Der große Ausverkauf - Franz Kotteder - E-Book

Der große Ausverkauf E-Book

Franz Kotteder

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Beschreibung

Sind Sie auch ein Handelshemmnis?

Die Buchpreisbindung – ein Handelshemmnis. Die Energiewende – ein Handelshemmnis. Der Mindestlohn – ein Handelshemmnis. Lebensmittelvorschriften – ein Handelshemmnis. Verbraucherschutz, Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte – lauter Handelshemmnisse. Geht es nach den großen Konzernen, werden solche Regeln künftig beseitigt. Demokratie nach Gutsherrenart, Profit um jeden Preis. Seit Jahren arbeiten Lobbyisten und Wirtschaftsvertreter daran, einen freien Markt ohne jede staatliche Regelung zu schaffen. Jetzt stehen sie kurz vor dem Ziel. Franz Kotteder schildert einen fast unglaublichen Wirtschaftsthriller, in dem es – weit über TTIP hinaus – um die schrankenlose Herrschaft des Geldes geht. Ein Aufdeckerbuch über die Ziele und Methoden der globalen Wirtschaftselite und ihrer Marionetten in Verbänden und Politik.

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Seitenzahl: 246

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Für die großen Konzerne sind zentrale Errungenschaften unserer Demokratie nur Kostenfaktoren, die sie am liebsten ersatzlos streichen würden. Seit Jahren arbeiten Lobbyisten und Wirtschaftsvertreter daran, einen freien Markt ohne jede staatliche Regelung zu schaffen. Staatslenkung nach Gutsherrenart, Profit um jeden Preis. Jetzt stehen sie kurz vor dem Ziel.

Franz Kotteder deckt die Ziele und Methoden der globalen Wirtschaftselite und ihrer Marionetten in Verbänden und Politik auf und gewährt verstörende Blicke hinter die Kulissen der TTIP-Geheimverhandlungen. Ein Wirtschaftsthriller über die schrankenlose Herrschaft des Geldes – weit über TTIP hinaus.

FRANZ KOTTEDER

DER GROSSE

AUSVERKAUF

Wie die Ideologie

des freien Handels unsere

Demokratie gefährdet

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Copyright © 2015 by Ludwig Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Lektorat: Thomas Bertram, Gelsenkirchen

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-15350-2V003

www.Ludwig-Verlag.de

Für Jakob und Nine

Inhalt

Der reinste Wirtschaftsthriller

»Freier Handel« klingt gut, aber inWahrheit geht es darum, wer künftig das Heft des Handelns in die Hand nimmt

Wenn Riesen verhandeln

Die Akteure im Spiel der Interessen:Warum die Wirtschaft schon bald keine Politiker mehr braucht

Brüsseler Spitzbuben

Lobbyisten gegen Verbraucher:Wie in Europas Entscheidungsgremien Einfluss ausgeübt und Politik gemacht wird

Der Masterplan der Hydra

Warum TTIP nur ein weiterer Meilenstein in einem neoliberalen Schreckensbild ist

Demokratie nach Gutsherrenart

Europas Bürger dürfen noch zurWahl gehen: Aber die wahren Entscheidungen fallen im Geheimen

Rechenkünstler bei der Arbeit

Wie uns die Herrschaft der Konzerne verkauft wird und was wirklich hinter den Versprechungen steckt

Unter Geiern

Kernproblem Investorenschutz:Wie eine unabhängige Justiz durch Geheimgerichte ersetzt wird

Von Vorsicht und Nachsicht

Beispiel Verbraucherschutz:Wenn hohe Standards zum Handelshemmnis werden, senkt man sie eben

Genfood durch die Hintertür

Beispiel Biotechnik und Patente: Wie die internationalen Marktführer in Europa doch noch zum Zug kommen wollen

Land Grabbing in Meckpomm

Beispiel Agrarindustrie und Fracking:Wie Landwirtschaft und Landschaft nach US-Vorbild umgestaltet werden

Wenn der Alltag teuer wird

Beispiel öffentliche Daseinsvorsorge: Früher vornehmste Staatsaufgabe, heute Hindernis für den Freihandel?

Wie Jobs sich wirklich auszahlen

Beispiel Arbeit: Sozialgesetze stören beim Geldverdienen – im freien Handel soll aber alles einfacher werden

Freie Hand für Zocker

Beispiel Kapitalmarkt:Warum die internationale Finanz- und Bankenwirtschaft TTIP unbedingt haben will

Höhere Werte oder Handelsware?

Beispiel Kunst und Kultur:Was vermeintlich geschützten Bereichen bald blühen könnte

Die wissen alles über uns

Beispiel Datenschutz:Wie die Privatsphäre Konzerninteressen geopfert wird

Wohin mit den Freihandelsabkommen?

