Der Fluch des Geldes - Kenneth S. Rogoff - E-Book

Der Fluch des Geldes E-Book

Kenneth S. Rogoff

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Beschreibung

WARUM UNSER BARGELD VERSCHWINDEN WIRD Mehr als sieben Jahre nach seinem weltweiten Bestseller "Dieses Mal ist alles anders" meldet sich Kenneth Rogoff mit einem noch explosiveren Thema zurück: der totalen Abschaffung von Bargeld. 2014 war Rogoff der erste Ökonom, der ein Bargeldverbot als möglichen Ausweg zur Durchsetzung von Negativzinsen und der Eindämmung von Kriminalität ins Gespräch brachte. Seine Überlegungen haben bereits dazu geführt, dass die EZB die 500-Euro-Scheine abschaffen wird und Deutschland eine Grenze von 5000 € für Barzahlungen diskutiert. In "Der Fluch des Geldes" erläutert Rogoff, einer der profiliertesten und bekanntesten Ökonomen der Welt, erstmals denkbare Lösungen aus dem scheinbar unauflösbaren Konflikt zwischen der Beschneidung der persönlichen Freiheit und mangelnder regulatorischer Eingriffsmöglichkeiten der Finanzpolitik. Und er zeigt erstmals, dass ein Mittelweg möglich ist. Das kontroverseste Wirtschaftsbuch des Jahres!

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Seitenzahl: 457

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2016

© 2016 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Copyright des englischen Originals »The Curse of Cash« © 2016 by Kenneth Rogoff, all rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Foto-kopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verla-ges reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbei-tet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Jordan Wegberg und Sascha Mattke

Redaktion: Judith Engst

Korrektorat: Sonja Rose

Umschlaggestaltung: Melanie Melzer

Umschlagabbildung: aoo3771/shutterstock.com

Satz: inpunkt[w]o, Haiger

ISBN Print 978-3-89879-966-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-882-7

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-883-4

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Einleitung und Überblick

Teil I – Die dunkle Seite der Papiergeldwährung: Steuerhinterziehung, Gesetzesbruch, Kriminalität und Sicherheitsaspekte

Kapitel 2: Der Ursprung von Münzen und Papiergeld

Kapitel 3: Größe und Zusammensetzung der weltweiten Geldvorräte sowie ausländische Anteile

Kapitel 4: Bargeldbestände in der einheimischen, legalen, steuerzahlenden Wirtschaft

Kapitel 5: Bargeldnachfrage in der Schattenwirtschaft

Kapitel 6: Seigniorage

Kapitel 7: Plan zur weitgehenden Abschaffung des Bargelds

Teil II – Negative Zinssätze

Kapitel 8: Die Kosten der Null-Prozent-Grenze

Kapitel 9: Höhere Inflationsziele, nominales BIP, Zinsschranken und Fiskalpolitik

Kapitel 10: Andere Wege zum Negativzins

Kapitel 11: Weitere mögliche Nachteile eines negativen Leitzinssatzes

Kapitel 12: Negative Zinsen als Vertrauensbruch und Abkehr von regelbasierten Systemen

Teil III – Internationale Dimensionen und digitale Währungen

Kapitel 13: Internationale Dimensionen der Bargeldabschaffung

Kapitel 14: Digitale Währungen und Gold

Abschließende Gedanken

Danksagung

Anhang

Über den Autor

Literatur- und Quellenverzeichnis

Vorwort

Dieses Buch beschäftigt sich mit einem Problem, das Ihnen überraschend banal vorkommen mag. Es mag Ihnen eher wie ein geringfügiges Ärgernis vorkommen als ein Fluch. Doch ich werde versuchen, den Leser davon zu überzeugen, dass die Papiergeldwährung (Bargeld) das Kernstück einiger der am schwersten zu lösenden gegenwärtigen Probleme der öffentlichen Finanzwirtschaft und des Bankenwesens bildet. Einen Großteil des Bargelds loszuwerden, könnte daher hilfreicher sein, als Sie glauben.

Es ist verzeihlich, wenn der Leser glaubt, Finanzökonomen würden sich unaufhörlich über Papiergeld den Kopf zerbrechen und es gäbe unzählige Lehrbücher darüber. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Tatsächlich halten die meisten Akademiker und Ökonomen das physische Bargeld für eine unbedeutende Randerscheinung in der modernen Welt des Hightech-Bankings und Wirtschaftsgeschehens. Moderne keynesianische Gesamtwirtschafts-Modelle marginalisieren die Rolle des Bargelds oder klammern sie vollständig aus; es ist einfach zu unangenehm, sich damit zu beschäftigen. Die meisten Finanzwirtschafts-Experten wollen sich nicht mit Papiergeld herumplagen, denn sie halten es für absolut uninteressant und unwichtig.

Sogar die Zentralbanken interessieren sich nicht sonderlich für Bares, obwohl sie Milliarden Dollar damit verdienen, es zur Verfügung zu stellen. Die Vorstandsmitglieder diskutieren voller Begeisterung endlos über die Details der Zinspolitik und wie sich diese auf Inflation und Arbeitsmarkt auswirkt. Aber behelligen Sie sie bloß nicht mit irgendwelchen Diskussionen über Papiergeld-Fragen, es sei denn, es ginge dabei um Bilanzen. Selbst die lassen sie relativ kalt. Tief im Inneren glauben die meisten Zentralbanker, ihr wesentliches Lebensziel bestehe darin, die Wirtschaft auf einen stabilen Wachstumskurs zu halten und in Sachen Preisgestaltung zu beeinflussen, nicht aber darin, Geld zu produzieren.

Richtig. In den vergangenen Jahren wurde dem Bargeld ein klein wenig mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Denn die Zentralbanker denken jetzt mehr darüber nach, wie weit sie den Leitzins unter null senken können. Hoch verschuldete Regierungshaushalte benötigen immer dringender Steuereinnahmen, die Sicherheitsbehörden bemühen sich, terroristischen Bedrohungen vorzubeugen, und die Justizministerien sehen sich mit wachsenden nationalen und internationalen Verbrecher-Syndikaten konfrontiert. Doch für die meisten Politiker ist das Papiergeld nach wie vor eine unabänderliche Tatsache, und ihr Ehrgeiz beschränkt sich darauf, allfällige, dadurch verursachte Probleme abzuwenden. Selbst Akademiker, die doch eigentlich über den Tellerrand hinausschauen sollten, richten ihre Aufmerksamkeit auf komplexe und riskante Strategie-Entwürfe, die sich darauf richten, mit der Machtlosigkeit der Finanzpolitik zu dem Zeitpunkt umgehen zu können, an dem der Nominalzinssatz bei null liegt. Dabei fragen sie sich nicht, wie sich das Problem ganz einfach vom Tisch bekommen ließe.

Und genau dazu möchte ich hier einen Vorschlag machen. Warum sollten wir uns nicht einfach vom Bargeld trennen? Oder, um genauer zu sein, warum lassen wir den Bargeld-Gebrauch nicht einfach auslaufen, so dass der Übergang ganz langsam und schrittweise stattfindet? Finanziell ließe sich das durchsetzen durch subventionierte Bankkarten und die unbefristete Beibehaltung von kleinen Scheinen. Vielleicht ließen diese sich letztlich ersetzen durch ein reines Münzsystem.

Diese Lösung mag Ihnen simpel erscheinen, und vielleicht fragen Sie sich, warum ein ganzes Buch notwendig ist, um sie auszuloten. Aber eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Idee erfordert eine umfassende Betrachtung aller Berührungspunkte, die unser Leben mit Bargeld aufweist, manche davon konkret, manche greifbar, manche ausgesprochen abstrakt. Obgleich es eine Menge Möglichkeiten gibt, dieses Thema aufzubauschen und politisch auszuschlachten, werde ich mich durchgängig um Ausgewogenheit bemühen und sowohl die Vorteile als auch die Risiken betrachten. Das ist keine leichte Aufgabe, denn viele Themenbereiche sind äußerst emotionsgeladen. Was die einen beispielsweise als illegale Einwanderung betrachten, sehen die anderen als eine Fluchtbewegung von Menschen, die politischer Verfolgung und extremer Armut entkommen wollen. Wo zieht man die Grenze zwischen dem Recht der Regierung auf die Durchsetzung von Steuergesetzen und dem Recht der Bevölkerung auf Datenschutz? Ungeachtet der jeweiligen Position, die meine Leser einnehmen, werden viele die in diesem Buch präsentierten Fakten vermutlich ernüchternd finden. Viele der Argumente für die Erhaltung des Bargelds in seiner gegenwärtigen Form kommen Ihnen vielleicht überflüssig und weniger überzeugend vor, als sie zunächst klingen.

Ich hoffe, dass die meisten Leser einen Nutzen aus diesem Buch ziehen. Wo es notwendig war, esoterische Fragestellungen zu berühren, habe ich versucht, mich so klar und schlicht wie möglich auszudrücken. Alle unbedingt notwendigen technischen Erläuterungen habe ich in solchen Fällen in die Fußnoten und in den Anhang verbannt. Die künftige Rolle des Bargelds ist einfach zu wichtig, um sie einem kleinen Schattenbereich der Finanzwirtschaft zu überlassen. Ich bin sicher, nach der Lektüre dieses Buches wird Ihnen das Thema Papiergeld weniger banal und durchaus nicht mehr wie ein nebensächliches Problem vorkommen.

