Der Himmel auf Erden - Åke Edwardson - E-Book

Der Himmel auf Erden E-Book

Åke Edwardson

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Beschreibung

Mysteriöse Kindesentführungen, ein falscher »Onkel« mit einem grünen Stoffpapagei am Rückspiegel seines Autos und ein Verrückter, der im nächtlichen Göteborg hinterrücks junge Männer überfällt: Erneut wird Kommissar Erik Winter mit den finsteren Seiten moderner Verbrechen konfrontiert ... Ein spannender Fall, gut recherchiert, geschickt angelegt und voll von der psychologischen Abgründigkeit, die aus Åke Edwardsons Büchern viel mehr als reine Krimis macht.

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Das Buch

Erik Winter ist gerade aus dem Vaterschaftsurlaub an seinen Schreibtisch bei der Göteborger Kriminalpolizei zurückgekehrt, da wird ihm ein seltsamer Fall übertragen: Mehrere junge Männer wurden nachts überfallen und mit einem schweren Gegenstand niedergeschlagen. Keiner hat den Angreifer gesehen, kein Opfer kennt das andere. Und dann beginnt auch noch ein unheimlicher »Onkel«, kleine Kinder vorübergehend aus dem Kindergarten zu entführen und ihnen ihr Spielzeug wegzunehmen. Je weiter sich Erik Winter in den Fall vertieft, umso mehr Indizien findet er dafür, dass diese beiden Fälle miteinander in Verbindung stehen. Als zuletzt auch noch seine kleine Tochter in höchste Gefahr gerät, hilft dem Kommissar nur noch sein psychologischer Spürsinn weiter – und der führt ihn in die schwärzesten Abgründe der Menschenseele …

Der Autor

Åke Edwardson, geboren 1953, lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Göteborg. Bevor er sich dem Schreiben von Romanen widmete, arbeitete er als erfolgreicher Journalist, u.a. im Nahen Osten, schrieb Sachbücher und unterrichtete an der Universität in Göteborg Creative Writing. Seine Kriminalromane mit Eric Winter in der Hauptrolle wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Von Åke Edwardson sind in unserem Hause bereits folgende Erik-Winter-Krimis erschienen:

Tanz mit dem Engel · Die Schattenfrau · Das vertauschte Gesicht · In alle Ewigkeit · Der Himmel auf Erden · Segel aus Stein · Zimmer Nr. 10 · Rotes Meer · Toter Mann · Der letzte Winter

Außerdem:

Allem, was gestorben war · Drachenmonat · Geh aus, mein Herz · Der Jukebox-Mann · Samuraisommer · Winterland

Åke Edwardson

Der Himmel auf Erden

Roman

Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch

Besuchen Sie uns im Internet:www.list-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,

wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,

Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ungekürzte Ausgabe im List Taschenbuch

List ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH.

1. Auflage April 2004

4. Auflage 2012

© für die deutsche Ausgabe by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2004

© 2002 für die deutsche Ausgabe

by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG/List Verlag

© 2001 by Åke Edwardson

Titel der schwedischen Originalausgabe: Himlen är en plats på jorden (Norstedts Förlag, Stockholm)

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Titelabbildung: Gemäldeausschnitt eines Kinderbildnisses (1846/47) von Andreas Müller, © AKG Berlin

E-Book: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-8437-0573-8

1

Eins der Kinder sprang vom Klettergerüst in die Sandkiste, und er lachte auf, plötzlich und kurz. Es sah so lustig aus. Er hätte auch so springen mögen, doch dann hätte er aus dem Auto steigen, um den Zaun herum durch die Pforte zum Klettergerüst gehen müssen, das rot und gelb war.

Sein Autoradio lief, aber er hörte nicht hin. Ein Regentropfen fiel auf die Scheibe und noch einer. Er schaute auf, der Himmel war jetzt dunkler als vorher. Er blickte wieder zum Spielplatz und den Bäumen dahinter. Die Äste hatten kein Laub mehr, die Bäume waren nackt. Was man im Sommer nicht sehen konnte, war jetzt sichtbar. Die Stadt war nackt. Das hatte er gedacht, als er über nasse Straßen hierher gefahren war. Diese Stadt war wieder nackt. Das gefiel ihm nicht. Es wurde fast noch schlimmer als vorher.

Jetzt sprang wieder ein Kind. Das Kind lachte, als es im Sand landete, er konnte es hören, obwohl sein Radio lief. Er hörte nicht hin. Er lauschte dem Lachen des Kindes. Jetzt lachte er selber. Er war nicht froh, aber er lachte, weil das Lachen des Kindes schön klang und weil es schön war, ein Kind zu sein und zu springen und wieder aufzustehen und wieder zu springen.

Es hörte auf zu regnen, bevor es richtig angefangen hatte. Er drehte die Autoscheibe ein wenig herunter. Draußen roch es nach Spätherbst. Nichts anderes roch so. Auf der Erde lag schwarz gewordenes Laub. Leute gingen im Park spazieren. Manche schoben Kinderwagen vor sich her. Einige standen auf dem Spielplatz, auch ein paar Erwachsene, viele Kinder liefen dort herum, sie lachten.

Er hatte auch gelacht, damals, als er noch ein Kind gewesen war. Er konnte sich erinnern, wie er einmal gelacht hatte, als seine Mama ihn aufgehoben und so hoch gehalten hatte, dass sein Kopf die Deckenlampe berührte. Da oben war ein Licht gewesen, das war verschwunden, als sie ihn wieder absetzte.

