Der Hochstapler - David Slattery - E-Book

Der Hochstapler E-Book

David Slattery

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Beschreibung

Wer ist Wallace? – und wenn ja, wie viele?

Der Held dieses verwegenen Romans ist ein Hochstapler, der während einer Party in einem Hotelzimmer einen betrunkenen Gast auf dessen Drängen ins Gesicht schlägt und ihn damit vom Balkon in den Tod prügelt. Um ungeschoren davonzukommen, und weil sein eigenes Leben bis dahin vollkommen ereignis- und freudlos verlief, entschließt er sich kurzerhand, die Identität des Toten zu klauen und dessen Stelle als Professor der Moralphilosophie an dem örtlichen College anzutreten. Auf dem Weg durch die großen und kleinen Fallen des Universitätslebens hinterlässt er eine (ethisch wohlbegründete) Spur der Verwüstung und zahlreiche Leichen…

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Der Held dieses verwegenen Romans ist ein Hochstapler, der während einer Party in einem Hotelzimmer einen betrunkenen Gast auf dessen Drängen ins Gesicht schlägt und ihn damit vom Balkon in den Tod prügelt. Um ungeschoren davonzukommen, und weil sein eigenes Leben bis dahin vollkommen ereignis- und freudlos verlief, entschließt er sich kurzerhand, die Identität des Toten zu klauen und dessen Stelle als Professor der Moralphilosophie an dem örtlichen College anzutreten. Auf dem Weg durch die großen und kleinen Fallen des Universitätslebens hinterlässt er eine (ethisch wohlbegründete) Spur der Verwüstung und zahlreiche Leichen …

DAVID SLATTERY ist Kulturanthropologe, unterrichtete an zahlreichen Universitäten, unter anderem auch in Frankfurt am Main, und arbeitet gegenwärtig als Berater im Bereich der Erwachsenenbildung. Sein Bestseller »How To Be Irish« erschien zunächst in einem Independent-Verlag und wurde zu einem Überraschungserfolg. David Slattery lebt in Dublin.

DAVID SLATTERY BEI BTB

How To Be Irish

DAVID SLATTERY

DER HOCHSTAPLER

ROMAN

Aus dem Englischen von Gabriele Haefs

Dies ist ein fiktives Werk. Es basiert zwar auf meinen Erfahrungen mit dem Universitätsleben, aber alle Namen, Personen und Ereignisse, abgesehen von einigen Verweisen auf reale, historisch nachweisbare Philosophen, sind Produkte meiner Fantasie. Ähnlichkeiten mit wirklichen Personen sind purer Zufall und absolut nicht beabsichtigt.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Originalausgabe Mai 2019

Copyright © 2019 by David Slattery

Copyright © 2019 by btb Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: © Getty Images/John Giustina

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-20082-4V003www.btb-verlag.de

www.facebook.com/btbverlag

Zur Erinnerung an meinen Vater Jack, von dem ich meinen Hang zum Geschichtenerzählen und viele andere genetische Schwächen geerbt habe.

Teil 1 Ecce Wallace

Sehet den Wallace!

I

Ingressus

Eingang

Unser Held biss sich vor Schmerz auf die Lippen, als er dreimal mit der Seite seiner Faust gegen die Tür schlug. Eine bizarr gekleidete Frau tauchte vor ihm in der Türöffnung auf, in der einen Hand ein hohes, überlaufendes Cocktailglas, in der anderen den Türrahmen. Er starrte ihre wilden rot gefärbten, asymmetrisch geschnittenen Haare an, die über ihr linkes Auge hingen, um dann in wildem Wirrwarr auf ihrem Rücken zu verschwinden. Ihre in hellblauem Satin eingeschlagenen Brüste hingen wie zwei Laib Käse an dem absurden Gestell, das von ihren unerklärlich breiten Schultern gebildet wurde. Er starrte an dem dünnen Streifen Jeansrock weiter hinunter auf ihre nackten Beine und die blauen, wollenen Leggings, die über ihren hochhackigen Korksandalen mehrere Schichten von Wülsten bildeten.

Der Schock ihrer verwirrenden Schönheit unter dieser unkoordinierten Lumpensammlung ließ ihn den Text seiner sorgfältig vorbereiteten Rede vergessen. In Gedanken hatte er genau geübt, wie er die Person anreden würde (wer immer das sein mochte), die die Tür zu Zimmer 514 öffnete.

Er kannte sich mit Beschwerden aus, auch wenn er ungern selbst welche vorbrachte. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es sich empfahl, ein reiches Repertoire an Antworten für die verschiedenen Situationen bereitzuhalten, die sich dann ergeben könnten. Er hatte beschlossen, Empörung – eine, wie er glaubte, seiner Glanzrollen –, mit einem spürbaren Gefühl für die offenkundige Berechtigung seines Protests zu verbinden. Als erstes wollte er fragen, was zum Teufel der Scheiß eigentlich solle. Er beschloss, auf diese rhetorische Frage augenblicklich den Vorschlag folgen zu lassen, dass sämtliche im Raum Anwesenden aufhören sollten, Lärm zu machen, um in ihre eigenen Räume zurückzukehren, oder sich verdammt noch mal aus dem Hotel zu verpissen, denn er sei ja zweifellos nicht der Einzige, der hier eine verdammte Scheißrunde Schlaf einzuschieben versuchte, auch wenn der Abend noch nicht weit forgeschritten war. Genau genommen war es erst neun Uhr.

Er fluchte sonst fast nie. Das gehörte zu seinem Bedürfnis, niemanden zu kränken. Er glaubte, die Wirksamkeit von Verwünschungen werde durch übermäßige Verwendung in der derzeitigen Gesellschaft entwertet, weshalb solche Ausbrüche für ganz besondere Gelegenheiten reserviert werden sollten. In diesem Fall war er sicher, dass die Barbaren, die gerade Zimmer 514 besetzten, vermutlich Verwünschungen erwarten würden, wenn jemand zum Protestieren an ihrer Tür erschiene. Dann hatte er sich die Sache anders überlegt, denn er dachte, eine Verwünschung könne den Auftakt zu einem wütenden Wortwechsel bilden, welcher wiederum zu Gewalttätigkeiten führen würde. Und die wollte er vermeiden. Er beschloss vernünftigerweise, hier seien dann doch eher wohldurchdachte Argumente angebracht, vorgetragen in gelassener Haltung in einem objektiven Tonfall. Sein Auftreten ganz allgemein, fand er, sollte seine außergewöhnliche Fairness unter Beweis stellen. Er wirkte gern fair und offen, auch wenn er andere daran hindern wollte, sich zu amüsieren. Vor allem würde er Selbstbeherrschung an den Tag legen. Das war das Allerwichtigste: Selbstbeherrschung.

Er hatte seine Eröffnungsreplik in Gedanken wieder und wieder geübt. Die Frau aber ignorierte sein stummes Starren mit der Haltung einer Person, die der Aufmerksamkeit anderer gegenüber immun ist. Mit anderen Worten, sie war alles, was unser Held nicht war. Sie lächelte und winkte ihn mit ihrem Glas ins Zimmer, und dabei verschüttete sie dessen Inhalt rückwärts über ihre befremdlichen Schultern.

»Das sind die Achtziger«, brüllte sie. Mit einer geschickten und sinnlichen Bewegung packte sie seinen Schlips, drehte sich zum Zimmer um und zog ihn hinter sich her, während sie die Tür mit einem Tritt ihres besandalten Fußes hinter ihnen schloss. Er konnte nichts sagen, weil sein Schlips ihn würgte. Sie hielt ihn noch immer fest und bewegte sich nun im Takt der Musik von Gloria Gaynor, die darauf bestand, sie werde irgendein traumatisches Erlebnis überleben, solange sie nur wisse, wie man lebt. Die Menschenmenge im Zimmer stimmte mit einer improvisierten Unterstützung für Frau Gaynor ein, die deutlich machte, dass auch sie allesamt überleben würden. Der Lärm war unvorstellbar.

Hektisch riss er an seinem Schlipsknoten. Irgendwer hatte eine Discokugel an der langweiligen hoteleigenen Leuchtröhre mitten unter der Decke befestigt. Aber er wusste nicht, ob die vor seinen Augen tanzenden Lichter von der Sorte waren, die er unmittelbar vor seinem Ableben sehen müsste, oder ob alle im Raum sie wahrnehmen konnten.

Sie ließ endlich seinen Schlips los.

»Was?«, krächzte er.

»Das ist eine Achtzigerjahre-Party«, kreischte sie ihm ins Gesicht, um die dröhnende Musik und den Rundgesang zu übertönen. »Los, mach mit beim Boogie. Das war in den Achtzigern der heiße Scheiß. Boogie eben!«

Sie drehte sich um und tanzte sich eine Schneise zwischen einem sich um sich selbst drehenden Paar, das einen Teil von einem Wald aus Tanzenden bildete, dann war sie verschwunden. Bei dem Versuch, ihr zu folgen, wurde er zu einer Frau herumgewirbelt, die ihre Hände durch die Luft schwenkte und ihn mit »I will surviiiiive!« anbrüllte. Lachend drückte sie dabei sein Gesicht im Rhythmus der Musik gegen ihre Brust.

