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Eine Liebe, die bis ans Ende der Welt reicht Lissabon, 15. Jahrhundert. Moschus und Ambra, Lavendel und Rosenöl, Seide und Edelsteine … Als Tochter des königlichen Admirals ist die junge Charlotta die schönen Dinge des Lebens gewöhnt – doch all das würde sie ohne zu zögern aufgeben für den Mann, den sie liebt: Vasco de Garma, den Grafen von Vindiguera. Aber ihre Liebe wird schon bald auf eine harte Probe gestellt: Auf Befehl des Königs muss Vasco sich auf eine gefährliche Schiffsexpedition nach Indien begeben. Monate später wird er für tot erklärt und Charlottas soll einen anderen Mann heiraten. Erst kurz vor der Hochzeit, kehrt Vasco unerwartet zurück nach Lissabon und die Leidenschaft zwischen ihm und Charlotta entflammt schon bald von Neuem. Aber har ihre Liebe noch eine Chance? Ein historischer Liebesroman für alle Fans von Elizabeth Chadwick und Lauren Smith.
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Seitenzahl: 541
Veröffentlichungsjahr: 2025
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eBook-Neuausgabe September 2025
Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel »Im Sturm der Leidenschaft« bei Lübbe.
Deutsche Erstveröffentlichung © 2004 by Laura Thorne
Copyright © für die deutschsprachige Ausgabe 2005 by
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung zweier Motive von © chewarmin / Kann AS Images / Adobe Stock, zweier Motive von ideogram.ai sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (mm)
ISBN 978-3-69076-101-7
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Laura Thorne
Roman
8. Juli 1497, Hafen Rastello bei Lissabon
»Das wird er mir büßen. Bezahlen wird er dafür bis an sein Lebensende.« Mit zusammengebissenen Zähnen stieß er die Worte hervor, einem Krächzen gleich. Doch niemand schenkte dem Zorn des Mannes Beachtung, nicht einmal sein nächster Nachbar.
Inmitten der Menschenmenge, die gekommen war, um dem Unternehmen ein gutes Gelingen zu wünschen, standen zwei Männer in dunklen Umhängen, die sie trotz der flirrenden Hitze dieses Sommermorgens anbehielten. Die Kleidung des Älteren, dessen Kiefer vor Erregung heftig mahlten, verriet den hohen Rang. Umhang und Wams waren aus bestem Mailänder Samt, reich bestickt und mit goldenen Bordüren eingefasst, das Barett mit edlen Steinen besetzt. An den Füßen trug er Stiefel aus weichem Kalbsleder, darunter Seidenstrumpfhosen. Der Ring an seiner rechten Hand zeigte ein Wappen mit einer Krone und sieben Punkten, das Zeichen des Grafenstandes. Die Hand war zur Faust geballt.
»Ich kann es noch immer nicht glauben«, presste der reich Gekleidete hervor und stieß seinem Nachbarn wütend den Ellbogen in die Seite. Der andere zuckte zusammen und sah den Älteren, der ihn um eine ganze Kopflänge überragte, von unten herauf an.
»Ja. Es ist wirklich unglaublich«, bestätigte der Jüngere, den sein Benehmen als Untergebenen auswies. Auch er war gut gekleidet, wenn auch weniger kostbar, doch hatte er von allem Zierrat ein wenig zu viel angelegt, so dass sein Aufzug eher protzig als elegant wirkte. In den falschen Steinen, die die Wamsärmel zierten, spielte zwar die Sonne, doch die Steine funkelten nicht wie Diamanten, sondern glitzerten nur wie Glas. Seine zweifarbige Strumpfhose schlug an manchen Stellen Falten und die übergroße Schamkapsel ließ sich auf den ersten Blick als Täuschung entlarven. Trotzdem spreizte sich der Mann wie ein Gockel nach allen Seiten und warf den jungen Mädchen und Burschen ohne Unterschied schmachtende Blicke zu. Während die Burschen wütend ob ihrer angekratzten Ehre die Faust ballten, erwiderten die Mädchen seine Blicke und lachten, doch nicht aus Koketterie, sondern aus Spott, aber davon merkte der selbstverliebte Mann nichts. Im Gegenteil. Er warf sich in die Brust, strich liebevoll über seinen Umhang, der an einigen Stellen schon ein wenig abgewetzt wirkte, und setzte einen ernsthaften Gesichtsausdruck auf.
Noch einmal wiederholte er mit wichtiger Miene: »Ja. Es ist eine Unverschämtheit. Ein Fehlurteil, das den König viel Geld kosten wird. Es wird kommen, wie Ihr es vorausgesehen habt, Dom Pedro de Corvilhas. Selbst der Hofastronom hat verlauten lassen, dass die Sterne nicht gut stehen. Jeder andere hätte das Unternehmen ...«
Seine Worte wurden vom plötzlich aufwallenden Lärm der Menge verschluckt. Die beiden Männer reckten die Hälse, um besser sehen zu können. Eben wurden zehn heruntergekommene, aber muskelbepackte Burschen, die mit schweren Ketten aneinandergefesselt waren, unter Peitschenhieben auf eines der beiden großen Segelschiffe getrieben, welche nebeneinander am Kai lagen. Das größere der beiden, die Sao Gabriel, hatte mit Eisen verstärkte Planken und einige Geschütze an Bord. Hoch oben am Mast flatterte die Fahne des Königreichs Portugal. Die Sao Rafael war nur wenig kleiner, doch auch sie sah nicht aus wie ein Handelsschiff. Schwer bewaffnete Männer in Kettenhemden und mit scharfen Messern am Gürtel nahmen die Gefesselten mit lauten Rufen in Empfang.
»Er ist unerbittlich«, knurrte der Ältere bei diesem Schauspiel. »Kümmert sich nicht um die schlechten Voraussagen, kennt keine Angst vor Stürmen, Seeungeheuern und ähnlichen Katastrophen. Die Seeleute aber haben Angst. Er hat nicht viele Freiwillige gefunden, die bei ihm angeheuert haben. Aber auch das stört ihn nicht. Geht er eben in die Kerker der Stadt und heuert zum Tode Verurteilte an, die ohnehin nichts mehr zu verlieren haben.«
»Ja«, nickte der Jüngere wieder. »Vasco da Gama kann man nicht aufhalten. Besessen ist er geradezu davon, den Seeweg nach Indien zu entdecken. Doch jeder weiß, dass dieses Unternehmen misslingen muss. Seht nur die Mannschaft! Schon jetzt herrscht Unfrieden an Bord. Ich wage gar nicht daran zu denken, wie sich die Halunken bei einer Meuterei verhalten!«
Geziert fächerte er sich mit einer Hand Luft zu, seufzte theatralisch und blickte zum Himmel.
Die Menge murrte leise, als der Kapitän der Sao Gabriel den zum Tode Verurteilten die Ketten abnehmen ließ, sobald sie die Schiffsplanken betreten hatten. Doch die Bediensteten und Mitglieder des königlichen Hofes und die Admirale der portugiesisch-königlichen Flotte, die nahe am Kai standen, klatschten laut in die Hände und stießen Jubelrufe aus: »Hoch lebe Vasco da Gama! Hoch lebe der König!«
Nur zögerlich stimmte die Menge in die Jubelrufe mit ein. Ihre Begeisterung war nicht echt, das war offenkundig. Viel zu viel Geld hatte der König für dieses Unternehmen zur Verfügung gestellt. Holz in unvorstellbaren Mengen hatte er heranschaffen und über ein Jahr lang lagern lassen, um damit Schiffe zu bauen, die weniger elegant, aber dafür kräftig genug waren, um wilden Stürmen zu trotzen. Um die Bauern, die nach einer langen Dürreperiode hungerten und nicht in der Lage waren, ihre Abgaben zu entrichten, kümmerte er sich dagegen nicht. Nun waren die Karavellen fertig, und der König hatte das Kommando für die kleine Flotte einem jungen Kapitän anvertraut, den die wenigsten kannten, und hatte die verdienten Admirale der portugiesisch-königlichen Flotte einfach übergangen. Der Unmut über die gewaltigen Summen, die das Unternehmen bisher verschlungen hatte, und die Wahl des Kapitäns wurde nur hinter vorgehaltener Hand laut. Doch jetzt, im Schutze der Menge, konnten einige nicht mehr an sich halten. Sie schüttelten erbost ihre geballten Fäuste.
Aber das tröstete Dom Pedro de Corvilhas nicht. Noch immer sah er mit zusammengekniffenen Augen zum Kai. Sein düsterer Blick ruhte auf einer jungen Frau im weißen Kleid, deren Schönheit gerade erst erblühte. Obwohl sie inmitten der Hofleute stand, war sie nicht zu übersehen. Die Sonne schien auf ihre langen roten Locken, so dass Kopf und Rücken wie von einem Feuerschein umrahmt zu sein schienen. Mit ihrer hohen, schlanken Gestalt überragte sie die anderen Frauen, doch wegen ihrer Schönheit und natürlichen Grazie hob sie sich ohnehin aus der Menge heraus.