Am besten in den Papierkorb und dann neu verhandeln nach den Grundregeln von Transparenz und Gemeinnutz

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Der reinste Wirtschaftsthriller

»Freier Handel« klingt gut, aber in Wahrheit geht es darum, wer künftig das Heft des Handelns in die Hand nimmt

Wie wird Deutschland, wie wird Europa in zehn Jahren aussehen? Wie wird unsere Demokratie beschaffen sein? Werden wir Deutschland, Europa und die Demokratie dann noch wiedererkennen?

Diese Fragen klingen sehr dramatisch, geradezu reißerisch. Eine Staatengemeinschaft, die einigermaßen heil durch die Finanzkrise gekommen ist, könnte doch zuversichtlich in die Zukunft blicken und auf ihre Stärke vertrauen. Die europäische Demokratie hat sich allen gewaltigen Problemen und Widrigkeiten zum Trotz als Staatsform bewährt und gezeigt, dass sie allen Angriffen standhalten kann.

Oder etwa nicht?

Man kann sich die Zukunft aber auch als Apokalypse vorstellen. In dieser Zukunft werden die Menschen überrascht werden von Milliardensummen an Schuldenzahlungen, die sie als Steuerzahler aufzubringen haben. Geheimtribunale haben das so beschlossen, Widerspruch ist unmöglich. Demokratische Regierungen haben lange genug immer kompliziertere Gesetze erfunden – damit ist nun Schluss, das Recht wird jetzt schnell und unkompliziert durchexerziert.

Ziel allen menschlichen Strebens ist nämlich die Steigerung der Unternehmensgewinne geworden. Dem hat sich alles andere unterzuordnen. Verbote von Waren, weil sie möglicherweise irgendjemandem schaden? Warum denn das? Solange nichts erwiesen ist, ist das doch nicht nötig! Vorsicht ist schön und gut, aber nicht, wenn sie Profite verhindert. Was man früher Verbraucherschutz nannte, ist nämlich nur ein Hindernis für eine florierende Wirtschaft. Ähnlich verhält es sich mit dem Datenschutz. Das alles kann doch schließlich auch der Markt regeln. Der will es sich mit seinen Kunden ja nicht verderben und wird deshalb nichts tun, was nicht auf Akzeptanz stößt. Und seien wir mal ehrlich: Rücken die Leute inzwischen nicht selbst privateste Daten freiwillig raus?

Dann ist da noch die Frage, ob es in der Wirtschaft wirklich solch frühsozialistischer Instrumente bedarf wie etwa Tarifverträge, die landesweit gelten. Eigentlich sind solche Vereinbarungen doch ungerecht: Den einen geben sie zu viel, den anderen zu wenig – je nachdem, wo man lebt. Viel sinnvoller wäre es doch, die Entlohnung am jeweiligen Standort von Arbeitgebern und Arbeitnehmern frei aushandeln zu lassen, das würde dem Unternehmen nützen und den Beschäftigten. Da muss man einfach nur dem freien Spiel der Kräfte vertrauen.

Das sollte man sowieso grundsätzlich tun, damit alles gut wird. Der Mensch muss nicht glauben, dass er immer alles besser weiß und alles regeln kann. Das macht der Markt schon selber. Qualität setzt sich letztlich immer durch.

Das ist auch in der Kultur so. Ist das kulturelle Leben in den USA etwa unterentwickelt im Vergleich zu den Verhältnissen hierzulande, auch wenn es dort kaum staatliche Subventionen gibt, kaum einmal ein städtisches Theater, keine Buchpreisbindung und keine Filmförderung? Na also!

Manch einer dürfte eine leichte Unruhe verspüren beim Lesen dieser Zeilen. Es handelt sich hier um die Argumentation von Marktliberalen – oder sollte man besser sagen: Marktradikalen? –, wie es sie in dieser reinen Form und vor allem in dieser Ballung nur selten gibt. Selbst der knochenhärteste Neoliberale würde wohl im wahren Leben vor einer derartigen Konsequenz zurückschrecken und zugestehen, dass gewisse Beschränkungen schon nötig sind.

Und doch stehen wir vor einer gewaltigen Umwälzung, an deren Ende der zügellose Markt stehen könnte. Einer Umwälzung, nach der unsere westlichen Demokratien nicht mehr dieselben sein werden. Freiheiten, die über Jahre und Jahrzehnte hinweg mühsam erkämpft werden mussten, könnten dann mit einem Schlag nichts mehr wert sein. Und das alles nur, weil ein paar hundert Wirtschaftsvertreter mit Brüsseler und Washingtoner Beamten und einer Handvoll Politiker ganz im Geheimen die größte Freihandelszone der Welt aus dem Boden stampfen und handstreichartig verwirklichen wollen. Nein: Eigentlich wollen sie sich die ganze Welt zur Beute machen.