Kapitel 1: Einleitung und Überblick

Ist es für die Regierungen entwickelter Länder an der Zeit, das Bargeld allmählich auslaufen zu lassen, vielleicht mit Ausnahme von kleinen Scheinen, Münzen oder beidem? Mit dieser relativ einfachen Frage ist eine Vielzahl von wirtschaftlichen, finanziellen, philosophischen und sogar ethischen Themen verknüpft. In diesem Buch stelle ich die Behauptung auf, dass die Antwort unterm Strich »ja« lautet. Erstens würde es Steuerbetrug und Verbrechen wahrscheinlich deutlich unattraktiver machen, wenn große, anonyme Zahlungen künftig erschwert würden. Selbst eine relativ bescheidene Wirkung dieser Art könnte es potenziell rechtfertigen, einen Großteil des Bargelds abzuschaffen. Zweitens, und das sage ich schon eine ganze Weile, ist die allmähliche Abschaffung des Bargelds unbestreitbar die einfachste und eleganteste Lösung, um den Zentralbanken eine uneingeschränkte Negativzinspolitik zu ermöglichen, also die »Nulllinie« des Nominalzinses nach unten zu durchbrechen. Die Kurse der Schatzanweisungen können aktuell nicht weit unter null fallen, gerade weil die Menschen immer die Option haben, Bargeldvermögen zu halten, das wenigstens null Prozent Zinsen einbringt.1

Obgleich die allmähliche Bargeldabschaffung und die Einführung negativer Zinssätze Themen sind, die prinzipiell voneinander getrennt betrachtet werden können, sind die beiden Probleme in der Realität eng miteinander verknüpft. Genau genommen ist es unmöglich, über eine drastische Abschaffung des Bargelds nachzudenken, ohne dabei in Betracht zu ziehen, dass dies einem uneingeschränkten Negativzinssatz Tür und Tor öffnet und dass die Zentralbanken eines Tages versucht sein könnten, diese Schwelle zu überschreiten. Schließlich haben selbst heute schon, da die Tür zum Negativzins nur schief in den Angeln hängt, etliche große Zentralbanken (darunter die Bank of Japan und die Europäische Zentralbank) ihren Fuß auf der Schwelle. Insofern ist es wichtig, über die Abschaffung von Bargeld und die Entwicklung einer Negativzins-Strategie im Hinblick auf eine mögliche Umsetzung nachzudenken.

Als ich vor fast zwanzig Jahren erstmals vorschlug, große Banknoten abzuschaffen,2 hatte die Idee eines massiven Abbaus des weltweiten Berges von Papiergeld noch viel von einer Fantasy-Erzählung. Es war ein obskurer akademischer Aufsatz über ein obskures Thema in einer relativ obskuren Zeitschrift. Aber irgendetwas an der verrückten, abwegigen Idee, 100-Dollar-Noten abzuschaffen, fiel der New-York-Times-Journalistin Sylvia Nasar3 (der Autorin von ABeautifulMind) ins Auge. Ihr Artikel wiederum erregte die Aufmerksamkeit des damaligen amerikanischen Finanzministers Robert Rubin, der das Thema mit seinen Mitarbeitern besprach. Zu meinem Kummer wurde mir aber später gesagt, dass Rubin sich nicht in erster Linie auf meine Argumentation für die Abschaffung aller großen Banknoten konzentrierte (also 50 Dollar und mehr). Vielmehr lag sein Fokus auf meinem Hinweis, dass die geplanten neuen 500-Euro-Noten (rund 570 Dollar) die Vorherrschaft der amerikanischen 100-Dollar-Note in der weltweiten Schattenwirtschaft infrage stellen könnten. So viel zu meinem politischen Einfluss.

Ich glaube immer noch, dass mein Schwerpunkt richtig war.4 Die »Gewinne«, die Regierungen erzielen, indem sie blindlings die Nachfrage nach Bargeld bedienen, werden verschlungen von den Kosten illegaler Aktivitäten, die das Bargeld, und hier speziell die großen Scheine, erleichtert. Allein schon, die Papiergeldmenge zu reduzieren und damit die Steuerhinterziehung zu erschweren, würde vermutlich schon die entgangenen Gewinne wettmachen, die die Zentralbanken mit dem Druck von Banknoten machen. Das wäre selbst dann der Fall, wenn sich dadurch die Steuerhinterziehung nur um 10 bis 15 Prozent verringerte. Die Auswirkung auf illegale Geschäfte ist vermutlich noch größer.

Es steht außer Frage, dass Bargeld eine wesentliche Rolle bei einer großen Bandbreite krimineller Aktivitäten spielt, darunter Drogenhandel, organisierte Kriminalität, Erpressung, Behördenkorruption, Menschenhandel und natürlich Geldwäsche. Die Tatsache, dass große Scheine weitaus häufiger für illegale als für legale Transaktionen verwendet werden, hat schon seit langer Zeit Einzug in Fernsehen, Film und Populärkultur gehalten.5 Politiker dagegen haben sehr viel länger gebraucht, um das als Realität anzuerkennen.

Bargeld spielt auch eine zentrale Rolle beim Problem der illegalen Einwanderung, das Länder wie die Vereinigten Staaten beutelt. Es ist unglaublich, dass einige Politiker allen Ernstes über die Errichtung immens hoher Grenzzäune sprechen, aber offenbar niemand begreift, dass es ein weitaus humanerer und wirkungsvollerer Ansatz wäre, den amerikanischen Arbeitgebern die Verwendung von Bargeld zu erschweren, mit dem sie illegale Arbeitskräfte schwarz und häufig unterhalb des Mindestlohns bezahlen. Beschäftigung ist der große Magnet, der den gesamten Einwanderungsprozess antreibt. Um es allgemein zu sagen: Bargeld schafft eine Möglichkeit für Arbeitgeber, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen zu umgehen und Sozialabgaben zu vermeiden.

Natürlich muss jeder Plan zur drastischen Verringerung des Bargeldbestands auch stark subventionierte, einfache Bankkonten für Geringverdiener und vielleicht sogar einfache Smartphones umfassen. Etliche Länder, darunter Schweden und Dänemark, setzen dies bereits um, und viele andere Länder erwägen ähnliche Maßnahmen. Eine simple Idee, um den Prozess in Gang zu setzen, ist die Einführung von Schuldkonten, über die alle Behördenzahlungen vorgenommen werden können. Die finanzielle Eingliederung wäre eine gute politische Strategie, ob mit oder ohne Bargeldausstieg. Auf jeden Fall bietet der Plan, den ich in diesem Buch entwickle, kleine Anregungen, die lange Zeit (vielleicht unbegrenzt) kursieren und die meisten Belange in Bezug auf alltägliche Zahlungsvorgänge für die meisten Menschen einbeziehen. Die Beibehaltung kleiner Scheine (idealerweise letztlich in Münzen umgewandelt) berücksichtigt auch die drängendsten Bedenken in Bezug auf Sicherheit, Datenschutz und Notfälle.

Wer glaubt, dass aktuell Kreditkarten, Handy-Zahlungen und virtuelle Währungen das Bargeld bereits verdrängen, könnte sich kaum mehr irren. In den Industriestaaten ist die Nachfrage nach Papiergeld im Laufe von mehr als zwanzig Jahren kontinuierlich gewachsen. Ob Sie es glauben oder nicht, Ende 2015 war in den USA Bargeld im Wert von 1,34 Billionen Dollar außerhalb von Banken im Umlauf, das sind 4.200 Dollar für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in den Vereinigten Staaten. Die Größenordnungen sind in allen Industriestaaten weitgehend vergleichbar. Es ist kaum zu glauben, aber der Großteil dieses riesigen Bargeldbestands besteht aus großen Scheinen, also solchen Banknoten, die die meisten von uns nicht in ihren Portemonnaies haben, darunter die amerikanische 100-Dollar-Note, die 500-Euro-Note (derzeit rund 570 Dollar) und die schweizerische 1.000-Franken-Note (etwas mehr als 1.000 Dollar). Nahezu 80 Prozent des amerikanischen Bargeldbestands existiert in Form von 100-Dollar-Scheinen. Wie viele Leute haben 34 Stück davon in ihren Geldbörsen, Keksdosen oder im Auto, was den Anteil jedes Einzelnen ausmachen würde? Und das gilt für jeden Erwachsenen und jedes Kind; eine vierköpfige Familie müsste also 13.600 Dollar nur in 100-Dollar-Noten besitzen, kleinere Banknoten nicht mit eingerechnet. Staatskassen und Zentralbanken verdienen standardmäßig Milliarden am Druck großer Geldscheine. Aber niemand weiß, wo genau sich die meisten davon befinden und wofür sie genutzt werden. Nur ein geringer Anteil liegt in Kassen oder Bankschließfächern, und Verbraucherumfragen in den USA und Europa liefern keinerlei Erklärung für den Verbleib des Rests. Und es sind nicht nur die Vereinigten Staaten, die über einen gigantischen Bargeldbestand in überwiegend großen Scheinen verfügen. Das Problem ist in entwickelten Volkswirtschaften nahezu universell.

Selbst Zentralbanken beginnen, ihre umgekehrten Geldwäsche-Operationen mit gemischten Gefühlen zu betrachten. Ich verwende den Begriff »umgekehrte Geldwäsche«, um zu verdeutlichen, wie die Zentralbanken tatsächlich saubere Geldscheine an die Banken ausgeben, wo das Bargeld – insbesondere die großen Scheine – nach einer Reihe von Zwischentransaktionen häufig als schmutziges Geld in der Schattenwirtschaft landet. Bei der klassischen Geldwäsche werden natürlich die Einkünfte aus illegalen Geschäften durch scheinbar rechtmäßige Unternehmen geschleust, um sauberes Geld zu erzeugen.

