DER HALSABSCHNEIDER - Bill Knox - E-Book

DER HALSABSCHNEIDER E-Book

Bill Knox

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

In Glasgow machen sich verbrecherische Geldverleiher breit. Als ein bedrängter Schuldner in seiner Not einen Geldeintreiber erschießt, fordert der Richter, dass die Polizei die Drahtzieher unschädlich macht. Chefinspektor Thane findet bald heraus, dass er es mit einem gefährlichen Gegner zu tun hat, der sachdienliche Mitteilungen an die Polizei mit dem Tode bestraft... "Keiner schreibt heutzutage bessere Kriminalromane als Bill Knox!" - New York Herald Tribune Der Roman DER HALSABSCHNEIDER von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1969; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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BILL KNOX

 

 

Der Halsabschneider

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 162

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DER HALSABSCHNEIDER 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

In Glasgow machen sich verbrecherische Geldverleiher breit. Als ein bedrängter Schuldner in seiner Not einen Geldeintreiber erschießt, fordert der Richter, dass die Polizei die Drahtzieher unschädlich macht.

Chefinspektor Thane findet bald heraus, dass er es mit einem gefährlichen Gegner zu tun hat, der sachdienliche Mitteilungen an die Polizei mit dem Tode bestraft...

 

»Keiner schreibt heutzutage bessere Kriminalromane als Bill Knox!«

- New York Herald Tribune

 

Der Roman Der Halsabschneider von Bill Knox (* 1928 in Glasgow; † März 1999) erschien erstmals im Jahr 1969; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DER HALSABSCHNEIDER

 

 

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war an einem Montag Mitte Januar. Der graue Nachmittagshimmel und ein schneidender Nordostwind verhießen Schnee. Bald würde die Dunkelheit hereinbrechen. Am Ufer des Clyde flammten bereits die ersten Straßenlaternen auf. Auch in dem griechisch anmutenden Justizgebäude brannte Licht; ein sicheres Anzeichen, dass das Schwurgericht tagte.

Der Mann auf der Anklagebank im nördlichen Sitzungssaal trug einen fadenscheinigen, aber ordentlich gebügelten blauen Anzug. Sorgfältig hatte er die Hosenbeine in die Höhe gezogen, um die scharfe Bügelfalte zu schonen, bevor er zwischen den beiden Polizeibeamten Platz genommen hatte. Die Sitze der Geschworenen waren leer.

Andrew Fergan hatte sich des Mordes schuldig bekannt. Der Staatsanwalt benötigte kaum mehr als ein Dutzend Worte, um den Strafantrag zu stellen. Fergans Verteidiger wirkte verlegen. Er übertraf den Staatsanwalt noch an Kürze und erklärte, sein Mandant wünsche nichts zu seiner Entlastung vorzubringen.

Alles Weitere lag nun bei Lord Mains. Tiefe Stille herrschte in dem großen, kalten Gerichtssaal. Sie wurde nur unterbrochen vom Rascheln der Akten, die der Richter studierte – eine verhutzelte Gestalt in weiß-roter Robe, die sich von der dunklen Mahagonitäfelung lebhaft abhob.

»Eine langweilige Angelegenheit für jeden, der gern eine interessante Verhandlung erlebt«, murmelte der Pathologe, der in der ersten, für offizielle Besucher reservierten Reihe saß und die Hände tief in den Taschen vergraben hatte. »Ein Glück, dass die Leute keinen Eintritt zahlen mussten – sie hätten ihr Geld bestimmt zurückverlangt.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Angeklagten. »Der Fall wurde von Ihnen bearbeitet?«

»Von meiner Dienststelle. Ich selbst habe mich nur flüchtig damit beschäftigt.« Kriminalinspektor Colin Thane, Chef der Kriminalaußenstelle Glasgow-Millside, beugte sich leicht vor. »Er hat es uns nicht schwergemacht.«

»Das hörte ich.« Der Pathologe wollte das Gespräch fortsetzen, doch als er Thanes Gesicht sah, murmelte er nur noch: »Die Verhandlung wird nicht lange dauern.«

Thane nickte. Man konnte Andrew Fergan gewiss nicht vorwerfen, die Zeit des Gerichts über Gebühr zu beanspruchen. Erst vor drei Minuten hatte man den einunddreißigjährigen mittelgroßen Mann mit dem dunklen, schütteren Haar in den Gerichtssaal geführt.

Die Anklage war vom Urkundsbeamten verlesen worden: »...dass Sie auf öffentlichem Verkehrsgrund vor der Bar »Turkish Ravern, Glasgow, King Street, einen geladenen Revolver auf John Laverick richteten und diesen mit drei Schüssen aus besagter Waffe töteten.«

Andrew Fergan hatte bei Verlesung der Anklage nur flüchtiges Interesse gezeigt.

