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Nur ihre Liebe kann ihn noch retten England, 1454. Helen, die schöne Tochter des angesehenen Lord Waterhouse wähnt sich am Ziel ihrer Träume: Ihre Hochzeit mit dem gutaussehenden Lord Robin Bloomfield steht kurz bevor und sie weiß, dass sie an seiner Seite überglücklich sein wird. Doch plötzlich überschattet ein furchtbares Verbrechen ihre gemeinsame Zukunft: Helens Bruder wird ermordet – und Robin seines Mordes beschuldigt! Gejagt und verstoßen muss er fliehen. Als plötzlich dessen Erzrivale, Sir Matthew Warthorpe, um Helens Hand anhält, bleibt ihr keine Wahl: Sie muss ihn heiraten, um ihre Familie zu schützen. Insgeheim glaubt sie jedoch noch immer an Robins Unschuld. Kann sie einen Weg finden, die Wahrheit aufzudecken, bevor ihre Liebe für immer verloren ist? Ein fesselnder historischer Liebesroman für alle Fans von Lynsay Sands und Elizabeth Chadwick.
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Seitenzahl: 507
Veröffentlichungsjahr: 2025
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England, 1454. Helen, die schöne Tochter des angesehenen Lord Waterhouse wähnt sich am Ziel ihrer Träume: Ihre Hochzeit mit dem gutaussehenden Lord Robin Bloomfield steht kurz bevor und sie weiß, dass sie an seiner Seite überglücklich sein wird. Doch plötzlich überschattet ein furchtbares Verbrechen ihre gemeinsame Zukunft: Helens Bruder wird ermordet – und Robin seines Mordes beschuldigt! Gejagt und verstoßen muss er fliehen. Als plötzlich dessen Erzrivale, Sir Matthew Warthorpe, um Helens Hand anhält, bleibt ihr keine Wahl: Sie muss ihn heiraten, um ihre Familie zu schützen. Insgeheim glaubt sie jedoch noch immer an Robins Unschuld. Kann sie einen Weg finden, die Wahrheit aufzudecken, bevor ihre Liebe für immer verloren ist?
eBook-Neuausgabe September 2025
Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel »Herz in Gefahr« bei area verlag gmbh, Erftstadt
Copyright © der Originalausgabe 2003 by area vertag gmbh, Erftstadt
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: A&K Buchcover, Duisburg, unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock KI, depositphotos/kirilart, depositphotos/RobertWay
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (ma)
ISBN 978-3-69076-146-8
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Laura Thorne
Roman
Frankreich, 1453
Ein Bote ritt im schnellen Galopp über die trockenen Wege auf das Herrenhaus zu. Er war über und über von Staub bedeckt, seinem Pferd quoll der Schaum aus dem Maul, Brust und Flanken waren von dichten, weißen Schweißflocken übersät. Doch der Reiter achtete nicht darauf. Mit der Peitsche trieb er den Hengst an, ließ ihn schneller und schneller galoppieren, bis beide endlich erschöpft und am Ende ihrer Kräfte das Herrenhaus von Lord Robin Bloomfield erreichten.
Ein Bursche kam aus dem Stall gelaufen, ergriff die Zügel des Pferdes und klopfte ihm beruhigend den Hals. Doch der Reiter ließ dem Stallknecht kaum Zeit dazu.
»Schnell, lauf zu deinem Herrn und sage ihm, ein Bote des Earls of Clifford sei mit einer dringenden Nachricht gekommen. Ich kümmere mich solange um das Pferd.«
Der Bursche gehorchte und lief so schnell ihn seine Füße trugen auf das zweigeschossige herrschaftliche Haus zu.
Der Mann sprang aus dem Sattel und führte seinen Hengst zu einem gefüllten Wassereimer, der an einer Stallwand stand. Mit gierigen Zügen soff das Tier, während der Bote notdürftig seine Kleidung abklopfte.
»He da! Seid Ihr der Bote?«, schallte wenige Minuten später eine dunkle Stimme über den Hof. Der Reiter drehte sich um und sah in der Tür des Herrenhauses einen breitschultrigen jungen Mann mit dunklen, zu einem Zopf gebundenen Haaren stehen. Obwohl er über sechs Fuß groß war, markante Gesichtszüge, kühne graue Augen und eine energische, befehlsgewohnte Stimme hatte, sah man ihm seine Jugend an. Er mochte gerade einmal 20 Lenze alt sein.
»Der bin ich. Und wenn Ihr der Herr von Bloomfield seid, so habe ich dringende Nachricht für Euch.«
»Kommt herein und stärkt Euch. Dann berichtet, was Euch zu mir führt«, antwortete Lord Robin Bloomfield und bat den Boten ins Haus. Der Reiter warf dem Stallburschen die Zügel zu und setzte sich in Bewegung. In der Halle reichte ihm der junge Lord einen großen Becher Wein zur Stärkung und befahl einer Magd, Brot und Fleisch für den Mann zu bringen. Geduldig wartete er, bis der Bote sich gelabt hatte, dann fragte er: »Von wem bringt Ihr Nachricht, und wie lautet sie?«
»Der Earl of Clifford, Euer Lehnsherr, schickt mich. Er hat einen Befehl des Königs erhalten. Der Krieg gegen Frankreich, der nach dem Waffenstillstand, welcher durch die Heirat unseres Königs mit Margarete von Anjou geschlossen worden war, ist an allen Ecken und Enden jenseits des Kanals wieder aufgeflammt. Unser seit Jahrzehnten siegreiches Heer steckt eine Niederlage nach der anderen ein, wie Ihr wohl wisst.«
»Ja, ich hörte davon. Die Franzosen haben die gesamte Normandie zurückerobert und ziehen unaufhaltsam weiter«, antwortete Lord Robin.
»Schlimmer noch! Dem feindlichen Heer ist es vor wenigen Tagen gelungen, Bordeaux zu besetzen!«
Überrascht sah Robin auf. Er ahnte nun bereits, weshalb der Bote gekommen war.
»Sprecht weiter!«, forderte er ihn auf.
»Unser König hat seine Lehnsleute zu den Waffen gerufen, um unserem bedrängten Heer zu Hilfe zu eilen. Eine Ersatzarmee muss gebildet werden. Eure Gefolgsleute und Ihr selbst werdet unter dem Banner des Earls of Clifford kämpfen. Ihr müsst sofort aufbrechen, denn bereits übermorgen Mittag sticht unsere Flotte von Dover aus in See, um rasch auf das Festland zu gelangen.«
»Gut!«, antwortete Lord Bloomfield. »Richtet dem Earl of Clifford aus, dass ich meinem Lehnseid Folge leisten werde. Rechtzeitig zum Einschiffen werde ich da sein.«
Damit war der Bote entlassen. Lord Robin rief in aller Eile seinen Verwalter zu sich und beauftragte ihn, während seiner Abwesenheit alle Angelegenheiten seines Gutsbesitzes zu regeln. 24 Stunden später brach er mit einem guten Dutzend seiner Leute nach Dover auf.
Es waren noch keine zehn Tage vergangen, seit der Bote auf Bloomfield erschienen war, da ritt Lord Robin an der Seite des Earls of Clifford Bordeaux entgegen. Sie stießen bald auf die Überbleibsel des einst so ruhmreichen englischen Heeres und erschraken über den traurigen Anblick, der sich ihnen bot. Die geschlagenen Soldaten waren erschöpft und entkräftet. Eine tiefe Mutlosigkeit hatte sich breit gemacht. Viele der tapferen Männer waren schon seit Jahren nicht mehr zu Hause gewesen und wussten nicht, wie es daheim um Weib, Kinder und Besitz bestellt war. Krankheiten und Verzweiflung machten die Runde, die Stimmung bei den Truppen war auf den Tiefpunkt gesunken. Einzig dem großen, bewunderungswürdigen Feldherrn Talbot war es gelungen, seine Männer wieder so weit zu ermutigen, dass sie bereit waren, noch eine letzte Schlacht um die Rückeroberung von Bordeaux zu schlagen. Die Neuankömmlinge wurden deshalb mit verhaltenem Jubel begrüßt und waren in Sekundenschnelle von den Kämpfern umringt.
»Wie sieht es zu Hause aus?«, wollte einer wissen.
»Steht die Ernte gut auf dem Halm?«, fragte ein anderer. Ein jeder der alten Soldaten suchte jemanden aus seiner Heimat, um die neuesten Nachrichten von dort zu hören.
Und dann war es so weit. Alle rüsteten sich zur letzten und entscheidenden Schlacht um Bordeaux. Im Lauf eines Nachmittags befahl Talbot seinem Heer aufzubrechen. Als die Dämmerung endlich der tiefdunklen Nacht gewichen war, führte er die Vorhut, zu dem auch die Männer der Grafschaft Cliffordshire gehörten, einen Hügel entlang auf Bordeaux zu.
Es war das erste Mal, dass der junge Lord Bloomfield an einer solch großen und entscheidenden Schlacht teilnahm. Und ungeachtet der Reden der erfahrenen Soldaten freute er sich darauf wie auf ein Abenteuer. Endlich erhielt er die Gelegenheit, seine Tapferkeit, seinen Mut und die Treue seinem Lehnsherrn gegenüber unter Beweis zu stellen.
