen in schweren Zeiten plädieren: Nation und Wirtschaft, Familie und Erziehung, Geist und Wehrwillen befanden sich seiner Meinung nach in einer Krise – und zur Abwendung des drohenden Verfalls des Gemeinwesens sowie zur Wiederherstellung der gebotenen nationalen Stärke empfahl er eine „Wende“, einen nationalen Aufbruch: sich für die Übernahme der Macht, und dem Volk

„Aufopferungsfähigkeit und Aufopferungswillen des einzelnen für die Gesamtheit.“ (MK S. 167)

Die Gemeinsamkeiten zwischen der faschistischen Kritik an der Lage der Nation und den im demokratischen Streit um die „Herrschaft auf Zeit“ dargebotenen Diagnosen bestehen in ebenso grundsätzlichen wie anerkannten Weisheiten des „politischen Lebens“. Diese Gemeinsamkeiten dürfte niemand übersehen, der sich für die tatsächlichen Unterschiede zwischen Demokratie und Faschismus interessiert und Vergleiche nicht nur deshalb anstellt, um die von ihm favorisierte Form bürgerlicher Herrschaft mit Vorzügen auszustatten.

Beiden Lagern ist die staatsmännische Leistung geläufig, ein Thema zu variieren: den Erfolg der Zwangsgemeinschaft namens Staat, die Folgen seines Ausbleibens für das verehrte Volk und die Voraussetzungen für sein Eintreten – welche in der Bereitschaft der Untertanen liegen, sich mehrheitlich in ihren materiellen Interessen zu beschränken und „Werten“ zu leben. Von der Vorsehung zur Führung einer Nation berufene Charaktere sind sich mit ihren Konkurrenten um die Macht in der Deutung tatsächlicher oder vermeintlicher Mißstände auffällig einig, sobald sie die Ziele der Nation gefährdet sehen. Unbekümmert um die Schranken, die in Krisen dem Reichtum der Nation aus der konsequenten Anwendung des Maßstabs der „Marktwirtschaft“ erwachsen – die Rede ist vom privaten Gewinn, dem rentablen Einsatz von Kapital –, und ungeachtet aller bekannten Hemmnisse, die andere Regierungen den eigenen Vorhaben in den Weg legen, wissen bürgerliche Staatsmänner immer über eines Bescheid: Zur Beseitigung aller Hindernisse hat das Volk gewisse Korrekturen an sich vorzunehmen. Ob ein SPD-Kanzler zu seiner Zeit in der Bild-Zeitung die tiefsinnige Erkenntnis drucken läßt, die von ihm regierten Deutschen hätten „über ihre Verhältnisse gelebt“ („Das deutsche Volk ist verwöhnt!“ – hieß die Schlagzeile), ob ein christlicher Regierungschef dem „Anspruchsdenken“ programmatisch ein Ende bereiten will, ob derselbe Mann, inzwischen zum ersten gesamtdeutschen Kanzler gereift, vom Volk solidarische Opfer „für die Einheit“ verlangt – oder ob der Führer einer Bewegung bei seinen Landsleuten die „ideellen Tugenden“ vermißt, welche „hinter den Wert des Geldes“ getreten seien: Stets präsentieren die Aspiranten auf die Staatsmacht wie ihre Inhaber dieselbe Rechnung. Sie erinnern die Regierten schlicht daran, daß ihr Staat mit seiner Gewalt die Lebens- und Überlebensbedingung darstellt, von der sie abhängig sind. Daraus leiten sie den Imperativ ab, die Bürger hätten die Pflicht, sich um das Gedeihen des Gemeinwesens zu sorgen und den Dienst abzustatten, den die Sachwalter der „Allgemeinheit“ fordern. Berechnendes Beharren auf materiellen Vorteilen ist „verantwortungslos“ – dieses Motto liegt der gesamten politischen Willensbildung zugrunde, die Faschisten wie gelernte Demokraten dem Volk verabreichen. Sooft sie die Bürger für ihre Partei gewinnen wollen, schreiten sie auch zu deren Kritik.

Kritik am Volk im Namen des Staates

Diejenigen, die sich in Krisen- und nationalen Umbruchzeiten ermächtigen lassen wollen, verstehen sich auf einen eigenartigen Umgang mit der Unzufriedenheit auf seiten der Untertanen. Die Anlässe dazu kennen sie nur allzu gut, und nichts liegt ihnen ferner als eine Beschönigung der Lebensbedingungen, unter denen die „sozial Schwachen“ leiden. Sie bringen im Gegenteil alle Sorgen und Nöte zur Sprache und treten sämtliche Formen der Armut breit, bis schließlich das Volk auf ebenso viele Rubriken aufgeteilt ist, wie problembewußte Politiker entdecken. In allen Abteilungen mit ihren besonderen Mißerfolgen und Pflichten soll das Volk den Staatsmann zu seinem Anwalt machen. Deshalb erfreut es sich der kundigen Anteilnahme seiner Politiker, die um die Macht kämpfen, für die das Volk ohnehin nicht vorgesehen ist. Wenn es in Gestalt von beschränkter und inflationsgeschädigter „Kaufkraft“, als „Jugend ohne Perspektive“, als „Steuerzahler“, „Sparer“, „Mieter“, als Mitglied der immer dringlicher „reformbedürftigen Solidargemeinschaft“ Zwangsversicherter, schließlich noch als „Problem Nr. 1: Arbeitslosigkeit“ Revue passiert, dann folgt freilich nie die Ermahnung, die Betroffenen sollten sich doch nicht soviel gefallen lassen und ab sofort auf die Durchsetzung ihrer Interessen achten. Demokratische wie faschistische Retter der Nation warten umgekehrt mit der Belehrung auf, daß die schlechten Erfahrungen so vieler Zeugnis ablegen vom Verfall der Nation: Sie seien Zeichen für den allgemeinen Notstand, der vor allem Staat und Wirtschaft betreffe; die Heilung dieser leidenden Instanzen, d.h. ihre Stärkung sei vonnöten; dabei dürfe ihnen niemand zur Last fallen. Mit dem billigen Verweis auf „rote Zahlen“ in Konzernbilanzen und wachsende „Löcher“ im Staatshaushalt, und das bei ständig wachsenden „Aufgaben“ daheim und in der Welt, werden die „eigentlichen“ Probleme definiert. Die Instanzen, denen die Gedeckelten die unangenehmen Bedingungen ihres Zurechtkommens verdanken, „unsere Ordnung“ und „unsere Industrie“, sind Belastungen und Bedrohungen ausgesetzt, „der Standort“ ist mit „internationalen Herausforderungen“ konfrontiert! In solcher Lage beweist das Volk durch die Solidarität im Opfer, daß es begriffen hat, wie sehr es auf die ihm aufgemachte „Allgemeinheit“ angewiesen ist.

Die Kritik am Volk wird im Rahmen solcher Aufklärung über den Segen des Idealismus für die staatliche Zwangsgemeinschaft in Form einer Klärung der Schuldfrage abgewickelt. Wenn erfolgreiches Regieren, wenn Sanierung der Nation und Krisenbewältigung die gründliche Selbstbeschränkung der „einzelnen“ erheischen – so die Logik dieser Klärung –, dann wäre die Misere zu vermeiden gewesen, dann könnte Deutschland für seine Aufgaben ganz anders gerüstet sein, hätten die Mitglieder der Nation sich nur schon in der Vergangenheit auf dieses nun unausweichliche Mittel zur Stärkung der Allgemeinheit besonnen! Statt dessen haben die Bürger den Staat glatt wie einen Selbstbedienungsladen behandelt, der er nicht ist, und insofern all das heraufbeschworen, was ihnen in den „schweren Zeiten“ nun zu schaffen macht. Zum „Anspruchsdenken“ haben sie sich anstiften lassen und die Illusion gehegt, es ginge ohne Verzicht.

