Der Löwenflüsterer - Kevin Richardson - E-Book

Der Löwenflüsterer E-Book

Kevin Richardson

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Beschreibung

In seinem ersten Buch erzählt der Löwenpfleger und Tierverhaltensforscher Richardson, eine populäre Instanz auf YouTube mit einem Spielfilm in Vorbereitung, die Geschichte seines Lebens und seines beruflichen Werdegangs und spricht über seine ungewöhnliche Fähigkeit, das Vertrauen von Raubtieren, wie Löwen und Hyänen, zu gewinnen. Im Laufe seiner Arbeit im südafrikanischen Lion Park und im Schutzgebiet Kingdom of the White Lion wurde Richardson von einigen seiner Löwen als Bruder akzeptiert, „manchmal sogar als Vater… von anderen als Freund und vom Rest als Bekannter.“ Als gebürtiger Südafrikaner pflegt Richardson einen ungehinderten Umgang mit seinen Löwen; obschon er auch angegriffen wurde, führt er seine „lebenslange Liebesaffäre mit der Gefahr“ auf seine Fähigkeit, cool zu bleiben, zurück. (Obwohl er zu Beginn seiner Laufbahn fast einmal zerfleischt worden wäre, sagt er: „Was machen Sie, wenn ein Löwe versucht, Sie zu fressen? Alles, was Ihnen einfällt.“) Nachdem er die Universität verlassen hatte, begegnete Richardson Rodney Fuhr vom Lion Park, der am Stadtrand von Johannesburg liegt, und arbeitete sich dort herauf vom Konditionstrainer für die Belegschaft bis zum Vollzeit-Tiertrainer und Filmemacher. Diese Abenteuergeschichte ist ein fesselnder Bericht über ein junges Leben in Afrika, der auch erstaunliche Einsichten in die Seele der schönsten und gefährlichsten Kreaturen Afrikas liefert. Mit zahlreichen Farbfotos. Rezension „Der Tierverhaltensforscher Kevin Richardson hat eine so innige Beziehung zu seinen Großkatzen aufgebaut, dass er ohne die geringste Angst, angegriffen zu werden, zusammengerollt die Nacht mit ihnen verbringen kann… So instinktiv eingestimmt ist er auf diese wilden Tiere, deren Zähne scharf genug sind, sich durch dicken Stahl zu beißen, dass die Mutterhyänen ihm sogar gestatten, ihre Neugeborenen zu halten, ohne zu Hilfe zu springen.“ – Glenys Roberts, The Daily Mail (GB)

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Kevin Richardson

Tony Park

Der Löwenflüsterer

Mein Leben unter den Großkatzen Afrikas

Kevin Richardson mit Tony Park: Der Löwenflüsterer

Mein Leben unter den Großkatzen Afrikas

Titel der englischen Original-Ausgabe:

Part of the Pride - My Life Among the Big Cats of Africa

© 2009 Kevin Richardson with Tony Park, St. Martin’s Press LLC, 175 Fifth Avenue, New York, NY 10010 USA

Dieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press LLC durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen, vermittelt.

1. deutsche Ausgabe 2012

2. deutsche Ausgabe 2012

3. deutsche Ausgabe 2012

4. deutsche Ausgabe 2014

ISBN 978-3-944125-19-0

Übersetzt von Gisela Kretzschmar

Herausgeber: Unimedica im Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, 79400 Kandern, Tel.: +49 7626 974970-0, E-Mail: [email protected], www.loewenfluesterer.de & www.unimedica.de

© 2012 Narayana Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags darf kein Teil dieses Buches in irgendeiner Form – mechanisch, elektronisch, fotografisch – reproduziert, vervielfältigt, übersetzt oder gespeichert werden, mit Ausnahme kurzer Passagen für Buchbesprechungen.

Abbildungen:

Foto: Michael Swan, von Peru Productions (PP) S. 49 oben, 192 oben

Foto: Houston Haddon, zur Verfügung gestellt von PP S. 49 unten

Foto: Mandy Richardson, S. 50, 56, 146 unten, 152, 186, 187 unten, 190 oben

Foto: Tony Park, zur Verfügung gestellt von The Kingdom of the White Lion (KWL) S. 51

Foto: Adrian Wilkins, von The South African Lion Park (TSALP) S. 52 oben

Foto: Kevin Richardson, zur Verfügung gestellt von TSALP S. 52 unten, 188, 192 unten

Foto: Kevin Richardson, S. 54 oben,

Foto: Rodney Nombekana, von KWL S. 53, 189 oben/unten, 191 unten

Foto: Helga Jordaan, zur Verfügung gestellt von TSALP S. 54 unten, 55, 187 oben

Foto: Mark Hildyard, zur Verfügung gestellt von TSALP S. 185

Foto: Rodney Nombekana, zur Verfügung gestellt von PP S. 190 unten

Foto: zur Verfügung gestellt von PP S. 191 oben

Coverabbildung: © animal.press

Für Mandy, die mir immer vertraut und an das glaubt, was ich tue. Danke.

Inhaltsverzeichnis

Danksagungen

PrologTsavo

Kapitel 1:Der Vogelmensch von Orange Grove

Kapitel 2:Ein Schurke

Kapitel 3:Brüder

Kapitel 4:Das Rudel

Kapitel 5:Tsavo, der Lehrer

Kapitel 6:Langsam …

Kapitel 7:Verantwortung für das Leben anderer tragen

Kapitel 8:Der Löwenfarmer

Kapitel 9:Freche Geparde und eifersüchtige Schakale

Kapitel 10:Teil des Rudels

Kapitel 11:Licht! Kamera! Action … manchmal

Kapitel 12:Mehr als nur die Löwen …

Kapitel 13:Der weiße Löwe

Kapitel 14:Die Show muss weiter gehen

Epilog:Ein eigenes Rudel

Danksagungen

Viele Leute haben mir im Laufe meines Lebens geholfen und mich unterstützt – manchmal auch, wenn ich es vielleicht gar nicht verdient hatte.

Danken möchte ich meiner Mutter Patricia Richardson, dass sie mich als verrückten Teenager ertragen und mir geholfen hat, Schule und Universität zu schaffen.

Rodney Fuhr gab mir Chancen, die mein Leben verändert haben, und ohne ihn hätte ich vielleicht nie die beglückenden und inspirierenden Erfahrungen gemacht, die mein Leben bis heute geprägt haben. Er und seine Frau Ilana haben mich wie ein Familienmitglied behandelt, und ich danke ihnen beiden.

Ich danke meiner Familie und meinen Freunden für all ihre Unterstützung und Hilfe, besonders Trevor und Corinne.

Stan, Judy und dem Rest der weitläufigen Schmidt-Familie danke ich dafür, dass sie mich immer wieder darin bestärkt haben, meinem Herzen und meinen Leidenschaften zu folgen.

Den Mitarbeitern und Kollegen des South African Lion Parks und des Kingdom of the White Lion danke ich für ihre Unterstützung und ihr Verständnis während der Dreharbeiten für die Dokumentarfilme und den Spielfilm Der weiße Löwe. Mein besonderer Dank gilt Ian Melass, Ebrahim Patel und Ian Fuhr für ihre unermüdliche Unterstützung und Beratung.

Tony und Nicola Park danke ich für ihre Hilfe beim Verfassen dieses Buches. Mein stundenlanges Geschwafel war bestimmt nicht leicht auszuhalten, und wenn ich richtig in Schwung war, haben sie manchmal sogar klaglos auf Essen und Getränke verzichtet.

Michael Flamini und dem Team von Martin’s Press danke ich für ihr Interesse an meiner Geschichte. Es hat viel Spaß gemacht, mit euch allen zusammenzuarbeiten.

