Der komplexe Satz - Maria Averintseva-Klisch - E-Book

Der komplexe Satz E-Book

Maria Averintseva-Klisch

0,0

Beschreibung

Komplexe Sätze sind nicht nur ein Prüfstein für die syntaktische Theorie, sondern auch ein expliziter Lerngegenstand im Grammatikunterricht. Darüber hinaus haben sie Querbezüge zu vielen anderen Bereichen des Deutschunterrichts, insbesondere Wortarten, Zeichensetzung und Lesen und Verfassen von Texten. Dieser Band beleuchtet die komplexen Sätze aus der Sicht von Syntax und Schulpraxis. Zur Analyse wird konsequent ein didaktisch angepasstes Feldermodell verwendet. Dabei ist die Analyse kompatibel mit den aktuellen KMK-Vorgaben ("Verzeichnis der grundlegenden grammatischen Fachterminologie"). Ein Glossar und Aufgaben zu den einzelnen Kapiteln runden den Band ab.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 180

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



LinguS 13

LINGUISTIK UND SCHULE

Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis

Herausgegeben von Sandra Döring und Peter Gallmann

Maria Averintseva-Klisch / Steffen Froemel

Der komplexe Satz

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

DOI: https://doi.org/10.24053/9783823392224

© 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

Internet: www.narr.de

eMail: [email protected]

ISSN 2566-8293

ISBN 978-3-8233-8222-5 (Print)

ISBN 978-3-8233-9222-4 (ePDF)

ISBN 978-3-8233-0363-3 (ePub)

