Die Liebe der Olivenhändlerin - Laura Thorne - E-Book

Die Liebe der Olivenhändlerin E-Book

Laura Thorne

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Beschreibung

Ein Funke, der zu einem Feuer der Leidenschaft wird … Toskana, 15. Jahrhundert. Als Tochter von Olivenhändlern zieht die junge Rosaria Jahr für Jahr durch ihre italienische Heimat. Sie liebt das Geschäft ihrer Familie und arbeitet leidenschaftlich daran, neue Salben und Heilmittel aus den Oliven zu kreieren. Nie hat sie sich nach einem anderen Leben gesehnt – bis sie dem Adeligen Giacomo di Algari begegnet. Von ersten Augenblick spürt Rosaria ein geheimnisvolles Band zwischen sich und dem gutaussehenden Conte und auch Giacomo kann seine Faszination für sie nicht verbergen. Doch er ist bereits der reichen Kaufmannstochter Isabella versprochen, die bereit ist alles zu tun, um ihre Rivalin aus dem Weg zu räumen …  Ein bewegender historischer Liebesroman für alle Fans von Iny Lorentz.

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Seitenzahl: 411

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

 

Toskana, 15. Jahrhundert. Als Tochter von Olivenhändlern zieht die junge Rosaria Jahr für Jahr durch ihre italienische Heimat. Sie liebt das Geschäft ihrer Familie und arbeitet leidenschaftlich daran, neue Salben und Heilmittel aus den Oliven zu kreieren. Nie hat sie sich nach einem anderen Leben gesehnt – bis sie dem Adeligen Giacomo di Algari begegnet. Von ersten Augenblick spürt Rosaria ein geheimnisvolles Band zwischen sich und dem gutaussehenden Conte und auch Giacomo kann seine Faszination für sie nicht verbergen. Doch er ist bereits der reichen Kaufmannstochter Isabella versprochen, die bereit ist alles zu tun, um ihre Rivalin aus dem Weg zu räumen …

eBook-Neuausgabe September 2025

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel »Medaillon des Schicksals« bei Ullstein.

Copyright © der Originalausgabe 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © STwul / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock / shutterstock AI

eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (mm)

 

ISBN 978-3-69076-102-4

 

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected] .

 

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Laura Thorne

Die Liebe der Olivenhändlerin

Roman

 

Prolog

Toskana, im späten. 15. Jahrhundert

 

»Wenn ein Käuzchen ruft, stirbt ein Mensch.« Die Magd starrte angstvoll aus der Küchentür hinaus auf den dunklen Burghof und bekreuzigte sich.

»Halt den Mund, dummes Ding. Sieh lieber zu, dass das Wasser im Kessel heiß wird. Und bring Tücher herbei, weiße Leinentücher. Könnte sein, dass wir sie bald brauchen.«

Die alte Hebamme versetzte der Magd, die noch immer wie erstarrt dastand, einen Klaps auf die Schulter, schüttelte den Kopf und lauschte nun selbst dem Ruf des Käuzchens.

»Kju-wick, kju-wick«, drang der Schrei des Totenvogels klagend durch die dicken Wände der Burg. Die Hebamme zog die Schultern hoch und flüsterte einige Worte, die in den Ohren der Magd wie magische Beschwörungen klangen; dann lief sie, so schnell ihre alten Beine es vermochten, nach oben in das Gebärzimmer.

Leise betrat sie den Raum, der nur von einigen Talglichtern erhellt war, die gespenstische Schatten an die Wand malten. Der Mondschein, der durch die Fensteröffnung fiel, tauchte die Szenerie in ein kaltes Licht, das die Stimmung in dem Raum noch hoffnungsloser erscheinen ließ.

Ein Raum des Lebens, der den Atem des Todes und der Verzweiflung beherbergt, dachte die Hebamme und seufzte. Nicht einmal die spärlichen, doch überaus kostbaren Möbel konnten daran etwas ändern, nicht das Bett mit den kunstvollen Schnitzereien aus einer florentinischen Werkstatt, nicht die Vorhänge aus dunkelblauem Samt, nicht einmal der Kamin, in dem einige Zedernholzscheite schwach glommen.

Die alte Rosalba, die seit Jahrzehnten auf der Burg der di Algaris half, die Kinder zur Welt zu bringen, fröstelte, obwohl die Nacht warm und voller Duft war, der aus den Oleanderbüschen des Burggartens in die Kammer drang und vom nahenden toskanischen Sommer mit blühenden Feldern und heißen Sonnentagen erste Kunde brachte.

Sie trat an die Bettstatt der Burgherrin und sah mitleidig auf die gebärende Frau hinab. Contessa Donatella di Algari wand sich in Schmerzen. Das Haar hing ihr in nassen Strähnen ins Gesicht, die Stirn war schweißgebadet, die Augen gerötet, die Lippen geschwollen und blutig gebissen. Das zarte, schmale Gesicht mit den großen dunklen Augen, das noch vor wenigen Jahren für seine Schönheit berühmt gewesen war, war leichenblass und vorzeitig gealtert. Nicht einmal 26 Jahre zählte die Contessa, und doch sah sie nun wie eine alte Frau aus, der sich Kummer und Sorgen tief ins Antlitz gegraben hatten. Selbst das Haar, rot und lockig einst, war von einzelnen grauen Strähnen durchzogen.

Wieder drang ein qualvolles Stöhnen aus dem Mund der Contessa, dann folgte ein heiseres Flüstern: »Rosalba, wird es ein Junge werden?«

Die Hebamme zuckte die Schultern. »Ich bete darum, mein Kind. Gleich wirst du es überstanden haben.«

Die Contessa schloss erschöpft die Augen, während Rosalba ihr mit einem essiggetränkten Tuch die Stirn abtupfte.

Wieder kam eine Wehe, die so heftig war, dass sich die Contessa schreiend auf dem Lager herumwarf und sich schließlich in einem der Kissen verbiss. Beruhigend strich die Hebamme ihr über den aufgetriebenen Leib und hielt ihre Hand.

»Wenn es ein Mädchen wird, Rosalba ...« Ein erneutes Stöhnen unterbrach die Rede der Contessa. »Wenn es ein Mädchen wird, dann wünschte ich, ich würde mit ihm im Kindbett sterben.«

»Rede nicht so. Du versündigst dich«, erwiderte die Alte und konnte doch den Wunsch ihrer Herrin nachfühlen. Sie hatte es schwer auf dieser Burg, die junge, zarte Frau. So schwer, dass sich seit Jahren ein Ausdruck in ihre Züge gegraben hatte, der an Todessehnsucht gemahnte.

»Doch, Rosalba, ich meine es ernst. Versprich mir, dass du mir sterben hilfst, wenn ich wieder nur ein Mädchen zur Welt bringe. Und bitte, Rosalba, gib das Mädchen zu guten Leuten. Zu guten Leuten und weit weg von der Burg.«

»Nein, Contessa Donatella, nein!« Die Hebamme wurde ärgerlich. So ärgerlich, dass sie die Contessa, die sie seit ihrer Geburt kannte, offiziell anredete. »Ihr werdet leben und Euer Kind auch. Vergeudet Eure Kraft nicht mit unnützen Worten.«

Die Contessa winkte müde ab, ihre Augen verloren sich ins Weite. Rosalba wusste genau, woran die Contessa dachte.

Conte Giovanni di Algari, Burgherr und Ehemann der Contessa Donatella, hatte verkündet, dass er seine Frau verstoßen würde, wenn diese wieder ein Mädchen, das dritte nun, zur Welt brächte.