Auch wenn sie es nicht lesen können, möchte ich hier abschließend den vielen anderen Freunden danken, die ich auf meinem bisherigen Weg gefunden habe: Meinen „Brüdern“ Tau und Napoleon; meinen „Mädels“ Meg und Ami; dem kleinen Homer; allen meinen Löwen, Hyänen, Leoparden und den anderen Tieren und Vögeln, die Teil meines Lebens waren, sage ich meinen aufrichtigen Dank. Ich hoffe, ich konnte euer Leben genauso bereichern, wie ihr mein Leben bereichert habt.

Prolog

Tsavo

Sie nannten ihn Tsavo, nach dem Ort, wo menschenfressende Löwen beim Bau der Eisenbahn, die von Mombasa in Kenia mitten ins Herz des kolonialen Afrika führte, viele Arbeiter getötet hatten.

Tsavo stammte ursprünglich nicht aus dem Löwenpark, in dem ich arbeitete, und er hatte eine schwierige Jugend hinter sich. Er tat mir leid, denn man hatte ihm die Krallen gezogen, und ein Löwe ohne Krallen ist wie ein Mensch ohne Finger. Das Fressen fiel ihm unglaublich schwer, und seine Fußballen waren so vernarbt und voller Schwielen, dass er sich einen merkwürdigen Schongang angewöhnt hatte. Die Spuren, die er auf dem Boden hinterließ, waren kaum als Löwenspuren zu erkennen. Was man mit ihm gemacht hatte, hielt ich für eine Schande, und deshalb wollte ich seine Lebenssituation verbessern.

Er war etwa drei Jahre alt, aber schon ziemlich groß. Er muss damals ungefähr 180 Kilo gewogen haben und hatte eine schöne, üppige Mähne. Im Alter zwischen zwei und drei Jahren sind Löwen wie menschliche Teenager. Sie sind in die Pubertät gekommen, ihre Hormone spielen verrückt, und sie glauben, sie wüssten alles. Sie wollen keinen Rat annehmen und sind ständig auf Krawall gekämmt. Ich war in Tsavos Alter genauso.

Tsavie, wie ich ihn manchmal nannte, war im Grunde ein ganz freundlicher Kerl. Meist begrüßte ich ihn durch den Zaun, und wenn ich im Nachbargehege mit Tau und Napoleon – zwei jüngeren Löwen, die ich von klein auf kannte – Fußball spielte, rannte Tsavo immer am Zaun neben uns her.

Im Laufe der Monate, die Tsavo im Lion Park verbrachte, schlossen wir allmählich Freundschaft, aber trotzdem fand ich, dass irgendetwas mit diesem Löwen nicht ganz stimmte. Dann kam der achte Geburtstag meines Stiefneffen Nicholas, der mit einem sonntäglichen Familientreffen im South African Lion Park in Muldersdrift am nördlichen Stadtrand von Johannesburg gefeiert werden sollte. In meiner Kindheit lag der Lion Park noch weiter von den Stadtgrenzen entfernt, aber jetzt sind die Menschen den Löwen ziemlich nah auf den Pelz gerückt. Johannesburg hat sich immer breiter gemacht; teure Villenviertel, die von hohen Mauern umgeben sind, stehen jetzt dort, wo früher illegale Landbesetzer hausten, und von Jahr zu Jahr beanspruchen die Menschen mehr von den ehemals offenen, grasbewachsenen Steppen. Reiche Südafrikaner sind wegen der berüchtigten Kriminalität im Stadtzentrum in die gesicherten Außenbezirke gezogen; ihr Hauspersonal und die Gärtner leben in Slums aus Papphütten mit Blechdächern, wie sie auch gleich auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Park zu finden sind.

Wer den Lion Park besucht, kann mit Löwenbabys spielen und die Hyänen, Geparde, Wildhunde, Leoparden und anderen Raubtiere aus der Nähe beobachten. Anschließend fahren die Besucher durch große Gehege, wo sie Löwen, Giraffen, Gnus und Impalas im offenen Gelände bewundern können. Man bekommt eine Kostprobe vom afrikanischen Busch, auch wenn man dabei den entfernten Verkehrslärm im Ohr hat und die Skyline von Johannesburg sehen kann. Meine Mutter, meine Schwester und mein Schwager, Neffen und Nichten sowie verschiedene Onkel und Tanten hatten sich alle in einen der Lastwagen gequetscht, die wir für Besichtigungsfahrten in den offenen Bereichen einsetzten. Diese Wagen waren wie mobile Käfige auf Rädern. Die Aufbauten bestanden aus einem starken Maschendraht, um die Menschen im Inneren vor den Löwen zu schützen – und umgekehrt. Nachdem wir kurz angehalten hatten, um Fotos von ein paar niedlichen Löwenbabys zu machen, setzten wir unter meiner Führung die Tour durch den Rest des Parks fort.

Damals wusste ich einiges über Löwen, und wahrscheinlich glaubte ich, ich wüsste schon ziemlich viel über sie. Obwohl ich nicht in Vollzeit im Park arbeitete, genoss ich so viel Vertrauen, dass ich die Löwengehege betreten durfte. Im Gegensatz zu anderen Leuten, die mit gefährlichen Tieren arbeiteten, verzichtete ich darauf, mich mit einem Stock zu bewaffnen.

„Du hast `ne Scheibe, Mann“, sagten manche. Aber ich fand es nicht verrückt, dass ich keinen Stock benutzte, wenn ich eine Beziehung zu einem Tier aufbauen wollte. Ich galt schon damals als außergewöhnlich – eine Art Nonkonformist – und hatte den Ruf, im Umgang mit Tieren unkonventionelle Methoden zu benutzen. Mit Löwen wie Tau und Napoleon, die ich als meine Brüder betrachtete, hatte ich eine Beziehung entwickelt, die sich auf Vertrauen und Respekt gründete. Ich kannte sie, seit sie sechs oder sieben Monate alt gewesen waren, und ich hatte mich immer wie einer von ihnen verhalten, auf ihrer Ebene unten im Gras und nicht als ihr Herr und Meister, der mit einem Stock oder einer Peitsche in der Hand über ihnen stand.

Wenn man mit einem Tier arbeitet und dabei einen Stock benutzt, muss man den Stock sowieso irgendwann weglegen. „Und außerdem“, hielt ich meinen Kritikern entgegen, „was nützt schon ein Stock, wenn ein Löwe es tatsächlich auf dich abgesehen hat?“

Es war einer dieser perfekten Herbsttage auf dem südafrikanischen Highveld. Der riesige blaue Himmel erstreckte sich ins Unendliche, die Sonne schien, und die Luft war kühl und frisch. Im Gras leuchtete immer noch etwas Grün, aber am Ende des langen, trockenen Winters würde alles goldgelb sein. Die ganze Familie genoss den Ausflug und beobachtete vom Lastwagen aus, wie Onkel Kevin zu Tau und Napoleon ins Gehege ging und mit seinen beiden Lieblingslöwen spielte. Ich umarmte sie, und wir rieben zur Begrüßung unsere Köpfe aneinander. Damit die Verwandtschaft noch etwas mehr zu sehen bekam, spielten wir außerdem eine Runde Fußball. Damals hielt ich es noch für wichtig, Besuchern eine gute Show zu bieten.

Wenn mich jemand fragt, wie es sich anfühlt, einen Löwen im Arm zu halten und ihm ganz nah zu sein, dann kommt mir als Erstes immer das Wort „Kraft“ in den Sinn, die schiere Kraft, die diese Geschöpfe ausstrahlen, besonders jetzt, wo Tau und Napoleon voll ausgewachsen sind.

Es ist so, als würde man bei einem Wagen mit einem V-8-Motor das Gaspedal durchtreten. Man braucht den Motor nicht in Aktion zu sehen, sondern man kann ihn fühlen und hören. Wenn man das Fell eines Löwen berührt, dann fühlt man in erster Linie pure Muskeln ohne ein einziges Gramm Fett. Und wenn der Löwe brüllt, dann spürt man die Schallwellen im eigenen Körper vibrieren.

