Der Koran und die Frauen - Benjamin Idriz - E-Book

Der Koran und die Frauen E-Book

Benjamin Idriz

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Beschreibung

»Historisch betrachtet brachte der Koran Frauen die Freiheit und das Recht.« (Benjamin Idriz)

Frauenfeindlichkeit und Islam gehören für viele scheinbar zusammen. Daran gibt es nichts zu beschönigen, aber vieles zu ändern. Dass das möglich ist, zeigt dieses Buch, sogar ganz ohne nichtislamische Besserwisserei. Hier erklärt ein Imam, was er die Männer und Frauen in seiner Gemeinde über das Verhältnis der Geschlechter lehrt. Seine Quelle ist der Koran und sein Ziel ein Islam, der sich seines befreienden Ursprungs wieder bewusst ist. Ein erhellendes Buch für alle, denen an Debatte und nicht nur an Denunziation gelegen ist.

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Seitenzahl: 205

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Benjamin Idriz

Der Koran

und die Frauen

Ein Imam erklärt

vergessene Seiten

des Islam

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2019 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlaggestaltung: Gute Botschafter GmbH, Haltern am See

Umschlagmotiv: © Anna Poguliaeva – shutterstock.com

ISBN 978-3-641-24063-9V001

www.gtvh.de

INHALT

VORWORTWARUM ICH ÜBER FRAUEN UND DEN KORAN SCHREIBE

DIE STELLUNG DER FRAU IN VORISLAMISCHER ZEIT UND WIE DER KORAN DARAUF REAGIERT

Glaubensvorstellungen und Rituale aus vorislamischer Zeit

Frauen-, Familien- und Zivilrechtliche Themen aus vorislamischer Zeit

Verschiedene Arten von Ehe

Die zeitlich begrenzte (Genuss)-Ehe

Heimliche und außereheliche Beziehungen

Polygamie

Ehe mit minderjährigen Mädchen

Ehescheidung

Wartezeit nach der Scheidung und Trauerzeit

Erbrecht

Zusammenfassung

NACH ALTEM UND NEUEM TESTAMENT: MIT DEM KORAN AUF DEM REFORMWEG

Enttabuisierung der Frauenthemen im Koran

Die Gleichberechtigung der Geschlechter

Wiegt das Zeugnis eines Mannes doppelt so viel wie das einer Frau?

Wurde die Frau aus der Rippe des Mannes erschaffen?

Stehen die Männer über den Frauen?

Gewalt gegen Frauen: »Dann schlagt sie?!«

DER PROPHET – EIN KÄMPFER FÜR FRAUENRECHTE

Das negative Frauenbild der nachprophetischen Zeit

Umgang mit Überlieferungen

DIE FRAU IN DER MOSCHEE

Was der Koran und der Prophet über Frauen in der Moschee sagen

Kann eine Frau Imamin werden?

Freitags- und Festgebet für Frauen

Die menstruierende Frau und das Fasten

BEDECKUNG ALS ETHISCHE UND ÄSTHETISCHE PFLICHT

Die innerliche Bedeckung

Die äußerliche Bedeckung

Das unbedeckte Gesicht

Reinlichkeit und Ästhetik

MÄNNER UND DIE »72 JUNGFRAUEN« IM PARADIES

EIN ABSCHLIESSENDES WORT AN DIE MUSLIMISCHE FRAU IN DEUTSCHLAND, DIE HEIRATEN ODER SICH SCHEIDEN LASSEN WILL

LITERATUR

ANMERKUNGEN

VORWORTWARUM ICH ÜBER FRAUEN UND DEN KORAN SCHREIBE

»Alle Indizien sprechen dafür, dass die Zukunft des Islam im Westen nicht nur von den gewiss nicht gerade unterkühlten Themen ›Menschenrechte‹ und ›Demokratie‹ abhängt, sondern in allererster Linie von der Bewältigung des heißen Eisens ›Frau‹.«

Murad Wilfried Hofmann (geb. 1931)