Inhalt

Einleitung

1Aufbau komplexer Sätze – Grundbegriffe und Modelle

1.1Begriffliche Differenzierungen

1.1.1Satzgefüge. Hauptsatz vs. Nebensatz

1.1.2Satzreihe

1.2Beschreibungsmodelle komplexer Sätze

1.2.1Linguistische Modelle: hierarchische, funktionale und lineare Modelle

1.2.2Didaktische Modelle

1.2.3Synthese: PSM

1.3Zusammenfassung und Literaturhinweise

1.4Aufgaben

2Satzgefüge – prototypische und periphere Nebensätze

2.1Form der Nebensätze

2.2Funktion der Nebensätze

2.3Stellung der Nebensätze

2.4Zwischenfazit

2.5Satzgefüge und Interpunktion

2.6Funktional-stilistische Aspekte

2.7Zusammenfassung und Literaturhinweise

2.8Aufgaben

3Satzgefüge – ein funktional orientierter Unterrichtszugang

3.1Satzgefüge als Lerngegenstand

3.2Struktur von Gliedsätzen

3.3Struktur von Attributsätzen

3.4Einbettungsstruktur von Satzgefügen und Interpunktion

3.5Differenzierung von Nebensätzen nach Form und Funktion

3.6Zusammenfassung und Literaturhinweise

3.7Aufgaben

4Satzreihe – prototypische und periphere Verbindungen

4.1Formale Aspekte

4.2Interpunktion bei der Satzkoordination

4.3Funktional-stilistische Aspekte der Koordination

4.4Hinweise für den Unterricht

4.5Zusammenfassung und Literaturhinweise

4.6Aufgaben

5Satzwertige infinite Konstruktionen

5.1Infinitivkonstruktionen

5.1.1Infinitive: Hinweise für den Unterricht

5.2Partizipialkonstruktionen

5.2.1Partizipialkonstruktionen: Hinweise für den Unterricht

5.3Zusammenfassung und Literaturhinweise

5.4Aufgaben

6Parenthesen

6.1Formen und Funktionen der Parenthese

6.1.1Sätze als Parenthese

6.1.2Satzglieder als Parenthese

6.1.3Parenthese und indirekte Rede

6.1.4Funktionen der Parenthesen

6.2Zeichensetzung bei Parenthesen

6.3Zusammenfassung und Literaturhinweise

6.4Aufgaben …“

7Fazit

Textbeispiele

Glossar

Lösungsvorschläge zu den Aufgaben

Literaturverzeichnis

Einleitung

Es stand nicht von Anfang an fest, dass es diesen Band geben wird. Nach der ersten Planung sollten die beiden traditionell wichtigsten linguistischen Einheiten, das Wort und der einfache Satz, unbedingt fokussiert werden. Theoretisch-linguistisch gesehen sind das Wort und der einfache Satz grammatische Einheiten mit unterschiedlichen Aufbauregularitäten, wobei beide zentral für das Verständnis der Grammatik sind. Ein komplexer Satz ist demgegenüber viel weniger spannend, denn hier wirkt lediglich das Rekursivitätsprinzip der Sprache: Eine nach bestimmtem Muster aufgebaute sprachliche Einheit kann theoretisch beliebig oft wiederholt werden (in Wilhelm von Humboldts Worten macht die Sprache dadurch „von endlichen Mitteln unendlichen Gebrauch“). So kann bei der Komposition als Wortbildungsverfahren ein Wort mit einem anderen kombiniert werden, das Ergebnis wieder mit einem weiteren Wort usw., vgl. Virus + Abwehr Virusabwehr + Mechanismus Virusabwehrmechanismus; usw. Ebenfalls kann ein Satz mit einem anderen Satz kombiniert werden, um einen weiteren, komplexe(re)n Satz zu bilden, wobei dieselben Muster gelten wie bei der Kombination von Wortgruppen bzw. Phrasen.

Dennoch war schnell klar, dass zumindest aus der Perspektive der Schule auch der komplexe Satz eine eingehende Beschäftigung verdient. Komplexe Sätze, vor allem Satzreihen und Satzgefüge, bilden einen expliziten Lerngegenstand im Grammatikunterricht und sind darüber hinaus mit ihren Querbezügen zu Wortarten (z. B. ist die Unterscheidung Konjunktion vs. Subjunktion nicht von der zwischen Satzreihe und Satzgefüge zu trennen), zur Zeichensetzung und zum Schreiben von Texten zentral. So erwarten die KMK-Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss (2003) von Schüler:innen, dass diese „Leistungen von Sätzen und Wortarten kennen und für Sprechen, Schreiben und Textuntersuchung nutzen“ und dabei „Satzstrukturen kennen und funktional verwenden: Hauptsatz, Nebensatz/Gliedsatz, Satzglied, Satzgliedteil“; auch bei der Kompetenz „Textbeschaffenheit analysieren und reflektieren“ werden „Satzreihe, Satzgefüge“ als wichtige syntaktische Textmittel genannt (ebd.: 16).

Aber auch aus linguistischer Perspektive lohnt sich die Beschäftigung mit komplexen Sätzen. Denn die oben gemachte Rekursivitätsannahme ist doch etwas vereinfacht: Die Satzverknüpfung weist Aspekte auf, die eine Verknüpfung von Wortgruppen zu einem einfachen Satz nicht hat. Als eine komplexe syntaktische, semantische, pragmatische und prosodische bzw. graphische Einheit stellen komplexe Sätze eine Herausforderung für die Grammatik dar, die dazu führt, Grammatikkonzepte zu entwickeln und zu präzisieren. Wir werden dies exemplarisch in Kapitel 4 am Beispiel der Satzkoordination sehen.

