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Sie ist fest entschlossen, ihn zu hassen – doch ihr Herz sehnt sich nach ihm Schottland, 1462: Seit Generationen beherrscht eine blutige Fehde zwischen dem Clan der McLords und der Duncans die Highlands. Als die junge Susan McLord als Gefangene auf die Burg der Duncans verschleppt wird, ist sie fest entschlossen, sich niemals ihrem Feind zu ergeben. Doch als sie zum ersten Mal dem mysteriösen Lord Peacock begegnet, fühlt sie sich auf rätselhafte Weise zu ihm hingezogen. Schon bald erkennt Susan, dass hinter der bedrohlichen Fassade des Highlanders eine Sehnsucht verborgen liegt, die sie auch in sich selbst wiedererkennt … Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Pflicht, muss Susan eine Entscheidung treffen, die das Schicksal beider Clans für immer verändern wird … Eine epische Highlander-Romance für alle Fans von »Outlander« und Eva Fellner.
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Seitenzahl: 427
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Schottland, 1462: Seit Generationen beherrscht eine blutige Fehde zwischen dem Clan der McLords und der Duncans die Highlands. Als die junge Susan McLord als Gefangene auf die Burg der Duncans verschleppt wird, ist sie fest entschlossen, sich niemals ihrem Feind zu ergeben. Doch als sie zum ersten Mal dem mysteriösen Lord Peacock begegnet, fühlt sie sich auf rätselhafte Weise zu ihm hingezogen. Schon bald erkennt Susan, dass hinter der bedrohlichen Fassade des Highlanders eine Sehnsucht verborgen liegt, die sie auch in sich selbst wiedererkennt … Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Pflicht, muss Susan eine Entscheidung treffen, die das Schicksal beider Clans für immer verändern wird …
eBook-Neuausgabe September 2025
Die deutsche Erstausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Gefangene der Versuchung« im Wilhelm Heyne Verlag, München.
Copyright © der Originalausgabe 2006 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: A&K Buchcover, Duisburg, unter Verwendung eines Bildmotives von shutterstock KI, depositphotos/martinm303, depositphotos/franky242, depositphotos/romantiche
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (ma)
ISBN 978-3-69076-145-1
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Laura Thorne
Roman
Schottland im Jahre 1462
Vier Wochen schon brannte die Sonne so heiß, wie man es in den Highlands nur selten erlebt. Der Himmel flimmerte weiß vor Hitze, die grünen Wiesen waren verbrannt und lagen wie braune, zerschlissene Teppiche in den Tälern. Das Vieh durstete. Immer häufiger sammelten sich schwarze Krähen mit lautem Gekreisch zu einem Schwarm, der sich über ein verendetes Schaf hermachte. Bäche, die nach der Schneeschmelze anschwollen, über die Ufer traten und die Weiden in eine Sumpflandschaft verwandelten, führten in diesem Sommer kaum mehr Wasser. Die Ufer waren vor Trockenheit rissig. Jedes Kind konnte mühelos und ohne sich die Beinkleider nass zu machen, von einer Seite zur anderen springen.
Im Burggraben faulten die Abfälle und verbreiteten einen höllischen Gestank. Grün schillernde Fliegen schwärmten über den Hof, in den Ställen und sogar innerhalb der Burg. Besonders die Pferde hatten unter ihnen und der Trockenheit zu leiden. Unruhig standen sie im Stall und bewegten nur träge den Schweif. Hin und wieder warfen sie den Kopf herum, um die Quälgeister, die sich über den Augen und auf den Nüstern niedergelassen hatten, zu verscheuchen.
Der Pferdeknecht, der, von der Hitze ganz matt, in einer Ecke des Stalls vor sich hindöste, hatte den Kampf gegen die lästigen Insekten längst aufgegeben.
Die Mägde und Knechte schleppten sich mit hängenden Schultern und schlurfenden Schritten durch den Tag. Die Köchin, die über der offenen Kochstelle mehrere Kessel hängen hatte, stand mit hochrotem Gesicht in der Küchentür und tupfte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. In der kleinen Kapelle brannten Tag und Nacht Opferkerzen, die den Regen herbeibitten sollten. Jeden Tag musste der Eimer an der knarrenden Winde tiefer in den Brunnen hinabgelassen werden. Katzen lagen schläfrig im Schatten der Mauern, und selbst die Hunde, die über den Burghof streunten, waren zu erschöpft, um den Katzen hinterherzujagen.
Lady Susan McLord richtete sich auf, streckte den schmerzenden Rücken und hob die langen dunkelbraunen Haare aus dem Nacken, um sich ein wenig Kühlung zu verschaffen. Margaret, ihre Kinderfrau, hatte am Morgen zwar gesagt, dass sie die Haare aufstecken solle, aber Susan hatte nicht auf sie gehört. Am liebsten trug sie das hüftlange Haar eben offen ... Sie warf einen missmutigen Blick auf Margaret, die im Kräutergärtchen eifrig Unkraut jätete. Margaret war so vertieft, dass sie sich nicht im Mindesten um sie kümmerte.
Als Susan sah, dass Margaret beschäftigt war, schlich sie sich auf leisen Sohlen aus dem Küchengarten. Den Korb mit ein paar Zweigen Thymian und dem Messer ließ sie stehen.
Ganz behutsam öffnete sie das kleine eiserne Tor, damit es nicht in den Angeln quietschte, und schlüpfte hinaus.
Die Burg von Lord Hamish McLord, ihres Vaters, war der Stolz der ganzen Umgebung und Gegenstand heftigen Neids der benachbarten Clansherren. Vor zwanzig Jahren hatte er anlässlich seiner Eheschließung mit der schönen und reichen Jeanne de Lucier den schlichten Wohnturm mit Anbauten erweitert und mit einem Wehrgang befestigen lassen. Diesen umgab nach ungefähr fünfzig Schritten eine weitere Mauer, mit einer hohen Brustwehr versehen und vier Türmen. In Kriegszeiten, so wie jetzt, dienten sie den Spähern als Beobachtungsposten. In einem der Türme war das Verlies untergebracht, ein anderer diente als Speicher, im dritten wohnten die Torwächter. Zwischen den beiden Begrenzungen wuchsen ein paar Büsche und einige dicht belaubte kleine Eichen, deren Blätter heute allerdings von der Trockenheit herunterhingen und ganz staubig waren. Ein schmaler Weg führte um die Burg herum.
Susan liebte das Gelände zwischen den beiden Mauern. Meist war sie hier ganz allein. Das Leben fand innerhalb des ersten Rings statt. Dort stand der Wohnturm mit der Halle und den Gemächern der Familie, dort befanden sich die Ställe und Gesindehäuser, die Back- und Waschstube und die kleine Kapelle. Mägde und Knechte eilten geschäftig hin und her. Händler brachten ihre Waren auf Holzkarren zu den Vorratsräumen, Pferde wurden gestriegelt, Waffen geölt und Übungskämpfe veranstaltet. Von morgens bis abends herrschten Trubel und ein unbeschreiblicher Lärm. Immer klapperte, schnaufte, krachte, polterte, rief, lachte und schimpfte irgendwo irgendwer.
Hier draußen aber, zwischen den Mauern, gab es nur ein paar Bäume und Gras. Es war still, nur die Vögel zwitscherten, und die Mauern, die längst mit Efeu bewachsen waren, summten von all den Insekten, die darin hausten. An einer Stelle gab es eine kleine Nische in der äußeren Mauer, die ein spitzwinkeliges Holzdach hatte und Lord McLord in klaren Nächten als Ausguck zu den Sternen diente. Auch für Susan war diese Nische ein geliebtes Plätzchen. Oft stand sie dort und sah über das Land hinaus.