»Ich brauche einen Erben, einen kräftigen Burschen will ich«, hatte er mit dröhnender Stimme dem gesamten Hof verkündet. »An nichtsnutzigen Weibern habe ich reichlich. Wenn die Contessa mir keinen Erben schenken kann, nun, dann muss sie gehen und einer anderen Platz machen. Sie taugt ohnehin nichts mehr, ist alt vor der Zeit und mir nur noch eine Plage. Die Mädchen soll sie mitnehmen. Kosten nur Geld, die Weiber, Geld für den Putz, und obendrein muss eine Aussteuer bezahlt werden. Soll sie ins Kloster gehen, die Contessa, und die Schreihälse mitnehmen. Zum Beten werden sie schon taugen, wenn sie auch sonst zu nichts zu gebrauchen sind.«

Die Bediensteten hatten bei diesen harten Worten betreten vor sich hingestarrt oder aber der Contessa, die ihre ganze Kraft aufgeboten hatte, um nicht in Tränen auszubrechen, mitleidige Blicke zugeworfen. Doch helfen konnten sie ihr nicht, so gern sie es auch gewollt hätten. Die Grausamkeit und Härte des Conte di Algari waren ein Thema, über das in der ganzen Toskana gesprochen wurde, und jeder, der die Contessa kannte, war angetan von ihrer Güte und Großzügigkeit – und bemitleidete die junge Frau auf das Tiefste. Jeder hier wusste, dass der Conte ein Spieler war, ein Saufbruder, der stets Händel suchte und Frau, Kinder und Bedienstete bis aufs Blut quälte.

»Ich wünschte, ich würde sterben«, flüsterte die Contessa erneut und sah die Hebamme mit einem flehenden Blick an.

»Was wird dann aus deinen beiden Töchtern?«, fragte Rosalba leise, doch die Contessa antwortete nicht. Eine neue Welle des Schmerzes durchfuhr sie. Ein Schrei entriss sich ihrer Kehle, dann krümmte sie sich, während die Hebamme zwischen ihren Schenkeln das Köpfchen eines Säuglings erblickte.

»Pressen, pressen, Donatella, gleich hast du es geschafft.«

Noch einmal schrie die Frau, noch einmal überrollte der Schmerz sie wie eine große dunkle Welle, da umfasste die Hebamme mit beiden Händen das Köpfchen und holte mit geschickten Griffen das Kind auf die Welt.

Sie nahm es hoch, warf einen kurzen Blick auf das Geschlecht des Säuglings, seufzte, wickelte es sogleich in ein Tuch und gab ihm einen Klaps auf den Po. Der Säugling schrie und verkündete mit aller Kraft der Welt seine Ankunft.

»Was ist es?«, fragte die Contessa Donatella mit angstvoller Stimme.

»Es ist alles in Ordnung, das Kind ist gesund und kräftig, wie du hörst. Du musst nun schlafen und dich ausruhen«, erwiderte die Hebamme und reichte der völlig erschöpften Frau einen starken, würzigen Trunk. Dann nahm sie den Säugling auf den Arm und sah zu, wie die Contessa allmählich langsam und gleichmäßig atmete und schließlich die Augen schloss. Rosalba wickelte den Säugling in ein zweites, warmes Tuch, nahm aus der Schatulle, die auf dem gemauerten Kamin stand, ein goldenes, fein gearbeitetes Medaillon mit dem Wappen der Familie di Toscani, aus der die Contessa Donatella stammte, legte es dem Neugeborenen behutsam um den Hals und verließ mit ihm heimlich, still und leise die Kammer. Im Schutz der Dunkelheit eilte sie über den Burghof und verschwand schließlich hinter dem Burggarten in dem kleinen Wäldchen, das zwischen der Burg und dem Dorf lag.

Obwohl der Trunk der Hebamme stark war, schlief die Contessa nicht sofort ein. Sie hielt die Augen geschlossen und versuchte, die heißen Tränen, die sich hinter ihren Lidern drängten, zurückzuhalten. Doch es gelang ihr nicht.

Sie dachte an ihr Leben auf der Burg. All die Jahre, die sie nun schon hier lebte, zogen wie eine Reihe Bilder vor ihrem inneren Auge vorbei. Donatella erinnerte sich an den jungen, starken Mann, der um sie gefreit hatte. Charmant war er gewesen, doch der Charme hatte seine mangelnden Manieren, die Rohheit und auch das Machtgebaren nicht gänzlich überdecken können. Donatella hatte sich vom ersten Tag an gefürchtet vor diesem Mann. Doch Widerspruch hatte sie nicht gewagt. Die Eltern suchten die Ehemänner der Töchter aus. Geld wurde mit Geld, Land mit Land, Besitz mit Besitz verheiratet. Persönliche Sympathien spielten hierbei keine Rolle, und Liebe war etwas für Träumer. Und das Land des Conte di Algari grenzte nun mal an den Besitz der di Toscanis. Eine Verbindung mit den Nachbarn war erstrebenswert, und so wurde dem Conte die jüngste und hübscheste Tochter zur Ehe versprochen. Versehen mit einer reichlichen Mitgift, wurde vor dem Traualtar aus Donatella di Toscani die Contessa Donatella di Algari.

Das war jetzt acht Jahre her. Und seit diesem Tag, so schien es der Contessa, hatte über der Toskana die Sonne dunkler geschienen. Am Anfang hatte ihr Mann noch Gefallen an ihr gefunden, doch bald schon kamen die ersten Gewalttätigkeiten, denen die junge Contessa vollkommen hilflos ausgeliefert war. Als dann bei der Geburt der erste Sohn starb und sie selbst nur um ein Haar dem Tod entronnen war, hatte sich ihr Schicksal noch verschlimmert. Schimpf und Schande den ganzen Tag, nie ein gutes Wort oder eine Zärtlichkeit. Der Conte begann zu trinken und sich mit den Mägden zu vergnügen. Seine Frau suchte er nur noch auf, wenn ihm das Erbe in den Sinn kam. Zwei Töchter waren auf diese Weise entstanden. Zwei Töchter, die sie innig liebte, weil sie alles waren, was Donatella di Algari auf der Welt besaß.

Ein Jahr ums andere war so vergangen, und aus der jungen, strahlend schönen Frau war eine müde und vom Leben erschöpfte und enttäuschte Frau geworden, die sich die Tage mit Sticken und Beten vertrieb. Nur selten verließ sie ihre Gemächer, nahm kaum je an den Lustbarkeiten und Jagden auf der Burg teil und wäre wohl selbst bei den Bediensteten in Vergessenheit geraten, hätte ihre Freundlichkeit und Großzügigkeit nicht dazu beigetragen, dass ein jeder hier Mitleid mit ihr empfand.

Donatella seufzte, dachte an das Kind, das sie gerade geboren hatte, und betete leise für das arme Wesen, wie sie es im Stillen nannte. »Gnädige Madonna, vergib mir und behüte das Kind.«

Ein altes toskanisches Sprichwort fiel ihr ein, welches da lautete: ›Wird ein Kind mit einem Lachen gemacht, so lacht ihm das Leben. Wird ein Kind im Weinen gemacht, so sind seine Wege von Tränen getränkte

Und sie dachte an den Tag, an dem dieses Kind in ihrem Leib gezeugt wurde. Gezeugt unter Tränen ...