Colin Thane griff unbewusst in die Tasche seines Jacketts und tastete nach dem Brief, der mit der Morgenpost eingetroffen war. Seine Lippen wurden schmal. Dieser Brief wäre jederzeit eine Versuchung gewesen – an diesem Tag aber schien er ein Geschenk des Himmels zu sein.

Lord Mains legte die letzten Papiere beiseite, lehnte sich zurück und räusperte sich. »Andrew Fergan.«

Fergan erhielt von dem neben ihm sitzenden Wachtmeister einen sanften Rippenstoß und erhob sich. Er stützte sich lässig auf die Barriere, von der die Anklagebank eingezäunt wurde.

»Fergan, Sie haben sich des Mordes schuldig bekannt. Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, den muss das Gesetz in voller Härte treffen. Das Gericht kann deshalb nur eine Entscheidung fällen.« Die dünne, klare Stimme schwieg kurz. »Ich verurteile Sie zu lebenslanger Haft.«

Unter den Zuhörern entstand leichte Unruhe, Andrew Fergans Gesicht aber blieb ausdruckslos. Er nickte, wandte sich langsam um, erblickte Thane, sah über ihn hinweg und zog eine kaum wahrnehmbare Grimasse. Dann stieg er die hinter der Anklagebank liegende Treppe hinab – die Treppe, die zu seiner Zelle führte.

Eine schwere Tür fiel ins Schloss. Zum ersten Mal in seinem Leben zuckte Thane zusammen.

Das einsetzende Stimmengemurmel erstarb sofort unter den eisigen Blicken des Vorsitzenden. Lord Mains schrieb etwas auf einen Zettel, den er dem Urkundsbeamten reichte. Dann schob er seinen Stuhl zurück.

Nach der üblichen Aufforderung durch den Gerichtsdiener erhoben sich die Anwesenden.

Mit einer Würde, die nur ein Mensch von kleiner Statur aufzubringen vermag, verschwand Lord Mains in der Tür zum Beratungszimmer.

»Kaffeepause.« Der Pathologe schnaufte ärgerlich. »Nun, in den Zeugenstand brauche ich heute nicht mehr. Das steht fest.« Er blickte auf die Uhr. »Trotzdem ist es wohl besser, wenn ich bleibe.«

»Hm«, erwiderte Thane gedankenverloren und sah sich um.

Der Urkundsbeamte unterhielt sich leise mit dem Staatsanwalt und Fergans Verteidiger. Der letztere runzelte die Stirn und schien widersprechen zu wollen. Doch Thanes Interesse galt den Zuschauern, die den Saal verließen. Als er das Gesicht entdeckte, das er gesucht hatte, seufzte er tief und setzte sich in Bewegung.

Vor dem Saal, in der großen Eingangshalle aus schwarzem und weißem Marmor, holte er die Gesuchte ein.

»Mrs. Fergan.«

Die Frau von Andrew Fergan drehte sich um. Sie war Ende Zwanzig – eine kleine, dickliche, völlig unauffällige Brünette in einem grünen Tweedmantel. Sie schien nicht zu wissen, was sie mit ihren Handschuhen anfangen sollte, die ihre Finger umkrampften. Benommen blickte sie aus leeren Augen in eine unsichtbare Ferne. Der Mann in mittleren Jahren, der sie am Arm führte, runzelte die Stirn.

»Mrs. Fergan, ich...« Thane bemühte sich verzweifelt, die rechten Worte zu finden. »Es tut mir leid. Wenn Sie ihn noch einmal kurz sprechen wollen, bevor er...«

»Das hat der Verteidiger bereits arrangiert, Mister«, fiel ihm der ältere Mann ins Wort. »Er soll ruhig etwas tun für sein Honorar. Stimmt’s, Irene?«

»Ich denke schon.« Ihre Stimme klang leise und gequält. »Das ist mein Vater, Mr. Thane.«

»Hm.« Der Mann nickte kühl. »Sie sind es also, wie? Nun, Sie haben vermutlich nur Ihre Pflicht getan. Aber auf der Anklagebank hat der Falsche gesessen. Das wissen Sie ja wohl?«

»Tut mir leid.« Das war zwar nicht ganz das, was Thane hatte erwidern wollen, aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein. »Mrs. Fergan, ich könnte Sie mit einem Wagen nach Hause bringen lassen...«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, vielen Dank.«

Vater und Tochter setzten ihren Weg fort. Thane zuckte die Achseln und zündete sich eine Zigarette an.