Der entscheidende Anstoß für die Zentralbanken, die Rolle des Bargelds zu überdenken, scheint nicht so sehr ein moralisches Erwachen zu sein als vielmehr die Erkenntnis, dass Papiergeld zu einem wesentlichen Hindernis für das reibungslose Funktionieren des Weltfinanzsystems geworden ist. Wie kann etwas so Veraltetes wie Papiergeld überhaupt eine Rolle spielen in einer Weltwirtschaft, in welcher der Gesamtwert aller Finanzgüter den Gesamtwert des Bargelds bei weitem übersteigt? Die Begründung ist so ungeheuer banal, dass sie jeden schockieren wird, der noch nie darüber nachgedacht hat.

Man kann sich Papiergeld als eine Null-Prozent-Anleihe vorstellen. Oder, um genauer zu sein, als anonyme Null-Prozent-Anleihe: Kein Name und keine Geschichte ist damit verknüpft, und sie hat ihre Gültigkeit unabhängig davon, wer sie besitzt.6 Solange die Menschen sich für Papiergeld entscheiden können, werden sie nicht bereit sein, einen Zinssatz bei irgendeiner Art von Anleihe zu akzeptieren, der deutlich niedriger ist, außer vielleicht als bescheidene Ausgleichsdifferenz, weil die Versicherung und Lagerung von Bargeld kostspielig ist. So trivial das Problem auch aussehen mag, die Null-Prozent-Anleihe hat im Wesentlichen die Finanzpolitik der gesamten entwickelten Welt behindert, und zwar für einen Großteil der acht Jahre seit der Finanzkrise von 2008. Wenn eine unbeschränkte Negativzinspolitik möglich wäre – und alle notwendigen finanziellen, institutionellen und gesetzlichen Vorbereitungen getroffen wären –, würde den Zentralbanken niemals »die Munition ausgehen« (das heißt, sie hätten stets Spielraum zur weiteren Kürzung des Zinssatzes). Vieles spricht dafür, dass eine unbeschränkte Negativzinspolitik auf dem Höhepunkt der Finanzkrise äußerst hilfreich gewesen wäre.

Nur wenige Politiker hatten sich über dieses Problem tatsächlich Gedanken gemacht, bis die Finanzkrise zuschlug. Seit der Weltwirtschaftskrise war die Null-Prozent-Anleihe einfach außerhalb von Japan in der Zeit nach der Blase kein großes Thema. Seit 2008 hat sich die Situation dramatisch verändert. Tatsächlich hat sich während der vergangenen acht Jahre wirklich jede größere Zentralbank das eine oder andere Mal gewünscht, Zinssätze im deutlich negativen Bereich festlegen zu können. Einige wenige Zentralbanken, darunter die dänische, die schweizerische, die schwedische, der EZB und die Bank of Japan, haben sich auf Zehenspitzen in den Bereich negativer Zinsen vorgewagt, um die Grenze auszutesten, ab der eine Fluchtbewegung von Unternehmenskonten und Staatsschulden in Richtung Bargeld die Strategie ineffektiv oder sogar kontraproduktiv machen würde. Doch selbst wenn die Untergrenze des Zinssatzes ein wenig unter null liegt, gibt es immer noch eine Beschränkung.

Die Idee, dass negative Zinssätze irgendwann mal eine gute Strategie sein könnten und dass Papiergeld dem im Wege steht, ist keineswegs neu. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise erzielten führende Wirtschaftswissenschaftler jeglicher Couleur, darunter Irving Fisher in Yale und John Maynard Keynes in Cambridge, bemerkenswerte Einigkeit. Wenn es nur irgendeine Möglichkeit gäbe, dass die Regierungen einen negativen Bargeldertrag erzielten, könnte das Geldmengen-Wachstum vielleicht die Welt aus der Krise holen. Das Problem war damals, genau wie es in vielen Ländern auch heute besteht, dass die kurzfristigen Zinssätze bereits bei null lagen, womit die Finanzpolitik in einer »Liquiditätsfalle« gefangen war und keinerlei Spielraum mehr hatte. Inspiriert durch den deutschen Querdenker Silvio Gesell verfasste Fisher 1933 das Buch StampScrip, in dem er der Idee nachging, dass die Leute regelmäßig neue Marken auf die Rückseite ihrer Banknoten kleben sollten, um deren Gültigkeit zu erhalten. Das war natürlich eine sehr primitive Form des Negativzinses auf Bargeld. Keynes lobte die Idee 1936 in seiner GeneralTheory, kam aber berechtigterweise zu dem Schluss, dass sie völlig unpraktikabel sei.7 Gesells Lösung für die Liquiditätsfalle zu verwerfen, bereitete den Weg für Keynes’ berühmte Schlussfolgerung, die Regierungsausgaben seien der Schlüssel zum ökonomischen Aufstieg aus der Weltwirtschaftskrise.

Womöglich käme Keynes heutzutage zu einem völlig anderen Schluss, da Transaktionen bereits immer stärker über elektronische Medien abgewickelt werden, darunter Kreditkarten, Bankkarten und Smartphones. Es ist heute keinesfalls mehr unpraktikabel, negative (oder positive) Zinsen auf elektronische Währungen zu zahlen, wie die Banken annehmen; wie bereits erwähnt tun einige Zentralbanken dies bereits! Das wesentliche Hindernis für die Einführung negativer Zinssätze in größerem Umfang ist die Altlast des Bargelds, besonders der großen Scheine, die sich im Epizentrum jeder umfänglichen Umwandlung von Schatzanweisungen in Bargeld befänden.8 Natürlich stehen noch weitere institutionelle Hindernisse einer kompletten Negativzinspolitik im Wege, beispielsweise die Vereinbarung, negative Zinsen auf Schulden zu zahlen, die Vorschrift, übermäßig viele Steuervorauszahlungen zu leisten und der Ausschluss langer Verzögerungen beim Einlösen von Schecks. Doch wie ich in Kapitel 10 und 11 zeigen werde, können all diese Probleme gelöst werden, wenn man genügend Zeit dafür einräumt.

Die Abschaffung von Bargeld oder die Erhebung von Negativzinsen auf Guthaben sind emotional aufgeladene Themen. Modernen Silvio Gesells begegnet man in einigen Bereichen mit unverhohlener Feindseligkeit. Im Jahr 2000 veröffentlichte der Federal-Reserve-Beamte Marvin Goodfriend aus Richmond einen rein wissenschaftlichen Aufsatz. Darin regte er an, als eine Möglichkeit für die Zahlung negativer Zinsen das Geld mit Magnetstreifen auszustatten. Statt für seine Kreativität und Voraussicht gelobt zu werden, erhielt Goodfriend in kurzer Zeit eine Vielzahl feindseliger und drohender E-Mails und wurde in konservativen Radiosendungen angeprangert. 2009 schrieb der Harvard-Wirtschaftswissenschaftler N. Gregory Mankiw einen skurrilen Artikel für die New York Times, in dem er das Null-Zins-Problem aufgriff und erwähnte, dass einer seiner Studenten vorgeschlagen habe, regelmäßig Lotterien mit den Seriennummern auf Geldscheinen durchzuführen. Nach jeder Verlosung sollten die Scheine mit den gezogenen Seriennummern für wertlos erklärt werden. Über diese unorthodoxe Methode der Bezahlung eines Negativzinses auf Bargeld wurde zu rein veranschaulichenden Zwecken und mit einem Augenzwinkern berichtet. Sie ist vollkommen unpraktikabel. Wie kann man schließlich erwarten, dass die Leute sich im Laufe der Zeit all die gezogenen Nummern merken? Zu Mankiws Erstaunen erhielt auch er augenblicklich Schmäh-E-Mails und -Kommentare, dazu kamen Briefe an den Harvard-Präsidenten mit der Aufforderung, ihn auf der Stelle zu entlassen.

Nicht jeder, der das Bargeld erhalten möchte, gehört einer Weltuntergangssekte an oder sieht einen Zusammenhang zwischen einer bargeldlosen Gesellschaft und der Vorherrschaft des Satans. (Obwohl ich als jemand, der lange Zeit über die massive Einschränkung der Rolle von Papiergeld geschrieben hat, bestätigen kann, dass auch solche Typen darunter sind.) Die meisten Menschen, die das Bargeld bewahren wollen, haben vollkommen legitime Gründe, den Status quo zu bewahren. Nach einer Vorlesung, die ich 2014 an der Universität in München hielt, nahm Otmar Issing, ehemaliges Vorstandsmitglied und Chefökonom der Europäischen Zentralbank, großen Anstoß an meinem Standpunkt. Er gab zu bedenken, das Bargeld sei »geprägte Freiheit« (eine Anspielung auf Dostojewskis Aufzeichnungenaus einem Totenhaus)9 und dürfe niemals und unter keinen Umständen gefährdet oder aufgegeben werden. Mein Ziel in diesem Buch ist es, diese Einwände ernst zu nehmen und nach Möglichkeit herauszufinden, wie sie sich abschwächen lassen. Manche schätzen die relative Bequemlichkeit von Bargeld, auch wenn seine Vorteile in einer immer geringeren Bandbreite an legalen Transaktionen bestehen. Für andere ist die Anonymität wichtig, ein Thema, das viel zu komplex ist, um es aufzugreifen. Wie kann eine Gesellschaft das Gleichgewicht schaffen zwischen dem Recht des Einzelnen auf Privatsphäre und dem sozialen Erfordernis zur Durchsetzung von Gesetzen und Vorschriften?