Wieder hatte der Conte Giovanni di Algari dem Chianti kräftig zugesprochen. Und wieder einmal musste er seine Manneskraft unter Beweis stellen. Roh trommelte er des Nachts an die Kammertür der Contessa, während sie selbst angstvoll im Bett kauerte und ihre Töchter an sich presste.

»Mach auf, verdammtes Weib. Mach auf, wenn dein Mann zu dir will.«

»Giovanni, denk an die Kinder. Bitte, lass mich.« »Mach auf, sonst schlage ich dich windelweich.« »Giovanni, bitte!«

Doch alles Bitten und Flehen wollte nichts nutzen. Der Conte sprengte mit kräftigen Fußtritten die Kammertür, schleifte die beiden weinenden Mädchen brutal an den Haaren aus der Kammer und schlug der Contessa wegen ihres Ungehorsams die Faust ins Gesicht, dass die Lippe aufsprang und ihr das Blut aus der Nase sprudelte. Dann stieß er sie rüde zurück auf die Bettstatt, riss ihr Nachtgewand auf und knetete ihre Brüste, dass die Contessa vor Schmerz aufschrie.

»Das gefällt dir, gib es zu, dass es dir gefällt. Allen Weibern gefällt das«, brüstete er sich und griff seiner Frau so fest in das lange Haar, dass sie vor Schmerz das Gesicht verzog.

»Sag, dass es dir gefällt«, verlangte er.

»Ja, es gefällt mir«, flüsterte Donatella di Algari mit erstickter Stimme.

»Ja, ich weiß, was ihr Weiber braucht. Einen Mann braucht ihr, einen richtigen Mann, der euch rannimmt und euch die Geilheit aus den Gliedern treibt.«

Mit brutalem Griff spreizte er ihr die schlanken Schenkel, zwängte seinen massigen Körper dazwischen und drang rücksichtslos in sie ein.

Die Contessa hatte allen Widerstand aufgegeben. Wie gelähmt lag sie unter ihrem Mann, roch dessen Weinatem, sah den harten Blick, spürte die groben Hände und erduldete die Schändung, die er an ihr verübte, in einer Art Erstarrung.

Als er endlich von ihr abließ, schmerzten ihre Brüste; wie sie aus Erfahrung wusste, würden sie am nächsten Tag blaue Flecken aufweisen.

»Ich will, dass du dich bei mir bedankst«, dröhnte der Conte und richtete seine Beinkleider.

»Ich danke dir«, flüsterte die Contessa und hoffte, dass er für dieses Mal genug von ihr hatte und sie endlich allein ließ.

Mit einem Grunzen schaute der Mann auf die geschändete Frau, spuckte noch einmal aus und verließ die Kammer.

Ekel schüttelte die Contessa, und sie erhob sich von ihrem Lager, schlich mit schmerzendem Schoß in die angrenzende Kammer und ließ sich von einer Magd den Waschzuber mit heißem, fast noch kochendem Wasser füllen.

Das Wasser drohte sie zu verbrühen und färbte ihre zarte Haut in Sekundenschnelle krebsrot, doch die Contessa Donatella di Algari biss die Zähne fest zusammen und betete, dass sein Samen sich nicht in ihr festgesetzt habe. Mit einer Bürste schrubbte sie ihren ganzen Körper, bis die Haut fast zu bluten begann; sie wollte die Demütigung und Gewalt wegschrubben, doch es gelang ihr nicht.

Auch nach dem Bad fühlte sie sich beschmutzt und wusste, dass dieses Gefühl sie lange nicht verlassen würde.

Schon wenige Wochen später ahnte sie, dass sie in dieser Nacht schwanger geworden war. Ihre Brüste spannten, die morgendliche Übelkeit verargte ihr jedes Frühstück, ihre Regel war ausgeblieben.

»Ich möchte kein Kind, das im Weinen gemacht wurde«, klagte sie, doch das Kind gedieh und fühlte sich wohl in ihrem Leib.

Fast war sie froh gewesen, als der Conte nach Bekanntgabe ihrer Schwangerschaft verkündet hatte, er werde sie verstoßen, falls sie noch einmal, zum dritten Mal, eine Tochter zur Welt brächte – hätte sie nicht an das arme Wesen, das in ihr heranwuchs, denken müssen. Das arme, unschuldige Wesen, das noch nicht einmal geboren, doch schon jetzt einen Weg voller Tränen vor sich hatte.

Für sie selbst gab es keine Hoffnung, keine frohe Stunde mehr auf dieser Burg, das wusste sie. Darum machte ihr der Gedanke, von ihrem Mann verstoßen zu werden, auch nichts aus. Das Gerede der Leute kümmerte sie nicht, und auch das karge Leben in einem Kloster erschien ihr geradezu erstrebenswert. Doch um keinen Preis der Welt wollte sie ihre beiden kleinen Töchter in der Burg zurücklassen, die gerade mal vier und zwei Jahre alt waren. Zwar hatte der Conte verkündet, die Töchter ebenfalls ins Kloster stecken zu wollen, doch das toskanische Gesetz verbot ein solches Vorgehen. Wenn ein Mann seine Gattin verstieß, dann nur sie allein. Und obwohl der Conte die Algari den Gesetzen im Allgemeinen keine allzu große Bedeutung beimaß, würde er es doch nicht wagen, sich deswegen mit den mächtigen Medici in Florenz anzulegen, die dieses Gesetz entworfen hatten und von der Signoria, der Gesetz gebenden Instanz, hatten bestätigen lassen.

Für sich selbst erwartete Donatella di Algari nichts mehr, ja, sogar der Gedanke an den Tod hatte etwas Tröstliches für sie ...

Und als nun endlich der Trank wirkte, ihre Gedanken aufhellte und ihren Geist beruhigte, nahm sie den Schlaf dankbar an und wünschte, nie mehr daraus aufzuwachen.

Als sie einige Stunden später nur wenig erfrischt die Augen wieder öffnete, war draußen bereits heller Vormittag.

Rosalba hatte die hölzernen Fensterläden weit aufgeklappt, und Vogelgezwitscher erfüllte den ganzen Raum.

Contessa Donatella di Algari sah durch die Fensteröffnung den lavendelblauen Himmel, der sich, wie so oft in der Toskana, hinter einem weichen Schleier versteckte. Sie genoss die würzige Luft der Zypressen und das leise Rascheln der Olivenzweige im Wind.

Sie hatte das Bedürfnis, sich zu recken und zu strecken, um den Schlaf gänzlich abzuschütteln, doch da sah sie Rosalba und wurde sogleich hellwach. Auch der Kummer, die Sorgen und die Angst erwachten auf der Stelle. Doch was war in der Nacht eigentlich geschehen? Sie hatte ein Kind zur Welt gebracht, ein Kind, dem es bestimmt war, im Unglück sein Zuhause zu finden. Die Hebamme hatte den Säugling im Arm gehabt und ihr einen Trunk gereicht. Einen Trunk, der sie alles vergessen ließ. Doch wo war jetzt das Kind? Welches Geschlecht hatte es? Die junge Frau konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern.

»Rosalba, Rosalba!«, rief die Contessa nach der Hebamme, und eine fröhliche Stimme antwortete ihr:

»Guten Morgen, Contessa Donatella. Findet Ihr nicht, dass es langsam an der Zeit ist, Euren neugeborenen Sohn zu begrüßen?«

Nun, da die Nacht verstrichen war, in der die beiden Frauen so eng miteinander verbunden gewesen waren, wie es nur während einer Geburt der Fall ist, hielt sich die Hebamme wieder an die Regeln des Hofes und titulierte die Hausherrin so, wie es sich für eine Bedienstete gehörte.