Die Botschaft vom schädlichen Materialismus im Volk verstehen ihre Verkünder nie als Auskunft über den Charakter ihrer Staatskunst, die darauf besteht, ihre „Aufgabe“ auf Kosten der Regierten zu bewältigen; die also z.B. mit größter Selbstverständlichkeit neue Opfer einfordert, um die Folgen der Erweiterung ihrer Zuständigkeit zu bewältigen. Sie erlassen damit einen Appell an einen „gesunden Bürgersinn“, dem die Frage danach, wer sich was herausnehmen darf, ebenso längst zur Gewohnheit geworden ist wie die Antwort, daß die diesbezüglichen Reglementierungen eine Sache der Staatsführung zu sein haben und in Ordnung gehen – zumindest wenn sie andere betreffen und gerecht vollzogen werden.

Das Versprechen, der Lehre vom Verzicht die nötigen Taten folgen zu lassen, sobald man die Macht dazu hat, wird in den seltensten Fällen als Unverschämtheit zurückgewiesen. Freilich nicht wegen der Überzeugungskraft der Argumente, die man begreift – eher deswegen, weil man das praktische Verhältnis zur politischen Herrschaft akzeptiert. Das Bild vom Selbstbedienungsladen, den man sich ohne Kasse am Ausgang vorstellen muß, damit man das schlechte Benehmen der Untertanen so richtig würdigen kann (oder soll man sich hinter die Ohren schreiben, daß man vom Staat auch bei Gehorsam und entrichteten Zahlungen nichts kriegt?), ist ja ebensowenig überzeugend wie das vom Kuchen, der noch nicht einmal gebacken ist, wenn sich das Anspruchsdenken schon wieder viel zu große Stücke abgeschnitten hat. Die politische Propaganda, die auf die „Last der Verantwortung“ Anspruch erhebt, beruft sich genaugenommen nur auf ein schlagendes „Argument“: auf die faktische Zuständigkeit des Staates, um die niemand herumkommt. Aus der Tatsache, über die es nichts zu diskutieren gibt – daß der Staat festlegt und durchsetzt, was erlaubt und verboten ist, daß er dem Umgang mit Geld, Lohn, Profit und Arbeit seinen „Rahmen“ verpaßt, daß er auch sonst von der Wiege bis zur Bahre ganz viel Ordnung ins Leben seiner Untertanen bringt, die er so zu seinem Volk macht –, wird eine „Konsequenz“ eingeklagt. Nämlich die, daß die Regierten die Staatsgewalt als ihre „Geschäftsgrundlage“ anerkennen; daß sie auch und gerade in schlechten Zeiten ihr die praktische Definition des „Notwendigen“ überlassen; daß sie sich also als die Basis ihrer Obrigkeit: als Volk aufführen. Die Bürger dürfen und sollen daran glauben, in den Alternativen der Politik ihr Mittel zu besitzen – müssen aber deswegen auch wissen und einsehen, was sie ihrem Staat schuldig sind. Dessen Macher sagen es ihnen, was sie alles leisten müssen und sich alles nicht leisten können...

Kritik an der Politik im Namen des Volkes

Die Zurechtweisung der Massen, die sich zuviel herausgenommen haben sollen, so daß die verantwortungsbewußten politischen Kräfte ihren Kampf um wirtschaftliche, politische und soziale „Vernunft“ führen müssen, beruht auf einem unerschütterlichen Vertrauen in die intakte Staatsbürgermoral. Der Appell an die Tugend des Maßhaltens und Dienens, der als Ausweis für die Führungsqualitäten seiner Urheber daherkommt, zeugt von einiger Gewißheit darüber, daß die umworbenen Bürger aus ihrer Unterwerfung unter die Politik zu der Gewohnheit gefunden haben, auf deren Gelingen Wert zu legen. In ihren rhetorischen Beschwörungen eines nationalen Notstands rechnen Politiker mit einem Publikum, das seine Unzufriedenheit von sich aus in Kritik an „Unordnung“ und „Ungerechtigkeit“ übersetzt; das seine Umgebung daraufhin zu besichtigen pflegt, ob sich anständig betragen wird, ob auch jeder verdient, was er sich leistet, oder ob sich da einer „auf Kosten der Allgemeinheit“ ein schönes Leben leistet. Auf diesen Bürgersinn, der in allen Fällen, wo er fündig wird, den Ruf nach des Staates ordnender Hand ertönen läßt, zielt die politische Kritik am Zustand der Gesellschaft. Ihn wollen Demokraten wie Faschisten gewinnen, wenn sie mit dem „Saustall“ aufräumen, das „Chaos“ beenden, „mangelnde Leistungsbereitschaft“ bekämpfen und „Deutschland wieder sicher“ machen wollen.

Vom Standpunkt der staatlichen Ordnung und des gerechten Durchgreifens aus erlauben und verbreiten die Retter des krisengeschüttelten Gemeinwesens also auch Kritik an der Politik – der der anderen. Den Herrschaften, denen sie das Recht auf die Macht streitig machen, legen sie dabei manches Ehrenrührige zur Last – durchaus ohne die Befürchtung, das Volksgemurmel von den „Lumpen“, die „das schmutzige Geschäft der Politik“ so engagiert betreiben, könne einmal zu Schwierigkeiten beim Regieren führen: Angesprochen und als ideeller Richter angerufen ist das Volk, also der Wille, anständig regiert zu werden; und die Warnung vor „Staatsverdrossenheit“ wird gleich mitgeliefert. Korruption, Filz, Zerrüttung der Finanzen, halbherziger Umgang mit Verbrechern, Staatsfeinden und Ausländern, Anstiftung zur Nachlässigkeit in Familie und Erziehung sowie Zersetzung der Wehrkraft: Die allergrundsätzlichsten Vergehen an den heiligsten Aufgaben des Führens werden aufgelistet, um den Bürgern einen Beweis zu liefern: den, daß ihre Mißerfolge – von den mißratenen Kindern, die zu Gewalt und Drogen greifen, über die sinkenden Löhne und steigenden Preise bis zum Verlust des Arbeitsplatzes – auf das Versagen des amtierenden Personals zurückgehen. Mit dieser Anklage wird das Volk nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich von den verkehrten Leuten führen läßt und ihnen unverdientes Vertrauen schenkt. Zu Recht faßt das niemand als Volksverhetzung auf: Diesen Tatbestand erfüllt nur staatsfeindliches Gedankengut und eine entsprechende politische Programmatik – und davon kann nie die Rede sein, wenn die neuen Staatsanwälte des Volkswillens sich gerade zur Verfügung stellen.