Ein Weltstaatsstreich der Konzerne

Das klingt wie der Plot eines Wirtschaftsthrillers. Schlimmer noch: Es ist auch einer. Was unter dem Siegel »Transatlantic Trade and Investment Partnership«, abgekürzt TTIP oder gelegentlich auch TAFTA (für »Trans-Atlantic Free Trade Agreement«), beschlossen werden soll, ist weit mehr als ein Rahmenprogramm zur Abschaffung von Zöllen und Handelshindernissen zwischen Europa und den USA. Es ist ein Vertragswerk, das unser aller Leben grundlegend verändern könnte, wenn wir nicht aufpassen. Es ist Teil eines Weltstaatsstreichs der internationalen Wirtschaftsverbände und der großen Konzerne, man kann es nicht anders sagen. Ein Regelwerk soll geschaffen werden für den größten Wirtschaftsraum der Welt, in dem 820 Millionen Menschen leben, in dem nahezu die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts erwirtschaftet und ein Drittel des globalen Handels abgewickelt wird. Dieses Regelwerk soll vor allem der Wirtschaft dienen – und zwar noch weit mehr, als man das von einem Handelsabkommen vernünftigerweise erwarten dürfte.

Das transatlantische Freihandelsabkommen ist Teil eines Geflechts von Verträgen, die alle ein und dasselbe Ziel verfolgen: die Umsetzung einer neoliberalen Agenda, welche die Wirtschaft weltweit von all den Schikanen befreien will, die sich Regierungen so einfallen lassen, um Unternehmen vom ungestörten Handel abzuhalten. Dazu gehört das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada, in gewisser Weise eine Vorwegnahme von TTIP, weil darin viele Maßnahmen wie im Testlauf erprobt werden. Ebenso das Abkommen TiSA, still und heimlich zwischen 50 Nationen ausgehandelt, das sich mit dem riesigen Markt der Dienstleistungen befasst. Und schließlich das transpazifische Abkommen TTP, mit dem die USA den asiatischen Markt aufrollen und den Chinesen Paroli bieten wollen.

Möglicherweise können unsere Demokratien schon in wenigen Jahren keine Gesetze mehr verabschieden, die Umweltverschmutzung verhindern oder soziale Mindeststandards festschreiben. Es könnte dann nämlich sein, dass große Unternehmen sich dadurch eingeschränkt fühlen in ihren Möglichkeiten. Sie könnten dann mit privaten Anwälten besetzte, geheime Schiedsgerichte anrufen und Schadensersatz in Milliardenhöhe erwirken.

Das klingt ziemlich undemokratisch und gar nicht nach unabhängiger Justiz. Aber genau das droht Wirklichkeit zu werden. Dieses zutiefst undemokratische Vorhaben trägt den harmlos scheinenden Titel »Streitschlichtungsverfahren«.

Es könnte zum Beispiel angewendet werden, wenn die Europäische Union oder auch nur einzelne Mitgliedsstaaten weiterhin der Ansicht sind, sie müssten besonders darauf achten, welche Art von Lebensmitteln auf ihrem Gebiet verkauft werden darf. Sie wollen zum Beispiel keine Nahrung haben oder nicht einmal Saatgut, zu deren Entstehung Gentechnik beigetragen hat. Oder sie wollen nicht, dass Fleisch mithilfe von Chemie konserviert und verschönert wird oder dass in ihren Lebensmitteln Nanotechnologie zum Einsatz kommt. Möglicherweise bestehen sie auch einfach nur auf ihrem Reinheitsgebot für Bier, das es in manchen Regionen seit vielen hundert Jahren gibt.

All das wird sich dann aber möglicherweise nicht mehr halten lassen. Weil sich die Regulierer diesseits und jenseits des Atlantiks nämlich darauf geeinigt haben, dass man dafür keine Regeln mehr brauche und der Markt sich ganz von allein darum kümmere.

Das ist die Übersetzung dessen, was die politischen Amtsträger und die Interessenvertreter der großen Unternehmen »Freihandel« nennen, wenn sie für die Öffentlichkeit sprechen. Warum aber sollten sich die Regierenden in den Demokratien der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union eigentlich in so vielen Bereichen das Heft aus der Hand nehmen lassen? Warum sollten sie ein solches Schreckensszenario wie das eben skizzierte eigentlich zulassen? Nur, um sagen zu können, es gehe darum, Arbeitsplätze zu schaffen, und den Unternehmen zu ermöglichen, Gewinne zu generieren?

Der Sinn von Freihandelsabkommen

Dies ist das eigentliche Ziel von Freihandelsabkommen. Es geht um den »Abbau von Zöllen«, aber auch um »nicht-tarifäre Handelshemmnisse«, um die »Harmonisierung« der Regelungen in beiden Wirtschaftsräumen. Angleichung und Vereinfachung lautet die Devise, und dagegen ist ja wenig einzuwenden.