Zwei schulisch relevante Gegebenheiten haben dieses Buch sicherlich beeinflusst. Zum einen wurde das syntaktische Feldermodell im Bildungsplan von Baden-Württemberg 2016 verankert und ist seitdem fester Teil des Grammatikunterrichts. Auch wir nutzen dieses Modell zur Satzanalyse. Denn es gibt eine Reihe konkreter linguistisch fundierter Überlegungen zum unterrichtlichen Nutzen dieses Modells (wie Wöllstein 2015; Froemel 2020), an die wir anknüpfen können. Auch Geilfuß-Wolfgang & Ponitka (2020) besprechen die lineare Felderstruktur für den einfachen Satz. Wir zeigen, dass das Feldermodell als Analyseinstrumentarium vor allem für komplexe Sätze sehr wertvoll ist, da es z. B. die Einbettung und das Konzept des Hauptsatzes als Matrixsatz unmittelbar abbildet. Zum anderen ist Ende 2019 ein in linguistisch-didaktischer Kooperation unter der Schirmherrschaft des IDS Mannheim entwickeltes Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke (VGGF; grammis.idsmannheim.de/vggf) veröffentlicht und von der KMK zustimmend zur Kenntnis genommen worden. Das Verzeichnis versteht sich explizit als eine offene und zu diskutierende Liste, die weder Vorgaben zum Grammatikunterricht macht noch terminologisches Wissen ins Zentrum stellen will, sondern lediglich eine Orientierung und begriffliche Rahmengebung ermöglicht (siehe Vorbemerkung zum VGGF). Wir nutzen deshalb teilweise Definitionen des VGGF; wenn nicht, so sind die Definitionen anschlussfähig an das VGGF.

Wir beginnen, indem wir in Kapitel 1 kurz die Grundkonzepte Satzgefüge, Satzreihe, Haupt- und Nebensatz definieren und nach einem kurzen exemplarischen Überblick über linguistische und didaktische Satzmodelle uns für das Propädeutische Satztopologiemodell (PSM) entscheiden. Kapitel 2 thematisiert das Satzgefüge. Ausgehend von dem Konzept prototypischer und weniger prototypischer Nebensätze wird die Form- und Funktionsvariation in diesem Bereich vorgestellt und die Kommasetzung im Satzgefüge besprochen. Am Beispiel des Satzgefüges entwerfen wir in Kapitel 3 exemplarisch einen funktional ausgerichteten unterrichtlichen Zugang zu diesem Thema. Die hier gemachten Anregungen für Satzgefügen können auch für Satzreihen, aber auch für andere Themen der Grammatik genutzt werden. Kapitel 4 befasst sich mit der Satzreihe, wobei es auf die unterschiedlichen Koordinationsarten eingeht und auch die Interpunktion sowie funktional-stilistische Aspekte berücksichtigt. In beiden Kapiteln stehen finite Teilsätze und ihre Kombination im Vordergrund. Kapitel 5geht auf infinite Konstruktionen ein, grenzt die satzwertigen Infinitive und Partizipialgruppen ab und systematisiert die Kommasetzung bei diesen. Kapitel 6 schließlich behandelt die (insbesondere satzwertigen) Parenthesen und ihre syntaktischen, semantischen, textfunktionalen und interpunktorischen Eigenschaften. Kapitel 7 zieht ein kurzes Fazit.

1Aufbau komplexer Sätze – Grundbegriffe und Modelle

Ein Satz ist eine Einheit, die ein Prädikat enthält; ein komplexer Satz besteht aus mindestens zwei Teilsätzen. Dabei kann ein Teilsatz dem anderen subordiniert sein (Satzgefüge) oder mit ihm koordiniert (Satzreihe). Ein Satz oder Teilsatz, der keinem anderen subordiniert ist, ist ein Hauptsatz; ein Nebensatz ist stets Teil des Hauptsatzes. Für eine Analyse einfacher und komplexer Sätze gibt es sowohl in der Syntaxtheorie als auch in der Didaktik Modelle, die jeweils hierarchische, funktionale bzw. lineare Aspekte erfassen. Wir stellen eine Auswahl dieser Modelle kurz vor und legen uns für diese Einführung auf ein didaktisch aufbereitetes Feldermodell, das propädeutische Satztopologiemodell, fest.