Und dann ihr Gewicht. Sogar als Halbwüchsige waren Tau und Napoleon ziemlich schwer, aber jetzt wiegt jeder von ihnen rund 270 Kilo. Wenn man eine Pranke anzuheben versucht, dann versucht man damit gleichzeitig, diesen massiven Unterarm anzuheben, der ungefähr den gleichen Umfang hat wie die Pranke. Er ist schwer. Er ist stark genug, einen Kap-Büffel zu erlegen.

Wie ein Löwe riecht, hängt stark davon ab, was er getan und was er gefressen hat. Das Erstaunliche ist, dass Löwen nie baden. Sauber werden sie nur, wenn es wie aus Kübeln regnet, aber trotzdem stinken sie nicht. Sie haben einen einzigartigen Geruch, der mir so vertraut ist, dass ich ihn nur schwer beschreiben kann. Meine Frau Mandy sagt, ich sei dafür desensibilisiert – im Gegensatz zu ihr. Mir kommt es vor wie eine Mischung aus den Gerüchen verschiedener Haustiere, aber nicht unangenehm. Nicht beißend wie Katzenurin und auch nicht muffig wie ein nasser Hund.

Um ihr Fell in Topform zu halten, haben Löwen hinter den Ohren Drüsen, die eine ölige Substanz absondern. Diese schwarzen Haare hinter den Ohren, die man sieht, wenn man sich einen Löwen aus der Nähe anschaut, habe ich am liebsten, denn sie sind sehr weich, fast seidig. Die Haare auf dem Rücken sind derber und dichter, wie bei einem Hund, während das Fell auf dem Bauch und an der Unterseite der Beine weicher ist. Die Mähne eines Löwenmännchens ist drahtig – das muss sie sein, damit sie genügend Stand hat.

„Wie fühlt man sich, wenn man so mit einem Löwen umgehen kann wie du?“, wollte einer meiner Verwandten wissen, so wie auch viele andere Leute im Park oder bei einem Drink diese Frage stellen.

Ich kann dazu eigentlich nur sagen, dass die Löwen meine Kumpel sind, und am Ende eines harten Arbeitstages ist es nett, mit seinen Kumpels zusammenzusitzen, etwas zu trinken und miteinander zu plaudern. Wenn ich einen schlechten Tag hatte und mich am Ende wortlos eine Weile zu den Löwen setze, dann fühle ich mich anschließend wie neu aufgeladen – die Ampel steht wieder auf Grün und ich bin wieder funktionsfähig. Genauso geht es mir mit den Hyänen, den Leoparden und den anderen Tieren, mit denen ich zusammenlebe. Mandy sagt, ich bin dann jedes Mal ein neuer Mensch.

Nachdem ich die Show mit den verspielten Youngstern Tau und Napoleon eröffnet hatte, ging ich an den Außenzaun des Nachbargeheges, wo sich der größere, ältere Löwe Tsavo befand.

„Tsavie! Komm, Tsavie!”, rief ich. Ich warf einen Blick über die Schulter und winkte meinen Angehörigen lächelnd zu.

Aber Tsavo reagierte nicht wie sonst, wenn ich ihn rief. Er kam nicht zum Zaun getrottet, sondern blieb im hinteren Teil seines Geheges. Sogar in dieser Anfangszeit meiner Arbeit mit Löwen hatte ich mir einige feste Umgangsregeln verordnet. Bei Tsavo lautete die Regel: Wenn er auf meinen Ruf hin nicht kam, dann ging ich nicht zu ihm ins Gehege, denn seine Reaktion zeigte mir, dass er ungestört sein wollte.

Aber nun war meine gesamte Familie da und beobachtete mich erwartungsvoll. Ich konnte schlecht zu ihnen zurückkehren und sagen: „Tut mir leid, Leute, aber die Show ist zu Ende.“ Nach meinen Possen mit Tau und Napoleon wäre das eine große Enttäuschung für alle gewesen.

„Komm, Tsavie.“

Ich stand irgendwie unter Druck. Wenn andere Besucher in den Lion Park kamen, war das genauso. Damals wollte ich den Leuten gefallen und sie beeindrucken, wollte ihnen zeigen, welche Beziehung ich allmählich zu den Löwen aufbaute, und ihnen mehr über diese majestätischen Tiere vermitteln. Es gab Tage, an denen ich mich sogar mit meinen engen Freunden Tau und Napoleon vor Zuschauern unwohl fühlte, als würden sich auch die Löwen anders verhalten, weil wir ein Publikum hatten. Aber bisher hatte es nie einen Zwischenfall gegeben.

„Tsavie, Tsavie, Tsavie, komm mein Junge!“

Ich warf erneut einen Blick zurück, und sah immer noch die erwartungsvollen Augen meiner Verwandten auf mich gerichtet. Dies sollte der krönende Abschluss unserer Tour sein – ich mit einem großen männlichen Löwen. Ich ging durch den ersten Zaun zum zweiten, öffnete dort das Tor und tat einen kühnen Schritt ins Gehege, obwohl ich mich dabei überhaupt nicht wohlfühlte.

Tsavo blieb am anderen Ende des Geheges und starrte mich an. Ich ging auf ihn zu, blieb aber nah am Zaun. Etwa auf halbem Weg zwischen dem Tor und dem Löwen rief ich noch einmal mit einer strengeren Stimme als zuvor: „Tsavo! Komm mein Junge!“

Er legte die Ohren nach hinten. Seine Gesichtshaut spannte sich, als er knurrte. Er warf sich in die Brust, wie Löwen es tun, wenn sie es ernst meinen. Es war so, als würde er auf seinen Zehenspitzen stehen, um noch größer und eindrucksvoller zu wirken, als er ohnehin schon war. Und dann stürmte er los.

Tsavo kam mit einem solchen Tempo auf mich zu, dass mich kein noch so schneller Sprint rechtzeitig aus dem Gehege gebracht hätte. Ich konnte nur stehen bleiben und abwarten. Später erfuhr ich, dass meine Familie die Szene für einen Teil der Show gehalten hatte. „Wow, das ist so cool“, sagte eins der Kinder auf dem Lastwagen.

Tsavo stoppte ein paar Meter vor mir und wirbelte dabei eine Wolke aus Staub und losem Gras auf. Er stellte sich auf die Hinterbeine und erreichte damit eine Höhe von mehr als zwei Metern. Ich bin nicht besonders groß, und Tsavo stellte mich in den Schatten, als er mir die Sicht auf den Himmel nahm. Dann schlug er mir seine gewaltige, schwielige Pranke von oben ins Gesicht.

In meinen schwierigen Teenagerjahren hatte ich mich oft mit anderen geprügelt, aber dieser Hieb von Tsavo war heftiger als alle Schläge, die ich je eingesteckt hatte. Seine Pranke war so riesig und das Gewicht dahinter so gewaltig, dass ich das Gefühl hatte, als würden mich drei Fäuste gleichzeitig treffen. Explosionsartig schoss das Blut aus meiner Nase und spitzte mir über Schultern und Hemd. Unter der Kraft des Hiebs taumelte ich rückwärts, aber der Zaun hinter mir fing mich auf.

Ich weiß nicht mehr genau, was dann passierte – ob Tsavo mich zerrte oder ob ich mich über den Boden rollte, um dem, was nun kommen musste, zu entgehen – aber am Ende lag ich in der Mitte des Geheges auf dem Rücken und Tsavo stand über mir.

„Ich glaube, Kevin steckt in Schwierigkeiten“, sagte meine Schwester Corinne auf dem Lastwagen zu meinem Schwager Trevor.

„Ach was, kein Problem. Kev weiß was er tut“, beruhigte Trevor sie, denn er hatte nicht gesehen, dass mir das Blut aus dem Gesicht strömte. Sie hielten das Ganze immer noch für ein Spiel. Aber einen solchen Angriff hatte ich noch nie erlebt, die volle Wut und Kraft eines zornigen Löwen.