Ein Anwalt kam mit wehendem schwarzem Talar vorüber und winkte dem Inspektor kurz zu. Mit einem müden Lächeln grüßte Thane zurück. Der Inspektor, der reichlich ein Meter achtzig groß war, gehörte zu jenen Menschen, die man nur selten vergaß. Er war Anfang Vierzig, hatte kurzes, dunkles Haar und ein gutmütiges Gesicht, das tiefe Furchen aufwies. Der dezente Tweedanzug brachte seine athletische Gestalt voll zur Geltung, und seine Bewegungen verrieten, dass er sich in bester körperlicher Verfassung befand – obwohl er einige Pfunde angesetzt hatte, seit er nicht mehr zur Boxstaffel des Polizeisportvereins gehörte.

Drei Kriminalbeamte vom Amt Nord näherten sich gemächlichen Schritts. Da Thane jetzt keine Lust hatte, sich zu unterhalten, ging er rasch zum Ausgang und trat hinaus auf die Freitreppe.

Doch im nächsten Moment bereute er seinen Entschluss. Ein schneidend kalter Wind zerrte an seiner Kleidung, und der endlose Verkehrsstrom, der sich am Saltmarket entlangschob, verpestete die Luft mit Auspuffgasen. Am Fuß der Treppe stand mit roter Nase ein fröstelnder Polizeiposten.

Thane suchte rasch hinter einem der großen Pfeiler Schutz und zog an seiner Zigarette. Er musste Andrew Fergan endlich vergessen. Schließlich war er mit seinen eigenen Problemen vollauf beschäftigt.

Aber es wollte nicht so recht gelingen. Fergan gehörte zu jenen Fällen, die jeder gewissenhafte Polizeibeamte verwünschte, denn man konnte dem Mörder ein gewisses Mitgefühl nicht versagen. Doch Mord blieb Mord, und mehrere Psychiater hatten übereinstimmend Fergans Zurechnungsfähigkeit festgestellt. Das Urteil hatte also von vornherein festgestanden.

Der Inspektor warf die Zigarette weg und zertrat die Glut mit dem Absatz. Dann langte er in die Tasche seines Jacketts, um sich zu überzeugen, ob der Brief noch da war.

War die Entscheidung wirklich so schwer, wenn man von einer Bank die Stellung eines Sicherheitschefs angeboten bekam? Eine Tätigkeit, bei der er doppelt soviel verdienen würde wie bisher – bei einer geregelten Arbeitszeit von neun bis fünf! Dazu Fünftagewoche und jedes Jahr eine Gratifikation.

Fünftausend Pfund im Jahr...

Thane blickte wieder hinab zu dem Polizeiwachtmeister. Der Mann rieb sich die erstarrten Hände, und seine Lippen bewegten sich stumm. Es war nicht schwer zu erraten, was er vor sich hinmurmelte.

Was mache ich nur?, dachte Thane. Immerhin hatte er bei der Polizei rasch Karriere gemacht. Er war in Glasgow der jüngste Inspektor, der eine Kriminalaußenstelle leitete. Er hatte eine Frau, die er liebte, und zwei Kinder im schulpflichtigen Alter. In zehn Jahren würde er die auf dem Haus ruhende Hypothek getilgt haben, und für seinen Wagen hatte er noch drei Raten abzuzahlen.

Er hatte also bisher Glück gehabt. Aber vielleicht war dieser Brief ebenfalls ein glücklicher Zufall. Selbst wenn es ihm gelänge, im Präsidium eine Spitzenposition zu erlangen, würde er niemals so viel verdienen, wie man ihm bereits jetzt bei der Bank bot. Schließlich musste er auch an Mary denken. Fünfzehn Jahre lang hatte sie um ihn gebangt, hatte sich nicht beklagt, wenn mitten in der Nacht das Telefon schrillte.

Zweifellos wäre sie glücklich, wenn er das Angebot der Bank annehmen würde. Und doch war der Gedanke, in Zukunft einen geregelten Arbeitstag und ein freies Wochenende zu haben, unbegreiflich.

Er musste sich die Sache reiflich überlegen. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Er trat hinter dem Pfeiler hervor und schritt auf die Tür zu.

»Thane...«

Die bellende Stimme ließ ihn überrascht herumfahren. William Ilford, der Chef der Glasgower Kriminalpolizei, tauchte aus der Dunkelheit auf und eilte die Stufen herauf, ohne den salutierenden Polizeiwachtmeister zu beachten.

»Ich bin gleich zu Fuß gekommen.« Der Mann, der den Spitznamen Buddha erhalten hatte, ließ das gewohnte Phlegma vermissen und schnappte nach Luft. »Bei diesem verdammten Verkehr geht es zu Fuß schneller.«

Thane nickte. Das Polizeipräsidium lag nur einen Steinwurf vom Justizgebäude entfernt, ebenso wie das Gerichtsmedizinische Institut. Einige Witzbolde unter den Ganoven hatten das daraus resultierende Dreieck deshalb Taldes-Glück getauft.

»Liegt etwas Besonderes vor, Sir?«, fragte Thane argwöhnisch.

