Der Himmel in deinen Augen - Ruth Gogoll - E-Book

Der Himmel in deinen Augen E-Book

Ruth Gogoll

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Beschreibung

Die Kunsthändlerin und Frauenheldin Fabiola de Arrighi trifft in der Galerie eines Freundes die sehr viel jüngere Sarah, die gerade von ihrer Freundin Vic stehengelassen wird, weil die geschäftlich weg muss. Der Jagdtrieb erwacht, und Fabiola bietet der enttäuschten Sarah Trost an. Doch Sarah ist trotz allem treu und will Fabiola zum Teufel schicken, was in einem gemeinsamen Tango und einem Flug nach Paris endet. Dort wird Sarah ein weiteres Mal enttäuscht, und so lässt sie sich auf eine Nacht mit Fabiola ein, die dabei merkt, dass Sarah mehr für sie ist als nur der übliche gelegentliche Flirt. Nach der gemeinsamen Nacht ist Sarah jedoch verschwunden. Am Telefon kann sie nur noch schwach hauchen, dass Vic sie eingesperrt hat, bevor sie ohnmächtig wird. Wird Fabiola Sarah aus den Fängen der regelrechten Furie befreien können?

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Ruth Gogoll

DER HIMMEL IN DEINEN AUGEN

Roman

© 2019édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-293-0

Coverfoto:

1

Fabiola betrat die Kunstgalerie und schaute sich wohlwollend um. Carlo hatte sich hier eines der geschmackvollsten Juwele geschaffen, die es in dieser Branche gab. Sie kam immer wieder gern hierher.

Diesmal kam sie jedoch offenbar zum falschen Zeitpunkt, denn es herrschte ein kreatives Durcheinander. Im Schaufenster hatte sie die Ankündigung für eine Vernissage gesehen, doch ganz offensichtlich waren die Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen.

Sie schaute sich nach Carlo um, konnte ihn aber nicht entdecken. Sie würde vielleicht besser heute Abend wiederkommen. Hier störte sie nur. Als sie sich schon abwenden wollte, um zu gehen, wurde sie durch eine begeisterte Stimme in der Bewegung aufgehalten.

»Ich freue mich. Ich freue mich so!« Eine junge Frau sprang vor Freude fast in die Luft. »Endlich ein Wochenende zu zweit! Mit dir. Ganz allein.« Sie legte ihre Arme um den Hals einer großen, hageren Frau und sah sie zärtlich an.

»Ich freue mich auch.« Die große Frau lächelte etwas amüsiert auf die kleinere hinunter. Dann begann auf einmal ihr Handy zu klingeln.

»Oh nein!« Die kleinere Frau stöhnte auf.

Die Stirn der großen legte sich in Falten. »Tut mir leid«, sagte sie. Sie löste sich von der kleineren und griff in ihre Jackentasche. Als sie das Handy ans Ohr legte, drehte sie sich weg und ging ein paar Schritte zum Fenster hin, so dass man nicht hören konnte, was sie sagte.

Als sie jedoch mit einem bedauernden Gesichtsausdruck zurückkehrte, verschwand auf einmal alle Freude aus dem Gesicht der kleineren Frau. Sie nickte resigniert. »Schon okay, Vic«, sagte sie. »Du musst weg.«

»Sarah . . .« Vic trat auf sie zu. »Ich kann es nicht ändern. Es gibt Probleme mit den neuen Spezifikationen. Tut mir so leid . . .«

»Ich weiß«, sagte Sarah. »Geh schon. Dein Flug wartet.«

Vic beugte sich zu ihr. »Du bist wunderbar«, sagte sie. »Wir holen es nach, ich verspreche es.« Sie hauchte einen flüchtigen Kuss auf Sarahs Wange.

Sarah nickte erneut, und Vic drehte sich um und ging schnell zur Galerietür hinaus.

Fabiola bemerkte, mit was für einem sehnsüchtigen Ausdruck in den Augen Sarahs Blick der verschwindenden Gestalt folgte, die draußen auf der Straße schon wieder an ihrem Handy hing. Das war nicht das erste Mal, dachte Fabiola. So ist sie schon öfter versetzt worden.

Die junge Frau tat ihr leid. Sie war wie ein Häufchen Elend zurückgeblieben und schien sich gar nicht rühren zu können. Fabiola ließ ihren Blick über sie gleiten. Sie war wahrscheinlich irgendetwas zwischen Mitte und Ende zwanzig und sehr, sehr hübsch. Fabiola lächelte und trat auf sie zu.

»Wann ist die Vernissage heute Abend?«, fragte sie sanft.

Die junge Frau namens Sarah drehte sich schnell um die eigene Achse und blickte verwirrt in die Richtung, aus der die Frage gekommen war.

»Entschuldigung.« Fabiola lächelte. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«

»Nein. Nein, das tun Sie nicht.« Sarah versuchte sich ganz offensichtlich zusammenzureißen. »Die Vernissage. Ja, ja . . . natürlich, heute Abend . . . heute Abend um acht.« Sie lachte etwas verlegen. »Verzeihen Sie. Ich war ganz in Gedanken.«

Fabiola lächelte immer noch freundlich. »Sie waren etwas abgelenkt, das verstehe ich.«

Sarah lächelte zurück, jedoch leicht gezwungen und unsicher. »Abgelenkt, ja, so war es wohl.«

Was für ein Lächeln, dachte Fabiola. Selbst in diesem Augenblick, da Sarahs Lächeln nur einen geschäftsmäßigen Anstrich hatte, fühlte Fabiola ein leichtes Kribbeln in ihren Fingerspitzen, als ob sie Sarah berühren wollten. Das hätte ich jetzt nicht erwartet, dachte sie. So etwas hier zu finden.

Sie blickte für einen kurzen Moment nachdenklich auf dieses unerwartete Geschenk, dann lächelte sie wieder. »Also bis heute Abend dann. Bei der Vernissage. Werden Sie da sein?«

Sarah sah vom Boden hoch, auf den sie ihren Blick gesenkt hatte. Ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Verwirrtes. »Ja. Ja, ich werde da sein. Natürlich. Es ist ja unsere Vernissage.« Ihre Worte klangen abwesend und unbeteiligt.

Oh-oh, dachte Fabiola. Sie würde jetzt am liebsten weglaufen, dieser Frau hinterher.

Sie sah, dass Sarah in diesem Moment schon wieder vergessen hatte, dass sie, Fabiola, da war. Verloren stand sie im Raum, als ob jemand sie mitten in der Galerie vergessen hätte.

»Ist alles in Ordnung?« Nur schwer konnte Fabiola sich von ihrem Anblick losreißen. Ein wenig erinnerte diese junge Frau sie mit ihren langen blonden Haaren an eine Märchenfee, die plötzlich in eine Welt geworfen worden war, die sie nicht verstand. Leider war ihr auf der Reise vom Märchenland hierher wohl ihr Zauberstab abhandengekommen.