Als Susan sich dieser Nische näherte, hörte sie leise Stimmen. Rasch verbarg sie sich hinter einem Baum und spähte vorsichtig hinter dem Stamm hervor. Sie entdeckte Cathy, die kleine Wäscherin, und Ian, den jüngsten der Pferdeknechte.
Die beiden bemerkten sie nicht. Sie standen voreinander und betrachteten sich gegenseitig, als stünden sie vor einem Wunder. Auf einmal hob Ian ganz langsam die Hand und legte sie zögernd an Cathys Wange. Das Mädchen schloss die Augen und schmiegte ihr Gesicht in Ians große, sonnengebräunte Hand.
Der junge Mann strich mit dem Zeigefinger der anderen Hand über Cathys helle Brauen, stupste ihn kurz auf ihre Nase, so dass Cathy lächelte, dann fuhr er die Umrisse ihrer Lippen nach.
Noch immer hielt Cathy die Augen geschlossen. Ian nahm ihr Gesicht in beide Hände, näherte seine Lippen ihrem Mund und küsste sie ganz sanft.
Einen Moment lang staunte Susan, dass Ians Hand, mit der er selbst das stärkste Pferd im Stall zu zügeln wusste, so behutsam sein konnte. Im nächsten Moment schon wandte sie sich ab und pustete sich verächtlich eine vorwitzige Strähne des dunkelbraunen Haares aus der Stirn. Wie albern die beiden waren. Sie wollte nichts davon wissen.
Der Anblick der beiden Verliebten aber hatte sie verlegen gemacht. Obwohl Susan schon achtzehn Jahre alt war, hatte sie mit der Liebe noch keine Bekanntschaft geschlossen.
In ihren Augen war die Liebe eine Beschäftigung für alle diejenigen, die nichts Besseres zu tun hatten. Für verwöhnte junge Ladys, die sich ansonsten mit ihrem Stickrahmen beschäftigten, und für Mägde, die beim Gesang der zahlreichen Lieder in der Küche oder über dem Waschtrog gemütvoll wurden. Susan konnte sich ein solches Leben gar nicht vorstellen. Die wunderschöne Jeanne war bei ihrer Geburt gestorben, doch Hamish McLord ertrug den Gedanken nicht, keinen Erben zu haben. So war Susan wie ein Junge aufgewachsen. Sie ritt, seit sie laufen konnte, interessierte sich mehr für Waffen als für Kleiderstoffe und fand das Leben der Frauen im Allgemeinen so unerträglich langweilig, dass sie ihre Seele verkauft hätte, um ein Mann sein zu dürfen.
Das allerdings hatte sich vor drei Jahren geändert. Auf einmal hatte ihr Vater, der sich sonst von niemandem etwas sagen ließ, den steten Mahnungen Margarets, die Susan seit ihrer Geburt betreute, nachgegeben. Er ließ Susan nicht mehr bei jeder Jagd mitreiten, bestand darauf, dass sie sich mit Nähnadel und vor allem dem damenhaften Stickrahmen beschäftigte, und schickte sie sogar aus der Halle, wenn die Herren aus der Nachbarschaft zu Besuch kamen.
Wegen Susans heftiger Proteste hatte ihr Hauslehrer, ein älterer hagerer Mönch von Iona, der eigentlich gemeinsam mit ihrem Vater die Sterne studierte, einen großen Kirchenvater, Thomas von Aquin, zitiert, der gesagt haben soll: »Die Frau ist ein Missgriff der Natur, mit ihrem Feuchtigkeitsüberschuss und ihrer Untertemperatur körperlich und geistig minderwertiger, eine Art verstümmelter, verfehlter, misslungener Mann. Die volle Verwirklichung der menschlichen Art ist nur der Mann.«
Susan wusste nicht, ob sie dem Kirchenmann Recht geben sollte, aber wenn sie die Küchenmägde mit trüben Augen und rotgeweinten Nasen durch die Burg streichen sah, nur, weil der Pferdeknecht sich nun der Wäscherin zugewandt hatte, dann wusste sie zumindest, dass Liebe die reinste Zeitverschwendung war und von den wirklich wichtigen Dingen abhielt.
Sie rümpfte abschätzig die Nase, warf ihre glänzenden Haare schwungvoll nach hinten und verließ ohne einen weiteren Blick auf die beiden diesen Teil der Burg.
Wenig später saß sie in der Halle und hielt mit angewiderter Miene einen Stickrahmen in der Hand. Die Arbeit, einen kleinen Pfau mit feinsten Seidenfäden mit einem strahlendbunten Federkleid zu versehen, fesselte sie nicht, und obwohl es die Schmuckkante eines neuen Altartuchs für die Burgkapelle werden sollte, weckte die Arbeit alles andere als fromme Gedanken in ihr. Lieber ließ sie ihre Augen durch die runde Halle schweifen. In der Mitte stand ein einziger starker Pfeiler, der nicht von zwei Männern umfasst werden konnte. Er hatte die Form eines Baumes und stützte die oberen Räumlichkeiten. Die Fenster waren mit buntem Bleiglas versehen, durch das die Sonne die schönsten Muster warf. An den Wänden waren Bänke angebracht, aus Eichenholz, das im Lauf der Zeit schon zu einem warmen Braun nachgedunkelt war. Die Bänke waren mit Kissen gepolstert, deren Federfüllung mit Kräutern vermischt wurde, damit sie einen feinen Duft verbreiteten und Krankheit vermieden. Nur vor dem riesigen Kamin standen Armlehnstühle. Über dem Sims hingen die Waffen ihres Vaters und ihres Großvaters rund um das Familienwappen der McLord. Ein großer Tisch aus edlem Holz diente dem geselligen Essen am Abend, und die kostbaren Teppiche, die an den übrigen Wänden hingen, gaben dem Raum eine heimelige Atmosphäre. Der Boden war aus Stein, aber vor den Bänken lagen Teppiche und Felle. An der Decke hing ein schwerer eiserner Radleuchter, der bei Festlichkeiten einhundert Kerzen fasste und die Halle zum Strahlen brachte.
Der Herr des prächtigen Hauses saß in seinem Lehnstuhl mit den geschnitzten Armlehnen. Er schien in Gedanken versunken. Er hatte noch kein Wort gesprochen, seit Susan in die Halle gekommen war.
»Wo ist eigentlich George?«, fragte Susan, der das Schweigen unangenehm geworden war.
»Dein Vetter ist hinunter ins Dorf geritten, um dem Hufschmied einen Auftrag zu erteilen«, antwortete Hamish McLord langsam. »Danach reitet er die Weiden ab, um zu sehen, ob alle Einzäunungen in gutem Zustand sind.« Sein wettergegerbtes Gesicht mit dem wilden grauen Bart entspannte sich ein wenig, als er zu seiner Tochter sah.
Susan zog sofort einen Schmollmund: »Warum muss ich hier drinnen sitzen und sticken, als wäre ich eine Hofdame, die bei jedem Schritt um ihre Frisur oder ihre Fingernägel fürchtet? Warum darf George ausreiten und ich nicht?«, murrte sie und warf den Rahmen unwillig zur Seite. Ihr langes, widerspenstiges Haar wippte auf ihrer Schulter und die grünen Augen hinter den schwarzen Wimpern funkelten eigensinnig.
»Du weißt genau, warum du in der Burg bleiben sollst. Ich habe keine Lust, jeden Tag erneut mit dir darüber zu streiten.« Hamish McLords Augen konnten ebenso funkeln wie die seiner Tochter, und seine Stimme klang mitunter sehr herrisch. Er sah Susan unwillig an, doch gleich glätteten sich seine Züge wieder, und er vermochte ein Lächeln nicht zu unterdrücken. Wie konnte eine echte McLord nicht aufsässig sein?