Im Schutz der Dunkelheit formierten sich die Männer zu einer Linie. Talbot erläuterte einem jeden seine Aufgabe für den nächsten Tag. Angespannt lauschte Robin seinen Worten. Dicht an dicht standen die Pferde der Kämpfer, ihre Rüstungen schimmerten im fahlen Mondlicht. Links neben Robin befand sich Sir Matthew Warthorpe, der einen prall gefüllten Weinschlauch über den Hals seines Pferdes gelegt hatte. Warthorpe und Bloomfield waren Nachbarn in Cliffordshire, und die beiden Männer kannten sich von Kindheit an. Gemeinsam waren sie im nahe gelegenen Kloster von Bruder Gregor unterrichtet worden, gemeinsam hatten sie als Jungen so manchen Kampf mit dem Holzschwert ausgefochten. Und schon damals hatte Warthorpe den ungestümen, um vier Jahre jüngeren Robin, der stets den Sieg davontrug, nicht leiden können. Auch jetzt bedauerte es Sir Matthew sehr, neben Robin in den Kampf ziehen zu müssen. Denn die beiden Männer waren so verschieden, wie sie verschiedener nicht sein konnten – auch heute noch. Während Robin dem Kampf entgegenfieberte und es vor Ungeduld kaum schaffte, ruhig auf seinem Pferd sitzen zu bleiben, wünschte Matthew sich nichts sehnlicher, als daheim in der Halle seiner Burg zu sitzen und mit einigen Kumpanen ein zünftiges Würfelspiel zu veranstalten.
Leise befahl Talbot nun, alle Lichter zu löschen, jeden Lärm zu vermeiden und noch etwas zu schlafen, um frisch und ausgeruht in die Schlacht ziehen zu können. Die Männer richteten ihre Lager her und verbrachten die Nacht im herbstnassen Gras. Doch kaum einer von ihnen fand Schlaf. Es war kalt, und die Aufregung vor der bevorstehenden Schlacht hielt sie wach. Nur Sir Matthew Warthorpe hatte es mit Hilfe seines Weinschlauches geschafft, wie betäubt am Boden zu liegen und laut zu schnarchen. Rechts neben Robin hatte sich der Earl of Clifford niedergelassen. Er sah mit sorgenvoller Miene auf den dreißig Jahre jüngeren Bloomfield, der vor Tatendrang und Draufgängertum nur so strotzte, und konnte sein Bedauern nicht unterdrücken.
»Am morgigen Tag wird die Entscheidung fallen«, sagte er in die Dunkelheit und Stille der Nacht. »Wenn es stimmt, dass Karl VII. von Frankreich seine berüchtigte Artillerie gegen uns einsetzt, wird unser Heer in wenigen Stunden große Verluste erleiden.«
»Solange Talbot uns führt, kann uns nicht viel passieren«, antwortete Robin mit der Unbekümmertheit und Naivität eines unerfahrenen Soldaten.
»Auch Talbot ist nicht unsterblich«, erwiderte der Earl und strich mit der Hand über seinen Bart, der schon lange von grauen Strähnen durchzogen war. »Genauso wenig wie wir alle.«
Danach schwiegen die beiden für eine Weile und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Robin teilte Cliffords Befürchtungen nicht. Er kannte keine Angst vor dem Feind und war einfach noch zu jung an Jahren, um auch nur für eine Sekunde an den Tod zu denken. Er fühlte sich so mutig, dass er glaubte, nichts auf der Welt könne ihn erschrecken. Doch was er für Tapferkeit und Kühnheit hielt, war lediglich jugendliche Sorglosigkeit und Unwissenheit.
Der alte Clifford dagegen, der schon so manche Schlacht geschlagen hatte, wusste um die Hoffnungslosigkeit dieses letzten Kampfes. Er ahnte, dass die Engländer die Schlacht schon vor ihrem Beginn verloren hatten, und es dauerte ihn unendlich um die vielen jungen Männer, die morgen auf dem Feld den Tod finden würden. Gott sei Dank ist wenigstens mein Sohn in England geblieben, dachte der Earl und beruhigte sich ein wenig bei dem Gedanken, dass seine Grafschaft auch nach seinem Tod in seinem Sinn weitergeführt würde.
»Wenn mir etwas passiert«, sagte er zu Robin, und es klang, als hätte er tatsächlich die Vorahnung seines nahen Sterbens verspürt, »dann nehmt den Lederbeutel, den ich am Gürtel trage, an Euch und übergebt seinen Inhalt meinem Sohn. Passt gut darauf auf und verhindert, dass er in falsche Hände gerät.«
Robin tat die Worte des Earls, die etwas Bedrohliches prophezeiten, mit einer Handbewegung ab, doch schließlich versprach er zu tun, worum der Earl ihn gebeten hatte. Allerdings glaubte er keinen Augenblick daran, diesen Auftrag auch tatsächlich ausführen zu müssen.
Am nächsten Morgen, die Dämmerung war kaum hereingebrochen, weckten die Befehlshaber ihre einzelnen Kompanien. Die Männer stärkten sich mit getrocknetem Fleisch und hartem Brot, das sie in ihren Tornistern verstaut hatten, und begaben sich in Kampfstellung. Robin Bloomfield nahm mit seinem schweren Schlachtross Aufstellung zwischen Sir Matthew Warthorpe und dem Earl of Clifford. Der Earl, ein mutiger Mann, sah auf die Stadtmauern von Bordeaux, die nur eine knappe Meile vor ihnen aufragten.
»Gott beschütze uns alle!«, sagte er mit rauer Stimme. Dann fiel das Visier vor sein Gesicht, und die Kämpfer auf ihren Pferden setzten sich in Bewegung.
Sie durchquerten eine Ebene, die links und rechts von dichtem Gehölz und Dickicht bewachsen war. Das Gelände war unübersichtlich, der Feind konnte überall im Hinterhalt lauern. Sie hatten die Befestigungsanlangen bereits auf hundert Meter erreicht, als sie ein Pfeilregen der französischen Bogenschützen von der Stadtmauer aus empfing. Rings um Robin gingen einige Fußleute getroffen zu Boden, doch die Entfernung war noch zu groß, als dass der Angriff eine wirklich tödliche Bedrohung darstellte.
»Aufhören! Es ist noch zu früh. Wir müssen warten, bis sie den Graben erreicht haben!«, hörte Robin eine Stimme auf französischer Seite laut rufen.
Doch dies war offenbar nur ein Ablenkungsmanöver. Wie vom Himmel gefallen, tauchten links und rechts plötzlich die Ritter des französischen Heeres zwischen den englischen Kämpfern auf. Die Franzosen hatten tatsächlich im Gesträuch gelegen und gewartet, bis sie die Engländer vor sich hatten wie einen Braten auf der Platte. Überrascht stoben diese nun auseinander und zogen sich in die hinterste Linie zurück, doch die Franzosen folgten ihnen dicht auf den Fersen.
Robin, der eben noch Seite an Seite mit Warthorpe und Clifford geritten war, sah sich nun auf einen Schlag von Feinden umringt. Er hörte Kettenhemden rasseln, Schwerter klirren, und dazwischen durchschnitt ein hoher Schrei das Kampfgetöse. Robin riss sein Pferd herum und entdeckte den Earl im Kampf mit einem französischen Recken in silberner Rüstung. Der fremde Ritter hieb mit seinem Schwert auf den Earl ein, verletzte ihn an der Schulter und schlitzte dessen Schlachtross die Bauchseite auf. Mit einem furchterregenden Wiehern ging das getroffene Pferd zu Boden, riss Clifford mit sich und begrub ihn halb unter seinem Leib. Robin sah, wie der Franzose dem Earl noch während des Sturzes einen kleinen Lederbeutel vom Gürtel zerrte, und in entgegengesetzter Richtung durch die Reihen der Kämpfenden davonstob. Sein Versprechen, das er seinem Lehnsherrn in der Nacht zuvor gegeben hatte, fiel ihm ein. Ich muss den Beutel retten, dachte er und sah sich nach Warthorpe um. Dieser stand in einiger Entfernung und sah fassungslos auf die herausquellenden, stinkenden Gedärme des verletzten, brüllenden Schlachtrosses.