Langsam erwachte die frischgetaufte Fee aus ihrer Geistesabwesenheit. »Ja, alles in Ordnung«, murmelte sie leise.

»Wollen Sie sich nicht setzen?«, fragte Fabiola. Sie hatte das Gefühl, dieses zarte Wesen könnte jeden Augenblick umfallen.

Erstaunt blickte Sarah sie an, aber in diesem Moment kam Carlo, der Besitzer der Galerie, aus dem hinteren Teil des Ladens auf sie zu. »Fabiola!« Er breitete lachend die Arme aus. »Ist es schon wieder soweit?«

Fabiola hob fragend die Augenbrauen.

»Ist schon wieder ein Jahr um?«, erläuterte Carlo lächelnd. Er war ein kleiner, dünner Mann, und als er Fabiola nun umarmte, verschwand er fast in ihr. Sie war größer als er.

»Scheint so«, erwiderte sie. Ihr Lächeln war voller Sympathie. Sie mochte Carlo ungeheuer gern. »Mir kommt es allerdings so vor, als hätten wir uns gestern erst gesehen.«

»Mir auch«, sagte er. Dann wandte er sich mit einem irritierten Blick an Sarah. »Wolltest du nicht schon längst weg sein?«

Die blonde Fee zögerte einen Moment. »Ja, wollte ich«, sagte sie dann. Sie zwang ein Lächeln in ihre Mundwinkel. »Aber das hat sich jetzt erledigt. Also kann ich dir doch bei den letzten Vorbereitungen für die Vernissage helfen, wie du es wolltest.«

»Ich wollte . . .«, erwiderte Carlo gedehnt, »dass du wegfährst. Die Vernissage hätte ich auch allein geschafft.«

Sarah lächelte weiter etwas gezwungen. »Aber ein bisschen Hilfe kann man doch immer gebrauchen, nicht wahr?«

»Natürlich«, stimmte er zu. »Aber mir wäre es lieber, wenn du glücklich wärst. Das wievielte Mal war das jetzt, dass sie dich im letzten Moment sitzengelassen hat?«

Erschrocken warf Sarah einen Blick auf Fabiola. »Ich – sie hat mich nicht . . .«, protestierte sie schwach. »Ich meine, sie musste beruflich weg, das war alles.«

»Das war alles«, wiederholte Carlo ohne besondere Betonung. »Wie immer.«

Sarah blickte ihn etwas trotzig an. »Und übrigens bin ich glücklich. Ich weiß gar nicht, was du meinst.«

Carlo betrachtete sie kurz nachdenklich, dann sagte er: »Na gut. Wenn du unbedingt arbeiten willst, habe ich nichts dagegen.« Er wies nach hinten. »Du könntest dir ein paar Gedanken zu den Aquarellen machen. Da weiß ich noch nicht genau, wie sie hängen sollen.«

Es schien, als ob Sarah erleichtert wäre, sich in den hinteren Teil der Galerie zurückziehen zu können.

Kurz darauf war sie aus Fabiolas Blickfeld verschwunden.

»Oha«, bemerkte Carlo mit wissender Miene, während er Fabiolas Gesicht musterte. »Du hast Interesse an ihr.«

Fabiola zuckte die Schultern. »Sie scheint nicht sehr glücklich zu sein, auch wenn sie das behauptet.«

»Sie will es einfach nicht wahrhaben.« Carlo seufzte. »Diese Vic ist nicht gut für sie. Überhaupt nicht gut. Aber sie hängt an ihr, als wäre sie alles, was sie hat. Das ist einfach nicht vernünftig.«

»Na, da kenne ich noch jemanden, der in diesen Dingen nicht besonders vernünftig ist«, erwiderte Fabiola leicht schmunzelnd.

»Ach, bei uns ist das doch etwas anderes.« Carlo winkte ab. »Wir Jungs sind nicht so kompliziert. Aber ihr Mädels . . .« Er schüttelte den Kopf.

»Wir müssen auch nicht kompliziert sein«, widersprach Fabiola. Sie warf einen Blick nach hinten, wo aber nichts mehr von Sarah zu sehen war. »Aber sie ist noch sehr jung.«

»Ach so? Und du bist alt und abgeklärt?« Carlo lachte.

»Älter als sie auf jeden Fall«, sagte Fabiola. »Aber ich sehe«, sie wechselte das Thema und schaute sich anerkennend um, »dass du einen neuen Künstler entdeckt hast.«

»Eine Künstlerin«, korrigierte Carlo. »Und nicht ich habe sie entdeckt, sondern Sarah. Sie ist Gold wert. Hat einen untrüglichen Blick für das Besondere.«

Fabiola lachte. »Bei Künstlern, aber nicht bei ihrer Freundin?«

»Tja.« Carlo zuckte die Schultern. »Wie es eben manchmal so ist . . . Aus der Nähe ist das Auge blind.«

»Scheint so«, sagte Fabiola.

»Ah . . .«, machte Carlo gedehnt. »Da ist wieder dieses Funkeln in deinen Augen.« Er nickte. »Vic ist das ganze Wochenende nicht da, wie es aussieht.«

Fabiola wiegte zweifelnd den Kopf hin und her. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Sie wirkt ziemlich . . .«, wieder wanderte ihr Blick nach hinten, »verletzlich.«

»Sie braucht nur die richtige Frau, die sie aufbaut«, behauptete Carlo. »Und nicht eine, die sie immer nur runterzieht.« Sein Gesicht verzog sich grimmig, was ganz untypisch für ihn war. Er war eher eine Frohnatur, der alles – bis auf sein Geschäft – leichtnahm. »Du würdest ihr einen Gefallen tun.«

Fabiolas Mundwinkel zuckten. »Ich bin nicht sicher, ob sie das genauso sieht. Aber ich kann sie ja mal zum Essen einladen.«

»Das kann auf jeden Fall nie schaden«, bestätigte Carlo und rieb sich zufrieden die Hände. »Aber jetzt musst du mich entschuldigen. Hinten ist noch einiges zu tun. Und du kommst ja sicher nachher zur Vernissage.« Er schaute sie fragend an.

»Natürlich.« Fabiola nickte lächelnd. »Das lasse ich mir bestimmt nicht entgehen.«

Carlo lachte leise. »Jetzt würde ich gern wissen, ob du dabei an die Bilder denkst oder an . . . etwas anderes.«

Neckend tippte Fabiola ihm mit einem Finger auf die Nase. »Sage ich dir nicht.«

»Weiß man bei dir nie so genau«, meinte Carlo. »Dann bis später«, verabschiedete er sich nun schon mit abwesend gerunzelter Stirn über dem Winken seiner sorgfältig manikürten Hand. »Wir sehen uns.« Und wie einer von diesen kleinen, agilen Hunden begab er sich geschäftig nach hinten.

Fabiola stand noch kurz da, dann drehte sie sich um und ging hinaus.