Sooft in Krisen- und anderen Aufbruchszeiten, wenn den gewöhnlichen Leuten noch mehr an Not, Gewalt und Moral verordnet wird als in Tagen wachsenden nationalen Reichtums, bei den Betroffenen Unzufriedenheit aufkommt, wird ihr mit solchen erregten Bezichtigungen und Vorwürfen der rechte Weg gewiesen: Sie wird politisiert, in das Bedürfnis nach einer gescheiten Staatsführung verwandelt. Diese Politisierung kennzeichnet keineswegs in besonderer Weise die Agitation der Nazis vor der Machtübernahme. Daß nicht der Staat und die Prinzipien, die er für Lohn und Leistung, Preis und Profit ins Werk setzt, kritikabel sind, sondern der Mißbrauch hoheitlicher Befugnisse durch schlechte Amtsträger und ein dadurch verursachtes Defizit an staatlicher Machtausübung, das gehört zu den Grundüberzeugungen im demokratischen Machtkampf. Umgekehrt gehört die Selbstdarstellung der Politiker als „vertrauenswürdig“ und „führungskräftig“, „bereit, unpopuläre Entscheidungen zu treffen“, willens und in der Lage, „bedrohlichen sozialen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen Einhalt zu gebieten“, usw. zu den guten wie erfolgreichen Sitten beim Stimmenfang. Wenn sich eine neue Politikergarnitur zur Krisenbewältigung anbietet, dann gibt es kein Wetteifern mit der „verbrauchten“ Regierung über Versprechen, die das materielle Wohl der „sozial Schwachen“ im Auge haben: Mit dem Versagen der Vorgänger und der übernommenen „Erblast“ werden Programme legitimiert, die deren Werke fortsetzen. Cool-sachlich prognostizieren die neuen wie die alten Macher Arbeitslose millionenweise, verteilen die Schuld und scheuen sich nicht, den Leuten zu raten, sie sollten sich die Einstellung der Nachkriegsjahre wieder zulegen. Mit Hochachtung vor Tugenden wie „Entschlossenheit“ und „Handlungsfähigkeit“ wird in freiheitlichen Staatswesen als Schwäche oder als Populismus: als Anbiederung bei den Massen oder als Unterwerfung unter deren Unverstand verurteilt, wenn sich ein höherer Amtsträger den Schein leistet, sich irgendwie an Interessen der Leute zu orientieren; das bringt ihm den Vorwurf ein, die Wähler zu „unerfüllbaren Ansprüchen“ anzustiften. Bei alledem werden in der bürgerlichen Öffentlichkeit kaum je Stimmen laut, die es bedenklich finden, wenn in Fragen der Stabilität und unbehelligten Souveränität der Regierenden dieselben Maßstäbe gelten, wie sie Diktatoren heilig sind; stattdessen werden eben diese Maßstäbe methodisch differenziert und öffentlich breitgetreten. In Grenzen hält sich auch die Sorge, es könnte ein schlechtes Licht auf die demokratischen Kräfte werfen, wenn sie „antidemokratischen Bewegungen“ auf der Rechten das Bedürfnis nach einer stärkeren Betonung nationaler Rechte und Ansprüche ablauschen und sich beeilen, die Erfüllung dieser berechtigten Anliegen auf ihre eigenen Fahnen schreiben: So machen sich Demokraten um die „Integration von Randgruppen“ verdient und bewahren Volk und Staat vor dem Gift des Extremismus...

Kritik an der Politik – vom Standpunkt der Betroffenen, als Geltendmachen der auf der Strecke gebliebenen Interessen, ist sie nicht vorgesehen in den „Spielregeln“ der Demokratie; so etwas gilt bestenfalls als Beweis für fehlende Sachkenntnis. Als Gütesiegel und „Lebenselixier“ demokratischer Herrschaft gepflegt wird Kritik dagegen in jeder Variante, die den Maßstab staatlichen Erfolgs bei der Beurteilung einer Regierungsmannschaft anlegt. Der ist dann erfüllt, wenn trotz ein paar Millionen Erwerbsloser der „soziale Friede“ erhalten wird, die geschädigten Bürger also die Kritik erster Art unterlassen; wenn tatkräftig gegen „Ausländerflut“ und „organisiertes Verbrechen“ vorgegangen wird; wenn die amtierenden Kanzler und Minister auf Wirtschaftsgipfeln über die weltweite Sortierung zwischen arm und reich mitentscheiden; erst recht, wenn sie furchtlos für „Marktwirtschaft und Demokratie“ in fremden Ländern und Kontinenten eintreten und von anderen Souveränen verlangen, sie sollten ihre Waffen verschrotten.

An dieser Sorte Kritik dürfen sich freilich alle beteiligen – die von den eigenen, „bornierten“ alltäglichen Sorgen emanzipierte Begutachtung der Politik daraufhin, ob sie ihren Zielen gerecht wird, kennzeichnet geradezu den „mündigen Bürger“. Dieses Produkt demokratischer Meinungsbildung beherrscht die Trennung zwischen „Leistungen“ und „Notwendigkeiten“ des Staates auf der einen Seite und „Versäumnissen“ der Regierung auf der anderen. Dabei ist ihm kein Geheimnis, daß beide Abteilungen zu seinen Lasten gehen – doch Einwände gegen die „Mißgriffe“ einer Regierung rechtfertigen nie eine Ablehnung des Staates: In dessen Namen sind die Vorwürfe ja zustandegekommen; dessen Recht auf Erfolg wird eingeklagt! Und auch der als ungeeignet verworfenen Regierung wird keineswegs gekündigt. Schließlich entstammen das Recht und die Kompetenz, über die Inhaber der Staatsmacht zu richten, der praktisch bewiesenen Bereitschaft, sich regieren zu lassen: Als ideeller Gesamtbetroffener mangelhafter Regierungskunst, vom Standpunkt und im Namen des Volkes, klagt der kritische Bürgersinn seine Herrschaft an und neue, bessere Herren ein – schaut also und richtet sich darauf ein, was die für ihn tun und was auf ihn zukommt.

Wo die politische Urteils- und Willensbildung so funktioniert, da wird es nicht als Zynismus verbucht, wenn bekennenden Demokraten im Rückblick auf das Dritte Reich die Kritik einfällt, diese Führung und vor allem dieser Führer hätten die Opfer deutscher Männer und Frauen nicht verdient...

Die faschistische Konsequenz aus den bürgerlichen Notstandsideologien: Eine Volksbewegung für die Rettung der Staatsmacht

Verfechter eines starken Staates, der den Gehorsam und die Leistungen seiner Untertanen zu Recht in Anspruch nehmen darf, sind in kapitalistischen Gesellschaften wahrlich keine Seltenheit. Aus gutem Grund: Der keineswegs geistige Nährboden für Macher und Mitmacher, Führer und Verführte ist vorhanden.

– Wo eine öffentliche Gewalt den Maßstab des Geldes verbindlich für „das Wirtschaftsleben“ in Kraft setzt; wo sie den Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit einrichtet und deshalb immerzu den „sozialen Frieden“ überwacht; wo der Staat mit seinen Entscheidungen den Erfolg der „Wirtschaft“ befördert, von dem alles abhängt; wo seine Gesetze auch das konjunkturgemäße und staatsdienliche Ausmaß der Armut bei den Lohnabhängigen herbeiführen: da bleiben Klagen über Ungerechtigkeiten ohnehin nie aus. Daß die Politik den jeweils anderen gegenüber zu nachgiebig sei, sich nicht ganz souverän und rücksichtslos an der Verteilung der fälligen Lasten und nationalen Dienste zu schaffen mache, gehört zu den Standardvorwürfen aller gesellschaftlichen Lager. Im Musterkoffer gutbürgerlicher Einwände gegen den Umgang mit „arm und reich“ findet sich da sowohl die Behauptung, der Staat mache sich vom „großen Geld“ abhängig, sei also dem Kapital – ausgerechnet ihm, dessen Geschäftsgrundlage er herstellt! – gegenüber schwach, als auch die Ideologie, die Politik orientiere sich opportunistisch, unter Preisgabe ihres Auftrags, an der armen und zu anspruchsvollen Wählermehrheit – und nicht zuletzt die Beschwerde, die Führung spendiere nationalvergessen Ausländern lauter soziale Leistungen und Freiheiten zum Nulltarif, während sie das eigene Volk knapp halte und schröpfe.