Im Radio sagte jemand etwas. Er hörte nicht hin, er befand sich in einem Land, in dem er klein gewesen und wieder von der Decke heruntergekommen war, und seine Mama hatte etwas gesagt, an das er sich nicht mehr erinnern konnte, an nichts erinnerte er sich mehr, und später hatte er oft darüber nachgegrübelt, was sie gesagt hatte. Es wäre wichtig für ihn gewesen, das Letzte, was sie zu ihm gesagt hatte, ehe sie zur Tür hinausging und nie wiederkam.

Nie, nie ist sie zurückgekommen.

Er spürte, dass seine Wangen nass waren, so nass wie die Autoscheiben hätten sein können, wenn es weiter geregnet hätte. Er hörte, dass er etwas sagte, wusste aber nicht, was.

Er sah wieder zu den Kindern.

Und er sah wieder das Zimmer, später, aber er war immer noch klein, er schaute aus dem Fenster, die Scheiben waren nass von Regen, und er hatte etwas mit dem Finger aufs beschlagene Glas gemalt, die Bäume da draußen, die ohne Laub waren. Seine Mama stand neben diesen Bäumen. Wenn er ein Auto gemalt hätte, hätte sie im Auto gesessen. Ein Pferd, und sie wäre darauf geritten. Ein Kind, und sie würde das Kind an der Hand halten. Sie gingen über eine Wiese, auf der rote und gelbe Blumen blühten.

Er malte das Feld. Er malte ein Meer auf der anderen Seite des Feldes.

Abends machte er das Bett für seine Mama. In seinem Zimmer stand ein kleines Sofa, und dort baute er ihr ein Bett mit einer Decke und einem Kissen. Falls sie kommen sollte, könnte sie dort schlafen, könnte sich sofort hinlegen, alles würde bereit sein.

Jetzt drehte er die Scheibe ganz herunter und atmete schwer. Dann drehte er sie wieder hoch, startete das Auto, fuhr um den Spielplatz herum und parkte direkt vorm Eingang. Er öffnete die Autotür. Rundherum waren noch andere Autos geparkt. Er konnte die Stimmen der Kinder jetzt hören, als ob sie bei ihm säßen. Zu seinem Auto gekommen, zu ihm gekommen wären.

Aus dem Autoradio klang Musik, und diese Stimme, die er kannte, kehrte wieder und sagte etwas. Es war eine Stimme, die er schon mehrmals gehört hatte. Sie redete, wenn er abends nach der Arbeit im Auto unterwegs war. Manchmal fuhr er auch nachts herum.

Er spürte, wie nass die Erde unter seinen Füßen war. Er stand neben dem Auto, aber er konnte sich nicht daran erinnern, wie er dahin gekommen war. Merkwürdig, er hatte an die Stimme im Radio gedacht und plötzlich stand er neben dem Auto.

Wieder das Lachen der Kinder.

Er stand neben dem Spielplatz, sah die kahlen Bäume dahinter.

Die Videokamera in seiner Hand war kaum größer als eine Zigarettenschachtel. Vielleicht ein bisschen größer. Das schwache Surren war kaum zu hören, als er auf den Knopf drückte und das filmte, was er sah.

Er ging näher. Überall waren Kinder, aber im Augenblick sah er keine Erwachsenen. Wo waren die denn alle geblieben? Man musste doch auf die Kinder aufpassen, sie könnten sich verletzen, wenn sie von dem rotgelben Klettergerüst oder von den Schaukeln sprangen.

Dort stand das Klettergerüst, gleich neben dem Eingang. Und dort stand jetzt auch er.

Ein Sprung.

Heeej! Heeej hopp!

Ein Lachen. Er lachte auch wieder, sprang, nein, hätte aber springen können. Jetzt half er einem Kind, es war ein Junge. Wieder hinauf, hinauf! Hinauf in den Himmel!

Er holte es aus der Tasche und zeigte es ihm. Guck mal, was ich hier habe.

Zum Eingang waren es drei Schritte, dann noch vier zum Auto. Die Schritte des Jungen waren kurz, sechs zum Eingang, acht zum Auto.

Kinder, überall Kinder, er dachte, er sei jetzt der Einzige, der den Jungen sah, auf ihn aufpasste. Die Großen standen dahinten mit Kaffeetassen, die in der kalten Luft dampften.

Mehrere Autos. Der Junge war jetzt überhaupt nicht mehr zu sehen, aus keiner Richtung. Nur er sah ihn, hielt ihn an der Hand.

Da ist es. Ja, ich hab eine ganze Tüte voll davon, stell dir vor. Jetzt öffnen wir die Tür. Kannst du ganz allein einsteigen? Wie groß du schon bist.

Die Wunde am Hinterkopf des Studenten sah aus wie ein Kreuz oder so was Ähnliches. Das Haar war abrasiert, die Wunde deutlicher zu sehen, es war grausig, aber er lebte noch. Gerade so eben, doch er hatte eine Chance.

Bertil Ringmars Gesicht schimmerte bläulich in der Beleuchtung des Entrees, als er das Krankenhaus verließ.

»Ich fand, das müsstest du sehen«, sagte Ringmar.

Winter nickte.

»Was war das für eine Waffe?«, fuhr Ringmar fort.

»Irgendeine Hacke. Ein … vielleicht ein Küchengegenstand oder Gartengerät. Oder ein landwirtschaftliches Werkzeug … Ich weiß es nicht, Bertil.«

»Da ist so was … ich weiß nicht. An irgendwas erinnert es.«

Winter zappte die Tür zu seinem Mercedes auf. Das Parkdeck war verlassen. Die Blinkleuchten flackerten wie warnend auf.

»Da müssen wir wohl einen Dorfältesten auf dem platten Land befragen«, sagte Winter, als er den Hügel hinunterfuhr.