Den Verlauf dieser Grenzlinie zu bestimmen – und sie durchzusetzen und einzuhalten – ist vielleicht die entscheidendste Aufgabe, die sich jede zukünftige Arbeitsgruppe für die Abschaffung von Bargeld stellen muss. Das Problem der Privatsphäre umfasst viel mehr als nur die Bargeldpolitik; es wirft auch Fragen zu Mobilfunkaufzeichnungen und Browserverläufen auf, ganz zu schweigen von den Überwachungskameras, die mittlerweile in den größten Städten der Welt fast allgegenwärtig sind. Doch Bargeld ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil dieser Mischung, und wenn man sich Gedanken über seine Abschaffung macht, ist es von Bedeutung, sich sowohl die Ziele als auch die Alternativen genau anzuschauen (zum Beispiel Prepaid-Bankkarten mit strikten Begrenzungen). Die Bequemlichkeit und Anonymität von Bargeld bei kleinen Transaktionen aufrechtzuerhalten, ist ein wichtiger Grund dafür, dass jeder Weg zur Bargeldabschaffung bei den großen Scheinen beginnen muss. Möglicherweise müssen die kleineren Scheine zeitlich unbegrenzt oder bis zur Einführung vollständig zufriedenstellender Alternativen unangetastet bleiben.

***

Ein Buch um einen Sachverhalt herum zu strukturieren, der so viele verschiedene Themenbereiche berührt, war eine außergewöhnliche Herausforderung, besonders wenn man sowohl die praktischen als auch die philosophischen Implikationen ernst nehmen möchte, die mit der Bargeldabschaffung einhergehen. Ich habe mich bemüht, eine Struktur zu entwickeln, die es dem Leser ermöglicht, direkt zu den speziell für ihn interessanten Themen zu navigieren oder einfach das gesamte Buch durchzulesen. Sehr viel Material, insbesondere Zitate, habe ich in die Fußnoten ausgelagert. Sie müssen bei einem ersten Durchgang nicht unbedingt in allen Einzelheiten gelesen werden. Einige Themenbereiche schienen auch ein bisschen zu technisch für den Text zu sein; sie werden in einem kurzen Anhang angefügt.

Der Haupttext ist in drei Teile untergliedert. Kapitel 2 beginnt mit der auszugsweise dargestellten Geschichte des Bargelds und stellt einige zentrale Punkte heraus, auf die ich später zurückkommen werde. Ein absolut entscheidender Punkt ist, dass es in Wirklichkeit zwei Arten von Papiergeld gibt, das gedeckte und das ungedeckte. Beim Goldstandard beispielsweise legen Zentralbanken den Wert des Geldes im Verhältnis zu Gold fest, indem sie sich jederzeit die Möglichkeit offenhalten, Bargeld zum offiziellen Preis für Gold zu kaufen und zu verkaufen. Wie wir sehen werden, können sie sich in Schwierigkeiten bringen, wenn sie nicht über genügend Gold verfügen, um das gesamte von ihnen gedruckte Geld zu decken. Bei einem ungedeckten oder Fiatgeld-System wird der Wert des Bargelds ausschließlich durch eine Mischung aus gesellschaftlicher Übereinkunft und Regierungserlass bestimmt. Heutzutage sind alle großen Währungen reine Fiatgeld-Systeme, eine Einrichtung, die bis zu den mongolischen Herrschern in China zurückverfolgt werden kann.

Weil keine Notwendigkeit besteht, die Papiergeldwährung zu decken, haben moderne Regierungen große Mengen davon in Umlauf gebracht. Kapitel 3 liefert die grundlegenden Fakten über die gewaltigen Vorräte an Bargeld, mit einem Schwerpunkt auf den Währungen fortschrittlicher Wirtschaftssysteme, allerdings auch mit einigen Tatsachen über Schwellenmärkte. In den Kapiteln 4 und 5 gehe ich dann den verschiedenen Bedarfsquellen auf den Grund. Wer könnte so immense Mengen an Bargeld besitzen? Zu den Bedarfsquellen gehören die legale, Steuern zahlende einheimische Wirtschaft, die nicht so legale Schattenwirtschaft (darunter auch Steuerhinterzieher und Verbrecher) sowie die Weltwirtschaft, einschließlich legaler und illegaler Nachfrage.

Kapitel 6 ergründet einen elementaren Pluspunkt des Bargelds, nämlich die beträchtlichen Einkünfte, die Regierungen aus der Ausübung ihres Bargeld-Monopols erzielen. Es betrachtet verschiedene Maßnahmen, um vom Bargeld zu profitieren, und versucht einzuschätzen, wie viel davon verloren ginge, wenn sich ein wesentlicher Anteil der Nachfrage auf elektronische Zahlungsmöglichkeiten verlagern würde. Wichtige Themen sind hierbei nicht nur der entgangene zukünftige Gewinn, sondern auch die Kosten, welche die Rücknahme eines Großteils der vorhandenen Vorräte verursachen würde. Dazu gehört zunächst auch der Aspekt, dass Staatsschulden das Bargeld aufsaugen, wenn es eingezogen wird. Die tatsächlichen Kosten wären wahrscheinlich davon abhängig, wie stark Anti-Geldwäsche-Gesetze und die Notwendigkeit des Nachweises von Bareinlagen während der Abschaffungsphase ausgesetzt würden, denn dies hätte Auswirkungen darauf, wie viel schmutziges Geld einginge. Ich ziehe die Schlussfolgerung, dass die gesamtgesellschaftlichen Vorteile der Abschaffung von Bargeld vermutlich beträchtlich höher wären als die Kosten.

Natürlich hängt viel davon ab, wie stark Steuerhinterziehung und kriminelle Aktivitäten in einer »bargeldreduzierten« Welt zurückgehen würden. Das ist ungewiss, obwohl ich davon ausgehe, dass die Auswirkungen recht deutlich spürbar sein werden, vorausgesetzt, die Regierung bleibt auf der Hut, was das Aufkommen alternativer Transaktionsmedien angeht. Das Schlüsselinstrument, über das die Regierung verfügt, ist die Fähigkeit, es Finanzinstituten unmöglich zu machen, eine alternative Währung zu akzeptieren, und deren Verwendung in gewöhnlichen Einzelhandelsgeschäften zu erschweren. Natürlich gibt es immer Schlupflöcher: Goldmünzen, Rohdiamanten und virtuelle Währungen. Doch wenn man ihre Praktikabilität betrachtet und die beträchtlichen Einschränkungen, denen sie schon jetzt unterliegen (zum Beispiel für lizenzierte Diamanten- und Goldhändler), wird schnell deutlich, dass die Alternativen zu Bargeld mit hoher Wahrscheinlichkeit kostspieliger, riskanter und weniger effizient sind. Im vorletzten Kapitel dieses Buches werden wir uns näher mit virtuellen Währungen beschäftigen.

Kapitel 7, das letzte Kapitel von Teil I, enthält einen konkreten Plan zur Abschaffung des Bargelds bis hin zu kleinen Scheinen und Münzen. Die lange Übergangsfrist dient dazu, den Menschen und Institutionen Zeit zur Anpassung zu geben und es den Politikern zu ermöglichen, mit unvorhergesehenen Problemen umzugehen. Ein wichtiges Grundprinzip besteht darin, dass ein ideales System Hindernisse für große und wiederkehrende anonyme Transaktionen schaffen sollte, nicht jedoch für kleine. Zudem sollte es die finanzielle Eingliederung gewährleisten, also niemanden ausschließen. Mit der unbegrenzten Beibehaltung kleiner Scheine oder Münzen begegnet der Plan vielen der Bedenken, die bei einer vollständigen Abschaffung von Bargeld aufkämen, zum Beispiel was bei einem durch eine Naturkatastrophe bedingten Stromausfall passieren würde. Wie schnell das Papiergeld vollständig eliminiert werden kann, hängt von den Erfahrungswerten und von der technologischen Entwicklung ab. Am Ende von Kapitel 7 stelle ich den Fall der skandinavischen Länder (speziell Schweden) vor, die sich aus einer Reihe von Gründen weiter und schneller zu bargeldlosen Gesellschaften entwickelt haben als vielleicht jedes andere Land bisher. Es ist noch viel zu früh, um irgendwelche belastbaren Schlussfolgerungen aus diesen ersten Erfahrungen zu ziehen, doch sie scheinen zu zeigen, dass viele der eher überflüssigen Einwände gegen die massive Einschränkung von Bargeldverwendung entkräftet werden können.

In Teil II dieses Buches geht es um negative Zinssätze. Wie bereits angemerkt, kann man sich kaum mit der Abschaffung des Bargelds beschäftigen, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sich dies massiv auf die Strategie der Zentralbanken auswirkt.10 Nach einer Einführung und einem Überblick ergründe ich in Kapitel 8, was über die Seriosität der praktischen Anwendung eines Null-Prozent-Leitzinssatzes bekannt ist. Es gibt eine wachsende Anzahl von wissenschaftlichen Veröffentlichungen dazu, doch sie beruhen auf beschränkten Daten und Informationen. Darüber hinaus haben auch die Modelle selbst interne Beschränkungen, zum Beispiel die grobe Art und Weise, wie sie die Finanzmärkte behandeln. Tatsache ist: Auch wenn die meisten Zentralbanker intuitiv annehmen, dass ein Nominalzinssatz von null ein wichtiges und wiederkehrendes Problem ist, befindet sich die wissenschaftliche Erforschung noch in den Kinderschuhen, und die bisherigen Ergebnisse sind unterschiedlicher Natur.

