Dieses Mal ist alles anders - Kenneth S. Rogoff - E-Book

Dieses Mal ist alles anders E-Book

Kenneth S. Rogoff

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Beschreibung

Dieses Mal ist alles anders, dieses Mal kann es gar nicht so schlimm werden wie beim letzten Mal. Denn dieses Mal steht die Wirtschaft auf soliden Füßen und außerdem gibt es diesmal viel bessere Kontrollmechanismen als beim letzten Mal. Wann immer es in der Geschichte der Menschheit zu Krisen kam, diese oder ähnliche Sätze waren jedes Mal zu hören. Doch was ist dran an derartigen Behauptungen? Nicht besonders viel, haben Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart herausgefunden. In akribischer Arbeit haben die beiden Autoren die Finanzkrisen der letzen acht Jahrhunderte in über 66 Ländern analysiert. In sechs Abschnitten stellen Reinhart und Rogoff ihre Untersuchungsergebnisse vor, beginnend bei den zugrundeliegenden theoretischen Ansätzen. Darauf basieren die folgenden Kapitel, in denen Auslands- und Inlandsschuldenkrisen sowie Bankenkrisen abgehandelt werden. Der vierte Abschnitt widmet sich dann auch der US-Subprimekrise und zeigt eindrucksvoll die Parallelen zu den vorhergegangenen Kapiteln. Zum Schluss ziehen die beiden Autoren die Lehren aus ihrer Untersuchung und kommen zu dem Ergebnis: Es ist dieses Mal eben doch nicht anders.

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Seitenzahl: 598

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CARMEN M. REINHART & KENNETH S. ROGOFF

DIESES MAL IST ALLES ANDERS

CARMEN M. REINHART & KENNETH S. ROGOFF

DIESES MAL IST ALLES ANDERS

Acht Jahrhunderte Finanzkrisen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

8. Auflage 2024

© 2010 FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Original edition copyright © 2009 by Princeton University Press, Princeton, New Jersey. Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel THIS TIME IS DIFFERENT, Eight Centuries of Financial Folly. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Übersetzung: Almuth Braun

Lektorat: Monika Spinner-Schuch

Korrektorat: Matthias Michel; Silvia Kinkel

Satz: abavo GmbH, Buchloe

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-418-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-779-2

ISBN E-Book (Epub) 978-3-96092-780-8

Weitere Infos zum Thema

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für William Reinhart,Juliana Rogoffund Gabriel Rogoff

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Danksagung

Einleitung: Einige erste Erkenntnisse über die Verwundbarkeit der Finanzmärkte und die Unberechenbarkeit des Vertrauens

Teil IFinanzkrisen: Ein operativer Leitfaden

1

Krisentypen und der Zeitpunkt ihres Auftretens

Krisen definiert nach quantitativen Schwellen: Inflation, Wechselkurszusammenbrüche und Währungsabwertung

Krisen definiert nach Ereignissen: Bankenkrisen sowie Inlands- und Auslandschuldenkrisen

Weitere Schlüsselkonzepte

2

Schuldenintoleranz: Die Entstehungsgeschichte gehäufter Zahlungsausfälle

Schuldenschwellen

Die Messung der Krisenanfälligkeit

Schuldnerklubs und Schuldenintoleranzbereiche

Gedanken über Schuldenintoleranz

3

Eine globale Datenbank über Finanzkrisen mit langfristiger Perspektive

Preise, Wechselkurse, Währungsabwertung und reales BIP

Staatsfinanzen und volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen

Staatsschulden und ihre Zusammensetzung

Globale Variablen

Länderabdeckung

Teil IIAuslandsschuldenkrisen souveräner Staaten

4

Ein Exkurs über die theoretischen Hintergründe von Schuldenkrisen

Illiquidität versus Insolvenz

Partieller Zahlungsausfall und Umschuldung

Illegitime Schulden

Inlandsstaatsschulden

Schlussfolgerungen

5

Die Zyklen der Auslandsschuldenkrisen souveräner Staaten

Wiederkehrende Muster

Auslandsschuldenkrisen und Bankenkrisen

Auslandsschuldenkrisen und Inflation

Globale Faktoren und Zyklen globaler Auslandsschuldenkrisen

Dauer der Auslandsschuldenkrisen

6

Auslandsschuldenkrisen im Lauf der Geschichte

Die frühe Geschichte der gehäuften Zahlungsausfälle: das aufstrebende Europa, 1300–1799

Kapitalzuflüsse und Zahlungsausfälle: eine Geschichte der »Alten Welt«

Auslandsschuldenkrisen souveräner Staaten nach 1800: ein globales Bild

Teil IIIDie vergessene Geschichte der Inlandsstaatsschulden und Inlandsschuldenkrisen

7

Die grundsätzlichen Fakten über Inlandsschulden und Inlandsschuldenkrisen

Inlands- und Auslandsschulden

Laufzeiten, Renditen und Währungszusammensetzung der Inlandsschulden

Krisenepisoden

Einige Vorbehalte im Hinblick auf Inlandsschulden

8

Inlandsschulden: Das fehlende Verbindungsglied, das eine Auslandsschuldenkrise und eine hohe Inflation erklärt

Das Rätsel der Schuldenintoleranz verstehen

Inlandsschulden kurz vor und nach einer Auslandsschuldenkrise

Die Literatur über Inflation und »Inflationssteuern«

Die Definition der Steuerbasis: Inlandsschulden oder monetäre Basis?

Weitere Überlegungen zum Inflationsanreiz

9

Inlands- und Auslandsschuldenkrisen: Was ist schlimmer? Was ist älter?

Das reale BIP im Vorfeld und nach einer Schuldenkrise

Die Inflation im Vorfeld und nach einer Schuldenkrise

Zahlungsausfälle bei Schulden gegenüber inländischen und ausländischen Gläubigern

Zusammenfassung und Diskussion ausgewählter Fragestellungen

Teil IVBankenkrisen, Inflation und Währungszusammenbrüche

10

Bankenkrisen

Einleitung zur Theorie über Bankenkrisen

Bankenkrisen: Eine Bedrohung mit »Chancengleichheit«

Bankenkrisen, Kapitalmobilität und Finanzliberalisierung

Kapitalstrombonanzas, Kreditzyklen und Assetpreise

Überkapazitätsblasen in der Finanzwirtschaft?

Überlegung zum fiskalischen Vermächtnis von Finanzkrisen

Leben mit dem Trümmerhaufen: einige Beobachtungen

11

Zahlungsausfall durch Währungsabwertung: ein Favorit der »Alten Welt«

12

Inflation und Währungszusammenbrüche in der heutigen Zeit

Eine frühe Geschichte der Inflationskrisen

Moderne Inflationskrisen: regionale Vergleiche

Währungszusammenbrüche

Die Nachwirkungen von hoher Inflation und Währungszusammenbrüchen

Die Rückabwicklung der inländischen Dollarisierung

Teil VDie US-Subprime-Krise und die Zweite Große Kontraktion

13

Die US-Subprime-Krise: ein internationaler und historischer Vergleich

Eine globale historische Sicht der Subprime-Krise und ihre Nachwirkungen

Das »Dieses Mal ist alles anders«-Syndrom und die Vorgeschichte der Subprime-Krise

Die Risiken der anhaltenden Auslandsverschuldung: die Debatte vor der Krise

Durch Banken verursachte Finanzkrisen seit dem Zweiten Weltkrieg

Ein Vergleich der Subprime-Krise mit vergangenen Krisen in entwickelten Ökonomien

Zusammenfassung

14

Die Nachwirkungen von Finanzkrisen

Eine erneute Betrachtung historischer Krisenepisoden

Die Rezession nach einer Krise: Tiefe und Dauer

Das fiskalische Vermächtnis von Finanzkrisen

Länderrisiken

Vergleiche mit Erfahrungen aus der Ersten Großen Kontraktion in den 1930er-Jahren

Abschließende Anmerkungen

15

Die internationalen Dimensionen der Subprime-Krise: Ergebnisse einer Ansteckung oder gemeinsame Grundlagen?

Ansteckungsmodelle

Ausgewählte frühere Episoden

Gemeinsame Grundlagen und die Zweite Große Kontraktion

Stehen uns weitere Ansteckungseffekte bevor?

16

Kombinierte Messgrößen für Finanzturbulenzen

Die Entwicklung eines kombinierten Krisenindexes: der BCDI-Index

Definition einer globalen Finanzkrise

Die zeitliche Abfolge von Krisen: ein Prototyp

Zusammenfassung

Teil VIWas haben wir daraus gelernt?

17

Gedanken über Frühwarnsysteme, die dauerhafte Befreiung von Krisen, politische Antworten und die Schwächen der menschlichen Natur

Über Krisenfrühwarnsysteme

Die Rolle internationaler Institutionen

Die dauerhafte Überwindung von Krisen

Einige Beobachtungen zu den politischen Antworten

Die jüngste Version des »Dieses Mal ist alles anders«-Syndroms

Datenanhänge

A.1 Makroökonomische Zeitreihen

A.2 Öffentliche Schulden

A.3 Zeitliche Datierung der Bankenkrisen

A.4 Historischer Überblick über Bankenkrisen

Anmerkungen

Literaturhinweise

Nationale Quellen

Tabellen

Datenanhänge

Abbildungen

Infoboxen

Vorwort

Wenn es ein Thema gibt, das sich wie ein roter Faden durch das gesamte Krisenspektrum zieht, das wir in diesem Buch untersuchen, dann lautet es, dass das systemische Risiko einer exzessiven Schuldenanhäufung – ob sie durch Regierungen, Banken, Unternehmen oder Verbraucher verursacht wird – oft größer ist, als es während eines Wirtschaftsbooms den Anschein hat. Wenn Regierungen Geld in die Märkte pumpen, können sie den Anschein erwecken, als sorgten sie für ein größeres Wachstum, als es wirklich der Fall ist. Eine exzessive Verschuldung des Privatsektors kann Immobilien- und Aktienkurse weit über ihre langfristig nachhaltige Bewertung aufblähen und Banken stabiler und profitabler erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Eine derartige Schuldenanhäufung stellt ein Risiko dar, weil sie eine Ökonomie für Vertrauenskrisen anfällig macht, insbesondere wenn es sich um Kredite mit kurzen Laufzeiten handelt, die ständig refinanziert werden müssen. Schuldenfinanzierte Booms erscheinen fälschlicherweise oft als Bestätigung für die Richtigkeit der Regierungspolitik, der Gewinnerzielungsstrategie von Finanzinstituten oder gaukeln einen Lebensstandard eines Landes vor, dem in Wirklichkeit die Basis fehlt. Die meisten Booms enden in einem bösen Erwachen. Selbstverständlich sind Schuldeninstrumente für alle Ökonomien – sehr alte und moderne – von zentraler Bedeutung. Die Ausbalancierung der Risiken und Chancen einer Verschuldung ist jedoch immer eine Herausforderung, die politische Entscheidungsträger, Investoren und Normalbürger niemals unterschätzen dürfen.