Wie eingangs dargestellt, befassen wir uns hier mit komplexen Sätzen, welche wir als Sätze verstehen, die mehr als ein finites oder infinites Prädikat1 beinhalten, vgl. (1):

(1)

a.

Wie froh bin ich, dass ich weg bin!

 

b.

Der Brief wird dir recht sein, er ist ganz historisch.

 

c.

Glauben Sie, dass ich des Glücks wert sei, mit Ihnen verwandt zu sein?

 

 

(J. W. von Goethe, Die Leiden des jungen Werther)

Ein komplexer Satz ist eine graphematisch und syntaktisch abgeschlossene sprachliche Einheit, die mehr als ein finites oder infinites Prädikat beinhaltet.

Dass ein komplexer Satz eine graphematisch abgeschlossene Einheit ist, leuchtet sicher ein: Nur wenn die einfachen Teilsätze, wie in (1), nicht jeder für sich mit einem Punkt (oder Ausrufezeichen oder Fragezeichen) enden, sondern es nur ein solches Satzendezeichen gibt, sprechen wir von komplexen Sätzen. Dennoch sind sie in erster Linie syntaktische Einheiten. Deshalb ist die Formulierung „und syntaktisch abgeschlossene“ nicht nur für die Fälle notwendig, in denen ein Satz nicht verschriftlicht wird. Mit ihr kann vermieden werden, dass ein komplexer Satz ausschließlich graphematisch, also über die Zeichensetzung, definiert wird. Denn dies führe, wie Wöllstein et al. (2016: 1033) feststellen, dazu, dass „die Begriffe der Satzverbindung und des Satzschlusszeichens zirkulär aufeinander bezogen werden“: Ein Satz ist dann das, was mit einem Satzendezeichen endet und ein Satzendezeichen ist ein Interpunktionszeichen, welches einen Satz beendet. Was genau unter einer syntaktisch abgeschlossenen Einheit verstanden wird, werden wir bei der Beschäftigung mit Satzreihen in Kapitel 4 sehen:

Eine syntaktisch abgeschlossene sprachliche Einheit ist die maximale Einheit der geschriebenen oder gesprochenen Sprache, die nach den Regeln der Syntax aufgebaut wird und in welcher bestimmte syntaktische Prozesse wie Koordinationsellipsen (Kap. 4) möglich sind.

Traditionell wird zwischen zwei Arten von komplexen Sätzen unterschieden, Satzgefügen und Satzreihen (z. B. Pittner & Berman 2021: 96; Wöllstein et al. 2016: 1030; Zifonun et al. 1997: 2235).2 Diese Unterscheidung findet sich auch in der Schulgrammatik wieder, sowohl die alte KMK-Liste (1982) als auch das neue VGGF nennen diese beiden Begriffe. Deshalb fangen wir mit diesen Konzepten an.

1.1Begriffliche Differenzierungen

1.1.1Satzgefüge. Hauptsatz vs. Nebensatz

Unter einem Satzgefüge oder einer hypotaktischen (griech: hypo: ‚unter‘ und táxis: ‚Ordnung‘) Satzverknüpfung versteht man einen komplexen Satz, welcher mindestens einen Nebensatz, d. h. einen formal und/oder funktional untergeordneten Teilsatz, beinhaltet, vgl. (2):

(2)

a.

Was ich dir neulich von der Malerei sagte, gilt gewiss auch von der Dichtkunst.

 

b.

Sie sei nicht mehr jung, sagte er.

 

c.

Albert ist ein braver Mensch, dem ich so gut wie verlobt bin.(J. W. von Goethe, Die Leiden des jungen Werther)

So ist der Teilsatz in (2a) zum einen durch seine Form bereits als ein typischer Nebensatz ausgezeichnet: Das ist ein durch ein Relativpronomen (was) eingeleiteter Verbendsatz. Zum anderen ist er auch funktional abhängig: Der Satz erfüllt die Funktion eines Subjekts im Hauptsatz, was wir auch mit dem Ersetzungs- und dem Umstelltest (Verschiebetest), vgl. Geilfuß-Wolfgang und Ponitka (2020: Kap. 3.2), und mit dem Fragetest zeigen können:

(3)

Was ich dir neulich von der Malerei sagte, gilt gewiss auch von der Dichtkunst.