Sie stand in erster Reihe und warf Vasco da Gama, der nun an der Reling lehnte und zu ihr heruntersah, Blumen und Kusshände zu. Bis hierher konnte Dom Pedro ihr perlendes Lachen hören, konnte sehen, wie sie den Kopf zurücklehnte und dabei die anmutige Linie ihres Halses zur Geltung brachte.
Der Graf knirschte mit den Zähnen, wandte sich um und drängte sich durch die Menge, wobei er rücksichtslos mit den Ellbogen nach links und rechts stieß. Sein Begleiter und persönlicher Berater Alonso Madrigal war bemüht ihm zu folgen. Schweigend, mit großen Schritten und den Kopf missmutig zwischen die Schultern gezogen, eilte der Graf die schmutzstarren Gassen entlang, ohne sich nach seinem Begleiter umzusehen. Im Vorübergehen versetzte er einem armen Straßenjungen, der ihn anbettelte, eine Kopfnuss, so dass der Knabe laut aufheulte.
»Was hast du herausgefunden, Madrigal?«, fragte Dom Pedro, ohne sich um den Jungen zu scheren oder nach seinem Begleiter umzusehen. Madrigal hatte den Blick auf die Gasse gerichtet, die aus gestampftem Lehm bestand und in der Mitte eine Rinne aufwies, in der sich der Abfall aus den angrenzenden Häusern sammelte. Wie ein Storch hüpfte er zwischen den Exkrementen der Schweine herum, die quiekend vor ihm herliefen, ängstlich darauf bedacht, seine Stiefel nicht zu beschmutzen.
»Nichts, was Ihr nicht schon wüsstet«, erwiderte der Berater und wich geschickt einem Schwall von Wasser aus, den eine Magd aus einem Eimer schwungvoll auf die Gasse schüttete. »Und beinahe nichts, was nicht alle anderen auch wissen könnten.«
»Und was genau wissen wir? Ich bezahle dich nicht dafür, dass du mir Rätsel aufgibst.«
Dom Pedro blieb abrupt stehen, so dass Madrigal beinahe gegen ihn geprallt wäre, nahm seinen Berater am Ärmel und zog ihn in eine kleine, heruntergekommene Taverne, in der nur Seeleute, Fischer und andere arme Schlucker verkehrten. Madrigal rümpfte die Nase, als sie den Schankraum betraten. Die aus Bruchsteinen gemauerten Wände waren schwarz vom Ruß des Kohlefeuers, über dem ein dampfender Kessel an Ketten hing. Die Wandbänke waren abgesessen. Davor standen einfache Holztische, von deren Kanten das Holz splitterte. Der Boden war aus gestampftem Lehm. Abfälle, zwischen denen zwei Hunde herumschnüffelten, lagen unter den Tischen. Es roch nach billigem Wein, ranzigem Fett und menschlichen Ausdünstungen. Einige Männer in verschlissener Kleidung, mit großen, rauen Händen und wettergegerbten Gesichtern, lungerten herum und tranken bereits am hellen Vormittag verdünnten Wein. Als sie die hohen Herrschaften hereinkommen sahen, leerten sie hastig ihre Becher und entwichen ins Freie.
Dom Pedro ließ sich schwer auf einer Holzbank nieder, Madrigal setzte sich ihm gegenüber, nicht ohne vorher mit dem Ärmel über die Bank zu wischen. Der Wirt eilte herbei, und seine Unterwürfigkeit wirkte fast schon belästigend: »Stets zu Diensten, Eure Exzellenzen. Ich habe heute eine kräftige Fischsuppe, ganz frisch. Dazu den besten Tropfen aus meinem Keller.«
Dom Pedro wedelte mit der Hand, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. »Bring den Wein, Wirt. Eine Kanne mit zwei Bechern und dann verschwinde.«
»Sehr wohl, sehr wohl, die Herren«, stammelte der Wirt und sah zu, dass er aus dem Weinkeller das Gewünschte heranschaffte.
Dom Pedro nahm einen kräftigen Schluck des einfachen roten Landweines und verzog leicht angewidert den Mund. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über die Lippen, sah Madrigal leicht belustigt zu, der geziert an seinem Becher nippte und forderte den Berater dann auf: »Erzähl! Fass zusammen, was du weißt. Beginne mit dem Anfang.«
Madrigal stellte seinen Becher auf dem Tisch ab und brachte seinen Wamsärmel vor den glänzenden Flecken auf der abgewetzten Platte in Sicherheit. Seine Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er sich hier ganz und gar nicht wohlfühlte.
»Nun, es ist jetzt beinahe auf den Tag zehn Jahre her, seit Bartolomeo Diaz die Südspitze Afrikas, das Cabo Tormentosa oder auch Kap der Guten Hoffnung genannt, umschiffte. König Johannes II. gab Euch anschließend den Auftrag, Diaz Entdeckung auszuwerten, auf Karten zu übertragen und die Route für einen Seeweg nach Indien zu bestimmen. Schließlich habt Ihr die meisten Erfahrungen, kennt den Landweg und habt sämtliche Vorarbeiten geleistet. Fünf Jahre später, 1492, versuchte ein Genuese, Christof Columbus genannt, im Auftrag der spanischen Krone Indien zu erreichen. Doch er kam ohne Gewürze zurück und niemand weiß genau, wo er wirklich gelandet ist.
König Johannes stellte die Mittel bereit, die Ihr brauchtet, um eine eigene Expedition zu den Gewürzländern durchzuführen, doch unglücklicherweise starb unsere geliebte Majestät, bevor Ihr aufbrechen konntet. Der neue König, Manuel I., hatte einen anderen Favoriten: Vasco da Gama. Er stattete ihn mit Mitteln aus, um über das Meer in Richtung Indien aufzubrechen. Und heute, am 8. Juli 1497, sticht er mit seiner Flotte, die aus drei Karavellen und einem Frachtschiff mit Proviant besteht, in See. Die Besatzung zählt ungefähr 170 Mann, darunter der Elitestab der königlich-portugiesischen Marine. Auch Bartolomeo Diaz gehört dazu. Außerdem erfahrene Seeleute seiner Expedition von vor zehn Jahren, drei arabische Gefangene, die als Übersetzer ihrer in Indien ansässigen und Handel treibenden Landsleute vorgesehen sind, und die zehn zum Tode Verurteilten, denen man die gefährlichsten Unternehmungen zumuten wird. Mit gesetzten Segeln wird Vasco da Gama als Befehlshaber der Flotte heute mit Kurs nach Süden hart am Wind kreuzen und als erste Station seiner Reise die Kanarischen Inseln anlaufen. Die weitere Route wird genauso verlaufen, Dom Pedro, wie Ihr sie nach Diaz Angaben erarbeitet habt und nach den Karten, die Ihr gezeichnet habt. Eure Reise, Dom Pedro, wird nun ein anderer machen. Er wird den Ruhm für Eure Arbeit ernten.«
Madrigal verstummte und sah Dom Pedro abwartend an. Dieser hatte die Fäuste geballt, so dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
»Das weiß ich alles, Madrigal«, stieß Graf Corvilhas zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Die Wut hatte sein Gesicht kantig gemacht. Wieder mahlten seine Kiefern und auf seiner Stirn wuchs eine dicke blaue Ader.
»Weiter!«, herrschte er seinen Berater an.
»Zwanzig Monate wird da Gama für seine Expedition nach Indien brauchen, hat er gesagt. Wenn er im April des Jahres 1499 nicht zurück sein sollte, so könne man ihn getrost für tot erklären. Vermessen ist diese Aussage, wenn Ihr mich fragt. Vermessen, weil selbst Bartolomeo Diaz mehr Zeit gebraucht hat und er ist schließlich nur bis zum Kap der guten Hoffnung gekommen.«
»Das alles weiß ich, Madrigal«, knurrte Dom Pedro und wedelte mit der Hand über den Tisch. »Und um deine Meinung hat dich niemand gebeten. Berichten sollst du mir, was ich noch nicht weiß.«
Madrigal stützte sich mit beiden Ellbogen auf die abgewetzte Holzplatte, beugte sich vor und ließ seinen Blick noch einmal durch den Raum schweifen. Sie waren allein. Er räusperte sich, dann sagte er leise: »Wenn es Vasco da Gama gelingt, den Seeweg nach Indien zu entdecken und dafür zu sorgen, dass wir das arabische Handelsmonopol und die hohen Wegzölle, die die Mauren auf dem Landweg verlangen, umgehen. Wenn er die wertvollen Gewürze, Stoffe und Edelsteine ohne Umwege und mit geringen Kosten nach Portugal bringt, dann hat ihm König Manuel fünf Prozent aller Einkünfte versprochen, dazu den neuen Titel ›Admiral der Indischen Meere‹ und Mittel für weitere Expeditionen.«
»Fünf Prozent? Fünf Prozent der Fracht aus Indien und fünf Prozent aller Handelseinkünfte an Gewürzen?«, fragte Dom Pedro de Corvilhas. Seine Stimme erreichte bei dieser Frage eine für ihn ungewohnte Höhe.