Obwohl er ein in seiner Ruhe gestörter Nachbar war, fing er an zu tanzen. Schnell wurde er in den mitreißenden Rhythmus hineingezogen. Ein Teil von ihm tanzte, weil er die Feiernden nicht kränken wollte: Er wollte dazugehören. Ein anderer Teil wurde in das Hämmern der Musik gesogen. Es fiel ihm leichter, sich gehen zu lassen, als er sich das jemals hatte vorstellen können, in weniger als einer Minute war er vom einsamen Schmollen in seinem Zimmer zum Discotanzen mit kreischenden Fremden übergewechselt.

»Ich hasse Disco«, brüllte er niemanden besonders auf der überfüllten Tanzfläche an, während er dem Beispiel der Leute in seiner Nähe folgte und in die Luft boxte. Nach einer besonders energischen Bewegung fand er sich auf dem Boden wieder, während seine Beine in unterschiedliche Richtungen zeigten. Durch die springenden und tretenden Beine sah er einen mit Flaschen überladenen Tisch in der Ecke. Er hob die Arme über den Kopf, in der Hoffnung, jemand werde ihm aufhelfen. Alkohol würde den Schmerz in seinen jetzt schon überdehnten Wadenmuskeln verschwinden lassen, während er bei einem Schluck so weit zu Atem käme, dass er seinen bisher ungehört verhallten Protest zum Ausdruck bringen könnte.

Bereitwillige Hände hoben ihn auf die Füße. Er brüllte seinen Dank und humpelte zu dem Tisch mit den Flaschen. Er goss Whiskey in ein hohes Glas und hielt zwischen den Tanzenden Ausschau nach der schönen Frau mit den riesigen Schultern. Er konnte nicht überblicken, wie viele Menschen sich in diesen Raum gequetscht hatten. Auf jeden Fall mehr, als aus Brandschutzgründen erlaubt war. Auf dem Bett hielten sich mehr Menschen auf, als die Hersteller im Hinblick auf Gesundheit und Sicherheit empfohlen hätten. Mindestens acht Personen tanzten auf der Matratze und schleuderten ihre Getränke gegen die Decke. In dieser Ecke des vollgestopften Zimmers fand er sich allein an der improvisierten Bar wieder. Niemand achtete auf ihn, als er, statt zu protestieren, ein Glas nach dem anderen trank. Niemand schaute sich auch nur zu ihm um, als er die Mauer aus schweißnassem Fleisch musterte, die nur wenige Fuß von ihm entfernt zum Klang von »Down Under« der Men At Work auf und ab hüpfte. Er sah sich selbst als unsichtbarer Zeuge der Erregung anderer. Es machte ihm nichts aus, dass er unsichtbar war. Er wusste, dass Unsichtbaren der Trost blieb, auf ein ruhiges Leben zu hoffen, denn bisher hatte er die Kunst des unauffälligen Lebens perfektioniert.

Er bereute bald, die Sicherheit seines eigenen Zimmers verlassen zu haben, und hatte nach einem weiteren Glas Heimweh nach der Zeit, die nur wenige Minuten zurücklag, als er noch genervt auf dem Bett von Zimmer 513 gelegen hatte, die Fernbedienung für den Fernseher in der einen und ein fades Bier in der anderen Hand. Den ganzen Nachmittag lang, bei seiner öden Besprechung, hatte er sich darauf gefreut, in diese anonyme Rettungskapsel zurückkehren zu dürfen. Geschrei und Gelächter von nebenan hatten seinen friedlichen Abend dann plötzlich mit der Abruptheit eines Hammers zerschlagen, der eine Glasscheibe zerschmettert. Die dünne Trennwand zwischen den Zimmern hatte angefangen, zum gedämpften Dröhnen der Musik zu vibrieren. Er hatte geseufzt, als ihm aufging, dass nebenan eine Party lief. Er war verärgert, denn er hatte gerade einige wenige kostbare Augenblicke der Gelassenheit genossen. Er hätte für ein ruhiges Leben so ungefähr alles gegeben. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, nicht darauf zu achten. Dieser unvorstellbare Krach würde vielleicht schon bald wieder verstummen, nach seiner Erfahrung verschwanden auf diese Weise die meisten Ärgernisse: wenn er sie einfach ignorierte. Nach zehn verzappten Minuten hatte er jedoch gewusst, dass der Lärm nicht so bald aufhören würde. Dann hatte er gehofft, jemand anderes im Hotel werde sich bestimmt die Mühe machen, sich an der Rezeption zu beschweren, denn solcherlei Beschwerden entsprachen nicht seinem Verlangen, einfach ein anonymer Gast unter vielen zu sein. Die Nachrichten waren vorbei gewesen, und der Lärm aus 514 war noch lauter geworden. Das mit dem Ignorieren klappte nicht. Darauf zu warten, dass jemand anderes aktiv wurde, immer seine bevorzugte Alternative, klappte auch nicht. Er hielt sich vor Augen, dass er Disco hasste. Widerstrebend und nur, weil er den Lärm einfach nicht mehr aushalten konnte, beschloss er, sich dem Problem selbst zu stellen. Danach hatte er zahllose Möglichkeiten, diesen Entschluss zu bereuen, denn wäre er auf seinem Bett in Zimmer 513 liegen geblieben, um den Fernseher anzustarren, hätte sich sein so vorsichtig arrangiertes Leben nicht für immer verändert. Aber das tat es. Und wie.

II

Exitus

Aufbruch

Der erratische Puls der Musik störte den gleichmäßigen Fluss seiner Gedanken, als er versuchte, einen neuen Vorgehensplan zu formulieren, während er zerstreut den Tanzenden zusah. Er hatte inzwischen keine Lust mehr, sich zu beschweren, die Feiernden waren so sehr in der Überzahl. Wie würde es denn aussehen, sie zum Aufhören aufzufordern, wo er selbst sogar schon seinen Weg durch das Zimmer getanzt war? Aus Erfahrung wusste er, dass es meistens der leichtere Ausweg ist, eine Niederlage einfach hinzunehmen. Er würde in sein eigenes Zimmer zurückkehren, sich ein Kissen über den Kopf legen und versuchen zu schlafen. Aus Höflichkeit würde er sich auf die Suche nach der Frau mit den breiten Schultern machen, die er für die Gastgeberin hielt, und gute Nacht sagen. Er fände es nicht richtig, sich einfach zur Tür hinauszuschleichen, selbst wenn er die in diesem Gedränge finden könnte. Während er sich in Gedanken die Details seines Rückzugsplans zurechtlegte, ertappte er sich dabei, wie er in einem mannshohen Spiegel etwas betrachtete, das er für sein eigenes Spiegelbild hielt. Lichttropfen von der Discokugel prallten von der glänzenden Oberfläche ab, beleuchteten eine rundliche Gestalt in einem grauen Anzug, die ein Glas in der erhobenen Hand hielt und ihn ihrerseits anstarrte. Er war überrascht von der Entdeckung, dass er offenbar stark zugenommen hatte in der kurzen Zeit, seit er sich zuletzt in einem Spiegel erblickt hatte. Dann aber ging ihm auf, dass er durch eine Balkontür einen Fremden ansah, denn sein Spiegelbild fing an, unabhängige Handbewegungen zu machen. Ich muss betrunken sein, dachte er.

Was er für sein Spiegelbild gehalten hatte, versuchte nun, ihm durch Lippenbewegungen klarzumachen, dass er nach draußen kommen sollte. Er schob die Glastür zur Seite und trat hinaus auf den Balkon, der ganz leer war, bis auf einen dicken Mann im grauen Anzug. Und dieser Mann trottete jetzt auf einen kleinen Eisentisch mit zwei dazu passenden Stühlen zu. Die Möbel waren strategisch aufgestellt worden, wohl um romantisch veranlagten Hotelgästen einen abendlichen Drink zu ermöglichen, während sie dem Sonnenuntergang hinter der vor dem Balkon ausgebreiteten Innenstadt zusahen.

»Komm schon raus und mach die Scheißtür hinter dir zu – Wallace. Ich heiße Wallace«, brüllte er unserem Helden über die Schulter zu, während Michael Jackson behauptete, er sei gar nicht der Liebhaber von Billie Jean. Mitten auf dem Eisentisch stand eine Ansammlung von Flaschen. »Ich hab hier meinen privaten Alkvorrat«, brüllte Wallace und wies mit einer frisch erhobenen Flasche auf die anderen. »Ich geh da nicht wieder rein. Was für ein Scheißkrach. Ich hasse Disco!«

»Wir haben noch eine weitere Gemeinsamkeit neben unserer Vorliebe für graue Anzüge. Willkommen in meiner Freistätte von der Disco«, sagte der andere und breitete die Arme weit auf, wie um den Balkon zu umfangen. »Hier draußen ist es ja fast erträglich, wenn man die Scheißtür zumacht.«

Er schloss die Tür und dämpfte den Lärm damit so weit, dass sie einander hören konnten, ohne brüllen zu müssen.