 

a.

Das / Diese Annahme gilt gewiss auch von der Dichtkunst.

 

b.

Gewiss gilt auch von der Dichtkunst, was ich dir neulich von der Malerei sagte.

 

c.

Was gilt gewiss auch von der Dichtkunst? – Was ich dir neulich von der Malerei sagte, gilt gewiss auch von der Dichtkunst.

Wir sehen, dass der Nebensatz durch ein Pronomen oder eine Nominalphrase im Nominativ zu ersetzen ist, das nachgestellt oder vorangestellt werden kann, genauer, im Vorfeld des Hauptsatzes stehen kann (d. h. vor dem finiten Verb; siehe Geilfuß-Wolfgang und Ponitka 2020: 62 ff. und weiter unten), und dass er erfragbar ist, und zwar mit der Frage nach dem Subjekt.

Die funktionale Abhängigkeit trifft aber auch für den ersten Teilsatz in (2b) zu, obwohl dieser Teilsatz formal gesehen kein typischer Nebensatz ist: Trotz der Verbzweitstellung, die eigentlich typisch für die Hauptsätze ist, liegt hier ein Akkusativobjekt-Satz vor, wie wir wiederum mit den Tests nachweisen können:

(4)

Sie sei nicht mehr jung, sagte er.

 

a.

Das / Diesen kurzen Satz sagte er.

 

b.

Er sagte, sie sei nicht mehr jung.

 

c.

Was sagte er? – Er sagte, sie sei nicht mehr jung.

Der zweite Teilsatz in (2c) ist nun wieder ein Verbendsatz, diesmal aber mit einem Relativpronomen (dem) eingeleitet. Funktional gesehen ist dieser Satz ein Attribut innerhalb des Subjektprädikativs im Hauptsatz, d. h. der Satz benennt eine Eigenschaft des braven Menschen. Erneut trifft somit sowohl die formale Nebensatzkennzeichnung als auch die funktionale Abhängigkeit zu.

Ein Nebensatz ist ein Teilsatz, der in einem anderen Teilsatz eine Satzglied- oder eine Attribut-Funktion übernimmt und / oder der formal gesehen ein Verbendsatz ist.3 Oft treffen auch beide Eigenschaften zugleich zu.

Der Hauptsatz ist ein Teilsatz, der nicht einem anderen formal oder funktional untergeordnet ist.4

Wichtig ist es nun, zwei mögliche Missverständnisse zu vermeiden. Erstens könnten die Sätze in (2) nahelegen, dass es immer der Hauptsatz ist, der einen Nebensatz einbettet. Dem ist nicht so, auch ein Nebensatz kann einen weiteren Nebensatz einbetten, wie (5) zeigt:

(5)

Die alberne Figur, die ich mache, wenn in Gesellschaft von ihr gesprochen wird, solltest du sehen.(J. W. von Goethe, Die Leiden des jungen Werther)

Hier ist der Relativsatz zwar dem Hauptsatz als ein Attribut innerhalb des Objekts des Hauptsatzes (die alberne Figur …) untergeordnet, er selbst beinhaltet aber einen weiteren Nebensatz, den wenn-Satz, der als Konditionaladverbial im Relativsatz fungiert. Man sagt, der Hauptsatz sei hier der Matrixsatz (oder ein Trägersatz; in Kapitel 2.3 werden wir zeigen, wann es sinnvoll sein kann, diesen Terminus zu bevorzugen) für den Relativsatz und dieser der Matrixsatz für den wenn-Satz.