Madrigal nickte. »Fünf Prozent auf Lebzeiten! So wahr ich hier sitze.«
Dom Pedro schluckte und starrte eine Weile ins Leere. Schließlich sagte er: »Wenn es ihm gelingt, so wird er unermesslich reich werden. Reicher, als jeder andere von uns. Nur der König selbst kann sich dann mit ihm messen.«
Wieder nickte Madrigal und nahm einen Schluck aus seinem Weinbecher: »Auch die Geldladen des Königs werden sich füllen. Es ist sogar möglich, dass er die spanischen Könige Ferdinand und Isabella übertrumpft. Hoffen und beten sollten wir, dass er keine neuen Kriege anzettelt. Es wäre für viele von Vorteil, scheiterte da Gama.«
Er wirkte jetzt weniger angeekelt, beobachtete aufmerksam jede Reaktion seines Herrn, der seinerseits nach dem Weinbecher griff und ihn in einem Zuge hinunterstürzte.
»Das Neueste, Herr, wisst Ihr aber noch nicht.« Madrigal verstand es, die Spannung auf die Höhe zu treiben. »Es hat mich viel Geld und Mühe gekostet, dieses Geheimnis zu lüften.«
Er ließ seinen Blick auf den ledernen Geldbeutel, den er am Gürtel trug sinken, und Dom Pedro verstand. Er seufzte, holte seine Börse hervor, entnahm ihr einige Golddukaten und warf sie auf den Tisch.
»Deckt diese Summe deine Aufwendungen?«, fragte er.
Leise Verachtung schwang in seinen Worten, doch er behielt seine Gedanken für sich.
»Ihr seid sehr großzügig, Herr«, schmeichelte Alonso Madrigal, nahm die Golddukaten, biss auf jedes einzelne Geldstück, betrachtete das Ergebnis und ließ das Gold blitzschnell und mit hochzufriedener Miene in seinen Beutel gleiten.
»Jetzt komm zur Sache«, drängte der Ältere.
Madrigal beugte sich noch dichter zu Dom Pedro herüber und raunte: »Vorgestern Abend hat sich Vasco da Gama mit Doña Charlotta verlobt.«
»Was?! Was sagst du da?!«
Dom Pedro war bei diesen unglaublichen Worten aufgesprungen. Mit dem rechten Arm wischte er den Weinbecher vom Tisch, so dass dieser auf den Boden schlug und mit lautem Klirren zerbrach. Der Wirt kam herbeigeeilt, doch als er das rot verfärbte Gesicht Dom Pedros sah, verdrückte er sich schleunigst wieder.
Auch Madrigal hatte sich geduckt und sah seinen Herrn von unten herauf an.
»Was sagst du, Madrigal? Verlobt?«, tobte Dom Pedro. Die Wut hatte seine Stimme dunkel und heiser gemacht, und auf seiner Stirn wuchs die dicke, blaue Zornesader auf Fingerdicke an. Seine buschigen Augenbrauen über den klaren, grauen Augen zitterten. Er griff über den Tisch nach Madrigals Wams und schüttelte den Berater.
Madrigal nickte, wand sich aus dem Griff des Grafen und richtete seine Kleidung. »Ja. Vasco da Gama und Charlotta de Alvarez, Tochter des höchsten königlichen Admirals, Befehlshabers der gesamten königlichen Marine und erster Berater des Königs, Dom Ernesto de Alvarez, haben sich vorgestern im Palazzo der Alvarez’ im kleinen Kreis das Heiratsversprechen gegeben.«
Dom Pedro schüttelte den Kopf. »Das ist nicht wahr, Madrigal. Du lügst! Das kann gar nicht wahr sein!«, zischte er und riss an seinem Umhang, als sei ihm plötzlich zu heiß geworden. Sein Kinn wirkte noch kantiger als sonst, und selbst das Haar, das ihm dunkel und dicht bis auf die breiten Schultern reichte, wirkte plötzlich störrisch.
»Nein, Herr, ich lüge nicht! Heute noch wird die Verlobung öffentlich verkündet. Man wollte damit warten, bis Vasco da Gama auf See ist. Für Glückwünsche wäre gestern und heute keine Zeit gewesen, das junge Paar wollte die wenigen Stunden, die ihnen vor da Gamas Abreise noch blieben, für sich allein haben. Deshalb die Geheimhaltung, deshalb erst heute die Verkündung.«
Dom Pedro ließ sich hart zurück auf die Holzbank sinken. Sein Atem ging in schweren Zügen, als hätte er gerade eine große Anstrengung hinter sich gebracht. Winzige Schweißperlen standen auf seiner schmalen Oberlippe.
Im selben Augenblick flog die Tavernentür auf und ein dreckiger Knabe von vielleicht zwölf Jahren stürzte herein.
»Vater«, schrie er, so laut er konnte, doch als er die beiden hohen Herren im Schankraum sitzen sah, verstummte er. Der Wirt kam herbei, nahm den Knaben beim Arm und zog ihn mit sich. Doch der Junge plapperte munter drauflos, nachdem er sich von seiner Überraschung beim Anblick der ungewöhnlichen Gäste erholt hatte, ohne den hohen Herren weiter Beachtung zu schenken: »Doña Charlotta und Vasco da Gama haben sich verlobt. Eben wurde es an der Kirche Santo Domenico angeschlagen. Ein Bote Dom Alvarez’ brachte den Anschlag an, der sogar mit dem königlichen Siegel versehen ist.«
Dom Pedro starrte dem Jungen nach, als wäre er ein Geist.
»Ihr seht, ich lüge nicht«, sagte Alonso Madrigal. In seiner Stimme klang ein wenig Genugtuung. Doch als sein Blick auf Dom Pedro fiel, verstummte er.
Pedro de Corvilhas saß mit gesenktem Kopf auf der Bank. Noch immer ging sein Atem schwer. Doch plötzlich ließ er die geballte Faust auf den Tisch krachen, so dass auch das restliche Geschirr zu Boden fiel.
»Das werde ich nicht hinnehmen!«, stieß er rau hervor. »Charlotta war mir versprochen. Vor Jahren schon, als sie noch ein kleines Mädchen war, bin ich mit ihrem Vater übereingekommen. Und es ist mir vollkommen gleichgültig, mit wem sie sich verlobt hat. Sie gehört mir.«
Bei den letzten Worten war seine Stimme laut und lauter geworden. Nun schrie Dom Pedro beinahe: »Die ganze Stadt hat gewusst, dass Charlotta eines Tages meine Frau werden wird. Zum Narren haben sie mich gemacht. Zum Gespött der Leute. Aber ich werde denen zeigen, wer Dom Pedro ist. Allen werde ich es zeigen und diesen Emporkömmling Vasco da Gama auf den Platz verweisen, wo er hingehört: in die letzte Kirchenbank an Land und auf See an die Ruder der Galeeren.«
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte.
Dann schickte er Alonso Madrigal mit einer Handbewegung fort: »Geh und höre dich in der Stadt um, wie man über mich spricht. Wissen will ich auch, was man sich über Charlotta und Vasco erzählt. Ich will erfahren, warum sie ihn mir vorgezogen hat.«
Madrigal stand auf, doch er tat es langsam. Seine Miene zeigte deutlich, dass er den Grund dafür kannte, warum sich Charlotta de Alvarez mit Vasco da Gama und nicht mit Dom Pedro de Corvilhas verlobt hatte.
Sein Blick glitt über die eingefallenen grauen Wangen seines Gegenübers, verweilten auf dem struppigen Bart, der die Narben, die sich Dom Pedro bei einer Blatternerkrankung in der Jugend zugezogen hatte, nur unzureichend verdeckte, huschten über den massigen Leib und den dicken Wanst, der wie ein Fass auf den wuchtigen Schenkeln ruhte.
Beflissen nickte er, strich seinen Umhang glatt und nahm noch einen kräftigen Schluck aus seinem Weinbecher, ehe er sich mit einer unterwürfigen Neigung des Kopfes verabschiedete und verschwand.
Noch lange saß Dom Pedro am Tisch der Taverne und brütete dumpf vor sich hin. Zuerst hatte ihn Vasco da Gama um Ruhm und Ehre gebracht, nun nahm er sich obendrein noch seine Braut. Er hatte Dom Pedro erniedrigt und geschlagen, aber nicht besiegt. »Ich werde mir nehmen, was mir gehört!«, schwor sich Dom Pedro. »Ich werde nicht eher ruhen, als bis ich Vasco da Gama vernichtet habe.«
Einige Stunden später, die Dämmerung hatte sich bereits wie ein graues Tuch über Lissabon gelegt, klopfte Madrigal an die Tore des Palazzo von Dom Pedro.
Ein Diener führte ihn in das Arbeitszimmer des Grafen von Corvilhas, das so prunkvoll eingerichtet war, wie es seinem Stand und seiner Stellung entsprach. Die Wände waren mit Stoff bespannt und mit wertvollen Teppichen behängt. Dicke Läufer, die jeden Schritt der schweren Lederstiefel dämpften, lagen auf dem marmornen Boden. Die Möbel waren aus edlen Hölzern und mit Intarsienarbeiten verziert, die Sitzbänke gepolstert und mit kostbaren Stoffen überzogen. Überall im Raum waren silberne Leuchter verteilt, die mit echten Wachskerzen und keineswegs nur mit billigen Talglichtern bestückt waren und den Raum in ein heimeliges Licht tauchten.