Soweit mir bekannt ist, hat sich in der Geschichte der Muslime noch nie jemand eingehend mit der Stellung des Mannes im Islam beschäftigt. Vielleicht liegt das daran, dass Gott selbst sich in seiner Offenbarung bei Geschlechterfragen ausdrücklich zur Frau geäußert hat. Es gibt keine Sure namens »Die Männer« im Koran, wohl aber eine Sure »an-Nisa’/Die Frauen« (Sure 4). Die islamische theologische Literatur zum Thema Frau ist umfangreich. In der islamischen Welt, also in überwiegend von Musliminnen und Muslimen bevölkerten Ländern, waren und sind die Verfasser solcher Werke jedoch überwiegend Männer, während in den westlichen Ländern deutlich mehr Frauen Stellung beziehen. Allerdings stehen gerade Autorinnen mit muslimischem Namen aufgrund negativer biografischer Erlebnisse dem Islam oft kritisch bis feindselig gegenüber.

Ich selber unterscheide mich von anderen Autoren und Autorinnen darin, dass ich die Gedanken, die ich hier niederschreibe, mit anderen gläubigen Männern und Frauen teile. Ich schreibe nicht aus der Distanz einer akademischen Forschungsposition heraus, sondern ich schreibe über das, was in meinen täglichen Gesprächen, in meinen Vorträgen und in meinen Freitagspredigten Thema ist. Was hier debattiert wird, findet in meiner Gemeinde statt, und die Ziele, die hier vertreten werden, werden dort in die Praxis umgesetzt und verwirklicht. Dabei wirke ich in der Wahrnehmung dessen, was ich schreibe und predige, in einem heute noch immer mehr männlich als weiblich geprägten Umfeld, wo es durchaus einer festen Entschlossenheit bedarf, vielleicht auch einigen Mutes, um diese Positionen öffentlich zu vertreten und zu verfolgen.

Zur heftig debattierten Frage nach der Frau im Islam stehen Behauptungen und Positionen im Raum – und zwar sowohl von islamophober, wie auch von islamophiler Seite –, die zurechtgerückt werden müssen. Das Frauenthema im Islam ist von Anfang an eng mit dem Koran verbunden. Will man sich zu diesem Thema äußern, so sollte man mit der heiligen Schrift des Islam vertraut sein, um Missbrauch und Desinformation – egal von welcher Seite – zu erkennen und zu vermeiden. Denn allzu oft sind im Namen des Islam – nicht nur in der Frauenfrage – Worte und leider auch Taten in die Welt getragen worden, die diametral gegen den Koran und damit gegen Gott und Seinen Gesandten gerichtet sind.

In unserer Geschichte finden sich zu allen Zeiten und über alle Länder und Religionen hinweg immer wieder wirkmächtige negative Frauenbilder, die sich bis heute fortschreiben. Auch Muslime bilden hinsichtlich dieses kulturgeschichtlichen Problems leider keine Ausnahme und haben es ebenso wenig wie andere Glaubensrichtungen geschafft, sich selbst oder die Gesellschaft von dieser negativen Entwicklung zu befreien. Es ist sogar so, dass uns Muslime das Thema »Frauen im Islam« in besonderem Maße belastet. Ich kann mich an keinen einzigen Vortrag vor Nicht-Muslimen erinnern, bei dem ich nicht aus dem Publikum heraus kritisch über die Rolle der Frau befragt worden wäre. Muslimischen Männern wird vor allem vorgeworfen, sie betrachteten und behandelten die Frauen als zweitrangige Geschöpfe.

Wenn Kritiker, vor allem solche aus dem Westen, Muslime mit entsprechenden Vorhaltungen konfrontieren und behaupten, der Islam lehre, dass eine Frau weniger wert sei als ein Mann, dann wird von Muslimen oft mit einschlägigen Aussagen, wie zum Beispiel »Der Islam hat den Frauen den höchsten Stellenwert eingeräumt« gekontert. Trotz der Richtigkeit dieser Aussage, wird damit das Problem aber oft tabuisiert. Denn solch apologetische Rechtfertigungsbemühungen von Muslimen taugen weder als glaubhafte Erwiderungen, noch werden sie zur Verbesserung der Lage der Frau in muslimischen Gesellschaften führen. Muslime sind, bewusst oder unbewusst, mit den Standards, die der Koran selbst setzt und einfordert, in Konflikt geraten. Sie können diesen Standards erst gerecht werden, wenn sie auch die Frau unter dem Blickwinkel jener allgemeinen Werte beurteilen, die der Koran fordert, wie zum Beispiel: Gerechtigkeit. Eine praktizierende und hoch gebildete Muslimin beklagte sich einmal bei mir: »Die Muslime, besonders die Religionsgelehrten, reden und predigen viel von Gerechtigkeit, aber uns Frauen behandeln sie ungerecht. Wir dürfen nicht einmal bei der Eheschließung mit demselben Recht wie ein Mann als Trauzeuge auftreten!« Nur durch solches Hinterfragen und durch Selbstkritik können Muslime den hohen Ansprüchen, die die Offenbarung Gottes an uns richtet, gerecht werden und die im Koran gesetzten Ziele erreichen.