Als sie am Abend wieder in der Galerie ankam, waren die meisten Gäste schon eingetroffen. Stimmengewirr zwischen Champagnerschalen. Sie nickte Carlo nur kurz zu, der am anderen Ende der Galerie stand, als sie zur Eingangstür hereinkam. Carlo lächelte zurück und widmete sich erneut seinen Gesprächspartnern.

Gemächlich begab Fabiola sich zum Buffet und beobachtete von dort aus die Gesellschaft, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sie wusste immer gern, wer von ihren Konkurrenten da war und wie das Publikum auf einen neuen Künstler reagierte. Und heute – sie schaute sich um – hatte sie auch noch ein anderes Interesse.

Die junge Frau, Sarah, war ebenso wie Carlo mit Kunden oder vielleicht auch Pressevertretern beschäftigt, die sie anscheinend über die neue Künstlerin ausfragten. Möglicherweise war eine der Frauen in der Gruppe sogar die Künstlerin selbst, auch wenn das von Fabiolas Position aus nicht festzustellen war. Aber sicherlich würde die Neuentdeckung im Laufe des Abends dem Publikum vorgestellt werden.

Fabiola überlegte, ob sie so lange warten und sich erst einmal die angeblich so besonderen Bilder ansehen sollte, aber sie merkte, dass das nicht unbedingt das war, was sie jetzt tun wollte. Ihr stand der Sinn nach etwas anderem, also schlenderte sie langsam, als würde sie tatsächlich die Bilder betrachten, zu der Gruppe um Sarah hinüber.

Als sie in Hörweite war, konnte sie feststellen, wie viel sicherer und selbstbewusster als bei ihrer ersten Begegnung Sarahs Stimme klang. Sie sprach über etwas, das sie wirklich interessierte und womit sie sich hervorragend auskannte, das merkte man.

Es wurde schnell klar, dass die junge Frau neben ihr wohl die Künstlerin sein musste. Sie war in eine weite persische Hose und einen ebensolchen Kaftan gekleidet, die in allen Regenbogenfarben leuchteten, wirkte ein wenig schüchtern und trug eine runde Nickelbrille, vermutlich aus irgendeinem Retroladen.

Fabiolas Blick verweilte jedoch nicht auf ihr. Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, wurde er von Sarah gefesselt. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so von einer Frau fasziniert gefühlt.

Sarah wirkte verglichen mit der Künstlerin dezent gekleidet, für sie war das hier Arbeit, und dementsprechend hatte sie ein unauffälliges schulterfreies Kleid gewählt, das zwar dem Anlass angemessen war, aber keiner der anwesenden Damen Konkurrenz machte. So unauffällig das Kleid jedoch auch war, Sarah und insbesondere Sarahs nackte Schultern waren es für Fabiola nicht.

Der Unterschied zu heute Nachmittag war frappierend, denn da hatte Sarah noch fast freizeitmäßig ausgesehen in Jeans und ihrem weiten T-Shirt. Alles war von oben bis unten mit Sägespänen und Klebeband, Farbe und Kordelresten übersät gewesen von den Vorbereitungen für die Vernissage.

Nun sah sie irgendwie . . . gediegen aus. Während Carlo immer versuchte, sich selbst einen künstlerischen Touch zu verleihen, hatte Sarah offensichtlich darauf verzichtet. Ihre Aufmachung war eine klare Aussage zu Understatement. Sie wollte weder der Künstlerin noch sonst jemandem die Schau stehlen. Alle sollten sich nur auf die Bilder konzentrieren, nicht auf sie, das schien sie zu beabsichtigen.

Allerdings gelang es Sarah nicht, die Aufmerksamkeit ganz von sich abzuwenden. Fabiola war nicht die einzige, die sie mit ihren Blicken verfolgte, wie sie bald bemerkte. Sie lächelte leicht. Ja, Sarah hatte etwas, da konnte sie noch so sehr versuchen, sich unscheinbar zu machen, sie war es nicht.

Sie lauschte Sarahs Erklärungen für eine Weile, nur, um ihre Stimme zu hören, die sie geradezu in ihren Bann zog.

Dann endlich war der Moment gekommen, da Carlo zu ihnen trat und die offizielle Vorstellung der Künstlerin verkündete. Er hatte eine kleine Rede vorbereitet, mit geschickt eingestreuten Sentenzen, die das Publikum immer wieder zum Lachen brachten, es dann aber erneut ernst lauschen ließen, ganz wie er es wollte. Wie ein Puppenspieler ließ er alle wie Marionetten nach seiner Pfeife tanzen. Fabiola wusste, wie sehr er das genoss. Das waren seine großen Momente, die er sich niemals hätte nehmen lassen.

Endlich war der offizielle Teil vorbei, und Carlo forderte alle auf, sich den Bildern, aber auch dem Buffet zu widmen, bevor er sich lächelnd einem künstlerisch gekleideten jungen Mann am anderen Ende des Raumes zuwandte. Er trug ein Samtjackett, eine verwegen auf dem Ohr hängende Baskenmütze und einen locker, ganz Picasso Junior, um den Hals geschlungenen roten Schal.

Das ist sein neuer Favorit, dachte Fabiola schmunzelnd. Vielleicht hofft er ebenfalls auf eine Ausstellung.

Sie betrachtete noch eine Weile das Bild, vor dem eben noch die Gruppe mit der Künstlerin gestanden hatte, und musste zugeben, dass es wirklich etwas Besonderes war. Das Besondere lag aber nicht an der Oberfläche, man musste genauer hinschauen, um es zu entdecken. Das hatte Sarah offensichtlich getan.

Die Menschenmasse hatte sich zerstreut, nun standen kleine Grüppchen von zwei oder drei Personen vor den verschiedenen geschickt aufgehängten und beleuchteten Ausstellungsstücken und schauten sie sich genauer an. Vielleicht überlegte der eine oder andere schon, ob er eines der Werke kaufen sollte.

Am Buffet hatte sich zuerst eine richtige Traube gebildet, aber die löste sich ebenfalls schon wieder auf. Eine bekannte Gestalt, die sich nicht zu rühren schien, schälte sich heraus.

»Essen Sie gar nichts?«

Anscheinend traf die Frage Sarah überraschend. Sie war so konzentriert und mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass sie überhaupt nicht bemerkt hatte, dass Fabiola neben sie getreten war. Ruckartig blickte sie auf. »Ich habe – keinen Hunger«, erwiderte sie beinah etwas entschuldigend.

»Das ist aber schade.« Fabiola lächelte und ließ ihren Blick über das Buffet schweifen. »Sieht gut aus.«

Sie bemerkte, wie Sarah erneut ein geschäftsmäßiges Lächeln aufsetzte. Schließlich war Fabiola eine Kundin der Galerie, die eventuell Geld einbringen konnte. »Kann ich Ihnen irgendetwas zeigen?«, bot sie zuvorkommend an. »Interessieren Sie sich für eines der Gemälde der Künstlerin besonders?«

»Nichts Spezielles. Mehr so allgemein«, sagte Fabiola. »Eine bemerkenswerte Neuentdeckung Ihrer Galerie.« Sie ließ sich von dem weißbejackten Kellner hinter dem Buffet ein Glas Champagner einschenken und prostete Sarah damit zu.