Die Contessa stutzte. Ein Sohn? Hatte sie wirklich einen Sohn geboren?

Doch viel Zeit zum Staunen blieb ihr nicht, denn schon reichte Rosalba ihr das in weiche, weiße Leinentücher gewickelte Kind. Behutsam nahm Donatella das kleine Bündel, betrachtete aufmerksam die dunkle Haarpracht, den winzigen, kirschförmigen Mund und die kleine Nase mit den geblähten Flügelchen. Als der Säugling sein kleines Gesichtchen verzog, einen hochroten Kopf bekam und schließlich in ein empörtes Weinen ausbrach, lächelte die junge Mutter glücklich und legte ihn an ihre Brust. Sofort verstummte das Gebrüll, das Kind begann zu saugen und Donatella konnte in der Betrachtung des kleinen Jungen ungestört fortfahren. Ein stattlicher Bursche war es, der da in ihrem Arm lag, ein strammer Junge mit einem kräftigen Zug.

Behutsam strich sie dem Kind mit dem Zeigefinger über die Wangen, fuhr die Linie der um ihre Brustwarze gewölbten Oberlippe nach – und stutzte erneut. Wo war das Mal, das all ihre Kinder über der Oberlippe hatten? Wo war der kleine schwarze Fleck, der auch ihre Oberlippe zierte und als Wahrzeichen der Familie galt?

Donatella blickte auf ihr Kind hinab und dachte noch einmal an die gestrige Nacht zurück. Der Trunk hatte ihre Sinne benebelt, hatte über den Raum und gleichzeitig über alle Geschehnisse des Tages den sanften Schleier des Vergessens gelegt. Doch war da nicht das Klappen einer Tür gewesen? Hatte sie nicht die huschenden Schritte der alten Rosalba gehört, zuerst auf der Treppe und später im Burghof? Schritte, die sich leise entfernt hatten?

Oder hatte sie da schon geträumt?

Der Sohn lag ihr auf einmal schwer und fremd im Arm. Die schwarzen Haare, die ihr eben noch wie Flaum erschienen waren, fühlten sich jetzt borstig und fest wie Pferdehaar an. Der kleine, saugende Mund kam ihr vor wie ein Blutegel, der ihr den Lebenssaft aussaugte, und die Nase hatte plötzlich keine zierlichen Flügel mehr, sondern die kräftige Form einer Bauernnase.

»Na, wie gefällt Euch Euer Sohn?«, fragte die Hebamme.

»Mein Sohn? Fremd ist er mir. Und schwer liegt er in meinen Armen. Warum hat er kein Muttermal wie die Töchter? Nein, ich kann nicht glauben, dass ich dieses Kind in der letzten Nacht zur Welt gebracht haben soll«, erwiderte Donatella di Algari.

Die Hebamme lachte, doch es war kein fröhliches Lachen.

»Man könnte meinen, Ihr hieltet Euer erstes Kind im Arm, solche Fragen stellt Ihr. Habt Ihr schon vergessen, wie es bei den Töchtern war? Ihr müsst Euch erst an ihn gewöhnen, deshalb liegt er fremd und schwer bei Euch. Und das Muttermal, Madonna! Jedes Kind ist verschieden, auch wenn es dieselben Eltern hat. Dieses hat eben kein Muttermal, dafür die Haare und die Statur des Conte.«

»Meinst du wirklich, Rosalba?«, fragte die Contessa zweifelnd.

»Natürlich«, bestätigte die Hebamme. »Die Mädchen kommen nach Euch und Eurer Familie, der Junge aber ist ganz und gar ein di Algari. Der Conte wird sich freuen.«

Die Contessa schaute die Hebamme an. Ganz fest hielt sie den Blick auf das Gesicht der alten Frau geheftet. Und ganz leise, so, dass keine der Mägde, die im Zimmer aufräumten, sie hören konnte, sagte sie: »Wenn es so sein soll, Rosalba, dann soll es so sein. Wenn dieser Junge mein Sohn sein soll, dann will ich ihn als solchen annehmen und lieben, wie ich meine Töchter liebe.«

Die Hebamme hielt dem Blick stand und erwiderte mit fester Stimme: »Es soll so sein, Contessa Donatella. Dieser Säugling ist Euer Sohn. Und als Lohn für meine Dienste erbitte ich mir daher Euer Medaillon.«

Wieder versuchte die Contessa mit ihren Blicken hinter die Stirn der alten Frau zu schauen. Und wieder ahnte sie mehr, als dass sie es wusste, warum sich die alte Frau ausgerechnet das Medaillon erbeten hatte. Es war nicht üblich, einen solch reichlichen Lohn zu zahlen. Und ganz und gar unüblich war es, ohne Not mit Familienschmuck zu bezahlen. Doch die Contessa stellte keine Fragen, sondern nickte nur. Dann nahm sie den Säugling, der inzwischen fertig getrunken hatte, hoch und küsste das Kind behutsam auf die Stirn.

Bereits zwei Tage später fand in der kleinen Burgkapelle die Taufe statt. Alle Edelleute aus der Umgebung waren erschienen, sogar der Hof der Medici in Florenz hatte einen Abgesandten geschickt.

Die Kapelle war mit Blumen geschmückt, die Fresken an den Wänden leuchteten, als wüssten sie um den frohen Anlass, und im Mittelgang der Kirche lag ein roter Läufer, der sich von der Tür bis zum Altar erstreckte. An den Wänden brannten teure Wachslichter in kostbaren Leuchtern, und vorn auf dem Altar lag die in dunkles Saffianleder gebundene Familienbibel der di Algaris.

Auch die Bediensteten hatten sich eingefunden. Sie standen an der hinteren Wand.

Stolz wie ein Pfau zeigte der Conte di Algari seinen Sohn herum, während er den beiden Mädchen, seinen Töchtern, die verängstigt in ihren Sonntagskleidern in der zweiten Reihe der hölzernen Kirchenbank hockten, keinerlei Beachtung schenkte.

Die Contessa Donatella saß, noch immer sehr blass von den Anstrengungen der Geburt, auf einem gepolsterten Sessel in der ersten Reihe der Kapelle. An ihrem Hals leuchtete ein nagelneues Schmuckstück, welches sie von ihrem Mann als Geschenk zur Geburt des Sohnes erhalten hatte. Die schwere Goldkette mit dem kostbaren Rubin aber schmückte sie nicht, sondern brannte auf ihrer Haut wie Feuer. Mit einem angestrengten Lächeln nahm sie die Glückwünsche der Gäste entgegen und wirkte bereits erschöpft, bevor der Taufgottesdienst begonnen hatte.

Ganz hinten an der Wand, beinahe unsichtbar unter den Bediensteten, stand die alte Hebamme Rosalba und betrachtete mit aufmerksamen Blicken das Geschehen.

Und als der Conte di Algari seinen Sohn über das Taufbecken hielt und ihm den Namen Giacomo, der Nachgeborene, gab, flüsterte sie leise vor sich hin. »Verflucht seist du, Conte di Algari, verflucht. Verdorren soll dein Leib, das Herz dir erstarren, und alles, was du je an Schlechtem getan hast, soll zu dir zurückkehren.«

Vergeblich bemühte sich die Magd, die neben ihr stand, die leidenschaftlich hervorgebrachten Worte der Hebamme zu hören. Doch sie verstand nichts, verstand nur das Wort ›verflucht‹, bekreuzigte sich und glaubte, das Käuzchen erneut rufen zu hören.