Früher, vor der Erfindung des Neoliberalismus und der Globalisierung, richteten die Staaten untereinander allerlei Hürden auf, um ihre heimischen Produkte vor der Konkurrenz aus dem Ausland zu schützen. Zölle wurden eingeführt, zum Teil in beträchtlicher Höhe. Um die europäische Landwirtschaft vor Dumpingpreisen im Agrarhandel zu bewahren, hatte die EU zeitweise sogar Einfuhrzölle von mehr als 200 Prozent. Unterhalb von Zöllen gibt es eine Fülle weiterer Maßnahmen zum Schutz einheimischer Produkte. Das sind dann die sogenannten »nicht-tarifären Handelshemmnisse«, zum Beispiel die mengenmäßige Beschränkung von Einfuhren – bis Ende 2008 etwa durfte China nur eine bestimmte Menge T-Shirts in die EU einführen, um die hier ohnehin schon darniederliegende Textilindustrie nicht ganz kaputt zu machen. Aber es gibt noch viele weitere Beschränkungen, angefangen bei den Namensrechten, wonach etwa Champagner nur aus der Champagne oder Nürnberger Rostbratwürste nur aus Nürnberg kommen dürfen, bis hin zu Sicherheitsstandards, Umweltschutz- und Arbeitsgesetzen oder Regelungen zum Schutz der sozialen Sicherheit. Genau genommen gibt es wenige Gesetze und Verordnungen, bei denen man sich hundertprozentig sicher sein kann, dass sie keine oder kaum Auswirkungen auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen haben. Vielleicht noch die kommunale Hundesteuer. Auch wenn sich die Tierfutterproduzenten da auf den Standpunkt stellen könnten, die stelle ein Hemmnis bei der Anschaffung von Haustieren dar und mindere somit auch den Umsatz mit Tierfutter.

So weit, so absurd. Aber diejenigen, die das transatlantische Freihandelsabkommen unbedingt wollen, haben natürlich auch ein paar sehr einleuchtende Argumente. Ist es nicht wirklich unsinnig, dass Schuhe aus Europa in den USA mit einem Einfuhrzoll von 56 Prozent belegt werden? Und Bekleidung generell mit 32 Prozent, andere Arten von Textilien gar mit 42 Prozent? Und dass für Chemikalien, Medizinartikel und Transportausrüstungen auf beiden Seiten des Atlantiks immer noch relativ hohe Zölle zu bezahlen sind? Oder dass die Blinker von Autos in Europa orange blinken, in den USA aber rot, und dass – auch deshalb – für den jeweils anderen Markt verschiedene Versionen gebaut werden müssen? Dass bereits ausgiebig getestete Pharmazeutika, die ein umständliches Genehmigungsverfahren in den USA durchlaufen haben, in der EU noch einmal völlig neu genehmigt werden müssen, mit einem ebenso umständlichen und umfänglichen Prüfungsverfahren?

Vieles davon ist schlicht unnötig und überflüssig und verteuert die Waren lediglich, ohne dass irgendjemand einen größeren Nutzen davon hat.

Aber ist es wirklich nötig, wegen solcher Einzelfälle über Jahre hinweg unter größter Geheimhaltung ein Vertragswerk auszuhandeln, das multinationalen Konzernen umfangreiche Sonderrechte gegenüber demokratischen Staaten einräumt, das die Grundlagen der Verbraucherpolitik hier wie dort infrage stellt und wichtige staatliche Entscheidungsrechte heimlich kassiert? Man könnte natürlich auch einfach die 56-Prozent-Zölle auf Schuhwerk abschaffen, eine einheitliche Blinkerfarbe festsetzen und die Sicherheitsprüfungen wechselseitig anerkennen – und alles wäre gut. Dazu muss man eigentlich nicht gleich die Welt in ihren Grundfesten erschüttern.

Die wahren Absichten derVerhandler

Aber man ahnt es schon: Es geht natürlich um etwas anderes.

Es geht darum, mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen im größten Wirtschaftsraum der Welt die globalen Standards für die Zukunft zu setzen und beispielsweise der mittlerweile größten Wirtschaftsmacht, China, Einhalt zu gebieten. Es geht darum, die Regeln zu bestimmen, nach denen gehandelt werden kann. Deshalb ist es wichtig, dass es schnell geht. Und deshalb nimmt man auch gerne Kollateralschäden an der Demokratie in Kauf.

Die aber gibt es zwangsläufig, wenn man globale Standards mit einer immer noch weiter reichenden Liberalisierung der Märkte erreichen will. Denn die Interessen der Bevölkerung eines Staates sind oft nicht die Interessen der Unternehmen. Und Regeln, die Regierungen aufstellen, sind manchmal recht hinderlich beim Handel. Die Wirtschaft möchte gern Regeln, die wenig stören bei der Arbeit.

Die Ziele von Freihandelsabkommen sind in den vergangenen Jahrzehnten immer anspruchsvoller geworden. War man vor 50 Jahren noch damit zufrieden, Schutzzölle zwischen den Ländern in ihrer Höhe zu begrenzen oder gleich ganz abzuschaffen, so stehen heute viele kleine Details auf der Wunschliste.