»Sieh mal«, sagte er. »Die Duncans und die McLords liegen schon seit langem im Krieg. Doch in diesem Jahr nahmen die Überfälle überhand. Jeden Tag müssen wir damit rechnen, dass sie erneut unsere Ländereien verwüsten, unsere Tiere töten oder gar Schlimmeres.«
»Wird Zeit, dass der Krieg beendet wird«, murmelte Margaret, die trotz der Hitze mit einer weißen Haube und einem langärmligen schwarzen Kleid angetan war und sich in der Halle zu schaffen machte.
»Was versteht du schon davon, Margaret”, erwiderte Susan aufgebracht. »Sollen die McLords als Feiglinge dastehen?«
Sie sah ihren Vater auffordernd an. Hamish McLord seufzte und lehnte sich tief in den Armlehnstuhl. In den vergangenen Tagen hatte er seine Jahre besonders gespürt. »Schon seit zweiundzwanzig Jahren tobt der Krieg. Margaret hat Recht. Es wird höchste Zeit, dass Frieden einkehrt. Ich bin der Fehde seit langem müde.«
»Vater! Wie kannst du so etwas sagen! Es ist keine Woche her, dass Lord Duncan dich vor dem Herzog lächerlich gemacht hat. Einen elenden Feigling hat er dich genannt. Dieb hat er gesagt. Heuchler und Bandit! Alle haben es gehört. Das darfst du nicht auf dir sitzen lassen! Die Duncans waren es, die den McLords vor zweiundzwanzig Jahren die Fischrechte am Trueless Lake streitig gemacht haben. Und die Duncans waren es auch, die behauptet hatten, wir hätten Rinder von ihren Weiden gestohlen wie gemeine Viehdiebe. Dabei haben wir uns nur geholt, was uns zustand. Schließlich waren es die Duncans, die sich unseren Zuchtbullen ›ausgeliehen‹ hatten. Das Gericht in Iverness hätte uns die Hälfte der Kälber zugesprochen, wenn Duncan den Richter nicht bestochen hätte.«
»Schnee von gestern«, brummte Margaret, riss einer Magd ein weiches Tuch aus der Hand und machte sich selbst daran, das Bienenwachs in den großen Eichenholztisch zu reiben. »So macht man das! Schau her!«, fuhr sie das Mädchen an, das mit großen Augen dabei zusah.
Susan aber stand hoch aufgerichtet in der Halle, straffte die Schultern und reckte das Kinn. »Ich jedenfalls werde niemals mit den Duncans Frieden schließen«, verkündete sie. »Ich werde nicht zulassen, dass die McLords in ganz Schottland als Schwächlinge und feige Memmen gelten. Ich werde für unser Recht kämpfen!«
»Du setzt dich hin und kämpfst erst einmal mit deinem Stickrahmen«, donnerte der Lord, dem die Widerworte nun doch zu viel wurden. »Hast du vergessen, wer in diesem Haus das Sagen hat?«
»Pah!«, erwiderte Susan, und ihre grünen Augen blitzten. »Wäre ich ein Junge, dann müsste ich ganz gewiss nicht hier sitzen und sticken.«
»Du bist aber kein Junge, sondern ein Mädchen, und du wirst dich wie ein Mädchen benehmen. Susan, du bist jetzt achtzehn Jahre alt. Die anderen Mädchen in deinem Alter sind schon verheiratet oder haben zumindest einen Bräutigam. Du aber sitzt am liebsten auf dem Rücken eines Pferdes und jagst durch die Gegend. Doch damit ist jetzt Schluss! Margaret hat ganz Recht. Es wird Zeit, dass du dich auf deine zukünftige Rolle als Ehefrau und Mutter vorbereitest.«
Wenn ihr Vater so sprach, gab es keine Widerrede mehr. Unwillig setzte Susan sich hin, nahm den Stickrahmen und fuhr mit der Nadel so heftig in den Stoff, dass er beinahe zerriss. Sie hatte die Unterlippe nach vorn geschoben und grummelte leise vor sich hin.
»Ich habe keine Lust, eine Frau zu sein. Ich möchte nicht den ganzen Tag in einer Burg sitzen und mich nur darum bekümmern, ob die Wäscherin die Tischtücher ordentlich sauber geschrubbt hat, ob die Köchin wirklich gut abgehangenes Fleisch für den Braten verwendet und die Mägde uns nicht bestehlen. Ich werde niemals ein Kräutergärtchen anlegen lassen und mit den anderen Burgfrauen Stickmuster austauschen. Ich werde mich nicht damit abfinden, dass alles, was außerhalb der Burgwände geschieht, für mich keine Bedeutung haben soll. Wenn ich überhaupt heiraten sollte, dann nur einen Mann, der mich behandelt wie seinesgleichen.«
Sie hatte sehr leise gesprochen, die Nase dicht über dem verhassten Stickrahmen.
Nach einer Weile sah sie auf und fragte ihren Vater: »Meinst du, wir haben heute einen Überfall der Duncans zu erwarten?«
Hamish McLord schüttelte den Kopf und deutete zur Tür, durch die ein gleißender Sonnenstrahl fiel. »Nicht bei dem Wetter! Nein, gewiss nicht. Diese Hitze macht das Kämpfen unmöglich. Denk nur an die schweren Kettenhemden!«
Susan sah zur Tür hinaus und überlegte. »Dann könnte ich ja ausreiten! Bitte Vater, lass mich. Nur eine einzige kurze Stunde.«
McLord stand auf und trat aus der Tür hinaus in den Burghof. Seine Augen suchten den Himmel ab, der wie ein mit Waid gefärbtes blaues Betttuch über den Hügeln Schottlands hing. Susan zögerte keine Sekunde und stellte sich neben ihn. Bittend sah sie ihn an.
»Gut«, sagte er. »Ich kann dich ja doch nicht davon abhalten. Aber warte noch ein wenig. Nach dem Abendläuten wird es nicht mehr so heiß sein.«
Margaret war hinzugekommen. Auch ihre Blicke glitten über den Himmel. »Ich werde mit dir kommen, Susan. An den Ufern des Trueless Lake werden wir vielleicht noch ein paar Kräuter finden, die ich für die Zubereitung einiger Heiltränke brauche.«
Susan verdrehte die Augen, denn sie wusste ganz genau, dass sie nun keineswegs mit Eisenherz, ihrem schwarzen Rappen, über das Land galoppieren konnte, sondern mit einem Weidenkörbchen in der Hand durchs Gebüsch kriechen musste. Ach, warum hatte Gott sie ausgerechnet zu einem Mädchen gemacht!
Der Trueless Lake lag wie ein funkelnder Kristall im Licht des langsam verlöschenden Tages. Ein leiser Wind war aufgekommen, der die Blätter der Bäume, die den See umstanden, geheimnisvoll raunen ließ. Es roch nach Wasser, nach Wald und Sommer. Noch immer war die Luft stickig und schwül, doch am Horizont zeichneten sich vor der sinkenden Sonne erste dunkle Wolken ab.
Margaret stieg langsam vom Pferd. Sie hatte inzwischen achtundfünfzig Sommer und vor allem Winter erlebt. Ihre Knochen waren alt. Im Winter war das Gliederreißen an kalten, feuchten Tagen so stark, dass sie nur mit Mühe gehen konnte.
Jetzt stemmte sie beide Fäuste in den Rücken und streckte sich.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte sie. »Es wird ein Gewitter geben, heute Abend noch. Ich spüre es deutlich in den Knochen.«
Susan nickte, immer noch ein wenig verstimmt, dass sie nicht weiter reiten durfte, und führte die Pferde zum See, damit sie trinken konnten. Danach band sie ihnen mit einem Strick die Vorderbeine zusammen, so dass sie zwar grasen, aber nicht davonlaufen konnten. Das war eine Aufgabe nach ihrem Geschmack. Sollte Margaret nur sehen, wie geschickt sie mit Pferden umzugehen verstand. Kräuter sammeln, pah!