Auch Kapitel 8 untersucht einige der Anstrengungen, die Zentralbanken zur Umgehung der Nullzins-Grenze unternommen haben, ohne auf einen negativen Leitzins abzuzielen. Kapitel 9 betrachtet noch weitere Ideen zum Umgang mit der Nullzins-Grenze, zum Beispiel die Anhebung der Inflationsziele von 2 auf 4 Prozent. Kapitel 10 greift alternative Vorgehensweisen auf, um eine Negativzinspolitik (mit offenem Ende) ohne Abschaffung von Bargeld zu ermöglichen. Eine interessante und wichtige Idee besteht darin, dass die Regierung separate elektronische und Papiergeldwährungen ausgibt und einen Wechselkurs dafür einrichtet. Kapitel 11 befasst sich mit weiteren Schwierigkeiten und Hindernissen, die der Effektivität einer Negativzinspolitik im Wege stehen könnten, und damit, wie diese Schwierigkeiten gelöst werden könnten. In Kapitel 12 greife ich dann die Bedenken auf, eine Negativzinspolitik könnte die finanzielle Stabilität aushebeln und zu viele Anreize schaffen, von einer modernen regelorientierten Politik abzuweichen.

Teil III beschäftigt sich mit Themen, die sowohl Teil I und Teil II überspannen, darunter internationale Auswirkungen und digitale Währungen. Ist eine Koordination notwendig (Kapitel 13)? Hat die Negativzinspolitik Übertragungseffekte? Macht das Aufkommen digitaler Währungen all dies ohnehin irrelevant (Kapitel 14)?11 Ich werfe hier auch einen Blick auf Entwicklungs- und Schwellenländer. Für die meisten ist es noch zu früh, um eine Abschaffung des Bargelds in Erwägung zu ziehen, obwohl die Abschaffung großer Scheine vermutlich trotzdem eine gute Idee wäre. Das Kapitel »Fazit« beschließt dieses Buch.

Zuletzt noch einige Worte zur Begrifflichkeit. Ich verwende durchgängig den Begriff »Papiergeldwährung« auch für andere Transaktionsmedien mit ähnlicher Form und Funktion wie Banknoten, die nicht notwendigerweise aus Papier hergestellt sind. Natürlich bestanden die ersten chinesischen Zahlungsmittel aus Leder und Baumrinde, und die häufigste Alternative heutzutage ist Polymer-Kunststoff, der bereits in einer Reihe von Ländern verwendet wird, darunter Kanada und Großbritannien. Kunststoff-Banknoten sind definitiv haltbarer als die aus Papier und wohl auch schwerer zu fälschen. Für die meisten Zwecke hier hat dies jedoch nicht oberste Priorität. Abgesehen von ein paar anderen kleinen Details, die an den entscheidenden Stellen ausgeführt werden (zum Beispiel ist es potenziell einfacher, individuelle Seriennummern auf den Kunststoff-Banknoten zu erfassen), möge der Leser sich Papier- und Kunststoff-Banknoten bei der Lektüre dieses Buches als ein und dasselbe vorstellen. Ich beziehe mich auf beides mit dem Begriff »Papiergeldwährung«.

Im Zusammenhang damit nutze ich auch die Bezeichnungen »Papiergeld« oder »Bargeld« anstelle von »Papiergeldwährung«, um Wiederholungen zu vermeiden. Alle diese Begriffe haben hier dieselbe Bedeutung. Die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs »Bargeld« umfasst manchmal alle Arten von liquidem Vermögen, doch in diesem Kontext hier sollte deutlich geworden sein, dass ich mit »Bargeld« immer »Papiergeldwährung« meine. In 75 Jahren, wenn Papiergeldwährungen immer noch von isolierten Volksstämmen im Amazonasdelta oder in Osttexas genutzt werden, haben diese vermutlich ohnehin ihre eigenen Bezeichnungen dafür.

1 Siehe z. B. Rogoff (2014). Der Beitrag basiert auf Rogoff (1998a) und nimmt die wichtigsten hier vorgestellten Konzepte vorweg, die ich auch in gedruckten Kommentaren bereits publiziert habe.

2 Rogoff (1998a).

3 Sylvia Nasar, »Crime’s Newest Cash of Choice«, New York Times, 28. April 1998, verfügbar unter http://www.nytimes.com/1998/04/26/weekinreview/ideas-trends-crime-s-newest-cash-of-choice.html

4 Als Chefvolkswirt beim Internationalen Währungsfonds (z. B. Rogoff 2002) habe ich weiter an diesem Thema gearbeitet, ohne allerdings auf viel Resonanz zu stoßen.

5 Ein Beispiel ist der Film All About the Benjamins (mit Ice Cube als Hauptdarsteller) aus dem Jahr 2002. Der Titel bezieht sich auf Benjamin Franklin, der auf dem aktuellen 100-Dollar-Schein abgebildet ist.

6 Früher gab es tatsächlich anonyme verzinsliche Inhaberschuldverschreibungen und sie spielen eine Rolle in F. Scott Fitzgeralds Roman Der Große Gatsby aus dem Jahr 1925. Auch in Hollywood-Filmen aus den 1980er-Jahren wie Die Hard und Beverly Hills Cop kommt noch vor, dass sie von manchen Bösewichten verlangt werden. In den USA allerdings sind sie mittlerweile praktisch verboten und auch in anderen Industrienationen vom Aussterben bedroht. In den USA wurden sie durch den Tax Equity and Fiscal Responsibility Act of 1982 obsolet, der einen steuerlichen Zinsabzug für den Emittenten unmöglich machte. Weil die Verbuchung von Anleihen vollständig elektronisch erfolgt und Regierungen in aller Welt gegen Steuerhinterziehung und Terrorismus vorgehen, werden verzinsliche Inhaberschuldverschreibungen in den Industrienationen nicht überleben, unabhängig davon, was mit Bargeld geschieht.

7 Keynes (1936).

8 Als grobe Annäherung dürften die Kosten für die Handhabung und Lagerung von einer Milliarde Dollar in 10-Dollar-Scheinen zehnmal so hoch sein wie bei 100-Dollar-Scheinen; wenn der größte Geldschein auf 5 Dollar lauten würde, wären die Kosten sogar 20-mal so hoch. Milliarden Dollar in Münzen zu zählen und zu lagern (worauf auf sehr lange Sicht der Plan in Kapitel 7 hinausläuft), wäre noch aufwendiger. Wenn man bedenkt, dass Zeiträume mit deutlich negativen Zinsen sowohl relativ kurz als auch unvorhersagbar sein dürften, ist damit zu rechnen, dass die Fixkosten für Lagerung und Versicherung in diesem Fall so hoch wären, dass dies quasi einem Verbot gleichkäme. Wenn selbst das nicht ausreicht, kann die Regierung immer noch weitere feste Kosten für die Wiedereinzahlung von Geld ins Bankensystem einführen.

9 Dostojewski (1862), zitiert nach der FAZ vom 19. November 2014.

10 Rogoff (2014) argumentiert, dass sich mit der Abschaffung von Papiergeld zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen.

11 Journalisten haben einige sehr gute Bücher über elektronisches Geld geschrieben, darunter The End ofMoney von David Wolman (2012) und The Age of Cryptocurrency von Paul Vigna und Michael Casey (2015). Allerdings geht es darin eher um die Welt der alternativen Zahlungssysteme als um ein grundlegend neues Nachdenken über das globale Währungssystem.

Teil I Die dunkle Seite der Papiergeldwährung: Steuerhinterziehung, Gesetzesbruch, Kriminalität und Sicherheitsaspekte

Kapitel 2:Der Ursprung von Münzen und Papiergeld

In einem Buch, das den Tod des Papiergeldes voraussagt, möchte ich es nicht versäumen, eine lange und flammende Grabrede zu halten. Die Evolution des modernen Geldes hilft uns auch, einige wichtige Nuancen bezüglich der Rolle der Regierung und der Technologie zu verstehen, die sich bei der Analyse von Möglichkeiten alternativer Währungssysteme künftig als hilfreich erweisen werden.

Das lange Erbe und die überlieferte Geschichte des Papiergeldes in unserer Psyche und unserer Kultur sind für sich selbst genommen ein großartiges Artefakt und sollten nicht unterschätzt werden. Für die Bewohner des Abendlandes beginnt die Geschichte mit Marco Polos aufschlussreichem Bericht über Papiergeld in China, eine Entdeckung, die Europäer als eine Art Alchemie wahrnahmen. Dieser Verdacht spiegelt sich wider in Goethes Faust, in dem Mephistopheles den Kaiser, der sich in ernsthafter finanzieller Bedrängnis befindet, zur Einführung von Papiergeld überredet, um die Ausgaben zu erhöhen und die Staatsverschuldung abzulösen. Das Mittel funktioniert kurzfristig, führt jedoch auf lange Sicht zu Inflation und Ruin. Goethe, der dies im frühen 19. Jahrhundert schrieb, erwies sich als ausgesprochen hellsichtig. Ohne Papiergeld hätte es in Deutschland keine Hyperinflation gegeben und womöglich auch keinen Zweiten Weltkrieg.12

Man mag das gescheiterte Papiergeld verdammen, doch der Erfolg des Papiergeldes war lange Zeit der Grundpfeiler einer der erfolgreichsten Ökonomien der Welt. Anderthalb Jahrhunderte vor der Gründung der Federal Reserve im Jahre 1913 traf der Amerikaner Benjamin Franklin in London ein. Er hatte die Absicht, die Erlaubnis der Briten einzuholen, dass die amerikanischen Kolonien ein eigenes universelles Papiergeld einführen durften, um ihren Anteil der Kosten am Siebenjährigen Krieg zu bezahlen; die Idee wurde nicht umgesetzt.13 Ironischerweise ist eben jene amerikanische Währung, die Franklin vor 250 Jahren vorschwebte, inzwischen nicht nur existent, sondern sie hat ihr britisches Pendant auch im weltweiten Import deutlich überflügelt und stellt jetzt das vielleicht größte Symbol amerikanischer Vorherrschaft dar. Natürlich ziert Franklins Bildnis die 100-Dollar-Note. Die Bedeutsamkeit der »Benjamins« ist auch der chinesischen Staatsführung bewusst, die bereits den Tag kommen sieht, da große Renminbi-Scheine in der weltweiten Vorstellung die 100-Dollar-Scheine ersetzt haben werden. Das könnte allerdings noch ein Weilchen dauern.