In diesem Buch untersuchen wir unterschiedliche Arten von Finanzkrisen. Dazu gehören Staatsschuldenkrisen, die eintreten, wenn Regierungen ihre Inlands- oder Auslandsschuldenverpflichtungen nicht erfüllen – oder beides. Daneben existieren die Bankenkrisen, wie sie die Welt in den letzten Jahren zuhauf erlebt hat. In einer typischen großen Bankenkrise gerät ein erheblicher Teil des Bankensektors eines Landes nach heftigen Investmentverlusten, Bankpaniken oder beidem in die Insolvenz. Eine weitere wichtige Krisenkategorie sind Wechselkurskrisen wie diejenigen, die Asien, Europa und Lateinamerika in den 1990er-Jahren heimsuchten. Bei einer Wechselkurskrise verfällt der Wert der Währung eines Landes in schwindelerregendem Tempo – und das oft trotz der »Garantie« der Regierung, sie werde dies unter keinen Umständen zulassen.

Weiterhin betrachten wir Perioden der Hoch- und Hyperinflation als Krisen. Es erübrigt sich die Erwähnung, dass ein unerwarteter Inflationsanstieg de facto dasselbe ist wie ein echter Zahlungsausfall, da die Inflation allen Schuldnern (einschließlich der Regierung) ermöglicht, ihre Schulden in der Währung zurückzuzahlen, die nun weitaus weniger Kaufkraft besitzt als zur Zeit der Kreditaufnahme. In diesem Buch werden wir diese Krisen größtenteils gesondert untersuchen. Krisen treten jedoch oft in Gruppen auf. Im vorletzten Kapitel des Buches werden wir Situationen – wie zum Beispiel die Große Depression der 1930er-Jahre und die jüngste weltweite Finanzkrise – betrachten, in denen Krisen gruppenweise und auf globaler Ebene auftraten.

Selbstverständlich sind Krisen kein neues Phänomen. Seit der Erfindung des Geldes und der Finanzmärkte hat es Krisen gegeben. Zahlreiche der frühesten Krisen wurden von Währungsabwertungen getrieben, indem der Monarch eines Landes den Gold- oder Silbergehalt der Münzen reduzierte, um sich aus Finanznöten zu befreien, für die nicht selten Kriege verantwortlich waren. Technologische Fortschritte haben dafür gesorgt, dass Regierungen zum Ausgleich eines Etatdefizits nicht mehr den Edelmetallgehalt ihrer Münzen verringern müssen. Finanzkrisen haben sich jedoch über alle Jahrhunderte hinweg stets wiederholt und plagen Länder bis zum heutigen Tag.

Ein Schwerpunkt unseres Buches liegt auf zwei besonderen Formen der Krise, die heute besonders relevant sind: Staatsschuldenkrisen und Bankenkrisen. Die Geschichte beider Krisenarten erstreckt sich über viele Jahrhunderte und Regionen. Staatsschuldenkrisen waren unter den heute entwickelten Ökonomien, die aus regelmäßig wiederkehrenden Perioden der Zahlungsunfähigkeit herausgewachsen zu sein scheinen, einst weit verbreitet. In den Schwellen- und Transformationsländern sind wiederkehrende (oder gehäufte) Zahlungsausfälle nach wie vor eine chronische und ernsthafte Krankheit. Bankenkrisen bleiben dagegen überall ein Problem. Sie stellen eine Bedrohung der »Chancengleichheit« dar, da sie arme und reiche Länder gleichermaßen betreffen. Die Untersuchung der Bankenkrisen führt uns auf eine Reise von Bankruns und Bankzusammenbrüchen in Europa während der Napoleonischen Kriege bis zur jüngsten globalen Finanzkrise, die im Jahr 2007 mit der Subprime-Krise in den USA begann.

Unser Ziel hier besteht darin, ausgiebige, systematische und quantitative Untersuchungen anzustellen: Unsere empirische Analyse erstreckt sich auf 66 Länder über beinahe acht Jahrhunderte. Über die Geschichte der internationalen Finanzkrisen wurden viele wichtige Bücher geschrieben,1 wobei der vielleicht einflussreichste Text Kindlebergers 1989 erschienenes Werk Manias, Panics and Crashes ist.2 (Deutscher Titel: Charles P. Kindleberger, Manien, Paniken, Crashs. Die Geschichte der Finanzkrisen dieser Welt (A.d.Ü.))

Wir dagegen stützen unsere Analyse auf Daten aus einer riesigen Datenbank, welche die gesamte Welt umfasst und bis zum China des 12. Jahrhunderts und dem Europa des Mittelalters zurückreicht. Das »Herzstück« unseres Buches bilden die (zum größten Teil) einfachen Tabellen und Grafiken, in denen diese Daten präsentiert werden, und weniger die Beschreibung von Persönlichkeiten, politischen Strategien und Verhandlungen. Wir vertrauen darauf, dass unsere visuelle quantitative Geschichte der Finanzkrisen nicht weniger beeindruckend ist als der bisher verfolgte überwiegend textbasierte Ansatz, und wir hoffen, dass er für die politische Analyse und Forschung neue Blickwinkel eröffnet.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Betrachtung langer historischer Zeitabläufe, um »seltene« Ereignisse einzufangen, die allzu leicht übersehen werden, wenngleich sie weitaus häufiger auftreten und wesentlich größere Ähnlichkeiten aufweisen, als viele meinen. Tatsächlich zeigen Analysten, politische Entscheidungsträger und selbst wissenschaftliche Ökonomen die unselige Neigung, jüngste Erfahrungen durch das enge Fenster von Standarddatensätzen zu betrachten, die in Bezug auf Länder und Zeiträume typischerweise auf einem engen Erfahrungsspektrum beruhen. Ein großer Teil der wissenschaftlichen und politischen Literatur über Schulden und Schuldenkrisen zieht Schlussfolgerungen aus Daten, die seit 1980 erhoben wurden. Das liegt zum Teil daran, dass diese am leichtesten zu beschaffen sind. An diesem Ansatz wäre nichts auszusetzen, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass Finanzkrisen wesentlich längere Zyklen haben und ein Datensatz über 25 Jahre einfach keine angemessene Perspektive in Bezug auf die Risiken alternativer Strategien und Geldanlagen bieten kann. Ein Ereignis, das im Rahmen einer Zeitspanne von 25 Jahren als selten erscheint, ist unter Umständen keineswegs selten, wenn es in einem längeren historischen Kontext betrachtet wird. Schließlich hat ein Forscher nur eine Chance von 1:4, dass er in einem Datensatz über ein Vierteljahrhundert eine »Jahrhundertflut« entdeckt. Um überhaupt über solche Ereignisse nachzudenken, muss man Daten über mehrere Jahrhunderte sammeln. Und das genau ist hier unser Ziel.

Darüber hinaus weisen Standarddatensätze in weiteren wichtigen Aspekten große Beschränkungen auf, insbesondere im Hinblick auf ihre Betrachtung der Arten von Regierungsschulden. Wie wir sehen werden, sind historische Daten über Inlandsstaatsschulden für die meisten Jahrhunderte tatsächlich sehr schwer zu beschaffen. Oft sind diese Schulden kaum transparenter gewesen als die Buchführung heutiger moderner Banken mit ihren außerbilanziellen Transaktionen und anderen Buchführungstricks.

Unsere Analysen beruhen auf einer umfassenden neuen Datenbank mit Informationen zu internationalen Schulden- und Bankenkrisen, Inflation, Währungszusammenbrüchen und -abwertungen. Die Daten stammen aus Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika, Nordamerika und Ozeanien (wie zuvor erwähnt, handelt es sich um Daten über insgesamt 66 Länder zuzüglich ausgewählter Daten für eine Reihe weiterer Länder). Das Spektrum an Variablen umfasst neben vielen weiteren Dimensionen Inlands- und Auslandsschulden, Handel, Nationaleinkommen, Inflation, Wechselkurse, Zinssätze und Rohstoffpreise. Die Datenerfassung erstreckt sich auf mehr als 800 Jahre – bei den meisten Ländern reicht sie bis zum Jahr, in dem sie ihre Unabhängigkeit erlangten, und bei einigen Ländern bis in Kolonialzeiten. Selbstverständlich ist uns bewusst, dass wir mit den hier präsentierten Übungen und Illustrationen lediglich an der Oberfläche der Erkenntnisse kratzen, die ein Datensatz dieses Umfangs und dieser Reichweite potenziell liefern kann.

Glücklicherweise sind die Details dieser Daten für das Verständnis der zentralen Botschaft dieses Buches nicht unerlässlich, nämlich dass das alles schon einmal dagewesen ist. Die Instrumente für finanzielle Gewinne und Verluste haben sich im Lauf der Jahrhunderte verändert, so wie sich auch die Institutionen verändert haben, die gewaltig gewachsen sind, nur um ebenso gewaltig zu scheitern. Finanzkrisen folgen einem Rhythmus von Aufschwung und Abschwung. Länder, Institute und Finanzinstrumente mögen sich verändert haben, die menschliche Natur ist jedoch die gleiche geblieben. Wie wir in den abschließenden Kapiteln dieses Buches besprechen werden, ist die derzeitige Finanzkrise, die in den USA ihren Anfang genommen und sich über die ganze Welt ausgebreitet hat und die wir als »Zweite Große Wirtschaftskontraktion« bezeichnen, lediglich die jüngste Manifestation dieses Musters.

Die letzten vier Kapitel des Buches beschäftigen sich mit dieser jüngsten Krise, bevor wir zu unserer Schlussfolgerung kommen, in der wir die Lektionen betrachten, die wir aus dieser Krise gezogen haben. Der Leser wird feststellen, dass die in Kapitel 13 bis 16 behandelten Themen relativ einfach und in sich geschlossen sind. (Leser, die hauptsächlich an den Lektionen in Bezug auf die jüngste Krise interessiert sind, sollten direkt zu diesen Abschnitten blättern.) Die US-Standardindikatoren, wie zum Beispiel die Assetpreisinflation, die Zunahme der Hebel, hohe anhaltende Leistungsbilanzdefizite und eine Abkühlung des Wirtschaftswachstums im Vorfeld der Subprime-Krise, sind beinahe alle Symptome für ein Land, das am Rande einer Finanzkrise steht, und zwar einer schwerwiegenden Finanzkrise. Dieser Weg in die Krise ist ernüchternd. Aber auch der Weg aus der Krise kann ziemlich gefährlich sein. Denn das Resultat systemischer Bankenkrisen, die eine erhebliche Belastung für die Staatsressourcen darstellen, ist ein anhaltender und deutlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Der erste Teil des Buches liefert präzise Definitionen der Konzepte, die Krisen beschreiben, und diskutiert die diesem Buch zugrunde liegenden Daten. In der Zusammenstellung unseres Datensatzes haben wir uns auf die Arbeit früherer Wissenschaftler gestützt. Allerdings enthält unser Datensatz auch eine erhebliche Menge an neuem Material aus verschiedenen primären und sekundären Quellen. Neben einer systematischen Datierung der Auslandsschulden- und Wechselkurskrisen sind in den Buchanhängen die Daten der Inlandsinflations- und Bankenkrisen aufgeführt. Die Datierung der Zahlungsausfälle von Regierungen bei (zumeist auf Inlandswährung lautenden) Inlandsschulden ist eines der neueren Merkmale, das unsere Untersuchung über Finanzkrisen abrundet.