»Jetzt mach dich nicht drüber lustig.«

»Lustig? Worüber soll ich mich denn lustig machen?«

Ringmar antwortete nicht. Der Linnéplatsen lag genauso verlassen da wie eben das Parkdeck.

»Das ist der Dritte«, sagte Ringmar.

Winter nickte, löste seinen Schlips und öffnete die beiden obersten Hemdknöpfe.

»Drei junge Männer niedergeschlagen mit einem Gerät, das wir nicht kennen«, sagte Ringmar. »Drei Studenten.« Er wandte sich zu Winter um. »Ist das schon ein gemeinsames Muster?«

»Weil es alles Studenten sind? Oder weil wir glauben, in den Wunden ein Kreuz zu sehen?«

»Weil es Studenten sind«, erwiderte Ringmar.

»Es gibt viele Studenten.« Winter fuhr westwärts. »An die fünfunddreißigtausend in dieser Stadt.«

»Mhm.«

»Ein beachtlicher Bekanntenkreis, selbst wenn sie nur untereinander verkehren«, sagte Winter.

Ringmar trommelte auf die Armlehne. Winter bog von der Autostraße ab und fuhr weiter nach Norden. Die Straßen wurden schmaler und die Villen größer.

»Eine Hacke«, sagte Ringmar. »Wer schleppt an einem Samstagabend eine Hacke mit sich rum?«

»Ich wage nicht einmal daran zu denken«, sagte Winter.

»Hast du hier in Göteborg studiert?«

»Nur ganz kurz.«

»Was hast du studiert?«

»Jura, reingeschnuppert. Ist nichts draus geworden.«

»Ich bin student of life gewesen«, sagte Ringmar.

»Wo? Und wann legt man darin sein Examen ab?«

Ringmar schnaubte.

»Du hast Recht, Erik. Man steckt ununterbrochen im Examen.«

»Von wem wird man belohnt?«

Winter wurde langsamer.

»Bieg nach rechts ab, dann umgehst du die Anschlussstelle«, sagte Ringmar.

Winter bog nach rechts ab, schlängelte sich an zwei parkenden Autos vorbei und hielt vor einer Villa aus Holz. Von drinnen fiel schwaches Licht auf den Rasen und durch die Ahornbäume, die wie Gliedmaßen aussahen, die sich in den Himmel reckten.

»Kommst du mit rein auf ein Butterbrot?«, fragte Ringmar.

Winter sah auf die Uhr.

»Oder wartet Angela mit Austern und Wein?«, frotzelte Ringmar.

»Dafür ist noch nicht die richtige Saison«, antwortete Winter.

»Du willst vermutlich Elsa gute Nacht sagen?«

»Sie schläft um diese Zeit schon«, sagte Winter. »Okay, auf ein Butterbrot. Hast du slowenisches Bier?«

Ringmar holte etwas zu essen aus dem Kühlschrank. Winter kam mit drei Flaschen aus dem Keller.

»Wahrscheinlich war da nur noch tschechisches«, sagte Ringmar über die Schulter.

»Ich verzeih dir«, sagte Winter und reckte sich nach dem Bieröffner.

»Geräucherte Maräne mit Rührei?«, fragte Ringmar vom Kühlschrank.

»Wenn wir Zeit haben«, sagte Winter. »Ein gutes Rührei braucht lange. Hast du denn Schnittlauch im Haus?«

Ringmar lächelte, nickte, trug die Zutaten zur Anrichte und fing an. Winter probierte das Bier. Es schmeckte gut, war kühl, nicht zu kalt. Er nahm seinen Schlips ab und hängte das Sakko über die Stuhllehne. Seine Nackenmuskeln spannten sich nach einem langen Tag. Student of life. Ein ewiges Examen. Er sah das Gesicht des Studenten vor sich und dann den Hinterkopf. Jurastudent, wie er selbst einmal. Wenn ich durchgehalten hätte, könnte ich jetzt Polizeipräsident sein, dachte er und nahm noch einen Schluck. Vielleicht wäre das besser gewesen. Weg von der Straße. Sich nicht über zerschlagene Körper beugen müssen, keine Löcher, kein Blut, keine Wunden, die die Form eines Kreuzes hatten.

»Die anderen beiden haben keinerlei Feinde«, sagte Ringmar vom Herd, wo er vorsichtig mit einer Holzgabel im Rührei rührte.

»Wie bitte?«

»Die anderen beiden Opfer, die mit dem Zeichen im Schädel überlebt haben. Keine Feinde, sagen sie.«

»So ist das in der Jugend«, sagte Winter. »Keine richtigen Feinde.«

»Du bist auch jung«, sagte Ringmar und hob die gusseiserne Pfanne hoch. »Hast du Feinde?«

»Keinen einzigen«, sagte Winter. »Die legt man sich erst später im Leben zu.«

Ringmar bereitete die Butterbrote vor.

»Eigentlich gehört Branntwein dazu«, sagte er.

»Ich kann ein Taxi nach Hause nehmen.«

»Dann ist das also entschieden.« Ringmar holte den Schnaps.

»Es ist derselbe Täter«, sagte Ringmar. »Worauf will er hinaus?«

»Die Befriedigung, Schaden anzurichten«, sagte Winter und trank den letzten Schluck von seinem zweiten Schnaps und schüttelte den Kopf, als Ringmar fragend die Flasche hochhielt.

»Aber nicht irgendwie«, sagte Ringmar.

»Und nicht an irgendwem.«

»Doch. Vielleicht.«

»Wir müssen morgen versuchen, den Jungen zu verhören«, sagte Winter.