»Ich werde den Franzosen verfolgen, kümmert Ihr Euch um Clifford!«, rief Robin Sir Matthew zu. Dann ritt er im gestreckten Galopp und ohne sich noch einmal nach Warthorpe und den verletzt am Boden liegenden Earl umzusehen dem fremden Recken nach, der seinerseits seinem Pferd die Sporen gab und Richtung Bordeaux floh. Wie der Teufel setzte Robin ihm nach. Ringsum tobte erbittert die Schlacht. Die Pfeile der Bogenschützen flogen durch die Luft, Klinge krachte auf Klinge, Pferde wieherten, Getroffene schrien auf und stürzten zu Boden. Das Gras färbte sich rot vom Blut der Verwundeten. Immer wieder musste Robin feindlichen Schwertern ausweichen, und der Abstand zwischen dem Franzosen und ihm vergrößerte sich. Doch Robin gab nicht auf. Er ließ den Fliehenden nicht aus den Augen und trieb sein Pferd an, so gut er konnte. Langsam näherte er sich endlich dem feindlichen Soldaten. Immer geringer wurde die Distanz zwischen ihnen, und bald waren sie auf gleicher Höhe. Der feindliche Recke in der silbernen Rüstung versuchte, Robin seitlich auszuweichen, doch der Engländer drängte sein Schlachtross dicht an den Leib des gegnerischen Pferdes. Noch während des schnellen Rittes zog Robin sein Schwert aus der Scheide und hieb auf den Franzosen ein, doch der Kerl schien aus Eisen zu sein. Scheinbar wirkungslos prallten die Schläge an der gepanzerten Rüstung ab. Auch Robin hatte alle Mühe, den gezielt geführten Angriffen des Gegners auszuweichen. Doch dann gelang es ihm schließlich, einen Hieb genau dort zu landen, wo der kräftige Halsmuskel, von der Rüstung unbedeckt, in den Schultergürtel überging. Robin spürte, wie das scharfe Schwert mühelos ins Fleisch drang, und die Knochen splitternd auseinanderbrachen. Der Recke stieß einen gurgelnden Schmerzenslaut aus, ließ seine Waffe fallen, stürzte wie ein gefällter Baum von seinem Pferd und verlor dabei den Helm. Doch er gab sich keineswegs geschlagen. Schwankend und blutend stand er da, und Robin sah, wie seine linke Hand an der Seite nach einem Dolch tastete. Bloomfield ließ die Zügel seines Pferdes fahren, nahm sein Schwert in beide Hände, hob es hoch über den Kopf und ließ es dann mit aller Kraft auf den feindlichen Ritter niederfahren, als wolle er ihn in den Boden rammen. Die Wucht des Schlages war so ungeheuerlich, dass der ungeschützte Schädel des Feindes barst. Der Franzose sackte zusammen, ohne einen Laut von sich zu geben. Er zuckte noch ein letztes Mal mit den Beinen, dann starb er.
Der kurze Kampf, der nicht länger als einige Minuten gedauert haben konnte, hatte ausgereicht, um Robin weit von den Truppen, die die Schlacht unterdessen in Richtung Castillon verlagert hatten, zu entfernen, so dass der Engländer sich nun weit hinter den feindlichen Linien befand. Die Franzosen hatten Cliffords Vermutung bestätigt und ihre Artillerie eingesetzt. Aus der Ferne hörte Robin das Kampfgetöse. Er stieg vom Pferd, das glücklicherweise unverletzt geblieben war, nahm dem toten Feind sein Schwert ab und suchte nach dem Lederbeutel.
Schließlich fand er ihn im Schaft seines Stiefels. Er nahm ihn an sich und sah sich anschließend aufmerksam um. Ringsum lagen gefallene Soldaten und verwundete Männer beider Heere, die röchelnd ihr Leben aushauchten, ohne dass Robin noch irgendetwas für sie tun konnte. Also bestieg er sein Pferd und ritt den Weg über die Ebene zurück, die Stadtmauern von Bordeaux im Rücken, um wieder zu seinen Truppen zu gelangen. Als er an der Stelle ankam, wo der Earl of Clifford verletzt vom Pferd gestürzt war, sah er das Banner mit dem Cliffordschen Wappen am Boden liegen. Er zügelte sein Schlachtross, stieg ab und nahm das Banner an sich. Da hörte er ganz in der Nähe jemanden stöhnen. Er drehte sich um und erblickte den Earl in einer Lache von Blut. Wo ist Warthorpe?, war sein erster Gedanke. Dann beugte er sich über Clifford, der vor Schmerzen leise ächzte. Er war bei Bewusstsein und erkannte Bloomfield.
»Habt Ihr den Beutel?«, fragte er mit schwacher Stimme. Robin nickte.
»Das ist gut«, antwortete Clifford, bevor ihn eine gnädige Ohnmacht von seinen quälenden Schmerzen befreite.
Behutsam hob Robin seinen Lehnsherrn vom Boden auf und legte ihn so über sein Pferd, dass er ihn während des Ritts gut festhalten konnte. Doch wie sollte er mit einem Verletzten durch die feindlichen Linien zu seinem Heer gelangen? Er beschloss, in den nahen Wald zu reiten und dort abzuwarten, bis sich eine Möglichkeit ergab, die englischen Truppen zu erreichen. An einer kleinen Quelle machte er Halt. Er tränkte sein Pferd, schöpfte mit der Hand ein wenig von dem klaren Wasser und benetzte damit die trockenen Lippen und die fiebrige Stirn des Verwundeten. Dann ritt er weiter und folgte einem Pfad durch den Wald. Robin hoffte, damit das Schlachtfeld zu umgehen und rasch zu seinen Leuten zu stoßen, unter denen sich auch ein Wundarzt befand. Kurz nach Anbruch der Dämmerung hatte er sein Ziel erreicht. Die Schlacht war verloren, Feldherr Talbot im Kampf gefallen, das tapfere englische Heer von der französischen Artillerie vernichtet, das war das Erste, was Bloomfield von seinen Kameraden zu hören bekam. Zwei Männer halfen ihm, den bewusstlosen und fiebernden Clifford ins Zelt des Feldschers zu tragen, wo man ihm die schwere Rüstung auszog. Erschöpft ließ Robin sich ins Gras fallen und lauschte den Erzählungen seiner Kampfgenossen, die ihm die Einzelheiten der verlorenen Schlacht berichteten. Den Lederbeutel des Earls trug er noch immer fest am Gürtel. Irgendwann schlief er erschöpft ein. Als ein Gehilfe des Arztes ihn an der Schulter rüttelte, war bereits die Nacht hereingebrochen.
»Der Earl of Clifford verlangt nach Euch. Kommt rasch, er hat nicht mehr lange zu leben«, sagte er.
Sofort war Robin hellwach. Er stand von seinem Lager auf und folgte dem Mann ins Zelt. Der Earl lag auf einer Decke am Boden. Sein Gesicht war wachsbleich, die Lippen blutleer, die Augen vom Fieber glänzend. Neben ihm saß Sir Matthew Warthorpe auf dem Boden. Robin erfuhr, dass Clifford auch nach diesem geschickt hatte. Doch noch bevor er fragen konnte, was genau sich auf dem Schlachtfeld zugetragen hatte, begann der Earl mit schwacher Stimme zu sprechen: »Gebt mir den Beutel, Lord Bloomfield«, sagte er, und Robin gehorchte und reichte ihm das Gewünschte. Mit zitternden Fingern löste Clifford das Lederband und schüttete den Inhalt des Beutels neben sich auf den Boden. Mehrere Schmuckstücke, fein gearbeitet und von großem Wert, darunter der Siegelring der Cliffords, kamen zum Vorschein. Der Earl nahm zwei Ringe mit rubinroten Steinen, die sich glichen wie ein Ei dem anderen, und bedeutete Bloomfield, die restlichen Kleinode zurück in den Beutel zu legen.
»Überbringt ihn meinem Sohn«, wiederholte er die Bitte, die er bereits in der vergangenen Nacht ausgesprochen hatte. Dann sah er zu, wie Robin das Säckchen unter seinem Wams verstaute. Er richtete sich mühsam auf, nahm die beiden gleichen Ringe, griff zuerst hach Warthorpes Hand und streifte ihm das Schmuckstück mit dem roten Stein über den Finger seiner linken Hand. Dann tat er das Gleiche bei Robin, mit dem einzigen Unterschied, dass er ihm den Ring über einen Finger der rechten Hand zog. Anschließend ließ er sich erschöpft auf sein Lager zurücksinken und schloss für einen Moment die Augen.
»Hütet euch vor der Kraft, die den Ringen innewohnt«, brachte er gequält und mit ersterbender Stimme hervor. »Dem Edlen gereicht sie zum Wohl, dem Elenden bringt sie den Tod. Und verwechselt niemals die Hand, auf der der Ring steckt, denn er birgt ein Geheimnis.«
»Von welchem Geheimnis sprecht Ihr?«, fragte Warthorpe und beugte sich dicht über den sterbenden Earl. Doch dieser antwortete nicht mehr. Mit einem letzten, röchelnden Atemstoß hauchte er sein Leben aus.
England 1454, Grafschaft Cliffordshire in der Nähe von Canterbury
Obwohl die Sonne schon recht hoch am maiblauen Himmel stand, war es in der Halle der Burg Warthorpe feuchtkalt und dunkel. Auf dem Tisch standen noch die leeren Weinkrüge und Platten mit geronnenem, ranzigem Fett und abgenagten Knochen vom Vorabend. Der Geruch nach kaltem Qualm, schalem Bier und saurem Wein hing in der Luft und vermischte sich mit dem Gestank von Abfall, fauligen Essensresten und anderem Unrat, der aus den schmutzigen Binsen, die den Boden bedeckten, aufstieg. Die schmucklosen, kahlen Wände waren allein vom Rauch geschwärzt und von der steinernen Decke hingen lange Spinnengewebe herunter.
Sir Matthew kam schweren, unsicheren Schrittes aus seiner Schlafkammer, die sich im Obergeschoss des quadratischen, zweigeschossigen Burgbaus befand, in die düstere, ebenerdige Halle herunter.
»Jonathan! Wo bleibt mein Frühstück?«, brüllte er mit heiserer Stimme nach seinem Bediensteten.
»Bringe Wein her, aber schnell, und eine Hammelkeule!« Dann ließ er sich mit einem tiefen Seufzer auf einer Bank nieder und rieb sich den schmerzenden Schädel, der brummte, als flöge darin ein ganzes Bienenvolk herum. Ein Kälteschauer durchlief seinen Körper, und er sah nach dem großen Kamin, der voller grauer, erkalteter Asche war.