Die Geschichte des Papiergeldes ist ungeheuer faszinierend und eng verknüpft mit der Entwicklung von Technologie und Gesellschaft. Viele großartige theoretische und historische Abhandlungen wurden seit Marco Polo über Geld geschrieben.14 Meine Absichten in diesem kurzen geschichtlichen Exkurs sind jedoch genau umrissen. Es geht mir um drei wichtige Punkte.

Erstens ist die Geschichte des Geldes alles andere als statisch. Nichts Schockierendes sollte der Vorstellung anhaften, dass dieses Tauschmedium sich von Papier zu etwas Elektronischem weiterentwickelt, von den Benjamins zu, sagen wir, einer regierungsgesteuerten Version der virtuellen Währung Bitcoin. Zweitens, auch wenn eine Vielzahl von Gegenständen als Zahlungsmittel dienen kann, tendiert die beste Technologie dazu, sich am Ende durchzusetzen. Es ist kein Zufall, dass Metallmünzen andere Sachwährungen ausgestochen haben und dass Papiergeldwährungen letztlich den Münzen überlegen waren. Und es wird kein Zufall sein, wenn die Ära des Papiergelds zu Ende geht. In der modernen Wirtschaftstheorie des Geldes findet sich nichts, was eine elektronische Währung ausschließen würde.15

Drittens beginnen in vielen Fällen Währungsinnovationen im privaten Bereich und werden dann von einer Regierung übernommen. Ob es einem gefällt oder nicht, eine starke zentrale Regierung hat enorme Vorteile bei der Bereitstellung eines sicheren, garantierten Vermögens, und sei es nur, weil alles private Geld letztendlich anfällig ist für behördliche Eingriffe. Diese Lektionen sollte man nicht aus den Augen verlieren bei der Einschätzung der Zukunftsfähigkeit von digitalen Währungen (oder, um es enger zu fassen, von verschlüsselten oder Kryptowährungen) und anderen Versuchen, neue, möglicherweise überlegene Technologien zu verwenden, um privaten Währungen einen Vorteil gegenüber behördlich ausgegebenem Geld zu verleihen. Solche Zyklen hat es bereits früher gegeben, wie dieses Kapitel zeigt.

Jede fortgeschrittene Zivilisation, mit der umstrittenen Ausnahme der südamerikanischen Inkas, verlangte eine Lösung für das Problem, das der angesehene Finanztheoretiker William Stanley Jevons im 19. Jahrhundert als »Doppelkoinzidenz der Bedürfnisse« bezeichnete. Das umreißt lediglich die Aufgabe, ein System zu entwickeln, das zumindest die Notwendigkeit verringert, sämtliche Handelsgeschäfte durch Tausch vorzunehmen. Geld ist nicht so wichtig in kleinen Nomaden- oder Stammesgesellschaften mit nur wenigen Gütern und einer starken sozialen Ordnung, die die Verteilung regelt. Doch wenn Gesellschaften sich weiterentwickeln, vielfältige Güter und große Bevölkerungszahlen aufweisen, war lange Zeit nahezu unmöglich, eine Verteilung ohne irgendeine Art von Geld zu erzielen. Selbst wenn es wirklich stimmt, dass die Inkas ohne ein Währungssystem ein relativ hohes Entwicklungsniveau erreichten, scheint es doch undenkbar, dass sich dies in technisch weiter fortgeschrittenen modernen Gesellschaften umsetzen ließe. Die Planwirtschaften des früheren Ostblocks verwendeten Mehrjahrespläne, um jedes Detail der Produktion in ihrer Ökonomie vorauszuberechnen, doch selbst sie fanden ein Währungssystem unverzichtbar.

Der für uns interessanteste Teil der Geschichte beginnt mit der Entwicklung der Metallmünze. Der Leser sollte jedoch wissen, dass es auch eine Vielzahl anderer Tauschwährungen gab, darunter Walfischzähne auf den Fidschi-Inseln, Reis auf den Philippinen, Federgeld in Santa Cruz, Korn in Indien, Muschelwährungen in großen Teilen Afrikas und Chinas, Vieh in Kolumbien und Wampum-Perlen in den Vereinigten Staaten. Paul Einzig widmet ein Kapitel seines Klassikers über primitive Währungen dem »Sklavenmädchengeld von Irland«, einer abschreckenden Praxis, die nicht nur auf das alte Irland beschränkt war.16 Selbst nachdem die modernen Währungen erfunden waren, gab es in Zeiten des Mangels weiterhin einen Handel mit Tauschwährungen, und das könnte wieder geschehen. In Europa wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweise Zigaretten und Benzin als Zahlungsmittel verwendet, während die kriegsgebeutelte Wirtschaft sich bemühte, ihre grundlegenden Funktionen zurückzuerlangen.

Die erste Münzprägung

Die eigentliche Erfindung der modernen Metallmünze wird im Allgemeinen auf das 7. Jahrhundert v. Chr. datiert und soll in Lydien (in der heutigen Westtürkei) ihren Anfang genommen haben. Die lydischen Münzen bestanden aus Elektron, einer natürlichen Legierung aus Gold und Silber, wurden von Hand geformt und auf einer Seite mit einem Bild geprägt (beispielsweise einem Löwen), was auf der anderen Seite einen Stempelabdruck hinterließ. Der Grundgedanke eines relativ gleichförmigen Transaktionsmediums, das von der Regierung durch eine Qualitätsgarantie unterstützt wurde, kann als einer der Quantensprünge in der Geschichte der Zivilisation betrachtet werden. Standardisierte Münzen mögen uns heute selbstverständlich erscheinen, doch zu jener Zeit waren sie genial. Viele Wirtschaftshistoriker gehen davon aus, dass die Technologie der Münzprägung im privaten Sektor aufkam und dann weitgehend vom König übernommen wurde, doch es ist schwer, hierüber Gewissheit zu erlangen.17 Obgleich viele der rund 300 Arten lydischer Münzen, die bisher identifiziert wurden, privat sind, lässt sich kaum beurteilen, ob sie zuerst da waren.18

Auch wenn wir die Entstehung der standardisierten Münze heutzutage als bahnbrechende Technologie anerkennen, dauerte es fast acht Jahrzehnte, ehe sie sich in ein paar angrenzende griechische Staaten ausgebreitet hatte. Die wahre Explosion der Münzprägung erfolgte nach einem weiteren technologischen Durchbruch, nämlich als es den Lydiern gelang, das Elektron in reines Gold und Silber aufzuspalten. Das ermöglichte es König Krösus, reine Münzen aus den jeweiligen Edelmetallen zu prägen. Krösus wurde letztlich von den Persern besiegt, doch er und seine Münzprägung leben fort in der Redewendung »reich wie Krösus«.

Während sich der Handel mit lydischen Münzen ausweitete, wurden sie anderenorts nachgeahmt, in erster Linie in Athen, das den Vorzug besaß, Zugang zu den Silberminen im weiter südlich gelegenen Attika zu haben. Die Athener »Eulen«, nach ihrem Aufdruck so benannt, waren bald überall im Umlauf. Einige Wirtschaftshistoriker schreiben der Münzprägungs-Technologie der Athener eine zentrale Rolle zu bei der Fähigkeit des griechischen Staates, diejenigen Schiffe zu bauen, die König Xerxes und seine persische Invasionsflotte in der Schlacht von Salamis 480 v. Chr. besiegten.19 Ohne die für den Aufbau der Flotte notwendigen finanziellen Mittel wäre das Aufblühen der westlichen Zivilisation möglicherweise auf halber Strecke beendet gewesen, so zumindest lautet die geschichtliche Version des Siegers.

Alexander der Große ist weit mehr aufgrund seiner militärischen Taktik unvergessen als wegen seiner wirtschaftlichen Fachkenntnisse. Doch dass er neue Währungsideen umsetzte, war äußerst hilfreich beim Aufbau des größten Reiches, das die Welt im 4. Jahrhundert v. Chr. je gesehen hatte. Alexander machte fleißigen Gebrauch von der Innovation der Münzen, um seine Truppen zu entlohnen und den Nachschub auch bei unabsehbar langen Versorgungswegen zu gewährleisten. Allerdings stand er vor dem schwierigen Problem, dass Gold- und Silbermünzen in verschiedenen Teilen des Reiches einen unterschiedlichen Wert besaßen. Alexanders elegante Lösung bestand darin, einfach einen Gold-zu-Silber-Wert von zehn zu eins festzulegen, den er durch eine Mischung von überall in seinem Reich angelegten Vorräten und durch Zwang durchsetzte.20 Alexanders Vorgehensweise machte die mazedonische Münzprägung einfach und nützlich und zu einem Vorläufer modernerer Versionen des Münzwesens. Nichtsdestotrotz wurde das Problem der Kozirkulation von Münzen verschiedener Metalle tatsächlich erst im 19. Jahrhundert gelöst, wie Sargent und Velde in ihrem wunderbar betitelten Buch TheBigProblemofSmallChange ausführen.21