– Wo sich die Verpflichtung auf die „Marktwirtschaft“ für die Mehrheit in der Notwendigkeit äußert, an einem wohlkalkulierten Arbeitsplatz ihre Existenz zu sichern, wo diese Pflicht aber als Recht und Freiheit organisiert ist, da drängt sich vielen die Erfahrung auf, daß sie damit eben keine Garantie für ihr Ein- und Fortkommen haben – „trotz“ dieses Rechts. Kein Wunder, daß da das Recht als Mittel verlangt wird, das in seiner vollkommenen Gestalt, als Gerechtigkeit, mit aller Macht verwirklicht werden müßte. Wo ein Staat zur Rechtfertigung seiner Zumutungen dann auch noch dauernd seine „Ohnmacht“ ins Feld führt – gegenüber den Konjunkturen und dem rücksichtslosen Ausland, aber auch gegenüber zu zaghaften Unternehmern und den Zinsen –, da verfällt manch einer darauf, seiner Nation und deren Führern ganz viel Kraft und Herrlichkeit zu wünschen, damit sie sich ohne Hemmungen ans Werk machen.

– Wo schließlich der Staat für seinen anerkannten „Dienst“, auf das gelungene Zusammenwirken von Lohnarbeit und Kapital zu achten, zusätzlich zu den damit fälligen Leistungen noch manchen „Preis“ für sich verlangt, da will mancher Bürger wenigstens wissen, ob denn diesem Recht seiner Volksvertretung auch von allen entsprochen wird. Denn daß sich seine Treue zum Gesetz auch lohnen soll, bleibt sein Wunsch, solange er seine Regierung wider alle Erfahrung als Instanz betrachtet, die er zur Sicherung seiner „Lebenschancen“ braucht und ermächtigt.

Faschisten teilen diese geläufigen Einwände, fassen sie als berechtigte Opposition auf, die immer nicht zum Zuge kommt, entnehmen jeder Unzufriedenheit den Wunsch, besser regiert zu werden, und leiten daraus den einen Imperativ ab: Die „unfähige“ und „schwache“ Staatsmacht muß beseitigt werden, weil sie es dem Volke verwehrt, seinen Dienst an der Gemeinschaft ordentlich zu verrichten.

Wo immer Interessen beschränkt werden und die Betroffenen klagen, protestieren oder Ansprüche anmelden, entdeckt ein Faschist ein und dasselbe: Unzufriedenheit mit der Regierung, die ihr Amt schlecht versieht. Er begrüßt in jedem staatsbürgerlichen Protest das eine Moment und hält es fest: das positive Verlangen nach einer Zwangsgemeinschaft, in der den Geschädigten ihr Recht widerfährt. Darauf besteht er – gegen das geschädigte Interesse selbst, und erst recht, unversöhnlich, gegen die staatsfeindliche Gesinnung, die am Werk sein muß, wenn der Protest nicht vollständig im Ruf nach Recht schaffender Gewalt aufgeht. Faschisten sind immer gleich, wenn Konflikte und Störungen auftreten, mit dem Ideal des Klassenstaats bei der Hand: der hoheitlichen Gewalt, die alle Wirtschaft und Nation gefährdenden Schäden vermeidet oder unterbindet. Die Zuständigkeit der Staatsgewalt für die Festlegung des Erlaubten und Verbotenen in allen Lebensbereichen konfrontieren sie mit dem Alltag der Konkurrenz – und angesichts von Not und Arbeitslosen, Korruption und Spekulation, Verbrechen und „verwahrloster“ Jugend gelangen sie zu dem Befund, daß von der Macht ein rechter Gebrauch nicht gemacht worden sei: Zerfall und Zwietracht läßt die Regierung zu, kapituliert vor Sonderinteressen, toleriert womöglich deren Zuspitzung bis zum Klassenkampf, statt dem Volk Genüge zu tun und seine innere Einheit zu sichern – und damit einem jeden den Platz, auf den er ein Recht hat. Dieselbe selbstverschuldete „Ohnmacht“ attestiert der Faschist der Nation aufgrund ihrer „Abhängigkeit“ vom Weltmarkt und vom schädlichen Wohlwollen anderer Mächte. Er entdeckt darin die Preisgabe der Souveränität, des höchsten Rechts des Volkes, und geißelt solchen Verzicht, der den Untertanen unwürdige Zumutungen auferlegt: Ohne die Kraft des Volkes, die es in der Stärke seines Vaterlands besitzt, zu mehren, sondern für eine Politik des „Ausverkaufs“ und „Verrats“ wird „der Bauernstand geschwächt“, die „Tatkraft des Arbeiters“ gelähmt und die Tugend des Volkes insgesamt erstickt.

Die Nutznießer des Verfalls, den die bürgerliche Politik in ihren Augen verschuldet, entdecken Faschisten zuallererst in den Politikern selbst, die sich nicht der Sache ihres hohen Amtes verschrieben haben und an der Spitze des Staates selbstlos für die Nation „kämpfen“, sondern nach ihrem persönlichen Vorteil den günstigsten Weg des Regierens gehen, keine Verantwortung übernehmen und opportunistisch auf Mehrheiten schielen. Dann aber auch in gewissen Kapitalisten, denen sie zur Last legen, aus Gewinnsucht die Produktion nützlichen Reichtums zu vernachlässigen, nicht einmal das Volk – die Basis der Nation – zu ernähren und statt dessen Spekulationen abzuwickeln, die ihnen Profit bringen, der Freiheit und Macht der Nation aber abträglich sind, also bloß eine private Gier befriedigen. Das Kapital, dekretieren sie, hat nicht „Herr der Nation“, sondern „Diener“ zu sein – ein Programmpunkt, der vor allem den bürgerlichen Antifaschisten in ihren „Systemvergleich“ paßt, von wegen nationalsozialistisch, als wäre der Dienst am Staat für Unternehmer der Untergang...

Das faschistische Programm vereint sämtliche „Rezepte“, die hochanständige Nationalisten in Krisenzeiten erfinden, wenn sie sich in ihrer Unzufriedenheit vorstellen, sie hätten die Macht. Da ist die gesamte Staatsmoral versammelt, die gerade in Demokratien und ihren Massenblättern blüht, wo die nationale Gesinnung in der Konkurrenz der Meinungen über die beste Politik gepflegt wird und die Schuldfrage das ganze Jahr über Konjunktur hat; wo es immer nur Betroffenheit in der 1. Person Plural gibt; wo „unsere“ Exporte, „deutsche“ Arbeitsplätze und „deutsche“ Unternehmen bedroht sind; wo „unsere“ DM sich erfolgreich gegen Spekulanten und andere Währungen zu behaupten hat; wo „unsere“ liberalen Gesetze, Steuergelder und Sozialkassen von Asylanten mißbraucht werden; wo es um den „deutschen“ Film und um den „deutschen“ Fußball geht... Nichts als diesen Standpunkt des radikalen Untertanen vertreten Faschisten – allerdings praktisch und nicht nur als schlechte Meinung über die abzustellenden Unarten ihrer Mitbürger und der Obrigkeit. Dabei können sie sich durchaus der Zustimmung ihrer „passiven“ Landsleute erfreuen, soweit diese „national denken“: Sie machen ja „nur“ ernst mit gängigen Ideologien vom Auftrag des Staates, den sie entsprechend zu verändern trachten.