»Prost«, sagte Wallace, und sie stießen miteinander an. »Die Achtzigerjahre waren schon beim ersten Mal schlimm genug, man muss sie nicht noch einmal über sich ergehen lassen. Ich wollte mich eigentlich nur wegen des Lärms beschweren.«

»Ich auch.«

»Siehst du? Wir sind Geistesverwandte. Und wo hier schon von Geist die Rede ist, trink doch einen. Gratisalk ist in jedem Jahrzehnt wunderbar.«

Da er sich der Situation anpassen wollte, in der er sich wiederfand, erklärte er sich bereit, mit Wallace einen zu trinken. Sie standen nebeneinander da und tranken. Sie sahen zu, wie die Lichter der Stadt am Horizont als bernsteingelbe Bänder und ungleichmäßige Mosaike aus winzigen gelben Rechtecken getrennt durch große schwarze Flecken aufleuchteten. Als er sein Glas geleert hatte, beschloss er, wieder ins Haus zu gehen und in der Masse aus Körpern seine Jagd nach der schönen Frau mit den breiten Schultern, die ihm die Tür geöffnet hatte, wiederaufzunehmen. »Ich mache mich mal auf die Suche nach unserer Gastgeberin«, sagte er zu Wallace, der an seiner Gratisbar schon sichtlich angetrunken war. In diesem Moment ertönte hinter dem Glas ein kollektiver Entzückensschrei, da Ian Drury aus den Lautsprechern darum bat, mit einem Rhythmusstock geschlagen zu werden. Die Menge echote das Verlangen, geschlagen zu werden, am Ende des ersten Refrains: »Hit me, hit me, hit meeee!«

»Ich liebe dieses Scheißlied«, sagte Wallace und fing an, sich im Takt der durch die Glasscheibe dröhnenden Musik zu wiegen. »Dieses Lied ist übrigens aus den Siebzigern. Nicht aus den Scheiß Achtzigern. Die Siebziger waren ein viel besseres Kackjahrzehnt.«

Unser Held zog wieder eine Grimasse und goss sich einen letzten Fingerbreit Whiskey ein, als Schutz gegen Wallaces ungehemmte Kraftausdrücke.

Wallace trat von einem Fuß auf den anderen, er presste die eine Hand auf die Hüfte, während die andere ihm das Glas in der Positur eines fettleibigen Stierkämpfers über den Kopf hielt.

Er kippte seinen Whiskey auf einen Zug hinunter. »Ich muss los«, schrie er und stellte mit betrunkener Umsicht sein Glas auf den Tisch.

Wallace packte ihn am Revers, als er sich zur Tür umdrehte. »Warte. Warte noch. Ich muss dir was zeigen. Warte doch noch eine Scheißminute«, befahl Wallace und fing an zu lachen. »Ich muss dir was Umwäääärfendes zeigen!«

Mit betrunkener Ungeschicklichkeit stellte Wallace sein Glas auf den Tisch, schüttelte sein Jackett ab, hängte es über einen Stuhl und trat dann mit dem Rücken zu den Lichtern der Stadt in Hemdsärmeln vor ihn. »Schlag mich ins Gesicht, so hart du kannst. Mach schon, schlag mich«, sagte Wallace und richtete sich auf, um den Schlag zu empfangen.

»Ich gehe jetzt«, sagte unser Held und streckte die Hand nach der Türklinke aus.

Wallaces Gesicht wurde tiefrot, und an seinem Hals traten die Adern hervor, als ob ein Stromschalter seinen gesamten Kopf regulierte. Wallace packte ihn am Schlips und zog sein Gesicht dicht an seines heran. »Ich hab gesagt, schlag mich so scheißhart du verdammt noch mal kannst.« Speichel stob aus seinem Mund auf. Dann beruhigte er sich so abrupt, wie er aus der Haut gefahren war, der Schalter in seinem Kopf war in Ruhestellung umgelegt worden. Er ließ den Schlips unseres Helden los und trat lachend zurück. Er hatte sich für eine andere Herangehensweise entschieden. »Hör mal, unter anderem war ich mal Boxer. Ich wollte dir nur zeigen, wie hart mein Gesicht ist. Dieses Stück hat mich an ein Spiel erinnert, das ich als Student gern gespielt habe. Schlag mich ins Gesicht, so hart du kannst. Ich verspreche dir, nicht zurückzuschlagen. Das schwöre ich. Schlag mich einfach, verdammte Scheiße«, flehte er leise. Er fing an zu kichern. Da stand er nun, unser Held, und fragte sich verzweifelt, wie er eine Situation unter Kontrolle bringen könnte, die ihm immer schneller entglitt. Ehe ihm eine beruhigende Bemerkung einfiel, redete Wallace schon wieder weiter.

»Ich weiß, ich bin krass besoffen, aber das ist mein Problem. Hau nur einmal zu, dann kannst du wieder reingehen. Hör mal, ich bin Ethikprofessor. Deshalb kenne ich den Unterschied zwischen Richtig und Falsch. Das glaubst du nicht? Sehe ich nicht aus wie eine moralische Autorität? Das bin ich. Das ist mein Beruf. Ich sag es dir als professioneller Ethizist – gibt es das Wort? –, dass es nicht falsch ist, mich zu schlagen, wenn ich dich darum bitte. Schlag mich so hart du kannst in mein Scheißgesicht. Genau hier«, sagte er und zeigte auf sein Kinn.

Wallace trat zurück, mit dem Rücken zum Geländer, und grinste. »Nur ein Qualitätstreffer hier. Gib dein Bestes, und wer weiß, vielleicht gewinnst du den Scheißpreis.«

Unser Held konnte sich nicht erinnern, jemals in seinem Leben jemanden ins Gesicht geschlagen zu haben. Er wusste auch ganz genau, dass er niemals irgendwen auf Aufforderung hin ins Gesicht geschlagen hatte. Er erinnerte sich lebhaft daran, es als Kind noch nicht einmal geschafft zu haben, auf Anweisung seiner Mutter hin eine Maus zu massakrieren. Seine Mutter hatte ihm eine Keksdose gereicht, in der sie die Maus gefangen hatte, und einen Schuh, mit dem er die Gefangene totschlagen sollte. Sein Entsetzen hatte sich in sofortige Zuneigung zu dem zitternden Wesen in der Keksdose verwandelt. Er hatte seine Mutter angelogen und behauptet, er werde das lieber draußen machen. Stattdessen versteckte er seine neue Freundin für sechs Wochen in seinem Zimmer, bis seine Mutter sie schließlich fand und sie selbst totschlug.

Als er Wallace jetzt ansah, stieß er den Atem durch die Zähne aus und fragte sich, wie er aus dieser Situation einigermaßen ungeschoren wieder herauskommen sollte, ohne den anderen zu kränken. Er war sicher, egal, was Wallace über seinen Status als moralische Autorität gesagt hatte, dass er ihn nicht so einfach laufen lassen würde. Er war sicher, dass es zu irgendeiner Szene kommen würde. Vermutlich zu einer Prügelei, bei der ihm der Exboxer bestimmt die Fresse polieren würde. Dann fragte er sich, ob es wohl leichter wäre, Wallace zu schlagen, als ihm zu widersprechen, vor allem, wenn Wallace es ehrlich gemeint hatte und wirklich ins Gesicht geschlagen werden wollte. Was könnte er sagen? »Tut mir leid, ich will dir den Abend nicht verderben, bloß weil ich mich weigere, dich ins Gesicht zu schlagen.« Obwohl dieser innere Dialog für sein vom Alkohol umnebeltes Gesicht ewig zu dauern schien, brauchte sein Gehirn nur den Bruchteil einer Sekunde, um ihn zu verarbeiten, während Wallace vor ihm hin- und herschwankte. Wallaces Gesicht lief jetzt wieder rot an. Wie sollte er diese Situation unter Kontrolle bringen? Vielleicht würde Wallace mit den Kraftausdrücken aufhören, wenn er ihm eine verpasste?

Und mit diesem Gedanken schlug er Wallace wie gewünscht frontal aufs Kinn. Dessen Kopf kippte nach hinten, wie in Zeitlupe, gefolgt vom seinem rundlichen Rest. Unser Held starrte die Stelle an, an der Wallace eben noch gegrinst und geschwankt hatte. Dann stürzte er zum Geländer und schaute nach unten. Wallace lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Hotelparkplatz, fünf Stockwerke tiefer, auf einem Autodach. Sein weißes Hemd leuchtete im Schein einer riesigen Neonreklame für original italienische Pasta, wie Mamma sie zu Hause in Sizilien zubereitete. Im grellen Licht sah er zu, wie sich Wallaces Hemd rot verfärbte. Er konnte aus dieser Höhe Wallaces Kopf nicht sehen. Vielleicht war er zu weit weg, oder vielleicht, wie er hier oben langsam den Verdacht bekam, hatte der Kopf das Autodach durchschlagen.

Wenn es jemals eine passende Gelegenheit zum Fluchen gegeben hatte, dann ja wohl diese. »Oh Scheiße«, sagte er und schlug die Hände vors Gesicht. »Oh Scheiße, Scheiße, Scheiße, beschissene Scheiße.«

III

Pallium Praeditum Opibus

Ein Umhang mit natürlichen Kräften

Dass er Wallace mit seinem Fausthieb getötet hatte, überschritt das Spektrum seiner üblichen Hauptprobleme, wie dafür zu sorgen, dass sein Wecker gestellt war, dass er ein sauberes Hemd anziehen konnte, dass sein Auto in Ordnung war, dass er für einen Flug einen Fensterplatz gebucht hatte oder wie er ein blödsinniges Lied aus dem Kopf bekommen konnte. Er war zutiefst erschüttert, aber seltsam gefasst. Vielleicht hätte ihn Panik gelähmt, wenn er nur nüchtern gewesen wäre. Aber in der knappen Minute, die er zum Ausnüchtern brauchte, machte sich sein Gehirn mit einer Effektivität und einer List an die Arbeit, von der er niemals auch nur geahnt hatte, dass er sie besaß.