Ein Matrixsatz (auch: Trägersatz; Obersatz) ist ein Teilsatz, von welchem ein anderer Teilsatz (ein Nebensatz) formal und / oder funktional direkt abhängig ist.

Wöllstein et al. (2016: 1031) sprechen in diesem Fall von dem Nebensatz des ersten vs. des zweiten usw. Grades:

(5’)

[Hauptsatz Die alberne Figur, [NS des 1. Grades die ich mache, [NS des 2. Grades wenn in Gesellschaft von ihr gesprochen wird,]] solltest du sehen.]

Die syntaktische Beziehung zwischen einem Matrixsatz und einem ihm untergeordneten Nebensatz nennt man Subordination.

Unter Subordination (lat. sub-: ‚unter‘ und ordinatio: ‚Anordnung‘, ‚Ordnung‘) oder syntaktischen Unterordnung versteht man die Beziehung der formalen und / oder funktionalen Unterordnung zwischen dem Matrixsatz und dem Nebensatz.

Zweitens, wie die Darstellung in (5) schon zeigt, wäre es natürlich vollkommen falsch zu sagen, der Hauptsatz sei das, was übrig bleibt, wenn man die Nebensätze wegnimmt. Denn selbstverständlich gehören ja die Objekte und andere Satzglieder sowie auch Attribute zu dem Satz, in dem sie Satzglieder oder Attribute sind, und stehen nicht neben diesem. Es wäre also falsch und äußerst unlogisch zu sagen, der Hauptsatz in (5) sei lediglich Die alberne Figur solltest du sehen oder in (2b) Sagte er. Letzterer Satz wäre sogar ungrammatisch. Sagte er würde somit eindeutig nicht der üblichen Definition des Hauptsatzes als „selbstständige[m] Satz“ (vgl. z. B. Mutter & Schurf (2016): 315) entsprechen. Selbstverständlich ist also der Hauptsatz in allen besprochenen Fällen der ganze Satz:

(2’)

a.

[HS Ich weiß nicht, [NS ob täuschende Geister um diese Gegend schweben].]

 

b.

[HS [NS Sie sei nicht mehr jung], sagte er.]

 

c.

[HS Albert ist ein braver Mensch, [NS dem ich so gut wie verlobt bin.]]

Nun will man aber natürlich manchmal Bezug auf den Rest des Satzes abzüglich des Nebensatzes nehmen, z. B. um zu sagen, dass der Nebensatz davon durch Kommata abgetrennt wird. Hierfür schlägt z. B. Pafel (2011: 81) den Begriff (Haupt-)Satzgerüst vor:

Nun können wir sagen, dass in (6) das Hauptsatz-Gerüst von dem Nebensatz durch ein Komma abgetrennt wird.

Das Gerüst des Matrixsatzes ist derjenige Teil des Matrixsatzes, der übrig bleibt, wenn man den Nebensatz bzw. die Nebensätze wegnimmt.

Ein Nebensatz ist eine Konstituente seines Matrixsatzes und kann deshalb in der Regel zu Beginn des Matrixsatzes, in seiner Mitte oder am Ende des Matrixsatzes stehen, vgl. (7) und (8):

(7)

Wenn man oben auf dem Fußpfade zum Dorf herausgeht, übersieht man auf einmal das ganze Tal.(J. W. von Goethe, Die Leiden des jungen Werther)

(8)

a.

Man übersieht auf einmal, wenn man oben auf dem Fußpfade zum Dorf herausgeht, das ganze Tal.

 

b.

Man übersieht auf einmal das ganze Tal, wenn man oben auf dem Fußpfade zum Dorf herausgeht.

Man spricht dabei topologisch gesehen von einer Stellung im Vorfeld (7), im Mittelfeld (8a) und im Nachfeld (8b) des Matrixsatzes; zu der Felder-Terminologie siehe Geilfuß-Wolfgang & Ponitka (2020: Kap. 4) sowie weiter unten in Abschnitt 1.2. Wie wir in Kapitel 2 sehen werden, können nicht alle möglichen Nebensätze an allen drei Stellen vorkommen, aber generell sind diese Optionen gegeben.