»Wie? Hat man Ihnen denn noch nichts gesagt?« Ilford schnappte noch einmal heftig nach Luft. »Lord Mains möchte uns sprechen – uns beide. Jetzt sofort. Was geht eigentlich vor?«

»Ich wüsste nicht, worum es sich handeln könnte.« Thane dachte krampfhaft nach. Wenn ein hoher Richter eine Blitzkonferenz anberaumte, bedeutete das im allgemeinen Unannehmlichkeiten. »Hat man Ihnen denn nichts gesagt, Sir?«

»Nein.« Ilford schob seine massige Gestalt durch die Tür, Thane folgte dicht auf. »Ich wurde lediglich telefonisch gebeten, sofort herüberzukommen.«

Thane spürte, wie sich alle Blicke auf die beiden Kriminalbeamten richteten, als er mit Ilford die Halle durchquerte, und er ärgerte sich, überhaupt vor die Tür gegangen zu sein.

»Heute wurde nur ein Fall aus Millside verhandelt.«

»Welcher?«

»Fergan – heute Nachmittag. Er erhielt lebenslänglich.«

»Fergan.« Es klang wie ein Stöhnen. »Nun, wir werden ja bald wissen, worum es sich handelt.« Er zeigte zum Mittelgang.

In Robe und Perücke gekleidet, kamen drei Männer den Korridor entlang, der zu den Zimmern der Richter führte. Der Urkundsbeamte führte die Gruppe an. Als er die beiden Kriminalbeamten entdeckte, hellte sich sein Gesicht auf. Der Staatsanwalt und Fergans Verteidiger folgten ihm etwas langsamer. Der Verteidiger wirkte alles andere als glücklich und kratzte sich mit einem Bleistift unter der Perücke.

»Schön, dass Sie so rasch gekommen sind, Ilford.« Der Urkundsbeamte seufzte erleichtert auf und blickte zu Thane, wobei seine Lippen schmal wurden. »Mr. Thane, ich habe Sie im ganzen Haus gesucht. Vom Restaurant bis zu den Zellen – und sogar auf der Toilette.«

»Ich war draußen«, entgegnete Thane.

»Nun, es ist ja jetzt gleichgültig.« Der Urkundsbeamte lächelte gezwungen, als die beiden Anwälte vorüberschritten. Sie erwiderten den Gruß auf gleiche Weise. »Lord Mains wartet bereits«, fuhr er fort. »Wenn Sie mir bitte folgen würden...«

»Was gibt es eigentlich?«, brummte Ilford. »Man hat ja geradezu das Gefühl, Sie wollen uns zur Schlachtbank führen.«

»Zur Schlachtbank?« Der Urkundsbeamte schnaufte leicht. »Dann besudeln Sie bitte nicht den Teppich mit Ihrem Blut. Wir haben ihn in Anbetracht des Weihnachtsfestes extra säubern lassen.«

Buddha Ilford knurrte unwirsch, aber der Urkundsbeamte hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. Sie folgten ihm, passierten die Friese, welche die Rechtspflege im alten Athen schilderten, und schritten durch die Schwingtür, hinter der jener Teil des Justizpalastes lag, der dem normalen Sterblichen verschlossen blieb. Schließlich hielten sie vor einer Tür an.

Der Urkundsbeamte klopfte, und eine Stimme antwortete. Er öffnete die Tür und winkte die beiden Kriminalbeamten ins Zimmer, ohne selbst zu folgen. Als er die Tür von draußen schloss, vernahm er lautes Niesen.

»Zum Teufel mit diesem zugigen Gerichtssaal«, beklagte sich Lord Mains missmutig. »Man kann sich glatt den Tod holen.«

Er putzte sich mit einem großen weißen Taschentuch die Nase. Es klang wie ein Trompetenstoß. Thane unterdrückte mit Mühe ein Lächeln, als er das verhutzelte Männchen betrachtete, das einer der dienstältesten Richter in Schottland war.

Lord Mains hatte Robe und Perücke an den Garderobenständer in der Ecke des Raums gehängt und stand mit dem Rücken vor einem lodernden Kohlenfeuer, das zur Unterstützung der Zentralheizung brannte. Um den kahlen Schädel zog sich ein schmaler Kranz von graumeliertem schwarzem Haar. In dem schlichten dunklen Anzug, dem gestärkten Kragen und der weißen Krawatte erinnerte er lebhaft an eine Gestalt aus einem Roman von Charles Dickens. Die wachen, blassen Augen inspizierten in aller Ruhe die Besucher.

Er schnüffelte und steckte das Taschentuch ein.

»Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen.« Die Stimme des Richters verriet immer noch Unmut. »Ilford, ich habe Ihren Inspektor schon mehrmals im Zeugenstand gesehen. Wir wurden aber bisher noch nicht miteinander bekannt gemacht.«

»Entschuldigung.« Ilford holte das Versäumte rasch nach.