In dem Moment, in dem Wallace über den Balkon verschwunden war, hatte in den finsteren Abgründen seines Unterbewusstseins eine Fähigkeit zum Chaos, die geduldig in den verschlafenen Tiefen seines kontrollbesessenen Geistes auf der Lauer gelegen hatte, die Augen geöffnet und mit einem Schlag ihres Greifschwanzes ihren selbstsicheren Weg an die Oberfläche angetreten. Es war, als habe ein anarchisches Selbst nur auf eine solche Katastrophe gewartet, um sich zu befreien. Er wusste zwar, dass er Wallace getötet hatte, aber auf irgendeine Weise konnte er die Beherrschung bewahren. Wenn er sich jemals vorgestellt hätte, wie er sich verhalten würde, nachdem er jemanden getötet hätte, dann hätte er sich in einem hysterischen Anfall vor sich gesehen. Er lugte nach hinten durch die Schiebetür und sah, dass der Mob dort drinnen noch immer lachte und zu Ian Drury sang. Einige schlugen ihre Tanzpartner mit unsichtbaren Rhythmsticks, während diese auf dem Boden knieten und zwischen unbeherrschbaren Lachausbrüchen um Gnade flehten. Er hatte den Eindruck, dass alle segensreich betrunken waren. Das Ende seines tadellosen Lebens war in kürzerer Zeit gekommen, als man brauchte, um eine anzügliche Hitsingle zu grölen.

Er hob seelenruhig Wallaces Jackett hoch und durchsuchte die Taschen. Drinnen fand er den großen gelben Kunststoffschlüssel zu Zimmer 515 und eine Brieftasche mit einer Reihe von Plastikkarten und etwas Bargeld. Er legte alles neben die Flaschen auf den Balkontisch. Er zog seine eigene Brieftasche, seinen großen Plastikschlüssel zu Zimmer 513 und seinen Schlüsselbund aus seiner Tasche und hielt sie mit beiden Händen über das Geländer. Er öffnete die Finger und sah, wie alles in Wallaces Richtung fiel. Sein Schlüsselbund knallte auf das Autodach, an der Stelle, wo Wallaces Kopf hätte liegen müssen. Der leichtere Hotelschlüssel wurde vom Wind erfasst und landete vergleichsweise leise auf der Straße. Seine Brieftasche prallte von der Markise über dem Eingang zu Mammas Pastahaus ab und ließ sich draußen auf dem Gehweg nieder. Er sah, dass der Parkplatz leer war. Niemand bemerkte den blutigen kopflosen Leichnam auf dem Dach des blauen Wagens. Er stopfte Wallaces Habseligkeiten in seine Hosentaschen, öffnete die Schiebetür und ging hinein.

Er tanzte durch den Raum in Richtung Tür. Zweimal musste er Versuche betrunkener Frauen abwehren, die mit ihm zu »Blue Monday« der New Order tanzen wollten, zu dem sich alle anderen schwitzend um sich selbst drehten.

Als er die Hand nach der Türklinke ausstreckte, tauchte vor ihm die schöne Frau mit den breiten Schultern auf und versperrte ihm mit dem Rücken zur Tür den Weg. Sie rieb ihren Hintern im Takt der Musik an dem glatten weißen Holz, wie eine Katze, die ihr Revier markiert. »Wo willst du denn hin?«, brüllte sie ihn an.

»Nach Hause. Nebenan«, brüllte er zurück und zeigte mit dem Daumen auf die Wand, nur ging ihm dann auf, dass er in Richtung seines alten Zimmers zeigte, 513. Er winkte vage zur anderen Wand hinüber. »Danke für einen außergewöhnlichen Abend«, schrie er, überzeugt, dass sie die Ironie nicht zu schätzen wissen würde.

»Ich komm mit«, brüllte sie.

»Muss nicht sein. Ich finde schon den Weg, auch wenn es nicht so aussieht«, widersprach er.

»Findest du deine Nachbarin denn nicht attraktiv?«, fragte sie kokett und nutzte den Rhythmus der Musik, um sich näher auf ihn zuzubewegen.

»Das ist es nicht«, brüllte er und trat zurück. »Ich glaube, mir wird gleich schlecht.«

»Dann brauchst du ein bisschen Pflege. Also, los geht’s.«

In seinem ganzen Leben war noch nie eine Frau auf diese Weise auf ihn zugekommen, und in seinen wildesten Fantasien hatte das noch keine so schöne Frau gemacht wie diese. Wer weiß, dachte er, man braucht womöglich nur einen Menschen umzubringen, und innerhalb von zehn Minuten ist man von Frauen umschwärmt. Vielleicht strahlte er jetzt Gefahr aus, was ein neues Gefühl für ihn wäre. Aber dann fragte er sich schockiert, ob sie gesehen haben könne, wie er Wallace umgebracht hatte. Das muss es sein, dachte er, Frauen werfen sich mir doch nicht an den Hals. Keine schönen Frauen mit gewaltigen Schultern. Nicht einmal hässliche mit winzigen Schultern. Nicht einmal seine eigene Frau. Seine frisch gefundene List riet ihm, in Erfahrung zu bringen, was sie wusste und was sie wollte. Vielleicht würde er auch sie umbringen müssen.

»Okay«, sagte er. »Mir nach.«

Auf dem Gang drehte er sich zu seinem eigenen Zimmer um, dann fiel ihm ein, dass er den Schlüssel zu Zimmer 515 in der Hand hielt.

»Hier lang«, sagte er und drehte sich abermals um. Sie folgte ihm über den Gang zum Zimmer von Wallace, wo seine neue Haut im Kleiderschrank hing und auf ihn wartete.

IV

Cubiculum In Contraria Versum

Ein umgekehrtes Zimmer

In Zimmer 515 angekommen blieb er mit dem Rücken zur Tür stehen und horchte auf das Geräusch einer Sirene oder wenigstens eines Schreis von der Straße unten. Er beschloss, nicht auf den Balkon zu treten und hinunterzublicken, um zu sehen, was dort passierte. Was hatte er sich nur dabei gedacht, seine Brieftasche und seine Schlüssel hinter Wallace her auf den Parkplatz zu werfen? Er hatte mit den Gewohnheiten eines ganzen Lebens gebrochen und plötzlich aus einem irren Impuls heraus gehandelt, einfach, um wegzukommen und die Zeit zu haben, seine nächsten Schritte zu überlegen, ohne irgendeinen Gedanken an die Konsequenzen. Keine Planung. Keine Kontrolle. Nichts. Und eine Konsequenz war, dass er nun mitten in Zimmer 515 stand, vor den breitesten und höchsten Schultern, die er jemals gesehen hatte.

»Wie heißt du?«, fragte sie.

»Wallace.«

»Wallace, und weiter?«

»Meine Freunde nennen mich einfach nur Wallace.«

»Hmmmnnn … dann hast du bestimmt nicht viele Freunde.«

»Nein, zum Glück nicht. Ich habe gar keine.«

»Die sind nicht echt«, sagte sie und fing an, ihre Bluse aufzuknöpfen.

»Was?«, fragte er und starrte ihre Brüste an. Ihm brach der Schweiß aus.

Sie griff in den blauen Satinstoff und zog ein Schulterpolster heraus, dann noch eins und warf beide aufs Bett.

»Schulterpolster. So typisch Achtziger. Ich liebe die Achtziger. Du nicht?«

»Ich kann mich nicht entscheiden. Fühl dich ganz wie zu Hause, ich muss erst mal aufs Klo«, sagte er noch und stürzte auf die Badezimmertür zu.

Der Schock schien sein Herz von dessen üblichem Platz in seiner Brust vertrieben zu haben, denn es hämmerte jetzt irgendwo hinter seinen Ohren. Er sah sein altes Badezimmer in 513, als er in den Spiegel des Badezimmers von 515 blickte. Über die bittere Ironie, dass sein Leben ganz und gar auf den Kopf gestellt worden war, musste er lachen. Ich kann nicht untertauchen, dachte er. Ich musste ja nie auch nur wegen Falschparken bezahlen. Ich werde die Polizei anrufen müssen und erklären, dass es ein Unfall war. In Gedanken ging er eine mögliche Darstellung der Ereignisse durch. »Er bestand darauf, von mir ins Gesicht geschlagen zu werden, weil er eine Art Moralphilosoph sei, der ein Experiment durchführte. Ich geriet in Panik. Ich wusste nicht, was ich tat. Ich habe seine Brieftasche nicht bewusst eingesteckt. Ob es Zeugen gegeben hat? Aber sicher doch. Eine ganze Bande von betrunkenen Tanzenden, die rein gar nichts gesehen haben.« Eine vorübergehende Hoffnung. Vielleicht hatte sie nichts gesehen. Dann zurück zur chronischen Verzweiflung. Was, wenn sie die Einzige war, die gesehen hatte, wie er Wallace umbrachte? Wie sollte er sie umbringen? Er fragte sich, ob er es schaffen würde, sie zu erwürgen.

»Meine Güte, ich bin wahnsinnig geworden«, stöhnte er seinem Spiegelbild zu. »Ich bin zu einem verrückten Killer geworden. Bloß weil ich einen Menschen umgebracht habe, brauche ich doch von jetzt an nicht alle zu ermorden, die mir über den Weg laufen.« Er versuchte, sich zu erinnern, ob sie wohl einen schmalen Hals hätte, um den er seine schwächlichen Hände legen könnte. Nie im Leben würde er jemanden mit einem dicken Hals erwürgen können. Er hielt Ausschau nach etwas, mit dem er sie strangulieren könnte, und sah die im Regal ordentlich aufeinandergelegten Handtücher. Ein Handtuch würde reichen, dachte er. Plötzlich sah er das Bild der geliebten Maus in ihrer Keksdose vor sich. Sie schaute aus ihren mausigen Augen zu ihm hoch und flehte ihn an, es nicht zu tun.

