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Die Fortsetzung von Khalil Gibrans Kultbuch »Der Prophet« mit Illustrationen des Autors und einem Beitrag über das Werk Khalil Gibrans Kultbuch »Der Prophet« ist ein zeitloser Welterfolg, der in über 50 Sprachen übersetzt wurde. Es ist ein poetisches Meisterwerk voll tiefer Einsichten und Weisheit, ein Buch, das große Dichter und Denker, Musiker und Künstler, Politiker und Redner beeinflusst hat. Ursprünglich als Trilogie geplant, war Gibran vor seinem frühen Tod nur noch die Arbeit am zweiten Teil des Propheten vergönnt. Auch »Der Garten des Propheten« versprüht den Geist und die poetisch bilderreiche Sprache Gribans. Im Garten seiner Ahnen gibt der Prophet seinen Schülern Antwort auf die Fragen vom Sinn des Leids, von der Zeit, von Schönheit, Körper und Geist, von Gott und Göttlichkeit und auf die Frage des Seins.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Gibran Khalil Gibran
aionas
Der Garten des Propheten
Die Heimkehr
Vom Sinn des Leids
Aufbruch zum Garten
An die Völker
Von Träumen und Gedanken
Von Rückzug und Trennung
Von der Nacht
Von Körper und Geist
Von Hässlichkeit
Von der Zeit
Von Parasiten
Von Abbildern
Vom Alleinsein
Vom Leben der Dinge
Von Gott
Von Göttlichkeit
Von Nacktheit
Von Worten
Vom Sein
Abkehr seiner Schüler
Die Klage des Propheten
Abschied des Propheten
Vereinigung mit dem Nebel
Nachwort
Kurzbiografie
Fussnoten
Impressum
Gibran Khalil Gibran
Almustafa, der Auserwählte und Geliebte, der seiner Zeit ein Mittag war, kehrte im Monat Tischrin1, dem Monat des Gedenkens, auf die Insel seiner Geburt zurück. Während sein Schiff sich dem Hafen näherte, stand er auf dem Bug, und seine Seeleute umsäumten ihn. Und Heimkehr trug er in seinem Herzen.
Und er sprach, die See wogte in seiner Stimme mit, und er sagte: »Seht, die Insel unsres Ursprungs! Hier hat uns die Erde hervorgebracht, ein Lied und ein Rätsel; ein Lied für den Himmel, ein Rätsel für die Erde; und was gibt es andres zwischen Erde und Himmel, das das Lied tragen und das Rätsel lösen könnte, als unsre eigne Leidenschaft?
Einmal mehr trägt uns die See an diese Strände. Wir sind nichts als eine Welle unter ihren Wogen. Sie sendet uns aus, um ihre Botschaft zu verkünden. Doch gelingt uns dies nur, wenn wir das Ebenmaß unsrer Herzen an Fels und Sand zerschlagen?
Denn dies besagt das Gesetz der Seeleute und der See: Wenn ihr Freiheit wollt, müsst ihr zu Nebel werden. Das Formlose sucht stets nach der Form, so wie die zahllosen Nebel zu Sonnen und Monden werden; und wir, die wir nach vielem suchten und nun zu dieser Insel heimkehren als starre Formen, müssen erneut zu Nebel werden und vom Anfang lernen. Denn was ist darin, das leben und sich zu den Höhen aufschwingen soll, das sich nicht zuvor in Leidenschaft und Freiheit auflöste?
Wir werden stets auf der Suche nach den Küsten sein, dass wir singen können und erhört werden. Doch was ist mit der Woge, die bricht, wo kein Ohr es vernehmen wird? Es ist das Ungehörte in uns, das unsren tieferen Kummer nähert. Doch es ist auch das Ungehörte, das unsre Seele formt und unser Schicksal gestaltet.«
Da trat einer seiner Seeleute vor und sagte: »Meister, du hast unsre Sehnsucht nach diesem Hafen angeführt, und siehe, wir sind angekommen. Doch du sprichst von Kummer und von Herzen, die man zerbrechen soll.«
Und er antwortete ihm und sagte: »Sprach ich nicht von Freiheit und vom Nebel, der unsre größere Freiheit ist? Doch bewog mich auch Kummer, die Pilgerfahrt zur Insel meiner Geburt anzutreten, so wie der Geist eines Erschlagenen vor jenem niederkniet, der ihn erschlagen hat.«
Und ein anderer Seemann sprach und sagte: »Siehe, die Menschenscharen auf dem Damm. Im Stillen haben sie den Tag und die Stunde deines Kommens vorhergesehen, und sie haben sich von ihren Feldern und Weinbergen in liebendem Verlangen versammelt, um dich zu erwarten.«
Und Almustafa schaute weit über die Scharen hinweg, und sein Herz bemerkte ihr Sehnen, und er schwieg.
Da erhob sich ein Schrei aus der Menschenmenge, und es war ein Schrei des Erinnerns und Verlangens.
Und er wandte sich an seine Seeleute und sagte: »Was brachte ich ihnen denn? Ein Jäger war ich in fernem Land. Gezielt und kraftvoll schoss ich mit den goldnen Pfeilen, die sie mir gaben, doch brachte ich kein Federwild herunter. Nicht einmal die Pfeile holte ich zurück. Vielleicht fliegen sie der Sonne entgegen unter den Schwingen verletzter Adler, dass sie nicht auf die Erde fallen. Und vielleicht sind die Pfeile in die Hände deren gefallen, die ihrer bedurften für Brot und Wein.
Ich weiß nicht, wo sie ihren Flug verbrachten, doch ich weiß mit Sicherheit: Sie haben ihre Spuren am Himmel hinterlassen.
Dennoch ruht die Hand der Liebe weiter auf mir, und ihr, meine Seeleute, segelt weiter nach meiner Vision, und ich werde nicht verstummen.