»Jonathan! Wo bleibst du denn, verdammter Kerl!?«, brüllte er erneut und schlug unbeherrscht mit der Faust auf die schwere Tischplatte.
Jonathan, ein hoch aufgeschossener Bursche von 16 Lenzen, kam herbeigelaufen.
»Es ist kein Wein mehr da, Herr. Eure Gäste und Ihr selbst habt gestern die letzten Krüge geleert«, sagte er.
»Dann hole Ale und Fleisch! Und zünde den Kamin an, mich friert! Los, sage ich, bewege dich!«
Der Bursche schüttelte leicht den Kopf und wagte dann voller Unsicherheit, seinem Herrn zu widersprechen.
»Sir, es gibt nichts mehr zu holen. Erst vor wenigen Tagen haben Eure Männer die letzten Kornsäcke, das letzte Stück Vieh und die letzten Alefässer aus den Bauern herausgepresst. Sie haben dabei sogar manchen Hof niedergebrannt, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Pächter werden aufständisch. Einige sind Euren Männern mit Knüppeln und Äxten entgegengetreten. Überall herrschen Unruhe, Not und Verzweiflung. Plünderungen sind an der Tagesordnung. Es wird gewildert, geraubt und gestohlen. Selbst Euer Verwalter hat in der vergangenen Nacht klammheimlich die Burg verlassen.«
Müde winkte Sir Matthew ab und befahl seinem Bediensteten zu gehen. Er wusste, dass der Bursche Recht hatte. Seine einstmals blühenden Ländereien lagen brach, auf den Weiden wucherte das Unkraut mannshoch, selbst das Wild aus seinen Wäldern hatte sich davongemacht. Warthorpe stand vor dem wirtschaftlichen Ruin, und keine Macht der Welt konnte dem Verfall Einhalt gebieten. Bisher hatte Sir Matthew den Gedanken an seinen unaufhaltbaren Untergang erfolgreich verdrängt. Solange der Wein noch floss, konnte es nicht so schlimm um Warthorpe bestellt sein. Doch jetzt, da es selbst auf der Burg an den lebensnotwendigen Dingen fehlte, ließ sich der Zustand seines Besitzes nicht länger verleugnen.
Und niemand wusste besser als er, dass es allerhöchste Zeit war, einen letzten verzweifelten Rettungsversuch zu unternehmen, ehe die Gläubiger ihm seine Ländereien unter der Hand wegpfändeten, und er vielleicht sogar im Schuldturm landete, falls er nicht vorher verhungert und verdurstet war. Er musste handeln, und zwar so schnell wie möglich. Beunruhigt und getrieben von einem letzten Hoffnungsschimmer schlug Matthew auf der Suche nach Rettung jeden Truhendeckel auf. Er schaute in alle Kisten, öffnete sämtliche Wandschränke und lief schließlich sogar noch einmal nach oben in sein Schlafgemach. Dort angekommen, hielt er inne und lauschte den Geräuschen im Gebäude. So vertrauensselig und geschwätzig Sir Matthew sein konnte, wenn der Wein durch seine Blutbahn kreiste, so misstrauisch und wortkarg war er im nüchternen Zustand. Und gerade heute Morgen, nachdem ihn sein Verwalter betrogen und im Stich gelassen hatte, war er argwöhnischer denn je. Als er sicher war, unbeobachtet zu sein, legte er sich flach auf den Boden und angelte mit einer Hand nach der Schatztruhe, die er unter seinem Bett versteckt hielt. Er zog das fein gearbeitete Kästchen hervor, fingerte den Schlüssel von dem großen Bund, das er am Gürtel trug, und schloss die kleine Truhe auf. Hastig schlug er den Deckel hoch und starrte hinein. Vom Grund des Bodens schaute ihn der eingravierte Hund, Kennzeichen aller Geldladen, an. Kein Goldstück, kein Silberling, nichts. Die Truhe war leer, und Matthew war buchstäblich ›auf den Hund gekommen‹.
Er verschloss das Kästchen und beförderte es mit einem ärgerlichen Tritt zurück unter das Bett. Dann verließ er schleunigst sein Zimmer und begab sich zurück in die Wohnhalle. Während er dort unruhig auf und ab lief, hatte sich Jonathan unbemerkt genähert.
»Herr«, sprach er Sir Matthew an. »Ich habe Euch heißes Wasser bereiten lassen. Heute ist Gerichtstag auf Warthorpe.
Da Euer Verwalter nicht mehr da ist, müsst Ihr ihn abhalten. Die Leute haben sich bereits im Burghof versammelt, um ihre Klagen vorzubringen. Auch der Abt des nahen Klosters, Pater Gregor, ist schon da.«
Sir Matthew hielt inne. Jonathan hatte Recht. Er war der Herr, er war das Gesetz. Wie in jedem anderen Lehensgebiet war es auch auf Warthorpe üblich, dass der Lord selbst oder aber der Verwalter unter Mitwirkung eines Geistlichen einmal im Monat Recht sprach. Die Bauern seines Lehens versammelten sich zu diesem Zweck in der Burg und brachten ihrem Herrn Klagen und Streitigkeiten zu Gehör. Dieser urteilte über die einzelnen Vergehen, verhängte Strafen und erlegte Bußen auf. Und der Gerichtstag war immer auch ein einträgliches Geschäft für den Herrn selbst, denn die Strafgelder wanderten selbstverständlich in den eigenen Beutel. Doch obwohl Matthew sich um die übliche Form der Rechtsprechung, die bisher seinem Verwalter unterstanden hatte, nach dem Tod seiner Frau nie mehr gekümmert und sie eigentlich schon vergessen hatte, kam sie ihm heute wie gerufen. »Auf solch eine Gelegenheit habe ich gerade gewartet«, murmelte er halblaut vor sich hin. Dann schlug er sich ärgerlich an die Stirn. »Zu dumm, dass ich den Gerichtstag in der letzten Zeit so vernachlässigt habe. Viel eher schon wäre ich so dem betrügerischen Verwalter auf die Spur gekommen. Doch ab heute wird sich auf Warthorpe einiges ändern! Und auch die Bauern werden merken, dass ihre Schlampereien und Aufsässigkeiten die längste Zeit gedauert haben. Schließlich bin ich der Herr!«
Matthew bemerkte nicht, dass seine Stimme bei den letzten Worten recht laut geworden war. Er richtete sich kerzengerade auf, warf sich in die Brust, brüllte erneut nach seinem Burschen und befahl ihm, das heiße Wasser zu bringen und ihm beim Waschen aufzuwarten.
Dann ließ er sich rasieren, zog sein letztes Hemd aus feinem Leinen unter ein Wams aus gegerbtem Leder und befestigte den imposanten Schwertgurt über der Schulter. Er bat Pater Gregor zu sich in die Halle und begann mit den Verhandlungen.
Als erstes trat ein Alebrauer und Schankwirt vor seinen Tisch, der von den Nachbarn beschuldigt wurde, das würzige Getränk mit Wasser gestreckt zu haben. Sir Matthew ließ sich einen Krug davon kommen. Er sog den kräftigen, aromatischen Geruch des obergärigen, hellen Bieres, der im Nu die Halle durchströmte, gierig ein. Dann setzte er den Krug an die Lippen und goss das Ale in einem langen Zug herunter. »Dein Gebräu ist dünn wie Wassersuppe«, urteilte er anschließend.
»Aber ich habe das Ale nach allen Regeln der Kunst gebraut. Noch nie zuvor hat sich jemand beschwert«, verteidigte sich der Schankwirt. »Schweig still!«, unterbrach Matthew ihn harsch. »Ich sage, deine Nachbarn sind im Recht. Das Ale ist verwässert. Zur Strafe für dieses Vergehen sollst du zehn Peitschenschläge erhalten und mir fürderhin jede Woche ein Fass voll bringen, damit ich die Qualität deines Bieres kontrollieren kann.«
Noch ehe der Brauer ein Wort erwidern konnte, nahmen ihn zwei Gefolgsleute am Arm und führten ihn hinaus in den Hof. Wenig später hörte man das Klatschen eines Lederriemens auf nackter Haut und die Schmerzensschreie des Schankwirtes.
Nacheinander traten nun die nächsten Kläger vor das Gericht und brachten ihre Beschwerden vor. Sir Matthew hörte kaum hin, die Sorgen und Nöte seiner Leute waren ihm ohnehin vollkommen gleichgültig. Einzig und allein den Verurteilungen wandte er seine gesamte Aufmerksamkeit zu. Er verhängte eine Geldbuße nach der anderen, mit dem einzigen Ziel, seinen Beutel zu füllen. Ob das gerecht war oder nicht, interessierte ihn einen feuchten Kehricht. Streitet ihr euch nur, dachte er. Solange es mir nutzt, soll es mir recht sein.
Der letzte Fall des heutigen Tages war eindeutig der spektakulärste. Ein Vater kam mit seiner Tochter vor Gericht. Es handelte sich hierbei um den reichsten Bauern der Umgebung, um dessen schöne Tochter bereits etliche von Sir Matthews Untertanen erfolglos geworben hatten. Denn mehr noch als die Schönheit des Mädchens reizte ihre umfangreiche Mitgift die vielen Bewerber, die sie umschwärmten wie Fliegen einen Sahnetopf. Zur Aussteuer des Mädchens, so wurde gemunkelt, gehörten auch zwei prall gefüllte Truhen mit kostbaren Stoffen und Geschirr. Des Weiteren erzählte man sich, dass die junge Dorothy obendrein noch ganze zehn Stück Vieh, allesamt Eigentum des Bauern, mit in die Ehe bringen würde. Unter Tränen berichtete das Mädchen, dem die Scham deutlich sichtbar ins Gesicht geschrieben stand, was es am Vorabend erlebt hatte.