Zur gleichen Zeit wie auf der Burg fand auch im Dorf eine Taufe statt.

Eine Kolonne fahrender Händler, Kaufleute, Gaukler, Schauspieler und Vaganten hatte sich vor wenigen Tagen im Dorf eingefunden und mit allerlei Spektakel für Zerstreuung gesorgt. Sämtliche Dorfbewohner waren herbeigeeilt, ja, selbst aus den umliegenden Weilern waren die Bauern mit ihren Frauen gekommen, um seltene Dinge wie Putz, Spangen und Schnallen, ein paar alltägliche Gewürze und Stoff einzukaufen und sich an den vielen Lustbarkeiten zu ergötzen.

Doch heute kannte das lustige Treiben in der Wagenkolonne kein Halten mehr. Überall waren Tische und Bänke aufgebaut, aus allen Wagen kamen die Frauen und stellten Schüsseln und Platten mit Fleisch, Käse, Pasteten, Oliven und Tomaten auf den Tisch, und auch der Chianti floss in Strömen. Heute war ein besonderer Tag für die Händler, Gaukler und Vaganten, denn die große Zweckfamilie war um ein weiteres Mitglied gewachsen.

Paola, die Olivenhändlerin, hatte einem Mädchen das Leben geschenkt. Einem Mädchen mit braunroten Locken und einem winzigen Mal über der Oberlippe.

Estardo, ihr Mann, war überglücklich vor Freude, denn das kleine Mädchen war nach langen Jahren des Hoffens und Wartens das erste Fand des jetzt schon älteren Ehepaares, das die Geburt heil überstanden hatte.

Und nachdem der herbeigerufene Priester das kleine Mädchen auf den Namen Rosaria getauft hatte, feierten die Händler und Vaganten ein rauschendes Fest, stießen ein ums andere Mal auf das Glück der kleinen Rosaria an und ließen Estardo und seine Frau Paola hochleben.

Als jedoch die Wahrsagerin, wie es im Wagendorf üblich war, dem neuen Erdenbürger die Zukunft weissagte, herrschte Schweigen unter den Feiernden, und in den Augen Paolas glitzerten Tränen.

Kapitel 1

18 Jahre später

 

Eine Wagenkolonne zog durch die sommerliche Toskana. Die Sonne brannte heiß, und die Pferdehufe wirbelten den roten Staub der ausgetretenen und von tiefen Furchen durchzogenen Wege auf. Zu beiden Seiten des Weges erstreckten sich Felder. Der rote Mohn in dem reifenden Weizen und die jungen, schlanken, fast schwarzen Zypressen, welche die Felder voneinander trennen, setzten bunte Farbtupfer in die von warmen Rot- und Brauntönen durchtränkte Landschaft.

Rosaria saß auf einem der Wagen, hatte die flache Hand schützend über die Augen gelegt und betrachtete die geliebte Landschaft. Ihr Blick schweifte über die sanft geschwungenen Hügel, die sich wie Perlen auf einer Kette aneinanderreihten, verweilte bei einzeln stehenden Gehöften oder Baumgruppen, die sich aus den Hügeln schälten. Das besondere Licht dieser Gegend bewirkte, dass die Hügel, die am weitesten entfernt lagen, klarer erschienen als die Erhebungen im Vordergrund – ein Naturschauspiel, das Rosaria faszinierte, so oft sie es sah.

Die Wagenkolonne fuhr weiter, ließ die Felder hinter sich. Rosarias Blick schweifte nach links und blieb nun an einem Olivenhain haften. Mit einem Lächeln begrüßte sie die niedrigen, ausladenden Bäume mit den schmalen grünsilbrigen Blättern, die leise im Wind raschelten und ein Loblied auf die Heimat zu singen schienen. Rechter Hand erstreckten sich die Weinberge. Hunderte von Stöcken standen auf angelegten Terrassen wie brave Soldaten neben- und hintereinander, von unzähligen Trauben übersät. Noch waren die einzelnen Früchte klein, hart und von einem hellen, verschliffenen Grün. Doch in ein paar Monaten schon, wusste Rosaria, würde aus eben diesen Früchten der Wein gekeltert werden, den die Einheimischen das Blut der Toskana nannten und von dem sie schworen, dass es nirgendwo auf der Welt Köstlicheres gäbe: der Chianti.

Ein Lachen ertönte am Anfang der Wagenkolonne und flog mit der Leichtigkeit einer Lerche von Wagen zu Wagen.

Rosaria schreckte aus ihren Betrachtungen auf und lachte auch, noch bevor das Scherzwort sie erreichte. Raffael, wer sonst als Raffael, der Sohn des Feuerschluckers, war der Scherzbold.

»Rosaria sitzt auf ihrem Wagen wie eine Statue«, hatte er den nachfolgenden Wagen zugerufen. »Wir müssen gut auf sie aufpassen, wenn wir nach Florenz kommen, sonst kauft Il Magnefico sie für seine Sammlung.«

Florenz, dachte Rosaria sehnsüchtig, wie lange dauert es noch, bis wir dorthin kommen? Ob ich in diesem Jahr wohl endlich Lorenzo di Medici sehen werde, den alle ehrfurchtsvoll Il Magnefico nennen und dessen Kunstsammlung allerorten gerühmt wird?

Sie seufzte wehmütig auf, dann fiel ihr Blick auf die Umrisse einer Stadt, die sich vor einem nahen Hügel abhoben. Schon von weitem waren die vielen Türme zu erkennen, die als Wahrzeichen von San Gimignano galten und bei klarer Sicht meilenweit zu sehen waren.

Genau 72 Türme sollten es sein, und Rosaria machte sich – wie jedes Mal – die Mühe, sie zu zählen. Und wie jedes Mal, so verzählte sie sich auch heute. Die bis zu 70 Meter hohen Türme waren Wohntürme der einzelnen in San Gimignano beheimateten Adelsgeschlechter. Von diesen Türmen aus bekriegten sich die rivalisierenden Familien nunmehr seit Jahrhunderten. Ein Ende der zahlreichen Familienfehden war nicht in Sicht, und doch wichen die ersten Türme nun weit prachtvolleren Bauten. Rosaria war neugierig, wie sehr sich die Stadt seit dem letzten Besuch der Wagenkolonne vor genau einem Jahr verändert hatte.

 

Eine Stunde später hatten die Händler, Schauspieler und Vaganten das Stadttor erreicht und reihten sich in die Schlange der Wartenden. Ringsum wimmelte es von Menschen. Vor ihnen stand der Wagen eines Abdeckers. Die Schlachtabfälle verströmten den elenden Geruch von Verwesung, doch die Wagenkolonne ließ sich dadurch die Stimmung nicht verderben. Auch hier machten Scherzworte die Runde; eine junge Bäuerin, die Tomaten zum Markt brachte, wurde von den Gauklern geneckt. Schmutzige Straßenjungs fielen über die Neuankömmlinge her wie Bienen über den Honig, sodass sich die Händler nur mühsam den jugendlichen Bettlern erwehren konnten. Eine Gruppe von Mönchen stand singend vor dem Tor, und eben wurde die Tochter des Bürgermeisters in einer Sänfte vorbeigetragen. Die Zollwächter hatten alle Hände voll zu tun. Zwei waren damit beschäftigt, eine kleine Herde Schafe zu zählen, ein anderer wog Salz, das ein Händler aus Florenz in die Stadt brachte. Der Händler schaute nervös auf die Waage und wandte sich dann an die Gaukler: »Seid froh, Ihr Leute, dass Ihr nichts zu verzollen habt! An jedem Stadttor denke ich, die Waage wäre entzwei, aber nein, es sind die Zölle, die schon wieder gestiegen sind. Arm werde ich beim Arbeiten, arm, jawohl.«