Dom Pedro saß an seinem Arbeitstisch. Vor ihm lagen mehrere Seekarten, daneben stand eine venezianische Glaskaraffe mit rotem Wein, dazu ein silbernes Trinkgefäß.
»Setzt Euch und berichtet!«, verlangte Dom Pedro und wies Madrigal einen Platz auf einem Schemel zu. Ohne seinem Gast etwas anzubieten, füllte er seinen silbernen Becher und trank ihn in gierigen Zügen bis auf den Grund leer.
»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll«, begann Madrigal und knetete sein Barett zwischen den Händen.
»Mit Worten sagt es sich am besten«, forderte Dom Pedro. »Los nun!«
Madrigal seufzte und strich sich mit einer gezierten Handbewegung das bereits schüttere Haar aus der hohen Stirn. Seine dünnen, blutleeren Lippen glänzten feucht und in den schmalen, fast wimpernlosen Augen glomm eine Mischung aus Häme und Furcht.
»Die Menschen sind schlecht«, jammerte Alonso Madrigal und beugte demütig die Schultern. »Nur Neid und Missgunst, wohin man auch sieht. Die, die sich gestern noch Freunde nannten, reden heute Übles übereinander. Doch so ist der Welten Lauf.«
»Komm zur Sache, Madrigal. Was die Leute reden, will ich hören.«
Wieder seufzte Madrigal. Er zappelte auf seinem Schemel hin und her, um anzudeuten, wie unangenehm ihm zu Mute war. Den Blick auf sein Barett gesenkt, murmelte er schließlich: »Mit Eurer Manneskraft, Dom Pedro, sei es schlecht bestellt, erzählt man sich. Dom Alvarez hat Sorge um die Nachkommen. Deshalb die Verlobung seiner Tochter mit Vasco da Gama. Er hat die besten Voraussetzungen: Er ist jung, gerade mal 28 Jahre alt, und schon Befehlshaber einer Flotte. Und dann die fünf Prozent. Gut möglich, dass Dom Alvarez diese Abmachung kennt. Immerhin ist er ein Vertrauter des Königs.«
Madrigal zog die Schultern in Erwartung eines Wutausbruchs zusammen und duckte sich auf dem Schemel. Doch Dom Pedro blieb ruhig. Sein Gesicht war entspannt. Sogar ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. Ein Lächeln, dass Madrigal Angst einjagte und als kalter Schauer über seinen Rücken lief.
»An Manneskraft also mangelt es mir, erzählt man sich. Gut! Sehr gut! Dann wirst du, Madrigal, mich heute in die Hafengegend begleiten und morgen allen erzählen, wie es wirklich mit meiner Manneskraft bestellt ist.«
»Wie? Was?«
Madrigal glaubte, nicht richtig verstanden zu haben.
»Du wirst mit mir in eines der Hurenhäuser gehen. Vor deinen Augen werde ich meine Manneskraft unter Beweis stellen. Komm, steh auf, wir wollen gehen! Und wenn die Stadt nicht innerhalb von einer Woche davon überzeugt ist, dass das Feuer meiner Lenden ausreicht, halb Lissabon zu beglücken, dann, mein Freund, werde ich dich davonjagen.«
»Was habt Ihr zu berichten?«
Die Stimme Dom Pedros hallte in der Hafentaverne wider. Die Fischer und Seeleute, die Hafenarbeiter und Huren hatten sich bei seinem Eintritt in einen Nebenraum verzogen, so dass Dom Pedro allein in der Schankstube saß. Nur der Wirt wischte sich die Hände an einem dreckigen Tuch ab und rührte dann mit einem riesigen Holzlöffel in dem Kessel, der über der Feuerstelle hing. Würzige Düfte nach Suppenfleisch und Knoblauch durchdrangen den Raum, und der Bote, der eben erschöpft die Taverne erreicht hatte, sog hungrig den Geruch des Essens ein.
»Erzählt, was Ihr wisst. Anschließend könnt Ihr Euch den Bauch vollschlagen«, bestimmte Dom Pedro. Der Bursche nickte.
»Neunzehn Monate ist es her, seit Ihr mich losgeschickt habt, die Entdeckungsreise Vasco da Gamas auf dem Landweg zu verfolgen. Zuerst reiste ich von Gibraltar nach Tanger in Afrika, ritt dort den gesamten Wendekreis des Krebses durch die arabische Welt bis nach Goa in Indien, unweit von Kalikut. Dort wartete ich auf das Eintreffen der Flotte. Ein arabischer Lotse hat Vasco da Gama den Weg gewiesen, und als er in Kalikut eintraf, wurde er empfangen wie ein König. Der Zamorin, ein ehemaliger moslemischer Glücks- und Raubritter, der sich zum Herrscher über Kalikut gemacht hat, verhandelte mit Vasco da Gama. Auch seine Tochter Suleika, Prinzessin von Kalikut, war bei diesen Gesprächen dabei, deren Inhalt als streng geheim gilt.
Im August 1498 lief die Flotte, mit Gewürzen beladen, aus Kalikut aus. Vor der Küste Mombassas verlor da Gama im Januar die Sao Rafael. Sie zerschellte an einer Klippe und wurde in Brand gesteckt. Zuletzt sah ich seine Flotte im Februar am Kap der Guten Hoffnung. Bei einem gewaltigen Sturm verlor ich die Schiffe aus den Augen. Sie wurden aufs offene Meer hinausgetrieben. Das ist jetzt acht Wochen her. Wenn es Vasco da Gama gelungen sein sollte, den Sturm zu überleben, so braucht er doch noch viele Wochen, um nach Lissabon zu gelangen. Frühestens Anfang August kann er den Heimathafen erreichen. Dann werden 25 Monate seit seiner Abreise vergangen sein. Niemand wird mehr mit seiner Heimkehr rechnen, er selbst gilt als tot, die Schiffe verschollen.«
Dom Pedro strich sich überaus zufrieden mit der Hand über seinen Bart. Er hatte die Augen ein wenig zusammengekniffen und wirkte wie eine Katze, die gerade den Sahnetopf entdeckt und ausgeschleckt hatte.
»Ihr seid sicher, dass er Lissabon vor August nicht erreichen wird?«
»Das steht fest, Herr. So fest wie das Amen in der Kirche. Wenn er überhaupt wiederkommt.«
»Hmm.« Dom Pedros Laune hob sich von Augenblick zu Augenblick. Jeder, der ihn kannte, hätte die Genugtuung in seinem Gesicht erkennen können. Eine Genugtuung, die dem Boten ein wenig Furcht bereitete. Als Dom Pedro ihn großzügig entlohnt und zum Stillschweigen verpflichtet hatte, beeilte er sich, die Taverne zu verlassen.
Dom Pedro aber ließ durch den Wirt einen Boten rufen und diesen in den Palazzo der Alvarez’ schicken. Dann bestellte er sich ein großzügiges Mahl, das mit einer Portion fetter Hammelsuppe begann, der ein gebratener und mit Kastanien gefüllter Kapaun folgte und schließlich mit in Fett gebackenen und mit Zucker und Zimt bestäubten Kringeln abschloss. Dazu trank Dom Pedro drei ganze Kannen des schweren roten Weines, und als er am Ende des Mahles angelangt war, glänzten seine Augen glasig und das Fett triefte von seinen Lippen. Er stieß einen tiefen Seufzer der Zufriedenheit aus, ließ sich schwer gegen die Wand sinken, rülpste mehrmals kräftig, verschränkte die Arme vor seinem aufgeblähten Wanst und schloss die Augen.
Es sah aus, als schliefe Dom Pedro, doch in Wirklichkeit war er hellwach. Die Gedanken in seinem Kopf schwirrten umher wie Bienen in einem Bienenkorb. Doch schon bald hatte Dom Pedro sie geordnet. Zufrieden öffnete er die Augen, holte einen Dukaten aus seinem Lederbeutel und warf ihn auf den Tisch. Dann erhob er sich trotz seiner Körperfülle überraschend schnell und verließ in ungewohnter Hast die Taverne.
Er eilte durch die Gassen, die nahe am Hafen lagen und von der Armut der Fischer und einfachen Leute erzählten. Windschiefe Katen, nur unzureichend mit Stroh gedeckt, duckten sich rechts und links an die Ränder der lehmigen Gasse, auf der rotznäsige, halbnackte Kinder spielten. Ein Fischer saß vor seinem Haus und hielt ein Netz zwischen den Beinen, daneben saß seine Frau und bearbeitete einen mageren Fisch, so dass die silbernen Schuppen rechts und links wie kleine Sternschnuppen auf die Gasse sprühten. Irgendwo sang eine Magd, anderswo greinte ein Kleinkind. Doch Dom Pedro hatte für all diese Dinge keinen Blick übrig. Schnellen Schrittes durchquerte er die Armenviertel und gelangte bald auf eine gepflasterte Gasse, die durch ein Viertel mit weiß getünchten Häusern aus Stein führte. Die zweigeschossigen Häuser waren mit kleinen Säulen und Mosaiken verziert, ein jedes hatte einen Balkon mit fein geschmiedetem Gitter und hölzerne Läden vor den Fenstern. Handwerksmeister und bessere Krämer wohnten hier, die es sich leisten konnten, das Wohnhaus nur für die eigene Familie zu nutzen und das Vieh in benachbarten Ställen aus Holz unterzubringen. Auch hier hallten die Gassen vom Lärm des Tagesgeschäfts wider. Scherenschleifer zogen mit ihren Karren durch die Gasse und boten lauthals ihre Dienste an. An einer Ecke standen zwei Mägde in einen Schwatz vertieft, ein Handwerksbursche schleppte einen schweren Sack herbei und warf dabei den Mägden Scherzworte zu.