»Ich kam zu Euch auf den Burghof, um unser Soll an Eiern in der Küche abzuliefern. Da begegnete ich nahe den Ställen Eurem Stallmeister. Er rief mich zu sich. Als ich nicht sogleich gehorchte, kam er und packte mich grob am Arm. Ich rief um Hilfe, und da erschienen zwei Mägde in der Küchentür, die sich jedoch auf Geheiß des Stallmeisters schnell wieder entfernten. Er ... er zerrte mich in den Stall, vorbei an den gaffenden Knechten, und warf mich ins Heu. Ohne auf mein Flehen zu hören, legte er sich auf mich und schändete mich. Ich wehrte mich heftig und brachte Eurem Stallmeister Verletzungen im Gesicht und am Hals bei. Nachdem ... nachdem er sich brutal an mir vergangen hatte, lief er mit einem höhnischen Lachen weg und ließ mich einfach im Heu liegen. Einer Eurer Knechte half mir auf und gab mir auch den Korb mit den Eiern zurück, den ich unterwegs aus Furcht fallen gelassen hatte, so dass die Eier allesamt zerbrochen waren.« Das Mädchen schluchzte auf.
»Hab dich nicht so und erspare mir deine Tränen«, herrschte Sir Matthew, der sich langweilte, es an. »Ich bin sicher, auch du hattest deinen Spaß. Was ist schon dabei, von einem richtigen Mann ins Heu geworfen zu werden? Verschwinde! Geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist, und bezahle mir vorher 15 Schillinge, weil du meine Eier zerbrochen hast.«
»Aber ich kann beweisen, dass ich unschuldig bin! Ich habe mich gewehrt. Seht Euch Euren Stallmeister an, und fragt ihn selbst, woher die Kratzspuren in seinem Gesicht stammen! Und fragt die Küchenmägde und die Stallburschen, die dabei standen und Maulaffen feilgehalten haben«, warf das Mädchen verzweifelt ein. Es warf sich schluchzend seinem Vater an die Brust. Unter sichtlichen Qualen brachte es stammelnd hervor:
»Ich bin entehrt! Welcher anständige Mann wird mich jetzt noch ehelichen wollen?«
Nun konnte auch der Abt nicht länger schweigen.
»Sir Matthew!«, beschwor Pater Gregor eindringlich den Herrn von Warthorpe und beugte sich zu ihm hinüber. »Wenn es stimmt, was das Mädchen sagt, so hat sich Euer Stallmeister eines schweren Vergehens schuldig gemacht, für das er nach dem Gesetz des Königs und der Heiligen Kirche mit Blendung, Kastration oder gar mit der Hinrichtung bestraft werden muss. Wollt Ihr Euch etwa mitschuldig machen? Euch den Zorn der Kirche und den Unmut des Earls of Clifford, der für seine Gerechtigkeit bekannt ist, zuziehen? Lasst den Stallmeister holen und seht ihn Euch an, ehe Ihr Euer Urteil fällt«, flüsterte er ihm beschwörend ins Ohr. »Und vergesst dabei nicht, dass es sich hierbei um die Tochter des Pristonbauern handelt. Der Mann hat Einfluss, die anderen Pächter hören auf sein Wort. Es wäre in der jetzigen Lage unklug, sich ihn zum Feind zu machen. Lasst ihm und seiner Tochter heute Gerechtigkeit widerfahren!«
Sir Matthew, der dem ganzen Vorgang bisher wenig Bedeutung beigemessen hatte, wurde nachdenklich. Der Abt war Zeuge der bisherigen Verhandlung gewesen. Es wäre also leichtsinnig, sich seinem Rat zu widersetzen. Obwohl Matthew Warthorpe an einer Vergewaltigung bei Gott nichts Schlimmes finden konnte, musste er nun auf die Anschuldigung reagieren. Mit einer knappen Handbewegung befahl er seinen Gefolgsleuten, die an der Tür standen und für Ordnung während der Verhandlung sorgen sollten, den Stallmeister und einen der Knechte, der das Vergehen beobachtet hatte, herbeizubringen. Wenig später standen zwei Männer vor dem Gericht Zwei lange, blutige Striemen überzogen die Wangen des feisten Stallmeisters, und auch am Hals konnte man etliche Kratzer erkennen. Er sah aus, als hätte er kürzlich mit einer Wildkatze gekämpft. Neben ihm stand ein junger Knecht, der seine Blicke fest auf den Boden geheftet hatte. »Wie ich höre, habt Ihr diese hier anwesende Jungfrau geschändet«, führte nun Pater Gregor die Verhandlung fort und wandte sich an den Stallmeister, der ihn mit einem dümmlichen Grinsen anschaute. »Als Beweis dafür dienen die Verletzungen auf Eurem Gesicht und nötigenfalls die Aussage des Knechtes. Gebt Ihr zu, Euch an dem Mädchen vergangen zu haben? Und seid Ihr bereit, die Geschändete zu Eurer rechtmäßigen Ehefrau zu machen, um Euer Vergehen zu sühnen und Eurer gerechten Strafe zu entgehen, oder wollt Ihr der Gerichtsbarkeit des Earls of Clifford überstellt werden, auf dass Ihr bei Schuldspruch geblendet, kastriert oder gehängt werden mögt?«
Der Stallmeister war bei den Worten zusammengezuckt.
»Ich ... ich bekenne mich schuldig und werde das Mädchen heiraten«, antwortete er schließlich voller Widerwillen und sah erwartungsvoll seinen Herrn an, ob diesem sein Eingeständnis genügen würde. Auch der Abt betrachtete Sir Matthew, der vollkommen entrückt seinen eigenen Gedanken nachhing. Ihm war plötzlich eine Idee gekommen, so faszinierend einfach in der Ausführung und doch so wirkungsvoll, dass sie ihm geradezu genial erschien. Sir Matthew hatte eben die endgültige Lösung für all seine finanziellen Probleme gefunden: eine Heirat, durch die Reichtümer ins Haus kamen! Selbstverständlich konnte er bei seinen Hochzeitsplänen nicht so töricht vorgehen wie sein dummer, selbstgefälliger Stallmeister. Eine Vergewaltigung, um die Ehe zu erzwingen, mochte ja unter Bediensteten und Leuten niederer Abstammung üblich sein, für einen Edelmann wie ihn verbat sich solch ein Vorgehen jedoch von selbst. Er würde nicht nur seinen Ruf gefährden, sondern wäre der Rache der entehrten Familie gewiss. Und eine blutige Familienfehde konnte er sich derzeit beim besten Willen nicht leisten. Nein, er musste eine Erbin mit umfangreicher Mitgift finden, die freien Willens einer Verbindung mit ihm zustimmte, und seine Truhen, Kammern und Speicher würden sich wie von allein wieder füllen. Dass er darauf nicht schon früher gekommen war! Die Lösung lag so nahe, dass er sie beinahe übersehen hätte. Sir Matthew schwebte eine bestimmte Frau vor, gerade jung genug, um sie noch nach seinem Willen formen zu können, und dabei so reich, dass er bis an das Ende seiner Tage ausgesorgt haben würde ...
Ein unsanfter Rippenstoß brachte den Herrn von Warthorpe zurück in die Wirklichkeit seiner zugigen Halle. Erstaunt sah er alle Blicke fragend auf sich gerichtet.
»Stimmt Ihr zu, dass der Stallmeister die anwesende Dorothy Priston ehelicht, um sein Vergehen wieder gutzumachen und das Mädchen aus seiner Schande zu erlösen?«, half ihm Pater Gregor auf die Sprünge.
»Ja, ich stimme zu. Das Aufgebot wird noch heute an der Kirchentür angeschlagen. Die Mitgift des Mädchens Dorothy wird zu Gunsten Ihres Herrn, meiner Person, eingezogen und der Stallmeister obendrein zur Zahlung von 5 Goldstücken verurteilt.«
Sichtlich erleichtert atmete der Abt auf. Auch auf dem Gesicht des Pristonbauern zeigte sich Erleichterung. Er hatte die Ehre seiner Tochter wieder hergestellt, und die Schande, die sie über die Familie gebracht hatte, war nun fortgewischt. Bald würde sie die kirchlich und gesetzlich angetraute Ehefrau des Stallmeisters sein, und das Kind, das sie vielleicht seit gestern Abend unter ihrem Herzen trug, würde ehelich und rechtmäßig zur Welt kommen.
Dankbar küsste der alte Priston Sir Matthew die Hand. Doch der Herr von Warthorpe war nun in Eile. Er schloss, ungeachtet der noch wartenden Leute, die Gerichtsverhandlung, beauftragte den Abt mit der Aufstellung des Aufgebotes für den Stallmeister und Dorothy Priston und der Eintreibung der Bußgelder und schickte die Übrigen nach Hause.