Die finden sich dann beispielsweise auch bei den Verhandlungsmandaten der EU für das transatlantische Abkommen, für TiSA, CETA und so weiter. Das TTIP-Verhandlungsmandat ist an die Öffentlichkeit gelangt, obwohl es von der EU-Kommission eigentlich als geheim eingestuft worden ist. Man fragt sich allerdings, warum: Denn es enthält im Grunde die üblichen Forderungen großer Wirtschaftsverbände, wie sie nur allzu gern von den Regierungen übernommen werden. Klar ist: Handel und Investitionen zwischen den Staaten sollen so leicht wie nur möglich gemacht werden, »unnötige Regulierungsschranken« sollen verschwinden, neue Regelungen sollen verhindern, dass derartige Schranken einfach wieder errichtet werden – wie es einer neu gewählten Regierung gerade so passt.

Natürlich steckt der Teufel im Detail. Zölle sind ja längst nicht mehr das große Problem. Jetzt geht es um die »Handelsbarrieren hinter den Zollgrenzen«, die eingerissen werden sollen: Rechtsvorschriften, die Einfuhren erschweren, Gesundheits- und Sicherheitsstandards, die eingehalten werden müssen, wenn man seine Waren oder Dienstleistungen im Ausland an den Kunden bringen will, oder auch Umweltschutzrichtlinien. Auch die sogenannte »Dienstleistungsfreiheit« wird eine Rolle spielen. Das bedeutet nichts anderes, als dass öffentliche Dienstleistungen künftig nach Möglichkeit privatisiert werden sollen – zum Beispiel die Wasserversorgung, die Müllabfuhr und andere Dienste, die bisher noch vielerorts von kommunalen Stadtwerken geleistet werden. Eigentlich sollen nur wenige hoheitliche Aufgaben, wie Polizei und Armee, beim Staat verbleiben. So stellen sich Marktradikale das jedenfalls vor.

Verhandelt wird auch über die »Kapitalverkehrsfreiheit«, womit gemeint ist, dass die Staaten sich möglichst nicht mit Regelungen in die Finanzwirtschaft einmischen sollen. Darunter fallen eine Finanztransaktionssteuer, Einschränkungen für die Banken oder auch das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen – also etwa der Verkauf von Aktien, die man noch gar nicht besitzt und auf die man auch keinen Anspruch hat. Derlei Regelungen werden in Europa besonders von Großbritannien mit seinem Finanzzentrum London bekämpft und sollen nun mittels TTIP endgültig verhindert werden.

Der Staat soll weichen

Es wird im Freihandelsabkommen aber auch um Subventionsverbote gehen: Staaten sollen künftig nicht mehr einzelne Wirtschaftssegmente finanziell stützen, etwa Kulturbetriebe wie Theater oder Filmproduktionen. Zwar hat Frankreich bei TTIP ein Veto eingelegt, und deshalb wird der Bereich der »audiovisuellen Medien«, sprich: die Filmwirtschaft, erst einmal ausgespart. Aber hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Eine Rolle werden darüber hinaus auch die Patentrechte und der »Schutz des geistigen Eigentums« spielen. Dabei geht es allerdings weniger um künstlerische Erzeugnisse, etwa das Recht von Schriftstellern, Musikern oder Malern an dem von ihnen geschaffenen Werk, sondern vor allem um die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschungen, die sich wirtschaftlich verwerten lassen. Es handelt sich um die Patentrechte auf dem Gebiet der Medizin, der Pharmazie oder auch der Genforschung, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das führt bis zum Patent auf Leben und zu der Frage, ob es möglich sein soll, Pflanzen und Tiere als Patent anzumelden, wenn einzelne Gene verändert wurden.

Einer der größten Brocken aber ist das Investitionsrecht, das mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben werden soll. Im Wesentlichen heißt das: Firmen, die Geld im Ausland investieren, sollen sich dieser Investitionen und vor allem der Gewinne daraus sicher sein. Der betreffende Staat soll nicht die Möglichkeit haben, ihnen Nachteile aufzubürden. Nach allem, was bisher bekannt geworden ist, sollen international tätige Unternehmen in weiten Bereichen geschützt werden vor Eingriffen des Staates und vor Gesetzen, die sich finanziell nachteilig für sie auswirken könnten. Begnügte man sich früher damit, Firmen im Falle einer Enteignung oder einer Verstaatlichung zu entschädigen, so soll es in Zukunft auch möglich sein, gegen »entgangene Gewinne« zu klagen, wenn beispielsweise ein neues Sozial- oder Umweltgesetz die Produktion einer Firma behindert und deren Profite schmälert. Dagegen kann die Firma aus dem Ausland dann künftig klagen, um Schadensersatz in Form von Steuergeldern zu bekommen. Sie muss das nicht vor einem nationalen Gericht tun, sondern kann vor ein Schiedsgericht in Washington ziehen, das nach einem sehr vereinfachten Verfahren entscheidet und eine Art Paralleluniversum des Rechts darstellt.