Der Lohn dieser genauen Analyse folgt in den verbleibenden Teilen des Buches, in denen diese Konzepte auf unseren erweiterten globalen Datensatz angewendet werden. Teil II beschäftigt sich mit Staatsschulden, indem Hunderte von Staatsschuldenkrisen chronologisiert werden, in deren Rahmen souveräne Staaten ihre Auslandsschulden nicht begleichen konnten. Diese Schuldenkrisen reichen von den Krediten, die florentinische Finanziers Mitte des 14. Jahrhunderts Englands Herrscher Edward III. gewährten, über die Kredite deutscher Handelsbanken an die spanische Habsburgermonarchie bis zu den massiven Krediten, die (zumeist) New Yorker Banker Mitte der 1970er-Jahre an Lateinamerika vergaben. Wenngleich sich feststellen lässt, dass sich Auslandsschuldenkrisen im modernen Zeitalter wesentlich stärker auf Schwellen- und Transformationsländer konzentrieren als Bankenkrisen, betonen wir dennoch, dass Auslandsschuldenkrisen im Rahmen des Reifung eines jeden Landes von einer aufstrebenden Ökonomie zu einer modernen entwickelten Ökonomie ein beinahe universeller Initiationsritus gewesen sind. Dieser Prozess der ökonomischen, finanziellen, sozialen und politischen Entwicklung kann Jahrhunderte dauern.

In seinen frühen Jahren als souveräner Staat geriet Frankreich nicht weniger als acht Mal in Zahlungsverzug bei seinen Auslandsschulden (siehe Kapitel 6)! Spanien konnte vor 1800 seine Auslandsschulden sechs Mal nicht begleichen, geriet im 19. Jahrhundert sieben Mal in Verzug und übertrumpfte Frankreich mit insgesamt 13 Zahlungsausfällen. Als die heutigen europäischen Mächte die Entwicklungsphase einer aufstrebenden Ökonomie durchliefen, hatten sie die gleichen wiederkehrenden Probleme mit Auslandsschuldenkrisen wie zahlreiche Schwellen- und Transformationsländer heute.

Von 1800 bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Griechenland beinahe in ständigem Zahlungsverzug, und Österreichs Bilanz ist in gewisser Hinsicht sogar noch erstaunlicher. Zwar war die Entwicklung der internationalen Kapitalmärkte vor 1800 ziemlich beschränkt, dennoch zählen wir die zahlreichen Zahlungsausfälle Frankreichs, Portugals, Preußens, Spaniens und der frühen italienischen Stadtstaaten auf. Am Rande Europas haben auch Ägypten, Russland und die Türkei ihre eigene Historie an chronischen Zahlungsausfällen.

Eine der faszinierenden Fragen, die in diesem Buch erhoben werden, lautet: Warum ist es einer relativ kleinen Zahl an Ländern, wie zum Beispiel Australien und Neuseeland, Kanada, Dänemark, Thailand und den USA, gelungen, Auslandsschuldenkrisen zu vermeiden, während viele andere Länder ihre Auslandsschulden aufgrund von Zahlungsausfällen nicht begleichen konnten?

Asiatische und afrikanische Finanzkrisen wurden bisher weitaus weniger untersucht als die Krisen in Europa oder Lateinamerika. Tatsächlich wird die weitverbreitete Überzeugung, heutige Auslandsschuldenkrisen seien ein Phänomen, das sich auf Lateinamerika und einige wenige arme europäische Länder beschränkt, von dem Mangel an Informationen genährt. Wie wir sehen werden, hat das präkommunistische China seine Auslandsschulden mehrfach nicht beglichen, und sowohl das moderne Indien als auch Indonesien sind in den 1960er-Jahren beide in Zahlungsverzug geraten – lange vor der ersten Nachkriegsrunde der lateinamerikanischen Zahlungsausfälle. Das postkoloniale Afrika weist eine Bilanz an Zahlungsausfällen auf, die den Anschein erweckt, als lege sie es darauf an, alle früheren aufstrebenden Ökonomien zu übertreffen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass eine systematische quantitative Betrachtung der postkolonialen Zahlungsausfallsbilanzen Asiens und Afrikas die Vorstellung als falsch entlarvt, die meisten Länder seien in der Lage gewesen, die Gefahren einer Auslandsschuldenkrise zu vermeiden.

Der beinahe universelle Charakter des Phänomens der Staatsschuldenkrisen wird in Teil II deutlich, in dem wir anhand von Tabellen und Grafiken auf Basis unseres Datensatzes die Geschichte der Staatsschuldenkrisen und Finanzkrisen in breiten Zügen darstellen. Ein Punkt, der sicherlich aus der Analyse hervorsticht, ist der Umstand, dass die ruhige Periode in den Jahren vor der jüngsten globalen Finanzkrise (2003–2008), in der die Regierungen ihren Schuldenverpflichtungen im Allgemeinen nachgekommen sind, alles andere als die Norm gewesen ist.

Die Geschichte der Inlandsstaatsschulden (das heißt im Inland emittierte Staatsschulden), vor allem in Schwellen- und Transformationsländern, wurde von zeitgenössischen Wissenschaftlern und Politikern weitgehend ignoriert (das gilt selbst für offizielle Datenlieferanten wie den Internationalen Währungsfonds); sie schienen das verbreitete Auftreten dieser Krisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts als verblüffendes Phänomen zu betrachten. Wie wir jedoch in Teil III zeigen, haben die Inlandsstaatsschulden in Schwellen- und Transformationsländern in zahlreichen Perioden eine ausgesprochen große Bedeutung gehabt. Sie tragen potenziell dazu bei, eine ganze Reihe an Rätseln zu lösen, die mit Phasen der Hochinflation und Schuldenkrisen verbunden sind. Wir betrachten die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Daten über Staatsschulden als lediglich eine Facette der generell geringen Transparenz, mit der die meisten Regierungen ihre Bücher führen. Man denke nur an die impliziten Garantien, die den Hypothekeninstituten gegeben wurden, die massenhaft Hypotheken verkauften, was den tatsächlichen Umfang der US-Staatsschulden im Jahr 2008 letztlich um viele Milliarden Dollar erhöht hat, und an die vielen Milliarden Dollar der außerbilanziellen Transaktionen der US-Notenbank sowie die impliziten Garantien, die mit der Entscheidung verbunden sind, die »Giftpapiere« aus den Bankbilanzen herauszulösen – von den ungedeckten Renten und medizinischen Verpflichtungen gar nicht zu reden. Der Mangel an Transparenz über die Staatsschulden ist endemisch; die Schwierigkeit, grundlegende historische Daten über Staatsschulden zu beschaffen, ist dagegen fast schon komisch.

Teil III des Buches versucht, die Episoden offenkundiger Inlandsschuldenkrisen sowie der Umschuldung von Inlandsschulden über mehr als ein Jahrhundert zu katalogisieren. (Die Vernachlässigung der Geschichte der Inlandsschulden seitens der Wissenschaftler führte – wenig überraschend – auch zu einer Vernachlässigung der Geschichte der Inlandsschuldenkrisen.) Dieses Phänomen scheint ein wenig seltener aufzutreten als Auslandsschuldenkrisen, ereignet sich jedoch viel zu häufig, als dass die extreme Annahme gerechtfertigt wäre, Regierungen würden stets den Nennwert ihrer Inlandsschulden zurückzahlen – eine Annahme, die in der Wirtschaftsliteratur vorherrscht. Offenkundige Zahlungsausfälle in Bezug auf Inlandsstaatsschulden scheinen sich zudem in Situationen größerer Not zu ereignen als Auslandsschuldenkrisen – sowohl was den Einbruch der Wirtschaft als auch den Anstieg der Inflation betrifft.

Teil IV dehnt die Diskussion auf Krisen aus, die mit dem Bankwesen, mit Währungen und Inflation zusammenhängen. Bis in die jüngste Zeit hat sich die Untersuchung von Bankenkrisen typischerweise entweder auf frühere historische Erfahrungen in entwickelten Ökonomien konzentriert, und zwar hauptsächlich auf Bankpaniken vor dem Zweiten Weltkrieg, oder auf heutige Erfahrungen in Schwellen- und Transformationsländern. Diese Dichotomie wurde möglicherweise von der Überzeugung geprägt, dass destabilisierende, systemische und länderübergreifende Finanzkrisen für entwickelte Ökonomien ein Relikt aus der Vergangenheit sind. Die jüngste globale Finanzkrise, die von den USA und Europa ausgegangen ist, hat dieser Fehleinschätzung ein Ende gesetzt, wenn auch zu hohen sozialen Kosten.

Tatsache ist, dass Bankenkrisen reiche und arme Länder seit Langem gleichermaßen heimsuchen. Zu dieser Schlussfolgerung sind wir nach der Betrachtung der Bankenkrisen gekommen, die von Dänemarks Finanzpanik während der Napoleonischen Kriege bis zur jüngsten globalen Finanzkrise des 21. Jahrhunderts reichen. Die Bankenkrisen weisen erstaunliche Ähnlichkeiten in Ländern mit hohem, mittlerem und niedrigem Einkommen auf. Bankenkrisen führen fast unvermeidlich zu drastischen Rückgängen der Steuereinnahmen sowie einem signifikanten Anstieg der Regierungsausgaben (die zum Teil wahrscheinlich verschwenderisch sind). Im Schnitt steigen die Staatsschulden in den folgenden drei Jahren nach einer Bankenkrise um 86 Prozent an. Diese indirekten finanzwirtschaftlichen Konsequenzen sind daher erheblich größer als die üblichen Kosten einer Bankenrettung.

Ein weiteres wiederkehrendes Thema sind Perioden heimtückisch hoher Inflation. Keiner aufstrebenden Ökonomie in der Geschichte ist es gelungen, Phasen hoher Inflation zu entkommen. Tatsächlich existiert eine starke Parallele zwischen unserer These, dass es nur wenigen Ländern gelungen ist, gehäufte Zahlungsausfälle auf Auslandsschulden zu vermeiden, und der These, dass es nur wenigen Ländern gelungen ist, gehäufte Phasen hoher Inflation zu vermeiden. Selbst die USA haben eine wechselhafte Geschichte, darunter das Jahr 1779, in dem die Inflationsrate 200 Prozent erreichte. Wie bereits erwähnt, war das vorrangige Instrument, mit dem seit frühester Zeit und in allen Ländern Monarchen ihre Schulden weginflationierten, die Verringerung des Gold- beziehungsweise Silbergehalts der Münzen. Moderne Notenpressen sind lediglich eine technisch fortschrittlichere und effizientere Methode zur Erreichung desselben Ziels. Als Folge wird im Verlauf der Geschichte eine klare inflationäre Tendenz deutlich. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen die Inflationssprünge drastisch zu. Seitdem haben die Inflationskrisen ein höheres Niveau erreicht. Es ist daher nicht überraschend, dass die modernen Zeiten auch häufiger Wechselkurskrisen und größere durchschnittliche Veränderungen des Werts einer Währung erleben. Vielleicht überraschender und nur im Rahmen eines breiteren historischen Kontextes sichtbar, sind die frühen Episoden deutlicher Wechselkursinstabilität, vor allem während der Napoleonischen Kriege.