Tsavo begann mich zu beißen. Er senkte seine Fänge in mein Bein, und als er seinen Kopf zum nächsten Angriff hob, griff ich zu und schob die Haut seiner Wange zwischen seine Zähne, so dass er nicht noch einmal zubeißen konnte, ohne sich selbst zu verletzen. Ich hatte noch nie gehört, dass jemand so etwas getan hatte – es war rein instinktiv –, aber was machen Sie, wenn ein Löwe versucht, Sie zu fressen? Alles, was Ihnen einfällt.

Er war so schwer, dass ich mich nicht bewegen konnte, und eine Weile war es wie bei Tom und Jerry – eine Katze spielte mit einer Maus. Wenn sich die Maus bewegt, schlägt die Katze zu, aber wenn die Maus stillhält, verliert die Katze vorübergehend das Interesse. Doch obwohl ich starr dalag, griff Tsavo erneut an. Er biss in meinen Oberschenkel, in die Wade und in die Schulter, ließ jedoch immer wieder los, sobald ich ihm die Wangenhaut erneut ins Maul schob.

Tsavos Fangzähne standen so weit auseinander, dass mein Oberarm zwischen ihnen verschwand und die Zähne nur zu beiden Seiten am Muskel entlang schürften. Mein Bein war dagegen ein lohnenderes Ziel, und die scharfen Zahnspitzen bohrten sich erneut durch den Hosenstoff und die Haut ins Fleisch.

Ich lag blutüberströmt im Staub, und meine Verwandten kletterten nun von ihrem Lastwagen herunter und rannten schreiend zum Zaun. Inzwischen war ihnen klar, dass hier keine Show mehr ablief, sondern dass Onkel Kevin da drinnen wahrscheinlich sterben würde. Tsavo stand eine gefühlte Ewigkeit über mir, aber vielleicht waren es auch nur Sekunden.

Schließlich senkte der Löwe seinen gewaltigen, zotteligen Kopf über meinen Unterleib und schob einen seiner krummen gelben Zähne unter den stabilen Ledergürtel meiner Hose. Als er mich damit mühelos vom Boden hob, bog sich mein Rücken durch, und ich dachte: „Oh, Mist! Das war’s dann wohl …“

Kapitel 1:

Der Vogelmensch von Orange Grove

Meine Kindheit wurde von Stichen beherrscht – der Art, mit denen der Arzt einen wieder zusammenflickt, nicht der, mit denen man sich vor Lachen auf dem Boden kugelt. Meine Mutter behauptete immer, ich sei auf einem Kollisionskurs mit dem Leben. Ganz schön clever, meine Mutter. Ich hatte immer etwas Wildes in mir, das weiß ich. Wenn ich auf meine frühe Kindheit zurückblicke, dann erkenne ich mühelos den mutigen Löwen, die kichernde Hyäne und den boshaften Elefanten in den Dingen, die ich damals angestellt habe.

Ich war gerne draußen, aber in meiner Kindheit war mein Stückchen Afrika auf ein paar Häuserblocks in Orange Grove beschränkt, ein Wohngebiet der Mittelklasse im Norden von Johannesburg. Es war die Zeit der Apartheid, in der ich zwischen ordentlichen Häuserreihen, geraden Straßen, gepflegten Gärten, bellenden Hunden und miauenden Katzen aufwuchs, nicht etwa in der hügeligen Savanne zwischen Herden von Gnus, trompetenden Elefanten und sich anpirschenden Löwen. Es war nichts weiter als ein Außenbezirk der Stadt, aber das Leben konnte dort genauso gefährlich sein wie im Busch.

Ständig erhielt meine Mutter Anrufe aus der Schule, die sie informierten, dass ich mich verletzt hatte, oder ich kam einfach mal wieder blutend nach Hause. Und da ich nie halbe Sachen machte, begnügte ich mich auch nicht mit ein paar kleinen Kratzern. Ich fiel durch Couchtische aus Glas, stürzte vom Fahrrad oder aus dem Baum und tat grundsätzlich all das, was Mütter aufschreien lässt.

„Am besten kaufen wir dem kleinen Kevin eine Nähmaschine, damit er sich selbst wieder zusammenflicken kann, was Patricia?“, meinte der Arzt einmal scherzhaft zu meiner Mutter. Der Arzt und ich sahen uns so oft, dass wir wie Kumpel waren. Ich lachte und zuckte dann zusammen, als die gefürchtete Nadel wieder und wieder durch die Haut stach.

Eines er frühesten Missgeschicke, an die ich mich erinnern kann, passierte, als ich mit drei oder vier Jahren auf dem großen Rennrad unseres Nachbarn fuhr. Das war wohl der Beginn einer lebenslangen Liebesgeschichte mit gefährlichen Dingen und zweirädrigen Transportmöglichkeiten. Ich treibe Extremsport, fliege Ultraleichtflugzeuge, und ich spiele mit Löwen, um damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich habe ein altes Triumph Bonneville Motorrad, Baujahr 1969, und fahre gerne Motorradrennen. Mein Held ist der italienische Motorradweltmeister Valentino Rossi, und auch wenn ich nicht so schnell fahren kann wie er, bin ich wahrscheinlich doch genauso oft gestürzt.

Ich wollte unbedingt dieses Rad fahren, und weil ich die Pedale noch nicht erreichte, erbarmte sich mein Nachbar und nahm mich auf eine Spritztour mit. Ich klammerte mich an den älteren Jungen und kreischte vor Begeisterung, als wir bergab immer mehr Fahrt gewannen und mir der Wind ins Gesicht blies. Aber ein anderes Kind aus der Nachbarschaft fand es witzig, uns mit seinen kleinen Karren den Weg zu verstellen und uns plattzumachen. Das klappte prima, und schon lagen wir auf der Nase. Keiner weiß wie, aber ich schaffte es dabei, mit meiner Zehe zwischen den Zahnkranz und die Kette zu geraten. Das Rad lag auf der Seite, und ich hing mit einem winzigen Hautstückchen daran, das kaum noch mit meiner Zehenspitze verbunden war.

„Was machen wir denn jetzt bloß?“, jammerte der panische Fahrradbesitzer.

„Am besten ziehen wir ihn raus“, schlug der boshafte kleine Mistkerl vor, der den Unfall verschuldet hatte. Auf eins, zwei, drei packten mich die beiden anderen Jungs und zogen. Ich stieß einen durchdringen Schrei aus, und meine Zehenspitze war befreit – vom Fahrrad und auch von mir.

„Sie bewegt sich!“, schrie der Missetäter und zeigte auf mein abgerissenes Zehenstück. Ich konnte es zwar nicht sehen, aber die anderen Jungs schworen, dass es hüpfte und sich wand wie der Schwanz, den ein Gecko abwirft, um einem Feind zu entkommen.

Während ich blutend am Boden lag, rannte mein Nachbar los, um Hilfe zu holen, und der Bengel, der mit seinem Karren den Unfall – und meine beträchtlichen Schmerzen – verursacht hatte, machte sich davon. Kurz darauf tauchte er mit einem Spaten in der Hand wieder auf. Mit seinen dünnen kleinen Armen hob er den Spaten über den Kopf und schmetterte ihn dann auf den Boden und auf meine abgerissene Zehe.

„Warum machst du das?“, jammerte ich.

„Das Ding macht mich wahnsinnig. Es ist lebendig, Mann!“ Erneut hob er den Spaten und schlug damit immer wieder auf den Boden, als würde er eine Schlange töten. Als er schließlich sicher war, dass er meine Zehe ins Jenseits befördert hatte, grub er ein Loch und versenkte das Beweisstück darin. Kurz darauf tauchte ein Mann von gegenüber auf und packte mich auf den Rücksitz seines brandneuen BMW. Es war ein lekker Auto, eine Edelkarosse, und ich blutete die feinen Lederbezüge voll.

„Okay, wo ist die Zehe?“, fragte der Arzt im Johannesburg Hospital.