Von der weißen, hoch aufragenden Kirche wurde gerade zur Vesper geläutet, als Dom Pedro endlich das Viertel der reichen Kaufleute und Adligen erreichte. Die Palazzi schmiegten sich an den Südosthang eines Berghügels wie junge Mädchen an die Brüste der Geliebten. Auf dem Hügel aber befand sich das prächtige Castello de Sao Jorges, der Palast des Königs.
Große Gärten verströmten den Duft von Oleander und Lavendel, die Orangenbäume prunkten mit ihren reifen Früchten und wirkten doch ganz winzig vor den ausladenden Palmen.
Der Palazzo der Alvarez’ war mit Abstand das prächtigste der Gebäude. Eine mit weißen Kieselsteinen besetzte Allee führte durch einen kleinen Park, in dem Algarves, Yuccapalmen, Zitronenbäume und Hibiskussträucher mit lodernd roten Blüten zum Staunen einluden, und endete direkt am Portal eines dreistöckigen langen Gebäudes, das wohl an die zwanzig Zimmer barg. In das Innere des Palazzos führte eine breite, überdachte Treppe, die von Säulen eingerahmt war. Am Fuße der Treppe standen Marmorstatuen in Form seltener Tiere. In der Höhe der ersten Etage zog sich ein kostbares Mosaik aus mit Blattgold belegten Kacheln um die gesamte Vorderfront, durchbrochen nur von ausladenden Balkonen, die mit Blumen geschmückt waren. Die hölzernen Läden waren geschlossen, um die Gluthitze des Sommers nicht in die kühlen Räume zu lassen.
Dom Pedro betrat den großen, parkähnlichen Garten und blieb stehen, um nach Atem zu ringen. Das schnelle Laufen durch die sommerliche schwülwarme Luft bekam ihm nicht. Mit einem Tuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn, ging dann zu einem Marmorbrunnen und erfrischte sich ein wenig. Vom Duft der vielen Blüten war ihm leicht schwindelig, so dass er sich auf eine der Bänke unter den schattigen Zweigen der hochragenden Palmen ausruhen musste. Bewundernd glitt sein Blick durch den Garten, verweilte an den Marmorstatuen und den kleinen Brunnen, die nach den höchsten Regeln der Kunst verteilt waren und der Anlage eine heitere und elegante Atmosphäre verliehen. Dom Pedro lächelte. Nicht mehr lange, dann würde all diese Pracht ihm gehören. Und in wenigen Minuten schon würde er den ersten Schritt dieses Weges einschlagen.
Als sich sein Herzschlag beruhigt hatte und auch der Schweiß auf Stirn und Nacken getrocknet war, erhob er sich. Mit einem raschen Blick prüfte er den Sitz seiner Kleidung, strich sich ein Staubkorn von seinem Umhang und brach eine der glutroten Hibiskusblüten ab. Dann schlenderte er langsam auf den Eingang des Palazzos zu und betätigte den massiven Türklopfer aus Edelmetall, der die Form einer Schlange hatte.
Sogleich wurde ihm von einer Magd geöffnet.
»Euren Herrn will ich sprechen. Sag ihm, dass Dom Pedro gekommen ist, um mit ihm zu reden.«
Die Magd nickte, führte den Gast in die kühle Halle und eilte davon, ihrem Herrn Bescheid zu sagen.
Dom Pedro hatte sich noch nicht in aller Ruhe umsehen können, da hörte er bereits Ernesto de Alvarez’ Schritte die große helle Marmortreppe herunterkommen.
»Was gibt es, Dom Pedro? Warum sucht Ihr mich unangemeldet in meinem Haus auf?«
Die Stimme von Dom Ernesto de Alvarez klang nicht besonders freundlich. Mit leisem Widerwillen sah er Dom Pedro an. Vor wenigen Jahren noch war Graf Corvilhas ein stattlicher Mann mit angenehmem Äußeren und tadellosem Ruf gewesen. Johannes II., der verstorbene König, hatte Dom Pedro vor zehn Jahren nach Osten entsandt. Mit dem Zamorin, dem Herrscher von Kalikut, sollte er ein Bündnis über den Handel mit Gewürzen schließen. Doch dazu war es nie gekommen. Anmaßend und hochfahrend soll er dem Zamorin begegnet sein. Die kostbaren Geschenke des Herrschers hatte Dom Pedro mit minderwertigen Waren vergolten, und er hatte den Herrscher beleidigt, so dass der Zamorin Dom Pedro und seine Begleiter schließlich des Landes verwiesen hatte. Statt Ruhm und Ehre hatte Dom Pedro nur Schimpf und Schande geerntet und war schließlich sogar beim König in Ungnade gefallen. Seither war es abwärts gegangen mit ihm. Glücksspiel und Wein im Übermaß, windige Geschäfte, zahllose Affären mit Frauen von niederem Stand, die sich für ihre Liebe bezahlen ließen. Des Grafen einstmals stattliche Figur war schwammig geworden, das Haar ungepflegt, die Augen vom vielen Wein stets rot gerändert.
Trage ich eine Mitschuld an Dom Pedros Entwicklung?, fragte er sich nicht zum ersten Mal. Ernesto de Alvarez war der Pate von Corvilhas. Am Totenbett hatte er seinem Vater Dom Jose in die Hand versprochen, sich um Pedro zu kümmern, ihm mit Rat und Tat an Vaters statt zur Seite zu stehen. In den ersten Jahren entwickelte sich Dom Pedro prächtig. Er war ein außerordentlich begabter Kartenzeichner und ein guter Kapitän. Doch dann kam die misslungene Reise nach Indien. Und in der Zeit, als Dom Pedro den Rat des alten Alvarez gut hätte brauchen können, da starb Doña de Alvarez und Ernesto war so in seinem Schmerz gefangen, dass alles andere rings um ihn keinerlei Bedeutung besaß. Später dann hatte Dom Pedro sich jegliche Einmischung in sein Leben energisch verbeten und ganz allmählich waren sie im Laufe der Zeit zu Gegnern geworden. Sie hatten ihre Meinungsverschiedenheiten zwar niemals öffentlich ausgetragen, doch ihr Missfallen aneinander blieb niemandem verborgen.
Ich habe versagt, dachte Dom Alvarez, bin meinem Versprechen und meinen Aufgaben als Pate nicht nachgekommen. Ich habe mich schuldig gemacht am Sohn meines alten Freundes. Wüsste ich eine Möglichkeit, Wiedergutmachung zu üben, so nutzte ich sie gewiss. Aber wie? Der Gedanke bedrückte ihn so sehr, dass er seufzen musste.
Er hieß die Magd, erfrischende Getränke zu bringen und bat den ungebetenen Gast in einer bequemen Sitzecke Platz zu nehmen.
Dom Alvarez setzte sich ihm gegenüber und wartete. Die Blicke der beiden Männer kreuzten sich, hielten einander sekundenlang fest, bis sie von der Magd, die mit einem Krug frisch gepresstem Orangensaft kam, unterbrochen wurden.
Abschätzig betrachtete Dom Pedro den Saft. »Habt Ihr einem Gast nichts anderes anzubieten als dieses Weibergesöff?«, fragte er leise, aber mit nicht zu überhörender Häme.
»Ihr hattet Euch nicht angemeldet«, erwiderte Dom Alvarez. Abwartend saß er da, die Arme auf die Stuhllehnen gestützt. Trotz seines Alters war Dom Alvarez von tadellosem Äußeren. Das schmale Gesicht mit der leicht gebogenen Nase, die dunkelbraunen Augen, die unter dem schlohweißen Haar wie poliertes Holz wirkten, die aufrechte Haltung und der direkte klare Blick verrieten schon von weitem den Aristokraten, der sich seines Standes und seiner Würde sehr wohl bewusst war.
Dein Hochmut wird dir schon noch vergehen, dachte Dom Pedro, der unter Dom Ernestos Blicken zusammenschrumpfte und sich seiner Plumpheit, seines ungepflegten Äußeren und seiner schlechten Manieren doppelt bewusst wurde. Schon als Kind hatte er sich neben dem Freund seines Vaters immer wie ein Bauernsohn ausgenommen. Und schon damals war er sich seiner Mängel viel zu sehr bewusst gewesen, um Dom Ernesto wie einen Patenvater lieben zu können.
Ich wette, am Ende unserer kleinen Unterhaltung wirst du es sein, der eine ganze Kanne Wein braucht, dachte er.