Sein eben gefasster Plan duldete keinen Aufschub. Er musste noch heute damit beginnen, seiner Idee die Tat folgen zu lassen. Je schneller Sir Matthew handelte, umso eher war er von allen Sorgen befreit.
Mit lauter Stimme rief er nach Jonathan, der ihm Umhang und Stiefel bringen sollte. Dann fuhr er sich noch einmal mit den Fingern durch sein strähniges, wirres Haar und befahl dem Stallburschen, sein Pferd zu satteln. Er stieg auf, gab dem mächtigen schwarzen Schlachtross die Sporen und galoppierte aus dem Burghof.
»Niemals werde ich Sir Matthew Warthorpe heiraten!« Obwohl Helen Waterhouse diese Worte beinahe flüsterte, durchschnitten sie die Stille des kleinen Turmzimmers wie ein Schrei.
Hoch aufgerichtet stand sie vor ihrem Vater, die veilchenblauen Augen zu schmalen Schlitzen verengt, aus denen es wütend funkelte und blitzte, die Hände zu Fäusten geballt, das Kinn trotzig nach vorn gereckt.
Lord Waterhouse seufzte. Er kannte seine widerspenstige, temperamentvolle Tochter, und er wusste, dass er es nicht schaffen würde, seinen Willen gegen den ihren durchzusetzen.
»Ich kann dich nicht zwingen, mein Kind«, antwortete der alte Lord. »Obwohl eine Verbindung zwischen Waterhouse und Warthorpe große Vorteile bieten würde. Sir Matthew ist der Enkel vom Bruder meines Vaters. Er besitzt umfangreiche Ländereien, die an die unsrigen grenzen, und seine Gefolgsleute sind kampferprobte Soldaten. Es wäre gut, in dieser rechtlosen Zeit, in der das Land von einem schwachen, kranken König regiert wird, tapfere Verbündete an unserer Seite zu wissen.«
»Pah!« Verächtlich stampfte Helen mit dem Fuß auf. »Als ob das Schicksal der Waterhouses allein in meinen Händen läge! Lehen heiraten Lehen! Der alte Leitspruch des Landadels hat für mich keine Gültigkeit mehr. Ich werde nur einen Mann ehelichen, den ich liebe, und niemand wird mich davon abbringen können.«
»Die Liebe wird schon mit der Zeit wachsen. Wenn du erst einmal das Bett mit ihm teilst, kommt die Zuneigung von ganz allein. Sir Matthew ist ein stattlicher, tapferer Mann, der weiß, was er will«, versuchte der alte Lord seine Tochter zu überreden.
»Sich weiter der Trunk- und Spielsucht hingeben, das will er. Oh, ja, beim Würfelspiel ist er sehr tapfer. Seine Tapferkeit ist dabei so groß, dass er sich nicht scheut, all seinen Besitz auf ein Spiel zu setzen. Ein wahrer Held von edlem Geblüt ist er, wie er dasteht mit seinem roten, aufgeschwemmten Gesicht, dem rostigen Schwert an seinem Gurt, und wie er vor Trunkenheit kaum den Würfelbecher halten kann. Nein! Niemals!«, wiederholte Helen trotzig. »Eher gehe ich ins Kloster, als Sir Matthew zu heiraten. Meine Liebe gehört Robin Bloomfield, und nur ihn werde ich zum Mann nehmen!«
Und noch ehe Lord Waterhouse etwas entgegnen konnte, verließ Helen mit schnellen, energischen Schritten ihr Turmzimmer, so dass die dunkelbraunen Haare, die ihr bis zur Taille reichten, hinter ihr her wehten wie ein glänzender Schleier.
Der alte Waterhouse lächelte still vor sich hin. Er kannte das ungestüme, hitzige Wesen seiner einzigen Tochter genau. Und obwohl ihn gerade ihre Halsstarrigkeit manchmal zur Weißglut treiben konnte, liebte er Helen über alles. Sie war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Und seit diese wenige Monate nach der Geburt von Andrew, Helens kleinem Bruder, vor fünf Jahren an einer schrecklichen Krankheit gestorben war, war das Verhältnis zwischen Vater und Tochter noch inniger geworden. Nein, zu keiner Zeit würde es Helens unbändiger Stolz zulassen, sich einem Mann hinzugeben, den sie nicht von ganzem Herzen liebte. Wer immer sie zur Frau bekam, dachte Lord Waterhouse mit stillem Vergnügen, würde es schwer haben, sie zu zähmen. Sollte Robin Bloomfield, der ebenfalls um Helens Hand angehalten hatte, ruhig sein Glück mit ihr versuchen. Lord Waterhouse hatte keine Einwände dagegen vorzubringen, obwohl ihm Sir Matthew auf Grund der Verwandtschaft als Schwiegersohn lieber gewesen wäre. Aber die Bloomfield Manors waren ertragreiche Ländereien, die es zwar an Größe nicht mit dem Besitz der Warthorpes aufnehmen konnten, doch Bloomfields Schafzucht war die beste in der ganzen Grafschaft, sein Wollhandel schwunghaft. Auch Lord Robin selbst gefiel dem alten Waterhouse nicht schlecht. Er war ein ganzer Mann, ein Teufelskerl sogar, wie manche behaupteten. Aus dem Krieg war er ruhmreich nach Hause zurückgekehrt. Er wusste zu befehlen, führte seine Manors gerecht, doch mit harter Hand. Seine Kühnheit und seine Stärke waren weit über seine Ländergrenzen hinaus bekannt geworden. Selbst beim Earl of Clifford stand Lord Robin Bloomfield in hohem Ansehen. Sollte Helen ruhig den Mann ihrer Träume heiraten, wenn sie unbedingt wollte. Lord Waterhouse war es recht, solange sie nur glücklich dabei war.
Helen eilte die Treppen hinunter zur Halle, in der Sir Matthew Warthorpe auf ihre Antwort wartete. Er hatte es sich auf einer Bank am Kamin bequem gemacht und bereits den zweiten Krug Wein geleert. Nun lehnte er mit dem Kopf an der Wand, die mit kostbaren, reichbestickten Teppichen bedeckt war, und hielt ein Schläfchen. Helen betrachtete mit leiser Abscheu den Mann, der sie zur Frau begehrte. Sein aschefarbenes Haar hing ihm in zerzausten Strähnen ungepflegt um den Kopf, das Gesicht wirkte fahl und vom Wein aufgeschwemmt, die kurze, knubbelige Nase war gerötet. Sir Matthew hatte den Mund leicht geöffnet und stieß leise Schnarchtöne aus, die von einem Schwall säuerlichen Atems begleitet wurden. Sein weißes Leinenhemd war vom Rotwein befleckt, die Stiefel schlammverkrustet, der Umhang fadenscheinig.
Helen seufzte. In ihren Widerwillen hatte sich nun eine Spur Anteilnahme gemischt. Sie erinnerte sich an den Mann, der Sir Matthew noch vor wenigen Jahren, bevor er auf Befehl seines Vaters eine herrische und zänkische Frau geheiratet hatte, gewesen war. Damals hatte er wirklich stattlich ausgesehen: groß, mit warmen braunen Augen, die aus dem gut geschnittenen Gesicht hervorblitzten, und mit sauber gestutztem Bart. Doch dann war ihm die Frau, für die er niemals mehr als Abscheu empfunden hatte, gestorben, ohne ihm den Erben, den er sich so gewünscht hatte, zu hinterlassen. Die Verachtung, die ihn seine unansehnliche Gemahlin Zeit ihres Lebens spüren Ließ, verursachte bei Matthew schon bald ein Gefühl der Unzulänglichkeit, dem er nur durch den Genuss mehrerer Krüge Wein und Ale entfliehen konnte.
Nur zu deutlich klangen ihm noch immer die Worte seiner Frau im Ohr: »Du Schlappschwanz! Verstehst es nicht einmal nachts, deinen Mann zu stehen! Ein elender Schwächling bist du, nichts weiter, und ein lausiger Herr obendrein. Ihr mangelt es an allem, was einen stolzen Edelmann ausmacht.«
Niemals wieder, so schwor Sir Matthew Warthorpe am Totenbett, würde er eine Frau in seiner Nähe dulden, die ihm nicht willenlos gehorchte, ihm nicht Ehrfurcht und Bewunderung entgegenbrachte. Niemals mehr würde er eine Frau heiraten, die so unansehnlich, alt und fett war, dass selbst ein Schafbock sich angeekelt abgewendet hätte.
Doch dann war er endlich sein eigener Herr gewesen. Endlich hatte er nach Herzenslust tun und lassen können, was und wie es ihm beliebte. Jetzt wollte er das Leben in vollen Zügen genießen und sich den Respekt und die Achtung verschaffen, die er verdiente.