»Schlag von hinten auf einer dunklen Straße. Er hat nichts gesehen, nichts gehört, er weiß nichts.«

»Wir werden ja sehen.«

»Pia Fröberg muss uns mit der Waffe helfen«, sagte Ringmar.

Winter sah das angespannte, blasse Gesicht der Gerichtsmedizinerin vor sich. Einmal, zu Beginn aller Zeiten waren sie ein Paar gewesen. Jetzt war alles vergeben und vergessen. Keine Feinde.

»Falls es was bringt«, fuhr Ringmar fort und sah in sein leeres Bierglas.

Die Haustür wurde geöffnet und geschlossen, und aus dem Flur klang eine Frauenstimme.

»Wir sind hier«, rief Ringmar.

Seine Tochter kam herein, noch im Anorak. Dunkel wie ihr Vater, fast genauso groß, die gleiche Nase, die gleichen Augen.

»Erik brauchte Gesellschaft«, sagte Ringmar.

»Das glaub ich nicht«, sagte sie und hielt ihm die Hand hin. Winter nahm sie.

»Du erkennst doch Moa?«, sagte Ringmar.

»Wir haben uns lange nicht gesehen«, sagte Winter. »Du musst jetzt …«

»Fünfundzwanzig«, sagte Moa Ringmar, »auf dem Weg in die Rente und immer noch zu Hause. Ha, ha!«

»Moa lebt im Augenblick zwischen zwei Wohnungen, wenn man so will«, sagte Ringmar. »Das hier ist nur eine Zwischenstation.«

»So sind die Zeiten«, sagte Moa, »die Kinder kehren immer ins Nest zurück.«

»Ist doch nett«, sagte Winter.

»Bullshit«, erwiderte Moa Ringmar.

»Okay«, sagte Winter.

Sie setzte sich.

»Krieg ich ein bisschen Bier?«

Ringmar holte ein Glas und goss ihr den Rest aus der dritten Flasche ein.

»Ich hab von dem neuen Überfall gehört«, sagte sie.

»Wo hast du es gehört?«, fragte Ringmar.

»Im Institut. Der Junge hat doch dort gearbeitet. Er heißt Jakob, oder?«

»Kennst du ihn?«

»Nein. Nicht persönlich.«

»Kennst du jemanden, der ihn kennt?«, fragte Winter.

»Das wird ja langsam unangenehm«, antwortete sie. »Ihr seid offensichtlich immer noch im Dienst.« Sie sah Winter und dann ihren Vater an und fügte dann hinzu: »Entschuldigung, ich weiß, es ist ernst. Ich wollte mich nicht drüber lustig machen.«

»Also …«, sagte Winter.

»Vielleicht kenne ich jemanden, der jemanden kennt, der ihn kennt. Ich weiß nicht.«

Der Vasaplatsen war leer und still, als er aus dem Taxi stieg. Die Lichtreflexe der Straßenbeleuchtung spielten auf dem Zeitungskiosk am Rand des Universitätsplatzes. Student of life, dachte er wieder, als er den Türcode eintippte.

Im Fahrstuhl roch es schwach nach Tabak, ein alter Geruch, der noch darin hing, vielleicht sein eigener.

»Du riechst nach Schnaps«, sagte Angela, als er sich im Bett über sie beugte. Sie drehte sich auf die andere Seite und sagte gegen die Wand: »Morgen bist du dran, Elsa wegzubringen. Ich muss um halb sechs aufstehen.«

»Ich war eben bei ihr. Sie schläft tief und süß.«

Angela murmelte etwas.

»Wie bitte?«

»Wart’s nur ab«, sagte sie. »Morgen Früh.«

Er wusste, was sie meinte. Wie sollte er es vergessen haben? Nach einem halben Jahr Erziehungsurlaub? Er wusste alles über Elsa, und sie wusste alles über ihn.

Es waren gute Tage gewesen, vielleicht seine besten. Da draußen gab es eine Stadt, die hatte er seit Jahren nicht mehr gesehen. Es waren dieselben Straßen, aber er hatte sich in diesem halben Jahr wie ein ganz normaler Mensch bewegt, langsam, ohne Späherblick, nach nichts anderem mehr Ausschau haltend als nach einem Café, in dem sie eine Weile einkehren und er seine Füße in diesem anderen Leben auf den Boden setzen konnte.

Als er nach dem Erziehungsurlaub in den Dienst zurückgekehrt war, verspürte er einen … Hunger, ein besonderes Gefühl, dessen er sich fast schämte. Als ob er wieder zum Kampf bereit wäre, wirklich bereit für den Krieg, der zwar nie zu gewinnen war, aber ausgefochten werden musste. Tja. So war es wohl. Wenn man dem Biest einen Arm abhackte, wuchs ihm ein neuer, und man musste erneut zuschlagen.

In der Minute, bevor er einschlief, dachte er wieder an die seltsame Wunde am Hinterkopf des Studenten.

2

Der Abend war ruhig gewesen auf der Wache, ein Gefühl wie vor dem großen Sturm. Aber heute Abend gibt es wohl kein Unwetter, dachte der Dienst habende Polizist Bengt Josefsson und sah hinaus zu den Bäumen, die ruhig in der Abendluft standen. Keine Herbststürme mehr, dachte er. Jetzt freuen wir uns auf Weihnachten. Und danach gibt es unser Revier vielleicht nicht mehr. Dann wird es geschlossen, und der Redbergsplatsen fällt an den Feind zurück.

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte.

»Polizeirevier Örgryt-Härlanda, Josefsson.«

»Jaa … gu… guten Abend. Ist da die Polizei?«, sagte eine Frauenstimme.