So, wie Finanzkrisen eine gemeinsame makroökonomische Vorgeschichte in Bezug auf Assetpreise, Wirtschaftsleistung, externe Indikatoren etc. haben, zeichnen sich auch gemeinsame Muster in der zeitlichen Abfolge, in der Krisen entstehen, ab – dies ist das abschließende Thema von Teil IV.

Das letzte Kapitel des Buches enthält einige Gedanken über Krisen, Strategien und Pfade für wissenschaftliche Studien. Klar ist, dass sich Länder, Banken, Bürger und Unternehmen in guten Zeiten immer wieder viel zu hoch verschulden, ohne sich die Risiken bewusst zu machen, die in der nächsten unvermeidlichen Rezession folgen. Viele Teilnehmer am globalen Finanzsystem graben sich eine Schuldenfalle, die viel zu tief ist, als dass sie vernünftigerweise erwarten könnten, sich daraus zu befreien. Das gilt ganz besonders für die USA und sein Finanzsystem der letzten Jahre. Regierungsschulden und regierungsgarantierte Schulden (die aufgrund von Einlagensicherungssystemen oft implizit Bankschulden einschließen) sind mit Sicherheit die problematischsten Schulden, da sie drastisch und über lange Zeiträume ansteigen können, ohne von den Märkten korrigiert zu werden, vor allem dort, wo diese von Marktregulierungen daran gehindert werden. Wenngleich private Schulden bei vielen Krisen eine zentrale Rolle spielen, sind Regierungsschulden weitaus öfter das gemeinsame Problem aller Finanzkrisen, die wir untersuchen. Wie zuvor erwähnt, ist die Tatsache, dass Daten über Inlandsschulden so undurchsichtig und schwer zu beschaffen sind, ein Beweis dafür, dass Regierungen bereit sind, einiges zu tun, um ihre Bücher zu verstecken, wenn es zu einer Krise kommt – genauso wie es die Finanzinstitute in der jüngsten Finanzkrise gemacht haben. Wir sehen eine wichtige Rolle für international maßgebliche Organisationen wie den Internationalen Währungsfonds darin, für transparentere Staatsschuldenkonten zu sorgen als die heutigen.

Unsere eingehende Betrachtung der Krisen, die sich im Laufe der vergangenen acht Jahrhunderte ereignet haben, haben uns zu der Schlussfolgerung geführt, dass der am häufigsten wiederholte und teuerste Investmentrat, der jemals während einer Boomphase kurz vor einer Finanzkrise erteilt wurde, aus der Wahrnehmung entsteht, dass »diesmal alles anders ist«. Die Einschätzung, die alten Regeln der Bewertung hätten ihre Gültigkeit verloren, wird üblicherweise mit viel Energie gebetsmühlenartig wiederholt. Finanzprofis und oft auch Regierungsführer behaupten, wir würden heute alles besser machen als zuvor, wir seien klüger und hätten aus vergangenen Fehlern gelernt. Jedesmal redet sich die Gesellschaft ein, der aktuelle Boom basiere – anders als viele frühere Boomphasen, die katastrophalen Zusammenbrüchen vorausgingen – auf soliden Grundlagen, strukturellen Reformen, technologischer Innovation und vernünftiger Politik.

Abbildung V.1: Auslandsstaatsschulden, 1800–2008: Prozentsatz der Länder, die in Zahlungsverzug gerieten oder deren Auslandsschulden restrukturiert wurden, gewichtet nach ihrem Anteil am Welteinkommen

Angesichts der umfassenden Daten ist es einfach nicht möglich, sämtliche der vielen Hundert Episoden, welche die Daten umfassen, mit einem Textkontext auszustatten. Nichtsdestotrotz sprechen die Tabellen und Grafiken auf eindrucksvolle Weise für sich selbst und die phänomenale wiederkehrende Natur des Problems. Betrachten Sie Abbildung V.1, die den Prozentsatz der Länder weltweit, gewichtet nach ihrem BIP, wiedergibt, die zu irgendeinem Zeitpunkt mit der Rückzahlung ihrer Auslandsschulden in Verzug geraten sind.

Der kurze Zeitraum der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts, der am rechten Ende der Kurve dargestellt ist, sieht ziemlich positiv aus. Doch hatten die vielen politischen Entscheidungsträger recht, als sie 2005 erklärten, das Problem der Auslandsschuldenkrisen souveräner Staaten habe deutlich abgenommen? Leider wird sich die Antwort noch vor Drucklegung dieses Buches deutlich zeigen. Wir hoffen, dass die Beweise in diesem Buch zukünftige politische Entscheidungsträger und Investoren zu einem kurzen Nachdenken bewegen, bevor sie das nächste Mal verkünden: »Dieses Mal ist alles anders.« Das ist es fast nie.

Danksagung

Ein Buch, dessen Entstehung so viel Zeit in Anspruch genommen hat, hat vielen Menschen einen Beitrag zu verdanken. Dazu gehört Vincent Reinhart, der uns zu den ökonomischen und statistischen Inhalten beriet und alle Kapitel wiederholt lektorierte. Außerdem lieferte er die Anekdote, die zu dem Titel »Dieses Mal ist alles anders« führte. Vincent arbeitete fast ein Vierteljahrhundert bei der US-Notenbank (Federal Reserve Bank, FED). Als im Jahr 1998 der Hedgefonds Long-Term Capital Management kollabierte – ein Zusammenbruch, der damals als schwere Krise galt, dessen Ausmaß vor dem Hintergrund der derzeitigen Ereignisse allerdings ein wenig verblasst –, nahm er an einer Besprechung des Board of Governors – des Vorstands der FED – mit Marktexperten aus der Praxis teil. Ein Händler mit einem ungewöhnlich langfristigen Gedächtnis sagte: »Mehr Geld wurde aufgrund von fünf Worten verloren als durch Waffengewalt. Diese Worte lauten: ›Dieses Mal ist alles anders.‹«

Mein spezieller Dank geht an Jane Trahan, für ihre extrem hilfreiche und gründliche Redaktion des Manuskripts, und an unseren Lektor bei Princeton University Press, Seth Ditchik, für seine Anregungen und seine editorische Anleitung im Verlauf der Buchentstehung. Ethan Ilzetzki, Fernando Im, Vania Stavrekeva, Katherine Waldock, Chenzi Xu und Jan Zilinsky unterstützten uns mit ihrer exzellenten Forschungsassistenz. Außerdem danken wir Peter Strupp und seinen Kollegen von Princeton Editorial Associates für ihre geschickte Verhandlung über alle technischen Details in Bezug auf die Produktion dieses Buches.

Einleitung: Einige erste Erkenntnisse über die Verwundbarkeit der Finanzmärkte und die Unberechenbarkeit des Vertrauens

Dieses Buch ist eine Zusammenfassung der langen Geschichte der Finanzkrisen in ihren vielfältigen Gewändern und in zahlreichen Ländern. Bevor wir in die tiefen Gewässer der konkreten Erfahrungen eintauchen, wollen wir in diesem Kapitel versuchen, einen ökonomischen Rahmen zu skizzieren, um dem Leser das Verständnis dafür zu erleichtern, dass Finanzkrisen tendenziell sowohl unberechenbar als auch schädlich sind. Im Verlauf des Buches werden wir – wo es für unsere Darstellung unerlässlich ist – weitere Gelegenheiten nutzen, die interessierten Leser durch die entsprechende wissenschaftliche Literatur zu führen. Seien Sie jedoch versichert, dass es sich dabei nur um kurze Exkurse handelt, und diejenigen, die weniger Interesse an Wirtschaftstheorie als Motor für Entdeckungen haben, können diese Abschnitte überblättern.

Wie wir darlegen werden, bietet die Theorie plausible Gründe dafür, dass Finanzmärkte, und insbesondere solche, die sich auf große Hebel verlassen (was bedeutet, dass sie im Verhältnis zu der Menge der eingesetzten Vermögenswerte über eine geringe Kapitaldecke verfügen), ziemlich fragil und anfällig für Vertrauenskrisen sein können.1 Leider bietet die Theorie wenig Orientierung über den exakten Zeitpunkt oder die Dauer dieser Krisen; aus diesem Grund konzentrieren wir uns vornehmlich auf die tatsächlichen Erfahrungen.

Vielleicht ist die Unfähigkeit, die Unsicherheit und die Wankelmütigkeit des Vertrauens zu erkennen – vor allem in Fällen, in denen hohe Schulden mit kurzen Laufzeiten ständig prolongiert werden müssen –, der wichtigste Schlüsselfaktor, der dem »Dieses Mal ist alles anders«-Syndrom Auftrieb gibt. Hoch verschuldete Regierungen, Banken oder Unternehmen können den Anschein erwecken, als kämen sie über lange Zeiten gut zurecht, bis – rums! – urplötzlich das Vertrauen wegbricht, Kreditgeber sich rar machen und eine Krise über die Schuldner hinwegfegt.

Das einfachste und vertrauteste Beispiel sind Bankruns (mit denen wir uns ausführlicher in den Kapiteln über Bankenkrisen beschäftigen). Wir sprechen aus zwei Gründen über Banken. Erstens sind sie die Grundlage, auf der sich die wissenschaftliche Literatur entwickelt hat. Zweitens ist ein Großteil unseres historischen Datensatzes auf die Kreditaktivitäten von Banken und Regierungen anwendbar. (Die anderen großen und finanzstarken Teilnehmer an den Kreditmärkten sind relativ neue Akteure in der Finanzwelt.) Dennoch stellen unsere Beispiele eine ziemlich gute Illustration für das Phänomen der Finanzfragilität dar. Viele derselben generellen Prinzipien treffen auch auf diese Marktakteure zu, ob es sich dabei um staatlich finanzierte Unternehmen, Investmentbanken oder Geldmarktfonds handelt.