Die Technologie hat bei Währungen immer eine zentrale Rolle gespielt, und zwar wegen der Anforderung, Geld zu produzieren, das mühelos als echt und nicht gefälscht erkannt werden kann. Um noch einmal auf William Stanley Jevons Klassiker über das Geld (1875) zu sprechen zu kommen: Es ist bemerkenswert, wie viel Wert er darauf legt, Fälschern das Leben schwer zu machen und die Regierungen zu warnen, nur ja ausgeklügelte Frästechniken zu verwenden, um Nachahmer abzuschrecken. Seine Ausführungen ähneln in vieler Hinsicht verblüffend dem, worüber Finanzministerien heutzutage bei ihrer ständigen Suche nach fälschungssicherem Papiergeld diskutieren, einer Suche, die zu immer bunteren und komplizierter aussehenden (oder mittlerweile in vielen Ländern aus Polymeren hergestellten) Banknoten geführt hat. Sollte noch irgendjemand die Bedeutsamkeit der Technologie im Münzwesen bezweifeln, so sei der Betreffende daran erinnert, dass in England 1696 Sir Isaac Newton zum Aufseher der Königlichen Münzanstalt und 1699 zum Münzmeister gemacht wurde. Newton half Britannien, seine Währung nach der Abwertung und den Fälschungen des Neunjährigen Krieges neu zu prägen; er erfand auch die Fräskante, die ein Nachahmen und Abfeilen verhindern sollte und die in abgewandelter Form noch heute auf vielen Münzen Usus ist.22

Wie wir jedoch weiter unten in Kapitel 6 im Zusammenhang mit Papiergeld sehen werden, scheint es nichts zu geben, was Fälschungen dauerhaft entgegenwirkt. Die Königliche Münzanstalt in Großbritannien hat nun angekündigt, 2017 eine neue zwölfeckige Pfundmünze herzustellen, um dem zunehmenden Problem von Fälschungen der traditionellen gefrästen Version Herr zu werden.

Auch wenn Nachahmungen überall nachhaltig für Kopfzerbrechen sorgen, ist die größte Bedrohung der Währung häufig die Regierung selbst. In Rom sorgte die Münzabwertung zwischen 151 und 301 n. Chr. für eine Inflation, die auf 19,9 Prozent anwuchs in einem Zeitraum, der von großen Aufständen und Epidemien geprägt war.23 Es handelte sich um ein wiederkehrendes Problem, selbst als das europäische Münzwesen sich weiterentwickelt hatte, wie Tabelle 2.1 beweist. Sie zeigt die Jahre mit besonders starker Abwertung und den Prozentsatz, zu dem der Silberanteil der Münzen verringert wurde; sie sollte jede Annahme widerlegen, dass Rohstoffwährungen sicher sind.

Tabelle 2.1: Ausgewählte Spitzenzeiten der Abwertung im europäischen Münzwesen, 1300 bis 1812

Land

Jahr

Rückgang des Silberanteils (%)

Österreich

1812

-55

Belgien

1498

-35

England

1464

-20

England

1551

-50

Frankreich

1303

-57

Frankreich

1718

-36

Deutschland, Bayern

1424

-22

Deutschland, Bayern

1685

-26

Deutschland, Frankfurt

1500

-16

Italien

1320

-21

Niederlande

1496

-35

Portugal

1800

-18

Russland

1810

-41

Spanien, Neu-Kastilien

1642

-25

Schweden

1572

-41

Türkei

1586

-44

Quelle: Reinhart und Rogoff (2009).

König Heinrich VIII. von England und seine 50-prozentige Abwertung im Jahr 1551 nehmen den dritten Platz ein hinter Frankreich mit 57 Prozent Abwertung im Jahr 1303 und Österreich mit 55 Prozent Abwertung während der Napoleonischen Kriege, und es gibt noch etliche dicht darauf folgende Konkurrenten.24 Ein instinktives Verständnis für die Abwertungen des Mittelalters erhält man durch den Besuch praktisch jeden Währungsmuseums, beispielsweise das der Bank of Japan in Tokio oder jenes der Deutschen Bundesbank in Dresden, wenn man sich dort die verschiedenen Phasen ansieht, in deren Verlauf die Münzen tendenziell immer kleiner und kleiner wurden.

Dass die Münzen all diese zeitweiligen, massiven Abwertungen überdauert haben, beweist eine absolut grundlegende Eigenschaft von langfristig erfolgreichen Zahlungsmitteln: Sie verdanken ihren Erfolg zum Teil dem Vertrauen, das Bürger in die Stützung der Währung durch ihre Regierung haben, und zu einem anderen Teil der Tatsache, dass die Regierung ihre Macht ausüben kann, auf Akzeptanz zu bestehen, zumindest bei der Begleichung von Steuern, Schulden und Staatsaufträgen. Bis heute bleibt es ein elementares Problem, das Gleichgewicht zwischen Zuckerbrot und Peitsche im Rahmen eines Währungssystems zu wahren.

Die Entstehung des Papiergelds in China

Bei all seinen Schwächen, einschließlich denen, die Goethe in Faust hervorgehoben hat, gibt es doch sehr gute Gründe, warum die Papiergeldwährung im Laufe der Jahre all ihre Konkurrenten aus dem Feld geschlagen hat. Bargeld vermittelt Beweglichkeit, Einheitlichkeit, Sicherheit, Haltbarkeit und Bequemlichkeit. Es leistet hervorragende Dienste als Recheneinheit und Tauschmittel, und in Zeiten von geringer Inflation erfüllt es auch seinen Zweck als Wertspeicher.

Die Geschichte der Entwicklung des Geldes in China enthält ein paar interessante Lektionen, auf die wir in Kapitel 7 noch zu sprechen kommen. Dort werde ich vorschlagen, dass bei einer allmählichen Abschaffung des Bargelds selbst die noch übrig gebliebenen kleinen Scheine durch mäßig zahlungswirksame Münzen ersetzt werden sollten, um es den Menschen schwer zu machen, große Bargeldbeträge mit sich herumzutragen.

Die Chinesen scheinen das Münzwesen unabhängig von der westlichen Zivilisation erfunden zu haben, obwohl es natürlich strittig ist, wer zuerst kam. Es hängt ein bisschen davon ab, wie grundlegend man den Begriff »Münze« definiert und ob man die ersten privaten Münzen auch mitzählt. Der Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson gibt eindeutig dem Westen den Vortritt und erklärt, dass der chinesische Herrscher Qin Shin (Qin Shihuangdi) erst 221 v. Chr. die erste standardisierte geprägte Münze zur Verwendung im gesamten Reich ausgegeben habe.25 Die frühen chinesischen Münzen waren so geprägt, dass sie Kaurimuscheln ähnelten, einer Tauschwährung, die zuvor in China verwendet worden war und die importiert werden musste, da die Muscheln vor Ort nicht vorkamen.

Anders als in Europa wurden in China so einfache Metalle wie Kupfer, Zinn und Blei als Rohmaterial für die Münzen verwendet. Auch Eisen kam zur Anwendung. Wegen des geringen Wert-Gewicht-Verhältnisses dieser Münzen musste man schwere Lasten tragen können, um große Beträge zu bezahlen. Zwar benutzten die Chinesen Silberbarren als Speicher für Vermögen und als Tauschmittel, so wie es auch im Mittleren Osten und in Europa noch vor den Lydiern üblich war, doch waren diese weder standardisiert noch geprägt.

Dass die Europäer sich wertvollerer Metalle bedienten, gab dem europäischen Münzwesen eine viel höhere Flexibilität. Interessanterweise könnte jedoch das minderwertige Münzmaterial Chinas den Impuls für die frühe Einführung des Papiergelds gegeben haben, heute unsere hauptsächlich verwendete Technologie.26 In China waren es natürlich zumindest bis zur Tang-Dynastie im 7. Jahrhundert n. Chr. bedruckte Holzscheiben. Um die Zeit der Song-Dynastie im 11. Jahrhundert löste dieses System dann ein Druckvorgang mit beweglichen Keramiklettern ab, und das lange bevor Johannes Gutenberg 1455 seine erste Bibel druckte.

Die Geschichte des ersten Papiergeldes in China umfasst sieben Dynastien, von denen jede ihre eigenen monetären Regeln und Institutionen hatte. Darüber hinaus hatte die wichtige Provinz Szechuan zeitweise eine eigene Währung.27 Doch das Papiergeld ist nicht über Nacht entstanden. Die Technik hat sich allmählich entwickelt, und mit ihr entwickelte sich auch die Akzeptanz des Papiers durch die Allgemeinheit. Ursprünglich hatten chinesische Händler und Kapitalgeber die Idee, Wechsel auszugeben, die gegen Münzen eingetauscht werden konnten, um den schwierigen und gefährlichen Transport großer Beträge zu vermeiden, ein Vorgang, der sich viel später in Europa wiederholte. Wechsel führten zu einer weiteren Entwicklung – der Verwendung von provinzbezogenen papiernen Schuldscheinen, so dass die weit verstreuten Provinzen Chinas schnell und effizient ihre Steuern an die zentrale Regierung zahlen konnten. Bis zum Beginn des 9. Jahrhunderts hatte die Zentralregierung private Betreiber verboten und kontrollierte selbst das Ausgabesystem der provinzeigenen Scheine. Das »Fluggeld« (so benannt wegen seiner Tendenz, vom Wind weggeblasen zu werden) wird von einigen chinesischen Historikern als das erste Papiergeld betrachtet.28

Die Blütezeit des Papiergelds in China reicht vom 11. bis zum 15. Jahrhundert. Unter der mongolischen Herrschaft in China erreichte die Papiergeldwährung schließlich ein Stadium, das seiner modernsten Form am nächsten kommt, wenn auch ohne jede Art von Institution zur Kontrolle der Inflation – wie etwa einer unabhängigen Zentralbank –, wie wir sie heute als unerlässlich betrachten. Als Dschingis Khans Enkel Kublai Khan im Jahr 1260 den chinesischen Thron bestieg, waren die Geldscheine vorangehender Regimes und die lokalen Währungen nahezu wertlos geworden. Sie wurden eingezogen und durch Silbernoten ersetzt, die das ungewöhnliche Merkmal besaßen, nur die Hälfte ihres Nennwerts in Silber wert zu sein, falls sie in der Schatzkammer Khans eingetauscht werden sollten.29 (In Kapitel 10 werden wir sehen, wie sich Kublai Khans Idee, eine Differenz zwischen der Papiergeldwährung und der offiziellen Werteinheit zu erzeugen, in dem genialen Eisler-Buiter-Kimball-Plan zur Bezahlung negativer Zinsen widerspiegelt.) Im Gegensatz zu vielen vorherigen Geldscheinen hatten Khans Scheine kein Ablaufdatum.