»Ja.«

»Ich hab bei der Zentrale angerufen, und die wollten mich mit einem Revier verbinden, das in der Nähe von Olskroken liegt. Wir … wohnen da.«

»Dann sind Sie hier richtig«, sagte Josefsson. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ja … ich weiß nicht, was ich sagen soll …«

Josefsson wartete mit Stift und Block. Am Ende des Korridors ließ ein Kollege im Umkleideraum etwas laut zu Boden fallen.

»Erzählen Sie, worum es geht«, sagte er. »Mit wem spreche ich?«

Sie nannte ihren Namen und er schrieb ihn auf. Berit Skarin.

»Es geht um meinen kleinen Sohn«, sagte sie. »Er … ich weiß nicht … er hat heute Abend zu uns gesagt … wenn ich das richtig verstanden habe … dass er mit einem ›Onkel‹, wie er sagt, im Auto gesessen hat.«

Kalle Skarin war vier Jahre alt. Als er vom Kindergarten nach Hause gekommen war, hatte er ein Butterbrot mit Käse gegessen und eine Tasse Kakao getrunken, den er selbst aus Kakaopulver, Zucker und ein wenig Sahne gemischt hatte, bevor seine Mama warme Milch aufgegossen hatte.

Ein wenig später hatte er gesagt, dass er in einem Auto gesessen habe.

Einem Auto?

Einem Auto. Großes Auto und Radio. Radio hat geredet und Musik gemacht.

Habt ihr heute einen Ausflug mit dem Kindergarten gemacht?

Kein Ausflug. Spielplatz.

Gibt’s da Autos?

Der Junge hatte genickt.

Spielzeugautos?

GROSSES Auto, hatte er gesagt, richtiges Auto. Richtig, und er hatte eine Bewegung mit den Händen gemacht, als würde er das Lenkrad drehen. Brrrm, brrrmm.

Wo?

Spielplatz.

Kalle. Bist du mit einem Auto auf dem Spielplatz gefahren?

Er hatte genickt.

Mit wem bist du gefahren?

Ongel.

Ongel?

Ongel. Ongel. Hatte Bonbons!

Kalle hatte eine neue Bewegung gemacht, die vielleicht jemanden darstellen sollte, der eine Tüte Bonbons anbot, vielleicht auch nicht.

Berit Skarin überlief ein kalter Schauder, eine Kälte, die ihr über den Scheitel strich. Ein fremder Onkel, der ihrem kleinen Sohn eine Tüte mit Bonbons hinhält.

Kalle saß dort vor ihr. Sie hatte ihn festgehalten, als er rausgehen und das Kinderprogramm im Fernsehen anschauen wollte.

Ist das Auto weggefahren?

Fahren, fahren. Brrrrmm.

Seid ihr weit gefahren?

Das war eine Frage, die er nicht verstand.

War jemand vom Kindergarten dabei?

Keine Tante. Ongel.

Er war zum Fernseher gestürmt. Sie hatte ihm nachgesehen und überlegt. Dann war sie zu ihrer Handtasche gegangen, die auf dem Küchenstuhl lag, und hatte die Telefonnummer von einer Angestellten des Kindergartens herausgesucht, hatte noch einen Moment gezögert, dann aber doch angerufen.

Bengt Josefsson hörte zu. Sie erzählte von dem Gespräch mit einer der Erzieherinnen.

»Da hat niemand etwas bemerkt«, sagte Berit Skarin.

»Aha.«

»So was darf doch nicht passieren? Da kommt einer mit einem Auto an und fährt mit einem Kind weg, ohne dass jemand etwas merkt. Und dann bringt er das Kind zurück.«

Es passieren schlimmere Sachen als das, dachte Josefsson.

»Und das Personal hat nichts bemerkt?«, fragte er.

»Nein. Das müssten die doch?«

»Man sollte es meinen«, sagte Josefsson, aber er dachte etwas anderes. Wer hat schon ständig die totale Kontrolle?

»Wie lange, sagt der Junge, ist er weg gewesen?«

»Er weiß es nicht. Er ist ja noch klein. Er kann fünf Minuten nicht von fünfzig Minuten unterscheiden.«

Bengt Josefsson dachte nach.

»Glauben Sie ihm?«, fragte er.

Am anderen Ende war es still.

»Frau Skarin?«

»Ich weiß nicht«, sagte sie, »ich weiß es tatsächlich nicht.«

»Hat er … eine lebhafte Phantasie?«

»Er ist ein Kind. Kinder haben meistens eine lebhafte Phantasie.«

»Ja.«

»Was soll ich also machen?«

Bengt Josefsson schaute auf seinen Block, auf dem er einige Stichpunkte notiert hatte.

Zwei seiner Kollegen kamen am Tresen vorbeigelaufen. »Überfall am Kiosk!«, rief einer von ihnen.

Er hörte schon die Sirene eines der Wagen draußen.

»Hallo?«, sagte Berit Skarin.

»Ja, hallo. Ja … ich habe mitgeschrieben, was Sie erzählt haben … Es handelt sich also nicht um das Verschwinden eines Kindes … und … wenn Sie also Anzeige erstatten wollen, dann …«

»Was soll ich denn anzeigen?«, fragte sie.

Das ist eben die Frage, dachte Josefsson. Ungesetzliche Freiheitsberaubung? Nein. Versuch oder Vorbereitung eines Sexualverbrechens? Jaa … vielleicht. Oder die Phantasie eines Kindes. Offenbar hat er keinen Schaden genommen bei …

»Ich geh jetzt mit ihm zum Arzt«, unterbrach sie seine Gedanken. »Ich nehme das sehr ernst.«

»Ja«, sagte Josefsson.

»Soll ich ihn zu einem Arzt bringen?«

»Haben Sie … ihn selbst untersucht?«

»Nein. Ich hab sofort angerufen, nachdem er mir das erzählt hat.