Banken leihen sich traditionell kurzfristig Geld. Das heißt, sie leihen es sich in Form von Bankeinlagen aus, die relativ kurzfristig abgezogen werden können. Die Kredite, welche die Banken ihrerseits gewähren, haben dagegen meistens eine wesentlich längere Laufzeit und sind unter Umständen kurzfristig schwer in Bargeld umzuwandeln. Eine Bank, die zum Beispiel einen lokalen Baumarkt finanziert, hat wahrscheinlich das Vertrauen, dass der Kredit langfristig getilgt wird, weil der Baumarkt und seine Einnahmen wachsen. Im frühen Stadium dieses Wachstums hat die Bank aber unter Umständen Schwierigkeiten, den Kredit fällig zu stellen. Der Eigentümer des Baumarkts generiert einfach noch nicht genug Umsatz, vor allem wenn er gezwungen ist, nicht nur die Zinsen, sondern auch den eigentlichen Kredit zu tilgen.

Eine Bank mit einer gesunden Einlagenbasis und einem großen Portfolio an illiquiden Krediten kann langfristig durchaus hervorragende Perspektiven haben. Falls aber aus irgendeinem Grund alle Bankkunden zum gleichen Zeitpunkt versuchen, ihre Einlagen abzuziehen – zum Beispiel aufgrund einer Panik, die von dem falschen Gerücht ausgelöst wurde, die Bank habe viel Geld bei der Spekulation mit exotischen Hypotheken verzockt –, dann drohen Probleme. Da sie keine Möglichkeit hat, ihr Portfolio an illiquiden Krediten zu verkaufen, ist sie unter Umständen einfach nicht in der Lage, ihren panischen Bankkunden ihre Einlagen auszuzahlen. Das war das Schicksal der Banken in den Filmklassikern It’s A Wonderful Life und Mary Poppins. Beide Filme basierten auf realen Ereignissen: Viele Banken wurden von diesem Schicksal ereilt, insbesondere in den Fällen, in denen die Regierung die Bankeinlagen nicht in vollem Umfang garantiert hatte.

Das berühmteste jüngste Beispiel eines Bankruns ist der Ansturm auf die britische Bank Northern Rock gewesen. Panische Bankkunden, die sich nicht mit der partiellen Einlagensicherung der britischen Regierung zufriedengeben wollten, bildeten im September 2007 lange Schlangen vor den Toren der Bank. Die sich ausbreitende Panik zwang die britische Regierung schließlich, die Bank zu übernehmen und für deren Einlagengeschäft zu garantieren.

Nicht nur Banken, auch andere Kreditnehmer können Opfer einer Vertrauenskrise werden. Während der Finanzkrise, die 2007 in den USA ihren Anfang nahm, waren riesige Finanzgiganten im »Shadow Banking«-System außerhalb des regulierten Bankwesens von ähnlichen Problemen betroffen. Obwohl sie hauptsächlich Geld von Banken und anderen regulierten Finanzinstituten liehen, war ihre Verwundbarkeit dieselbe. In dem Maße, in dem das Vertrauen ihrer Kreditgeber in ihre Geldanlagen schwand, weigerten sich die Kreditgeber zunehmend, die kurzfristigen Kredite zu verlängern, sodass die betroffenen Finanzgesellschaften gezwungen waren, Vermögenswerte zu Schleuderpreisen auf den Markt zu werfen. Diese Notverkäufe trieben die Preise noch mehr in den Keller, was zu weiteren Verlusten führte und eine Abwärtsspirale des Vertrauensschwunds auslöste. Schließlich musste die US-Regierung intervenieren und versuchen, die Märkte zu stabilisieren. Das Drama ist noch nicht beendet und der Preis für die Bewältigung des Problems steigt ständig.

Regierungen können denselben Dynamiken wechselhafter Erwartungen unterworfen sein, die Banken destabilisieren können. Das gilt vor allem dann, wenn eine Regierung Kredit von einem ausländischen Kreditgeber erhält, auf den sie relativ wenig Einfluss hat. Die meisten staatlichen Investitionen hängen direkt oder indirekt mit dem langfristigen Wachstumspotenzial des Landes und seiner Steuerbasis zusammen, doch dabei handelt es sich um ausgesprochen illiquide Vermögenswerte. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Land habe Staatsschulden, die angesichts seiner aktuellen Steuereinnahmen, seiner Wachstumsprognosen und seiner Marktzinsen tragfähig erscheinen. Wenn der Markt befürchtet, ein populistischer Randkandidat könne die nächsten Wahlen gewinnen und die Staatsausgaben so stark erhöhen, dass die Schulden kaum noch bezahlbar werden, kann es sein, dass sich die Investoren plötzlich weigern, kurzfristige Schulden zu Zinssätzen zu verlängern, die das Land bewältigen kann. Und schon kommt es zu einer Kreditkrise.

Auch wenn derartige Szenarios keine alltäglichen Ereignisse sind, treten solche Finanzkrisen in dem langen historischen Zeitraum und dem breiten Spektrum an Ländern, die wir in diesem Buch untersuchen, sehr häufig auf. Warum können große Länder, oder sogar die Welt als Ganzes, keinen Weg finden, Vertrauenskrisen zu verhindern – wenigstens verfrühte Vertrauenskrisen? Das ist möglich, hat aber einen Haken. Stellen Sie sich vor, eine Weltregierungsbehörde böte eine teure Einlagensicherung, um jeden seriösen Kreditgeber gegen Paniken abzusichern. Nehmen wir an, es gäbe eine Super-Version des Internationalen Währungsfonds (IWF), des heutigen multilateralen Kreditgebers, die darauf abzielt, aufstrebenden Ökonomien unter die Arme zu greifen, wenn diese in eine Liquiditätskrise geraten. Das Problem ist, dass sich einige Akteure falsch verhalten werden, wenn eine Institution allen und überall bedingungslos Absicherung bietet. Würde der IWF zu viel Geld verleihen, ohne im Gegenzug strenge Auflagen zu erlassen, wäre er in kürzester Zeit bankrott und es würde zu unkontrollierten Finanzkrisen kommen. Eine vollständige Absicherung gegen Krisen ist weder machbar noch wünschenswert. (Genau dieses Rätsel wird die globale Finanzgemeinde nach der jüngsten Finanzkrise zu lösen haben, in der die Kreditkapazitäten des IWF als Antwort auf die Krise vervierfacht und die Kreditkonditionen gleichzeitig erheblich gelockert wurden.)

Was sagt die Wirtschaftstheorie über die Anfälligkeit der Länder für Finanzkrisen? Der Präzision zuliebe wollen wir uns zunächst auf Regierungen als Hauptverursacher der in diesem Buch untersuchten Krisen konzentrieren. Die Wirtschaftstheorie sagt uns, dass eine Regierung, die entsprechend sparsam haushaltet, nicht sonderlich von Vertrauenskrisen bedroht ist. Eine Regierung, die kontinuierlich Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet (das Ergebnis, wenn die Steuereinnahmen höher sind als die Staatsausgaben), muss sich keine großen Gedanken über Schuldenkrisen machen. Sie kann ihre Schulden auf einem relativ niedrigen Niveau halten, leiht sich zumeist längerfristig Geld aus (über eine Laufzeit von zehn oder mehr Jahren) und hat kaum versteckte etatfremde Garantieverpflichtungen.

Wenn eine Regierung dagegen Jahr für Jahr hohe Defizite anhäuft und hauptsächlich kurzfristige Schulden aufnimmt (mit einer Laufzeit von einem Jahr oder kürzer), dann macht sie sich verwundbar, möglicherweise selbst bei einem Schuldenniveau, das eigentlich ohne Weiteres tragfähig sein sollte. Eine unverantwortliche Regierung könnte natürlich versuchen, ihre Verwundbarkeit durch die Emission umfangreicher langfristiger Staatsanleihen zu verringern. Die Märkte würden das wahrscheinlich aber sehr schnell erkennen und auf jede langfristige Anleihe extrem hohe Zinsen erheben. Tatsächlich liegt einer der Hauptgründe für die Entscheidung einiger Regierungen, kurzfristige Anleihen zu emittieren, anstatt langfristige Schulden aufzunehmen, darin, dass sie von niedrigeren Zinsen profitieren können, solange das Vertrauen gewahrt bleibt.

Die Wirtschaftstheorie besagt, dass es gerade die launische Natur des Vertrauens ist, einschließlich seiner Abhängigkeit von der öffentlichen Erwartung über zukünftige Ereignisse, welche die Vorhersage von Schuldenkrisen so schwer macht. Eine hohe Verschuldung führt in zahlreichen wirtschaftswissenschaftlichen Modellen zu »multiplen Gleichgewichten«, in denen das Schuldenniveau tragfähig bleiben könnte – oder auch nicht.2 Ökonomen haben keine sehr genaue Vorstellung davon, welche Ereignisse Einfluss auf das Vertrauen haben und wie sich die Verwundbarkeit des Vertrauens konkret einschätzen lässt. In der Geschichte der Finanzkrisen kann man immer wieder feststellen, dass ein Ereignis, das sich am Horizont erahnen lässt, irgendwann auch eintreten wird. Wenn Länder sich zu hoch verschulden, dann sind Probleme programmiert. Wenn schuldenfinanzierte Assetpreisexplosionen zu schön erscheinen, um wahr zu sein, dann sind sie das wahrscheinlich auch. Der genaue Zeitpunkt einer Krise lässt sich jedoch nur schwer vorhersagen. Wobei eine Krise, die kurz bevorzustehen scheint, manchmal erst Jahre später ausbricht. Das war Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts in den USA gewiss der Fall. Wie wir in Kapitel 13 zeigen werden, standen im Vorfeld der Krise bereits alle Alarmsignale auf Rot. Dennoch beharrten viele führende Finanzexperten der USA – und auch viele Wissenschaftler – bis zum Ausbrechen der Krise auf ihrer Überzeugung: »Dieses Mal ist alles anders.«

Wir legen Wert auf die Feststellung, dass sich unsere Warnung vor einer Anhäufung exzessiver Schulden und dem Einsatz zu großer Hebel auf Regierungsebene von den Warnungen der traditionell zitierten Literatur Buchanans und anderer unterscheidet.3 Die traditionelle Literatur über Staatsfinanzen warnt vor der Kurzsichtigkeit von Regierungen in Bezug auf hohe Steuerdefizite und ihr chronisches Versäumnis, die langfristige Belastung richtig einzuschätzen, die der Schuldendienst der Bevölkerung aufbürdet. Tatsächlich verursachen hohe Schuldenberge oft gerade auf kurze Sicht Probleme, weil Investoren möglicherweise Zweifel an der Bereitschaft des Schuldnerlandes hegen, seine Schulden langfristig zu finanzieren. Die Verwundbarkeit aufgrund von Schulden kann ein genauso großes Problem sein wie die langfristige Steuerbelastung – gelegentlich ist es sogar noch größer.