Die faschistische Bewegung organisiert den Ungehorsam gegen eine „zerrüttete“ Staatsmacht – die sich von der übrigen Staatenwelt „zuviel“ gefallen läßt, mit gemeinschaftsschädigenden, unnationalen „Elementen“ im Innern nicht fertig wird und aus der ihr unterworfenen Gesellschaft deshalb nichts zu machen versteht. Die neue Führung, die an ihre Stelle zu treten hat, soll mit allen Schwächen und Halbheiten – also den bislang geltenden und so schlecht aufgegangenen Berechnungen der Regierung – aufräumen und die nationale Gemeinschaft auf den Erfolg der Nation verpflichten, Nicht-Gemeinschaftswillige und -fähige unschädlich machen. Der Umgang dieser Führung mit sämtlichen Abteilungen des Volkes – von dem die Bewegung, gewissermaßen stellvertretend für den „handlungsunfähigen“ Staat, schon einen Vorgeschmack gibt – realisiert einen bürgerlichen Wahn. Alles, was Faschisten in der bürgerlichen Gesellschaft vorfinden – Kapital und Lohnarbeit, Geld und Kredit, Öffentlichkeit und Kultur, Ausbildung und Erziehung, Familie und Sport –, wollen sie perfektionieren, jede Sphäre des bürgerlichen Lebens von den ihr eigentümlichen Gegensätzen und Störungen befreien, damit sie ganz aufgeht im Dienst an der Nation – der das Volk einenden Gewalt.

© 2017 GegenStandpunkt Verlag

B. Die radikale Bereinigung des gestörten Verhältnisses zwischen dem Klassenstaat und seinem Volk

Die rückblickend mit viel zur Schau gestellter Fassungslosigkeit aufgeworfene Frage, wie es denn „dazu“ kommen konnte, würde sich durch die Betrachtung des faschistischen Programms und seiner Durchführung ohne Schwierigkeiten beantworten lassen – wäre die Frage überhaupt ernst gemeint. Aber Demokraten, denen nichts selbstverständlicher ist als die Sorge um die „Stabilität“ von Regierungen in aller Welt, wobei die anfallenden Leichen zu den „leider“ notwendigen faux frais gehören, mögen partout nicht wahrhaben, daß hier eine aparte politische Bewegung die Konsequenz aus dem vertrauten Gerede gezogen hat, der Staat leide unter mangelnder Festigkeit. Systemtreue Beobachter, die bei jedem ihnen mißliebigen Wahlergebnis die Gefahr der „Unregierbarkeit“ des Landes diagnostizieren, gestehen nie und nimmer ein, daß der Faschismus mit diesem ihrem „Problem“ Schluß gemacht hat, weil er im demokratischen Konkurrenzkampf um die Macht eine dauernde Schwächung effektiver Staatsführung hat bemerken wollen. Fanatiker des „sozialen Friedens“, die gleichgültig gegen jedes Opfer den staatsbedrohenden „sozialen Sprengstoff“ beschwören, können einfach nicht entdecken, daß ein Faschist mit ihren Idealen politischer Effizienz antritt und die Staatsgewalt einsetzt, um – vermeintlichen wie wirklichen – Krisen und dem konstatierten nationalen Notstand ein Ende zu bereiten. Bevor die demokratische Öffentlichkeit den eigenen Idealismus erfolgreicher Politik im Nationalsozialismus wiedererkennt, verlegt sie sich lieber auf die empörte Feststellung, daß die Warnungen kritischer Journalisten vor staatlichen Fehlleistungen im Dritten Reich nicht gefragt waren.

Nicht minder begriffsstutzig arrangiert die Faschismusforschung ihre Fragen und Antworten. Ihr Problem ist, inwiefern es „dazu“ kommen mußte, wobei sie nicht müde wird zu betonen, daß die antidemokratische Einstellung und Praxis des Faschismus eine einzige Verpflichtung auf den Maßstab demokratischer Politik darstellt. Befaßt sie sich dann mit der Suche nach Gründen für die Durchsetzung der Nazis, so fällt ihren Vertretern unter dem Generalargument „Weimar“ eine Bedingung nach der anderen ein, die zumindest ihnen jenen unheilvollen Übergang namens „Machtergreifung“ plausibel macht:

– „Zerrissen“ zwischen rechts und links, erwies sich die Weimarer Demokratie als „zu schwach“, lautet der Befund – und niemandem will einfallen, daß hier das Argument Hitlers in den Rang einer historischen Notwendigkeit erhoben wird.

– „Weltwirtschaftskrise“ und „Arbeitslosigkeit“ führten unausweichlich in „die Katastrophe“ – berichten kundige Historiker und bezeugen damit ihr Verständnis dafür, daß Nationalisten oben wie unten aus schlechtem Geschäftsgang und einem Volk in Not den „Schluß“ ziehen, der Staat hätte durch seine und der Gesellschaft „Säuberung“ den Notstand zu exekutieren.

Was zu den verabscheuungswürdigen Untaten des „Unrechtsregimes“, schließlich zum Untergang des deutschen Reiches und zur mehr als vierzig Jahre lang ungelösten „deutschen Frage“ für die politischen Erben geführt hat, war vom Standpunkt dieser Forschung aus jedenfalls nicht der erklärte politische Wille und der nationale Moralismus von Politikern. Zur Ehrenrettung dieses Berufsstandes werden die Nazi-Größen kurzerhand aus der Zunft ausgeschlossen und in die Rubrik der Geistesgestörten, Abteilung Größenwahnsinnige, eingeordnet – als ob die Größe, um die es ihnen ging, nicht die ihres Vaterlandes gewesen wäre –; die Werke einer Staatsführung sollen ihren Grund in einer defekten Psyche haben – als ob ohne die politische Macht ein paar Irre einen solchen Grad von „Gemeingefährlichkeit“ je erreichen könnten. Ebenso die Zustimmung der Untertanen, der Mitmacher: Auf diesem Gebiet bemüht sich die geschichtswissenschaftliche Ursachenkunde um jede nur denkbare Entschuldigung der Unterworfenen für alles, was sie sich haben gefallen lassen. Verführung hat das Mitmachen bewirkt, und dagegen unternehmen konnte „man“ ohnehin wenig. Bisweilen entwirft man ein Bild vom „guten Deutschen“, der erst in der nationalsozialistischen Propaganda verständlicherweise seine patriotischen Sorgen um Deutschlands Zukunft wiederfand, später schweren Herzens Abstand von Widerstandsaktionen nahm, die ihm laufend vorschwebten, dafür aber im tagtäglichen Mitmachen ständig heimlich opponierte. So verschwindet endgültig der Verdacht aus der Diskussion, daß sich an der Untertanengesinnung vor, in und nach den Tagen der „Schreckensherrschaft“ vielleicht gar nicht so viele Unterschiede finden. Damit sowohl die Nation als auch das Volk von der Kritik ausgenommen bleibt, die im Namen der Demokratie für angebracht gehalten wird, scheuen Wissenschaftler keine noch so absurde Konstruktion.