In neuerer Zeit arbeiten muslimische Autorinnen und Autoren intensiv an der Überwindung einiger diskriminierender Missstände zwischen Männern und Frauen. Besonders fundiert gehen dabei meines Erachtens zum Beispiel die Arbeiten der Autorin Hidayet Şefkatlı Tuksal: Die Projektion der frauenfeindlichen Rhetorik in der islamischen Tradition1, des Autors Mustafa Öztürk: Die Frau von der Dschahiliya (vorislamischen Zeit) zum Islam2, von Ibrahim Sarmış: Die negative Wahrnehmung von der Frau in der Kultur der Überlieferung3 und von Ali Osman Ateş: Die Frau im auf Hadithen begründeten Klischee4 vor.5 Leider bleiben diese Werke, wie viele Arbeiten der islamischen Theologinnen und Theologen in der Türkei, die dort in wissenschaftlichen Kreisen große Anerkennung finden, außerhalb des Landes weitgehend unbeachtet. Bedauerlicherweise wird türkische theologische Fachliteratur in der Regel weder ins Deutsche noch ins Arabische übersetzt. Solche Forschungsarbeiten sind jedoch gerade heute notwendig und müssten auch stärker von männlicher Seite selbstkritisch beziehungsweise mit mehr Mut für eine aufrichtige Auseinandersetzung mit der Frauenthematik eingebracht werden.

Für die bosnische islamische Zeitung Preporod schrieb ich bisher fünf Artikel zum Thema Frauen und Islam. Fast jeder erntete gleichermaßen Kritik und Zustimmung. Die Kritik ging von Männern aus, jedoch auch die Zustimmung kam überwiegend von Männern, die mich ermutigten weiterzuschreiben. Im Sommer 2018 machte ich mich in Bosnien-Herzegowina und in Mazedonien auf die Suche nach Literatur von einheimischen, bosnisch-albanischen, europäischen Autoren oder Autorinnen über Frauenthemen im Koran und im Islam. Ich fand, zu meinem großen Bedauern, kein einziges Buch! Die wenigen Titel, auf die ich stieß, stammten von arabischen Autoren, die weit weg von Europa lebten. Mein Wunsch ist es nun, dieses Buch auch in andere europäische Sprachen zu übersetzen, um damit anzufangen, diese große Lücke zu schließen.

Das vorliegende Buch basiert auf dem letzten Kapitel meiner Dissertation: Die »horizontalen Aspekte im Islam« (Universität Novi Pazar, Serbien, 2016). Darin plädiere ich dafür, dass in der islamischen Theologie nicht vertikale Verhältnisse, sondern horizontale erkannt werden sollten: zwischen Wort-Gottes und Mensch, zwischen Theologie und Anthropologie, zwischen islamischem Recht und Gesellschaft, zwischen Mann und Frau. Das Gütersloher Verlagshaus hat mich ermutigt, diesen letzten Teil separat in deutscher Übersetzung und Neubearbeitung herauszugeben. Daraus resultierte eine neu strukturierte, stark ergänzte und erweiterte Fassung. Das Buch versucht zuerst eine Analyse der Koranstellen6, die sich mit Frauenthemen befassen, um deutlich zu machen, dass die Intention des Korans darin besteht, Normen und Verhältnisse, die zur Zeit seiner Offenbarung herrschten, zugunsten der Frau aufzubrechen und zu reformieren. Dieser Prozess der Veränderung und Entwicklung zum Besseren ist aber nicht abgeschlossen. Der Koran bietet uns dazu Inspiration, Orientierung und Rahmenbedingungen. Das theologische Prinzip des idschtihad, das heißt des intellektuellen Bemühens, erlaubt uns Muslimen – und fordert uns dazu auf –, uns innerhalb dieses Rahmens weiterzubewegen und neue Impulse zu setzen.