„Ähm, sie haben sie vergraben“, erklärte ich ihm.

Mit dem Auftrag, die Zehe wieder auszugraben und ins Krankenhaus zu bringen, wurden die Jungs zurück nach Orange Grove geschickt. Aber auch wenn der südafrikanische Chirurg Dr. Christian Barnard mit seiner ersten erfolgreichen Herztransplantation Geschichte geschrieben hat, wäre es nicht mal dem geschicktesten Chirurgen der Welt möglich gewesen, das zermatschte, erdverkrustete Teil wieder anzunähen, das schließlich im Operationssaal abgeliefert wurde.

Ich bin 1974 in der Nightingale Clinic im Stadtzentrum von Johannesburg zur Welt gekommen, zwei Jahre bevor das Fernsehen in Südafrika Einzug hielt, aber meine Familie bekam erst einen Fernseher, als ich acht Jahre alt war. Als wir das Gerät endlich hatten, waren wir so begeistert, dass wir sogar das Testbild anschauten, doch es ist kein Wunder, dass ich von klein auf lernte, mir meinen Nervenkitzel im Garten, auf der Straße und bei meinen Tieren zu holen.

Meine Mutter Patricia arbeitete als Fondsexpertin bei der Barclays Bank. Sie war als Tochter englischer Emigranten in Südafrika geboren. Was mein Vater Peter genau gemacht hat, weiß ich nicht, aber er war bei einem Pharmaunternehmen angestellt – ich glaube, in der Qualitätskontrolle. Er war früh in seinem Leben aus Reading in der südenglischen Grafschaft Berkshire nach Südafrika gekommen. Unsere Beziehung war sehr förmlich und distanziert. Er war ein schweigsamer Mann. Ich hatte keine Gelegenheit, ihm viele Fragen zu stellen, und wir haben auch nicht die üblichen Vater-und-Sohn-Sachen miteinander gemacht. Er starb, als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war. Wie die meisten Familien in Orange Grove lebten wir in einem ziemlich kleinen Backsteinhaus mit zwei Kinderzimmern, das in den vierziger Jahren gebaut worden war. Ich hatte einen älteren Bruder und zwei ältere Zwillingsschwestern. Die Ninth Avenue, an der unser Haus stand, verband die größeren Vororte von Johannesburg und war deshalb ziemlich stark befahren. Die Straßen waren asphaltiert und es gab Ampeln. Bevor ich alt genug für ein Fahrrad war – und später dann Autos stahl –, war mein rotes Skateboard mein wichtigstes Fortbewegungsmittel.

Meine Kindheit war nicht besonders privilegiert. Wir bekamen kein Taschengeld und hatten auch nicht viel Spielzeug. Wir veranstalteten unsere eigenen Trödelmärkte, sammelten Altkleider und Nippes und verkauften das Zeug an die Schwarzen, denen es noch schlechter ging als uns. Wir halfen auch den Nachbarn im Garten und wuschen Autos. Das wenige Geld, das ich dabei verdiente, ging meist für Süßigkeiten oder kleine Spielzeugautos drauf, und meine Träume waren eher bescheiden. Mein sehnlichster Wunsch war ein funkgesteuertes Auto, aber ich wusste, das würde ich mir niemals leisten können. Ich arbeitete hart und hatte schließlich genug für ein ferngesteuertes Auto gespart – eins von denen, die über ein Kabel mit der Steuerung verbunden sind. Ich war so enttäuscht. Ich hatte davon geträumt, dass ich irgendwo stehen und beobachten würde, wie mein Auto durch das Zimmer flitzte, aber bei diesem Modell funktionierte das nicht. Das Kabel verhedderte sich dauernd an irgendwelchen Dingen, und ich musste meinem Auto überallhin folgen wie ein Hund an der Leine. Es war die Arme-Leute-Version eines echten funkgesteuerten Autos und ich hatte nicht viel Spaß daran.

Vielleicht wegen solcher Enttäuschungen oder auch, weil ich nicht jedes gewünschte Spielzeug oder Fahrrad bekam, entwickelte ich schon früh im Leben eine große Liebe zu Tieren, Reptilien und Insekten. Wer mich kennt, nimmt meist an, dass meine Mutter mir diese Leidenschaft vermittelt hat, aber sie interessiert sich eigentlich nicht besonders für Tiere. Es war mein schweigsamer, reservierter Vater, der unser erstes Haustier anschleppte – daran kann ich mich genau erinnern. Als ich ungefähr sechs Jahre alt war, kam er nach Hause und hatte ein winziges Kätzchen namens Tiger in seiner Lunchbox. Er sagte, er wolle uns etwas geben, für das wir sorgen konnten. Das Kätzchen hatte er auf einer Müllhalde gefunden.

Während meiner Kindheit sind wir nur einziges Mal als Familie gemeinsam in Urlaub gefahren, 1980 zu den Drakensburg Bergen in Natal. Später wurde das Geld bei uns so knapp, dass wir alle anderen Schulferien zu Hause verbrachten. Mein Bruder Gareth, meine Zwillingsschwestern Corrine und Candice und ich entwickelten die Theorie, dass unsere Eltern uns Haustiere als Ersatz für Urlaubsreisen schenkten. Nach Tiger, dem Kätzchen, gab es eine endlose Prozession von Papageien, Goldfischen und Hunden als Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke. Und diese Tiere waren dann das Alibi dafür, dass wir nicht in Urlaub fahren konnten. Wahrscheinlich dachte mein Vater auch, sie würden uns davon ablenken, dass die Situation zu Hause immer schwieriger wurde, denn er hatte berufliche Probleme und war immer öfter betrunken.

Gewöhnlich hatten wir immer ungefähr vier Hunde, drei oder vier Katzen, die Goldfische und verschiedene Vogelarten wie Tauben, Webervögel, Mausvögel, Papageien und andere wilde Vögel. Ich brachte es außerdem zu braunen Hausschlangen und schließlich zu Anacondas. Bis vor Kurzem hatte ich eine Anaconda, die über drei Meter lang war. Sie besaß sogar ihr eigenes kleines Haus auf dem Grundstück, wo ich jetzt lebe. Obwohl mein Vater sich mehr als meine Mutter für die Haustiere interessierte, kann ich mich nicht erinnern, dass er sich oft mit uns gemeinsam um sie kümmerte. Wie schon gesagt, er hatte ein Alkoholproblem. Er ging oft nicht zur Arbeit und wurde schließlich zurückgestuft. Aber auch dann schleppte er immer noch irgendwelche Streuner oder verletzten Tiere an, was mein Interesse weiter förderte. Auf seine Weise versuchte mein Vater offenbar, eine Beziehung zu uns aufzubauen, aber gleichzeitig wirkte er ständig sehr distanziert.

Einer meiner Mitschüler, Warren Lang, hielt Tauben – große weiße Fächerschwänze – und aus irgendeinem Grund musste er sie abgeben. Natürlich übernahm ich sie. Ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu fragen, nahmen wir seinen Tauben-Hok (das Afrikaans-Wort für Käfig) auseinander und schafften die Einzelteile zu meinem Haus, das drei Blocks entfernt war. Dort bauten wir alles wieder zusammen und siedelten dann die Tauben um, eine nach der anderen.

Ich begann mit der Vogelzucht und hatte große Freude daran. Ich verbrachte Stunden mit meinen Tauben im Hok. Manchmal schlief ich sogar dort. Meine Mutter war davon weniger begeistert, aber ich fand das Leben im Hok ungemein spannend. Geduldig saß ich neben einer brütenden Taube und rechnete nach, wie lange es noch dauern würde, bis die Jungen schlüpften. Ich benahm mich wie ein werdender Vater, aber es reichte mir nicht, die Weibchen einfach zu beobachten und darauf zu warten, dass die Jungen schlüpften – ich wollte ein Teil ihres Lebens sein.