Als sie sich von den Pferden abwandte, reichte Margaret ihr einen Korb und ein Messer, ebenjene, die Susan am frühen Nachmittag im Garten hatte stehen lassen. Margaret hatte bisher kein Wort darüber verloren, doch ein Blick in ihr Gesicht genügte, um Susan verlegen die Augen niederschlagen zu lassen. So sehr sie Margaret grollte, dass diese sie zu all diesen Frauenarbeiten zwang, so sehr liebte sie sie auch. Nun sagte Margaret: »Ich brauche Salbei, um daraus einen Hustentrank zu machen, außerdem Schafgarbe, ein bisschen Eisenhut, Arnika für die Salbe und die Blüten der gelben Brennnessel.«
Susan nickte und machte sich lustlos auf den Weg zur nahen Wiese. Wenn sie schon nicht reiten durfte, hätte sie viel lieber mit dem alten Schwert geübt, das sie in einem Speicher gefunden hatte, am besten einen wilden Kampf gegen unsichtbare Gegner. Margarets wegen aber hatte sie das Schwert heute zu Hause gelassen. Sie trug nur ihren Dolch, eine schöne Klinge, die sie von ihrem Vater zum zehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, in einer ledernen Hülle am Gürtel.
Sie hatte gerade erst eine Hand voll Salbei gesucht, als in der Ferne ein Donnergrollen hörbar wurde. Kurz darauf zuckte ein Blitz vom Himmel. Rasch begann Susan zu zählen. Fünf, formte sie mit den Lippen, als der nächste Donner grollte. Nur noch knappe fünf Meilen war das Unwetter also entfernt.
Sie richtete sich auf und studierte den Himmel.
Schwarz-violette Wolken mit schwefelgelben Rändern bauten sich im Norden zu riesigen Gebirgen auf. Der Wind war stärker geworden und trieb kleine Kräuselwellen über den See. Der nächste Windstoß zupfte kräftig am Rock ihres pflaumenblauen Kleids.
Susan schaute sich nach Margaret um. Als sie die alte Frau am Waldrand und in Rufweite mit gebücktem Rücken ungerührt ein paar Pflanzen schneiden sah, wandte auch sie sich wieder ihrer Arbeit zu.
Das Donnergrollen wurde lauter, die Blitze zuckten heftiger vom Himmel, die Wolken hatten sich in drohende Ungeheuer verwandelt.
»Wir werden es nicht mehr schaffen, nach Hause zu reiten, bevor das Unwetter losbricht«, rief Susan, richtete sich auf und rannte zum Waldrand.
Margaret sah zum Himmel. »Ein Gewitter aus dem Norden. Ich habe den Wind unterschätzt. Es wird schneller hier sein, als ich gedacht hatte. Du hast Recht, Susan. Der Weg zur Burg ist zu weit. Wir werden in der kleinen Jagdhütte Unterschlupf suchen müssen.«
»Psst, Margaret!«
Susan hatte einen Finger an die Lippen gelegt und lauschte angespannt. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Ich dachte, ich hätte etwas gehört. Aber wahrscheinlich war es der Wind. Wir müssen aufbrechen, Margaret. Bis zur Jagdhütte ist es nicht mehr weit. Geh du schon voraus.«
Susan ging zurück zum See. Die Pferde waren ein gutes Stück am Ufer entlanggelaufen. Eisenherz war unruhig und warf den Kopf hin und her.
»Was ist denn, mein Schwarzer?«, beruhigte ihn Susan. »Das Gewitter ist noch ein Stück entfernt; du musst keine Angst haben.«
Das Verhalten des Rappen verwunderte sie. Normalerweise hatte Eisenherz keine Furcht vor Gewittern.
Sie hielt ihn mit der rechten Hand am kurzen Zügel, und führte mit der linken Hand Margarets breite Schimmelstute. Wieder tönte ein Donnerschlag, so laut, dass selbst die behäbige Stute anfing zu tänzeln. Susan packte die Zügel fester und beschleunigte ihre Schritte. Der Himmel war auf einmal dunkelgrau, gewaltige Blitze zuckten und tauchten die Gegend für kurze Augenblicke in ein gespenstisches Licht.
Sie schaffte es gerade noch. Als die ersten Tropfen vom Himmel fielen, so schnell und hart, dass sie kleine Krater in den ausgetrockneten Waldweg rissen, band sie die Pferde an die Stange unter dem heruntergezogenen Dach der einfachen Jagdhütte und eilte hinein.
Margaret war bereits da. Sie saß auf der Eckbank und war gerade dabei, ein Wachslicht anzuzünden.
Draußen brüllte das Gewitter. Der Wind riss an den hölzernen Fensterläden, zauste die Blätter, beugte die Wipfel der Bäume und hämmerte gegen Türen und Wände. Das zuckende Licht der Blitze war so grell, dass es selbst durch die Ritzen der Holzläden drang.
»Lange her, seit so ein Gewitter über uns hereinbrach«, sagte Margaret und brachte endlich mit einem Zündschwamm das Wachslicht zum Brennen.
»Die alte Tess aus dem Dorf behauptet, Gewitter wären Zeichen Gottes. Warnungen an die Sündigen, ihre Schuld zu bekennen«, sagte Susan und lachte ein wenig, doch das Lachen klang schrill.
Margaret kannte Susan besser als sonst jemand. Sie wusste, dass das Mädchen trotz seines wilden Temperaments und seines Eigensinnes sehr empfindsam und nicht selten ein wenig ängstlich war. Zugeben würde Susan das aber nie, sie war eine echte McLord.
»Komm her«, sagte sie und breitete die Arme aus. »Du hast nichts zu fürchten, welche Sünde hättest du schon zu büßen?«
Susan lächelte, dann setzte sie sich neben die Kinderfrau und barg ihren Kopf am weichen, warmen, nach Frau duftenden Busen Margarets.
»Erzähl mir von früher«, bat Susan zwischen zwei Donnerschlägen. »Erzähl mir, wie es war, als du jung warst.«
Margaret lachte leise. So widerspenstig und eigensinnig Susan auch manchmal war, so verträumt und romantisch konnte sie sein, wenn sie mit ihr allein war. Sie hält an ihrer Kindheit und ihrer Freiheit fest, dachte die Kinderfrau, und kann doch die Sehnsucht nach dem Erwachsenwerden nicht unterdrücken.
»Ich habe dir diese Geschichten doch schon hundert Mal erzählt.«
»Ich weiß. Aber ich möchte sie trotzdem noch einmal hören. Wie war es, als du dich ... verliebt hast?« Ganz kurz erinnerte sich Susan an die beiden Bediensteten, die sich heute im Burgring so innig in die Augen gesehen hatten. Und an die sonnengebräunte Männerhand, die Cathy so behutsam berührt hatte.
»Nun gut, Kindchen. Ich war gerade so jung wie du, achtzehn, und fast genauso hübsch«, Susan lächelte, wie sie immer lächelte, wenn Margaret das sagte, »als ein neuer Geselle in der Werkstatt meines Vaters Arbeit fand. Er war der zweite Sohn eines ehemals begüterten Goldschmieds, dessen ganzer Besitz einem Brand zum Opfer gefallen war. – Ich weiß noch wie heute, was ich dachte, als ich ihn zum ersten Mal sah: Gott schütze dich, dachte ich, und kein Mensch hat mir je erklären können, warum ausgerechnet diese Worte in mir aufstiegen. – Peter war nicht groß, und er war auch nicht schön. Seine Nase war viel zu groß, der Mund so voll wie der eines Mädchens, das Haar zu dunkel und zu lang, die Augen dagegen hell wie ein Bergsee. Nie hatte ich mir einen Mann mit hellen Augen vorgestellt!