Diese neuen Gedanken und Impulse stoßen freilich oft auf Ablehnung. Schon in der ersten Generation der Zeitgenossen und Gefährten des Propheten Muhammed waren traditionsverhaftete, an Sitten und Kultur ausgerichtete Muslime nicht immer begeistert von manchen Innovationen, die der Koran und der Prophet einführten, wie hier an einigen Beispielen aufgezeigt werden wird. Der Ägypter Muhammad al-Ghazali (gest. 1996), ein einflussreicher Religionsgelehrter des 20. Jahrhunderts (und nicht zu verwechseln mit dem bedeutenden persischen Gelehrten gleichen Namens aus dem Mittelalter) kam in seinem kontrovers rezipierten Werk Das Verständnis der Sunna zwischen Rechtsgelehrten und Hadithgelehrten7 zu dem Ergebnis, dass eine Frau durchaus Staatspräsidentin eines muslimischen Landes werden könne. Wie viele Gelehrte vor ihm, die sich in ihren Schriften, Vorträgen und sonstigen Aktivitäten um eine Verbesserung der Stellung der Frau bemühten, löste auch al-Ghazali heftige Kritik und Aufregung aus. Diese Kritik geht in der Regel von Männern aus, die meinen, die Quellen der Religion wortgetreu verstehen und umsetzen zu müssen. Doch es sind nicht Texte und Zitate selbst, die die Religion ausmachen, sondern die Ziele (arabisch maqasid), an die diese Texte heranführen sollen. Sie sind im realen Leben selbst zu suchen und in der Würde des Menschen zu finden.

Weil sich die vom Koran geforderte Gleichheit der Männer und Frauen in der Lebenspraxis der Muslime nicht in wünschenswertem Maß niedergeschlagen hat, konnte sich im Laufe der Zeit unter den Muslimen ein ausgesprochen frauenfeindlicher religiöser Diskurs entwickeln. Diese negative Entwicklung hat nicht nur das religiöse Leben beeinflusst, sondern sie stellt auch einen maßgeblichen Faktor für die Rückständigkeit muslimischer Gesellschaften dar. Typische Beispiele für die Aufwertung des Mannes und die untergeordnete Stellung der Frau im religiösen Bereich sind der Ausschluss der Frauen vom Freitags- und Festgebet, der nicht theoretisch begründet ist, aber praktisch stattfindet, ihre Benachteiligung bei der Erbverteilung, die Legitimierung angeblich religiös begründeter Gewalt gegen Frauen, von Polygamie und einer Rechtspraxis, nach der die Zeugenaussage eines Mannes doppelt so viel zählt als die einer Frau. Dieses Verhältnis zum weiblichen Geschlecht wird manchmal mit dem Koran begründet und häufiger noch mit Hadithen, das heißt mit Aussagen, die dem Propheten zugeschrieben werden – in jedem Fall aber mit Behauptungen, die in offenem Widerspruch zum Geist und zur Logik des Islams stehen. Der Ägypter Qasim Amin (gest. 1908) bezeichnete als wahren Hintergrund dieser Benachteiligung einen traditionsgeprägten »Mischmasch, den die Leute als Religion bezeichnen und Islam nennen«. Schon damals sah er einen Zusammenhang zwischen der Rückständigkeit hinsichtlich der Stellung der Frau und der Rückständigkeit einer ganzen Nation.8