1262 verbot die Regierung Kublai Khans die Verwendung von Gold und Silber als Tauschmittel, verbunden mit der höchst glaubwürdigen Androhung der Todesstrafe für jene, die eine Zuwiderhandlung wagen sollten. Ende der 1270er-Jahre wurde die Einlösbarkeit in Edelmetalle zunehmend schwierig, was die mongolische Währung de facto in ein reines Fiatgeld verwandelte.30 Wie in Kapitel 1 erwähnt, kann die Währung bei einem reinen Fiatgeld-Regime nicht zur Zentralbank oder zum Schatzamt gebracht und gegen Gold oder Silber eingetauscht werden, ebenso wenig funktioniert der Tausch gegen irgendeinen anderen Rohstoff.

Als der venezianische Händler und Abenteurer Marco Polo Mitte der 1270er-Jahre am Hofe Khans eintraf, versetzten ihn nur wenige Wunder des fernen Ostens so sehr in Erstaunen wie das chinesische Papierwährungssystem. Polo widmete der chinesischen Währung ein ganzes Kapitel seines Reisetagebuchs: »Wie der Große Khan veranlasst, dass Baumrinde, zu etwas Ähnlichem wie Papier verarbeitet, in seinem gesamten Reich als Geld angenommen wird.« Ein paar Zitate fassen die wichtigsten Punkte zusammen:

In dieser Stadt Kanbulu [Cambulac-Peking] befindet sich die Münze des Großen Khan, von dem man wahrhaftig sagen kann, dass er das Geheimnis der Alchemisten besitzt, denn er beherrscht die Kunst, Geld zu erzeugen.

Er veranlasst, dass die Rinde von den Maulbeerbäumen abgeschält wird (deren Blätter für die Ernährung der Seidenraupen verwendet werden), und nimmt davon die dünne Schicht zwischen der gröberen Rückseite und dem Holz des Baumes. Diese, eingeweicht und anschließend in einem Mörser zu Brei zerstoßen, wird zu Papier verarbeitet. Wenn sie für die Verwendung bereit ist, lässt er sie in Stücke verschiedener Größe schneiden, beinahe quadratisch, aber länger als breit … Die Prägung dieses Papiergeldes wird mit ebenso viel Formalität und Zeremoniell genehmigt, als handele es sich tatsächlich um reines Gold oder Silber. … Es erhält die volle Gültigkeit umlaufenden Geldes, und der Vorgang der Fälschung … wird als Kapitalverbrechen bestraft.

Wenn sie also in großen Mengen geprägt worden ist, wird diese Papiergeldwährung in allen Teilen des Herrschaftsgebietes des Großen Khan verbreitet; niemand darf, bei Androhung des Todes, ihre Annahme verweigern. … Auf dieser Grundlage kann mit Gewissheit behauptet werden, dass der Große Khan mehr Macht über Geld besitzt als jeder Herrscher des Universums.31

Obgleich Polo ein extrem scharfsinniger Wirtschaftsbeobachter war, schienen weder er noch Khans Minister vollständig zu begreifen, bis zu welchen Grenzen die Druckpresse verwendet werden konnte, um die Regierungsausgaben auf nachhaltiger Basis zu finanzieren.32

Bis zum Tode Kublai Khans im Jahre 1294 hatte die Inflation den Wert der Papierwährung massiv ausgehöhlt.33 In seinem 1906 erschienenen Buch Currency in China schätzt der Historiker H. B. Morse, dass die mongolische Ausgabe von Silbernoten von 12 Millionen im Jahr 1265 auf beinahe 120 Milliarden im Jahr 1330 stieg, eine Steigerung, die in keinem Verhältnis zu etwaigen Territorialgewinnen stand. 1356, wenn nicht sogar schon früher, galt das gesamte mongolische Papiergeld als wertlos. Abbildung 2.1, in der die Gesamtmenge des ausgegebenen Papiergelds (durchgehende Linie) und der Reispreis in Yuan (Kästchen) zwischen 1260 und 1329 dargestellt werden, zeigt alle Merkmale einer klassischen hohen Inflation, die durch eine geldbasierte Defizitfinanzierung ausgelöst wird.

Abbildung 2.1: Druck von Papiergeld und Reispreis in der Yuan-Dynastie. Quelle: Tullock (1957) und Huang (2008).

Nachdem die Mongolen gestürzt und durch die Ming-Dynastie ersetzt worden waren, wurde es nicht viel besser. Erneut gab die Regierung 1375 neue Papiernoten aus, und wieder belief sich ihr wahrer Wert bereits im Jahr 1400 auf nur noch 3 Prozent ihres Nennwertes.34

Die Geschichte des ersten Papiergeldes in China ist ziemlich sensationell. Vielleicht hätte ihr besseres Verständnis anderen Teilen der Welt viel Kummer erspart. Jede folgende Dynastie führte ihr eigenes Währungssystem ein, und immer kam der Punkt, an dem ihre Führer der Versuchung nicht mehr widerstehen konnten, exzessiv Geld nachzudrucken, um sich zu finanzieren, was letztlich zur Abwertung der Währung und einer ungezügelten Inflation führte, genau wie in Goethes Faust. Die Chinesen begriffen sehr genau die Wichtigkeit eines Regierungsmonopols und die Beschränkung der Verwendung alternativer Zahlungsmittel, wenn nötig mithilfe der Todesstrafe, um eine möglichst große Nachfrage nach ihrem »Produkt« zu erzeugen. Zum Beispiel gab die mongolische Dynastie 1294 einen kaiserlichen Erlass heraus, der die Verwendung von Bambusgeld verbot, vermutlich eine aufkeimende Konkurrenz für das wertlose Papier, das zu benutzen die Mongolen das Volk zwangen. Gelegentlich griffen sie auch zu massiven Preiskontrollen. Doch egal wie mächtig der Herrscher auch war, am Ende zerstörte das System sich immer selbst, wenn seine Missachtung zu gewinnträchtig wurde. Ab und zu fielen selbst die Gesandten des Kaisers denselben Täuschungsverlockungen zum Opfer wie alle anderen. (Denken Sie nur an die erheblichen Risiken, die viele chinesische Unternehmer, Beamte und Bürger selbst heute noch eingehen, um die nach wie vor strengen Währungskontrollgesetze des Landes zu umgehen.) Nach fortgesetzten Wellen der Inflation nahm China im Jahr 1500 Abstand von der durch die Regierung ausgegebenen Papierwährung und nahm sie nicht wieder auf, bis sich das Land im 19. Jahrhundert wieder öffnete.

Ben Franklin und das Papiergeld in den Vereinigten Staaten der Kolonialzeit

Wenn das Papiergeld nur langsam in Europa Einzug hielt, so liegt das wohl eher an einer postmittelalterlichen Unwissenheit als an kenntnisreicher Vorsicht. Anders als in China, wo der Staat sich sehr schnell einschaltete, waren Papiergeldnoten lange Zeit ein Vehikel von Privatbanken, die gegen Hartgeld (gewöhnlich Gold und Silber) eintauschbare Scheine herausgaben. Nach einiger Zeit erkannten die Ausgeber, dass sie damit durchkamen, wenn sie mehr Scheine ausgaben, als ihre Reserven eigentlich zuließen. Damit riskierten sie zwar Ärger, konnten aber bis dahin einen gewaltigen Gewinn machen. Genau das passierte mit Europas erster Geldscheinausgabe. Johan Palmstruch war ein schwedischer Händler, der im Jahre 1656 Stockholms Banco gründete, eine quasi-staatliche Bank in dem Sinne, dass die Hälfte der Gewinne dem Staat ausgehändigt werden musste. Fünf Jahre später, im Jahr 1661, überredete Palmstruch die Regierung, ihn Scheine ausgeben zu lassen, die in seiner Bank gegen das dort gelagerte Gold und Silber eingetauscht werden konnten. Um es kurz zu machen, Stockholms Banco gab mehr Scheine aus, als Hartgeld vorhanden war, und ging schließlich bankrott. Palmstruch wurde zum Tode verurteilt, kam jedoch mit der Umwandlung in eine Haftstrafe davon. Palmstruchs Geschichte ist die Karikatur der Geschichte der Privatbanken und bietet genau die Art von Begründung, die Regierungen immer verwenden, um am Ende private Zahlungsmittel an sich zu reißen; Regierungen können in Schuldenkrisen geraten, doch sie sind weitaus weniger anfällig für Runs als Privatbanken.35

Einige Jahrzehnte später, nämlich 1694, gab auch die Bank of England gegen Hartgeld einlösbare Scheine heraus, obwohl sie noch keine wirkliche Zentralbank war. Erst mit dem Bankengesetz von 1844 erhielten die Scheine der Bank of England den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels und konnten daher zur Begleichung jeglicher Schulden verwendet werden.36