Der Holocaust vor Gericht - Eva Menasse - E-Book

Der Holocaust vor Gericht E-Book

Eva Menasse

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Beschreibung

Eva Menasses Bericht über einen Jahrhundertprozess Der Prozess, der in London im Januar 2000 beginnt, sucht seinesgleichen. Ohne Zeitzeugen, mit erstklassigen Historikern als Gutachtern, steht in gewisser Hinsicht Der Holocaust vor Gericht. David Irving, von der amerikanischen Historikerin Deborah Lipstadt »einer der gefährlichsten Holocaust-Leugner« genannt, klagt seine Sicht der Dinge vor Gericht ein. Während er die Existenz der Gaskammern weiterhin bestreitet, fühlt er sich von Lipstadt verleumdet und macht sein Recht auf Meinungsfreiheit geltend. In Großbritannien liegt bei Verleumdungsklagen die Beweislast nicht beim Kläger, sondern beim Beklagten. Die Verteidigung hat daher einige der wichtigsten Holocaust-Experten der Welt aufgeboten, um einerseits Irvings skrupellosen Umgang mit Fakten, andererseits den systematischen Charakter der Ermordung der europäischen Juden durch die Nazis zu beweisen. Eva Menasse hat den Prozess in London über Monate verfolgt. Sie porträtiert Zeugen, Richter und Verteidiger in einem Verfahren, in dem noch einmal pedantisch nachgerechnet wurde, wie viele Menschen auf welche Weise ermordet wurden. Und ihr Interesse gilt David Irving, dem intellektuellen Anstifter eines neuen Rechtsradikalismus und Rassismus. Die Autorin zeigt seine Winkelzüge, seine Argumente und zeichnet darin das Gesicht des Revisionismus. Im April 2000 wurde das Urteil über David Irving gesprochen. Die Urteilsschrift umfasst über 300 Seiten. Es ist ein historisches Urteil.

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Seitenzahl: 217

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Eva Menasse

Der Holocaust vor Gericht

Der Prozess um David Irving

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Eva Menasse

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Motto

Einleitung

David Irving

Advocatus Diaboli

Der Historiker

Beruf: Rechtsextremist

Deborah Lipstadt

Irving zieht vor Gericht

Der Prozess

Auschwitz, Ende März

Das Urteil

Triumph und Irrtum

Namenverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Roper: Du würdest also selbst den Teufel vom Gesetz profitieren lassen!

Thomas More: Was sonst kann man tun?

Eine breite Schneise durch das Recht schlagen, nur um den Teufel zu kriegen?

Roper: Jedes Gesetz in England würd’ ich dafür umschneiden!

Thomas More: Oh? Und wenn das letzte Gesetz gefallen ist, und der Teufel dreht sich zu dir um – wo würdest du Schutz suchen, Roper, wenn alles Recht ringsum am Boden liegt? Dies Land ist mit Gesetzen dicht bepflanzt. Menschliches Recht, nicht göttliches, erstreckt sich von einer Küste zur andern. Doch wenn du es beschneidest – und gerade du wärst der Mann das zu tun! –, glaubst du, du könntest noch aufrecht stehen in den Stürmen, die dann blasen? Jawohl, ich ließe selbst den Teufel Nutzen ziehen aus dem Gesetz – und das um meiner eigenen Sicherheit willen.