Insbesondere das zweite Missverständnis, bei dem das Hauptsatz-Gerüst als der Hauptsatz (miss-)verstanden wird, führt zu Zweifeln an dem Konzept Hauptsatz selbst. So plädiert Granzow-Emden (2020: 22) vehement gegen die Konzepte Hauptsatz und Nebensatz, „weil in den Schulbüchern und Grammatiken zu viele unterschiedliche und nicht vereinbare Vorstellungen damit verbunden sind“. Stattdessen schlägt er einen Fokus auf die rein formale Unterscheidung nach der Verbstellung vor zwischen Verberst- (V1; Kommst du gleich mit?), Verbzweit- (V2; Du kommst gleich mit) und Verbendsätzen (VE; dass du gleich mitkommst); siehe auch Abschnitt 1.2.1 unten. Satz (7) wäre demnach ein V2-Satz mit einem VE-Satz als seinem Teil. Um funktionale Aspekte dennoch zu berücksichtigen, wird das V2-Muster als Hauptmuster und das VE-Muster als Nebenmuster bezeichnet (V1 ist das „Passaufmuster“).

Wir bleiben dennoch bei den traditionellen Termini Hauptsatz und Nebensatz. Wie wir sehen werden, zeigt die von uns benutzte Analyse im Feldermodell eindeutig, dass Nebensätze Teile ihres Matrixsatzes (oft des Hauptsatzes) sind, so dass hier Missverständnisse vermieden werden können. Kennzeichnend für einen Hauptsatz ist, dass mit ihm, wenn er geäußert wird, eine sprachliche Handlung durchgeführt wird; er hat also eine Illokution in der Terminologie der Sprechakttheorie. Wenn wir uns nochmal die Einstiegsbeispiele anschauen, so sehen wir, dass (1a) einen Ausruf darstellt, und zwar genau einen; mit dem dass-Satz ist keine gesonderte sprachliche Handlung verbunden:

(1’)

a.

Wie froh bin ich, dass ich weg bin!

 

b.

Der Brief wird dir recht sein, er ist ganz historisch.

 

c.

Glauben Sie, dass ich des Glücks wert sei, mit Ihnen verwandt zu sein?

Mit (1b) werden zwei Mitteilungen gemacht, hier liegen also zwei Hauptsätze vor. Mit (1c) liegt trotz der drei Teilsätze nur eine sprachliche Handlung, die Frage, vor.

Wir verstehen den Hauptsatz als eine graphematisch abgeschlossene markierte syntaktische Struktur, die mindestens ein Prädikat sowie seine Ergänzungen und ggf. Angaben beinhaltet und die eine Illokution hat, d. h. mit der eine sprachliche Handlung ausgeführt wird.

1.1.2Satzreihe

Unter einer Satzreihe oder einer parataktischen (griech: pará: ‚neben‘, ‚bei‘ und táxis: ‚Ordnung‘) Satzverknüpfung versteht man einen komplexen Satz, welcher aus mindestens zwei Teilsätzen besteht, die einander weder formal noch funktional untergeordnet sind, vgl. (9):

(9)

Veronika, der Lenz ist da, / die Mädchen singen Tralala, / die ganze Welt ist wie verhext, / Veronika, der Spargel wächst. (Comedian Harmonists, Veronika, der Lenz ist da)

Diese Liedstrophe besteht aus vier Verbzweit-Aussagesätzen (zwei mit einer Anrede an Veronika beginnend), von denen jeder für sich allein stehen könnte und weder formal als abhängig markiert ist (sondern eine Verbzweitstellung hat) noch eine Satzgliedfunktion im Gesamtsatz übernimmt. Es ist eine Aufzählung von selbstständigen Aussagen; nur durch das Komma zwischen den Teilsätzen wird gekennzeichnet, dass sie zusammen Teile eines komplexen Satzes sind. Man sagt, die Teile einer Satzreihung sind koordinativ miteinander verbunden oder miteinander koordiniert.