Thane hatte den Eindruck, keine Hand, sondern eine Klaue zu schütteln. Er hätte zu gern gewusst, wie alt der Richter war – gewiss alt genug, um in jedem anderen Beruf bereits seine Pension zu verzehren.

»Nehmen Sie Platz, meine Herren.« Lord Mains verließ nur ungern das wärmende Kaminfeuer und ließ sich auf einen tiefen Polstersessel sinken. Ein Servierwagen mit Kaffeekanne und Tasse stand daneben. Er wartete, bis sich seine Besucher ebenfalls gesetzt hatten, dann runzelte er die Stirn. »Ich möchte mit Ihnen über Andrew Fergan sprechen.«

»Ich dachte...«, begann Ilford, doch ein dürrer Finger brachte ihn zum Schweigen.

»Lassen Sie mich erst ausreden, Ilford. Aber ich erinnere mich, dass Sie Pfeife, rauchen. Und ich habe leider meinen Tabak vergessen...«

Buddha Ilford beugte sich rasch vor und bot seinen Tabakbeutel an. Lord Mains beroch den Inhalt zunächst gründlich, spitzte die Lippen und stopfte seine alte Bruyèrepfeife. Offensichtlich benötigte man zum Füllen ein halbes Päckchen.

Schließlich reichte er den Beutel zurück und zündete ein Streichholz an. Erst nachdem die Pfeife wie der Schornstein eines Teerkessels qualmte, lehnte er sich zufrieden zurück.

»Ganz annehmbar«, murmelte er. »Und nun zu Fergan. Wie ich bereits dem Staatsanwalt und Fergans Verteidiger sagte, habe ich keinerlei Beanstandungen, was die polizeilichen Ermittlungen sowie die Behandlung des Falls betrifft.«

Thane wollte gerade erleichtert aufatmen, als er bemerkte, wie ihn der Richter hinter der dichten Qualmwolke hervor durchdringend anblickte.

»Andererseits ist dieser Fall, wenn ich ihn einmal nicht vom juristischen Standpunkt betrachte, eine offene Schande.« Der dürre Zeigefinger stieß wieder in die Luft. »Oder sind Sie etwa anderer Meinung, Inspektor?«

Thane schüttelte bedächtig den Kopf. Ilfords Gesicht überzog sich mit einer feinen Röte, und seine Lippen bildeten einen schmalen Strich.

»Gut. Wenn man sich ein Leben lang anhören muss, was alles unter Eid ausgesagt wird, schätzt man umso mehr, wenn wirklich einmal die Wahrheit gesprochen wird«, erklärte Lord Mains grimmig. Er stand auf, trat an einen kleinen Tisch und nahm einige Papiere in die Hand. »Andrew Fergan war Versicherungsangestellter. Er hatte einige kleinere Beträge unterschlagen und musste sich schleunigst Geld beschaffen. Er nahm deshalb bei einem illegalen Geldverleiher einen Kredit von hundert Pfund auf. Man nennt diese Wucherer auch...«

»...Halsabschneider«, brummte Ilford. »Weil sie nicht nur das geliehene Geld zurückverlangen, sondern obendrein noch mörderische Zinsen.«

»Ganz recht.« Lord Mains lächelte frostig. »Die Zinsen sind vermutlich so hoch, um das Risiko auszugleichen?«

»Zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent pro Woche«, erwiderte Thane voller Erbitterung. »Die Leute gehen auf diese Bedingungen ein, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Keine Bank würde ihnen einen Kredit gewähren, und selbst ein lizensierter Geldverleiher würde sie hinauswerfen, weil ihm das Risiko zu groß wäre.«

»Danke. Und die Rückzahlungsquoten werden mit rigoroser Gewalt eingetrieben.« Lord Mains hatte die Fingerspitzen zusammengelegt.

»Solange man pünktlich zahlt, ist alles in Ordnung.« Thane nickte. »Sobald man aber im Rückstand bleibt, schickt der Halsabschneider zwei Schläger, die das Gedächtnis auffrischen.«

»Und wenn man nun, wie der arme Fergan, immer noch nicht zahlen kann?«

»Dann werden kleinere Raten festgesetzt, die Zinsen aber steigen. Der arme Teufel darf dann bis an sein Lebensende zahlen.« Thane konnte sich denken, was nun kam.