Und die politische Prominenz unterstützt den gelehrten Sozialkundeunterricht nach Kräften. So wies vor Jahren Karl Carstens anläßlich seiner anstehenden Wahl zum Bundespräsidenten diejenigen, die ihn für das Amt wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft nicht für geeignet hielten, mit dem schlichten Argument zurück, ohne Parteimitgliedschaft hätte er kaum Jura studieren können – und niemand bezichtigte ihn des Opportunismus gegenüber einer offiziell verdammten Politik und des Mit-Machertums. Die „guten Gründe“, es sich mit der jeweiligen Regierung nicht zu verderben, versteht auch der Mensch und Kanzler Helmut Kohl nur zu gut: der Mensch, der mit seinem Hinweis auf die „Gnade der späten Geburt“ seine Zufriedenheit zu Protokoll gibt, gar nicht erst in die Verlegenheit zum Mitmachen gekommen zu sein; der Kanzler, der in erfreulicher Offenheit für die „Einsicht“ wirbt, daß sich zumindest in einer Hinsicht für den „kleinen Mann“ unter einer faschistischen Regierung nichts ändert – er streckt sich eben nach der Decke und paßt sich an die Erfordernisse an, die ihm seine Herrschaften präsentieren:

„Der Opa sollte dem Enkel erklären, warum er damals in die Partei eingetreten ist. Weil er vielleicht in Koblenz Amtmann werden wollte. Heute treten ja auch viele in eine Partei ein, um etwas zu werden.“

So gesehen wird die Antwort auf die Frage, wer denn dann den Faschismus hätte verhindern und bekämpfen sollen, sehr eindeutig: die anderen Parteien natürlich! Sie hätten die Dienste des Volkes „in schweren Zeiten“ in Anspruch zu nehmen gehabt; sie hätten die fälligen „Führungsqualitäten“ an den Tag legen und Hitlers Machtergreifung durch eine überzeugende nationale Politik unterbinden müssen! Den Faschismus bekämpft man nämlich, indem man ihn durch die Leistungen demokratischer Politik überflüssig macht.

So gesehen braucht sich aber auch niemand mehr scheinheilig nach den Bedingungen jenes „unseligen Kapitels deutscher Geschichte“ zu erkundigen. Sie sind nämlich nur allzugut bekannt: Ein Staat hat einen Weltkrieg verloren, die Siegermächte diktieren ihm einiges an Unkosten und an Einschränkungen seiner Souveränität, und die Politik vollzieht die ihr eigentümliche „Selbstkritik“ – die neuen demokratischen Parteien konkurrieren um die Wiederaufrichtung und Rehabilitierung der Nation. Die politischen und ökonomischen Interessen des Auslands richten sich gegen die Anstrengungen, ein nationales Wirtschaftswachstum zu erzielen und die ökonomischen Erträge des Kapitals frei für die Steigerung des politischen Einflusses in der Welt zu nützen. Eine Krise sorgt für rote Zahlen in den Geschäftsbilanzen, für die dazugehörige wachsende Zahl von Erwerbslosen und für allgemeine Sparsamkeit bei der Bezahlung von Leuten, die auf Lohn angewiesen sind. Die demokratischen Regierungen bemühen sich nach Kräften, das Volk für die fällige Korrektur geradestehen zu lassen, die sie einerseits an den Resultaten des Waffenganges – Stichwort „Versailles“ –, andererseits an denen der Konkurrenz im Geschäftsleben vornehmen wollen. Dabei lassen sie die Betonung der Zuständigkeit der jeweiligen Führung für die Mißerfolge der Nation schon aus Gründen der Konkurrenz um Mandate und Macht nicht zu kurz kommen und pflegen den Nationalismus, der nun in Wahlen zu seinem organisierten Recht kommt, nicht zu knapp. Sie betören also ihr Wählervolk mit der demokratischen Litanei, allein die richtige Führung des Staats könnte seinen Enttäuschungen – den materiellen Einschränkungen wie den ideellen Entbehrungen der deutschen Nachkriegsschmach – gerecht werden. Und diese Praxis der Politiker der Weimarer Republik hat Erfolg gehabt. Allerdings bestand dieser Erfolg nicht in der Erfüllung des demokratischen Traums von der sozialfriedlichen Regelung sämtlicher Gegensätze und der gedeihlichen Benutzung der Opfer unter Leitung einer in allen nationalen Grundsatzfragen einigen politischen Führungsriege, die einem modernen Klassenstaat Macht und Größe unter seinesgleichen verschafft. Er bestand im Erstarken und Sieg einer Bewegung und Partei, die den demokratischen Staat am Idealismus der Nation gemessen hat, die deutschen Reichtum wie deutsche Größe vermißte und dafür den Zuständigen auch die Schuld zuwies. Die Faschisten haben die Lüge demokratischer Politik, der Dienst des Volkes sei der Garant des nationalen Erfolgs und damit auch des zumindest ideellen Lohns der Untertanen, nicht bloß wie alle demokratischen Konkurrenten um die Macht für ihren Wahlerfolg bemüht, sondern gegen alle Demokraten in Amt und Würden gekehrt. Sie haben die Resultate des Außenhandels, des Arbeitsmarktes, der Geld- und Kreditgeschäfte gewogen und erstens für zu leicht befunden; zweitens aber deren staatlichen Verwaltern vorgerechnet, daß sie durch verantwortungslose Schwäche gegenüber äußeren wie inneren Gegnern der Nation für diesen desolaten Zustand des Landes verantwortlich seien, also die Schande heraufbeschworen hätten. Hitler und die NSDAP warben und kämpften für den rechten Gebrauch der Macht, durch den sie die Nation von sämtlichen Schranken zu befreien versprachen – und dieser Idealismus der Staatsgewalt verfing nicht nur bei großen Teilen des Volkes, sondern schließlich auch noch bei professionellen Vertretern deutscher Größe, die Hitler für Idioten und Gegner hielt.

Statt demokratischen Verfalls: Führen und Kämpfen

Die Verachtung der Faschisten für die Demokratie will von der Leistung des demokratischen Procedere herzlich wenig wissen. Sie nehmen nicht wahr, daß mit dem öffentlich organisierten Streit um die bestmögliche Vertretung der nationalen Interessen und schließlich durch die Wahlen die Souveränität einer Regierung als ausdrücklicher Willensakt der von ihren Taten Betroffenen zustandekommt. Sie sehen darüber hinweg, daß in solch geregelter Ermächtigung die Mehrheit die Verwaltung ihrer Interessen, die in der ökonomischen Konkurrenz manchen Dämpfer erfahren, abtritt und ihre Vertretung in der Pflicht zu spüren bekommt, sich ausschließlich der – nicht übermäßig tauglichen – Mittel für ihr Fortkommen zu bedienen, die ihnen die Staatsführung per Recht und „sozialer Ordnung“ aufherrscht. Diese Emanzipation der politischen Herrschaft von den Ansprüchen der Zukurzgekommenen durchschauen Faschisten nicht, obgleich sie das Resultat kennen und gleich in zweifacher Weise zum Anklagepunkt erheben. Einmal in dem Vorwurf, das Massenelend sei eine Folge vernachlässigter Regierungspflichten gegen das Volk, zum anderen im Hinweis auf Hader und Zwietracht, die sich darüber zwangsläufig einstellen würden in der Nation.

Zwar glaubt auch ein Faschist nicht daran, daß bürgerliche Politiker – zumindest „eigentlich“ – ins Parlament und ins Kabinett einziehen, um ihre schutzbefohlenen Massen zu beglücken, und an diesem Auftrag versagen und sich blamieren könnten. Er hält es aber überhaupt für einen Fehler, wenn sie, statt auf der Gleich-Gültigkeit aller Interessen vor der Hoheit staatlicher Lenkung zu bestehen, allen widerstreitenden Bedürfnissen Recht geben – als könnte die „allgemeine Wohlfahrt“, um die es nationaler Politik geht, jemals auf soviele einzelne mit ihren gegensätzlichen Ansprüchen passen, also denen zugute kommen. Ins Recht gesetzt und bekräftigt sieht er damit bloß die Gegensätze zwischen den vielen privaten Sondermeinungen und -interessen; und daß das Volk davon etwas haben könnte, ist für Faschisten von vornherein ausgeschlossen – die innere Zerrissenheit ist ja sein ganzes Elend. Unverantwortlich daher und unredlich dazu, wie die bürgerliche Konkurrenz sich in schierem Opportunismus an sämtliche Ansprüche anbiedert und sie in der „Sorge um den nächsten Wahlausgang“ in ihre Wahlprogramme eingehen läßt:

„So treten die Kommissionen zusammen und ‚revidieren‘ das alte Programm und verfassen ein neues (die Herrschaften wechseln dabei ihre Überzeugungen wie der Soldat im Felde das Hemd, nämlich immer dann, wenn das alte verlaust ist!), in dem jedem das Seine gegeben wird. Der Bauer erhält den Schutz seiner Landwirtschaft, der Industrielle den Schutz seiner Ware, der Konsument den Schutz seines Einkaufs, den Lehrern werden die Gehälter erhöht, den Beamten die Pensionen aufgebessert, Witwen und Waisen soll in reichlichstem Umfang der Staat versorgen, der Verkehr wird gefördert, die Tarife sollen erniedrigt und gar die Steuern, wenn auch nicht ganz, aber doch so ziemlich abgeschafft werden. Manchmal passiert es, daß man doch einen Stand vergessen oder von einer im Volk umlaufenden Forderung nichts gehört hat. Dann wird in letzter Eile noch hineingeflickt, was Platz hat, so lange, bis man mit gutem Gewissen hoffen darf, das Heer der normalen Spießer samt ihren Weibern wieder beruhigt zu haben und hochbefriedigt zu sehen.“ (MK S. 410 f.)

So hat Hitler „Populismus“ kritisiert: Der Privatperson in ihrer staatsfernen Partikularität, dem nur auf sich bezogenen „Bourgeois“ würde da schön getan, wo es doch um Staatsaffären geht, der Bürger als „Citoyen“ gefragt ist und die Klassengesellschaft als Volk und sonst nichts. Die empörten Feststellungen bezüglich der Technik demokratischer Stimmenwerbung münden nicht in die branchenübliche demokratische Fortsetzung, die unter dem Titel „Wählerbetrug“ steht – die Wähler kommen als „Spießer samt ihren Weibern“ nicht gerade als Berufungsinstanz dieser Demokratie-Kritik ins Spiel. Angeprangert wird der Weg des demokratischen Machterwerbs deswegen, weil sich die Inhaber der höchsten Staatsämter von der Entscheidung der Mehrheit, zunächst der Wähler und dann der Mandatsträger abhängig machen; das tut der Freiheit einer nationalen Führung Abbruch, die bei der Regelung der nationalen Anliegen immerzu auf die Zustimmung von Leuten angewiesen ist, die alles andere im Sinn haben:

„Ist dies das Kriterium des Staatsmannes, daß er die Kunst der Überredung in ebenso hohem Maße besitzt wie die der staatsmännischen Klugheit im Fassen großer Richtlinien oder Entscheidungen? Ist die Unfähigkeit eines Führers dadurch bewiesen, daß es ihm nicht gelingt, die Mehrheit eines durch mehr oder minder saubere Zufälle zusammengebeulten Haufens für eine bestimmte Idee zu gewinnen? ...

Was aber soll der Staatsmann tun, dem es nicht gelingt, die Gunst dieses Haufens für seine Pläne zu erschmeicheln?

Soll er sie erkaufen?

Oder soll er angesichts der Dummheit seiner Mitbürger auf die Durchführung der als Lebensnotwendigkeiten erkannten Aufgaben verzichten, sich zurückziehen, oder soll er dennoch bleiben?“ (MK S. 86 f.)

Die gekonnt aufgeworfenen Fragen sind lauter Antworten: Nein, die souveräne Gestaltung des Staates verträgt sich nicht mit der Infragestellung der „Lebensnotwendigkeiten“ durch das „parlamentarische Mehrheitsprinzip“; dieses demoliert den „Führergedanken“ – der seine andere Seite sehr offen darlegt. Getreu dem Schiller-Zitat: „Mehrheit ist Unsinn, Verstand ist stets bei wen‘gen nur gewesen“, offenbart der spätere Gröfaz nämlich eine Grund„einsicht“ aller Faschisten:

„Indem das parlamentarische Prinzip der Majoritätsbestimmung die Autorität der Person ablehnt und an deren Stelle die Zahl des jeweiligen Haufens setzt, sündigt es wider den aristokratischen Grundgedanken der Natur, wobei allerdings deren Anschauung vom Adel in keinerlei Weise etwa in der heutigen Dekadenz unserer oberen Zehntausend verkörpert zu sein braucht.“ (MK S. 87)

Die Natur mit ihrem „Grundgedanken“ vollbringt hier einiges, wofür sie auch unter überzeugten Anhängern der Demokratie herhalten muß – aber auch noch einen darüber hinausgehenden Beweis des „Widersinns“ der Demokratie. Erstens erzeugt sie wichtige Unterschiede zwischen den Menschen, allerdings keine natürlichen. Sie scheidet nämlich zweitens „Mitbürger“, die sich durch „Dummheit“ auszeichnen und der Einsicht in die „Lebensnotwendigkeiten“ entbehren, von anderen, bei denen es genau andersherum steht. Und diese Elite von „schöpferischen Köpfen“, „die daher in Wirklichkeit als die Wohltäter des Menschengeschlechtes anzusprechen sind“ (MK S. 497), ist berufen, die Geschicke des Staates in ihre Hand zu nehmen, und dabei gut beraten, wenn sie der Dummheit der übrigen die gebührende Rücksichtslosigkeit zuteil werden läßt. Den Interessengegensatz zwischen Staatsmännern und Untertanen sieht ein Faschist also ausgerechnet in der Wahl am Werk, und er führt ihn auf das Vorhandensein bzw. Fehlen von historischem Durchblick zurück – um denen, die wissen, worum es von Staats wegen zu gehen hat, gleich den Auftrag zuzuschreiben, daß sie den anderen die fälligen „Lebensnotwendigkeiten“ beibringen. Die negativen Auswirkungen nationaler Politik auf die Mehrheit der ihr Unterworfenen müssen dabei zum aktuellen Beweis dafür herhalten, daß man sich aufgrund falscher Berechnungen von den verkehrten Leuten regieren läßt. Aus den „für alle“ ziemlich unerquicklichen Ergebnissen demokratischer Ermächtigung soll den vielen zur – naturbedingten – Verblendung Verurteilten die „Einsicht“ erwachsen, daß sie sich per Wahl immer nur die falschen Führer an die Spitze ihrer Nation setzen. Sie provozieren gewissermaßen die Charakterlosigkeit ihrer Politiker, indem sie ihnen die Macht überantworten unter der Bedingung, daß diese sich, „Parlamentswanzen“, die sie sind, am inkompetenten Urteil der Wähler orientieren. Also – so der Faschist – brauchen sie sich auch nicht zu wundern, wenn sie anstelle von Führern regelrechte Schmarotzer in die „Verantwortung“ bestellen, die denen „da oben“ verhaßt ist. Die verschanzen sich hinter ihrer Ohnmacht gegenüber „schwankenden Mehrheiten“, ohne die sie nichts entscheiden können, fressen sich „am Gezweig des staatlichen Lebens weiter dick und fett“ (MK S. 412) und denken nicht daran, für die Sache ihres Amtes zu kämpfen:

„In eben dem Maße, in dem der Führer nicht mehr an das von ihm Gesagte glaubt, wird seine Verteidigung hohl und flach, dafür aber gemein in der Wahl der Mittel. Während er selber nicht mehr daran denkt, für seine politischen Offenbarungen ernstlich einzutreten (man stirbt nicht für etwas, an das man selber nicht glaubt!), werden die Anforderungen an seine Anhänger jedoch in eben diesem Verhältnis immer größer und unverschämter, bis er endlich den letzten Rest des Führers opfert, um beim ‚Politiker‘ zu landen; das heißt bei jener Sorte von Menschen, deren einzige wirkliche Gesinnung die Gesinnungslosigkeit ist, gepaart mit frecher Aufdringlichkeit und einer oft schamlos entwickelten Kunst der Lüge.“ (MK S. 71 f.)