»Ich habe sie in Amsterdam entdeckt«, erklärte Sarah. Sie lachte. »In einer Umgebung, die nicht gerade künstlerisch wirkte!«

»Ja, ich hörte schon, dass Sie sie entdeckt haben.« Fabiola nickte. »Respekt.«

Verhalten zuckte Sarah die Schultern. »Das wird sich noch zeigen. Bislang ist sie nur einem eingeweihten Publikum bekannt. Bis sie in der Kunstszene ein Begriff ist, kann es noch dauern.«

»Was denken Sie? Lohnt es sich jetzt schon, ihre Bilder zu kaufen?«, fragte Fabiola. »Als Kapitalanlage, meine ich. Werden sie im Wert steigen?«

Sarah überlegte eine Weile. »Das kann man natürlich nie sagen«, erwiderte sie dann zurückhaltend. »Ich denke, sie ist sehr vielversprechend, aber – nun ja, garantieren kann ich Ihnen da nichts.«

Fabiolas Mundwinkel hoben sich amüsiert. »Sie sind keine gute Verkäuferin«, sagte sie. »Ich finde das sehr sympathisch.«

»Ich bin –« Sarahs Gesicht verzog sich, als müsste sie sich für etwas rechtfertigen, das ihr peinlich war. »Ich habe Kunstgeschichte studiert, nicht Betriebswirtschaft. Obwohl das heute wahrscheinlich angebrachter wäre.«

»Ach, angebracht. Was ist schon angebracht?«, erwiderte Fabiola wegwerfend. »Sie lieben Kunst, das ist die Hauptsache. Und Sie haben einen guten Blick für Details, sonst hätten Sie diese Künstlerin nicht entdeckt. Das spricht alles sehr für Sie.«

Anscheinend überrascht von dem Kompliment entgegnete Sarah verlegen »Danke«, als hätte sie eigentlich kein wie immer geartetes Kompliment verdient.

Bekommt sie denn nie Komplimente? dachte Fabiola erstaunt. Bei ihrem Aussehen müsste sie doch damit überschüttet werden. »Nichts zu danken«, bemerkte sie lächelnd. »Carlo denkt dasselbe. Er hält sehr viel von Ihnen. Das hat er mir selbst gesagt.«

»Tatsächlich?« Auch das schien Sarah zu überraschen.

Fabiola lachte. »Ich werde ihm mitteilen, dass er das auch mal Ihnen sagen soll, nicht nur seinen Kunden und Geschäftspartnern. Das ist ja unmöglich.«

»Nein, nein.« Nun lächelte Sarah endlich auf eine nicht so geschäftsmäßig gezwungene Art. »Er hat es mir schon gesagt. Ich wusste nur nicht, dass er das auch anderen erzählt. Meistens«, sie schürzte die Lippen, »kassiert er die Lorbeeren ganz gern selbst.«

»Ich weiß.« Fabiola schmunzelte. »Aber wir sind sehr alte Freunde. Und er weiß, dass ich das, was er erzählt, durchaus nicht immer glaube. Ich durchschaue ihn.« Sie schenkte Sarah einen wohlwollenden Blick, das war zumindest ihre Absicht, aber sie merkte sofort, dass es ein zu eindeutiges Wohlwollen war. Sie räusperte sich. »Hat er Sie denn wenigstens mal zum Essen eingeladen für Ihre Entdeckung?«

Sarah lachte. »Vielleicht, wenn die Bilder verkauft sind. Aber auch dann –« Sie schüttelte skeptisch den Kopf. »Ich glaube nicht, dass er das tut.«

»Darf ich es dann tun?«, fragte Fabiola. »In Vertretung für ihn?«

»Ich . . . ähm . . .« Sarah wirkte vollkommen überfordert von der Einladung. Sie blieb stecken und sprach nicht mehr weiter.

»Oder haben Sie keine Zeit?«, ergänzte Fabiola ihre Frage.

»Zeit?« Sarah zögerte immer noch. »Doch, Zeit habe ich eigentlich genug . . . dieses Wochenende.« Sie versank wieder in Schweigen.

Das dachte ich mir, ging es Fabiola durch den Sinn. Das, was du vorhattest, ist ja ausgefallen. »Dann wäre doch alles in Ordnung«, sagte sie. »Es sei denn –« Sie sah Sarah fragend an. »Es sei denn, Sie hätten keine Lust.«

Es schien, als wöge Sarah die Vor- und Nachteile dieser Einladung innerlich gegeneinander ab. So dauerte es eine Weile, bis sie Fabiola vorsichtig musterte.

Fabiola bemerkte es und lächelte sie freundlich an. »Ich beiße nicht«, versicherte sie. »Ich will nur mit Ihnen essen gehen.«

Sarahs Mundwinkel schienen zu zucken. »Etwas anderes kommt auch gar nicht in Frage.«

»Dann ist ja alles klar«, sagte Fabiola. »Also? Gehen Sie mit mir essen? Oder haben Sie schon etwas anderes vor?«

Immer noch musterte Sarah sie, als ob sie keine Entscheidung treffen könnte, doch dann sagte sie plötzlich: »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts anderes vor. Also gehen wir essen.« Ein leichtes Lächeln ließ ihr Gesicht entspannter erscheinen. »Warum nicht?«

Die erste Schlacht wäre geschlagen. Fabiola spürte das Kribbeln wieder. Sarahs Lächeln machte ihr ein wenig Hoffnung und versprach die Aussicht auf einen netten Abend, auch wenn sie weiteres schon im Voraus abgelehnt hatte. Aber das konnte sich noch ändern. Sie hatte da so ihre Erfahrungen.

»Das freut mich.« Unwillkürlich versank sie für einen Moment im Anblick von Sarahs Gesicht. »Sie sehen wundervoll aus, wenn Sie lächeln«, sagte sie leise.

Es war nichts, das sie geplant hatte. Die Worte kamen einfach so heraus. Und auf einmal kam sie sich komisch vor. Das verunsicherte sie selbst, obwohl das normalerweise nicht zu ihren Charaktereigenschaften gehörte.

Sarahs Gesichtsausdruck hatte sich sofort verschlossen, als sie ihr das Kompliment gemacht hatte. Fabiola bedauerte, dass es ihr herausgerutscht war. Sie machte gern Komplimente, und meistens hörten die Frauen sie auch gern, aber Sarah war im Moment in Gedanken wahrscheinlich bei Vic und wünschte sich nichts mehr als bei ihr zu sein. Fabiola störte da nur.

»Dann bis morgen«, sagte sie schnell. »Wir sehen uns.« Sie stellte ihr Champagnerglas ab, drehte sich um und begab sich zum Ausgang.