»Ganz recht.« Lord Mains holte sein Taschentuch hervor, schnäuzte sich leise und beugte sich vor. »Nach den Unterlagen war dieser Laverick der Geldeintreiber eines bekannten Halsabschneiders. Er hat vor der Bar Zahlungen entgegengenommen. Ist es da nicht seltsam, dass man bei ihm keinerlei Aufzeichnungen und auch nur sehr wenig Geld gefunden hat?«

»Diese Leute arbeiten stets zu zweit«, warf Ilford ein. »Der Aufpasser wird alles schnell an sich genommen haben. Wenn kassiert wird, hält sich stets ein Aufpasser im Hintergrund – für den Fall, dass es Schwierigkeiten gibt.«

»Oder falls der Geldeintreiber in Versuchung gerät, seinem Boss untreu zu werden?«, fragte der Richter leise.

Ilford wurde erneut rot, blickte zu Thane und nickte widerwillig. »Möglich.«

»Aha«, sagte Lord Mains barsch. »Chefinspektor Ilford, ich habe soeben einen Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er einen Schmarotzer vernichtet hat. Einen Blutsauger, der ihn zur Verzweiflung getrieben hat.« Er wandte sich wieder an Thane. »Aber der Blutsauger Laverick war nur der Bevollmächtigte eines größeren Blutsaugers, stimmt’s?«

»Es sieht ganz so aus, Sir«, gab Thane zu, der sich unter den eisigen Blicken seines Gegenübers höchst unwohl fühlte. »Aber...«

Lord Mains zog die Brauen hoch. »Aber, Inspektor? Wollen Sie für diese Leute vielleicht noch Mitleid erwecken?«

»Aber nein!« Thane hatte genug. »Hören Sie, wir haben alles auf den Kopf gestellt, um Lavericks Aufpasser zu finden. Wenn jemand...«

Buddha Ilford hatte zusammengesunken auf seinem Sessel gesessen und weltverloren auf seinen Bauch gestarrt – eine bei ihm häufig anzutreffende Haltung, der er seinen Spitznamen verdankte. Nun knurrte er gereizt und richtete sich auf.

»Vielleicht ist es besser, wenn ich antworte«, fiel er Thane ins Wort. »Dann gibt es nicht so leicht – äh – Missverständnisse.«

Lord Mains nickte und zog bedächtig an seiner Pfeife. »Ein guter Tabak, Ilford. Er raucht sich angenehm kühl.«

»Deshalb bevorzuge ich diese Mischung.« Ilford lächelte gezwungen. »Diese Halsabschneider machen uns schon lange zu schaffen. Von Zeit zu Zeit nehmen wir den einen oder anderen fest. Meistens genügt das vorliegende Material, ihn wegen illegaler Kreditgeschäfte vor Gericht zu bringen. Aber darüber hinaus?« Er brummte unwirsch. »Nicht ein einziger Zeuge findet sich, der bestätigt, dass man gegen ihn Gewalt angewendet hat. Sie behaupten, aus dem Bett gefallen oder über einen Hund gestolpert zu sein – oder was ihnen sonst gerade einfällt. Also erhält der Geldverleiher lediglich eine Geldstrafe, die er aus seiner Westentasche bezahlt.«

»Aber Sie kennen doch diese Männer«, gab der Richter stirnrunzelnd zu bedenken.

»Wir kennen die meisten von ihnen«, pflichtete Ilford bei. »Aber wir wissen auch, dass ein neues Wuchersyndikat tätig ist – und wir haben bisher nicht den geringsten Hinweis erhalten können, wer der Mann an der Spitze ist.« Er zuckte die Achseln. »Und selbst wenn wir es wüssten – was würde es uns nutzen?«

Eine volle Minute lang saß der Richter schweigend da und schmauchte seine Pfeife. In einem plötzlichen Entschluss legte er sie weg, stand auf, ging zum Fenster und blickte hinaus. Vor ihm dehnte sich ein leerer Innenhof. Die Architekten hatten in weiser Voraussicht dafür gesorgt, dass niemand einen Stein oder eine todbringende Waffe in die Zimmer der Richter schleudern konnte.

»Schon als junger Anwalt fand ich es ganz natürlich, laut zu denken«, sagte er leise, ohne den Blick vom Fenster zu wenden. »Sie verstehen?«

Thane sah Buddha Ilford fragend an, doch der Chefinspektor schüttelte nur kurz den Kopf und schwieg.

»Die Politiker machen unsere Gesetze, wir Richter können sie nur interpretieren«, stellte Lord Mains sarkastisch fest. »Und wenn man gelegentlich das Gefühl hat, ein Gesetz sei hirnverbrannt, dann liegt das wohl daran, dass die Politiker ihre Talente vor allem in lautstarken Debatten beweisen müssen. Aber ich verstehe Ihre Probleme, Ilford. Sie sind bedeutend jünger als ich, Thane – da müssen Sie noch lernen, dass man sich durchaus über ein Gesetz ärgern kann, ohne es deshalb zu verdammen.«

Buddha Ilford gab mit einem lauten Räuspern seiner Zustimmung Ausdruck. Lord Mains starrte weiterhin aus dem Fenster.