Freier Handel schränkt die Handlungsfreiheit ein

Das alles klingt nach einer süßen Träumerei von Wirtschaftsliberalen und Marktradikalen. Diese Träumerei würde freilich Wirklichkeit werden, wenn sich die Strategen hinter dem transatlantischen Handelsabkommen durchsetzen, und danach sieht es aus. Unabhängig davon, was man von dieser Ideologie des Marktes hält und ob man sie als Segen für die Menschheit betrachtet oder nicht, ist eines klar: Die globalen Standards, die durch das TTIP-Abkommen und andere vergleichbare Verträge geschaffen werden sollen, kollidieren mit demokratischen Grundprinzipien und der Gestaltungsfreiheit von demokratisch gewählten Regierungen auf beinahe allen Ebenen.

Man kann es auch so formulieren: Ausgerechnet der freie Handel wird die Handlungsfreiheit von Völkern und Regierungen erheblich einschränken.

Bisher ist das noch nicht ganz so, auch wenn viele Regierungen und die Vertreter der internationalen Wirtschaftsverbände sich seit 20 Jahren darum bemühen. Man kommt einfach nicht so recht voran, nicht in der Welthandelsorganisation und auch nicht in anderen übernationalen Gremien. Viele nationale Regierungen, insbesondere die der Schwellen- und Entwicklungsländer, wollen auf Mitsprache- und Einspruchsrechte nicht verzichten, wenn es um globale Standards in Sachen Ernährung, Landwirtschaft, Gesundheit, Umwelt und Investitionen auf ihrem Territorium geht.

Weil das so ist, gehen die führenden Wirtschaftsnationen einen Umweg und schneidern einen Flickenteppich aus lauter einzelnen Handelsabkommen. Zusammen ergeben diese dann wiederum einen weltweiten Standard – vor allem, wenn es gelingt, in all diesen Verträgen einheitliche oder zumindest doch vergleichbare Regelungen unterzubringen. Trotz mancher Rückschläge ist man hier schon sehr weit vorangekommen.

Freihandelsabkommen, die hauptsächlich dem Abbau von Einfuhrzöllen dienen, gibt es schon seit Längerem. Insgesamt beläuft sich ihre Zahl nach Angaben der Welthandelsorganisation inzwischen auf gut 300. Allein die Bundesrepublik Deutschland hat etwa 100 solcher Abkommen geschlossen, dabei sind die Länder der EU schon mit eingerechnet.

Die Flickenteppich-Strategie erklärt auch, warum es beim transatlantischen Freihandelsabkommen in Wirklichkeit gar nicht um amerikanische und europäische Blinklichter und teure Export-Schuhe geht und warum dieses Abkommen beispielsweise die Einsetzung von Investitionsschiedsgerichten vorsieht, die auf den ersten Blick völlig absurd erscheinen. Weil es eben um viel mehr geht als um die Anpassung von Regelungen an die Wirklichkeit. Es geht darum, wer künftig in der Weltwirtschaft das Sagen hat: die Politik oder die großen Konzerne.

Im Grunde hat das der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Juni 2013 schon zum Auftakt der Verhandlungen recht deutlich ausgesprochen, als er sagte: »Das derzeitige Wirtschaftsklima zwingt uns, unsere Kräfte zu bündeln und mit weniger Aufwand mehr zu erreichen. Und, was noch wichtiger ist, wir müssen unsere Rolle als starke Global Player behalten, die die Standards und die Regeln für das 21. Jahrhundert festlegen.«1

Das TTIP und seine »Schwester«-Abkommen sollen also als neue Blaupause für die Regeln des internationalen Handels dienen. Und wenn die beiden großen Wirtschaftsblöcke sich erst einmal auf ein gemeinsames Regelwerk geeinigt haben, dann dürfte es bald weltweit gültig sein.

Natürlich geschieht das alles wieder einmal nur zu unserem Besten. So lautet jedenfalls die Botschaft. Aber sie kommt von falschen Freunden, die uns vorgaukeln, sie wollten den allgemeinen Wohlstand sichern und Arbeitsplätze schaffen. Wofür sie offenbar große Gefahren für die westlichen Demokratien in Kauf nehmen, ja sogar bereit sind, die Demokratie in erheblichem Umfang handlungsunfähig zu machen, weil die Folgen des Handelns irgendwann unbezahlbar werden könnten. Denn wenn jede politische Entscheidung zu milliardenschweren Schadensersatzzahlungen führen kann, trauen sich Regierungen bald gar nichts mehr. Die Folgen des Regierungshandelns würden dann irgendwann unbezahlbar. Die falschen Freunde aber haben ihre ganz eigenen Interessen, die sie nicht verfolgen können, wenn wir sie nicht gewähren lassen. Und wir haben eine Fülle von Gründen, warum wir uns nicht blenden lassen und warum wir sie nicht gewähren lassen sollten.