Die Gaukler grinsten, und Raffael rief: »Weißt du es nicht? Wer arbeitet, hat keine Zeit zum Geldverdienen.«

Die Umstehenden lachten. Noch während die Scherzworte fielen, fuhr der Abdecker still und heimlich seinen Wagen durch das Tor. Rosaria schaute hin – und stutzte. Hatte sie da nicht das Quieken eines Ferkels gehört? Sie schaute genauer hin, und jetzt entdeckte sie auch das winzige rosa Bündel zwischen den Schlachtabfällen, das versuchte, die Stricke abzustreifen, die um seine Haxen geschlungen waren. Der Abdecker sah, dass Rosaria gerade sein Betrugsmanöver entdeckt hatte und nun wusste, auf welche Art er den hohen Zöllen zu entgehen versuchte. Er zwinkerte ihr zu, holte aus seiner Joppe einen Apfel, wischte ihn am Ärmel blank und warf ihn ihr zu.

Rosaria fing ihn geschickt auf und biss herzhaft hinein. Dann rief sie dem Abdecker lachend nach: »In diesem Fall kostet mein Schweigen nichts, sonst aber ist es unbezahlbar.« Doch der Abdecker war mit seinem Karren schon in einer kleinen Seitengasse verschwunden.

Als die Kolonne endlich den Marktplatz erreichte, wurde sie bereits von einer jubelnden Menge empfangen.

»Die Gaukler kommen, die Kolonne aus Lucca ist da«, riefen die Leute und klatschten.

Sogleich wurden sie von einer Menschenmenge umringt, und obwohl Rosaria eine solche Begrüßung beinahe in jedem Ort der Toskana erlebt hatte, war sie immer wieder aufs Neue überrascht. Sie wusste, dass das fahrende Volk in anderen Ländern einen sehr schlechten Ruf hatte, und auch in der Toskana gab es unzählige Berufe, denen ein größeres Ansehen galt. Doch die Menschen dieses Landstrichs liebten Lustbarkeiten, liebten die Kunst und liebten deshalb auch die Gaukler, Händler und Komödianten.

Rosaria und alle übrigen aus der Kolonne waren zudem eine Berühmtheit: Niemand sorgte für bessere Zerstreuung als die Händler, Schauspieler und Feuerschlucker aus Lucca. Keine Kolonne im Umland hatte ein reicheres Programm, bot originellere Unterhaltung. Und auch niemand in der ganzen Gegend hatte ein solch umfangreiches Angebot an Oliven und Olivenerzeugnissen wie Rosaria. Nicht nur die wohlschmeckenden Öle, die eingelegten Früchte oder die heilenden Salben wurden von den Bewohnern in Stadt und Land heiß begehrt, auch ihre Tränke gegen Liebeskummer und Schwermut fanden reißenden Absatz. Eine Zauberin sei Rosaria, sagten die Leute, eine Wunderheilerin, die selbst die aussichtslosesten Krankheiten zu heilen vermochte.

»Ich bin keine Zauberin«, erwiderte Rosaria stets. »Das Geheimnis meiner Öle und Salben, meiner eingelegten Früchte und meiner Tränke ist die Liebe und Sorgfalt. Ich verwende nur ausgesuchte Oliven. Und ich lasse mir viel Zeit bei der Zubereitung, denn alles Gute braucht seine Zeit.«

Rosaria beeilte sich beim Aufbau ihres Standes. Paola half dabei. Seit Estardo, Paolas Mann und Rosarias Vater, vor zwei Jahren gestorben war, betrieben die beiden Frauen das Geschäft allein. Doch Paola wirkte schon seit langem im Hintergrund und gönnte ihrer Tochter den Ruhm, den sie sich nicht zuletzt dank ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit geschaffen hatte.

Auch die anderen aus der Wagenkolonne bauten ihre Stände auf. Neben Rosaria hatte der Seilmacher seinen Laden aufgeschlagen. Stricke und Seile jeder Art bot er an, dazu noch ein kleines Sortiment an Fäden und Zwirnen. Auf der anderen Seite bauten die Schauspieler aus ein paar Brettern und einer klapprigen Leiter eine kleine Bühne. Der jüngste Sohn des Comedia-Direktors, ein Knirps von sechs Jahren mit dunklen, wilden Locken und großen braunen Augen, kündigte laut schreiend das Programm für den Abend an.

Auch die Feuerschluckerfamilie bereitete sich auf ihren abendlichen Auftritt vor. Raffaels Mutter saß auf einem kleinen Tritt und befestigte noch schnell eine lose Schnur an Raffaels buntem Kostüm.

Der Weinhändler, dessen rote Nase ihn als Kenner der Materie auswies, kostete sich noch einmal durch sein Angebot und pries laut rufend und leise rülpsend seine Ware an.

Auch der Scherenschleifer hatte bereits seine ersten Kunden, und der Bader war gerade dabei, einem jungen Bauern mit einer glühenden Zange einen eitrigen Zahn zu ziehen.

Zwischen den Ständen streunten zahlreiche Hunde herum und suchten in den Abfällen nach Essbarem.

Rosaria streckte ihren Rücken, der vom Abladen der schweren Fässer und Krüge schmerzte, und sah sich um. Rings um den Markt standen Häuser aus dem typischen Stein der Toskana. Es waren die Wohnstätten der wohlhabenden Bürger von San Gimignano, zwischen denen sich hin und wieder ein Palazzo mit dem typischen Geschlechterturm drängte. Doch jedes der Bauwerke war anders, hatte eigene Merkmale, auf die die Besitzer stolz waren. Vor den Fenstern der Bürgerhäuser flatterte die Wäsche zum Trocknen im Wind, im Rinnstein sammelte sich der Unrat, und aus den Seitengassen war das Gackern von Hühnern und das Grunzen von Schweinen zu hören.

Von allen Seiten strömten nun die Bewohner des kleinen Städtchens zu den Ständen.

Eine adlige Dame, dunkelhaarig und schlank, schritt mit hoch erhobenem Kopf daher und hatte Mühe, das bunte Käppchen auf dem Haar zu behalten. Ihr bodenlanges Kleid mit den langen Ärmeln hatte einen schwingenden Rock, der in vielen kleinen Falten bis auf ihre Spangenschuhe reichte. Das Oberteil aber lag eng an und betonte den üppigen Busen, der nur von einem hauchdünnen, zarten Gewebe verhüllt war. Hinter ihr lief eine Magd in einem einfachen Kittelkleid aus billigem Leinen, die in beiden Händen große geflochtene Weidenkörbe für die zu tätigenden Einkäufe trug.

Ein Bürgersmann mit einem dunklen Mantel eilte zügigen Schrittes zu einem der Palazzi, als warteten dort wichtige Geschäfte auf ihn. Vor den Palazzi saßen die Sprösslinge der Adelsfamilien und schlugen mit langen Gerten nach den streunenden Hunden. Sie trugen farbige Beinkleider, lachten laut und schauten verschämten, aber gierigen Blickes den jungen Frauen und Mädchen nach, die vorbeischlenderten und die Jünglinge mit Nichtachtung straften.

Am Brunnen hatten sich die Mägde zum Wasserholen eingefunden und nutzten die Abwesenheit von ihren Häusern zu einem ausgiebigen Schwätzchen.