Für muslimische Männer ist es verpflichtend, die eigene Haltung zu den Frauen im Islam selbstkritisch zu hinterfragen. Sie haben die Frau als ebenbürtiges menschliches Geschöpf zu akzeptieren, das im Islam die gleichen Rechte und die gleiche menschliche Würde hat wie sie selbst. Zu dieser vernünftigen Ansicht kann ein Muslim als Mensch wie als Gläubiger nur mithilfe des Korans gelangen: nämlich durch eine reflektierte Koranlesung im Kontext seiner Entstehung. Wenn wir die Lage der Frau aus dem Blickwinkel des Korans und des Propheten, der ein Vorbild für uns ist, betrachten, kommen wir zu einem ganz anderen Bild als dem, was gemeinhin für vermeintlich typisch »muslimisch« gehalten wird. Ein respektvolles Miteinander ist nur dann zu erreichen, wenn Männer und Frauen anstelle einer Über- und Unterordnung eine horizontale Beziehung zueinander entwickeln und einen gleichberechtigten Dialog miteinander führen. Frau und Mann sind wie zwei Hälften eines Apfels. Nicht anders ist die Haltung des Korans zur Frau, und der Prophet hat sie so und nicht anders in die Lebenspraxis umgesetzt. Alle Überlieferungen in Form von Sprüchen oder Erzählungen, die diesem koranischen Prinzip und dem Vorbild des Propheten widersprechen, sind später entstanden und führen in die Irre. Sie sind bis zum heutigen Tag von anhaltender negativer Auswirkung auf die Behandlung der Frau geblieben. Viele Muslime haben auf der Grundlage einzelner Zitate und Überlieferungen ihr Glaubensverständnis pervertiert. Muhammad al-Ghazali dazu: »Einige Muslime stellen ihre Religion verfälscht dar, mit strengem Stirnrunzeln, in einer unsympathischen Art und Weise. Dann beklagen sie, dass die Menschen den Islam ablehnen oder sogar hassen. Müssten diese Irrsinnigen nicht eingesperrt oder ausgepeitscht werden, weil gerade sie die Menschen von der Wahrheit des Islams fernhalten?!«9 Damit ist zwar zum Ausdruck gekommen, dass sich in Sachen Frau im Islam etwas ändern sollte, aber noch nicht, was sich (aus westlicher Sicht) ändern müsste und was sich (aus islamischer Sicht) ändern könnte, wenn man mit Koran und Sunna verantwortlich umgeht. Denn schließlich geht es gläubigen Muslimen nicht um Reformation, sondern um Renaissance, und zwar ohne Imitation des Westens und ohne bloße Imitation der Vergangenheit.10

Meine Intention ist es, die Ursachen des negativen Frauenbildes bei manchen Muslimen zu untersuchen und zu hinterfragen. Ich stoße dabei auf den Koran, der für uns nicht nur als primäre und sicherste Quelle gilt, sondern die ewige und tröstende Botschaft Gottes ist. Der Prophet, Friede sei auf ihm, hat den Koran praktisch umgesetzt. Somit sind also der Koran und der Prophet zwei Seiten derselben Medaille. Die Zuverlässigkeit der Überlieferungen, Aussagen und Interpretationen, die in den Büchern außerhalb des Korans entstanden sind, ist abhängig vom Koran: Stimmen sie mit dem Koran überein, dann sind sie authentisch und korrekt. Wenn sie dem Koran widersprechen, verdienen sie folglich keine Beachtung.

Mein Vater, mein Vorbild

Es gibt unzählige Beispiele für Menschen weltweit, die sich ernsthaft um die Verbesserung der Stellung der Frau bemühen und auf Ablehnung stoßen. Einer dieser Menschen war mein Vater Hafiz Idriz Idriz (gest. 2005). Er wuchs, wie später auch ich, in einer konservativen Familie auf und in einem Umfeld, das Frauen im Bereich der Bildung benachteiligte. Aus Angst vor einer kommunistischen und atheistischen Erziehung im damaligen Jugoslawien haben viele muslimische Eltern in den 1960er- und 1970er-Jahren ihre Töchter nicht in die Schule gesandt. So blieben meine beiden Schwestern, wie viele andere Mädchen auch, ohne Schulbildung. Später hat mein Vater dieses Vorgehen, das dem Druck aus seinem damaligen Umfeld geschuldet war, bitter bereut. Er hatte inzwischen verstanden, wie wichtig es ist, zweierlei zu unterscheiden: zwischen Tradition, die menschlich ist, und Religion, die göttlich ist.