Robert Bolt, »A Man for all Seasons«

Inhaltsverzeichnis

David Irving

Wer nachmittags in die Duke Street 81 kommt, dem kann es passieren, dass er, noch bevor er David Irving persönlich kennen lernt, es mit dessen sechsjähriger Tochter zu tun kriegt. Sie öffnet die Tür in einem bodenlangen, rosa schimmernden Prinzessinnenkleid, in dem sie bestimmt nicht zur Schule geht, legt den Finger an die Lippen und erklärt dann mit einer Stimme, die nicht zur Widerrede einlädt, dass Daddy noch ein Fernsehinterview gibt und man deshalb mit ihr hier im Korridor warten soll. Um die Zeit zu vertreiben, schlägt sie vor, aus ihrem »Disney and me«-Heft vorzulesen. Weil sie es nicht bei einer kleinen Leseprobe belässt, sondern ungerührt Seite um Seite vorträgt, hört man ihr nach ein paar Minuten schon nicht mehr aufmerksam zu. Man beginnt, sich halblaut mit seinem Kollegen zu unterhalten und die Bücherkartons zu mustern, die entlang des schmalen Korridors bis auf Hüfthöhe gestapelt sind. Obenauf liegen einige lose Bücher und verraten, was sich im Rest der Kisten verbirgt. Es sind die Werke des Hausherrn, verlegt in seinem eigenen Verlag »Focal Point«:»Goebbels – Mastermind of the Third Reich« zum Beispiel, in exquisiter Ausstattung und mit vielen Bildern. Von den Buchumschlägen schaut einem Joseph Goebbels direkt ins Gesicht. Jemand will ihm von der Seite Papiere reichen, doch er beachtet das nicht. Mit einem Blick von unten nach oben, zwischen vorwurfsvoll und drohend, sitzt er steif in seinem Stuhl, die Hände beinahe an die Lehnen geklammert, und starrt aus diesem Buch heraus. Zwischen all den Büchern sitzt das hübsche Kind Jessica auf einer Kiste, bloßfüßig, das Disney-Heft im Schoß und sieht plötzlich auf. »Und jetzt«, kündigt es lächelnd an, »werde ich euch dazu Fragen stellen.« Natürlich haben wir keine einzige davon beantworten können, weil uns völlig entgangen war, worum es in der Geschichte ging.

Advocatus Diaboli

Im Jahr 1944 war David Irving sechs Jahre alt. Journalisten erzählt er manchmal die Geschichte, wie er damals am Strand von Southsea stand und die englische Invasionsflotte auslaufen sah. »Die meisten davon werden nicht zurückkommen«, sagte seine Mutter zu ihm. Ihr Mann, Irvings Vater, war zu dieser Zeit selbst als Marineoffizier im Krieg. Er hatte bereits im Ersten Weltkrieg gedient und sollte auch den Zweiten überleben. Doch zu seiner Frau und den vier Kindern, von denen Irving und sein Zwillingsbruder Nicholas die jüngsten sind, kehrte der Vater nicht mehr zurück. Eigenen Aussagen zufolge hat Irving seinen Vater erst in dessen letzten beiden Lebensjahren ein bisschen kennen gelernt.

David Irving hat zwei Lieblingsausdrücke, die er ohne Rücksicht darauf benutzt, wie ermüdend oft seine Gesprächspartner sie schon von ihm gehört haben. Der eine ist deutlich seemännisch inspiriert. »Ich werde das Kriegsschiff Auschwitz zum Sinken bringen«, sagt er gern, und er versichert es seinen begeisterten Anhängern bei jeder Gelegenheit: »Es wird nicht mehr lange dauern, und das Kriegsschiff Auschwitz wird für immer untergegangen sein.«

Schon von Jugend an hatte er ein Faible für das Plakative. Er war ein Unruhestifter. In der Schule sei er regelmäßig verprügelt worden: »Die letzten Hiebe kriegte ich, als ich eine zwölf Fuß große Hammer-und-Sichel-Flagge über den Haupteingang der Schule hängte – sie mussten die Feuerwehr holen, um die Fahne wieder runterzuholen!«[3] Am College sorgte er für Schlagzeilen in der Studentenzeitung, als er behauptete, 17 Prozent der Londoner Studenten seien Linksextremisten oder gar Kommunisten: »Die Zahl habe ich mir ausgedacht – ich nahm einfach eine Primzahl.« Der Sohn der allein erziehenden Mutter, der in beschränktesten Verhältnissen aufgewachsen war, verlor sein einjähriges College-Stipendium schließlich, als er durch ein Mathematik-Examen fiel. Der Prüfer, behauptet er heute, sei ein »wohl bekannter Kommunist« gewesen.

Von der Royal Air Force wurde Irving aus medizinischen Gründen abgelehnt. Er bewarb sich in Deutschland bei Krupp um eine Lehrstelle, er bekam eine beim damaligen Konkurrenten Thyssen. So ging er 1960 im Alter von zweiundzwanzig als Stahl-Hilfsarbeiter nach Deutschland, weil er, wie er in einem Lebenslauf schrieb, »buchstäblich ganz unten anfangen wollte, um nach ganz oben zu kommen«.