»Verstehe.«

»Aber ich werde es jetzt tun. Dann sehe ich weiter, wie ich mich entscheide.« Er hörte sie nach dem Jungen rufen und von weit entfernt eine Antwort. »Er sieht das Kinderprogramm«, sagte sie. »Jetzt lacht er.«

»Geben Sie mir bitte Ihre Adresse und Telefonnummer«, sagte Josefsson.

Wieder hörte er die Sirene. Es klang, als wären sie auf dem Weg nach Osten. Räuberjagd. Ein paar Halbstarke aus den Gettos im Norden, vollgepumpt mit irgendwelchen Drogen. Verdammt gefährlich.

»Dann erst mal vielen Dank«, sagte er abwesend und legte auf. Er verbesserte seine Schrift an einigen Stellen und legte das Blatt zur Seite, damit es am PC abgeschrieben werden konnte. Heute Abend würde er seine Notizen in einem der Ordner ablegen, wenn er dazu kam. Abgelegen unter … was? Es war ja nichts passiert. Ein Verbrechen, das auf seine Ausführung lauerte?

Es gab Eindeutigeres, was schon passiert war, genau in diesem Augenblick.

Das Telefon vor ihm klingelte wieder, es klingelte überall im Revier. Sirenen draußen von Süden. Er sah die blitzenden Lichter über der Straße, wild rotierend, als ob das Überfallkommando gleich abheben und dorthin schweben würde, wo all die Action stattfand.

Jakob Stillman war wach, aber mitgenommen, noch nicht ganz zurechnungsfähig. Ringmar saß neben dem Studenten und überlegte, was passiert sein mochte und wie. Auf dem Nachttisch standen Blumen. Jakob war nicht allein auf der Welt.

Hinter Ringmar kam jemand herein. Vielleicht blitzte etwas wie ein Wiedererkennen in Jakobs Augen auf. Ringmar drehte sich um.

»Sie haben gesagt, ich darf zu ihm«, sagte das Mädchen, das mit einem Blumenstrauß in der Tür stand. Sie schien im gleichen Alter wie seine Tochter zu sein. Vielleicht kennen sie einander, dachte er und erhob sich, als sie zum Bett ging und Jakob vorsichtig umarmte. Dann legte sie die Blumen auf den Nachttisch. Jakobs Augen waren jetzt geschlossen, vermutlich war er wieder bewusstlos geworden.

»Noch mehr Blumen«, sagte sie und Ringmar sah, dass sie gern die Karte in den anderen Blumen gelesen hätte, sich aber nicht traute. Sie drehte sich zu ihm um.

»Sie sind also Moas Vater?«

Gut. Moa hatte mit ihr gesprochen.

»Ja«, antwortete er. »Vielleicht könnten wir uns draußen im Wartezimmer ein wenig unterhalten?«

»Er hatte vermutlich nur Pech«, sagte sie. »Oder wie man das nun nennen soll. Falscher Mann am falschen Ort, oder wie das heißt.«

Sie saßen allein am Fenster. Draußen war ein grauer Tag. Der Raum war von einer Sonne, die es nicht gab, in einen eigentümlichen Schatten getaucht. Eine Frau hustete leise auf dem Sofa, der Korbtisch daneben war mit Zeitungen bedeckt, die voller Bilder von lächelnden Prominenten waren. Für wen prominent?, hatte Ringmar mehr als einmal gedacht. Krankenhausbesuche gehörten zu seinem Job, und häufig hatte er sich gefragt, warum ausgerechnet in den düsteren Wartezimmern der Krankenhäuser haufenweise diese Illustrierten herumlagen. Vielleicht schenkten sie Trost, wie die kleinen Lichter, die auf den Tischen in den Krankenzimmern brannten. Ihr da drinnen in den Illustrierten, fotografiert auf allen Partys und Premieren, seid vielleicht wie wir gewesen, und wir können vielleicht wie ihr werden, wenn wir gesund und bei der großen Talentjagd entdeckt werden. Die war ständig in Gang, ununterbrochen. Die Fotos dieser Leute waren ein Beweis dafür. Da gab es keinen Platz für verblasste Polaroids von zerschmetterten Hinterköpfen.

»Das war kein Pech«, sagte Ringmar jetzt und sah das Mädchen an.

»Sie wirken jünger als ich dachte«, sagte sie.

»Oder als Moa mich beschrieben hat«, sagte er.

Sie lächelte, wurde aber gleich wieder ernst.

»Kennen Sie jemanden, der Jakob absolut nicht mag?«, fragte Ringmar.

»Alle mögen ihn«, sagte sie.

»Mag er irgendjemanden nicht?«

»Nein.«

»Wirklich niemanden?«

»Nein.«

Das ist wahrscheinlich eine Zeiterscheinung, dachte Ringmar, und dann ist es gut so. Als ich jung war, war man immer auf irgendjemanden oder etwas sauer. Ständig sauer.

»Wie gut kennen Sie ihn?«, fragte er.

»Tja … er ist mein Freund.«

»Haben Sie mehr gemeinsame Freunde?«

»Klar.«

Ringmar sah aus dem Fenster. Zwei Jugendliche standen im Regen an der fünfzig Meter entfernten Bushaltestelle und hoben die Hände in den Himmel wie aus Dankbarkeit. Keinerlei Feinde. Dieser verdammte Regen war ein lieber Freund.

»Keine gewalttätigen Typen im Freundeskreis?«, fragte Ringmar.

»Absolut keine.«

»Was haben Sie zu dem Zeitpunkt gemacht, als Jakob überfallen wurde?«

»Wann war das genau?«, fragte sie.