Er ließ sich auf den kalten, gefliesten Boden des Badezimmers sinken und kotzte den Whiskey in die Toilette. In diesem Moment, als seine brennende Wange am kühlen Rand der Kloschüssel ruhte, verließen ihn sein frisch erwachter Mut und die ebenso frisch erwachte List. Er hoffte, es sei ein vorübergehender Rückfall. »Denken! Denken! Was soll ich tun?«, fragte er sich laut.

Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon auf dem Boden gesessen hatte, als ihm Wallaces Brieftasche einfiel. Er lehnte sich an die Kloschüssel und ging den Inhalt durch. Er las die beiden Wörter »Rik« und »Wallace« auf einer Bankkarte aus Plastik. Er richtete sich auf und wusch sich über dem Waschbecken das Gesicht. Das durch die Wände dröhnende Vibrieren der Discomusik verstummte mit unheilverkündender Abruptheit. Die Partyschreie verstummten ebenfalls und wichen dem Heulen von Sirenen, die sich draußen näherten. Mit einem Handtuch in der Hand verließ er das Badezimmer.

Sie lag nackt auf dem Bett und sah sich im Fernsehen die Nachrichten an.

»Mein Name?«, fragte sie.

»Was?«

»Du hast mich nicht nach meinem Namen gefragt. Willst du nicht wissen, wie ich heiße?«

»Ah, doch«, er zögerte. »Ich glaube schon.« Er musterte ihren Hals und sah zu seiner Erleichterung, dass dieser offenbar überdurchschnittlich dick war. Niemals würde er die Finger um diesen Hals schließen können. Er sah das Handtuch an, das von seiner Hand baumelte. Dann ging ihm auf, dass er keine Ahnung hatte, wie man jemanden mit einem Handtuch erwürgt.

»Della.«

»Was?«

»Ich heiße Della.«

»Ich heiße Rik. Rik Wallace.« Er konnte ihr das sagen, da er es jetzt wusste.

»Bedeutet das, dass wir keine Freunde mehr sind?«

Er starrte sie verwirrt an. Dann fiel ihm seine Bemerkung von vorhin ein.

»Ja, das tut es wohl«, er lachte und fühlte sich plötzlich entspannter.

Als er auf das Bett zuging, um einen besseren Blick auf ihren Hals und ihre Brüste werfen zu können, wurde dröhnend an die Tür geklopft. Als er aufmachte, standen zwei Männer vor ihm auf dem Gang, der sich jetzt mit zahllosen zu ihren eigenen Zimmern stürzenden Menschen gefüllt hatte. Der jüngere der beiden hielt ihm einen Dienstausweis vors Gesicht und drängte sich an ihm vorbei, ohne um Erlaubnis zum Eintreten zu bitten.

»Das ist Detective Inspector Jackson«, sagte er und wies mit dem Kinn auf den älteren Mann. »Es hat ein Tötungsdelikt gegeben«, fügte er ohne Pause hinzu, als Erklärung für ihre Anwesenheit.

»Einen Unfall«, korrigierte Jackson. Er knöpfte mit einer Hand seinen zerknitterten Mantel auf und fuhr sich mit der anderen über die kahle Stelle auf seinem Kopf, wie um festzustellen, ob seine Haare auf wundersame Weise nachgewachsen waren, seit er zuletzt an diesem Morgen in seinem Badezimmerspiegel das Tempo ihres Rückzugs studiert hatte. Jackson war groß und dünn und hatte ein ewig trauriges Gesicht, selbst wenn er lächelte, da seine Mundwinkel sich nach unten zogen.

»Jemand ist von einem Balkon gefallen. Wir glauben, dass er in Zimmer 513 gewohnt hat. Scheußlicher Anblick. Kopf wie Marmelade«, sagte der Jüngere. Er wartete, damit dieses Bild seine Wirkung tun könnte, ehe er seine Fragen abfeuerte. »Wir wollten fragen, ob Sie etwas gehört oder gesehen haben, Sir. Ist das Ihr Zimmer, Sir? Oder Ihres, Madam?«, fragte er und drehte sich zu Della um, die vom Bett aufgestanden war und auf die Männer zuglitt. Jackson schaute von seinem Notizbuch hoch, um Della anzustarren.

»Ach, das ist Detective … wie war doch gleich Ihr Name? Er ist neu«, erklärte Jackson, während er vage in Richtung seines Partners winkte, ohne seine Blicke von Della loszureißen.

»Sullivan, Sir, Freddy Sullivan. Ich habe Ihnen das heute schon mindestens sechsmal gesagt.«

»Richtig, Freddy Sullivan. Wie konnte ich das vergessen?« Jackson riss seine Blicke los, zeigte mit dem Bleistift auf Sullivan und stellte ihn vor. »Das ist Detective Sullivan. Heute ist sein erster Tag bei uns. Versuchen Sie, ihm zu helfen, indem Sie alle seine Fragen beantworten.«

Sullivan war kleiner und noch dünner als Jackson. Er trug einen neuen hellgrauen Anzug, den seine Mutter ihm erst kürzlich für seinen ersten Tag im Einsatz gekauft hatte. Er wollte jetzt unbedingt weitere Fragen stellen. »Ist das Ihr Zimmer, Madam?«, fragte er noch einmal. Er beschloss, seinen Blick an ihrer Stirn ruhen zu lassen.

»Das ist sein Zimmer«, antwortete Della. »Ich wohne nebenan. Zimmer 514.«

»In Zimmer 514 fand bis eben offenbar eine Party statt. Vermutlich ist das Opfer vom Balkon oberhalb von Zimmer 514 oder von 514 selbst gestürzt. Haben Sie irgendetwas gesehen oder gehört, Sir?«

»Ich habe nichts gesehen oder gehört, Detective.«

»Ihr Name, Sir? Können Sie Ihren Namen bestätigen?«

»Ja. ich kann meinen Namen bestätigen. Er lautet Rik Wallace.«

»Warum sind Sie hier, Sir?«

»Wie meinen Sie das?«

»Er meint, hier in diesem Hotel.« Jackson seufzte, er war besser an den Umgang mit Trotteln gewohnt als sein neuer Partner.

Ehe er sich eine Antwort überlegen konnte, sagte Della: »Er tritt an der Uni eine neue Stelle als Professor für Moralphilosophie an.«

Der neue Rik Wallace starrte sie an, und das lag nicht daran, dass sie nackt vor den drei Männern stand. Jeglicher Restgedanke daran, sie zu erwürgen, war aus seinem Kopf verschwunden.

Sie zuckte mit ihren jetzt normalgroßen Schultern und fügte hinzu: »Ich habe die Briefe durchgesehen, die ich auf dem Bett gefunden habe, als du im Badezimmer warst. Ich musste doch irgendwas machen, wo du so lange da drinnen geblieben bist. Ich dachte schon, du wärst ins Klo gefallen.« Sie glitt wieder zum Bett zurück, ohne Rücksicht darauf, dass sie nackt war und gerade noch fremde Briefe gelesen hatte, hob einen von mehreren Briefen auf und reichte ihn Jackson. »Hier sehen Sie selbst. Er fängt übermorgen am. Die Universität wird ihm dann eine Wohnung stellen. Ich nehme an, deshalb ist er heute in diesem Hotel«, folgerte sie und wirkte zufrieden, weil sie bei den Ermittlungen behilflich sein konnte.

Jackson hielt den Brief vor sich hin und las ihn langsam, während ein Bach aus kaltem Schweiß Wallaces Rücken hinabfloss. Er wippte ungeduldig auf seinen Zehen hin und her, bis er die Spannung nicht mehr ertragen konnte. »Darf ich mal sehen?«, fragte er schließlich und nahm Jackson den Brief aus der Hand. Er las:

Lieber Professor Wallace,

Es freut mich sehr, dass Sie sich entschieden haben, an unserem College für Commerce, Arts, Technology (CAT) als Dozent für Moralphilosophie tätig zu werden. Wie Sie wissen, sind wir eine kleine Gruppe von Kollegen, die sicher sind, dass Sie zu uns passen und bald zum Leuchtfeuer unserer bescheidenen Forschungs- und Lehrbemühungen werden können. Obwohl wir uns nur einmal beim Einstellungsgespräch begegnet sind, und das noch dazu für so enttäuschend kurze Zeit, war der positive Eindruck, den Sie auf mich und meine Kollegen gemacht haben, doch von Dauer.

Die Präsidentin hat uns mitgeteilt, dass Ihre akademischen Schriften sowie alle nötigen Auskünfte für Sozialabgaben, Versicherungen und die Einrichtung eines Bankkontos in ihrem Büro eingetroffen sind. Alles ist vollkommen in Ordnung, so dass Sie sofort anfangen können. Für das kommende Semester haben wir für Sie einen leichten Lehrplan aufgestellt, um Ihnen die Eingewöhnung zu erleichtern.