Ähnliche Probleme entstehen in anderen Krisenkontexten, die wir in diesem Buch ebenfalls beleuchten werden. Eine der Lektionen der 1980er-und 1990er-Jahre lautet, dass Länder mit starren oder »stark gesteuerten« Wechselkursregimen für plötzliche Vertrauenskrisen anfällig sind. Spekulative Angriffe auf starre Wechselkurse können scheinbar stabile, langjährige Regime über Nacht zerstören. In Zeiten des erfolgreichen Fix kann man stets den Satz »Dieses Mal ist alles anders« hören. Doch urplötzlich – wie in Argentinien im Dezember 2001 geschehen – löst sich das Vertrauen in einer Rauchwolke auf. Hier besteht jedoch eine grundlegende Verknüpfung mit den Staatsschulden. Wie Krugman bekanntermaßen aufgezeigt hat, haben Wechselkurskrisen ihren Ursprung oft in der mangelnden Bereitschaft einer Regierung, Geld- und Fiskalstrategien umzusetzen, die im Einklang mit der Wahrung starrer Wechselkurse stehen.4 Wenn Spekulanten erkennen, dass der Regierung die nötigen Ressourcen ausgehen, um ihre Währung zu stützen, dann werden sie in Erwartung eines Währungszusammenbruchs schleunigst aus dieser Währung aussteigen. Staatsschulden müssen keineswegs immer explizit sein: Implizite Regierungsgarantien haben im Zentrum vieler Krisen gestanden.

Gewiss stehen den Ländern andere Wege zur Reduzierung ihrer Verwundbarkeit für Vertrauenskrisen offen als die Eindämmung ihrer Verschuldung und einen zurückhaltenderen Einsatz von Hebeln. Die Wirtschaftstheorie legt nahe, dass hier eine größere Transparenz hilfreich sein kann. Wie der Leser später sehen wird, neigen Regierungen in Bezug auf ihre Verschuldung zu einer ausgesprochenen Intransparenz. Und wie die jüngste Finanzkrise zeigt, verhalten sich private Schuldner kaum besser, es sei denn, die Gesetze zwingen sie zu mehr Transparenz. Tatsächlich sehen viele Wissenschaftler in Großbritanniens Einrichtung übergeordneter Institutionen, welche die Zuverlässigkeit von Kreditrückzahlungen garantieren sollen, einen Schlüssel für seine Militär- und Entwicklungserfolge im 18. und 19. Jahrhundert.5 Doch selbst gute Institutionen und ein ausgeklügeltes Finanzsystem können ins Schlingern geraten, wenn sie entsprechenden Belastungen ausgesetzt sind, wie die USA in der jüngsten Krise so leidvoll erfahren mussten.

Und schließlich ist da die Frage, warum Finanzkrisen oft so schmerzhaft sind – ein Thema, mit dem wir uns hauptsächlich in der Einleitung zu Kapitel 10 über Bankenkrisen beschäftigen. Kurz gesagt, sind die meisten Ökonomien – auch relative arme – auf den Finanzsektor angewiesen, um die Geldströme von Sparern (typischerweise Verbraucher) in für die Wirtschaft wichtige Investitionsprojekte zu lenken. Wenn eine Krise das Bankensystem lähmt, ist es für eine Ökonomie sehr schwer, seine normale Wirtschaftsaktivität aufrechtzuerhalten. Ben Bernanke bezeichnete den Kollaps des Bankensystems bekanntermaßen als einen wichtigen Grund dafür, dass die Große Depression der 1930er-Jahre so gravierend war und so lange anhielt. Finanzkrisen, vor allem solche, die umfangreich und schwer zu bewältigen sind, können daher erhebliche Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben. Wie im Fall der multiplen Gleichgewichte und der Finanzfragilität existiert auch zu diesem Thema eine umfangreiche Wirtschaftsliteratur.6 Die enge Verbindung zwischen Finanzmärkten und Realwirtschaft, insbesondere bei einem Versagen der Finanzmärkte, hat so viele der in diesem Buch untersuchten Krisen zu einem wahrhaft spektakulären historischen Ereignis gemacht. Denken Sie im Gegensatz dazu an das Platzen der Hightech-Blase im Jahr 2001. Zwar brachen Kurse von Technologieaktien nach einem zunächst schwindelerregenden Anstieg völlig zusammen, doch der Effekt auf die Realwirtschaft bestand lediglich in einer relativ milden Rezession im Jahr 2001. Blasen sind weitaus gefährlicher, wenn sie von Schulden genährt werden, wie es Anfang des 21. Jahrhunderts bei der Explosion der globalen Immobilienpreise der Fall war.

Auf jeden Fall wird die Zweite Große Wirtschaftskontraktion, wie wir die jüngste Finanzkrise bezeichnen, die beinahe jede Region der Erde erfasst hat, beträchtliche Auswirkungen auf die Wirtschaftswissenschaften haben, vor allem auf die Untersuchung der Verknüpfungen zwischen Finanzmärkten und Realwirtschaft.7 Wir hoffen, dass einige der in diesem Buch vorgestellten Fakten dazu beitragen werden, die Probleme zu formulieren, welche die neuen Theorien erklären müssen, und zwar nicht nur für die jüngste Krise, sondern für eine Vielzahl von Krisen, die sich in der Vergangenheit ereignet haben – ganz zu schweigen von den zahlreichen Krisen, die uns in der Zukunft erwarten.

– TEIL I –

Finanzkrisen: Ein operativer Leitfaden

Der Kern des »Dieses Mal ist alles anders«-Syndroms ist einfach. Er besteht in der festen Überzeugung, dass Finanzkrisen nur anderen Menschen in anderen Ländern und zu anderen Zeiten passieren; jetzt, hier und bei uns kann es keine Krise geben. Wir machen alles besser, wir sind klüger, wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die alten Regeln der Bewertung haben ihre Gültigkeit verloren. Unglücklicherweise kann ein hoch verschuldetes Land viele Jahre unbemerkt mit dem Rücken am finanziellen Abgrund stehen, bevor das Schicksal und die Umstände eine Vertrauenskrise auslösen, die das Land in die Tiefe stürzen lässt.

1. Krisentypen und der Zeitpunkt ihres Auftretens

Weil dieses Buch auf einer quantitativen und historischen Analyse der Krisen basiert, ist es wichtig, mit der Definition der Merkmale einer Finanzkrise sowie der Methoden – quantitativ, wo möglich – zu beginnen, mit denen wir ihren Anfang und ihr Ende datieren. Dieses sowie die beiden nachfolgenden Kapitel stellen die grundlegenden Konzepte vor; Definitionen, Methoden und Ansätze der Datensammlung und -analyse, die unsere Untersuchung der historischen internationalen Erfahrung mit fast jeder Art der Wirtschaftskrise untermauern, ob es sich dabei um eine Schuldenkrise, eine Banken-, Inflations- oder Wechselkurskrise handelt.

Die intensive Beschäftigung mit präzisen Krisendefinitionen in einem einleitenden Kapitel anstatt ihrer simplen Integration in ein Glossar mag ein wenig anstrengend erscheinen. Damit der Leser die umfassenden historischen Grafiken und Tabellen jedoch richtig interpretieren kann, ist es unerlässlich, eine Vorstellung davon zu haben, wie wir eine Krise definieren und welche Ereignisse unserer Meinung nach nicht die Bedingungen einer Krise erfüllen. Die Grenzen, die wir ziehen, stehen generell im Einklang mit der existierenden empirischen wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, die im Großen und Ganzen nach den verschiedenen Krisentypen segmentiert ist, die wir betrachten (zum Beispiel Staatsschuldenkrisen, Wechselkurskrisen). Wir versuchen, alle Fälle hervorzuheben, bei denen die Ergebnisse offenkundig sensibel für kleinere Veränderungen unserer Ausgangspunkte sind oder bei denen wir uns vor allem Sorgen über eindeutige Unzulänglichkeiten in den Daten machen. Dieses Definitionskapitel bietet uns zudem die willkommene Chance, ein wenig ausführlicher über die Krisentypen zu sprechen, die wir in diesem Buch untersuchen.

Der Leser möge daran denken, dass sich die in diesem Kapitel besprochenen Krisenmarker auf die Messung von Krisen innerhalb individueller Länder beziehen. Später diskutieren wir eine Reihe von Wegen, wie sich die internationalen Dimensionen von Krisen sowie ihre Intensität und Übertragung betrachten lassen. Das kulminiert in Kapitel 16 in unserer Definition einer globalen Krise. Neben der Betrachtung jeweils eines Landes geben unsere Hauptkennzahlen für Krisenschwellen immer jeweils Aufschluss über einen Krisentyp (zum Beispiel Wechselkurskrisen, Inflations- und Bankenkrisen). Wie wir vor allem in Kapitel 16 betonen, haben verschiedene Krisenarten die Tendenz, in Gruppen aufzutreten, was die Vermutung nahelegt, dass es prinzipiell eine systemische Krisendefinition geben könnte. Aus einer Reihe von Gründen ziehen wir es allerdings vor, uns auf die einfachste und transparenteste Beschreibung von Krisenepisoden zu konzentrieren, und zwar vor allem deswegen, weil es andernfalls sehr schwierig wäre, breite länder- und zeitübergreifende Vergleiche zu ziehen. Diese Krisendefinitionen wurzeln in der existierenden empirischen Literatur und sind mit den entsprechenden Quellenangaben versehen.

Wir beginnen mit der Diskussion von Krisen, auf die problemlos strikt quantitative Definitionen angewendet werden können, und wenden uns anschließend den Krisen zu, für deren Definition wir uns stärker auf qualitative und wertende Analysen verlassen müssen. Der letzte Abschnitt dieses Kapitels definiert das Phänomen der gehäuften Zahlungsausfälle sowie das »Dieses Mal ist alles anders«-Konzept, die in der Folge immer wieder aufgegriffen werden.

Krisen definiert nach quantitativen Schwellen: Inflation, Währungszusammenbrüche und Währungsabwertung

Inflationskrisen

Wir beginnen mit der Definition von Inflationskrisen – sowohl aufgrund ihrer Universalität und langen historischen Bedeutung als auch aufgrund der relativen Leichtigkeit und Klarheit, mit der sie sich identifizieren lassen. Weil wir daran interessiert sind, die Höhe des Zahlungsausfalls zu katalogisieren (durch Weginflationierung der Schulden), und nicht nur an der Häufigkeit von Inflationskrisen, werden wir versuchen, nicht nur den Beginn einer Inflations- oder Währungskrise zu bestimmen, sondern auch ihre Dauer. Viele Hochinflationsphasen lassen sich am besten als chronisch beschreiben – sie dauern viele Jahre, gelegentlich lösen sie sich auf und manchmal pendeln sie sich auf einem mittleren Niveau ein, bevor sie explodieren. Eine Reihe von Untersuchungen, darunter auch unsere eigene frühere Arbeit über die Klassifizierung von Wechselkursvereinbarungen nach dem Zweiten Weltkrieg, verwendet eine Zwölf-Monats-Inflationsschwelle von 40 Prozent oder mehr als Marke für eine Hochinflationsphase. Natürlich lässt sich argumentieren, die Effekte einer Inflation seien bereits auf einem wesentlich niedrigeren Niveau – sagen wir 10 Prozent – schädlich, doch die Kosten einer anhaltend moderaten Inflation sind weder theoretisch noch empirisch gut belegt. In unserer früheren Arbeit über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir die Trennmarke von 40 Prozent gewählt, weil ein ziemlich breiter Konsens darüber besteht, dass eine Inflation in dieser Höhe schädliche Effekte hat. Wo bedeutsam, sprechen wir auch über generelle Inflationstrends und niedrigere Höchststände. Hyperinflationen – Inflationsraten von 40 Prozent pro Monat – sind ein modernes Phänomen. Wie wir in Kapitel 12, das von Inflationskrisen handelt, sehen werden (vor allem in Tabelle 12.3), hält Ungarn im Jahr 1946 (ungeachtet der jüngsten Erfahrung Simbabwes) den Rekord in unserer Länderauswahl.