Dom Pedro nahm den Saftbecher und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Er war zwar durstig, doch diese Geste sollte in erster Linie verhindern, dass Dom Alvarez seinen Ärger spürte. Solange Dom Pedro denken konnte, behandelte ihn Dom Alvarez mit Hochmut. Einem Hochmut, der nach Dom Pedros Ansicht keineswegs angemessen war. Auch er war von adligem Geblüt und Angehöriger der portugiesisch-königlichen Flotte.
Ja, sein Vater, der verblichene Dom Jose de Corvilhas zählte sogar einst zu den besten Freunden Dom Alvarez’. Und vor vielen Jahren hatten die beiden Väter einander ihre Kinder versprochen. Der große Altersunterschied zwischen Pedro und Charlotta hatte niemanden gestört. Im Gegenteil, noch immer hieß die Gesellschaft es gut, wenn ein erfahrener Mann ein junges Mädchen, das sich noch formen ließ, als Ehegattin in seine Obhut nahm.
Doch Dom Pedros Vater war lange tot, das Versprechen in Vergessenheit geraten und Doña Charlotta inzwischen mit diesem da Gama verlobt. Es wurde höchste Zeit, dass Dom Pedro auf seine älteren Rechte pochte und sich nahm, was ihm gehörte.
»Was wollt Ihr von mir? Weswegen seid Ihr in mein Haus gekommen?«, fragte Dom Alvarez. In seiner Stimme schwang Ärger mit. Es stimmte, er kannte Dom Pedro seit seiner Geburt, doch nach dem Tode des Vaters war er in schlechte Gesellschaft geraten. Seine üblen Triebe, die nun nicht mehr von der väterlichen Autorität im Zaume gehalten wurden, brachen unvermittelt hervor. Spielsucht, Trinkerei, Händel und Hurerei, das waren die Dinge, mit denen sich Dom Pedro den Tag versüßte. War Dom Pedro einst ein vielversprechender Seefahrer gewesen, so waren diese Zeiten lange vorbei. Aber er war und blieb sein Patensohn und stand tief in seiner Schuld.
»Also? Ich höre. Was führt Euch in meinen Palazzo?«
Im selben Augenblick klang aus den oberen Stockwerken heiteres, perlendes Gelächter bis nach unten in die kühle Halle. Beide Männer hoben den Kopf und lauschten. Eilige, leichte Schritte huschten über den Gang, ganz entfernt war das Rascheln von Seide zu hören. Doch schon klappte oben eine Tür und es herrschte wieder angespannte Stille.
Für einen Augenblick kam in Dom Pedro unwillkürlich die Erinnerung an einen heißen Sommertag vor knapp 20 Monaten wieder, als er mit seinem Berater Alonso Madrigal in der Taverne gesessen und die Nachricht von der Verlobung Doña Charlottas mit Vasco da Gama erfahren hatte.
Viel Wasser war in der Zwischenzeit den Tejo-Fluss, der ganz Lissabon mit Wasser versorgte, hinuntergeflossen. Und viele Gedanken hatte Dom Pedro in dieser Zeit in seinem Kopf hin- und hergewälzt.
Ein Leichtes war es gewesen, den Ruf seiner überwältigenden Männlichkeit mit Madrigals Hilfe in Lissabon wiederherzustellen. Ein Leichtes war es auch gewesen, die Huren mit Goldstücken dazu zu bringen, seinen Namen und seine Manneskraft so oft es sich ergab, zu erwähnen. Schwer aber war es, einen Plan zu schmieden, Charlotta aus den Händen Vascos zu reißen und für sich zu gewinnen. Doch jetzt war es soweit. Dank der Hilfe des ausgesandten Boten. Vor allem aber Dank Alonso Madrigals Hilfe.
»Reden wollt ich mit Euch, Dom Alvarez. Reden von Mann zu Mann, wie es sich unter Patenverwandten gehört«, sagte Dom Pedro, nahm sich unaufgefordert die Kanne mit dem Orangensaft und füllte sein Glas bis zum Rand.
»Sollte man uns wirklich verwandt nennen, Dom Pedro?«, wollte Dom Alvarez wissen. Kopfschüttelnd betrachtete er den Mann, der sich ungeniert in seinem Haus bediente und dabei Flecken auf Tisch und Boden hinterließ.
»Das Geschlecht der de Corvilhas und der de Alvarez ist seit Jahrhunderten befreundet und durch Patenschaften miteinander verbunden«, entgegnete Dom Pedro mit einem Lächeln. »Oder wollt Ihr das abstreiten, Dom Alvarez?«
Der alte Mann schwieg und ließ Dom Pedro nicht aus den Augen. Der lehnte sich gemütlich in dem gepolsterten Lehnstuhl zurück, die Beine gespreizt und die Hände vor dem Bauch verschränkt.
»Nun, wenn schon keine Freunde, so sind wir wenigstens Geschäftspartner, Dom Alvarez.«
Die Worte Dom Pedros wurden von einem Lächeln begleitet, das alles andere als fröhlich oder freundschaftlich war. Seine zusammengekniffenen Augen verliehen ihm ein lauerndes und heimtückisches Aussehen.
»Ich mache keine Geschäfte mit Euch, Dom Pedro«, erwiderte Dom Alvarez. »Doch die Hilfe, die ich Euch als meinem Patensohn schuldig bin, die sollt Ihr bekommen. Sagt nun, was Ihr wollt. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Nun, ich bin, wie Ihr selbst wisst, Eurer Familie seit meiner Geburt eng verbunden. Mir ist es nicht darum zu tun, Euch Ungelegenheiten zu bereiten. Ihr selbst habt damals mit meinem Vater einen Kontrakt aufgesetzt, der die Verlobung zwischen Charlotta und mir an ihrem 18. Geburtstag festschreibt. Ich bin gekommen, um Euch daran zu erinnern, dass dieser Tag immer näher rückt.«
Dom Alvarez erstarrte. Seit Jahren hatte er nicht mehr an diese Vereinbarung gedacht. Ja, er war sich sicher gewesen, dass auch Dom Pedro nicht das geringste Interesse daran hatte, eines Tages mit Charlotta vor den Altar zu treten. Jegliche Erinnerung an den Kontrakt hatte er verdrängt. Jetzt aber war die Vergangenheit gekommen, um ihn einzuholen. Jetzt wurde er auf sehr deutliche Art und Weise daran erinnert, dass er sein Patenkind über viele Jahre vernachlässigt hatte.
Dom Alvarez schüttelte leise den Kopf. »Sie ist die Verlobte Vasco da Gamas. Ich kann sie Euch nicht geben.«
Dom Pedro zuckte mit den Achseln. »Es ist nicht meine Schuld, dass Ihr nun wohl oder übel Ärger bekommen werdet. Mir war sie versprochen und jetzt bin ich gekommen, dass Versprechen einzulösen. Ich bin siebenunddreißig Jahre alt. Genau im richtigen Alter, eine Familie zu gründen und für Nachkommen zu sorgen.«
Der alte Admiral war blass geworden. Er griff nach dem Krug mit dem Saft, um sich einzuschenken, und Dom Pedro sah, dass seine Hand dabei leicht zitterte.
»Ihr wisst, Pate, dass ein solches Versprechen bindend ist und eingeklagt werden kann, oder?«
»Charlotta liebt Vasco da Gama und er liebt sie. Wollt Ihr wirklich eine Frau an Eurer Seite, die nichts für Euch empfindet? Deren Herz einem anderen gehört? Die unglücklich und unzufrieden mit dem Leben in Eurem Hause ist?«
Dom Ernestos Hoffnung, dass sich Corvilhas vor Charlottas und Vascos Liebe verbeugen und verzichten würde, war nicht besonders groß. Trotzdem wollte er es zumindest versuchen. Doch das Recht war eindeutig auf Dom Pedros Seite. Bestand dieser darauf, so musste Charlotta ihn heiraten. Es gab nichts, was Dom Ernesto dagegen unternehmen konnte. Sein vor Jahren gegebenes Versprechen einzuhalten, war eine Frage der Ehre. Nur der Verzicht des Grafen Corvilhas entließ ihn aus dieser Zusage.
Habe ich mich nun auch noch an Charlotta schuldig gemacht?, dachte er. Wird auch sie zum Opfer meines Versprechens? Im Stillen betete er, dass Corvilhas ein Einsehen haben möge.
Dom Pedro machte jedoch eine wegwerfende Handbewegung.
»Liebe, ach! Leute unseres Standes heiraten nicht aus Liebe. Besitz heiratet Besitz, Name verbindet sich mit Name, Güter und Gelder werden miteinander vermählt.«
»Charlotta ist anders. Die Dinge, die Ihr aufgezählt habt, bedeuten ihr nichts. Für sie zählt nur die Liebe.«
»Nun, Pech für sie.« Ein anzügliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Wenn sie erst die Freuden des Bettes kennen gelernt hat, wird sie bald anders über eine Ehe mit mir denken. Da bin ich sicher. Auch Ihr habt sicherlich davon gehört, dass ich in dieser Hinsicht einen Ruf zu verlieren habe. Sie ist doch noch jungfräulich, oder?«
»Charlotta ist so tugendsam, wie man es sich nur wünschen kann. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer«, antwortete Dom Alvarez überzeugt, doch wenn er an den Ruf Dom Pedros dachte, den die Huren der Stadt begründet hatten, wurde ihm nicht wohler.