»Aber –« Sarah blickte ihr verwirrt hinterher. »Ich weiß ja nicht einmal, wie Sie heißen.«

Fabiola wandte sich noch einmal zu ihr zurück. »Fragen Sie ihn«, schlug sie mit einem spöttischen Emporziehen ihrer Augenbrauen in Carlos Richtung vor. »Ich treffe Sie um acht im Fra Diavolo.« Damit ging sie endgültig.

Eigentlich hatte Fabiola vorgehabt, viel länger zu bleiben, sich noch ein wenig mit Carlo zu unterhalten, ein paar der anderen bekannten Gesichter anzusprechen und die Vernissage erst sehr viel später ausklingen zu lassen wie sonst immer. Manchmal zogen sie in den frühen Morgenstunden sogar noch in eine Bar um.

Aber heute hatte sie fast die Flucht ergriffen. Warum nur?

Sie lachte leise über sich selbst. Sie wusste, warum. Der Grund hieß Sarah. Sarah . . . Auf einmal erschien ihr der Name wie reine Musik.

Sie blieb stehen und hob ihr Gesicht an. Die frische Nachtluft strich darüber und kühlte es. Sie hatte gar nicht gewusst, wie heiß es gewesen war.

Das war ihr schon lange nicht mehr passiert, dass eine Frau sie auf Anhieb so gefangennahm. Ungewöhnlich.

Vielleicht war es diese Szene mit Vic gewesen, die so einen tiefen Eindruck in ihr hinterlassen hatte. Es schien, als ob Vic Sarah sehr unglücklich machte – das hatte ja auch Carlo bestätigt –, Sarah aber trotzdem zu ihr hielt, obwohl von außen betrachtet alles nach Trennung schrie.

Manche Frauen waren furchtbar loyal, auch wenn der Gegenstand ihrer Loyalität das vielleicht gar nicht verdient hatte.

Aber was wusste sie schon über die beiden? Sie hob die Augenbrauen. Sie sollte sich nicht in Dinge einmischen, die sie nichts angingen.

Vic interessierte sie nicht, nur Sarah.

Und Sarah war am Wochenende allein.

2

»Es freut mich, dass Sie gekommen sind.« Fabiola lächelte Sarah an, als sie vom Kellner im Fra Diavolo an ihren Tisch geführt wurde.

»Bin ich zu spät?« Sarah setzte sich, und der Kellner rückte ihr den Stuhl zurecht. »Ich dachte, ich wäre pünktlich. Tut mir leid, wenn ich Sie habe warten lassen.«

»Sie sind nicht zu spät.« Fabiola betrachtete Sarahs leicht erhitztes, rosig schimmerndes Gesicht. Wie süß, dachte sie. Sie ist wirklich sehr süß. »Ich bin immer zu früh.« Entschuldigend lächelte sie erneut. »Das ist eine nervige Angewohnheit von mir.«

»Wen nerven Sie damit?« Sarah lächelte auch. Sie nahm die Menükarte und überflog die erste Seite.

»Alle.« Fabiola hatte bereits gewählt. Sie beachtete die Speisekarte nicht. »Trinken Sie Wein?«, fragte sie. »Ich habe einen Gagnerot bestellt, den ich letztes Jahr selbst aus Frankreich mitgebracht habe. Da ich oft hier esse, habe ich ein paar Flaschen in den Weinkeller legen lassen.«

»Ich verstehe nicht viel von Wein.« Sarah zog ein wenig die Stirn kraus.

»Es ist ein Burgunder. Rot.« Fabiola hob ihr Glas und betrachtete kurz den dunkel schimmernden Inhalt. »Ich mag diese leidenschaftliche Farbe.« Sie musterte Sarah über den Rand ihres Glases hinweg mit einem intensiven Blick.

Sarah tat so, als hätte sie die Anspielung nicht bemerkt. »Ich dachte, es kommt eher auf den Geschmack an«, sagte sie.

Fabiola lachte leicht. »Sie lassen mich abblitzen. Das ist gut.« Schmunzelnd stellte sie ihr Glas ab.

»Oh nein, entschuldigen Sie.« Es schien Fabiola, als erinnerte Sarah sich daran, dass es darum ging, eventuell ein Bild oder sogar mehrere an Fabiola zu verkaufen. Sie wirkte auf einmal verlegen. »So war es nicht gemeint.«

»Doch, war es«, entgegnete Fabiola leicht amüsiert. Sie umfasste Sarah lächelnd mit ihrem Blick. »Und das gefällt mir. Sehr.« Sie beugte sich leicht vor. »Bitte sagen Sie mir, wenn ich Sie belästige. Das möchte ich nicht.« Ich möchte viel lieber, dass du es nicht als Belästigung empfindest, dachte sie. Dass du dasselbe willst wie ich. Aber das würde sich erst zeigen.

»Ich sollte Sie vielleicht ehrlicherweise darüber aufklären, dass ich nicht ungebunden bin«, erklärte Sarah kühl. »Falls Sie es sich noch einmal überlegen wollen, bevor ich bestelle.«

Fabiola lehnte sich zurück und lachte leise. »Sie meinen, das sollte ich tun: es mir noch einmal überlegen?« Sie schüttelte belustigt den Kopf. »Ihre wunderbare Ehrlichkeit macht Sie nur noch attraktiver. Da fällt es mir schwer zu überlegen.«

Diese Bemerkung schien Sarah zu überraschen. »Sie sind aber auch ziemlich ehrlich«, meinte sie erstaunt.

»Ich habe die Erfahrung gemacht«, erwiderte Fabiola, »dass das am meisten bringt. Wir sollten beide wissen, wo wir stehen, bevor wir irgendeine Entscheidung fällen.«

»Eine Entscheidung?« Sarah hob die Augenbrauen. »Die einzige Entscheidung, die ich hier sehe, ist das Auswählen der Speisen. Und natürlich«, sie hob leicht die Hand, »falls Sie über die Bilder der Künstlerin sprechen wollen, auf deren Vernissage Sie gestern waren. Oder irgendwelche anderen Bilder.«

In diesem Moment erschien der Kellner an ihrem Tisch, und sie gaben ihre Bestellung auf.

Nachdem er wieder gegangen war, verschränkte Sarah ihre Hände auf dem weißen Tischtuch. »Vielen Dank übrigens für die Blumen, die mich heute Morgen in der Galerie erwartet haben.«

»Haben sie Ihnen gefallen?«, fragte Fabiola. »Ich wusste nicht, was Sie mögen.«

»Oh, wem gefallen langstielige dunkelrote Rosen im Dutzend nicht?«, erwiderte Sarah etwas spöttisch. Sie hob die Augenbrauen. »Leider war der Strauß so übertrieben groß, dass ich ihn ins Lager stellen musste. Ich habe nicht viel davon gesehen.«

Was für eine Frau, dachte Fabiola. Sie gefällt mir immer besser. Wenn das überhaupt noch geht. »Wie schade«, bemerkte sie fast noch belustigter als zuvor. Dieses Abendessen gestaltete sich wesentlich vergnüglicher, als sie es erwartet hatte. »Ich hatte so gehofft, dass Sie sie den ganzen Tag über anschauen und sich auf den Abend freuen.«

»So etwas Ähnliches habe ich mir gedacht.« Sarahs Mundwinkel zuckten. »Aber es wäre vielleicht besser, Sie betrachten das hier als Geschäftsessen, nicht als ein privates Treffen.«

»Ah.« Fabiola beugte sich wieder vor. »Das heißt, Sie sehen das hier als reine Verkaufsverhandlung?«

»Ich dachte, das ist es, ja.« Sarah hielt Fabiolas Blick stand, der sie eindringlich musterte. »Ich erhalte Prozente von jedem Bild, das ich verkaufe.«

»Dann muss ich Ihnen ja etwas abkaufen«, lächelte Fabiola. »Damit Sie Ihre Zeit hier nicht verschwendet haben.«

»Frau de Arrighi . . .« Sarah schaute sie mit tadelnd hochgezogenen Brauen an.