Wir erwarten Sie am 5. hier auf dem Campus. Die Präsidentin hat eine passende Unterkunft für Sie reserviert, die der Leiter der Psychologischen Abteilung Ihnen als perfekte Wohnstatt empfiehlt, nur ein kleines Stück vom Campus entfernt. Wenn Sie gegen Mittag ins Büro der Präsidentin kommen, werde ich dort sein und Sie zu Ihrer Abteilung bringen, wo wir einen kleinen Empfang arrangiert haben, um Sie Ihren neuen Kollegen vorzustellen. (Keine Sorge, natürlich haben wir nicht vergessen, dass Sie ein engagierter Anti-Alkoholiker sind. Wir haben dafür gesorgt, dass nicht alkoholische Erfrischungen serviert werden.)

Ich kann Ihnen kaum sagen, wir sehr es uns freut, dass unsere Studierenden bald die Vorzüge Ihrer bedeutenden Gelehrsamkeit und Ihrer außergewöhnlich nuancierten ethischen Beurteilungen genießen werden. Bis zum 5.

Mit vorzüglicher Hochachtung,

Prof. Maurice Spencer

Direktor des Philosophischen Seminars

CAT-College

»Kann ich mal lesen?«, fragte Sullivan.

»Nicht nötig. Ich glaube, wir haben genug gesehen. Ich bin kein Experte für Moralphilosophie, aber ich schlage vor, Madam, Sie sollten etwas überziehen, ehe Sie uns auf die Wache begleiten, um eine Aussage zu machen.«

»Muss ich das?«, fragt sie.

»Sich anziehen oder eine Aussage machen? Beides.«

Offenbar schien die Anwesenheit einer nackten Frau in Zimmer 515 jeglichen Verdacht zerstreut zu haben, der sich in Jacksons Gedanken an Rik Wallace gehaftet hatte.

»Sollten wir den da nicht auch einsacken, Sir? Fingerabdrücke nehmen, DNA-Proben, seine Geschichte überprüfen, Sie wissen schon? Sicherstellen, dass er wirklich ist, was er zu sein behauptet, Sir. Auf der Polizeischule habe ich gelernt, dass viele Leute nicht die sind, als die sie sich ausgeben. Sie würden staunen!«

»Ja, vermutlich. Wie gesagt, er ist neu«, sagte Jackson zu Wallace. Er drehte sich zu Sullivan um. »Mir ist schon klar, dass ich Ihre Begeisterung nicht dämpfen dürfte, aber ich werde es ausnahmsweise doch tun. Ich würde lieber ihre Geschichte hören als seine, wenn ich um diese Uhrzeit überhaupt jemandem zuhören muss. Ich werde dafür sorgen, dass sie nichts verbirgt, was ich bezweifele«, sagte er und starrte noch immer ihre Brüste an. Er lächelte sein umgekehrtes Lächeln. »Sullivan. Sie gehen auf den Flur und sammeln weitere … Beweisstücke. Und versuchen Sie, nicht aus Versehen irgendwem Fingerabdrücke abzunehmen.«

»Ja, Sir.«

Sullivan verschwand nach draußen.

Della zog sich nun langsam vor Rik Wallace und Inspector Jackson an, und die beiden sahen schweigend zu. Sie hatte die gelassenen Bewegungen einer Stripteasekünstlerin. Aber das hier war eine umgekehrte Stripshow, und ihr Publikum war am Ende wesentlich weniger verzaubert als am Anfang. Sie küsste Wallace sanft auf die Lippen.

»Vielleicht besuche ich dich mal hier am College, um zu sehen, wie du dich machst«, scherzte sie, als sie mit Jackson das Zimmer verließ.

Als er in Zimmer 515 allein war, holte er die vielen winzigen Flaschen und Dosen aus der Minibar und türmte sie auf dem Bett auf. Er setzte sich daneben und fing an zu trinken. Die wahllose Alkoholmischung erweckte in ihm eine schmerzliche Sehnsucht nach der ruhigen vorhersagbaren, erstickend hausbackenen, kontrollierten Existenz, die er auf seine Weise bis, wie ihm schien, vor einer Stunde genossen hatte. Es war zwar schon gut anderthalb Stunden her, dass sich sein Leben geändert hatte, aber er war keiner mehr, der die Zeit korrekt im Auge behält. Er schaute auf den Halbkreis aus winzigen leeren Flaschen hinab, der seine Füße umgab. Er trat nach ihnen, und mehrere zerbrachen an der Wand.

»Scheiße. Scheiße. Scheiße«, sagt er immer wieder, wie um den Dialekt seines neuen Lebens zu üben. »Was machst du jetzt?«, fragte er sein neues Selbst. Es gab keine Antwort. Überraschenderweise, dachte er, war er noch auf freiem Fuß. Er wusste, dass er das so lange wie möglich bleiben wollte. Irgendwann fingen seine Sorgen an, ihn zu langweilen. Er öffnete den Kleiderschrank, nahm einen grauen Anzug heraus, der offensichtlich zu groß für ihn war, und legte ihn vorsichtig über die Kopfkissen seines Bettes. Er wusste, wenn der Detective, der jüngere, wie war noch gleich der Name, den Leichnam auf dem Autodach auf dem Parkplatz mit dem Anzug im Kleiderschrank von 513 verglich, würde er Ärger bekommen. Dann griff er zu Wallaces Aktentasche und öffnete sie. Er beschloss, dass es sich lohnen könnte, so viel wie er konnte über sich selbst in Erfahrung zu bringen, da er nun Rik Wallace war, Professor der Moraltheologie am CAT-College, qualifizierter Fachmann für Richtig und Falsch.

V

Habitus Habilis

Eine passende Verkleidung

Er nickte in Wellen betrunkener Benommenheit immer wieder auf dem Hotelbett ein, dann wurde er durch die Art von furchtbaren Kopfschmerzen in einen hellwachen Zustand gerissen, die nur möglich ist, wenn man Bier, Wein und Schnaps in den genau passenden rücksichtslosen Verhältnissen mischt. Zuerst konnte er sich überhaupt nicht an die Ereignisse der vergangenen Nacht erinnern. Als er den grauen Anzug auf den Kissen sah, fiel ihm ein, dass Wallace ein fetter Mann gewesen war, deutlich fetter als er. Dann stellten sich die Einzelheiten ein, in einer Sequenz wachsenden Entsetzens. Aus den Unterlagen, die er in der Aktentasche gefunden, und den Briefen, die Della auf dem Bett hinterlassen hatte, entnahm er, dass Wallace von weither gekommen war, um seinen neuen Posten am CAT-College anzutreten. Nachdem er eine Stunde gelesen hatte, kannte er seinen Namen, seinen Geburtsort und sein Geburtsdatum und wusste, was er verdiente, was er auf dem Konto hatte, wie seine PINs und seine Sozialversicherungsnummer lauteten, die Wallace netterweise auf die Rückseite eines altmodischen Notizbuches geschrieben hatte, neben den Vermerk »PIN-Nummern«. Er erfuhr, dass das Einstellungsgespräch am College neun Wochen zuvor stattgefunden hatte. Er wusste, dass Rik Wallace ein Heuchler war, der zumindest bei einer Gelegenheit Alkohol getrunken und seinen neuen Arbeitgebern gegenüber doch mit seinem öffentlichen Engagement gegen das Trinken geprahlt hatte. Vielleicht hatte Wallace noch einmal richtig zulangen wollen, ehe er seinen neuen Posten antrat. Das Foto in Wallaces Pass machte ihm Hoffnung, dass er als Wallace durchgehen könnte, wenn er allen, die bei dem Einstellungsgespräch dabei gewesen waren, erzählte, dass er kürzlich krank gewesen sei und dabei vierzig Pfund eingebüßt habe. Er beschloss, eine zehrende Krankheit zu erfinden, die gerade so peinlich war, dass niemand zu genaue Fragen stellen würde. Er schärfte sich ein, dass er sich im Internet über peinliche zehrende Krankheiten informieren müsste.

Aus einer Kopie seines Lebenslaufes, von der er annahm, dass Wallace sie ausgedruckt hatte, um nicht zu vergessen, welche Version seiner selbst er seinen neuen Arbeitgebern verkauft hatte, erfuhr er, wo er zur Schule gegangen war und studiert hatte, worüber er Essays, Untersuchungen, Artikel, Tagungsbeiträge und Vorträge geschrieben hatte. Er las, dass er, Wallace, nun ein Experte für etwas namens Konsequentialistische Ethik, die alten Griechen und postmoderne Ethik war. Schlimmer noch, er hatte sogar mehrere Bücher verfasst, die er aus der Bibliothek ausleihen würde müssen, um zu erfahren, was es mit der von ihm vertretenen Moral denn überhaupt auf sich hatte. Er notierte sich die Titel ins Notizbuch. Er notierte sich auch die allgemeinen Themen, die er später in der Bibliothek nachschlagen müsste, um als Moralvirtuose durchzugehen. Er hatte ungefähr einen Tag, um zum Fachmann zu werden.

Es gab kein Mobiltelefon, das Wallace gehörte, und keine Kontaktnummern. Er wusste nicht, ob er verheiratet war oder ledig. Er wusste nicht, ob er eine Beziehung oder Kinder hatte. Er wusste nicht, ob er vielleicht schwul war. Unter Wallaces Dokumenten hatte er ein einziges Foto gefunden. Es war ein kleines Schwarzweißbild einer Frau in den Vierzigern, und es war im Innenfach der Brieftasche versteckt gewesen. Auf der Rückseite des Fotos stand in zierlicher Handschrift: »Für Rik, in Liebe, Mum.« Kein Name, keine Kosebezeichnungen, nur »Mum«. Er stellte sich vor, dass dieses Foto irgendwann in den vergangenen vierzig Jahren aufgenommen worden sein könnte. Er hoffte, das sie inzwischen tot war.