Er stand im Hof, beim Schuppen. Ich kam vom Markt. Es war laut, ich verstehe bis heute nicht, wieso er mich überhaupt bemerkte. Aber er wandte den Kopf zu mir. Er ließ die Hand mit dem Beil sinken, mit dem er gerade Brennholz für das kleine Feuer in der Werkstatt machen wollte, und sah mich an, als hätte er den Heiligen Geist gesehen. Unsere Blicke trafen sich, hielten sich aneinander fest, als wäre ein unsichtbares Band zwischen uns von der Hand Gottes geknüpft. Ja, so war es, Susan. Die großen Lieben werden von Gottes Hand geknüpft, und kein Mensch kann sich dem widersetzen.« Margaret seufzte tief.
»Wir sprachen kein Wort, wir mussten nichts sagen. Für das, was wir fühlten, gab es ohnehin keine Worte. Ich ging über den Hof, wie eine Puppe an die Fäden seiner Blicke geknüpft, und als ich im Haus angelangt war, wusste ich, dass ich nicht mehr die war, die am Morgen das Haus verlassen hatte. ›Ich und du, Peter und Margaret, sind zusammen mehr als nur zwei Menschen‹, sagte er eines Tages zu mir, und ich wusste, dass er Recht hatte.«
»Hast du ihn geliebt, Margaret?«
»Aber ja, sehr. Er war mein Leben.«
»Habt ihr euch geküsst ... ich meine, hast du mit ihm auch die ... äh ... Sachen gemacht, die Liebende miteinander tun?«
Margaret strich Susan leicht über das Haar und sah sie an. »Ja. Wir haben uns geküsst und auch das gemacht, was Liebende sonst noch zu tun pflegen. Und es war sehr, sehr schön, Susan.«
Das junge Mädchen schüttelte unwillig den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es schön ist, sich zu küssen. Wie kann mir die Spucke eines fremden Mannes schmecken? Ich kann mir auch nicht vorstellen, was daran schön sein soll, von einem Mann, nun, überall angefasst zu werden.«
Margaret zog die Augenbrauen leicht in die Höhe. »Die Liebe ist es, die diese Dinge schön und begehrenswert macht.«
Susan setzte sich auf und schüttelte sich. Wieder war sie verlegen, doch irgendetwas faszinierte sie an dieser geheimnisvollen Liebe. Nein, sie hatte kein Bedürfnis danach, die Liebe selbst zu erleben. Sie war Hamish McLords Tochter und war geboren, das Manor zu verwalten und gegen die Duncans Krieg zu führen. Die Liebe, wusste sie, verklärte den Blick und ließ selbst die schärfsten Ohren ertauben. Liebe war, wenn überhaupt, etwas für Friedenszeiten.
Sie selber wollte vor allem die Güter verwalten. Und das konnte sie nur, wenn sie unverheiratet blieb. War erst einmal ein Mann an ihrer Seite – sie wusste es –, dann war es vorbei mit der Unabhängigkeit. Er würde alles bestimmen wollen! Dann war sie gezwungen, ein Leben zu führen, das sie nicht mochte, und war von all den Dingen abgeschnitten, die sie mochte. Nein, die Liebe, das war etwas für andere. Nichts für sie, Lady Susan McLord.
Der Regen klopfte unvermindert heftig gegen die mit dünnem Pergament bespannten Fenster, die hölzernen Läden klapperten mit dem Wind um die Wette. Es war unmöglich, dass Margaret und Susan an einen Aufbruch denken konnten.
»Wir müssen über Nacht hierbleiben«, stellte Margaret fest. »Dein Vater wird sich Sorgen machen, aber daran lässt sich nichts ändern. Und zu essen haben wir auch nichts. Ich denke, je eher wir schlafen, desto schneller wird die Zeit vergehen.«
Verstohlen unterdrückte sie ein Gähnen. Susan nickte. Es war nicht das erste Mal, dass sie in der Hütte schlief. Sie fürchtete die Nacht hier nicht.
Sie stand auf, holte aus der alten Truhe ein paar Decken und bereitete daraus auf dem Boden ein Lager für Margaret und sich selbst. Margaret ließ sich seufzend darauf nieder.
Susan kuschelte sich mit dem Rücken eng an die Kinderfrau, zog die Knie hoch zur Brust, schlug die Decke über sich und war schon bald eingeschlafen.
Auch Margaret, erschöpft von den Anstrengungen des Tages, schlief rasch so tief und fest, als wäre sie in ihrem eigenen Bett.
»Still!« Die Stimme kam flüsternd aus der Dunkelheit. Die Männer blieben stehen und lauschten.
»Ich dachte, ich hätte das Schnauben eines Pferdes gehört«, sagte die Stimme nach einer Weile.
»Ich auch. Wir sollten zu dieser Jagdhütte hinübergehen und nachschauen, ob man uns einen Hinterhalt gelegt hat. Es ist McLord-Land«, flüsterte ein anderer.
»Bei diesem Wetter? Kein Mensch weiß, dass wir hier draußen sind. Wozu also ein Hinterhalt?«
»Um Wilderer zu fangen?«, fragte der zweite ein wenig spöttisch. Der erste fuhr auf.
»Ja, ich weiß«, fuhr der andere fort. »Das hörst du nicht gern. Trotzdem frage ich mich, was du hier mit einem toten Rebhuhn tust, das eigentlich McLord gehört.«
Der erste lachte leise. »Das Rebhuhn war ein Duncan-Rebhuhn. Die Jagd begann auf unserem Land! Vor jedem Richter kann ich das beschwören!!Und hätte das Unwetter nicht begonnen, wären wir auch längst wieder zu Hause.«
Im selben Augenblick war wieder das Schnauben zu hören. Die Männer, die in der Dunkelheit dicht beieinanderstanden, nickten sich zu.
Leise, fast unhörbar schlichen sie hinüber zur Jagdhütte. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen, die Wolken verzogen sich. Im schwachen Mondlicht waren die Hütte und die beiden Pferde, die unter dem Vordach standen, gut zu erkennen.
»Das ist Susan McLords Rappe«, sagte der, der zuerst gesprochen hatte. Seine Stimme klang vor Überraschung ganz dunkel. »Ich kenne ihn gut.«
»Lass uns gehen«, sagte der andere. »Ich glaube nicht, dass die junge Lady McLord hier in der Jagdhütte ist. Es ist eine Falle, Ethan, glaub mir doch.«
»Du bist ein Angsthase, Robert Peacock«, spottete der andere und schlich langsam weiter. Trotz seiner Größe und seiner breiten Schultern bewegte er sich geschmeidig.
Erst als ein Zweig knackte, blieb er stehen. »Kommst du endlich, Rob?«
»Ja. Ich bin dicht hinter dir.« Robert seufzte. Warum ließ er sich nur von Ethan immer zu solchen Abenteuern überreden?
Ethan Duncan blieb stehen und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Jagdhütte, die still und regennass vor ihm lag.
»Sie ist dort drinnen«, sagte er fest.
Robert legte ihm eine Hand auf den Arm. »Du bist verrückt. Wir sind Lords, Ethan, Männer von Ehre. Es ziemt sich nicht, eine wehrlose Frau zu überfallen.«
Ethan schlug unwirsch die Hand von seinem Arm. »Ehre, pah! Haben uns die McLords jemals mit Ehre behandelt? Sie haben uns bestohlen wie die geringsten der Diebe. Sie haben uns beleidigt und verhöhnt. Wir sind im Krieg, Robert. Und in einem Krieg wie diesem gibt es keine Ehre, nur Sieg oder Niederlage.«
Robert Peacock seufzte. Seit vier Jahren lebte er nun auf der Burg der Duncans. Er bewunderte seinen Vetter, aber er verstand ihn nicht.