»Ich sehe, Sie haben sich nach meinem Namen erkundigt«, schmunzelte Fabiola.

»Er stand auf der Karte«, erwiderte Sarah kühl. »Kaum zu übersehen.«

»Nun ja, Sie mussten ja schließlich wissen, von wem die Blumen kommen«, erklärte Fabiola nonchalant. »Könnte ja sein, dass mehr als ein Strauß pro Tag bei Ihnen abgegeben wird.«

Sarahs Mundwinkel zuckten erneut. Zumindest schien sie sich zu amüsieren. »Ja, manchmal bekomme ich Blumen von Kunden, das stimmt. Sie sind nicht die erste.«

»Nun ja . . .« Fabiola hob die Augenbrauen. »Ich hatte eher daran gedacht, dass Vic einen Strauß geschickt hat. Um sich für das ausgefallene Wochenende zu entschuldigen.«

Sarahs Miene verschloss sich. »Vic ist kein Blumentyp«, sagte sie. Auf einmal begannen ihre Augen zu blitzen. »Und im Übrigen geht Sie das überhaupt nichts an!«

»Da haben Sie wohl recht.« Mit einer um Verzeihung bittenden Geste hob Fabiola die Hände. »Es tut mir wirklich leid, aber . . .«, sie ließ ihren Blick über Sarahs angespanntes Gesicht schweifen, »ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen helfen könnte, das Wochenende so angenehm wie möglich zu gestalten.«

Weit öffneten sich Sarahs Augen. »Sie bieten mir an . . .« Ihre Lippen zuckten unentschlossen. »Sie bieten mir an, Vic an diesem Wochenende . . . zu ersetzen?«, fragte sie dann ungläubig. »Das ist verrückt.«

Fabiola lächelte weich und einnehmend. »Ist es wirklich so verrückt, das Wochenende mit einer schönen Frau verbringen zu wollen?«

Mit einem Ausdruck äußersten Unverständnisses auf dem Gesicht schüttelte Sarah den Kopf. »Sie können das Wochenende verbringen, mit wem Sie wollen. Aber ich«, sie schaute Fabiola mit wütend zusammengezogener Stirn an, »stehe dafür nicht zur Verfügung.«

»Sie wollen lieber allein leiden?«, fragte Fabiola. »Oder sogar am Sonntag arbeiten?«

»Ich leide nicht.« Sarahs Gesicht war ein einziges Bild der Abwehr. »In einer Beziehung kommt so etwas nun einmal vor. Dass man mal getrennt ist. Dass die Arbeit dazwischenfunkt. Das gehört dazu.«

»Mal ja«, bestätigte Fabiola nickend. »Aber ich konnte es nicht vermeiden mitzubekommen, dass dieses Wochenende wohl nicht das erste ist, an dem Sie alleingelassen werden. Trotz Beziehung.«

Sarahs Gesicht begann sich mehr und mehr zu verdunkeln.

»Ja, ich weiß«, fuhr Fabiola fort. »Es geht mich nichts an. Aber . . .«, sie lächelte leicht, »du leidest. Selbst wenn du das Gegenteil behauptest.« Auf Sarahs erstaunten Blick hin fügte sie hinzu: »In Anbetracht dessen, worüber wir hier reden, sollten wir uns duzen, finde ich.«

»Ich glaube nicht, dass ich das will«, sagte Sarah. »Das ist mir alles«, sie lehnte sich zurück und hob abwehrend die Hände, »sowieso schon viel zu viel.«

Fabiola atmete tief durch. »Damit hast du mir jetzt wohl mitgeteilt, dass ich dich belästige. Darum hatte ich dich gebeten, und das muss ich akzeptieren.«

»Das wäre mir lieb, ja«, erwiderte Sarah spröde. »Du bist –« Sie brach verdutzt ab. »Na gut«, fuhr sie dann aufseufzend fort. »Das macht ja nun auch nichts mehr. Aber ich glaube, ich möchte jetzt lieber gehen.«

Fabiola nickte nachdenklich. »Daran kann ich dich nicht hindern. Aber wir könnten natürlich auch«, ihre Mundwinkel zuckten, »über die Künstlerin sprechen.«

Sarah lachte auf. »Als ob du das je gewollt hättest!«

»Ach, das würde ich so nicht sagen«, widersprach Fabiola. »Ich bin schon an ihr interessiert. Als Künstlerin, meine ich. Ich glaube, du hast da etwas ganz Großes entdeckt.«

»Wenn die eine Strategie nicht klappt, versuchst du es mit einer anderen, ist es nicht so?« Sarah schüttelte den Kopf. »Du bist wirklich –«

»Ich bin wirklich«, wiederholte Fabiola und beugte sich vor, »an dir interessiert. Davon kannst du ausgehen. Und meine Aussage über die Künstlerin stimmt genauso. Das schließt sich nicht aus.«

»Mit ihr willst du aber nicht ins Bett.« Sarah schaute sie missbilligend an.

Fabiola schmunzelte. »Sie ist nicht mein Typ. Und auch sonst . . . Künstler sind schwierig.«

»Aha. Da hast du also schon deine Erfahrungen gesammelt«, stellte Sarah fest.

»Natürlich«, sagte Fabiola. »Ich bin Kunsthändlerin. Da bleibt das nicht aus.«

»Machst du das immer so?« Sarah betrachtete sie mit einem abschätzigen Blick. »Wenn die Künstlerin nicht in Frage kommt, nehme ich mir doch die Kunsthändlerin?«

»Das war jetzt nicht besonders schlau von mir, ich sehe schon.« Mit einem selbstironischen Lachen lehnte Fabiola sich zurück.

»Nein, war es nicht«, bestätigte Sarah. »Und ich glaube«, sie legte den Kopf schief, »du bist eigentlich eine sehr schlaue Frau.«

»Danke«, sagte Fabiola. »Aber was soll das jetzt heißen? Warum habe ich das Gefühl, dass dieses Kompliment einen Pferdefuß hat?«

»Was willst du wirklich von mir, Fabiola?«, fragte Sarah direkt.