Ich habe das anhand zahlreicher Streichungen erkannt, die er in dem Buch Muhammad al-Ghazalis, Frauenfragen zwischen Traditionen, vorgenommen hat. Als ich in Damaskus ein theologisch ausgerichtetes Gymnasium besuchte, bat er mich, von dort neue theologische Literatur mitzubringen. So verfolgte er die zeitgenössischen Debatten und Entwicklungen in der muslimischen Welt. In Mazedonien war er der erste Imam überhaupt, der einen Vortrag explizit nur für Frauen in einer Moschee anbot. Während Frauen ansonsten in den Moscheen noch ausgeschlossen waren, begann er in den 1980er-Jahren damit, Vorträge im Ramadan ausschließlich für Frauen in einer Moschee in Skopje zu halten. Der Andrang war groß, Frauen überfüllten die Moschee und waren durstig nach islamischem Wissen. Je größer der Zuspruch für diese Vorträge aber wurde, desto stärker wurde die Kritik durch erzkonservative Kräfte. Die Anwesenheit fremder Frauen wurde ihm zum Vorwurf gemacht. Der Druck wurde schließlich so groß, dass mein Vater mit den Vorträgen aufhören musste. Dennoch hat er seine progressiven Ideen nicht aufgegeben. Meine Schwestern lernten unter Anleitung meines Vaters zusammen mit zwei Freundinnen den Koran auswendig. Als sie die Koranrezitation dann beherrschten, ließ mein Vater sie im Monat Ramadan in der Moschee öffentlich, also vor allem vor Männern, rezitieren. Die Stimme meiner Schwester war besonders schön und begeisterte die gläubigen Männer und Frauen. Die Aladscha-Moschee war die bekannteste und meistbesuchte der Stadt. Wieder musste mein Vater dafür Kritik und Ablehnung ertragen: »Die Stimme der Frau ist Sünde!«, wurde ihm voller Empörung entgegengehalten. Tatsächlich haben Muslime nicht nur in der Vergangenheit darüber debattiert, ob die Stimme zum aura genannten Tabubereich des weiblichen Körpers gehört, der vor Fremden verborgen werden muss.

Mein Vater ist inzwischen verstorben, und diejenigen, die ihn damals für seine offene Haltung kritisiert haben, sind es auch. Über das, was mein Vater damals angestoßen und bewegt hat, wird heute allerdings mit hoher Achtung gesprochen. Möge Gott sich seiner erbarmen!

Inspiriert von der Arbeit meines Vaters schrieb ich im Jahr 1994 meine Abschlussarbeit am Gymnasium in Damaskus über Die Emanzipation der Frauen in der Zeit des Propheten. Eine Hauptquelle war dabei für mich das sechsbändige Werk des ägyptischen Gelehrten Abdulhalim Abu Shuqa (gest. 1995), der ausführlich die Emanzipation der Frau zur Zeit der prophetischen Botschaft untersucht hatte.

Wenige Jahre später bekam ich von der Penzberger Gemeinde in Deutschland das Angebot, als ihr Imam tätig zu werden. Als ich dort anfing, waren Frauen in der Gemeinde weniger präsent als Männer. Der Vorstand war vollständig mit Männern besetzt. Die meisten Frauen blieben der Moschee fern. Als ich zum ersten Mal einen Vortrag nur für Frauen anbot, waren manche Männer nicht begeistert. Aber die Frauen kamen. Der damalige Gebetsraum war durch einen Vorhang in der Mitte in zwei Bereiche, für Männer und Frauen, geteilt. Die Frauen selbst baten mich, während des Vortrags den Vorhang zu schließen, sodass sie mich nicht sehen würden und ich sie nicht. Ich respektierte dies, aber die Situation war ungewöhnlich für mich und sicherlich auch für sie. Nach dem Vortrag erkundigte ich mich nach ihrer Zufriedenheit und ob wir die Veranstaltung wiederholen sollten. Alle waren dafür, solche Vorträge monatlich anzubieten. Beim zweiten Mal stellte ich am Beginn die Frage, wer von den Frauen, die in eine Schule gegangen waren, dort eine Lehrstunde mit einem Vorhang zwischen Lehrer und Schülern erlebt hätten. Natürlich hatte es dies nirgendwo gegeben und so fragte ich, warum denn das, was in der Schule völlig in Ordnung sei, in einer Moschee nicht sein solle? Der Vortrag konnte ohne Vorhang stattfinden, und seitdem gibt es in Penzberg keine Vorhänge mehr.