„Komm schon, schmeiß eins raus. Lass mich eins aufziehen“, flehte ich die nistenden Mütter an. Wenn eine Taube zwei Eier hatte, bevorzugte sie oft das stärkere und fittere der beiden Jungen. Ich nahm dann das schwächere und versuchte es von Hand aufzuziehen.

Wo es Tauben gibt, da gibt es natürlich auch Mäuse und Ratten. Die Nager suchten am Hok nach Vogelfutter und nach Eiern, die aus dem Nest gefallen waren. Die Mäuse hausten unter den Ziegelsteinen unterhalb des Hok, und wenn ich einen dieser Ziegelsteine aus dem Boden nahm, konnte ich eine komplette Mäusefamilie mit ihren winzigen, rosigen Babys beobachten. Ich hatte dort drin mein eigenes Mini-Ökosystem, und es war faszinierend. Während mein Vater immer mehr trank und die Situation zu Hause immer schwieriger wurde, war der Taubenschlag meine Zuflucht.

Ich nutzte den Hok als Ausweichquartier und den Garten als Spielplatz. Ständig matschte ich im Abwasser herum, suchte Heimchen oder buddelte Würmer aus – alles, was ich in die Hände bekommen konnte. Als Kind will man eben alles fangen und sammeln und in einer Schachtel aufheben und nichts entkommen lassen.

Eine der wenigen Gelegenheiten, wo unsere Familie Orange Grove verließ, war der Besuch bei meinem Onkel in Fourways auf der nördlichen Seite von Johannesburg, nicht weit entfernt vom Lion Park, wo ich später arbeiten sollte. Es war immer eine Mordsfahrt, für die wir packen mussten, auch wenn wir gewöhnlich nur einen Tag blieben. Ich war unglaublich neidisch auf meinen Onkel, weil er einen Teich und Frösche in seinem Garten hatte. Zwar faszinierten mich meine Vögel und unsere anderen Haustiere, aber Frösche – Amphibien – waren eine völlig neue Unterart des Tierreichs.

Bei einem unserer Besuche sagte mein Onkel, ich könne einen Frosch mitnehmen, und ich hielt ihn für den besten Onkel der Welt. Ich nannte meinen kleinen Frosch Paddatjie, was auf Afrikaans kleiner Frosch heißt. Okay, bei Namen war ich nie besonders fantasievoll, aber nachdem das Fernsehen bei uns Einzug gehalten hatte, gab es eine Flut berühmter Namen. Die amerikanische Seifenoper Dallas war damals in Südafrika eine der beliebtesten Serien, und so nannten wir unseren Graupapagei J. R. nach dem von Larry Hagman dargestellten J. R. Ewing. Ich hatte auch einen knallbunten Papagei, der Madonna hieß.

Paddatjie war eine ganz gewöhnliche gefleckte Kröte, aber ich war hin und weg, weil ich dachte, ich hätte eine völlig neue Krötenart entdeckt. Ich baute ihm ein kleines Terrarium, das ich mit allen möglichen Dingen ausstattete, von denen ich glaubte, sie würden einem Frosch gefallen. Ich benutzte dazu einen Pappkarton mit Deckel, aber er konnte den Deckel abwerfen und herausspringen. Dann hüpfte er durchs Haus, und damals hielt ich ihn für besonders schlau und zäh, weil er sich nicht von unseren Hunden und Katzen fangen ließ. Inzwischen denke ich eher, dass sie alle wahrscheinlich mal ein Häppchen von Paddatjie probiert, ihn aber als absolut ungenießbar wieder ausgespuckt haben.

Ich war überzeugt, dass Paddatjie mich als seinen Freund betrachtete und aus seinem Karton hüpfte, um mich zu suchen und mit mir und meinem Papagei J. R. Ewing im Fernsehen Dallas anzuschauen. Ich glaube, ich konnte auch meine Familie davon überzeugen, und sie fand es zweifellos beeindruckend, wie ich schon als sehr kleines Kind mit Tieren umging. Ich fing Insekten für den Frosch und nahm ihn mit in den Garten, damit er auch erleben konnte, wie schön es draußen war, und nicht nur ein zwar robustes und intelligentes, aber doch den ganzen Tag eingesperrtes Amphibium war.

Ich lernte eine Menge durch Paddatjie – vor allem, dass ich nicht jedes Lebewesen, das ich aufhob oder ausgrub, vierundzwanzig Stunden am Tag in einem Karton halten musste. Aber auch wenn ich es gut fand, dass er hin und wieder seine Freiheit genießen konnte, war ich doch tief enttäuscht, als er eines Tages aus seiner Kiste hüpfte und endgültig verschwand.

Mehr Freude machte es mir natürlich, wenn ich meine Brieftauben fliegen ließ und sie tatsächlich zurückkehrten. Aber sogar im Taubenschlag konnte die Natur grausam sein. Einer unserer Rhodesian Ridgebacks, ein großer, wilder, sandfarbener Hund, und unser Labrador drangen in den Hok ein und töteten meine dreißig Tauben. Ich glaube, meine Mutter war insgeheim froh darüber, denn ich bin sicher, dass sie den Tauben schon lange den Tod wünschte. Aber ich hätte die Hunde am liebsten umgebracht.

Als ich älter wurde, trug mir mein Ruf einen Spitznamen ein – der Vogelmensch von Orange Grove. Jeder kranke oder verletzte Vogel wurde mir ins Haus gebracht. Ein paar geschäftstüchtige Kriminelle begannen sogar, junge Tauben aus den Nestern zu stehlen, um sie mir für fünf Bob (50 Cent) zu verkaufen. Das war viel Geld für mich, aber meist gelang es mir, ihnen den Vogel kostenlos oder im Austausch gegen etwas Essbares aus unserem Haus abzuschwatzen. Schwarzafrikaner, die solche Vögel anschleppten, taten es meist, weil sie Hunger hatten.

Ich habe unzählige Jungvögel gerettet, aufgezogen und später freigelassen. Zu meinen schönsten Augenblicken gehörte es, wenn ein Vogel, den ich freigelassen hatte, zum Haus zurückkehrte oder sich wieder auf meine Schulter setzte. Ich stellte auch fest, dass es mir sehr viel mehr Spaß machte, Tiere freizulassen, als sie einzufangen. Also ließ ich auch meine Papageien aus ihren Käfigen frei. Einige flogen weg und kamen nie zurück, und obwohl ich in der Nachbarschaft Fahndungsplakate aufhängte, begriff ich allmählich, dass das zum Leben gehörte. Manchmal verließen einen Tiere und kehrten nicht zurück.

An einige Vögel kann ich mich noch genau erinnern. Mouse, der Mausvogel, dessen Name genauso originell war wie Paddatjie für einen Frosch, war irgendwo in der Wildnis aus dem Nest geworfen worden, denn er hatte einen deformierten Flügel. Deshalb konnte er nicht fliegen und war wirklich wie eine kleine Maus. Er lief überall mit mir hin und hatte einen besonderen Platz in meinem Leben, weil er ganz und gar von mir abhängig war. Ich empfand große Befriedigung bei dem Gedanken, dass er ohne meine Fürsorge wohl nicht überleben würde. Der Papagei J. R. hatte sein gesamtes Leben in einem Käfig verbracht, und als ich ihn zum ersten Mal herausließ, war das so, als würde jemand nach langer Zeit aus dem Gefängnis entlassen. Er wusste überhaupt nicht, was er mit sich anfangen sollte. Er rannte wie verrückt immer nur in Kreisen über den Boden. Er schien wie in Panik, weil er plötzlich so viel Platz um sich herum hatte. J. R. war ziemlich brutal und hat in manchen Finger gehackt, aber im Laufe der Zeit konnte ich ihn zähmen und beruhigen, und er wurde im Käfig wie auch draußen zu einem freundlichen und sanften Gefährten. So ein Graupapagei kann fünfzig bis sechzig Jahre alt werden, aber nachdem ich ihn von seinem Gefangenschaftstrauma befreit hatte, war ich am Boden zerstört, als er an einer Vogelgrippe starb. Es war immer hart für mich, wenn eines meiner Tiere starb. Mit zunehmendem Alter konnte ich zwar besser damit umgehen, aber manche Tiere haben für alle Zeiten einen Platz in meinem Herzen.