Fabiola hob die Augenbrauen. »Ich dachte, das wäre klar. Du hast es ja auch schon abgelehnt.«

»Ich habe den Eindruck, das ist nicht alles.« Sarah legte nachdenklich den Kopf zur Seite. »Aber um es noch mal ausdrücklich zu sagen: Ich liebe Vic, und ich würde sie nie –« Sie brach ab, als hätte sie schon zu viel gesagt.

»Du würdest sie nie betrügen.« Fabiola lächelte. »Ich verstehe.«

»Ich glaube nicht, dass du das verstehst.« Sarahs Blick war nicht besonders freundlich. »Sonst hättest du mich gar nicht erst eingeladen.«

»Oh, man muss seine Chancen nutzen, wo man sie findet.« Fabiola lachte leicht. »Man weiß nie, was dabei herauskommt. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«

»Mit mir gewinnst du nichts«, erwiderte Sarah knapp. »Außer ein paar Bildern, wenn du tatsächlich interessiert bist.« Sie lächelte. »Aber selbst die bekommst du nicht umsonst. Du musst sie kaufen.«

»Das werde ich wohl.« Auch Fabiola lächelte. »Ich hoffe, du empfiehlst mir die besten.«

Sarah runzelte die Stirn. »Du weißt, dass es so etwas nicht gibt. Jedes Bild ist einzigartig. Das Beste seiner Art. Der Wert und die Qualität liegen hauptsächlich im Auge des Betrachters.«

»Die Qualität vielleicht.« Fabiola konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren. »Der Wert hängt wohl eher von dem Preis ab, den Carlo festlegt.«

»Du weißt, was ich meine«, widersprach Sarah. »Es ist nicht der Wert, der sich in Zahlen ausdrücken lässt, in Geld. Jedes Bild hat seinen ganz eigenen Wert für den Besitzer oder für den, der es besitzen will.«

Mit einem nachdenklichen Nicken stimmte Fabiola zu. »Wie so vieles in der Welt.« Ihr Blick konzentrierte sich wieder auf Sarah.

»Fabiola . . .« Als wäre sie ein Bild in einer Ausstellung, musterte Sarah Fabiola mit einem langanhaltenden Blick. »Du hast sehr viel Geld, nicht wahr?«

»Ich habe es noch nie gezählt«, sagte Fabiola, »aber bislang konnte ich alles bezahlen, was ich haben wollte.«

»Kann ich mir vorstellen.« Sarah schüttelte leicht den Kopf. »Aber es gibt Dinge, die man nicht kaufen kann.«

»Wie dich zum Beispiel?« Fabiola lächelte. »Das würde ich nie bezweifeln.«

Sarah beugte sich zurück, um dem Kellner Gelegenheit zu geben, den ersten Gang des Menüs vor ihr platzieren zu können.

Während er auch vor Fabiola einen schön verzierten Teller abstellte, schaute sie Sarah immer noch lächelnd an. »Ich frage mich, wo Carlo dich gefunden hat.«

Sarah schüttelte leicht den Kopf. »Es war wohl eher umgekehrt«, antwortete sie. »Ich habe einen Job gesucht nach meinem Kunstgeschichtsstudium –«

Fabiola unterbrach sie lachend. »Carlo nimmt keine Kunstgeschichtsstudenten. Es sei denn, sie sind männlichen Geschlechts und sehen aus wie Leonardo DiCaprio mit vierzehn.«

»Dann braucht er wohl eine Brille«, erwiderte Sarah fast schon übermütig.

Oh ja, bitte, dachte Fabiola. Entspann dich. Es könnte so ein schöner Abend werden. Ich möchte nicht, dass du gehst. Sie hatte den Eindruck, dass Sarah nicht viel Alkohol vertrug. Sie schien schon nach den wenigen Schlucken, die sie genommen hatte, leicht benebelt.

»Du hast dich also ganz einfach so bei ihm beworben, und er hat dich genommen?«, fragte Fabiola verwundert.

»So ungefähr. Ich platzte mitten in eine Verkaufsverhandlung in der Galerie hinein«, erzählte Sarah. Sie nahm einen großen Schluck Wein. Anscheinend schmeckte er ihr. »Ich wollte warten, schlenderte herum und schaute mir die Bilder an, und dann sagte der Kunde etwas, das ich einfach nicht so stehenlassen konnte. Eigentlich wollte ich mich zurückhalten, aber ich konnte nicht. Es war nur eine kleine Bemerkung, nichts Wichtiges, aber der Kunde nahm fälschlicherweise an, dass ich zur Galerie gehörte, und wollte daraufhin nur noch mit mir verhandeln.«

»Und das hat Carlo überzeugt«, stellte Fabiola lächelnd fest. »Hast du das Bild verkauft?«

»Nein«, sagte Sarah. »Weshalb Carlo mir bis heute unter die Nase reibt, dass ich keine gute Verkäuferin bin.«

»Aber er hat dich genommen.«

»Auf Provisionsbasis. Er würde mir niemals ein festes Gehalt zahlen. Das wäre ihm zu gefährlich, sagt er. Ich könnte in kunsthistorische Vorträge verfallen.« Sarah verzog das Gesicht.

»Davon habe ich bis jetzt noch nichts bemerkt.« Fabiola wartete, bis der Kellner die Vorspeisenteller abgeräumt hatte, dann fuhr sie fort: »So sehr lange kannst du aber noch nicht für ihn arbeiten. Ich komme mindestens einmal im Jahr vorbei.«

Sarah nickte. »Zehn Monate«, sagte sie. »Manchmal kommt es mir allerdings schon wie eine Ewigkeit vor. Bei allem, was Carlo mir mittlerweile überlässt.«

»Mit gutem Grund wahrscheinlich«, bemerkte Fabiola anerkennend. Dann schürzte sie leicht die Lippen und fügte schmunzelnd hinzu: »Und außerdem hat er so mehr Zeit für . . . junge Künstler.«

Sarah musste lachen. »Ja, das stimmt. Er ist ein guter Geschäftsmann, aber er wäre nicht glücklich, wenn er das Leben nicht auch anderweitig genießen könnte.«

»Manchmal beneide ich ihn«, sagte Fabiola. »Und jetzt«, sie warf einen Blick auf Sarah, »noch mehr.« Versunken nippte sie an ihrem Wein. »Das Leben zu genießen ist auf jeden Fall nicht die schlechteste Einstellung. Wenn man so jung ist wie du«, sie musterte Sarahs Gesicht, »sollte man das immer tun.«

Sarah senkte den Blick. Es schien, als könnte sie Fabiola nicht in die Augen schauen.

Jetzt denkt sie an Vic und an das, was sie dieses Wochenende mit ihr hat genießen wollen, dachte Fabiola. Und was ihr jetzt fehlt.

Der nächste Gang kam, und ohne ein Wort zu wechseln widmeten sie sich beide ihren Tellern. Dennoch wurde Sarahs nicht erheblich leerer. Sie stocherte nur in ihrem Essen herum.