»Der verdammte Krieg hat euch allen den Kopf verdreht«, tadelte er flüsternd. »Ihr könntet es so guthaben, könntet eure Schafe züchten, den Sommerwind, die Herbststürme und den Schneefall genießen, ihr könntet Feste feiern und müsstet euch nicht sorgen. Ihr könntet leben und lieben. Aber was macht ihr?«
»Halt den Mund, Robert. Du hast keine Ahnung. Das Leben in Schottland ist anders als in England. Wir sind anders.«
»Dumm seid ihr. Wisst ihr nicht, dass der Frieden das höchste Gut ist?«, fragte Robert.
Ethan breitete die Arme aus und grinste.
»Lass uns die Gelegenheit nützen. Wir werden Susan rauben. Dann wird uns Hamish McLord die Fischrechte am Trueless Lake übertragen, uns die Rinder zurückgeben und einen ordentlich gefüllten Sack mit Geld dazu. Schon ist der Frieden da. Siehst du, Robert, manchmal muss man vergessen, dass man ein Lord ist. Es geht schließlich um den Frieden.«
Robert Peacock hatte den Spott in der Stimme seines Vetters gut gehört. Er seufzte, denn er wusste, dass jede Erwiderung ungehört bleiben würde.
Aber was konnte man schon erwarten von einem jungen Mann, dem der Krieg zwar vieles, aber nicht das Liebste genommen hatte?
Das Gesicht Roberts verschloss sich. Er zog die Augenbrauen zusammen, so dass sich dazwischen eine tiefe Falte bildete. Vor seinem inneren Auge tauchten Bilder auf, die er dringend zu vergessen suchte. Vergeblich. Er sah die Burg seines Vaters vor sich. Flammen schlugen meterhoch aus den Fenstern. Er hörte die Pferde mit wild trommelnden Hufen gegen die Wände des brennenden Stalls schlagen. Er sah die Bediensteten, die kopflos hin und her liefen. Und er hörte den Schrei ..., den Schrei, der niemals mehr verklingen sollte.
Zorn stieg in ihm auf. Zorn auf die Männer, die so viel Leid über ihn gebracht hatten. Zorn auch auf Ethan, der sich einfach nicht vorstellen konnte, zu welchem Elend der Krieg führte.
Aber vielleicht hatte er dieses Mal sogar Recht. Vielleicht half die Entführung der McLord-Tochter tatsächlich, diesen Krieg zu beenden, noch bevor er Menschenleben forderte. Der Krieg, wusste Robert, war das gefräßigste Ungeheuer, das es auf dieser Welt gab. Nichts konnte seine Gier nach Blut stillen, nichts seinen Appetit auf Brand und Verwüstung. Noch war es hier nicht so weit, noch hatte der Krieg der beiden schottischen Clans keine Menschenleben gefordert.
Er seufzte noch einmal tief auf, dann schlich er seinem Vetter hinterher.
Das Gewitter hatte einen der hölzernen Läden beschädigt und das dünne Pergament vor dem Fenster zerrissen. Ethan und Robert spähten leise in die Jagdhütte. Es war so dunkel, dass sie kaum etwas erkennen konnten, doch plötzlich schob sich eine Wolke zur Seite und gestattete dem Mond, einen Silberstreif auf die Erde zu schicken. Sie konnten die beiden schlafenden Frauen auf dem Boden gut sehen. Es war eine ältere und ein junges Mädchen.
Unwillkürlich musste Robert lächeln, als er die schlafende Susan sah. Sie lag zusammengerollt wie ein Säugling da, hatte eine Faust vor ihrem Gesicht geballt und seufzte im Schlaf.
Er sah zu Ethan. In dessen Gesicht las er nur die Freude des Jägers, der sein Wild endlich aufgespürt hatte.
»Wir gehen hinein«, sagte er gerade. »Die Tür scheint nicht verschlossen. Du nimmst die Alte, und ich schnappe mir die McLord-Tochter.«
»Wäre es nicht besser, es umgekehrt zu machen? Susan kennt dich, mich aber hat sie noch nie gesehen. Der Überraschungseffekt wäre größer.«
Ethan kratzte sich am Kinn. »Wahrscheinlich hast du Recht. Sie ist imstande und brüllt die ganze Gegend zusammen, wenn sie mich erkennt.«
Die beiden Männer verzogen bei diesem Gedanken das Gesicht. Zwar war es unmöglich, dass hier im Wald irgendjemand etwas hören konnte, doch der Gedanke an eine kreischende, keifende oder vielleicht sogar weinende Frau bereitete ihnen Unbehagen.
Die Männer schlichen zur Tür, öffneten sie leise und betraten auf Zehenspitzen das kleine Jagdhaus. In der Dunkelheit war beinahe nichts zu erkennen, doch wieder kam ihnen der Mond zu Hilfe.
Robert schlich zu Susans Lager und hockte sich neben sie. Im Mondlicht schimmerte ihr Haar wie pures Silber. Auch die Haut ihrer Wangen schien mit Silber überstäubt. Doch plötzlich bewegte sie sich.
Robert handelte auf der Stelle. Er nahm seinen Umhang von der Schulter und legte ihn über Susan, so dass sie davon von den Haarspitzen bis zu den Zehen bedeckt war.
Im selben Augenblick erwachte Susan. Sie versuchte, den Umhang abzuwerfen, doch sie wurde von zwei starken Armen daran gehindert.
»Lass mich los, lass mich sofort los«, schrie sie und weckte Margaret damit. Doch die alte Frau befand sich schon in der Gewalt von Ethan Duncan. Sie konnte sich nicht rühren.
Susan aber strampelte wild, ja, sie biss sogar nach der Hand, die sie am Boden hielt.
Robert verzog den Mund vor Schmerz, doch er sagte keinen Ton, sondern hob die Strampelnde einfach auf und trug sie aus der Jagdhütte.
Dort warf er sich das schreiende Bündel einfach über die Schulter und machte Eisenherz los.
Susan brüllte aus Leibeskräften. »Ihr Duncan-Teufel, lasst mich auf der Stelle runter. In der Hölle sollt ihr schmoren, wenn ich nicht sofort auf meinen eigenen Beinen stehe. Feige seid ihr, feige wie immer! Wie könnt ihr es wagen, schwache Frauen im Schlaf zu überfallen? Zum Teufel mit euch!«
Robert tat sich schwer damit, Susan festzuhalten und gleichzeitig Eisenherz loszubinden, doch endlich hatte er es geschafft. Er warf Susan auf den Rücken des Pferdes, schwang sich selbst hinauf und gab Eisenherz die Sporen. Susan spürte noch die Bewegung des Pferdes, dann verlor sie das Bewusstsein.
Als Susan, die vor Wut und Luftmangel ohnmächtig geworden war, zu sich kam, sah sie als Erstes Margarets Gesicht über sich.
Sie schüttelte sich ein wenig und trank einen Schluck Wasser aus dem Becher, den die Kinderfrau ihr gereicht hatte. Die Erinnerung kam sofort zurück.
»Wir sind auf der Burg der Duncans, nicht wahr?«, fragte sie, und ihre Stimme klang dabei leise und dünn.
»Ja, das sind wir«, bestätigte Margaret.
Susan setzte sich auf und sah sich um. Sie waren in einer Kammer untergebracht, die gemütlich gewirkt hätte, hätte man sie verlassen können, wann immer man wollte. Aber Susan brauchte gar nicht erst an der Klinke zu rütteln, sie wusste auch so, dass die Tür verschlossen und wahrscheinlich obendrein noch bewacht war.