»Das darf ich Ihnen eigentlich nicht sagen«, antwortete er, und dann sagte er es ihr doch.

»Da habe ich gerade zwei Stunden oder so geschlafen.«

Aber Jakob hat nicht geschlafen. Ringmar sah ihn vor sich, leicht betrunken über den Doktor Fries Torg schwankend. Auf dem Weg zum Wartehäuschen der Straßenbahn? So spät fuhr keine Straßenbahn mehr. Und dann von irgendwoher ein Teufelsschlag gegen den Hinterkopf. Keine Hilfe von Doktor Fries. Dem Verbluten überlassen, wenn nicht ein junger Mann, der vorbeigekommen war und den Körper gesehen hatte, eine Minute, nachdem es passiert war, die Zentrale alarmiert hätte.

Jakob, das dritte Opfer. Überfälle an drei verschiedenen Stellen in der Stadt. Die gleiche Art Wunde. Eigentlich tödlich. Vielleicht. Aber so weit war es nicht gekommen. Noch nicht, dachte er. Die beiden anderen Opfer hatten nichts gesehen. Nur einen Schlag von hinten gespürt.

»Leben Sie zusammen?«, fragte er.

»Nein.«

Ringmar schwieg einen Augenblick. Die Jugendlichen da draußen waren mit dem Bus weggefahren. Vielleicht wurde es im Westen heller, ein hellblauer Schimmer. Das Wartezimmer war hoch oben im Krankenhaus, das selber auf dem Berg lag. Vielleicht sah er das Meer, ein stilles Feld unter dem Blau.

»Haben Sie sich seinetwegen Sorgen gemacht?«

»Wie Sorgen?«

»Wo er in der Nacht gewesen sein könnte? Was er getan hat?«

»Wir sind ja schließlich nicht verheiratet. Wir sind … Freunde.«

»Sie wissen also nicht, wo Jakob an dem Abend oder in der Nacht war?«

»Nein.«

»Wen kennt er dort?«

»Wo?«

»In Guldheden. Um den Doktor Fries Torg herum, Guldhedsschule, die Gegend.«

»Ich hab wirklich keine Ahnung.«

»Kennen Sie dort jemanden?«

»Der da wohnt? Neiiin, ich glaub nicht. Nein.«

»Aber er war dort, und dort wurde er niedergeschlagen«, sagte Ringmar.

»Da müssen Sie ihn schon selber fragen«, sagte sie. »Das werde ich tun, sobald es geht.«

Winter hatte Elsa im Kindergarten abgeliefert. Er hatte eine Weile bei einer Tasse Kaffee gesessen und zugeschaut, wie sie geschäftig ihre Bastelutensilien auf dem kleinen Schreibtisch arrangierte: ein rotes Telefon, Papier, Stifte, Malkreiden, Zeitungen, Tesafilm, Schnüre … Es gab viel zu tun, das Resultat würde er am Nachmittag sehen. Es würde ohne Zweifel etwas Einzigartiges sein.

Sie merkte kaum, als er sie umarmte und ging. Draußen auf dem Hof zündete er sich einen Corps an. Nach so vielen Jahren konnte er nichts anderes rauchen. Er hatte es versucht, aber es ging nicht. Corps wurde in Schweden nicht mehr verkauft, aber ein Kollege, der häufig Reisen nach Brüssel unternahm, sorgte für den Direktimport.

Es war ein milder Morgen. Die Luft roch nach Winter, fühlte sich aber wie früher Herbst an. Er rauchte und knöpfte seinen Mantel auf. Überall sah er schwer beschäftigte Kinder: alle Arten von Sport und Spiel. Gymnastik mit Spiel und Sport, hatte es geheißen, als er klein gewesen war: Spiel. Das Spielen verschwindet aus dem Sport, dachte er und sah ein Kerlchen auf dem Weg den Hügel hinunter zu einer Lücke im Gebüsch. Er drehte den Kopf und sah zwei der Erzieherinnen, belagert von Kindern, die alle etwas wollten oder weinten oder lachten. Und er ging rasch den Hügel hinunter und in die Büsche hinein, wo der Junge stand und mit seinem Plastikspaten gegen den Zaun schlug. Er drehte sich um, als Winter kam, und lächelte, wie ein Gefangener, der dabei war, aus dem Knast zu fliehen.

Winter brachte den Kleinen zurück, der ihm etwas erzählte, das er aber nicht verstand. Trotzdem nickte er beifällig. Auf dem halben Weg am Hügel stand eine der Erzieherinnen.

»Ich wusste gar nicht, dass da unten ein Zaun ist«, sagte Winter.

»Ein Glück, dass der da ist«, sagte sie. »Sonst könnten wir die Kinder gar nicht hier auf dem Grundstück halten.«

Jetzt sah er, dass Elsa aus dem Haus kam, sie hatte beschlossen, eine Pause beim Basteln einzulegen.

»Es ist schwer, sie alle gleichzeitig im Auge zu behalten, oder?«, fragte er.

»Ja, es ist schwerer geworden.« Er hörte die Andeutung eines Seufzers. »Aber ich will nicht jammern, wenn Sie mich so fragen. Es stimmt, es sind mehr Kinder und weniger Personal.« Sie machte eine Handbewegung. »Hier sind wir jedenfalls eingezäunt.«

Winter schaute zu Elsa auf der Schaukel. Sie rief laut, als sie ihn sah, und er winkte.

»Wie handhaben Sie das denn, wenn Sie einen Ausflug unternehmen? Oder die Bande zu einem Park oder größeren Spielplatz bringen?«

»Am liebsten machen wir gar keine Ausflüge«, sagte sie.