»Wollen wir hoffen, dass Ihr Euch nicht die Finger verbrennt. Also, Patenonkel, lasst uns nun zu den Einzelheiten kommen.«
Dom Ernesto war aufgestanden. Langsam und nachdenklich schritt er durch die Halle. Seine Tritte in den beschlagenen Stiefeln hallten über den hellen Marmor. Er suchte krampfhaft nach einer Lösung, und als er an den Bildern seiner Ahnen vorbeikam, hatte er den rettenden Einfall.
»Es gibt da eine Tochter meiner Cousine, Dom Pedro. Ein auffallend schönes Mädchen von heiterer, ruhiger Wesensart. Gottesfürchtig, tugendsam, dazu bescheiden und still ist sie. Ich würde sie mit einer Mitgift ausstatten, die der von Charlotta in keiner Weise nachsteht. Heiratet sie, Dom Pedro. Ihr sagt selbst, dass Liebe dabei keine Rolle spielt. An finanziellen Mitteln seid Ihr mit der Cousinentochter nicht schlechter gestellt.«
»Gottesfürchtig und bescheiden, sagt Ihr? Tugendsam und still? Wollt Ihr mich beleidigen, Patenonkel? Ich bin ein Mann voller Saft und Kraft. Eine graue Kirchenmaus, die weder sonntags noch an den zahlreichen anderen Kirchenfeiertagen oder gar in der Fastenzeit die Beine für mich breit macht, kann ich nicht brauchen. Nein, ich bestehe auf Charlotta. Sie ist genau die Frau, die ich haben möchte.«
»Ich kann sie Euch nicht geben. Und wenn Ihr ein Mann von Ehre und Ritterlichkeit seid, so verzichtet Ihr auf meine Tochter. Gern bin ich bereit, Euch für Eure Unannehmlichkeiten zu entschädigen, doch die Hand Charlottas verweigere ich Euch.«
Dom Pedro lehnte sich entspannt im Lehnstuhl zurück und betrachtete mit kundigen Blicken die luxuriöse Ausstattung der Empfangshalle. Weißer Marmor aus Carrara auf dem Boden, darüber einige kostbare Teppiche aus dem Orient. Die hellen Wände waren ein Stück unterhalb der Decke mit einem Fries aus vergoldeten Mosaiken belegt, die Möbel glänzten im satten Ton edler Hölzer, kostbare Silberleuchter und fein geschmiedetes Silbergeschirr standen auf Anrichten, dicke Kissen in den Stühlen und mit edlem Leder überzogene Fußschemel dienten der Bequemlichkeit.
»Gut. Wie Ihr wollt«, sagte er schließlich, als er mit seinen Betrachtungen zu Ende gekommen war. »Ihr sollt sehen, dass ich ein Ehrenmann bin: In zwei Wochen wird Vasco da Gama für tot erklärt werden; die Verlobung ist aufgehoben. Dann werde ich noch einmal kommen und die Urkunde mit dem Heiratsversprechen vorlegen. Einmal noch komme ich und dann nie wieder. Überlegt gut, was Ihr tut, Dom Ernesto de Alvarez. Das Wohl Eurer Familie und das Glück Charlottas liegt nun ganz in Eurer Hand. Ihr habt zwei Wochen Zeit, um Charlotta zur Einsicht zu bewegen. Danach übergebe ich die Angelegenheit den Richtern des Königs.«
Dom Pedro stand auf und sah sich noch einmal mit Genugtuung in der Halle um, als wäre er bereits deren Besitzer. Dann nahm er seinen Umhang, hob die Hand zum Gruß und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Noch lange blieb Dom Alvarez in der Halle sitzen. Die Nacht brach bereits herein, als er sich endlich stöhnend erhob und die Treppe hinauf zu seinem Gemach schlurfte. Wie jeden Abend klopfte er auch heute an das Gemach seiner Tochter, um ihr eine gute Nacht zu wünschen.
Charlotta saß am Fenster und sah in die Nacht hinaus bis aufs Meer. Der Mond schien und ließ den Atlantik wie eine riesige Platte aus Silber erscheinen. Nur hin und wieder kräuselte eine Welle die stille, glatte Fläche. Als Charlotta ihren Vater hörte, drehte sie sich um:
»Er wird kommen, Vater. Ich weiß es. Wäre er tot, so würde ich das spüren.«
Dom Alvarez verstand auf Anhieb, von wem sie sprach. Er stellte sich neben sie und auch sein Blick ging hinaus auf das unendliche Meer. Er wusste, wie sehr Charlotta Vasco liebte. Und allein die Vorstellung, seine junge, schöne unschuldige Tochter in die Hände Dom Pedros de Corvilhas zu geben, widerstrebte ihm mehr als alles andere auf der Welt. Doch da war sein Versprechen. Dom Ernesto kannte Corvilhas gut genug, um zu wissen, dass er auf der vor Jahren geschlossenen Vereinbarung bestehen würde, sobald Vasco da Gama für tot erklärt wurde. Gab er nicht nach, so verlor er nicht nur seine Ehre, sondern verwirkte auch Charlottas Zukunft. Alle seine Ämter und Titel würde er verlieren und auch das Recht verwirken, weiter in der Stadt leben zu dürfen. Pedro de Corvilhas wusste ganz genau, wie viel dem Siebenten Grafen von Alvarez das Familienerbe bedeutete. Dom Ernesto war als der älteste Sohn Erbe eines alten Titels und riesiger Ländereien und als hoher Angehöriger des portugiesischen Königshofes dazu erzogen wurden, den Stolz, den Besitz und die Ehre seiner Familie bis zu seinem Todestag zu wahren. Wenn es ihm gelang! Sonst müsste er mit Charlotta auf seine Güter ins Landesinnere ziehen und dort das Leben eines Gutsbesitzers führen. Dom Ernesto hatte keine Angst vor einem Mangel an Luxus, doch die verlorene Ehre, der beschmutzte Name wären durch nichts wieder gutzumachen.
Niemand, auch nicht Vasco da Gama, würde bereit sein, die Tochter eines Ehrlosen zu heiraten.
Immer und immer wieder hatte Dom Alvarez in den letzten Stunden überlegt, ob es eine Möglichkeit gab, Charlottas Unglück zu verhindern. Doch ihm war nichts eingefallen. Rein gar nichts. Und wenn nicht ein Wunder geschah, so würde alles so kommen, wie Dom Pedro es geplant hatte: Er musste ihm Charlotta geben oder die ganze Familie ins Unglück stürzen. Dom Pedro kannte keine Gnade.
»Ich bete jeden Tag, dass er kommt«, erwiderte der alte Mann schließlich und strich seiner Tochter behutsam über die knisternden roten Locken. »Beten ist das Einzige, was wir tun können«, fügte er hinzu, dann drehte er sich um und verließ mit schleppenden Schritten das Gemach.
Die Sonne brannte schon kräftig, obwohl es noch früher Morgen war. Charlotta öffnete die hölzernen Läden vor den mit Blei verglasten Fenstern ihres Gemaches, stieß sie weit auf und reckte sich der Morgenluft entgegen.
Ihr erster Blick fiel auf das Meer. Still und blaugrün zog es sich bis zum Horizont dahin. Nur zwei Fischerboote waren zu sehen, sonst nichts. Unergründlich und unendlich lag der Atlantik vor ihren Augen, entschlossen, all seine Geheimnisse zu hüten und zu bewahren. Charlotta seufzte und warf mit Schwung ihre hüftlangen roten Haare, die sich kaum bändigen ließen, über die Schulter zurück. Ihre meergrünen Augen verdunkelten sich einen Augenblick, doch dann verzog sich ihr voller Mund zu einem tapferen Lächeln. »Bald wird er kommen«, murmelte sie vor sich hin. »Vielleicht schon morgen werden die Karavellen Vasco da Gamas am Horizont zu sehen sein.«
Genau zwanzig Monate waren heute, auf den Tag genau, seit seiner Abreise aus dem Hafen Rastello vergangen. Und bisher war noch keine Nachricht über das Schicksal der Entdeckungsreisenden nach Lissabon gelangt. Doch das war nicht weiter verwunderlich. Viele Monate war die kleine Flotte mutterseelenallein in den unendlichen Weiten des Atlantiks unterwegs gewesen, abgeschnitten vom Land, abgeschnitten auch von Neuigkeiten aus der Heimat. Und genauso wenig erreichten Lissabon Nachrichten vom Verbleib der Schiffe. Nur der Bericht eines arabischen Seefahrers, der erzählt hatte, die Sao Rafael sei kurz nach der Jahreswende an der afrikanischen Küste in Höhe der geheimnisvollen Stadt Mombasa auf Grund gelaufen und verbrannt, ließen in Charlottas Herzen Kummer und tiefe Ängste aufziehen. Doch die Sao Rafael wurde von Paulo da Gama geführt, Vasco hingegen war der Kapitän der Sao Gabriel, von der es keine unglücklichen Nachrichten gab.