Der Raum war groß. Größer sogar als die meisten Kammern auf der Burg ihres Vaters. Die Wände waren mit Holz vertäfelt und mit gestickten Behängen bespannt. Unter dem Fenster stand eine hölzerne Bank, die mit weichen Schaffellen bedeckt war. Über dem reich geschnitzten Bett aus braungoldenem Holz hing ein Baldachin von rotem Samt. Gegenüber stand eine kleine Kommode mit einem silbernen Leuchter und ein paar Wachslichtern darauf. Daneben befand sich eine Kleidertruhe. Es gab zwei Armlehnstühle, die ebenfalls mit Fellen bedeckt waren, und einen kleinen Tisch, auf dem sich ein Krug und zwei Becher befanden.
Susan rümpfte die Nase. »Haben sie uns etwa ihr schönstes Gemach gegeben, um uns damit zu beeindrucken?«, fragte sie.
Margaret lächelte. »Ich hörte, wie Lord Duncan befahl, uns in das Zimmer seiner ältesten Tochter zu bringen, die vor zwei Jahren geheiratet und die Burg verlassen hat.«
»Oh, welche Ehre!«, spottete Susan, doch gleich darauf seufzte sie. »Was sollen wir nur tun, Margaret? Vater wird furchtbar wütend sein. Es ist sogar möglich, dass er alle unsere Krieger schickt, um uns zu befreien.«
Margaret schüttelte den Kopf. »Dein Vater ist ein kluger Mann, und er ist des Krieges müde. Wenn Duncan nur halbwegs annehmbare Bedingungen stellt, so wird unsere Gefangenschaft hier nicht allzu lange dauern.«
Susan nickte, dann fragte sie: »Weißt du eigentlich, wer uns hierhergebracht hat? War es Ethan?«
»Nun, der junge Lord wird wohl dabei gewesen sein.«
Susan nickte nachdenklich. Dann sprang sie auf, lief an das Fenster und sah hinaus. Sie musste in einem Turmzimmer sein, der Hof lag tief unter ihr. Viel zu tief, um hinauszuklettern. Sie blickte über die weite Landschaft, die im Morgengrauen ganz weich aussah. Ihr Blick glitt zum Horizont. Dort, in dichten Morgennebel gehüllt, erkannte sie die Burg ihres Vaters.
Sie schüttelte den Kopf. »Niemals«, sagte sie leise. »Niemals werde ich zulassen, dass es den Duncans gelingt, durch meinen Raub die Fischrechte und Rinder zurückzubekommen. Sie werden nichts als Ärger mit mir haben und sehr schnell einsehen, dass ich als Geisel nicht tauge.«
Sie hatte leise gesprochen, doch Margaret hatte sie gehört. »Susan«, bat sie. »Sei nicht stur. Lass die Männer miteinander verhandeln. Es wird Zeit, dass der Krieg endlich aufhört und das Land und wir zur Ruhe kommen. So alt du bist, Kind, hast du doch noch keinen einzigen Tag in Frieden gelebt. Deine Mutter – Gott habe sie selig – hätte sich für dich ein anderes Leben gewünscht.«
Susan fuhr herum. Ihre grünen Augen sprühten Funken. »Lass meine Mutter aus dem Spiel, Margaret. Sie hat nichts mit Krieg und Frieden zu tun. Das hier aber ist meine Sache. Endlich kann ich einmal beweisen, dass ich genauso klug und kämpferisch bin wie ein Mann.«
»Willst du die Duncans etwa zum Zweikampf fordern?«, fragte Margaret.
Susan warf ihr langes Haar nach hinten und reckte das Kinn. »Das ist vielleicht nicht dein bester Einfall, Margaret, aber wenn es sein muss, dann eben ein Zweikampf.«
Mit diesen Worten wandte sie sich wieder dem Fenster zu.
Margaret aber seufzte, dann setzte sie sich auf die Bettkante und begann zu beten.
Die Sonne hatte ihren höchsten Stand noch nicht erreicht, als die Tür plötzlich aufgeschlossen wurde.
Eine Magd, dieselbe, die ihnen das Frühstück und das Waschgeschirr gebracht hatte, trat in das Zimmer und verneigte sich.
»Der Herr lässt Euch in die Halle bitten«, sagte sie höflich und trat einen Schritt zur Seite, um einen von Duncans Männern in die Kammer zu lassen.
Susan betrachtete die Magd und den Kriegsknecht, der es an Jahren ganz bestimmt mit Margaret aufnehmen konnte.
»Duncan kann den Teufel in seine Halle bitten, wenn er Lust dazu hat. Mich aber müsste er schon gefesselt hinuntertragen.«
Ihr Blick glitt über den Knecht, dann lächelte sie spöttisch. »Hat Duncan nicht mehr aufzubieten? Ihr kippt wahrscheinlich schon vom Pferd, wenn nur eine Fliege gegen Euren Schild prallt.«
Der Mann lächelte und schwieg. Im selben Augenblick kam Margaret hinter dem Vorhang, der ihre Schlafstatt von der Kammer abtrennte, hervor.
»Sprich nicht so, Susan«, tadelte sie, dann wandte sie sich zu dem Mann – und blieb wie angewurzelt stehen. Sie sah ihn an, und auch der Mann starrte auf die Kinderfrau, als hätte er noch nie eine solche gesehen.
Margaret öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wolle, doch dann schluckte sie nur und schloss ihn wieder. Eine leichte Röte hatte ihre Wangen überzogen und die blauen Augen mit einem Glanz versehen, der dem Anblick des Trueless Lake bei strahlendstem Sonnenschein glich.
Susan runzelte die Stirn. »Was ist nun?«, fragte sie schnippisch.
Der Mann fasste sich wieder, verbeugte sich höflich vor Margaret und sagte, ohne auf Susan zu achten: »Gestattet, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Thomas. Ich stamme aus dem Geschlecht des Kingard-Clans und bin ein Vetter dritten Grades von Lord Duncan. Der Herr lässt Euch und Euren Zögling in die Halle bitten.«
Margaret senkte bescheiden den Kopf, aber Susan herrschte den Mann an. »Das wissen wir bereits. Sagt Eurem Gebieter, dass wir keine Lust auf eine Plauderei verspüren.«
Mit diesen Worten wandte sie sich um, trat zurück zum Fenster und sah hinaus, als hätte sie die anderen längst vergessen.
Thomas nickte, verbeugte sich noch einmal vor Margaret, dann verließ er, gefolgt von der Magd, die Kammer. Die beiden Frauen hörten, wie die Tür ins Schloss fiel und der eiserne Schlüssel herumgedreht wurde.
»Ich weiß nicht, ob deine Absage klug war, Susan. Wir sind in den Händen der Duncans. Es wäre gut, wenn wir sie nicht erzürnen«, tadelte Margaret.
»Pah!«, machte die junge Lady. »Was verstehst du schon vom Krieg? Es ist nicht gut, wenn man ihnen aus der Hand frisst wie ein Hundewelpe. Ich werde das sicher nicht tun!«
Margaret seufzte und verschwand hinter dem Vorhang.
Zwei Stunden später rief die Glocke der nahen Kirche die Gläubigen zur Vesper.
Susan, die die ganze Zeit darüber nachgedacht hatte, was die Duncans planten, wurde langsam unruhig. Sie hatte damit gerechnet, dass ihre Absage nicht so ohne weiteres Eingenommen werden würde. Doch nun bekam sie es allmählich mit der Angst zu tun. Was planten die Duncans? Susan versuchte sich so weit es ging aus dem Fenster zu beugen, doch die Gitterstäbe versagten ihr den Blick auf den Burghof. Sie lauschte angestrengt, doch waren weder das Klappern von Pferdehufen noch Waffengeklirr zu hören. Im Gegenteil, die Burg lag so ruhig und friedlich da, als wäre es der heilige Sonntag.
»Wenn ich nur wüsste, was sie vorhaben«, sagte sie laut vor sich hin.