Ich wusste schon sehr früh, dass ich nicht damit zufrieden sein würde, meine Tiere nur anzuschauen. Ich wollte jedes einzelne genau kennen, eine Beziehung zu ihm aufbauen und die Grenzen des Umgangs miteinander austesten. Ich war nicht grausam zu den Tieren, nur neugierig. Ich lernte, dass jeder Vogel und jedes andere Tier ein Individuum war. Im Taubenschlag stellte ich beispielsweise fest, dass der Vogel in der letzten Box mir in die Hand hackte, wenn ich versuchte, die Eier zu nehmen, während die Taube in der gegenüberliegenden Box zur Seite rückte und die Eier freigab, weil ich zu ihr eine bessere Beziehung hatte und sie toleranter war. Von diesem frühen Alter an habe ich mir immer Notizen gemacht, und ich führe auch heute noch akribisch über alles Buch, was meine Tiere und jeden Aspekt ihres Lebens angeht. Oft habe ich meine Vögel und die anderen Tiere stundenlang beobachtet. Ich konnte ziemlich gute Skizzen machen und schon früh einen recht naturgetreuen Gepard zeichnen, obwohl ich noch nie einen in natura gesehen hatte. Also begann ich, meine Tiere zu zeichnen. Ich zeichnete sie aus der Erinnerung und mit Hilfe von Büchern. Und indem ich sie zeichnete, verstand ich sie noch besser.

Meine Schwestern interessierten sich auch für Tiere, aber nicht so sehr wie ich. Mein Bruder mochte unsere Haustiere, war aber nicht so praktisch veranlagt wie ich. Ich war nie jemand, der ein Tier anschaute und sagte: „Das ist sehr schön.“ Stattdessen sagte ich: „Was mag wohl passieren, wenn ich dich anfasse? Wenn ich dich nur ein bisschen besser kennenlernen könnte, dann könnten wir mehr miteinander anfangen, als uns nur anzusehen. Kennst du mich, und erkennst du meine Stimme? Wenn nicht, frage ich mich, ob ich eine Beziehung zu dir aufbauen könnte?“ Das waren die Fragen, die ich stellte.

Ich redete viel mit meinen Tauben. Sie kannten meine Stimme und kamen, wenn ich sie rief, was mir sehr gefiel. Ich konnte auch Dinge mit ihnen ausprobieren, und wie die Hunde und (manchmal) die Katzen, schenkten sie mir ihre bedingungslose Liebe. Die Tauben wollten nur etwas zu fressen und eine Streicheleinheit. „Kevin, komm sofort zum Abendessen runter“, rief meine Mutter oft. „Wenn du jetzt nicht kommst, kannst du bei deinen Tauben schlafen.“ Manchmal tat ich das, denn es war einfach besser, mit ihnen im Taubenschlag zu sein, als nach drinnen zu gehen und die angespannte Stimmung zu ertragen, die zwischen meinen Eltern herrschte.

Ich versuchte sogar, eine Beziehung zu den Goldfischen zu entwickeln, die eigentlich nicht mir, sondern meinen Schwestern gehörten. Ich wollte irgendetwas mit den Fischen tun. Ich fand sie ziemlich amüsant, doch ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass es irgendjemandem genügen würde, einfach die Fische im Aquarium anzustarren. Ich hielt meine Hand ins Wasser und war begeistert, wenn die Goldfische kamen und an meinem Finger saugten. Im Laufe der Zeit begriff ich allerdings, dass dieses Verhalten nichts mit Kommunikation zu tun hatte, sondern dass sie sich nur für die winzigen Luftblasen interessierten, die sich rund um meinen Finger bildeten. Mir wurde bald klar, dass es nicht mein Ding sein würde, Fische zu halten oder zu trainieren.

Aber ich versuchte, meinen Tieren manches beizubringen. Ich war fasziniert von den Geschichten über amerikanische Vogeltrainer, die ihre Papageien dazu bewegen konnten, Fahrrad zu fahren und alle möglichen Tricks zu zeigen. Und ich schaffte es immerhin, meinem Papagei J. R. vor seinem Tod noch das Bankdrücken mit einem Bleistift beizubringen.

Als Kind wollte ich Vogeltrainer, Tierarzt, Zoowärter oder Wildhüter werden. Jeder kleine Junge in Südafrika will Wildhüter werden, aber ich kannte die südafrikanischen Nationalparks und privaten Wildreservate nur aus den Erzählungen anderer Kinder. Der Krüger-Nationalpark ist weniger als dreihundert Meilen von Johannesburg entfernt, aber was mich anging, hätte er auch auf der anderen Seite des Mondes liegen können. Beim Show und Tell meldeten sich die Jungs aus meiner Klasse und berichteten über Löwen, Elefanten und andere wilde Tiere, die sie im Krüger-Nationalpark gesehen hatten, oder sie erzählten von ihrem Familienausflug zu den Pools in Warmbaths, was für die Leute von Orange Grove als feinstes Urlaubsziel galt. Ich wusste nichts über das weitere Afrika, die riesigen offenen Plains und das dornige Buschland mit seinen enormen Wildbeständen, nur was ich in Büchern gelesen oder im Fernsehen gesehen hatte. Für mich war Afrika mein Garten. Wenn ich an die Reihe kam, vor der Klasse über meine Erlebnisse zu berichten, sagte ich: „Na ja, … ähm, ich habe ein Vogelei gefunden.“

Aber nachdem ich als Erstklässler den Zoo von Johannesburg besucht hatte, wollte ich kein Zoowärter mehr werden. Zoos waren damals ziemlich übel. Die Tiere wurden praktisch in Betonpferchen gehalten, und ich sah dort zum ersten Mal in meinem Leben einen Löwen, der in seinem winzigen Käfig ständig von einer Seite zu anderen lief, was ich wenig reizvoll fand. Der Besuch führte eindeutig nicht dazu, dass ich meine Vögel und Käfer hätte im Stich lassen und mit Großkatzen arbeiten wollen. Ich stand vor dem Betonpferch, schaute den König des Dschungels an und konnte nur denken: „Mann, so eine Schande, dass du hier enden musst!“ Von da an hasste ich den Zoo. Er passte nicht zu dem, worum es in meinem kleinen Tierkönigreich in Orange Grove ging. Es gab niemanden, zumindest nicht für mich erkennbar, der Interesse daran hatte, den Löwen während seiner Gefangenschaft aktiv und aufmerksam zu halten.

Nachdem nun der Zoowärter von der Liste meiner Berufswünsche gestrichen war, überlegte ich, dass ich wohl gerne Tierarzt würde, denn dann könnte ich mit Tieren spielen und dabei gleichzeitig richtig Geld verdienen. Meine Noten in der Grundschule waren gut, und ich wurde zum Schülersprecher gewählt, auch wenn meine Eltern es nicht glauben wollten, denn zu Hause war ich ein ungehorsames Kind. Aber in der Schule wahrte ich eine engelsgleiche Fassade. Als ich mit stolzgeschwellter Brust nach Hause kam und meiner Familie die gute Neuigkeit verkündete, behaupteten sie, ich würde lügen. Sie glaubten mir erst, nachdem sie in der Schule gewesen waren und gesehen hatten, dass mein Name auf der großen Holztafel als letzter unter der Liste aller ehemaligen Schülersprecher stand. Danach waren sie sehr stolz auf mich. Glaube ich.