Er ließ das Frühstück ausfallen, um der Gefahr zu entgehen, Della, Detective Inspector Jackson, dem anderen Detective oder irgendeinem der Gäste aus Zimmer 514 zu begegnen. Er zog den übergroßen grauen Anzug an, dazu einen Schlips, um den Hemdkragen zu schließen, das Hemd schlotterte um seinen Hals und betonte damit die Folgen der zehrenden Krankheit. Er packte den Rest von Wallaces Kleidern in den dunkelblauen Koffer, den er unten im Schrank gefunden hatte, legte alle Briefe und Unterlagen zurück in die Aktentasche und ging zum Auschecken nach unten. Er würde die nächste Nacht, ehe er offiziell zu Rik Wallace wurde, in einem anderen Hotel verbringen.

»War alles in Ordnung?«, fragte die blonde Frau an der Rezeption. Sie starrte den Zwischenraum zwischen seinem Kragen und seinem Hals an. Es war klar, dass er den Schlips besser weggelassen hätte.

»Ja, danke. Alles bestens«, log er.

»Haben Sie gut geschlafen, Sir? Ich hoffe, dieser kleine Zwischenfall heute Nacht hat Sie nicht gestört.«

»Nein. Überhaupt nicht. Ich habe geschlafen wie ein Toter. Was war das übrigens für ein Zwischenfall?«, fragte er und täuschte gelassene Neugier vor.

Etwas später stieß er im Internetcafé auf den Bedarf an religiös geprägter Moral, auf unterschiedliche Weise formuliert, aber immer lief es auf dasselbe hinaus; diese Menschen behaupteten, ihre Moral aus ihrem Glauben an Gott heraus zu vertreten, denn wenn sie nicht glaubten, was, so meinten sie, würde sie dann davon abhalten, ihre Nachbarn zu massakrieren? Er glaubte, dass er keine Lust haben würde, neben solchen Menschen zu leben. Aber wer würde neben ihm leben wollen? Man brauchte sich ja nur anzusehen, was seinem Nachbarn aus Zimmer 515 passiert war.

Aber jetzt war er eine moralische Autorität. Er brauchte keinen Gott, der ihm den Unterschied zwischen Richtig und Falsch erklärte. Er hatte im Internet gelesen, dass Konsequentialisten, wie er ja offenbar einer war, die Konsequenzen ihrer Handlungen für die Grundlage ihrer Bewertungen von Richtig und Falsch hielten. Das musste ja wohl bedeuten, dass er, ehe er behaupten könnte, es sei falsch gewesen, Wallace zu töten, erst sehen müsste, welche Konsequenzen diese Tat haben würde. Er könnte demnach also alles wiedergutmachen, indem er zu einem hervorragenden Wallace würde und das CAT-College in positiver Richtung veränderte. Als er die Bibliothek verließ, war er ruhiger als in irgendeinem Moment, seit er Wallace getötet hatte. Und für diese Nacht würde er sich ein Hotelzimmer im Erdgeschoss suchen.

VI

Primo Die Ad Scholam

Erster Schultag

Das CAT-College lag in einem heruntergekommenen Vorort, der sich jeglicher Gentrifizierung energisch zu widersetzen schien, trotz der Ansammlung armer Bohemiens, die sich um einen solchen Campus niederlassen wie erwartungsvolle Kinder am Sterbebett eines Elternteils. Die Gebäude waren in einem von Symmetrie besessenen Zeitalter errichtet worden. Der vollständige Name des College war in großen blauen Plastikbuchstaben über dem Torbogen angegeben, der die lange Mauer voller Fenster in genau zwei gleiche Teile teilte. Auf jeder Seite zog sich ein mit scharfen Spitzen besetztes Gitter dahin, was das College vor neugierigen Vorüberkommenden schützte, die vielleicht gehofft hatten, mit einen Blick durch die hohen Fenster ein wenig Aufklärung zu erhaschen. Die weiten Ebenen aus grauem Stein an den vorderen Mauern verbargen das sonstige Erscheinungsbild des College, das in allen Ansichten der verschiedenen Institute in scharfem Schwarz-Weiß erschien. Das Taxi, das Rik Wallace zu seinem neuen Betätigungsfeld brachte, hielt unter dem ersten einer Reihe von Torbögen, die den Zutritt zu einer Serie von geschlossenen Vierecken ermöglichten.

»Weiter darf ich auf dieser Seite nicht fahren. Sie müssen den Weg von hier aus selbst finden«, sagte der Fahrer.

Wallace bezahlte und stieg aus. Er näherte sich einer Tür unter einem großen weißen Schild mit der in schwarzen Lettern gehaltenen Aufschrift »Rezeption«, die in eine auf der einen Seite des Torbogens errichtete hölzerne Bürobaracke führte. Ein Glasfenster wurde geöffnet. Ein rotes Gesicht mit einer riesigen Säufernase unter einer weißen Haarkrause tauchte in der Öffnung auf. »Was wollen Sie?«, fragte der Besitzer des roten Gesichtes, der College-Pförtner, voller Verzweiflung, als kämen immer wieder Menschen mit Fragen zum College und ließen ihn einfach nicht seine Arbeit in der Rezeption in Ruhe so tun, wie sie ihm idealerweise erschien, nämlich als die eines Einsiedlers. Wallace trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Ich suche das Büro der Präsidentin.«

»Was wollen Sie denn von der?«

Wallace überlegte. Er hatte nicht damit gerechnet, gleich beim ersten Versuch als unzulänglich informiert über die College-Etikette entlarvt zu werden. Er fragte sich, ob es zum normalen akademischen Brauchtum gehörte, dass der Pförtner die geplanten Besprechungen der College-Präsidentin mit Besuchern infrage stellte.

»Ich fange heute hier an«, sagte er hoffnungsvoll.

»Ach, Sie sind der neue Professor. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Kommen Sie mit. Ich bringe Sie hin.« Nur wenige Sekunden, nachdem der Pförtner das Fenster zugeknallt hatte, stand er auch schon vor der Baracke.

Wallace ging neben ihm über einen Pfad, der um das akkurate Rasenviereck hinter dem ersten Torbogen lag. Bei der ersten Ecke verließ der Pförtner den Kiesweg und ging über den Rasen auf eine Tür in der gegenüberliegenden Ecke zu, vorbei an dem kleinen Schild mit der Mitteilung »Betreten des Rasens verboten«. Er zog Wallace am Arm hinter sich her durch die Abkürzung über den gewissenhaft geschnittenen Rasen.

»Es bringt angeblich Unglück, auf den Rasen zu treten. Damit schrecken wir jedenfalls die Studierenden ab. Aber ich gehe, wo ich will. Das ist ohnehin sozusagen mein Rasen, ich muss ihn ja schließlich schneiden. Wenn es nach mir ginge, würde ich den ganzen Kram asphaltieren, aber die Präsidentin ist sehr eigen, was ihren Rasen angeht. Wenn sie einen Rasen will, dann bekommt sie einen Rasen, selbst wenn sie den nicht selbst mähen muss. Aber sie ist schließlich eine Frau mit sehr viel Stil, und ich bin das nicht.«

»Ich weiß, dass das hier im frühen 19. Jahrhundert ein Militärlazarett war, und danach ein Irrenhaus für die, die nach den damaligen Maßstäben als wahnsinnig galten«, erzählte Wallace dem Pförtner und freute sich darüber, sein am Vortag über das Internet frisch erworbenes Wissen vorführen zu können.

»Wenn Sie mich fragen, dann ist es noch immer ein Irrenhaus. Sie haben nur eine Sorte von Irren gegen eine andere ausgetauscht«, sagte der Pförtner und prustete los angesichts dieser wenig originellen Erkenntnis. Er murmelte etwas vor sich hin, das Wallace nicht verstehen konnte. Der hörte immerhin noch einige Bemerkungen über »verdammte Akademiker« heraus.

»Das College existiert seit den fünfziger Jahren«, teilte Wallace dem Pförtner mit, um ein wenig Pedanterie zu üben, da zweifellos noch allerlei pedantische Wege vor ihm lagen.

Der Pförtner blieb mitten auf dem Rasen stehen, drehte sich zu Wallace um und bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust, um klarzustellen, was hier Sache war.

»Mir brauchen Sie gar nichts über diesen Ort zu erzählen. Ich bin schon mein ganzes Leben lang hier. Mein Vater hat für die Großmutter der Präsidentin gearbeitet, die das Haus als Sekretärinnenfachschule für junge Damen mit guter Erziehung gegründet hat. Ich habe erlebt, wie das College zu seiner heutigen Größe herangewachsen ist. Sie haben ja keine Vorstellung davon, wie viele Meilen von Rasen ich in diesen Jahren gemäht habe. Was werden Sie denn unterrichten, abgesehen von der Geschichte des Colleges?«

»Moralphilosophie«, antwortete Wallace und staunte selbst darüber, wie überzeugend das klang.