Rosaria winkte ihnen freundlich zu und widmete sich dann den ersten Kunden, die neugierig ihren Stand umlagerten.

»Bitte, hier eine eingelegte Olive für Euch zum Kosten. Nehmt nur und lasst sie Euch munden«, forderte sie eine Bürgersfrau auf, die mit missmutig zusammengekniffenen Augen das Angebot prüfte.

Und dann erklärte sie einer jungen Hausfrau, wie aus den Oliven das kostbare Öl bereitet wurde.

»Nicht nur die Olivensorte macht den Geschmack eines Öls aus, auch der Reifezustand ist von Bedeutung. Oliven reifen im Herbst und im Winter. Den Reifegrad erkennt man an der Farbe der Früchte. Junge Oliven sind grün und ergeben ein fruchtiges, kräftiges, leicht grünliches Öl. Typisch ist der pfefferartige Nachgeschmack.«

Die junge Hausfrau nickte und hörte neugierig zu, während Rosaria weitersprach. »Die spät gepflückten Oliven ergeben sehr milde Öle, und die Ausbeute ist reichlicher. Doch kostbarer sind die jungen Öle.«

Die Frau mit dem missmutigen Gesicht, die skeptisch Rosarias Ausführungen gelauscht hatte, konnte nun nicht länger an sich halten: »Passt gut auf«, wandte sie sich an die junge Hausfrau, »denn die meisten Olivenhändler sind Betrüger. Sie geben Blätter zu den spät geernteten Oliven, um daraus ein grünliches Öl zu pressen, welches dem kostbaren aus jungen Früchten im Aussehen und Geruch gleicht.«

Die junge Frau schaute fragend zu Rosaria. Die aber lächelte der missmutigen Frau freundlich zu, goss einige Tropfen grünlichen Öls auf ein Stück Brot und reichte es ihr. »Probiert selbst, Signora, ob mein Öl nach Blättern schmeckt.«

Mit einem Seufzer, als würde sie zu Schrecklichem genötigt, griff die Frau nach dem Brot und biss zaghaft ab. Dann aber ließ sie den Bissen geradezu im Munde zergehen, ehe sie der jungen Frau riet: »Kauft nur, meine Liebe, dieses Öl ist wirklich eines der besten in der Toskana. Euer Mann wird seine Freude an den damit zubereiteten Mahlzeiten haben.«

Rosaria nickte der jungen Frau zu und meinte: »Die besten Ole werden im Allgemeinen aus Oliven hergestellt, von denen ein bis zwei Drittel purpurfarben bis schwarz sind. Es ist die Mischung, auf die es ankommt. Wie überall im Leben.«

»Und wie kommt das Öl aus den Früchten in die Krüge?«, fragte nun die junge Frau, die noch sehr jung und obendrein vielleicht ein bisschen einfältig war.

»Nach der Ernte werden die Oliven mitsamt den Kernen mit der Pietra, einem Steinrad, zu einer Paste zermahlen. Die Paste wird ausgepresst und eine Mischung von Wasser, Öl und Schwebstoffen wird freigesetzt.«

An dieser Stelle mischte sich erneut die übellaunige Bürgersfrau ein: »Wenn das eigentliche Öl allerdings zu lange mit dem Wasser und dem anderen Abfall in Verbindung bleibt, verdirbt das Öl. Deshalb müsst Ihr immer daran riechen, bevor Ihr es kauft.«

»Das stimmt«, gab Rosaria der Bürgersfrau Recht. »Doch alle Olivenbauern, die ich kenne, trennen das Öl noch am Tag der Ernte.«

»Nana«, zog die Missmutige Rosarias Beteuerungen in Zweifel, doch die junge Olivenhändlerin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Signora«, rief sie lächelnd aus. »Wer würde es wagen, einer erfahrenen Olivenölkäuferin wie Euch schlechte Ware anzubieten? Ihr würdet es doch sofort merken, und ich wette, Ihr würdet nicht zögern, jeden Händler, der an Euch einen Betrug versuchen wollte, den Marktwächtern anzuzeigen, die ihn vor aller Augen auspeitschen lassen müssten.«

»Und ob ich das tun würde. Da könnt Ihr gewiss sein!«, bestätigte die Übellaunige selbstbewusst.

Wieder goss Rosaria einen Schluck ihres kostbaren Oles in ein flaches Schälchen und reichte es der Bürgersfrau. Auch für die junge Hausfrau bereitete sie eine Kostprobe vor. Dann sagte sie: »Es ist nicht schwer, gutes von schlechtem Öl zu unterscheiden. Bitte, Ihr lieben Frauen, macht die Probe. Zuerst müsst Ihr daran riechen. Gutes Olivenöl hat ein reines Bouquet nach Oliven, vielleicht mit einer kleinen Prise Gras oder Apfel.«

Die beiden Frauen rochen an dem Öl, sahen sich dann an und nickten bestätigend.

»Nicht schlecht, Eure Probe«, ließ die Bürgerin dann ein Lob vernehmen. »Der Geruch ist rein.«

»Gut«, fuhr Rosaria fort. »Nehmt nun einen Schluck davon in den Mund und atmet hindurch, als würdet Ihr den ersten Chianti des Jahres probieren. Gutes Öl schmeckt nach Oliven, vielleicht ein wenig nach Apfel, Fenchel oder Gras. Solltet Ihr aber einen metallischen Geschmack verspüren, so spuckt es schnell aus, denn dann ist es ranzig.«

Die beiden Frauen kauten auf dem Öl herum, als wäre es kostbarer Wein. Dann nickte die Bürgersfrau, und die junge Hausfrau tat es ihr nach.

»Das Öl ist gut, keine Frage. Und wenn auch der Preis stimmt, so kaufe ich fünf Kannen davon«, entschloss sich schließlich die Bürgersfrau und sprach dabei so laut, dass der halbe Markt sie hören konnte.

Rosaria nannte einen Preis, dann feilschten die Frauen ein Weilchen miteinander und wurden schließlich handelseinig.

An den übrigen Ständen setzte nun Getuschel ein.

»Signora Vella kauft gleich fünf Kannen. Dann gibt es kein besseres Öl zu einem besseren Preis in der ganzen Gegend. Komm, lasst uns auch einen Vorrat anlegen. Eilt Euch, ehe Signora Vella alles aufkauft.«

Schon umringte eine Menschentraube den Stand, und Paola und Rosaria hatten in der nächsten Stunde alle Hände voll zu tun.

Als sämtliche Hausfrauen der Stadt mit gutem Öl versorgt waren, kamen die Leute, die von Rosarias Ruf als Heilerin gehört hatten.

Ein alter Mann drängte sich an ihren Stand. Er ging gebeugt, als läge ihm eine unsichtbare Last auf den Schultern und krümmte seinen Rücken. Die Hände des Alten waren rot und rissig, und auch die Haut in seinem Gesicht war von grindigen Stellen bedeckt. Auf dem Kopf trug er trotz der Wärme eine wollene Mütze.

»Habt Ihr etwas für mein Leiden?«, fragte er zaghaft und entblößte verschämt sein Haupt. Zum Vorschein kam ein entzündeter Ausschlag, der, wie der Mann berichtete, schmerzhaft juckte.

Rosaria besah sich den Ausschlag gründlich, dann griff sie zu einem Tiegel und entnahm diesem eine weiße Salbe.

»Hier, probiert das aus. Es ist eine Salbe aus Olivenöl und Zink. Sie wird Euch bestimmt helfen.«

Der Alte bedankte sich, zahlte und strich sich sofort ein kleines bisschen von dem Heilmittel auf die wunden Stellen.