Obwohl ich in der Schule öffentlich den braven Jungen gab, trieb ich hinter den Kulissen und außerhalb des Unterrichts eine Menge Unfug. Als ich ungefähr zehn Jahre alt war und mitten in meiner Tierbefreiungsphase steckte, sorgte ich mich um das Wohlergehen einiger Frösche, die in einem Terrarium im Biologieraum standen. Ein Klassenkamerad und ich beschlossen, dass es ihnen in Freiheit bessergehen würde – das heißt, wir nahmen sie in Obhut, bis ich die richtige Zeit für gekommen hielt, sie freizulassen.

An einem Freitag halfen wir nach Schulschluss, den Biologieraum abzuschließen, achteten aber darauf, dass eins der Fenster nicht verriegelt wurde. Dann lungerten wir auf dem Schulgelände herum, bis alle einschließlich der Putzfrauen weg waren, und kletterten durch das Fenster ins Klassenzimmer. Am folgenden Montag brach die Hölle los, und alle redeten über die fehlenden Frösche. Einige dachten, sie seien von selbst entkommen, aber am Ende beschuldigte man zwei umweltbewusste Lehrer, was meinen Klassenkameraden und mich sehr erheiterte. Zu Hause redeten wir uns ein, dass es den Fröschen in einem Schuhkarton unter meinem Bett sehr viel besser ging als in ihrem artgerecht ausgestatteten Terrarium im Biologieraum. Dummerweise gab ich ihnen nicht annähernd genug Wasser, und sie starben. Das lehrte mich eine wichtige Lektion: Dass ein Tier im Käfig gehalten wird, heißt nicht zwangsläufig, dass es vernachlässigt wird.

Da unsere Familiensituation immer schlimmer wurde, wollte ich abends nie nach Hause gehen. Ich war so davon besessen, Tiere zu befreien, dass ich mich zu lächerlichen Extremen verstieg. Es reichte mir nicht, alle unsere Vögel freizulassen, sondern nach der Schule betätigte ich mich mit einem Freund als Nesträuber. Wir holten uns Jungvögel, nur um sie von Hand aufzuziehen und dann freizulassen. Wenn ich heute daran zurückdenke, ist mir klar, dass wir etwas Schreckliches taten, aber ich liebte Vögel so sehr, dass ich sie zu einem Teil meines Lebens machen wollte – sogar die wild lebenden. Ich kletterte auf eine Aloe und fand ein Turteltaubennest. Darin waren zwei Junge, und ich weiß noch, dass ich dachte, wenn ich eins von ihnen nehmen würde, könnte die Mutter das andere unmöglich verstoßen. In meinem kindlichen Denken tat ich etwas Gutes, indem ich die Vögel aufzog und sie dann in die Freiheit entließ. Das Problem war nur, dass ich mit meinem Eifer, wilde Tiere – drinnen – aufzuziehen, allmählich das ganze Haus in Beschlag nahm.

Mein Bruder und ich hatten ein gemeinsames Zimmer. Während seine Seite immer ordentlich aufgeräumt und pieksauber war, herrschte auf meiner ein heilloses Durcheinander. Heute bin ich ordentlicher, aber sobald mein Bruder damals ausgezogen war, übernahm ich mit meinen Vögeln, Schlangen, Hunden, Katzen und Käfern das Kommando. Als meine Mutter, die Zwillinge und ich von einem abendlichen Ausgang nach Hause kamen, wartete vor dem Haus ein Wachmann der lokalen Sicherheitsfirma auf uns.

„Ihre Alarmanlage ist ausgelöst worden. Es hat einen Einbruch gegeben“, sagte der Mann. Er schaute uns an und sein Gesicht war wie versteinert. „Fassen Sie drinnen nichts an, denn die Polizei ist unterwegs, um Fingerabdrücke zu nehmen. Machen Sie sich auf einen Schock gefasst. Das Haus ist durchwühlt worden, und ein Zimmer sieht wesentlich schlimmer aus als die anderen.“

Nervös folgten wir unserer Mutter und dem Wachmann ins Haus und rechneten mit dem Schlimmsten.

„Alles in Ordnung“, erklärte meine Mutter dem Mann und versuchte dabei, ihre Verlegenheit zu verbergen, indem sie kurz unser Haus und mein Zimmer inspizierte, das tatsächlich aussah, als sei es durchwühlt worden. „Alles ist genauso, wie wir es verlassen haben, auch Kevins Zimmer.“

Mein Zimmer war ein Chaos, das gebe ich zu. Mitten in diesem Chaos hatte ich eine wachsende Sammlung von Grashüpfern und Heuschrecken, die ich unter meinem Bett hielt. Trotzdem versetzte mich das Zirpen der Heimchen, das in Sommernächten von draußen zu hören war, immer in Angst und Schrecken. Ich konnte nie ausmachen, welche Art von Monster direkt vor meinem Fenster dieses unglaubliche Spektakel veranstaltete. Als mein Vater erfuhr, dass ich mich vor diesem mysteriösen Geräusch fürchtete, ging er eines Abends mit mir nach draußen und sagte mir, dafür sei nur ein kleines schwarzes Heimchen verantwortlich. Wir konnten in der Dunkelheit keines finden, und ich war nicht vollständig überzeugt, aber als ich dasselbe Geräusch aus dem Schuhkarton unter meinem Bett hörte, begriff ich, dass mein Vater keinen Unsinn geredet hatte.

Ich denke, dass mein Vater trotz seiner Probleme einen guten Job hatte, vor allem, als ich noch kleiner war und wir einmal Urlaub in den Bergen machten. Ich bin sicher, manche Leute in Übersee denken, dass alle Weißen in Afrika über eine kleine Armee von Bediensteten verfügen, aber wir hatten in guten Zeiten nur ein einziges Dienstmädchen, das wir entlassen mussten, als mein Vater weniger Geld bekam. Meine Mutter musste sich dann selbst um den Haushalt kümmern, wenn sie abends von der Arbeit kam, und als mein Vater immer mehr trank, stand sie zunehmend unter Stress.

Auch wenn es nicht gut um ihn stand, war mein Vater uns Kindern gegenüber doch immer noch eine Autorität, und wenn wir ungehorsam waren, setzte es Hiebe mit seinem dicken Ledergürtel. Mit diesem Gürtel sorgte er auch dafür, dass einer von uns redete, wenn wir etwas ausgefressen hatten, zu dem sich niemand bekennen wollte. Das klingt hart, aber so lagen die Dinge in meiner Kindheit.

Mein Bruder Gareth war ein Tugendbolzen, der seine Nase ständig in irgendein Buch steckte. Ich las Bücher über Vögel und Tiere, aber er verschlang Romane ebenso wie Sachbücher. Er lernte fleißig und arbeitet heute als Tierarzt in Großbritannien. Ich war der ungezogene Racker, der immer Unsinn im Sinn hatte und dauernd mit irgendwelchen Verletzungen nach Hause kam.

Gareth und ich waren wie Hund und Katze. Er war zwar vier Jahre älter als ich, aber ich war körperbetonter und lebhafter als er. Dafür fand er immer eine Möglichkeit, mir zu zeigen, dass er klüger als ich und mir überlegen war. Er verhöhnte mich und hielt mir vor, dass er eines Tages Tierarzt sein würde, während ich ein Nichtsnutz war und bleiben würde. Das endete dann in einer ausgewachsenen Prügelei. Ich kann mich zwar selbst nicht mehr daran erinnern, aber mein Freund Dave erzählt heute noch die Geschichte über den Tag, an dem er dachte, ich würde Gareth umbringen. Ich habe keine Ahnung mehr, was den Streit ausgelöst hat, aber es war eine dieser Hollywood-Schlägereien, die in unserem Kinderzimmer begann und sich dann durch Wohnzimmer und Küche bis in den Vorgarten zog. In unserem Zimmer gab es ein schweres altes Messinggewicht, und offenbar hatte ich es mit in den Garten genommen. Dave sagt, er musste mich von Gareth herunterzerren, weil ich ihm sonst mit diesem Gewicht den Schädel eingeschlagen hätte. Vermutlich war ich damals so wütend, dass ich die Sache später verdrängt habe.