Sein ältester Bruder John dagegen hat all das Traditionelle erreicht und beendet, was David bloß versucht oder angefangen hat: John diente 23 Jahre lang in der Königlichen Luftwaffe und erlangte als Ingenieur einen Doktortitel. David Irvings zweiter Lieblingsausdruck, meistens bezogen auf Wissenschaftler, lautet: »I want to see egg on their faces.« Er gab diesen Satz sogar einmal als Antwort, als ich ihn fragte, warum er sich ausgerechnet den Holocaust, dieses heikle und mit so vielen Emotionen besetzte Gebiet der Geschichtsforschung, für seine »Revisionen« ausgesucht habe: Das sehe doch allzu sehr nach Absicht, nach dem Wunsch nach größtmöglichem Tabubruch aus. Er hat es bloß indirekt bestätigt: »Ich liebe es eben, Ei auf den Gesichtern der Historiker zu sehen«, sagte er, bevor er überraschend zu singen begann. »Kennen Sie dieses Lied?« fragte er noch, bevor er mit tiefer Stimme loslegte: »Anything you can do I can do better.«

Für Feinschmecker serviert Irving den Ei-Satz übrigens noch in einer Steigerung. Auf einer Veranstaltung in Toronto forderte er seine Anhänger auf: »Stellt euch das Omelett auf ihren Gesichtern vor, wenn es uns gelingt, die Sechs-Millionen-Lüge offen zu legen!«

Doch ein paar Zitate und biographische Details geben noch keine Erklärungen. Er ist natürlich nicht einfach deshalb, inzwischen amtlich bestätigt, ein rechtsradikaler Faktenmanipulierer, ein Antisemit und Rassist, weil er ohne Vater aufwuchs und keinen Studienabschluss hat. Das trifft auf hunderttausende andere auch zu. Es ist viel komplizierter. Wie Guttenplan schrieb, kann Irving wie »die Ausgeburt der Vernunft wirken«. Er kann charmant sein und zuvorkommend, doch zwischen einem freundlichen Kompliment und einer aggressiven Attacke liegen manchmal nur Sekunden. Er ist zeitweise voll »grenzenloser Wut, die sich plötzlich entfalten kann«, wie der Soziologe Hajo Funke sagte, der im Prozess als Gutachter gegen Irving aussagte. Sein Umgang mit Frauen ist in jeder Hinsicht extrem. Während er gern misogyne Witzchen der Art reißt, dass »Frauen geistiger Kaugummi«[4] seien oder zumindest »10 Prozent weniger Hirn und noch nie eine Symphonie komponiert«[5] hätten, gefällt er sich im direkten Umgang als Charmeur, zumindest solange er hofft, die jeweilige Frau von sich überzeugen zu können. Sätze wie »Sie sind eine so schöne Frau, warum hassen Sie mich so?« sind eine besondere Irvingsche Spezialität. Dass er sich in seinen Tagebüchern über die Forderung nach gleichem Lohn für Frauen abfällig äußert, passt ins Bild: Er ist das Gegenteil eines Gleichbehandlers. Frauen, die er einmal als seine Gegner ausgemacht hat, werden auf noch verletzendere Art verächtlich gemacht als Männer.

 

Als der Prozess Irving vs. Lipstadt zu Ende war, schrieb der alte englische Militärhistoriker John Keegan einen Kommentar, der über die Grenzen Großbritanniens hinaus für Widerspruch und Empörung sorgte. Ein zentraler Satz dieses Artikels, der als Rehabilitierung Irvings gedacht war, lautete: »In Wirklichkeit gibt es zwei Irvings«[6]. Auch die »Zeit« behauptete eine »Doppelstrategie« Irvings, der »bald als akribischer Forscher, bald als Volkstribun der extremen Rechten«[7] aufträte. Doch ob Person oder nur Strategie: Vieles wäre einfacher, wenn es bloß zwei Irvings wären, mit denen man es zu tun hat.

David Irving, mit all seinen abstoßenden Seiten, ist eine hoch komplexe Figur – gemessen an dem banalen Dienst, den er als legitimierender »Historiker« für die internationale rechtsextreme Szene erfüllt, und gemessen an den banalen, brutalen Charakteren, die ihm zujubeln. Er ist so schwer zu fassen, dass die missglückte Formulierung eines Journalisten beinahe wieder genial war: Irving habe sich im Laufe des Prozesses als »chamäleonartige Figur entpuppt«[8]. Seine Intelligenz, seine Talente, ja sogar seine Manieren machen einen Großteil des Interesses und der Faszination aus – und nicht allein der Skandal, dass er die Gaskammern leugnet. An dem scheinbaren Widerspruch geradezu verzweifelnd, schrieb ein englischer Journalist: »In den Augen der meisten anderen Männer hat er alles: Groß und distinguiert, genoss er eine gute Ausbildung und ist intelligent. Frauen waren nie ein Problem.«[9] So leicht, soll das heißen, könnte er »einer von uns« sein. Denn wer würde sich je mit dem rabiaten deutsch-kanadischen Schreihals Ernst Zündel – von dem noch die Rede sein wird – oder mit den gestiefelten Glatzen Ostdeutschlands wirklich persönlich beschäftigen wollen? Die fehlgeleitete Vernunft, das vergeudete Talent – das ist es, was an Irving herausfordert.