»Lasst die Mütze für ein paar Tage weg«, riet Rosaria. »Die frische Luft und die gesunde Sonne der Toskana werden bestimmt beim Heilen helfen, so Ihr sie lasst.«

Rosaria verkaufte noch einige Salben und Öle, besah sich das aufgeschürfte Knie eines kleinen Mädchens, die Verbrennungen einer Bäuerin und das schmerzende Ohr eines Mönches, dem sie riet, einige Tropfen erwärmtes Öl am Abend in das kranke Ohr zu träufeln und es mit einem winzigen Stückchen Stoff zu verschließen.

Allmählich kroch die Dämmerung über die Landschaft und hüllte jeden Hügel, jedes Haus und jede Pflanze in ein graues Tuch.

Als der Marktwächter mit seiner Glocke das Ende der Verkaufszeit verkündet hatte, räumte Rosaria die Öle und Salben, die Tiegel und Tuben, die Flaschen und Krüge zurück in den Wagen. Plötzlich vernahm sie eine leise Stimme.

»Rosaria, habt Ihr noch ein Augenblickchen Zeit für eine Frage?«

Rosaria drehte sich um und sah die junge Hausfrau vor sich, die sie bereits am Mittag kennen gelernt hatte.

»Aber ja, liebe Signora. Was kann ich für Euch tun?«

»Es ist, hm, naja, mein Mann, wisst Ihr ...«

Die junge Frau brach ab. Vor Verlegenheit schlug sie die Augen nieder.

»Sagt schon, was ist mit Eurem Mann?«, wollte Rosaria wissen.

»Es war dumm von mir, zu Euch zu kommen«, stammelte die junge Frau. »Verzeiht mir!« Dann wandte sie sich zum Gehen.

»Wartet!«, rief Rosaria und hielt sie am Ärmel fest. »Ich glaube, ich weiß, was Ihr fragen wollt.«

Die junge Frau blieb stehen und sah Rosaria neugierig an. Die Olivenhändlerin beugte sich dicht zu der jungen Frau, die im Dämmerlicht noch jünger aussah und so viel Mädchenhaftes und Verletzliches ausstrahlte, dass Rosaria ihr unwillkürlich die Hand auf den Arm legte.

»Das Feuer in den Lenden Eueres Mannes entfacht sich nicht so oft, wie Ihr es wünscht. Habe ich Recht?«

Die junge Frau nickte verschämt und flüsterte: »Fünf Monate sind wir nun schon verheiratet, und ich bin noch nicht schwanger. Die Leute fangen an zu reden, auch der Priester hat schon gefragt. Was soll ich denen sagen? Dass mein Mann seit unserer Hochzeit erst zweimal bei mir gelegen hat?«

Rosaria nickte verstehend. Dann holte sie von ganz hinten aus dem Wagen ein winziges Fläschchen mit feuerrotem Öl und reichte es der jungen Frau.

»Gebt ihm davon einen Tropfen am Abend in sein Mahl und seht, dass er nicht zu viel Chianti dazu trinkt.«

»Was ist das?«

»Es ist eine Mischung aus Olivenöl und einem Gewürz, welches die Araber Chili nennen. Es ist sehr scharf und geht direkt ins Blut. Ich habe es im letzten Jahr auf der Gewürzbörse in Florenz von einem Händler gekauft, der übers Meer kam. Das Öl habe ich selbst hergestellt. Glaubt mir, es hat schon einigen geholfen.«

Die junge Frau kramte in ihrer Börse nach ein paar Scudi, um das Öl zu bezahlen, doch Rosaria winkte ab.

»Kein Geld, kleine Signora. Für die Liebe bezahlt man nicht. Nehmt es und geht schnell nach Hause.

Im nächsten Jahr dürft Ihr mir dann Euer Kind zeigen.«

Dankbar küsste die junge Frau Rosaria die Hand. »Gott segne Euch für Eure Güte!«

Dann schob sie das winzige Fläschchen unter ihr Brusttuch und lief mit eiligen Schritten in die Dunkelheit.

Lächelnd sah Rosaria ihr nach, doch als sie daran dachte, was die junge Frau wohl heute Abend noch erleben würde, entrang sich ihr ein Seufzer, und das Lächeln auf ihrem Gesicht verlosch.

Es war üblich, dass sich die Händler und Gaukler am Abend nach einem langen Markttag am Feuer zusammenfanden. Sie erzählten einander, was sie am Tag erlebt hatten, es wurde gesungen und dazu auf der Laute gespielt. Die Bewohner der kleinen und größeren Städte, ganz besonders die jungen, setzten sich oft dazu, lauschten den Liedern und Erzählungen und berichteten aus ihrem Leben.

Auch heute versammelten sich die Mitglieder der Wagenkolonne um das Feuer, sobald der letzte Beifall für die Abendvorstellung der Schauspieler verklungen war.

Raffael hatte seine Laute dabei, und als alle einen Becher Wein in der Hand hielten und sich die Müdigkeit und die sanfte Stille der Nacht ganz allmählich auf die Gemüter senkten, begann Rosaria leise zu singen.

Wehmütig begrüßte sie den himmlischen Anflug der Nacht und beschwor die Liebe. Hatten am Anfang die Bewohner des Städtchens noch gealbert und geschwatzt, so herrschte nun vollkommene Stille. Alle Blicke hingen wie gebannt an Rosarias Lippen und lauschten ihren Liedern. Paare hielten sich umschlungen, die jungen Mädchen schauten sehnsuchtsvoll in das lodernde Feuer, und die jungen Burschen hatten Mühe, ihre Rührung zu verbergen, und konzentrierten sich auf ihre Weinbecher. Die Alten aber, die das Leben und die Liebe kannten, lächelten still und rückten enger zusammen.

Schon nach dem ersten Lied waren alle am Lagerfeuer wie verzaubert. Jeglicher Streit und Unbill des Tages waren vergeben und vergessen, einzig die dunklen, köstlichen Geheimnisse der Nacht und der unstillbare Zauber gegenwärtiger, vergangener oder zukünftiger Liebe schwebte über dem Feuer und verwandelte die Gesichter der Versammelten, machte sie weich und schön.

Jetzt stimmte Rosaria ein sehr bekanntes Lied an, ein Lied, das der toskanische Dichter Francesco Petrarca über hundert Jahre zuvor in Gedenken an seine große Liebe Laura geschrieben hatte. Schon bei den ersten Tönen trat ein Leuchten in die Gesichter der am Feuer Versammelten, denn Petrarca wurde in ganz Italien von Bauern und Adligen gleichermaßen verehrt.

 

Weh dem schönen Gesicht und weh den sanften Blicken,

weh dem anmutig-hoheitsvollen Gang,

und weh der Rede, die die wildesten und rauesten Gesellen

zähmte und Feige tapfer machte!

 

Weh auch dem süßen Lächeln, aus dem die Pfeile kamen,

die mir den Tod gebracht und alle Hoffnung nehmen.

Seele von Adel, eines Throns wohl würdig, wäre sie dafür nicht viel zu spät zu uns gelangt!

 

Für Euch nur will ich brennen, für Euch atmen,

denn Euer war ich, und Ihr wurdet mir genommen:

kein anderes Unglück schmerzt mich so wie dies.

 

In meinem Leben war höchste Lust die Hoffnung

Und das Sehnen, mit dem Ihr mich erfüllt: Aber die Worte trug der Wind davon.