Sir Matthew umgab sich mit heuchlerischen Gesellen, die ihm mit Worten schöntaten, und verfiel seiner versteckten Trunksucht immer mehr. Er wartete nicht einmal bis zur Beerdigung seiner Frau damit. Bereits an deren Grab konnte er sich vor Trunkenheit kaum auf den Beinen halten. Er bemerkte nicht einmal, dass seine Pächter sich über ihn lustig machten, und Pater Gregor, der Abt, der die Totenmesse hielt, bekümmert sein Haupt schüttelte. Von diesem Tag an leerte er schon vor dem Frühstück mehrere Krüge Wein und wandte seine gesamte Aufmerksamkeit dem Würfelspiel zu. Sein Besitz kümmerte ihn nicht mehr. Er ließ dem Verwalter, einem hinterhältigen, grobschlächtigen Kerl, der ihm schmeichelte, freie Hand, und sah tatenlos zu, wie dieser die Bauern um ihr letztes Bisschen betrog. Zwar führte der Verwalter Buch über die Arbeiten und Abgaben, die die Pächter ihrem Lehnsherren schuldig waren, um auf seinem Land ihre dürftigen Hütten bauen und den steinigen Ackerboden bestellen zu dürfen, doch verfuhr er hierbei ungerecht und betrügerisch, und dachte hauptsächlich daran, auf Kosten der Bauern die eigenen Taschen zu füllen. Die Pächter wiederum ergriffen jede sich bietende Gelegenheit zur Meuterei gegen den Mann. Sie ließen ihre Böden unbestellt und kümmerten sich nur notdürftig um das Vieh. Die Auseinandersetzungen und der Widerstand gegen den Verwalter und Sir Warthorpe, der sich um nichts mehr scherte, wurden immer alltäglicher. Es dauerte nicht lange, und die Ernten wurden karg und kärger, bis schließlich alles Land brachlag. Unterdessen ließ sich Matthew von zwielichtigen Gestalten ganz und gar zur Spielsucht verleiten. Tag für Tag saß er mit seinen falschen Freunden in der Halle der Burg, ließ die Würfel rollen und den Wein in Strömen fließen. Hier fühlte er sich als ganzer Kerl, der es beim Saufen noch mit jedem anderen aufnehmen konnte. Er hielt sich für einen großen Herrn, veranstaltete üppige Trinkgelage und bemerkte dabei nicht, dass ihm nur der Wein und die »Sir«, sagte sie und fasste ihn leicht am Ärmel. »Ich kann nicht Eure Frau werden. Ich werde Lord Robin Bloomfield heiraten. Ihr findet sicher eine andere, die besser für Euch sorgen kann, als ich es vermag. Es tut mir leid, doch ich bin nicht in Euch verliebt.« Matthew war bei diesen Worten mit einem Schlag hellwach. Er musterte Helen durchdringend, als wolle er hinter ihrer Stirn die verborgenen Gedanken lesen, und tatsächlich bemerkte er eine Spur von Mitleid in ihren Augen. Grob fasste er ihre Hand und hielt sie mit festem Griff umklammert, dem Helen sich nicht entziehen konnte, ohne unhöflich zu wirken.
»Bin ich Euch nicht gut genug, dass Ihr mich abweist wie einen nichtswürdigen Tagedieb? Zählt das Blut, dass in Euren Adern fließt und aus den gleichen Wurzeln stammt wie das meine, so wenig, dass Ihr glaubt, mit einem Fremden besser zu fahren? Überdenkt Euren Entschluss noch einmal, ehe ihr ihn bereut«, drang er mit schneidender Stimme in sie.
Helen wurde es unter Matthews Blick und seinen ungestümen Fragen, die ihr wie Drohungen erschienen, beklommen zu Mute. Mit einer raschen Bewegung entzog sie ihm ihre Hand und trat einen Schritt zurück. Sie wünschte, ihr Vater, die Kinderfrau Margaret oder selbst eine Magd würden jetzt die Halle betreten, damit sie nicht länger mit diesem unheimlichen Besucher allein bleiben musste. Doch niemand kam. Außer ihr und Sir Matthew war keine Menschenseele zu hören oder zu sehen. Helen holte noch einmal tief Luft, dann antwortete sie: »Sir, ich bitte Euch, bedrängt mich nicht. Meine Entscheidung ist gefallen und ich brauche sie vor Euch nicht zu rechtfertigen. Ich kann für Euch keine Liebe empfinden, solange ich auch darüber nachdenke. Und ohne Liebe werde ich nicht heiraten, selbst wenn der König um meine Hand anhalten sollte. Das dürfte Euch als Erklärung, die ich Euch um des Anstandes willen schulde, genügen.«
Matthew betrachtete Helen, die hoch aufgerichtet vor ihm stand und ihren Blick fest auf einen unsichtbaren Punkt auf der Wand über seinen Kopf gerichtet hielt. Eine Weile lang schwiegen beide. Es war so still in der Halle, dass das Zwitschern der Vögel, welches durch die offenen Fenster hereindrang, wie ein ganzer Kirchenchor klang. Endlich räusperte sich Sir Warthorpe und durchbrach das Schweigen.
»Nun gut. Ich habe Eure Worte vernommen. Doch ob ich mich damit zufriedengeben kann, wird die Zeit erweisen«, erwiderte er messerscharf. Helen zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Sie begegnete Matthews Blick, aus dem jede Wärme verschwunden war und der ihr das Blut in den Adern erstarren ließ. Sie verzichtete auf eine Erwiderung, ließ den Mann einfach stehen und eilte mit schnellen Schritten die Treppe zu ihrem Turmzimmer hinauf. Oben angekommen, warf sie die Tür ins Schloss und lehnte sich außer Atem mit dem Rücken dagegen. Ihr Herz schlug laut und heftig in der Brust. Helen fühlte sich wie ein Tier, das der Falle des Wilddiebes im letzten Augenblick entkommen war. Sir Matthews Verhalten war ihr unheimlich und bedrohlich erschienen, ohne dass sie zu sagen gewusst hätte, worin die Gefahr liegen mochte. Er hatte ihr Angst eingejagt, eine Angst, die sich Unheil drohend und dunkel anfühlte, ihr das Atmen schwer machte und wie ein Stein auf ihrem Herzen lag. Ein Gefühl der Furcht, das nicht im Mindesten mit der bangen Erregung zu vergleichen war, die, begleitet von süßen Schauern, Lord Robins Gegenwart in ihr auslösten.
Doch war es nicht Sir Matthews gutes Recht, ihre Entscheidung zu hinterfragen? Zeugte es nicht von einem ehrlichen und ungeheuchelten Interesse an ihr, dass er ihren Entschluss nicht wahrhaben wollte und sie deshalb aufgefordert hatte, alles noch einmal zu überdenken? Galt der Hass Matthews, den Helen zu spüren geglaubt hatte, tatsächlich ihr? Doch warum wollte er sie dann zur Frau nehmen? Ach was, dachte Helen, es ist nur die Aufregung und die Vorfreude auf die Verlobung, die mich so furchtsam sein lässt. Schnell wischte sie die dunklen Gedanken fort und begab sich zum Fenster.
Doch als sie dort stand, nahm sie nichts von der lauen Maienluft wahr, hörte nicht den Gesang der Vögel, sondern beobachtete nur, wie Sir Matthew dem Stallburschen mit barschen Worte den Befehl gab, sein Pferd zu satteln. Selbst von hier oben war deutlich zu erkennen, dass Warthorpe verärgert war. Ungeduldig riss er dem Knecht die Zügel aus der Hand und trieb seinen schwarzen Hengst mit unzähligen Gertenschlägen aus dem Torhaus hinaus und über die Felder in Richtung Wald.
Waterhouse lag schon einige Meilen hinter ihm, als Sir Matthew endlich den Wald erreichte. Auf einer kleinen Lichtung zügelte er sein schweißbedecktes Pferd und stieg ab. Die Schmach über Helens Zurückweisung brannte in ihm wie Feuer. Es hatte ihn einiges an Beherrschung gekostet, sich in Helens Gegenwart nichts von der Demütigung anmerken zu lassen. Die Abfuhr, die ihm die junge Frau erteilt hatte, schmerzte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.
Für einen kurzen Moment nur hatte er sich mit ihren Augen gesehen: nichtswürdig, heruntergekommen, jedes warmen, herzlichen Gefühls unwürdig. Die Erinnerung an seine verstorbene Frau stieg quälend in ihm auf. Er vermeinte, abermals ihre schrille Stimme, die ihn ›Schlappschwanz‹ hieß, zu hören. Es war ihm egal, ob Helen tatsächlich auch so über ihn dachte. Er hatte es so empfunden, und das allein genügte, um Vergeltung zu wollen. Er würde Helens Stolz brechen und ihr eines Tages heimzahlen, was sie ihm heute angetan hatte.
Der lange, schnelle Ritt hatte ihn inzwischen so weit beruhigt, dass er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Und dieser Gedanke, der im Moment von allergrößter Wichtigkeit war, lautete: Wer leiht mir einige Goldstücke, damit ich die Kammern, Keller und Scheunen füllen kann, und das so schnell wie möglich?
Er begab sich an den kleinen Bach, der sich ganz in seiner Nähe durch den dichten Laubwald schlängelte. Er tränkte sein Pferd, dann schöpfte er mit der hohlen Hand etwas Wasser und trank in gierigen Schlucken davon. Anschließend schüttete er sich das klare, kalte Nass ins Gesicht, um seinen Kopf abzukühlen. Das Wasser rann ihm über Kopf und Schultern den Rücken hinab und durchnässte sein Hemd. Er schüttelte die Tropfen ab wie ein Hund, ließ seinen Hengst am Bachufer einige Grashalme zupfen, setzte sich selbst unter einen Baum und dachte nach.