Für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist selbst die Schwelle von 40 Prozent jährlich zu hoch, da die Inflationsraten damals wesentlich niedriger waren, insbesondere vor der Einführung der modernen Papierwährung (oft als »Fiatgeld« bezeichnet, da es keinen intrinsischen Wert hat und nur deswegen einen Wert besitzt, weil die Regierung per Gesetz erklärt, dass keine andere Währung als gesetzliches Zahlungsmittel für inländische Transaktionen erlaubt ist). Die mittleren Inflationsraten vor dem Ersten Weltkrieg lagen ein gutes Stück unter den Raten der jüngeren Vergangenheit: 0,5 Prozent jährlich für die Zeit von 1500 bis 1799 und 0,71 Prozent für die Zeit von 1800 bis 1913 – im Gegensatz zu 5,0 Prozent für die Jahre von 1914 bis 2006. In Zeiten mit wesentlich niedrigeren durchschnittlichen Inflationsraten und einer geringen Erwartung einer hohen Inflation konnten bereits wesentlich geringere Inflationsraten für eine Wirtschaft traumatisch und schockierend sein und galten daher als Krisen.1 Um frühere Inflationsphasen auf sinnvolle Weise in diesem Buch zu berücksichtigen, wählen wir daher eine Inflationskrisenschwelle von 20 Prozent jährlich. An den meisten Punkten, an denen es nach unserer Ansicht eine Inflationskrise gab, scheinen unsere zentralen Thesen in Relation zu der von uns gewählten Schwelle robust zu sein. Zum Beispiel würde unsere These, dass es zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine Krise gab, standhalten, wenn wir zur Definition von Inflationskrisen eine niedrigere Schwelle von – sagen wir – 15 Prozent oder eine höhere Schwelle von zum Beispiel 25 Prozent gewählt hätten. Vor dem Hintergrund, dass wir den größten Teil unseres Datensatzes online verfügbar gemacht haben, steht es den Lesern natürlich frei, ihre eigene Schwelle für die Definition einer Inflationskrise oder für andere quantitative Krisenbenchmarks zu setzen.

Währungszusammenbrüche

Um Währungszusammenbrüche zu datieren, folgen wir einer Variante eines Ansatzes, den Jeffrey Frankel und Andrew Rose eingeführt haben, die ausschließlich auf große Wechselkursherabsetzungen fokussiert und deren Basisschwelle (mit einigen Vorbehalten) bei 25 Prozent jährlich festliegt.2 Diese Definition ist die sparsamste, da sie keine anderen Variablen, wie zum Beispiel Reserveverluste (Daten, die Regierungen oft eifersüchtig hüten und deren Veröffentlichung sie gelegentlich lange hinauszögern) und eine Anhebung der Zinssätze (die in Finanzsystemen unter sehr strenger Regierungskontrolle keine große Bedeutung haben, wie es bis vor relativ kurzer Zeit in den meisten Ländern der Fall war), berücksichtigt. Wie bei den Inflationskrisen wäre eine Schwelle von 25 Prozent, die sich vielleicht auf die Daten über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg anwenden lässt – zumindest zur Definition einer schweren Wechselkurskrise – für frühere Perioden zu hoch, als wesentlich kleinere Ausschläge bereits eine große Überraschung waren und daher eine extrem zerstörerische Wirkung hatten. Daher definieren wir einen Währungszusammenbruch als eine jährliche Wertminderung von mehr als 15 Prozent. Analog zu unserer Betrachtung der Inflationskrisen ist unser Anliegen hier nicht nur die Datierung des Beginns einer Währungskrise (wie in Frankel und Rose sowie in Kaminsky und Reinhart), sondern des gesamten Zeitraums, in der die jährlichen Wertminderungen diese Schwelle überstiegen.3 Es ist kaum eine Überraschung, dass die größten Krisen, die in Tabelle 1.1 abgebildet sind, ein ähnliches Datum und einen ähnlichen Umfang aufweisen wie das Profil der Inflationskrisen. Die »Ehre« des Rekordhalters bei Währungszusammenbrüchen gebührt jedoch nicht Ungarn (wie im Fall der Inflation), sondern Griechenland im Jahr 1944.

Währungsabwertung

Der Vorläufer der modernen Inflations- und Wechselkurskrisen war die Währungsabwertung, und zwar während der langen Ära, in der das hauptsächliche Zahlungsmittel Metallmünzen waren. Es ist wenig überraschend, dass Währungsabwertungen besonders häufig während langer Kriege vorgenommen wurden, als die drastische Verringerung des Silbergehalts der Münzen die wichtigste Finanzierungsquelle des Herrschers eines Landes war.

In diesem Buch datieren wir auch Währungs»reformen« oder Währungsanpassungen und ihre Größenordnung. Solche Anpassungen bilden einen Teil aller Hyperinflationsphasen in unserem Sample. Tatsächlich ist es keineswegs ungewöhnlich, mehrere schnell aufeinanderfolgende Anpassungen zu sehen. In seinem Kampf gegen die Hyperinflation nahm Brasilien von 1986 bis 1994 nicht weniger als vier Währungsanpassungen vor. Als wir mit der Arbeit an diesem Buch begannen, war China gemessen an der Größenordnung einer einzigen Währungsanpassung mit einem Umwandlungskurs von drei Millionen zu eins im Jahr 1948 der Rekordhalter. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Buches wurde dieser Rekord jedoch von Simbabwe übertroffen, und zwar mit einem Umwandlungskurs von zehn Milliarden zu eins! Währungsanpassungen folgen auch auf Hochinflationsphasen (die aber nicht zwangsläufig eine Hyperinflation sein müssen). Und auch diese Fälle sind in unserer Liste der Währungsabwertungen der modernen Zeit enthalten.

Das Platzen von Spekulationsblasen

Dieselbe quantitative Methodologie ließe sich auf die Datierung des Platzens von Spekulationsblasen (Aktien oder Immobilien) anwenden, wie es im Vorfeld von Bankenkrisen üblicherweise geschieht. Die Zusammenbrüche von Aktienkursen diskutieren wir in Kapitel 6 und überlassen die Immobilienkrise zukünftigen Forschungsinitiativen.4 Ein Grund, aus dem wir dieses Thema hier nicht behandeln, besteht darin, dass die Preisdaten für zahlreiche Schlüsselaktiva von der Finanzkrise betroffen sind; insbesondere die Preise für Wohnimmobilien lassen sich auf langfristiger, länderübergreifender Basis nur schwer ermitteln. Unser Datensatz enthält jedoch Immobilienpreise für eine Reihe sowohl entwickelter als auch aufstrebender Ökonomien über die letzten Jahrzehnte, die wir später in unserer Analyse der Bankenkrisen beleuchten werden.

Tabelle 1.1Krisendefinition: ein Überblick über quantitative Schwellen

Krisentyp

Schwelle

Zeitraum

Maximum (%)

Inflation

Eine jährliche Inflationsrate von 20 Prozent oder mehr. Das Auftreten extremerer Fälle, bei denen die jährliche Inflationsrate über 40 Prozent liegt, betrachten wir gesondert.

1500–1799

1800–1913

1914–2008

173,1

159,6

9,63E+26a

Währungszusammenbruch

Eine jährliche Währungsherabsetzung gegenüber dem US-Dollar (oder der relevanten Ankerwährung – historisch das englische Pfund, der französische Franc oder die deutsche Mark und gegenwärtig der Euro) in Höhe von 15 Prozent oder mehr.

1800–1914

1914–2008

 

Währungsabwertung: Typ I

Eine Verringerung des Metallgehalts der sich im Umlauf befindlichen Münzen in Höhe von 5 Prozent oder mehr.

1258–1799

1800–1913

 

Währungsabwertung: Typ II

Eine Währungsreform, in deren Rahmen eine neue Währung eine stark wertverminderte frühere Währung ablöst.

Die extremste Episode ist die jüngst erfolgte Währungsumwandlung in Simbabwe mit einem Umwandlungskurs von zehn Milliarden zu eins.

 

a In einigen Fällen sind die Inflationsraten so hoch (wie zum Beispiel 1946 in Ungarn), dass wir gezwungen sind, wissenschaftliche Schreibweisen zu verwenden E+26 bedeutet daher, dass wir an den Wert 9,63 Nullen anhängen und die Dezimalstelle um 26 Stellen nach rechts verschieben müssen

Krisen definiert nach Ereignissen: Bankenkrisen sowie Inlands- und Auslandsschuldenkrisen

In diesem Abschnitt beschreiben wir die Kriterien, die wir in dieser Untersuchung verwendet haben, um Bankenkrisen, Auslands- und Inlandsschuldenkrisen zu datieren, von denen Letzere am schlechtesten dokumentiert sind und am wenigsten verstanden werden. Infobox 1.1 enthält ein kurzes Glossar über die zentralen Schuldenkonzepte, die in unserer Analyse verwendet wurden.

Bankenkrisen

In Bezug auf Bankenkrisen legt unsere Analyse den Schwerpunkt auf Ereignisse. Der Hauptgrund, aus dem wir diesen Ansatz verwenden, hat mit dem Mangel an langfristigen Zeitreihendaten zu tun, die uns ermöglichen würden, Banken oder Finanzkrisen quantitativ entlang der Inflationslinien oder Währungszusammenbrüche zu datieren. Zum Beispiel wäre der relative Kurs von Bankaktien (oder Finanzinstitutionen in Relation zum Markt) ein logischer zu untersuchender Indikator. Das ist jedoch problematisch, vor allem in Bezug auf den früheren Zeitraum unserer Stichprobe und in Bezug auf Entwicklungsländer, in denen viele inländische Banken nicht börsennotiert sind.