»Ich bin konservativ, Gentlemen. Zumindest dort, wo mir die alten Wege als die besseren erscheinen. Es ist noch gar nicht sehr lange her, da hatten wir in Schottland noch sehr zivilisierte Ansichten über Mord. Keinem Angeklagten wurde gestattet, sich schuldig zu bekennen. Eine derart schwere Anklage musste durch hieb- und stichfeste Beweise erhärtet werden. Und heutzutage? Heute musste ich mir schweigend anhören, wie Fergan, dieser arme Teufel, sich zunächst schuldig bekannte und ferner auf jedes Wort zu seiner Verteidigung verzichtete. Wie ein kleiner Schreiber saß ich da, der lediglich einen Stempel unter ein Formular zu drücken brauchte. Ich hatte nur die vom Gesetz vorgeschriebene Strafe zu verhängen. Und so etwas hasse ich.«

Plötzlich verließ er das Fenster und kehrte an den wärmenden Kamin zurück. Dieser Mann ist müde, dachte Thane. Und außerdem ist er bekümmert, vertritt erstaunlich humane Ansichten. 

Lord Mains schlug leise die Hände zusammen. »Schluss der Vorlesung. Aber zweierlei möchte ich noch sagen. Eine lebenslange Strafe ist ein sehr dehnbarer Begriff. Kürzlich war man naiv genug, einen üblen Gewaltverbrecher bereits nach neun Jahren wieder zu entlassen. Ich bin deshalb der Ansicht, dass man Fergan nicht länger als fünf Jahre einsperren sollte. Natürlich erfährt er das nicht. Zumindest nicht in absehbarer Zeit.«

»Fünf Jahre!« Colin Thane atmete erleichtert auf. »Das ist...«

»Das ist für manche Leute ein gewisser Trost?« Die Mundwinkel des Richters zuckten. »Vergessen Sie nicht, dass ich immer noch laut denke. Außerdem bin ich der Meinung, dass es grundverkehrt ist, wenn ein Richter der Polizei Ratschläge erteilt. Aber...« Er legte eine Kunstpause ein, und seine blassen Augen blickten kälter als zuvor. »Aber ich könnte mir vorstellen, dass man sich jetzt auf diese Halsabschneider konzentriert und alles unternimmt, sie nicht nur wegen einer Bagatelle zu belangen. Als Gegenleistung kann ich ein Versprechen abgeben: Falls ein solcher Wucherer vor das Schwurgericht kommen sollte und wenn das Gericht in seiner Weisheit ihn für schuldig befinden sollte...«

Lord Mains klatschte in die Hände. Es klang wie ein Pistolenschuss. Dann blickte er auf seine Uhr. Die beiden Kriminalbeamten verstanden den Wink und verabschiedeten sich. Als sie durch die Tür schritten, langte der Richter nach seiner schweren Seidenrobe.

Buddha Ilford ging schweigend den Korridor entlang. Nach einigen Metern blieb er, einen Fluch murmelnd, stehen.

»Sie wissen, was dieses alte Scheusal getan hat?«

»Zunächst einmal hat er für Fergan manches leichter gemacht.« Thane zündete sich eine Zigarette an, und seine Hände zitterten leicht, als er den ersten langen Zug tat.

»Fergan?«, schnaubte der Chefinspektor. »Ich spreche nicht von Fergan. Ich spreche von uns.« Sein wütender Blick streifte einen Justizbeamten, der erschrocken blinzelte und sich rasch entfernte.

»Nun, er hat uns deutlich zu verstehen gegeben, dass wir ihm einen Halsabschneider liefern sollen«, entgegnete Thane.

»Er will einen ganz bestimmten Halsabschneider«, stellte Ilford richtig. »Und zwar mundgerecht serviert auf einem silbernen Tablett. Er möchte den Boss. Und wenn wir ihm den nicht liefern, werden wir eine Menge Unannehmlichkeiten bekommen.«

Thane nickte. Die Leute strömten durch die Halle zum nördlichen Sitzungssaal. Das Erscheinen von Ilford und Thane hatte wilden Gerüchten Nahrung gegeben, und auch die letzten Restaurantbesucher kehrten nun zurück.

»Ich betraue Sie mit dieser Aufgabe«, sagte Ilford plötzlich.

»Mich?« Thane glaubte, nicht recht gehört zu haben. »Aber eine solche Aufgabe ist doch nichts für eine Kriminalaußenstelle!«

»Sie übernehmen die Sache«, beharrte Ilford. »Schließlich hat die Geschichte in Millside ihren Anfang genommen. Also kann man mit den Nachforschungen genauso gut in Millside wie anderswo beginnen.« Der Chefinspektor schob die Hände tief in die Manteltaschen. »Thane, entweder sitzt zur nächsten Schwurgerichtsperiode der Boss der Halsabschneider auf der Anklagebank, oder einer von uns wird durch den Fleischwolf gedreht. Sie haben verstanden?«

»Mehr oder weniger.«

»Gut.« Ilford zog Pfeife und Tabaksbeutel aus der Tasche. Als er sah, dass kaum noch Tabak im Beutel war, fluchte er erneut. »Wissen Sie schon, wo Sie mit den Ermittlungen beginnen werden?«

»Es gibt da eine oder zwei Möglichkeiten.« Thanes Instinkt riet ihm, keine näheren Angaben zu machen.