So begann und wuchs ein Vertrauen, wie es für zwischenmenschliche und zwischengeschlechtliche Kommunikation Voraussetzung ist. Motiviert von der Art und Weise der Arbeit meines Vaters, auch wenn die Zeiten und Verhältnisse einige Unterschiede bedingen, habe ich Frauen immer wieder ermuntert, in die Moschee zu kommen und an allen Aktivitäten teilzunehmen und die Gemeindearbeit mitzugestalten. Nach kurzer Zeit waren die Frauen aktiver als die Männer und aus der Moscheegemeinde nicht mehr wegzudenken. Sogar am Bauprojekt der neuen Penzberger Moschee waren sie genauso beteiligt wie die Männer. Ich habe immer wieder und wieder über Frauenrechte gepredigt und mich offen gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt positioniert. Manchmal war vielleicht die eine oder andere Predigt einigen Männern nicht recht. Aber ich habe keine großen Widerstände erfahren, ganz im Gegenteil. Was ich angestoßen und verändert habe, geschah Schritt für Schritt. Heute nehmen Frauen in meiner Gemeinde an den Freitagsgebeten wie an Festgebeten selbstverständlich teil. Ihr Platz steht auch dann nicht den Männern zu, wenn deren Bereich überfüllt ist. Frauen sind ebenso selbstverständlich im Vorstand wie Männer, sie entscheiden, prägen und gestalten das Leben der Gemeinde mit. Die Frau wendet sich im Gebetsraum ganz vorne an die Gemeindemitglieder, sie rezitiert den Koran, sie unterrichtet Islam. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist heute problemlos, die Kommunikation unter ihnen funktioniert reibungslos – vollkommen anders als früher!

Meine Frau Nermina war die erste Frau in der Gemeinde, die von Anfang an mein Bemühen in der Penzberger Moschee, andere Frauen zu motivieren, sich in der Gemeinde einzubringen, begleitet hat. Sie hat mich maßgeblich und kontinuierlich unterstützt. Ihr will ich hier meinen Dank in Demut aussprechen. Unsere Söhne Ammar und Emir haben mit ihrem scharfen Verstand und ihrem Talent zum Hinterfragen mich immer wieder neu zum Nachdenken gebracht. In Penzberg lernte ich das Ehepaar Yerli kennen, Gönül und Bayram. Beide haben mir und der Gemeinde immer ihre uneingeschränkte Unterstützung gestiftet: Bayram Yerli als Vorsitzender der Islamischen Gemeinde Penzberg und seine Gattin Gönül Yerli als Vize-Direktorin des Islamischen Forums. Meine Frau Nermina wirkt als Bildungsreferentin der Gemeinde. Die Vorstandsmitglieder wie auch die Mitglieder der Gemeinde, vor allem die weiblichen, haben die innovative Arbeit der Gemeinde maßgeblich vorangetrieben. Mein geschätzter Freund Prof. Dr. Stefan Jakob Wimmer (München), der mir beigebracht hat, wie die Deutschen ticken und wie Deutschland atmet, verdient meine Hochachtung – auch dafür, dass er mich während der Arbeit an diesem Buch konstruktiv begleitet hat. Meinem Mentor Dr. Mustafa Cerić, dem emeritierten Raisu-l-ulema, d.h. Oberhaupt der Islamischen Gemeinschaft von Bosnien und Herzegowina, schulde ich tiefen Dank und Respekt für die konstruktive Betreuung meiner Dissertation. Nicht zuletzt geht mein herzlicher Dank an Diedrich Steen vom Gütersloher Verlagshaus. Er kam nach der Veröffentlichung eines Interviews mit dem Titel »Wir müssen die Überlieferungen hinterfragen« auf www.qantara.de11 auf mich zu und regte mehrere Buchprojekte an.