»Das haben die Wachteleier nicht verdient«, unterbrach Fabiola plötzlich die Stille. Sie legte ihr Besteck zur Seite, verschränkte die Hände vor dem Kinn und beugte sich leicht vor. »Du möchtest nicht hier sein. Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders.«

»Tut . . .« Sarah blickte erst auf ihren Teller, dann auf Fabiola. »Tut mir leid. Ich hätte deine Einladung gar nicht annehmen sollen.«

Fabiola lächelte leise. »Ich bin froh, dass du es getan hast. Auch wenn du dafür offensichtlich auf etwas verzichten musst, das dir viel lieber gewesen wäre.«

Sarah legte den Kopf zurück und schloss kurz die Augen, bevor sie mit ihrer Aufmerksamkeit an den Tisch zurückkehrte. »Das ist zwar ein französisches Menü«, sie wies mit der Hand auf ihren Teller, »aber es ist nicht Frankreich. Es ist nicht«, sie schluckte, »Paris.«

»Da solltest du jetzt sein?« Fabiola schaute sie interessiert und wie sie hoffte nicht zu mitleidig an. Das hätte Sarah falsch verstehen können, und das wollte sie nicht. Es war nicht Mitleid, das sie dazu bewog, sich Sarahs Nähe zu wünschen.

Es schien, als ob es Sarah eine Menge Kraft kostete, Tränen zurückzudrängen, die bereits in ihre Kehle steigen wollten. Sie nickte. »Ja.«

»Ist sie jetzt dort?«, fragte Fabiola.

»Nein.« Sarah schüttelte den Kopf. »Sie musste woanders hin, nach Amerika.«

Wieder herrschte Stille wie zuvor, aber sie hatte etwas Erwartungsvolles. »Wir könnten hinfliegen«, bot Fabiola an. »Nach Paris. Jetzt gleich.«

Sarah starrte sie an. »Es ist mitten in der Nacht.«

»Flugzeuge fliegen immer.« Fabiola lächelte. »Und du wolltest doch nach Paris.«

»Ja . . . aber . . .«

»Mit Vic«, beendete Fabiola den Satz. »Nur Vic ist nicht hier. Sie ist in Amerika. Aber wir sind hier.«

Als ob plötzlich jemand einen Stock aus ihrem Rücken gezogen hätte, sank Sarah in ihrem Stuhl zusammen. »Du verstehst nicht . . .«

»Doch, ich verstehe sehr gut.« Fabiolas Augen hefteten sich wie Laserstrahler auf sie. »Du bist hier. Vic nicht. Und es ist nicht das erste Mal. Wie oft hat sie dir ein Wochenende versprochen und es nicht gehalten?«

Sarah atmete schwer. »Ich will gehen«, brachte sie dann mühsam hervor.

»Das kannst du jederzeit.« Fabiola schaute sie ruhig an. »Ich halte dich nicht.«

Eine Weile schien es in Sarah zu kämpfen. Vielleicht überkamen sie Erinnerungen an viele Wochenenden, die Vic abgesagt hatte.

»Wir haben schon lange kein Wochenende mehr miteinander verbracht«, antwortete sie leise. »Mal ein paar Stunden vielleicht, aber das hier, das wäre das erste Wochenende gewesen seit –« Sie brach ab. Nach einer langen Sekunde seufzte sie. »Immer kommt etwas Geschäftliches dazwischen.«

»Etwas Geschäftliches?«, fragte Fabiola. »Bist du sicher?«

Sarah stutzte. Dann lachte sie verwundert auf. »Oh ja. Da bin ich sicher. Das, was du da andeutest, das . . . das kann ich mir nicht vorstellen. Nein, das ist es nicht. Meistens sind tausend andere Leute aus der Firma dabei. Da besteht kein Zweifel.«

»Und trotzdem fühlst du dich vernachlässigt. Sehr vernachlässigt«, stellte Fabiola fest.

»Das . . . das ist privat«, antwortete Sarah angestrengt.

»Du hast mir schon sehr viel erzählt, das sehr privat ist.« Fabiola blickte sie teilnahmsvoll an. »Ist es da nicht erlaubt, dass ich daraus auch Schlüsse ziehe?«

»Ja, das ist richtig. Das kann ich dir nicht verdenken.« Sarah nickte bedauernd. »Ich hätte dir nicht so viel erzählen sollen.«

»Ich habe es dir angesehen. Du hättest mir gar nichts erzählen müssen«, sagte Fabiola.

Sarah wirkte erschrocken. »Ich . . . das tut mir leid«, stammelte sie. »So etwas sollte nicht passieren.« Ernst schaute sie Fabiola an. »Ich hätte nicht herkommen sollen.«

»Was wir alles nicht hätten tun sollen . . .« Fabiola machte ein leise klickendes Geräusch mit der Zunge. »Ich hätte dich nicht einladen sollen, du hättest nicht herkommen sollen. Vermutlich hätten wir uns gar nicht erst kennenlernen sollen.«

Sarah nickte. »Das wäre besser gewesen.« Sie straffte ihre Schultern. »Oder wir reden nur noch . . . über die Ausstellung, die Bilder, die Künstlerin.« Sie lachte verschämt. »Das ist ohnehin interessanter.«

»Das ist es nicht«, widersprach Fabiola sofort. »Im Moment gibt es für mich nichts Interessanteres als dich, wie du mir hier gegenübersitzt, wie du lächelst – wie du bist.«

»Ich –« Sarah schluckte. »Ich – das geht nicht. Wir . . . wir sollten das Essen jetzt vielleicht besser beenden.«

Fabiola spürte, wie sich ihr ganzer Körper nach Sarah sehnte, wie ihre Blicke ganz sicher immer begehrlicher wurden. Sie wollte Sarah nicht bedrängen, aber Sarah konnte das, was Fabiola empfand, kaum übersehen.

»Fabiola . . .«, hauchte sie. »Bitte nicht . . .«

»Du bist wundervoll, Sarah«, flüsterte Fabiola.

»Ich werde Vic nicht betrügen.« Sarah fand zu ihrer Stimme zurück. »Niemals. So etwas tue ich nicht.«

»Nein, so etwas tust du nicht.« Fabiola lehnte sich bequem in ihren Stuhl, und auch ihre Stimme klang wieder normal. »Das hätte ich wissen müssen.« Sie machte eine anerkennende Geste. »Ich habe dich für deine Ehrlichkeit gelobt, für deine Wahrheitsliebe. Und damit hatte ich offensichtlich mehr als recht.«

»Ich kann nicht anders, Fabiola«, bemerkte Sarah fast entschuldigend. »So bin ich nun einmal. Es tut mir leid.«

»Nein.« Fabiola lächelte leise und schüttelte nur angedeutet den Kopf. »Dir muss nichts leid tun. Du bist eine wundervolle Frau. Eine Frau mit Prinzipien. Und dagegen verstößt du nicht. Wirklich bemerkenswert.«

»Willst du . . .« Sarah räusperte sich. »Willst du nun immer noch ein Bild kaufen?«