So könnte man zum letzten Mal den Vergleich mit Eichmann und seinem Prozess bemühen, bloß um zuzusehen, wie er davonhinkt: Hannah Arendt hat die »Banalität des Bösen« sprichwörtlich gemacht, den Kadavergehorsam, der einen subordinaten Kleinbürger wie geschmiert zum Schreibtischtäter mit Millionen Opfern werden ließ. Jahrzehnte später tritt David Irving auf: Als Advocatus Diaboli dieser Täter. Wie es sich für einen begabten Anwalt gehört, verkleinert er das Verbrechen und behauptet die Unkenntnis des Drahtziehers. Fasziniert von den Nazis und überzeugt von der eigenen Berufung, für etwas Historisches bestimmt zu sein, verteidigt Irving persönlich Adolf Hitler. Entschlossen nimmt er ihn in Schutz, und seine stupende Kenntnis der Geschichte und der Dokumente lässt ihn zu den erstaunlichsten und infamsten Ergebnissen kommen. Umstritten ist, wie banal etwa Eichmann wirklich war. David Irving, der Anwalt des Bösen ist es nicht. Er wurde auch nicht vor Gericht gestellt, sondern er selbst ist vor Gericht gezogen. Und deshalb wurde er am Ende auch nicht gehenkt, höchstens im übertragenen, finanziellen Sinn. Alles war viel zahmer, viel demokratischer: Es wurde ihm bloß nicht Recht gegeben.

Der Historiker

Seit Jahrzehnten wird Irvings Arbeit von historischen Kapazitäten im anglo-amerikanischen Raum gepriesen. Selbstredend macht er davon Gebrauch für die Eigenwerbung. Hugh Trevor Roper – der auch Unfreundlicheres äußerte – lobte zumindest seinen »unermüdlichen Forscherfleiß«. John Keegan, den Irving zwang, »sub poena« vor Gericht auszusagen, hat wiederholt gesagt, dass »Irving wahrscheinlich mehr als jeder andere lebende Mensch über die deutsche Seite der Kriegführung weiß«. Donald Cameron Watt, jahrzehntelang Professor an der London School of Economics und ein weiterer »sub poena«-Zeuge Irvings, sagte dem Richter, er sei »zutiefst beeindruckt« von Irvings Wissen auf seinem Gebiet, wenngleich er ihn nicht »zur Top-Spitzengruppe« der Militärhistoriker zählen wolle. Der britische Publizist Christopher Hitchens äußerte mit einer Wendung, die inzwischen sprichwörtlich geworden ist, über Irving, er sei nicht nur »ein faschistischer Historiker, sondern ebenso ein großartiger Historiker des Faschismus«. Gordon C. Craig, Professor für deutsche Geschichte an der Universität von Stanford, hält Irvings Beitrag zur Geschichte des Nationalsozialismus, genau wie Keegan, für »unentbehrlich« und sagte: »Ich lerne immer etwas von ihm.« In einer Rezension schrieb Craig: »Wenn wir Irving mundtot machten, würden wir einen hohen Preis zahlen, bloß um uns von dem Ärger, den er uns macht, zu befreien – es ist eine Tatsache, dass er mehr über den Nationalsozialismus weiß als die meisten professionellen Akademiker auf diesem Gebiet.«[10]

Der Umgang mit jemandem wie Irving ist also ganz unterschiedlich. Während es in Deutschland, wenn überhaupt, darum zu gehen scheint, ob man die Existenz eines prononcierten Holocaust-Leugners öffentlich erwähnt, streiten namhafte Historiker in England und den Vereinigten Staaten dafür, die relevanten Teile in Irvings Werk trotz seiner extremistischen Ansichten nicht zu übersehen. Zwar gehört es gerade zu den Lieblingsstrategien Irvings wie der anderer Holocaust-Leugner, sich empört als Opfer böswilliger Zensur darzustellen. Doch das schwächt deshalb noch nicht die Verteidigung von Craig und Co., die gewisse Teile von Irvings Büchern sozusagen vor dem »Misthaufen der Geschichte« gerettet wissen wollen.