»Aha?« Ilford sah den Inspektor fragend an, dann zuckte er mit den Achseln. »Na schön. Es ist Ihr Fall. Aber halten Sie mich auf dem Laufenden.« Er brummte. »Jetzt muss ich zunächst einmal dem Präsidenten die Sachlage erklären. Er weiß, dass ich zum Justizpalast zitiert worden bin. Nun wird er den Grund erfahren wollen.«

Er stapfte davon – ein Bär von einem Mann, der von einer Gewitterwolke umgeben zu sein schien.

Die Kriminalaußenstelle Millside brauchte also nur den Boss der Halsabschneider zu finden. Und das hatten alle acht Kriminalaußenstellen bereits seit Monaten versucht.

Man musste ihn finden – und seine Schuld hundertprozentig beweisen.

Colin Thane verzog das Gesicht. Da half nur ein kleines Wunder. Und in dem nicht sehr vornehmen Millside waren Wunder höchst selten.

Er tastete nach der Brusttasche, um sich zu überzeugen, ob der Bankbrief noch vorhanden war. Wenn man in einer Bank arbeitete, machte man sich nicht die Schuhe schmutzig. Man erhielt pünktlich seinen Tee und wurde mit Mister angeredet – und die Kunden badeten mindestens einmal wöchentlich.

Als Sicherheitsbeamter einer Bank hätte ich ein ruhiges Leben, dachte Thane. Vielleicht fände ich dann sogar Zeit, die Küche zu renovieren. 

Aber zunächst musste er den Boss der Halsabschneider dingfest machen.

Das schuldete er Andrew Fergan.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Vor vielen Jahrzehnten hatte einmal ein Magistratsbeamter einen Stadtplan, ein Lineal und einen frischgespitzten Bleistift genommen und das Stadtgebiet von Glasgow in Polizeireviere eingeteilt.

Dieser Entschluss brachte dem Mann nichts als Verwünschungen ein – ganz besonders seitens der Beamten des Polizeiamts Millside. Im Nordwesten von Glasgow gelegen, schien dieser Bezirk alles und jedes zu enthalten, was der Polizei Scherereien bereiten konnte.

Das Hafenviertel und die Slums entlang dem Clyde gehörten ebenso dazu wie rußige Fabriken, Wohnblocks und gelegentlich ein Stück Brachland, wo die Abbruchunternehmen bereits ihr Werk vollbracht hatten. Weiter draußen hatten früher Bungalows den Stadtrand gebildet. Heute aber ragten hinter ihnen noch die riesigen Mietskasernen des sozialen Wohnungsbaus auf – und die neuerrichteten Fabrikanlagen, wo die Arbeiter weiße Mäntel trugen und sich über mangelnde Parkmöglichkeiten beschwerten.

Millside hatte den größten Anteil an Arbeitslosen und Arbeitsscheuen sowie das größte Budget an Wohlfahrtsausgaben. Außerdem wohnten dort einige der übelsten Ganoven von ganz Glasgow. Doch auch überdurchschnittlich gutverdienende Arbeiter wohnten in Millside, und es gab einen Verein zur Verschönerung der Gärten sowie einige alte Damen, die sich sofort an höchster Stelle beschwerten, wenn ihre Straße nicht regelmäßig gekehrt wurde.

Colin Thane saß neben dem uniformierten Fahrer seines Dienstwagens und beobachtete, wie die bekannten Straßennamen vorüberhuschten. Die Neonreklamen verbreiteten gleißende Helle, und an den Bushaltestellen hatten sich lange Schlangen gebildet. Auch vor einigen Bingo-Hallen warteten bereits Leute auf Einlass.

Thane lauschte schweigend auf die Funkdurchsagen, die quäkend aus dem Lautsprecher kamen. Auf der Südseite des Flusses hatte es eine Massenkarambolage gegeben, und die Funkzentrale erteilte die nötigen Anweisungen. Thane wusste, zu welchen Verkehrsstauungen es nun wiederkommen würde.

»Inspektor.« Der Fahrer, ein hochgewachsener Mann namens Erickson, streifte Thane mit einem kurzen Seitenblick. »Überwachen wir heute Nacht wieder das Lagerhaus?«

»Nicht wenn wir etwas Besseres zu tun haben«, entgegnete Thane bissig.