»Moralphilosophie …«, wiederholte der Pförtner. Er musterte Wallace von Kopf bis Fuß und wägte vorsichtig in Gedanken ab, welchen möglichen Wert Wallaces Arbeit für künftige Generationen von Studierenden am CAT-College haben könnte, ungefähr so, wie ein unsentimentaler Bauer den Wert eines Esels abschätzt, den der Tierschutzverein auf seinem Hof untergebracht hat. »Ich bin sicher, davon brauchen wir sehr viel mehr, was immer das sein mag. Ich bin absolut für Fortschritt, so lange ich nichts damit zu tun habe. Ich bin sicher, die Präsidentin weiß, was sie tut, auch wenn sie hier bei Weitem die Einzige ist. Aber was weiß denn ich? Ich bin nur der verdammte Pförtner von ganz unten in der Hackordnung, der den Rasen mähen und alle bei Laune halten muss. Hier wären wir.«

Sie hatten eine schwere Tür in der hintersten Ecke einer der vier Mauern erreicht, die ein perfekt symmetrisches Rechteck bildeten. Die Mauer gegenüber hatte genauso viele Türen und Fenster in genau dem gleichen Stil. Die Mauer gegenüber dem Eingang wies einen eigenen Torbogen auf, der zu einem weiteren Rasenviereck führte, und hinter diesem zu einem noch größeren Torbogen, der sich zu einem weiten Park öffnete, der an seinem hinteren Ende an teilweise hinter Bäumen verborgene Gebäude grenzte.

»Gehen Sie da durch, den Gang entlang bis zum Ende, dann nach rechts, und dann ist es die erste Tür rechts. Sie werden das Schild der Sekretärin sehen, Pandora. Seien Sie vorsichtig im Umgang mit der Präsidentin. Sie hat eine Menge Probleme. Sie ist nicht mehr so stark oder jung wie früher«, sagte er und tippte sich in einer Beurteilung des psychischen Zustandes seiner Arbeitgeberin an die Schläfe. »Aber das gilt wohl für uns alle, nehme ich mal an«, fügte er hinzu. »Und hüten Sie sich vor ihrem Freund. Achten Sie gar nicht auf den. Das ist einer von diesen Psychologen. Total gaga, wenn Sie meine Meinung hören wollen, was vermutlich nicht der Fall ist, weil ich ja nur der Pförtner bin. Wenn Sie irgendetwas brauchen, vergeuden Sie Ihre Zeit nicht mit den akademischen Trotteln, sondern gehen sie gleich zu meiner Frau, Rose heißt sie, oder zu mir. Rose kümmert sich hier um das Putzen. Weiß alles. Wenn Sie von irgendwem die Geheimnisse erfahren wollen, dann fragen Sie einfach Rose. Übrigens, ich bin Jim. Jim, der Pförtner.«

Er streckte die Hand aus. Wallace nahm sie und spürte, wie seine eigene von einer zerquetscht wurde, die ihr Leben lang Dinge umfasst, gehalten, gepackt und zerdrückt hatte.

»Viel Glück. Ich bin sicher, Sie werden keine Probleme haben«, sagte Jim und lachte, als er sich umdrehte und geradewegs über den frisch gemähten Rasen davonging. Wallace kam sich vor, als hätte ihn ein tückischer Butler in die Mitte der verrufenen leeren Burg seines finsteren Herren geführt und wäre dann hinter einem mottenzerfressenen Wandteppich verschwunden, während sein Opfer allein seinem Schicksal überlassen war. »Ich habe in letzter Zeit nachts viel zu viele Horrorfilme gesehen«, sagte er sich, ehe ihm einfiel, dass diese Angewohnheit ein Teil seines ab sofort zu vergessenden früheren Lebens war.

Hinter der Tür war die kalte Luft auf dem Gang durchsättigt von dem kompakten Geruch aus den Jahren, in denen das Gebäude als Lazarett gedient hatte. Und den die darauffolgenden Generationen von Studierenden nicht hatten vertreiben können. Wallace knetete seine gequetschten Finger, während er den Anweisungen des Pförtners folgend über den kalten Marmorboden wanderte, der in eine düstere Halle führte. Weiße Farbe war in dem vergeblichen Versuch auf die Wände aufgetragen worden, das alte Gebäude neu oder gar einladend zu machen. Eine Reihe von schweren Türen teilte die hohen Wände des Korridors so, wie er sich eine Reihe von Gummizellen des 19. Jahrhunderts vorstellte. Obwohl Wallace fast damit rechnete, dass jeden Moment ein irrer Schrei hinter irgendeiner dieser Türen die absolute Stille zerfetzen könnte, machte sein Herz einen Sprung, als in der Ferne eine Tür zufiel. Er hörte Lachen, nicht das Lachen eines ausgebrochenen Irren, sondern fröhliches, geselliges Lachen. Dann tauchte auf dem Gang eine Gruppe von Studierenden auf. Sie achteten nicht auf ihn, als sie in lebhaftem Gespräch an ihm vorübergingen.

Als er an eine schwere Holztür klopfte, brüllte eine Stimme von innen, er solle eintreten. Hinter der Tür saß eine Frau undefinierbaren Alters hinter einem Schreibtisch im kalten grellen Herbstlicht, das unbehindert von Jalousien oder Vorhängen durch eine Reihe von hohen Fenstern flutete. Die blasse Frau trug eine große schwarze Sonnenbrille, die es Wallace unmöglich machte zu sehen, in welche Richtung sie blickte. Er fragte sich, ob sie vielleicht blind sei. Eine schwelende Zigarette hing aus ihrem Mund, von dem ein halbrunder Schnurrbart aus Runzeln ausstrahlte, als ob Wallace sie ertappt hätte, als sie eine hundertbeinige Spinne gerade halb verschlungen hatte. Ein Schild gleich über ihrem Kopf an der Wand verkündete: »Rauchen verboten!«

»Pandora?«

»Ja. Was wollen Sie?«, fauchte sie mit harscher Stimme, vielleicht, ohne ihn anzusehen. Er konnte das doch nicht erkennen.

»Ich möchte mit der Präsidentin sprechen. Ich habe einen Termin. Mein Name ist Rik Wallace. Ich bin der neue Dozent. Ich bin Professor. Der Moralphilosophie.« Er ermahnte sich, jetzt den Mund zu halten.

Sie drehte die schwarzen Glasflächen in seine Richtung. Als sie an ihrer Zigarette zog, ging etwas schief mit dem glatten Fluss des Rauches durch ihr gründlich geteertes Atemsystem, das sie zu einem heftigen Husten zwang. Als sie immer ärger hustete, beugte sie sich über den Papierkorb und hämmerte mit der Hand, die nicht die Zigarette hielt, auf den Schreibtisch. Wallace dachte, er sollte vielleicht hinter sie treten und das Heimlich-Manöver anwenden, nur wusste er nicht, wie man das macht. Als er schon fast in Panik geriet, musste er sich abwenden, als sie etwas hervorwürgte, das entweder ein rosa-grüner Haarball war oder ein Teil ihrer Lunge, der jetzt in den Papierkorb wanderte. Inzwischen rang sie um Atem und hatte die Sonnenbrille abgenommen, weil ihr die Tränen aus den Augen strömten. Sie war von ihrem papierweißen Teint auf ein tiefes Rot übergewechselt, da sie seit mindestens zwei Minuten nicht mehr eingeatmet hatte. Sie zog ausgiebig an ihrer noch immer brennenden Zigarette, klemmte sie sich zwischen die Lippen und richtete ihre blinzelnden, tränenden Augen auf ihn. In diesem Moment war Wallace klar, dass sie sehen konnte. Sie setzte die schwarze Sonnenbrille wieder auf. Sie sagte, er solle Platz nehmen, während sie die Präsidentin heiser von seinem Eintreffen unterrichtete.

Ihr Telefon klingelte, als er sich auf einen der Holzstühle mit der geraden Rückenlehne setzte, die ihrem Schreibtisch gegenüber vor der Wand standen. Sie schnappte den Hörer schon nach einem einzigen Klingeln und sagte: »Ach, hallo. Ich habe eben erst an dich gedacht. Nein. Nicht unbedingt mit Vergnügen. Vielleicht doch ein wenig. Du hast heute Abend keine Zeit? Wegen des verdammten neuen Dozenten? Ja. Der sitzt gerade hier.« Die Schüsseln ihrer schwarzen Satellitengläser richteten sich geradewegs auf Wallace. »Morgen? Ja, ich glaube, so lange halte ich durch. Überschätz meine Sehnsucht nach dir lieber nicht. Da deine attraktivste Eigenschaft deine Einsetzbarkeit ist, solltest du es dir nicht zur Gewohnheit machen, mich zu versetzen.« Sie hörte aufmerksam zu. »Wenn du meinst, von mir aus, aber ich will irgendwann entscheiden. So lange du die Requisiten mitbringst. Nein. Ich hab keine Zeit, Kram zu kaufen, und du weißt, wie ungern ich diese Läden betrete. Okay, dann ist das abgemacht. Bis dann.« Als sie aufgelegt hatte, sagte sie zu Wallace, das sei ein privates Gespräch gewesen und gehe ihn überhaupt nichts an. Das Telefon klingelte wieder. Einmal. Vor dem zweiten Klingeln hatte sie es schon gepackt. Sie bedeckte die Sprechmuschel mit einer Hand. Diesmal war sie bereit, Wallace mitzuteilen, wer da anrief: Es war die Sekretärin der BWL-Fakultät. Wallace hörte sich das nun folgende, zehn Minuten lange Gespräch an. Er erfuhr, dass Pandora mit ihrer Kollegin ein ganz besonderes Interesse für Gesundheitsfragen, vor allem die ihrer eigenen Gesundheit, teilte. Bei diesem Gespräch trug sie ihre Einschätzung ihrer eigenen Krankheiten vor, die, da kannte sie keinen Zweifel, daran lagen, dass sie im CAT