Die Quelle des vernichtenden Urteils über den berechnenden Umgang mit dem Volk, über den Karrierismus, den das demokratische Prinzip eröffnet, ist nicht die über alle Wenden und Windungen der „feigen Jämmerlinge“ im Amt fortgesetzte Beschränkung der Massen, denen mit der Gewalt des Gesetzes – auch bei noch so schwankenden Gestalten unter den wechselnden Gesetzgebern – das lebenslange „Los“ auferlegt wird, sich arm und ehrlich dem Wachstum des Kapitals zur Verfügung zu halten, wobei sie sich noch nicht einmal darauf verlassen können, gebraucht und bezahlt zu werden. Dergleichen zieht ein Faschist, dem die „Aufgabenverteilung“ und die „Hierarchie“ sowie die verschiedenen „Stände“ im Volk nicht minder ein Gebot der Natur sind, ganz anders in Betracht. Der beklagte Opportunismus der Parteimänner gilt ihm als Verstoß gegen das Amt, die Führung des Staates will er nicht zum Spielball von Sonderinteressen herabgewürdigt sehen. Sein Mißtrauen und seine Feindschaft gilt jeglicher Relativierung, die er in der bürgerlichen Politik entdeckt – sei sie nun der Art, daß die Regierenden ihre Pflicht zur Erhaltung der Zwangsgemeinschaft der für ihren Vorteil brauchbaren Gunst des Publikums „unterordnen“; sei es, daß sie sich auf „objektive“ Schranken ihrer Macht berufen:

„Jeder Wiederaufstieg des deutschen Volkes führt nur über die Wiedergewinnung äußerer Macht. Die Voraussetzungen hierzu sind aber nicht, wie unsere bürgerlichen ‚Staatsmänner‘ immer herumschwätzen, Waffen, sondern die Kräfte des Willens. Waffen besaß das deutsche Volk einst mehr als genug. Sie haben die Freiheit nicht zu sichern vermocht, weil die Energien des nationalen Selbsterhaltungstriebes, der Selbsterhaltungswille, fehlten.“ (MK S. 365)

Diese „Energien“ hat der Staat zu wecken und zu organisieren, statt sich auf die machtpolitischen Gegebenheiten nach einem verlorenen Krieg „herauszureden“:

„Durch eure antinationale, verbrecherische Politik der Aufgabe nationaler Interessen habt ihr einst die Waffen ausgeliefert. Jetzt versucht ihr den Mangel an Waffen als begründende Ursache eurer elenden Jämmerlichkeit hinzustellen. Dies ist, wie alles an eurem Tun, Lüge und Fälschung.“ (MK S. 365)

Auch den Verweis, daß die politische Macht auf dem ökonomischen Erfolg gründet, den sie ins Werk setzt und benützt, läßt ein Faschist nicht gelten. Die Ideologie der „wirtschaftlichen Notwendigkeiten“, denen der Staat zu gehorchen habe, bekämpft er – aber auch wieder nicht mit dem Argument, da würden die Regierenden schamlos das staatliche Interesse in einen Sachzwang verwandeln, dem sie „ohnmächtig“ gegenüberstünden, um den Massen Leistungen und Entbehrungen für das Kapital im Namen des allmächtigen „Wirtschaftswachstums“ zu verordnen, so als hätte die Produktion und Verteilung von Reichtum nichts mit der politisch aufgeherrschten Ordnung zu tun. Er kritisiert diese Ideologie genau andersherum: Auch wirtschaftliche Leistungen gehen für ihn ganz auf staatliche Macht, den national organisierten Willen des Volkes zurück; insofern zeugt das Gerede vom „Sachzwang“ in seinen Augen schon wieder nur von mangelnder Einsicht in den Primat staatlicher Gewalt und vom mangelnden Willen der politischen Führung:

„Mit dem Siegeszuge der deutschen Technik und Industrie, den aufstrebenden Erfolgen des deutschen Handels, verlor sich immer mehr die Erkenntnis, daß dies alles doch nur unter der Voraussetzung eines starken Staates allein möglich sei. Im Gegenteil, man ging schon in vielen Kreisen so weit, die Überzeugung zu vertreten, daß der Staat selber nur diesen Erscheinungen sein Dasein verdanke, daß er selber in erster Linie eine wirtschaftliche Institution darstelle, nach wirtschaftlichen Belangen zu regieren sei und demgemäß auch in seinem Bestande von der Wirtschaft abhänge, welcher Zustand dann als der weitaus gesündeste wie natürlichste angesehen und gepriesen wurde.“ (MK S. 164)

In den „Überzeugungen“, die er für untragbar hält, kritisiert der faschistische Staatsmann auch gleich die praktischen Bedingungen mit, auf die sich der Staat bei der „Wiedergewinnung“ und beim Ausbau seiner Macht verwiesen sieht. Jede Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Mittel der Politik – die Kalkulation mit dem konkurrierenden Ausland, seiner Gewalt wie seinem Reichtum; auch die Orientierung an den Leistungen und Erträgen des nationalen Geschäftslebens und die Ausrichtung staatlicher Entscheidungen an deren Beförderung – ist für ihn ein Zeichen von Schwäche. Konsequente Führung ist dasselbe wie die umstandslose Erledigung des Auftrags, alle hinderlichen Bedingungen aus dem Weg zu räumen und alle fehlenden zu schaffen. Insofern verfolgt er den bedingungslosen Materialismus des Staates: Vor seinem Anspruch hat sich jegliches Interesse zu beugen und daran messen zu lassen, ob es sich als Diener eines starken Staates bewährt.

Der Kampf des Faschisten um die Macht ist daher tatsächlich von den Vorhaben seiner bürgerlichen Konkurrenten unterschieden: Erstens verläßt er sich von vornherein nicht auf die „Verführungstechniken“ der Stimmenwerbung. In der Gewinnung von Anhängern seiner Bewegung mißt er dem demonstrativen Gebrauch von Gewalt einige Bedeutung bei. Sie überzeugt den Adressaten, den enttäuschten Nationalisten, davon, daß da Leute am Werk sind, die für ihr Ideal einstehen und sich von den Feiglingen abheben, welche nur Nutznießer des Staates sein wollen, den persönlichen Einsatz für ihn aber scheuen. Darüber hinaus wird mit ihr der Beweis geführt, daß dieser praktizierte Idealismus fähig ist, mit den Gegnern des Staates fertig zu werden, derer die im „Korruptionsschlamm der Republik“ befangenen Inhaber der öffentlichen Gewalt nicht Herr werden: Auf eigene Faust wird der Kampf gegen Linke geführt, den der Staat angeblich sträflich vernachlässigt, und an Ausländern stellvertretend für eine säumige Obrigkeit das Urteil exekutiert, daß sie nicht in die Volksgemeinschaft hineinpassen. Und schließlich verstehen sich Faschisten auch noch auf die rein methodische Anwendung von Terror: In Attentaten, die sie möglichst grausam inszenieren, belehren sie ihre Mitbürger sehr prinzipiell darüber, daß es ihnen in ihrer verweichlichten Existenz „zu gut“ geht und Kampf ansteht – anonym und der anderen Seite in die Schuhe geschoben, dienen Anschläge der Verstärkung des vorhandenen und/oder erwünschten Rufes nach der „starken Hand“.

Zweitens dreht sich der Kampf um die Macht nicht nur um diese, sondern um die für nötig erachteten Korrekturen