Ringmar saß bei dem Studenten, Jakob Stillman. Er hatte seinem Namen Ehre gemacht, aber jetzt drehte er langsam und unter Schwierigkeiten den Kopf und fixierte Ringmar vor seinem Krankenbett. Ringmar hatte sich ihm vorgestellt.

»Ich möchte nur ein paar Fragen stellen«, sagte er. »Und ich schlage vor, Sie blinzeln einmal, wenn Sie ja antworten und zweimal hintereinander, wenn Sie nein antworten. Okay?

Stillman blinzelte einmal.

»Gut.« Ringmar rückte näher heran mit dem Stuhl. »Haben Sie jemanden hinter sich gesehen, kurz bevor Sie der Schlag traf?«

Ein Blinzeln.

»Sie haben also etwas bemerkt?«, fragte Ringmar.

Noch ein Blinzeln. Ja.

»War es weit entfernt?«

Zweimal blinzeln. Nein.

»Waren Sie allein, als Sie den Platz überquerten?«

Ja.

»Aber Sie konnten jemanden auf sich zukommen sehen?«

Nein.

»Es war jemand hinter Ihnen?«

Ja.

»Konnten Sie etwas sehen?«

Ja.

»Das Gesicht?«

Nein.

»Den Körper?«

Ja.

»Groß?«

Kein Blinzeln. Der Junge ist klüger als ich, dachte Ringmar. »Mittelgroß?«

Ja.

»Ein Mann?«

Ja.

»Würden Sie ihn wiedererkennen?«

Nein.

»War er sehr nah, als Sie ihn sahen?«

Ja.

»Haben Sie ein Geräusch gehört?«

Ja.

»Haben Sie das Geräusch gehört, bevor Sie ihn sahen?«

Ja.

»Haben Sie sich deswegen umgedreht?«

Ja.

»War es das Geräusch seiner Schritte?«

Nein.

»War es das Geräusch von einem Gegenstand, womit er auf den Boden schlug?«

Nein.

»War es ein Geräusch, das nichts mit ihm zu tun hatte?«

Nein.

»Hat er etwas gesagt?«

Ja.

»Haben Sie verstanden, was er gesagt hat?«

Nein.

»Klang es schwedisch?«

Nein.

»War es mehr wie ein Schrei?«

Nein.

»Mehr wie ein Laut?«

Ja.

»Ein leiseres Geräusch?«

Ja.

»Ein menschlicher Laut?«

Nein.

»Aber er kam von ihm?«

Ja.

3

Er fuhr durch die Tunnel, die dunkler waren als der Abend draußen. Die nackten Lampen an den Wänden machten die Dunkelheit deutlicher. Autos, denen er begegnete, waren lautlos.

Er fuhr mit einem geöffneten Fenster, das Luft und einen kalten Schein hereinließ. Am Ende des Tunnels war kein Licht, nur Dunkelheit.

Es war, als führe er in die Hölle, Tunnel um Tunnel. Er kannte sie alle, er umkreiste die Stadt in den Tunneln. Gibt es einen Namen dafür?, dachte er. Einen Terminus?

Die Musik im Radio. Oder hatte er eine CD eingelegt? Daran konnte er sich nicht erinnern. Eine hübsche Stimme, der er gern zuhörte, wenn er unter der Erde fuhr. Bald würde die ganze Stadt begraben sein. Die ganze Autostraße entlang des Wassers würde in der Hölle untertauchen.

Er saß vorm Fernseher und sah seinen Film. Der Spielplatz, das Klettergerüst, die Rutschbahn, von der die Kinder hinunterrutschten, eins der Kinder lachte, und er lachte auch, weil es so lustig aussah. Er ließ den Film sofort zurücklaufen und sah sich die lustige Stelle noch einmal an, machte sich eine Notiz auf dem Blatt Papier, das neben ihm auf dem Tisch lag. Dort stand außerdem eine Vase mit sechs Tulpen, die er am selben Nachmittag gekauft hatte. Die Vase und die Blumen.

Jetzt war der Junge da. Sein Gesicht, dann das Autofenster dahinter, das Radio, der Rücksitz. Der Junge sagte, was er filmen sollte, und er filmte. Warum sollte er das nicht tun?

Der Papagei, der von dem Rückspiegel baumelte. Er hatte einen gelb-roten ausgesucht, genau wie das Klettergerüst auf dem Spielplatz, das gestrichen werden müsste, aber sein Papagei brauchte keine Farbe.

Der Junge, der Kalle hieß, wie er sagte, mochte den Papagei. Das war im Film zu erkennen. Der Junge zeigte auf den Papagei, und er filmte ihn, obwohl er am Steuer saß. Das erforderte Geschicklichkeit, er konnte das, fahren und gleichzeitig an etwas anderes denken, etwas anderes tun. Das konnte er schon lange gut.

Jetzt hörte er die Stimmen, als ob er plötzlich die Lautstärke hochgedreht hätte.

»Pagei«, sagte er.

»Pagei«, antwortete der Junge und zeigte wieder darauf, und der Papagei sah fast so aus, als wollte er davonfliegen.

Pagei. Das war ein Trick. Wenn jemand anders diesen Film sah, was niemals geschehen würde, aber wenn, nur mal angenommen, wenn, dann würde es so wirken, als ob er versuchte, Kindersprache zu sprechen, aber so war es nicht. Das war einer seiner Tricks, wie so viele andere Tricks, die man brauchte, wenn man klein war und die Stimme plötzlich mi-mi-mimi-tten in ei-ei-ei-nem Sa-sa-satz ge-ge-ge-stoppt wurde und man anfing zu sto-sto-sto-ttern.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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