»Du wüsstest es, wenn du Duncans Aufforderung gefolgt wärest«, teilte Margaret mit. »Dein Vater wird unterdessen gemerkt haben, dass unser Ausbleiben nicht nur dem Gewitter zuzurechnen ist. Es kann gut sein, dass er bereits einige Männer hierhergeschickt hat.«
Susan zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. »Ich werde an die Tür klopfen und mitteilen lassen, dass ich nun zu einem Gespräch bereit bin«, sagte sie und sah an sich herab.
Nein, wie eine Lady sah sie wirklich nicht aus. Sie trug ein einfaches Kleid aus einem feinen, pflaumenblauen Wollstoff, das am Oberkörper so eng lag, dass man ihre kurvenreiche Figur gut erkennen konnte. Aber das Kleid war wahrlich kein Kleid für eine Lady. Es war einfach geschnitten, wies weder Stickereien noch Perlen auf, dafür war der Saum mit Dreck bespritzt. Susan trug keinen Schmuck. Sogar ihr Haar hatte sie nur mit einem einfachen Samtband und nicht mit einer silbernen Spange auf dem Rücken zusammengefasst.
»Ich sehe aus wie eine unserer Mägde«, stellte sie fest und bereute zum ersten Mal in ihrem Leben, so wenig auf ihr Äußeres geachtet zu haben.
»Da hast du Recht«, stellte Margaret fest, doch sie kannte Susan nicht anders. Ihr Zögling hatte sich noch nie für Schmuck oder Frisuren, für Kleiderstoffe und Haarbänder interessiert. Einzig die Zweckmäßigkeit war für Susan von Bedeutung gewesen.
Das Mädchen löste ihr Haar, kämmte es so gut es ging mit den Fingern durch, dann ließ sie sich von Margaret einen Zopf flechten.
Als sie ihr Kleid geglättet hatte, klopfte Susan schließlich an die Tür. Eine Magd öffnete ihr sofort.
»Was befehlt Ihr, Herrin?«, fragte sie.
»Ich möchte Lord Duncan sprechen. Bringt mich in die Halle. Jetzt!«, verlangte sie im Ton einer Amazone.
»Der Herr hat mir aufgetragen, alle Eure Wünsche zu erfüllen, doch muss ich vorher um seine Erlaubnis bitten, Euch in die Halle geleiten zu dürfen.«
Susan schnaubte, doch die Magd hatte die Tür schon wieder verschlossen. Eilige Schritte entfernten sich.
»Das ist doch die Höhe«, erregte sich Susan. »Was glaubt dieser Duncan eigentlich, wer er ist? Wie kann er eine Lady warten lassen?”
Margaret lachte trotz der Furcht, die sie beschlichen hatte, seit sie auf dieser Burg waren. »Ich denke, du legst keinen Wert darauf, wie eine Lady behandelt zu werden? Nun, Lord Duncan wendet die gleichen Mittel an wie du. Er möchte wahrscheinlich herausfinden, wer die besseren Nerven hat.«
Es dauerte bis zum nächsten Läuten der Kirchenglocke, als endlich der Schlüssel im Schloss knirschte und die Tür geöffnet wurde.
Die Magd hatte den Bediensteten von zuvor mitgebracht. Der Mann trat auf Susan zu und reichte ihr höflich den Arm, doch Susan warf ihm einen verächtlichen Blick zu, raffte mit beiden Händen ihren bodenlangen Rock und rauschte zur Tür hinaus.
Margaret aber nahm den Arm des Mannes und errötete dabei wieder ein wenig.
In der Halle ging es lebhaft zu. Obwohl die Hitze der letzten Sommertage auch heute wie ein glühendes Tuch über der schottischen Landschaft hing, war es kühl. Susan betrat die Halle, blieb stehen und sah sich, ohne die Anwesenden auch nur eines Blickes zu würdigen, ausgiebig um.
In der Mitte der Halle stand ein großer Kamin, der bei diesem Wetter natürlich nicht brannte. Davor gruppierten sich zahlreiche bequeme Armlehnstühle, die es an Pracht durchaus mit den Möbeln auf der McLord-Burg aufnehmen konnten.
An den Wänden hingen kostbare Seidenteppiche, der Parkettboden war mit duftenden Binsen bestreut. An den Wänden der Halle standen reich geschnitzte Truhen und Schränke, die ahnen ließen, dass die Dinge darin ebenfalls von Wert waren.
Neben dem Kamin befand sich ein großer Tisch, der von Bänken umgeben war. An der Stirnseite aber prangte ein großer Lehnstuhl mit geschnitzten Lehnen und dicken Polstern, in dem Lord Duncan saß. Er war ein wenig kleiner als Hamish McLord, und auch die Schultern waren nicht ganz so breit, dafür wirkte er wendig. Sein sandfarbenes Haar, das bereits graue Strähnen aufwies, war ordentlich frisiert, der Kinnbart sorgfältig gestutzt. Er trug ein dunkelblaues Wams und darunter Strumpfhosen aus feinem Wollstoff.
»Nun«, fragte er, ohne den leisen Spott in seiner Stimme zu unterdrücken. »Findet unsere Einrichtung Euern Gefallen?«
Susan rümpfte die Nase und wies mit dem Finger auf einen der Wandbehänge. »Die Stelle dort ist verschlissen. Und da«, sie zeigte auf einen anderen Behang, »da ist ein Fleck.«
Lord Duncan lachte. »Ihr habt einen scharfen Blick für den Haushalt, Lady Susan. Nicht das, was man von einem Mädchen erwartet, das wild aufgewachsen ist, wie man hört. Wäre die Stelle frei, hätte ich Euch sofort zur obersten meiner Mägde bestimmt.« Wieder lachte er und schlug sich dabei auf die Schenkel.
Susan warf den Kopf nach hinten und betrachtete die anderen Anwesenden, die um den Tisch herum saßen und Becher mit selbst gebrauten und würzig duftendem Ale vor sich stehen hatten.
Sechs Leute hatten sich in der Halle versammelt. Sie kannte davon nur den alten Lord Duncan und seinen Sohn und Erben Ethan, der seinen Vater nicht nur um einen ganzen Kopf überragte, sondern auch einen so breiten Brustkorb besaß, dass das Wams spannte. Seine rotbraunen Haare hingen in wirren Strähnen um seinen Kopf und gaben ihm ein verwegenes Aussehen. In seinen wasserblauen Augen blitzte Übermut und Spott. Eine junge Frau saß neben Ethan, die in ein kostbares Kleid aus heller Seide gehüllt war. Auf dem schimmernden rotblonden Haar thronte ein Reif, der mit seltenen Steinen besetzt war, und in ihrem Ausschnitt hing eine schwere Goldkette mit einem kirschgroßen Rubin als Anhänger.
Das muss Eleanor, die jüngste Tochter Lord Duncans sein, dachte Susan und reckte das Kinn noch ein wenig höher.
Sie spürte Eleanors Blicke wie Nadelstiche über ihren Körper gleiten. Sie fühlte sich betrachtet und abgeschätzt, als wäre sie ein Schaf, das es zu verkaufen galt.
Empörung wallte in ihr hoch, doch da hörte sie plötzlich Eleanor sagen: »Du hast Recht, Vater, wir könnten die Tochter Lord McLords gut als Magd beschäftigen. Das passende Kleid dafür trägt sie ja schon.«
Susan setzte gerade zu einer patzigen Antwort an, als ihr Blick auf einen Mann fiel, der auf Ethans anderer Seite saß. Der Mann war von edlem Wuchs, sein Gesicht fein geschnitten mit einer etwas zu großen Nase und einem kantigen Kinn. Das dunkle Haar trug er in einem Zopf, der ihm bis über den Kragen reichte. Graue Augen musterten Susan aufmerksam, und den schmalen Mund umspielte ein Lächeln. Sie hatte den Mann noch nie gesehen, doch sie ahnte, dass es sich bei ihm um ein Mitglied der Familie oder aber um einen Freier Eleanors handeln musste.