In unserem Haus in Skopje (Mazedonien) war in den Jahren, als ich dort aufwuchs, eine Frau besonders dominant: meine Tante Mensure. Sie war unverheiratet geblieben und wohnte mit uns zusammen. Neben meinem Vater war sie meine erste Koran-Lehrerin, und das war sie für Hunderte von Kindern. Sie war eine starke, autoritäre Frau, die über manche Männer bestimmte und ihrem Bruder, meinem Vater, dem hochangesehenen Imam, den Rücken stärkte. Meine inzwischen verstorbene Tante, meine sehr früh verstorbene Mutter, meine Stiefmutter, meine beiden Schwestern und schließlich meine Frau: Sie alle haben mich in meinem direkten Umfeld geprägt, motiviert, unterstützt, begeistert und inspiriert. Diesen Frauen, wie auch meinen Mitstreiterinnen und Kolleginnen, den Theologinnen, nicht zuletzt allen muslimischen und nicht muslimischen Frauen, die meine Gedanken mehr oder weniger teilen, widme ich dieses Buch!

Ich hoffe, dass dieses Buch Antworten auf einige Fragen bietet, die sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime stellen. Ich beabsichtige damit nur eines und drücke dies mit den Worten des Propheten Shu’ayb aus:

»Ich wünsche nicht mehr, als die Dinge in Ordnung zu bringen (zu verbessern), soweit es in meiner Macht liegt; aber die Erlangung meines Zieles hängt von Gott allein ab. Auf Ihn habe ich mein Vertrauen gesetzt, und zu Ihm wende ich mich immer.« (11:88)

Penzberg, Freitag, 1. Februar 2019

Benjamin Idriz

DIE STELLUNG DER FRAU IN VORISLAMISCHER ZEIT UND WIE DER KORAN DARAUF REAGIERT

Für die Periode vor dem Islam wird in der muslimischen Geschichtsschreibung der arabische Begriff Dschahiliya verwendet. Er bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch den Glauben, die Sitten und den Zustand der Menschen auf der Arabischen Halbinsel in der Zeit vor den Offenbarungen des Propheten Muhammed (570-632 n. Chr.), Friede sei auf ihm.1 Als kennzeichnend für die Zeit der Dschahiliya gelten negative Gewohnheiten und Bräuche der damaligen Araber, wie Gewalt, Unrecht, Mord, Arroganz, Frauenunterdrückung, Amoralität und Fanatismus. Aus diesem Grund ist der Begriff im Koran2 wie auch in Hadithen3 negativ belegt, und die islamische Lehre gilt als diametral gegen die Dschahiliya gerichtet. Der Islam schafft die Traditionen der Dschahiliya ab. Muslime deuten den Begriff Dschahiliya als eine Zeit des Dunkels und übersetzen ihn häufig mit »Unwissenheit«. Ihm entgegengesetzt steht der Islam für die Zeit des Lichts und der Aufklärung. Tatsächlich bedeutet Dschahiliya aber nicht »Unwissenheit«, sondern Arroganz, Grobheit, Hochmut und Fanatismus.4

Wenn muslimische Autoren über die Stellung der Frau schreiben, dann stellen sie in der Regel zunächst deren Position in der Dschahiliya-Zeit dar, um ihr dann die Verbesserungen, die der Islam gebracht hat, entgegenzusetzen. Der Zustand der Menschen im Allgemeinen, der Frauen im Besonderen wird zunächst schwarz und dunkel dargestellt, mit dem Aufkommen des Islam dann weiß und hell. Alles Negative und Schlechte wird der vorislamischen Zeit zugeschrieben. Wenn wir diese Epoche freilich objektiv analysieren, dann wird deutlich, dass durchaus nicht alles falsch und böse war und nicht alles dem Islam widersprach. Das bekannteste positive Ereignis, das noch während dieser Epoche stattfand, war das Hilfu-l-fudul genannte Friedensabkommen zwischen verfeindeten Stämmen, die »Allianz der Güter«. Der Prophet Muhammed war daran beteiligt, jedoch noch vor dem Beginn seines Prophetentums im Alter von 40 Jahren. Später pries der Prophet ausdrücklich dieses Abkommen und erklärte, dass er sich an ähnlichen Bündnissen wieder beteiligen würde, wenn er dazu eingeladen würde.5