Er konnte unmöglich zurück nach Waterhouse reiten und seinen Großcousin, den alten Lord Waterhouse, um einen Kredit bitten. Wenn dieser vom tatsächlichen Zustand seines Besitzes erfuhr, würde er ihm niemals Helen zur Frau geben. Der alte Lord war nicht dumm. Er würde erkennen, dass es Sir Matthew nur um die reiche Mitgift gegangen war, und das wiederum würde seinen Unmut erregen. Aber noch war nicht alles verloren, noch hatten Robin und Helen nicht geheiratet, noch bestand für ihn eine, wenn auch geringe, Chance, die stolze Helen selbst vor den Altar zu führen und bald wieder Herr über blühende Ländereien und gut gefüllte Truhen zu sein. Und er würde alles daransetzen, sie doch noch zu erobern. Doch bis dahin brauchte er einige Mittel, um das Leben auf Warthorpe aufrechtzuerhalten.
Und wenn er nun Lord Robin Bloomfield um Geld bitten würde? Matthew wusste, dass die Bloomfield Manors in den letzten Jahren einigen Gewinn erwirtschaftet hatten, denn im Gegensatz zu ihm verfugte Robin über einen fähigen und ehrlichen Verwalter. Hin- und hergerissen zwischen Not und Stolz saß Matthew am Bach und betrachtete abwesend den blauen Himmel, der zwischen den Baumspitzen zu sehen war. Er war nie Robins Freund gewesen, im Gegenteil. Immer hatte Matthew den jüngeren Bloomfield als Konkurrenten begriffen, als einen, der Ruhm und Ehre im Übermaß einheimste, ohne dessen würdig zu sein. Und nun hatte ihm Robin auch noch die in jeder Hinsicht begehrenswerte Helen Waterhouse vor der Nase weggeschnappt. Sollte er sich nun eine weitere Blöße geben, in dem er Bloomfield um Geld bat? Doch was hatte er für eine Wahl? Wenn er die Warthorpe Manors – und damit seine eigene Existenz – retten wollte, blieb ihm keine andere Wahl.
Sir Matthew stand auf und klaubte das Moos von seinen Kleidern. Dann bestieg er seinen Hengst und machte sich auf den Weg nach Bloomfield.
Es waren noch keine vier Stunden vergangen, da ritt er auf den Hof des Herrenhauses von Lord Robin. Er drückte die Zügel seines Pferdes einem Stallburschen in die Hand und begab sich in die Halle. Der hohe Raum war mit goldgelbem Holz getäfelt und wirkte warm und gemütlich. Auf die Täfelung hatte ein Künstler mit leuchtenden Farben Szenen aus dem alten Testament gemalt. Matthew konnte die Jungfrau Maria, die im Arm das Jesuskind hielt, erkennen. Die Kerzen, die in fein gearbeiteten silbernen Leuchtern brannten, waren aus echtem Bienenwachs und verbreiteten einen angenehmen Wohlgeruch. Lord Robin saß allein an einem großen Tisch und hatte mehrere Pergamentrollen vor sich liegen, die er eifrig studierte. Ein Schreibtablett mit Tintenrohr und Feder stand griffbereit daneben. Als Matthew eintrat, blickte er auf.
»Willkommen in meinem Haus, Sir Matthew«, begrüßte er den Mann und sah ihn erstaunt an. »Was führt Euch zu mir?«
»Ich komme mit einer Bitte zu Euch«, antwortete Matthew und konnte nur mit Mühe seinen Ärger über diese schmähliche Bittstellersituation unterdrücken.
»So nehmt Platz und sagt, was Ihr auf dem Herzen habt«, forderte Robin seinen unerwarteten Gast auf. Er konnte nicht verhindern, dass sein Blick mit leichter Geringschätzung über die abgerissene und befleckte Kleidung des anderen wanderte.
Matthew räusperte sich vernehmlich. Auch ihm war die leise Verächtlichkeit, mit der Robin ihn angesehen hatte, nicht verborgen geblieben. Gott strafe deinen Hochmut, dachte er. Dann begann er, seine Bitte vorzutragen.
»Wie Ihr wisst, wurden meine Erträge im letzten Jahr durch einen niederträchtigen Verwalter zunichte gemacht. Meine Truhen und Speicher sind leer. Die Pächter hungern, das Vieh und die Kinder sterben. Ich brauche Geld, um meinen Besitz zu retten. Deshalb bitte ich Euch, mir mit, sagen wir, 1000 Goldstücken aus dieser Verlegenheit zu helfen. Nach der nächsten Schafschur und dem Verkauf der Wolle bekommt Ihr Euer Geld zurück.«
Lord Robin machte ein nachdenkliches Gesicht und schwieg für eine kleine Weile, während Matthew angespannt und forschend zu ihm hinschaute. Er wusste, wenn Robin ihm das Geld nicht lieh, dann war er verloren. Endlich sprach Lord Bloomfield: »1000 Goldstücke sind ein großer Batzen, der auch mir nicht lose im Beutel klimpert. Ich sehe Eure Notlage ein, hat sie sich doch längst in der ganzen Grafschaft herumgesprochen. Jedoch ist mir zu Ohren gekommen, dass Ihr Euren Besitz mit Spielschulden belastet habt. Wer also gibt mir die Gewähr, dass Ihr das Geld auch wirklich pünktlich zum nächsten Osterfest zurückzahlt?«
»Ihr habt mein Wort darauf, bei meiner Ehre. Das ist alles, was mir noch geblieben ist«, erwiderte Matthew mit leiser Stimme, die vor unterdrücktem Zorn über diese demütigende Frage ganz rau klang.
Lord Bloomfield lehnte sich zurück und sah Matthew, direkt in die Augen, die noch immer vom Wein gerötet waren.
»Euer Wort? Eure Ehre? Mir scheint, darum ist es nicht besser bestellt als um Eure Ländereien.«
Bei diesen Worten sprang Matthew von der Bank auf, stützte sich mit beiden Armen auf den Tisch und reckte sein Gesicht und seinen Oberkörper Lord Robin entgegen. Seine dunklen Augen glitzerten hart und böse. Nach den Erlebnissen des heutigen Tages war es ihm beinahe unmöglich, auch noch diese Schmähung klaglos hinzunehmen. Das Fass seiner Selbstbeherrschung war bis zum Rand gefüllt. Beim nächsten Tropfen drohte es überzulaufen.
Bloomfield hatte es gewagt, sein Wort und seine Ehre anzuzweifeln. Wie konnte er es wagen, einen Edelmann, der kein Geringerer war als Bloomfield selbst, so zu erniedrigen? Das letzte bisschen Stolz, das in ihm brannte, verlangte danach, von seinem Gegenüber Genugtuung zu erlangen.
»Was wollt Ihr damit sagen?«, herrschte er den Sitzenden an und beugte sich noch weiter nach vorn. Wie von selbst griff seine rechte Hand nach dem Dolch, der ihm lose im Gürtel steckte, und verharrte dort, als sich nun auch Lord Robin erhob, der ihn um wenigstens einen Fuß an Körpergröße überragte. Langsam und ohne den Blick von Bloomfield zu lassen, nahm Sir Matthew die Hand vom Dolch und umkrallte stattdessen die Tischplatte. Sie standen voreinander, nur durch den schweren Eichentisch, auf den sie die geballten Fäuste gestützt hatten, getrennt. Auge in Auge standen sie da, fixierten sich mit angespannten Zügen, und ein jeder von ihnen versuchte im Blick des anderen zu lesen, was als Nächstes passieren würde. Es war totenstill in der Halle, so dass man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können. Nur die erregten Atemzüge der beiden waren zu vernehmen. Sekundenlang hielten sie einander, ohne sich zu rühren, mit Blicken gefangen, die mehr sprachen, als tausend Worte es in dieser Situation vermocht hätten. In Sir Matthews Kopf jagte ein Gedanke den anderen. Er musste seiner Ehre Genugtuung widerfahren lassen, Respekt und Achtung erzwingen. Sein verletzter Stolz verlangte danach. Gleichzeitig konnte er es sich in dieser Situation nicht leisten, einen Zweikampf herauszufordern. Er durfte Lord Robin jetzt nicht provozieren. Zu dringend benötigte er dessen Geld. Ohnmächtig musste er mit ansehen und anhören, wie der Konkurrent seine Ehre mit geringschätzigen Worten befleckte. Und gerade diese Ohnmacht versetzte Sir Matthew in eine noch größere Wut. Er war Lord Robin auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Hatte je ein Warthorpe eine solche Schmach hinnehmen müssen? »Setzt Euch wieder hin, Sir«, befahl Bloomfield schließlich dem Aufgebrachten mit Nachdruck und nahm selbst Platz. Der Kampf der widerstreitenden Gefühle, der sich auf Sir Matthews Gesicht widergespiegelt hatte, war ihm nicht verborgen geblieben. Fast schon taten ihm seine Worte leid. Deshalb sagte er nun: »Ich werde Euch helfen – um Eurer Verwandtschaft zu Lord Waterhouse willen, der von unserem Handel aus meinem Mund nichts erfahren soll, so Ihr Euch an die Bedingungen haltet. Ich gebe Euch Geld. 500 Goldstücke sollt Ihr haben. Mehr kann ich nicht entbehren. Dafür unterschreibt Ihr einen Kreditbrief, der mir einen Teil Eurer Ländereien zusichert, falls Ihr die Summe nicht zurückzahlen könnt. Wenn Ihr damit einverstanden seid, werde ich das Papier aufsetzen und die Goldstücke abzählen lassen. Nun, Sir? Seid Ihr mit diesem Angebot zufrieden?«