Eine andere Idee wäre, die Veränderungen bei den Bankeinlagen zur Datierung von Krisen zu verwenden. In Fällen, in denen der Beginn einer Krise von Bankruns und einem massiven Abzug der Bankeinlagen markiert wurde, würde dieser Indikator funktionieren, zum Beispiel bei der Datierung der zahlreichen Bankpaniken in den 1800er-Jahren. Oft entstehen Bankenprobleme aber nicht auf der Verbindlichkeitsseite, sondern aus einer anhaltenden Verschlechterung der Qualität der Vermögenswerte, sei es aufgrund eines Zusammenbruchs der Immobilienpreise (wie 2007 in den USA zu Beginn der Subprime-Krise) oder einer Zunahme der Bankrotte außerhalb des Finanzsektors (wie in fortgeschritteneren Phasen der jüngsten Finanzkrise). In diesem Fall könnte ein massiver Anstieg der Bankrotte oder notleidender Kredite als Marke für den Beginn einer Krise verwendet werden. Leider sind Indikatoren über Unternehmenspleiten und notleidende Kredite in den meisten Ländern selbst für die jüngere Vergangenheit üblicherweise nur sporadisch – wenn überhaupt – verfügbar.

Infobox 1.1 Schuldenglossar

Auslandsstaatsschulden Die gesamten Schuldenverpflichtungen eines Landes gegenüber ausländischen Gläubigern, und zwar offiziellen (staatlichen) und privaten Gläubigern. Die Gläubiger bestimmen oft sämtliche Bedingungen des Schuldenvertrags, der normalerweise der Gerichtsbarkeit der ausländischen Gläubiger oder internationalen Gesetzen unterliegt (bei multilateralen Krediten).

Gesamte Regierungsschulden (gesamte Staatsschulden) Die gesamten Schuldenverpflichtungen einer Regierung gegenüber inländischen und ausländischen Gläubigern. Die »Regierung« umfasst normalerweise die Zentralbzw. Bundesregierung, die Länder- bzw. Provinzregierungen sowie alle anderen Einrichtungen, die mit einer expliziten Regierungsgarantie Geld verleihen. Inlandsstaatsschulden Alle Schuldenverpflichtungen einer Regierung, die unter der nationalen Rechtsprechung des Schuldnerlandes eingegangen wurden und ihr unterliegen, unabhängig von der Nationalität des Gläubigers oder der Währung, in der die Schuld emittiert wird. Daher zählen auf Fremdwährung lautende Inlandsanleihen zu den Inlandsstaatschulden, wie nachstehend definiert. Die Bedingungen des Schuldenvertrags können vom Markt bestimmt oder einseitig von der Regierung festgelegt werden.

Auf Fremdwährung lautende Inlandsstaatsschulden Schuldenverpflichtungen einer Regierung, die unter der nationalen Rechtsprechung des Schuldnerlandes eingegangen werden, die aber dennoch auf eine andere Währung lauten (oder mit ihr verknüpft sind) als die nationale Währung des Landes.

Zentralbankschulden Üblicherweise zählen sie nicht zu den Regierungsschulden – trotz der Tatsache, dass sie eine implizite Regierungsgarantie enthalten. Zentralbanken emittieren eine solche Schuld üblicherweise, um Offenmarktgeschäfte zu fördern, einschließlich des Verkaufs von inländischen Wertpapieren zur Reduzierung der Geldmenge (»Sterilized Intervention«). Solche Schulden können entweder auf die nationale Landeswährung oder auf eine Fremdwährung lauten.

Auf jeden Fall sind Berichte über notleidende Kredite oft ausgesprochen ungenau, da die Banken ihre Probleme so lange wie möglich verheimlichen und Aufsichtsbehörden oft wegsehen.

Angesichts der eingeschränkten Datenverfügbarkeit definieren wir eine Bankenkrise nach zwei Arten von Ereignissen: (1) Bankruns, die zur Schließung, Fusion oder staatlichen Übernahme eines oder mehrerer Finanzinstitute führen (wie 1993 in Venezuela oder 2001 in Argentinien), und (2) bei Abwesenheit eines Bankruns: die Schließung, Fusion, Übernahme oder umfangreiche staatliche Unterstützung eines wichtigen Finanzinstituts (oder einer Gruppe von Instituten), die den Beginn einer Serie ähnlicher Ergebnisse für andere Finanzinstitutionen markiert (wie von 1996 bis 1997 in Thailand). Wir stützen uns dabei auf vorhandene Studien über Bankenkrisen und die Finanzpresse. In solchen Phasen ist die finanzielle Belastung meist extrem hoch.

Es gibt mehrere Hauptquellen für die länderübergreifende Datierung von Krisen. Für die Zeit nach 1970 sind die umfassenden und bekannten Untersuchungen von Caprio und Klingebiel maßgeblich – deren aktuellste Version die Jahre bis 2003 abdeckt –, vor allem in Bezug auf die Einteilung von Bankenkrisen in systemische versus ungefährlichere Kategorien. Kaminsky und Reinhart sowie Jácome (Letzerer für Lateinamerika) runden die Quellen ab.5 Darüber hinaus stützen wir uns auf zahlreiche länderspezifische Studien, die Bankkrisen behandeln, die in der Literatur, die mehrere Länder abdeckt, nicht berücksichtigt sind. Diese länderspezifischen Studien leisten einen wichtigen Beitrag zur Chronologie.6 Eine zusammenfassende Diskussion der Beschränkungen dieses ereignisbasierten Datierungsansatzes ist in Tabelle 1.2 abgebildet. Die Jahre, in denen die Bankenkrisen begannen, sind in den Anhängen A.3 und A.4 aufgeführt (bei den meisten frühen Krisen lässt sich die exakte Dauer nur schwer bestimmen).

Auslandsschuldenkrisen

Auslandsschuldenkrisen beinhalten Zahlungsausfälle auf die Auslandsschulden einer Regierung, das heißt den Zahlungsverzug gegenüber Gläubigern einer Schuld, die unter der Rechtsprechung eines anderen Landes emittiert wurde und die typischerweise (aber nicht immer) auf eine Fremdwährung lautet und deren Gläubiger typischerweise zum größten Teil Ausländer sind. Argentinien hält den Rekord für den größten Zahlungsausfall. Im Jahr 2001 konnte es mehr als 95 Milliarden Dollar an Auslandsschulden nicht begleichen. Im Fall von Argentinien wurde der Zahlungsausfall durch die Senkung und Streckung von Zinszahlungen gelöst. Gelegentlich weigern sich Länder unverhohlen, ihre Schulden zu bezahlen, wie im Fall von Mexiko im Jahr 1867, als sich die Juarez-Regierung weigerte, eine Schuld im Gegenwert von mehr als 100 Millionen Dollar zu begleichen, die Kaiser Maximilian emittiert hatte. Typischer ist jedoch eine Schuldenrestrukturierung zu für den Gläubiger ungünstigeren Bedingungen als im ursprünglichen Schuldenkontrakt vorgesehen (zum Beispiel Indiens wenig bekannte Auslandsschuldenrestrukturierungen in den Jahren 1959–1972).

Tabelle 1.2Krisen, definiert nach Ereignissen: eine Zusammenfassung

Krisentyp

Definition und/oder Kriterien

Anmerkungen

Bankenkrisen Typ I: systemisch (gravierend)

Typ II: finanzielle Bedrängnis (weniger gravierend)

Wir definieren eine Bankenkrise anhand von zwei Arten an Ereignissen: (1) Bankruns, die zur Schließung, Fusion oder Übernahme durch den Staat eines oder mehrerer Finanzinstitute führen, und (2) in Abwesenheit eines Bankruns: die Schließung, Fusion, Übernahme durch den Staat bzw. die umfangreiche staatliche Unterstützung eines wichtigen Finanzinstituts (oder einer Gruppe an Institutionen), die den Beginn einer Serie ähnlicher Ergebnisse für andere Finanzinstitute markiert.

Diese Datierung des Beginns einer Bankenkrise ist nicht ohne Schwächen. Sie könnte den Krisenbeginn zu spät ansetzen, weil die finanziellen Probleme üblicherweise schon lange vor der Schließung oder Fusion einer Bank beginnen. Sie könnte den Beginn auch zu früh datieren, da das Schlimmste erst noch folgen könnte.

Anders als bei Auslandsschuldenkrisen (siehe unten), deren Ende zeitlich gut definiert ist, ist eine genaue Bestimmung des Jahres, in dem die Krise endete, oft schwierig bis unmöglich.

Auslandsschuldenkrise

Ein Zahlungsausfall auf Auslandsschulden ist definiert als das Versäumnis einer Regierung, zum Stichtag (oder innerhalb der Fälligkeitsfrist) die Schuldenzinsen oder die fällige Rückzahlungsrate zu begleichen. Diese Episoden beinhalten Fälle, bei denen umgeschuldete Kredite zu für die Gläubiger ungünstigeren Bedingungen als im ursprünglichen Schuldenkontrakt vereinbart getilgt werden.

Wenngleich die Zeit des Zahlungsausfalls akkurat als ein Krisenjahr klassifiziert ist, erscheint der Zeitpunkt der abschließenden Lösungsvereinbarung mit den Gläubigern (wenn es jemals dazu kam) unbestimmt. Aus diesem Grund arbeiten wir auch mit einem Krisen-Dummy, das nur das erste Jahr betrachtet.

Inlandsschuldenkrise

Hier gilt dieselbe Definition wie für Auslandsschuldenkrisen. Darüber hinaus beinhaltet eine Inlandsschuldenkrise das Einfrieren von Bankeinlagen und/oder eine erzwungene Umwandlung solcher Einlagen von Dollar in die Landeswährung.

Bestenfalls existiert eine partielle Dokumentation jüngerer Zahlungsausfälle auf Inlandsstaatsschulden, die von Standard & Poor’s stammt. Historisch betrachtet lassen sich diese Episoden nur sehr schwer datieren, und oftmals (wie zum Beispiel bei Bankenkrisen) ist das Datum der abschließenden Lösung nicht genau zu bestimmen.

Auslandsschuldenkrisen haben in der wissenschaftlichen Literatur führender Wirtschaftshistoriker der Neuzeit, wie zum Beispiel Michael Bordo, Barry Eichengreen, Marc Flandreau, Peter Lindert, John Morton und Alan Taylor, eine erhebliche Aufmerksamkeit erhalten.7 In Bezug auf frühe Bankenkrisen (nicht zu erwähnen die Inlandsschuldenkrisen, die in der Literatur völlig ignoriert werden) ist viel über die Ursachen und die Konsequenzen dieser ziemlich dramatischen Ereignisse bekannt. Die Daten der staatlichen Zahlungsausfälle und Schuldenrestrukturierungen werden in Kapitel 6 aufgelistet und diskutiert. Für die Zeit nach 1824 stammt die Mehrheit der Daten aus mehreren Studien von Standard & Poor’s, die in den Datenanhängen genannt sind. Sie sind jedoch unvollständig, wobei zahlreiche Restrukturierungen der Nachkriegszeit sowie frühe Zahlungsausfälle unerwähnt bleiben, sodass diese Quellen durch zusätzliche Informationen ergänzt wurden.8

Wenngleich die Datierung der Auslandsschuldenkrisen im Großen und Ganzen klar definiert und weitaus weniger umstritten ist als – sagen wir – die Datierung der Bankenkrisen (deren Ende oft unklar ist), sind dennoch einige Ermessensentscheidungen nötig, wie wir in Kapitel 8