Die Diktatur der falschen Freunde

Wer aber sind die falschen Freunde? Die Antwort ist gar nicht so einfach. Die einen sagen: Es sind die bösen Amerikaner, die den guten Europäern ihren Willen aufzwingen wollen – heimlich, still und leise, sodass sie es nicht merken. Andere sagen: Es sind die Europäer und die Amerikaner, die ihren westlichen Lebensstil allen anderen aufoktroyieren wollen und den gut verkäuflichen Einheitsbrei in allen Lebensbereichen durchsetzen wollen, ohne Rücksicht auf regionale Traditionen und althergebrachte Gewohnheiten. Wieder andere sagen, hinter TTIP stünden die Interessen des Großkapitals, das die Herrschaft der Mega-Konzerne durchsetzen wolle. Nicht nur das gesamte Wirtschaftsleben soll kontrolliert werden, sondern am besten auch gleich noch das politische System und die Vertreter der diversen Parteien, damit Letztere nach der ökonomischen Pfeife tanzen. Das Freihandelsabkommen ist in dieser Sichtweise nichts anderes als das letztes Mosaiksteinchen in einer Art Diktatur der multinationalen Konzerne.

Alle diese Sichtweisen setzen – man ahnt es – auf grobe Vereinfachungen. Aber ganz so grob und einfach ist die Wirklichkeit dann doch nicht.

Die falschen Freunde, die gibt es. Aber es sind nicht die bösen Amerikaner auf der anderen Seite des Atlantiks, es sind nicht die Über-einen-Kamm-Scherer und Gleichmacher in den politischen Machtzentren der Europäischen Union, es sind nicht irgendwelche finsteren Weltverschwörer und auch nicht überlebensgroße Industriemagnaten in fernen Konzernzentralen, welche die Weltherrschaft an sich reißen wollen, um uns noch schlechtere und sinnlosere Produkte verkaufen zu können, als sie es ohnehin schon tun.

Die falschen Freunde sind jene, die aus den unterschiedlichsten Gründen, und sei es nur aus Naivität, einer verhängnisvollen Ideologie anhängen. Der Ideologie nämlich, dass das Wirtschaftswachstum allein schon ein Wert an sich ist, dass ein zu erwartender hoher Profit beinahe jede Aktion rechtfertige. In ihrer abgemilderten Form kommt diese Ideologie mit dem Argument daher, sie sei die einzige, die Arbeitsplätze schaffe, und schon deshalb »alternativlos«.

Es sind sehr einfache Rezepte, die uns die falschen Freunde da präsentieren. Scheinbar jeder kann sie verstehen und nachvollziehen: Wachstum schafft Profite, und Profite schaffen Arbeitsplätze. Das ist so ungefähr die primitivste Grundregel des Wirtschaftslebens. Völlig falsch ist sie nicht. Auch wenn man inzwischen in den Chefetagen ganz versiert darin ist, gute Profite mit immer weniger Arbeitsplätzen zu erwirtschaften.

Das Problem beginnt dort, wo sich alles andere dem Primat der Wirtschaft unterzuordnen hat. Wenn es nämlich egal ist, wie wir arbeiten, um zu überleben, und wenn es egal ist, was wir essen und was wir trinken, und wenn nur noch zählt, was wir zum Wachstum der Unternehmen beitragen, mit denen wir in unserem Leben auf die eine oder andere Art zu tun haben. Wir haben diesen Weg längst eingeschlagen, und wir sind auf diesem Weg schon ziemlich weit gekommen. Am Ende aber steht eine mehr oder minder sanfte, dabei aber alle Lebensbereiche umfassende Diktatur der Wirtschaft.

Wenn Riesen verhandeln

Die Akteure im Spiel der Interessen:Warum dieWirtschaft schon bald keine Politiker mehr braucht

Ungefähr 300 verschiedene Freihandelsabkommen sind bei der Welthandelsorganisation WTO registriert, meist solche zwischen Industrienationen und kleinen Entwicklungsländern, von denen angeblich beide Seiten profitieren. Sie sollen den unkomplizierten Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Ländern ermöglichen, Zölle ganz abschaffen und Investoren in mindestens eines der beteiligten Länder locken. Wenn es billige T-Shirts und Blusen aus Bangladesch in deutschen Geschäften gibt, preiswerte Kameras aus Japan und günstige Flachbildschirme aus Südkorea, und wenn Deutschland unter den größten Exportnationen eine Führungsposition einnimmt, dann liegt das am freien Handel und an entsprechenden Abkommen.

Zwischen den USA und der Europäischen Union, die zusammen die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts erwirtschaften, gibt es allerdings bis heute kein einziges Freihandelsabkommen. Und das, obwohl 17 Prozent aller EU-Exporte in die USA fließen und umgekehrt sogar 19 Prozent aller US-Exporte nach Europa.

Das ist zwar schon recht beachtlich, doch die Wirtschaft ist der Ansicht, dass da noch mehr herauszuholen ist. Wenn zum Beispiel die deutsche Automobilwirtschaft nicht mehr jedes Jahr eine Milliarde Euro an Zöllen an die USA überweisen muss. So ist es nicht weiter erstaunlich, dass über kurz oder lang auch die Politik auf den Freihandelszug aufsprang.

Erste Pläne für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum gab es bereits kurz nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Ostblocks, und darüber verhandelt wurde auch bereits. Damals noch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Die Gespräche scheiterten zunächst im Jahr 2008, als alle Welt mit der Finanzkrise beschäftigt war. Die wiederum führte zum stärksten Rückgang des Warenhandels seit 1950: Von 2008 auf 2009 sank der Anteil der Warenexporte am weltweiten Bruttosozialprodukt um zehn Prozent. Da waren neue Impulse zur Steigerung der Exporte gefragt.