Unter Koordination (lat. con-: ‚mit‘, ‚zusammen‘ und ordinatio: ‚Anordnung‘, ‚Ordnung‘) versteht man eine syntaktische Verbindung zweier gleichrangiger Wortformen (und sogar Wortteile, vgl. be- und entladen), Phrasen oder Teilsätze.

Einige Beispiele für Koordination sind unter (10) zu finden:

(10)

Menschen necken, Tiere quälen, / Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen – / das ist freilich angenehmer / Und dazu auch viel bequemer, / als in Kirche oder Schule / festzusitzen auf dem Stuhle. (Wilhelm Busch, Max und Moritz)

In den ersten beiden Versen werden zum einen drei Nomina, Äpfel, Birnen und Zwetschgen, miteinander koordiniert, und diese Aufzählung ist das direkte Objekt von stehlen; zum anderen werden hier drei Verbalphrasen, d. h. Wortgruppen, die aus einem Verb und seinen Ergänzungen, hier jeweils dem direkten Objekt, bestehen, koordiniert. In beiden Fällen handelt es sich um eine asyndetische Koordination, d. h. eine Koordination ohne ein sichtbares verbindendes Element wie z. B. die Konjunktion und (griech. a-: ‚un‘, ‚nicht‘ und syndetos: ‚zusammengebunden‘). In den Versen 3 und 4 werden prädikative Adjektive angenehmer und viel bequemersyndetisch, also mit einer Konjunktion, koordiniert, in Vers 5 die Nomina Kirche und Schule; hier sehen wir auch, dass und zwar wahrscheinlich die prototypische koordinierende Konjunktion ist, aber natürlich nicht die einzige, oder beispielsweise ist auch eine.

Was Sätze betrifft, so können nicht nur Hauptsätze – Verbzweit-Aussagesätze wie in (9) oben oder Verberst-Fragen wie in (11) – sondern auch Nebensätze untereinander koordiniert werden, vgl. (12), wo zwei Objektsätze mit und syndetisch koordiniert werden:

(11)

[…], schöpfe Trost aus seinem Leiden und lass das Büchlein deinen Freund sein.

(12)

Meiner Mutter sollst du sagen, dass sie für ihren Sohn beten soll und dass ich sie um Vergebung bitte wegen alles Verdrusses, den ich ihr gemacht habe.(J. W. von Goethe, Die Leiden des jungen Werther)

Dieser Fall wird allerdings nicht als eine Satzreihe bezeichnet, sondern als ein Satzgefüge, denn hier bettet der Matrixsatz eine Nebensatzkoordination ein: [HSMeiner Mutter sollst du sagen, [NS1 und NS2]].

Unter einer Satzreihe (auch: Satzreihung; Satzverbindung) versteht man einen besonderen Fall der Koordination, und zwar eine Koordination von Hauptsätzen.

In Kapitel 4 werden wir genauer auf die Satzreihe eingehen und dabei auch sehen, dass es hier, anders als beim Satzgefüge, viel schwieriger ist, genau auszumachen, was zwei Hauptsätze eigentlich zu einem syntaktischen Ganzen macht. Diese Schwierigkeit zeigt sich auch darin, dass die Begriffe Parataxe und parataktischer Satzbau je nach Autor:in für Strukturen wie (13) oder für solche wie (14) (z. B. Pittner & Berman 2021) genutzt werden:

(13)

Agnes ist tot. Eine Geschichte hat sie getötet.(Peter Stamm, Agnes)

(14)

a.

Agnes ist tot, eine Geschichte hat sie getötet.

 

b.

Agnes ist tot: Eine Geschichte hat sie getötet.