»Er kann jeden Augenblick kommen«, tröstete sie sich halbherzig. »Stunden sind es noch, bis er für tot erklärt und die Schiffe verloren gegeben werden. Doch in wenigen Stunden kann viel geschehen. Hat Gott nicht die ganze Welt in nur sieben Tagen erschaffen?«
Ihre Gedanken wurden durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Juana, ihre Zofe, kam herein, um ihr bei der Morgentoilette behilflich zu sein. Jeden Morgen füllte Juana ihrer Herrin zunächst einen Zuber mit heißem Wasser und gab reichlich Rosenöl hinzu. Anschließend half sie ihr beim Ankleiden und bürstete vorsichtig die wilden, roten Locken Charlottas. Doch Juana war mehr als nur ihre Zofe. Sie hatte bereits Charlottas Mutter gedient, der viel zu früh verstorbenen Doña Carmelita de Alvarez. Seit ihrem Tod, den Charlotta im zarten Alter von gerade einmal fünf Jahren erlebt hatte, kümmerte sich Juana nicht nur um Charlottas Äußeres, sondern war ihr obendrein mütterliche Freundin, Vertraute und Ratgeberin in allen Lebenslagen.
Juana kannte die Träume und Wünsche, die Sehnsüchte und Hoffnungen Charlottas und liebte die junge Frau wie ihre eigene Tochter. Deshalb konnte sie auch nicht verbergen, dass sie heute etwas bedrückte.
»Juana, was ist los? Du schaust so bekümmert, als hätte dir jemand alle deine Zimtplätzchen weggenascht«, fragte Charlotta und wirbelte durch das Zimmer, ihre eigenen Ängste, Befürchtungen und Zweifel verdrängend.
Juana musste bei der Anspielung auf ihre Naschsucht ein wenig lächeln, doch dann seufzte sie und erwiderte: »Euer Vater will Euch sprechen. Er wartet in der Halle auf Euch.«
»Warum so förmlich?«, fragte Charlotta verwundert und legte ihr Nachtgewand ab, um in den Zuber zu steigen. »Er kommt doch sonst immer in mein Gemach, wenn er etwas mit mir besprechen will.«
Wieder seufzte Juana. Mit Bewunderung betrachtete sie den schönen, jungen Körper Charlottas, der in den letzten Jahren seine knabenhafte Gestalt verloren hatte und nun an allen Stellen genau die richtigen Rundungen aufwies. Ein Körper, der wie geschaffen war für die Liebe. Ein Körper aber auch, den noch kein Mann so erblickt hatte, wie Gott ihn geschaffen hatte. Das zumindest vermutete Juana. »Geht zu ihm, sobald Ihr fertig seid. Er wird es Euch sagen«, erwiderte sie und strich behutsam über die zarten Schultern der jungen Frau.
Als Charlotta ihre Morgentoilette beendet hatte und nach Rosenöl duftend in die Halle des wundervollen Palazzos kam, wartete ihr Vater schon auf sie.
»Setz dich, mein Kind«, forderte der königliche Admiral seine Tochter auf. Seine Stimme klang warm und liebevoll wie immer. Charlotta ähnelte seiner verstorbenen Frau bis aufs Haar, hatte die gleiche hohe, schlanke Gestalt, die gleiche anmutige Haltung. Und auch in Charlotta sprudelte heißes südländisches Blut, gepaart mit unbändigem Stolz und manchmal überschäumendem Temperament. Dom Alvarez wusste schon jetzt, dass dieser Vormittag nicht in Ruhe und Frieden vergehen würde, doch er konnte nichts daran ändern. So gern er es auch wollte.
»Du wirst heiraten, Charlotta«, begann er und sein Gesicht war von Sorgenfalten durchzogen.
Charlotta zuckte mit den Schultern und sah ihren Vater ohne Argwohn an. »Natürlich werde ich heiraten«, erwiderte sie mit einem Lächeln, das Dom Alvarez beinahe das Herz zerriss. »Sobald Vasco da Gama von seiner Entdeckungsreise zurückgekehrt ist, werden wir vor den Altar treten.«
»Nein, Charlotta. So wird es nicht sein«, antwortete Dom Alvarez. »Vasco da Gama wird nicht mehr zurückkehren. Er ist verschollen in den unendlichen Tiefen des Ozeans. Du selbst warst dabei, als der arabische Seefahrer die Nachricht vom Untergang der Sao Rafael überbrachte.«
Charlotta schüttelte den Kopf. Sie hatte die Unterlippe trotzig nach vorn geschoben. »Nein! Er ist nicht tot, Vasco lebt. Ich weiß es, ich fühle es. Bald schon wird er kommen!« Charlotta stieß diese Sätze mit zitternder Stimme hervor. Ihre Hände hatten sich um die Stuhllehnen gekrallt, ihr Busen bebte und eine zarte Röte legte sich auf ihr Gesicht. Tränen glitzerten in ihren Augen und verrieten, dass auch in ihrem Herzen die ersten Zweifel über die glückliche Heimkehr ihres Verlobten aufgetaucht waren. Ihre Miene war so leidvoll, dass Dom Alvarez sich gequält abwandte.
»Es hat keinen Sinn, Charlotta, noch länger auf Vasco zu warten. Er ist tot und heute um Glockenschlag Mitternacht wird in der Kirche Santo Domenico eine Seelenmesse für ihn gelesen und Vasco da Gama für tot erklärt. Nun wird es Zeit für dich, nach vorne zu blicken. Du bist jetzt siebzehn Jahre alt. Im besten Altern, um zu heiraten und Kinder zu bekommen. Ich bin alt und müde und wünsche mir einen Erben, der fortführt, was meine Väter und ich geschaffen haben.«
Dom Alvarez war neben Charlotta getreten und hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. Er konnte das Beben ihres Körpers spüren, ihre Verzweiflung, die noch immer mit Hoffnung gepaart war. Und er sah auch die Tränen, die Charlotta über die Wangen rannen und ihr Kleid mit dunklen Flecken überzogen. Sie presste ihre Hände in den Schoß, und ihre Finger kneteten nervös den feinen Stoff ihres weißen Kleides. Dom Alvarez schmerzte es, seine über alles geliebte Tochter so verzweifelt zu sehen. Es brach ihm fast das Herz, doch er würde Charlotta zwingen müssen, seinem Wunsch Folge zu leisten. Ihre Zukunft lag nicht mehr in seinen Händen.
»Du wirst Dom Pedro de Corvilhas heiraten, mein Kind. Sobald Vasco da Gama für tot erklärt worden ist, wird die Verlobung stattfinden. Schon morgen wird er kommen, um den Termin festzulegen.«
Charlotta sprang auf. Ihre wilden roten Locken umtanzten ihr Gesicht wie ein Feuersturm, ihre Augen sprühten. Sie stand wutentbrannt vor ihrem Vater.
»Niemals! Niemals werde ich Dom Pedro heiraten. Ich liebe Vasco und nichts auf der Welt kann daran etwas ändern.«
»Auch der Tod nicht?«, fragte Dom Alvarez, um Ruhe bemüht.
»Die Liebe ist stärker als der Tod, Vater«, erwiderte Charlotta. »Du selbst hast es erlebt.«
Dom Alvarez nickte traurig. Charlotta hatte Recht. Auch er liebte seine verstorbene Frau noch immer, und keine Frau nach ihr hat es je vermocht, ähnliche Gefühle in ihm zu erwecken, keine würde jemals ihren Platz in seinem Herzen einnehmen können. Es stimmte, die Liebe war stärker als der Tod. Doch auch die Einsamkeit, die kam, sobald das Liebste begraben war, wollte Dom Alvarez seiner Tochter ersparen. Diese Einsamkeit, die des Nachts neben ihm im Bette schlief und auch bei Tag nicht von seiner Seite wich. Diese grenzenlose Leere, die seit dem Tod der Doña Alvarez seine ständige, düstere Begleiterin war und dafür sorgte, dass selbst über dem strahlendsten Sonnentag ein dunkler Schleier lag. Ein Schleier, der in den letzten beiden Wochen einen noch düstereren Farbton angenommen hatte und jeden Tag, an dem das Meer still und unberührt in der Sonne glitzerte, überschattete.
Tränen rannen über Doña Charlottas Gesicht und ihr Schluchzen hallte durch den hohen Raum. »Niemals werde ich Dom Pedro heiraten. Niemals!«, weinte sie. Dom Alvarez zog seine Tochter in die Arme, spürte ihr verzweifeltes Schluchzen und strich ihr behutsam über die zuckenden Schultern, unfähig, die richtigen Worte des Trostes zu finden.
»Du bist jung, Charlotta. Bald wirst du Vasco vergessen haben. Dom Pedro ist ein stattlicher Mann. Er wird dir viele Kinder und mir die erwünschten Erben schenken. Du wirst keine Not leiden bei ihm, dafür sorge ich schon.«
»Ist das alles, was dir wichtig ist? Deine Erben? Und ich? Bedeute ich dir gar nichts? Wie kannst du verlangen, dass ich einen Mann heiraten soll, den ich nicht liebe, ja, nicht einmal sympathisch finde! Niemals werde ich Dom Pedro heiraten!«