Irgendwann gegen Ende 2010 taten sich drei Präsidenten zusammen, um abermals zu versuchen, ein transatlantisches Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen: Barack Obama (US-Präsident), Herman Van Rompuy (EU-Ratspräsident) und José Manuel Barroso (EU-Kommissionspräsident). Sie setzten die »EU-US-High-Level Working Group on Jobs and Growth« (HLWG) ein, eine internationale Expertenkommission, die von 2011 an untersuchen sollte, wie die USA und die Europäische Union in Zukunft gemeinsam Arbeitsplätze und Wachstum schaffen könnten.

In ihrem Abschlussbericht vom Februar 2013 kam diese Kommission zu dem Ergebnis, dass eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, sprich: ein Freihandelsabkommen, der Erreichung dieser Ziele förderlich wäre. Bei den Experten handelte es sich freilich nicht um unabhängige Wissenschaftler (oder bestenfalls nur zum geringen Teil) und auch nicht um Vertreter kleiner oder mittelständischer Betriebe, die meist ohnehin lokal oder regional operieren und deshalb kaum Vorteile von einem internationalen Abkommen haben. Vielmehr waren die Mitglieder der Arbeitsgruppe fast ausschließlich Interessenvertreter von Automobilkonzernen, Bankenvereinigungen und Industrieverbänden, wie der US-Handelskammer und dem europäischen Unternehmerverband. Den Vorsitz hatten zwar der EU-Handelskommissar Karel De Gucht und der damalige US-Außenhandelsbeauftragte Ron Kirk inne, doch darüber hinaus scheint es sich um eine Arbeitsgruppe ohne namentlich bekannte Mitglieder und um einen Abschlussbericht ohne Autoren zu handeln. Zumindest sind deren Namen nicht öffentlich bekanntgegeben worden. Nach Aussagen der EU-Kommission gibt es keine Mitgliederliste und kein Dokument, in dem die Autoren verzeichnet sind. Der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) wurden weitere Auskünfte mit dem Hinweis verweigert, die fraglichen Angaben fielen nicht unter die Regelungen zur Informationsfreiheit der Europäischen Union, deshalb dürfe man keine Auskunft geben. Trotzdem hat CEO einiges herausgefunden. Zum Beispiel, dass an den Vorbereitungstreffen zahlreiche Lobbyorganisationen teilgenommen haben: der europäische Arbeitgeber-Dachverband BusinessEurope, die neoliberale Denkfabrik Bertelsmann-Stiftung, das Transatlantic Policy Network, der Atlantic Council und der Transatlantic Business Dialogue (TABD) – allesamt Einrichtungen, die der Industrie mehr als nahestehen und deren Interessen sehr offensiv vertreten.

Insgesamt 130 Gesprächsrunden gab es in dieser »High-Level«-Arbeitsgruppe, nur elf davon mit Vertretern von Verbraucherschutzorganisationen, die anderen 119 fanden mit Industrieverbänden statt. Auch das wurde erst im Oktober 2013 bekannt, nachdem die New York Times geheime Dokumente veröffentlicht hatte und befand: »Das lässt einen Einblick zu, in welchem Ausmaß die europäischen Verhandlungsführer es den Lobbyisten der Großindustrie gestatten, die Agenda zu bestimmen.«2

Die Arbeitsgruppe entwarf ein klar neoliberales Programm mit einer breiten Palette an anzustrebenden Handelsliberalisierungen, von den Agrarmärkten bis zur Pharmaindustrie, von den internationalen Finanzmärkten bis hin zur Vorzugsbehandlung für Investoren. Überraschend ist das nicht, schließlich bestand die HLWG nicht aus Vertretern von Gewerkschaften, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Gruppen der sogenannten Zivilgesellschaft, sondern aus Wirtschaftsvertretern – auch wenn man bis heute nicht genau weiß, aus welchen. Und schließlich geht es ja auch nicht um ein Klimaschutzabkommen, sondern um eine Vereinbarung, die dem Handel nützen soll. Die stärkere Einbindung konkurrierender Interessen war offenbar von Anfang an nicht beabsichtigt.

Am 12. Februar 2013 kündigte US-Präsident Barack Obama in seiner Rede zur Lage der Nation jedenfalls an, die Vereinigten Staaten verhandelten mit der EU nun über ein transatlantisches Freihandelsabkommen, das neuen Wohlstand und mehr Arbeitsplätze verspreche.

Klare Interessen: Die erste Seite des Abschlussberichts der »EU-US-High-Level Working Group on Jobs and Growth«, die Vorgaben liefern sollte für die anstehenden TTIP-Verhandlungen. Sie bestand zum großen Teil aus Experten der freien Wirtschaft.

Geräuschlos und zügig: Die Agenda für TTIP