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Der Zweite Weltkrieg in der Luft Warschau, Rotterdam, Coventry: Die Namen dieser Städte stehen beispielhaft für die massiven Angriffe der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg. Ab 1942 erlebte das Deutsche Reich seinerseits Flächenbombardements; Städte wie Köln, Hamburg oder Dresden wurden völlig zerstört. Welche Strategien und Taktiken verfolgten die Luftstreitkräfte? Wie wirkten sich die Luftschläge auf den Kriegsverlauf aus? Und wie konnte es so weit kommen? Die Reihe »Kriege der Moderne«, herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, macht die jüngsten Erkenntnisse der Forschung einem breiten Publikum zugänglich. Die wichtigsten militärischen Krisen und kriegerischen Konflikte der vergangenen Jahrhunderte werden sowohl im Hinblick auf den Verlauf der Auseinandersetzungen als auch in Bezug auf politische sowie kulturelle Zusammenhänge anschaulich dargestellt und analysiert.
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2025
Harald Fritz Potempa
Reclam
Kriege der Moderne
Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Fachbereich Publikationen (0883-01)
2025 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Umschlaggestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH
Umschlagabbildung: Blick in die nach einem deutschen Luftangriff vom 14. November 1940 zerstörte St. Michael’s Cathedral in Coventry – © Rue des Archives / Tallandier / Süddeutsche Zeitung Photo
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2025
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962410-5
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011528-2
reclam.de | [email protected]
1 Eine oberbayerische Kleinstadt im Bombenhagel
2 Anfänge des Luftkriegs
Flugzeuge bis 1914
Erster Weltkrieg
Flugzeuge 1919–1939
Militärische Diskussionen der Zwischenkriegszeit
3 Luftkrieg im Zeichen der »Blitzkriege« 1939–1941
Die Luftwaffe als taktisches Instrument
Die Luftschlacht um England
Die Luftwaffe im Südosten und Osten Europas
4 Strategischer Bombenkrieg der Alliierten
Der Auftakt: Bomben auf Deutschland 1939–1942
Höhepunkt und Endspiel: Luftkrieg gegen Deutschland 1943–1945
Der Luftkrieg gegen den deutschen Machtbereich in Europa
5 Luftkrieg real: Friktionen, Technik und Logistik
Flugzeuge: Soll – Ist
Zielauswahl, Zielfindung und Auswertung
Irreführung und Störungen
Reichweiten – Bewaffnung
6 Der Bombenkrieg zwischen Kriegspropaganda und Erinnerung nach 1945
»Muss ein Volk von Fliegern werden«: Wurzeln der deutschen Propaganda
Deutsche Propaganda: Vergeltung und Durchhalten
Alliierte Propaganda: Durchhalten und Siegen
Symbole des Bombenkriegs: Guernica und Coventry
7 Deutsche Debatten über den alliierten Bombenkrieg nach 1945
Bundesrepublik
DDR
Nach 1990
8 Fazit
Anhang
Zeittafel
Literaturhinweise
Abbildungsnachweis
Personenregister
Bombardierter Erdinger Fliegerhorst mit dem Düsenjäger Messerschmitt Me 262, Aufnahme 1945
Den Deutschen bekam das Wetter am Nachmittag des 18. April 1945 über der Stadt Erding in Oberbayern schlecht. Dabei war der Himmel strahlendblau und die Sonne schien. Doch dies bedeutete hervorragendes Flugwetter für die alliierten Bomber, die sich Südbayern von Italien aus näherten. Die deutsche Luftwaffe hatte ihnen zu diesem Zeitpunkt nur noch wenig entgegenzusetzen, weswegen es sich die Maschinen der United States Army Air Forces leisten konnten, ziemlich tief zu fliegen und so ihre Ziele genauer ins Visier zu nehmen.
Unweit der Altstadt lag seit 1935 der Erdinger Fliegerhorst, die logistische Drehscheibe für die Versorgung der Luftwaffe im Süden. Nun waren dort Fliegende Verbände stationiert, die unter anderem mit dem Strahlflugzeug Messerschmitt Me 262 ausgestattet waren. Eigens angelegte Bahngleise verbanden diesen Fliegerhorst mit dem Erdinger [9]Bahnhof und damit mit der Bahnstrecke Erding – Markt Schwaben sowie München – Mühldorf am Inn. Zudem kreuzten sich in der seit 1228 bestehenden Stadt Erding zwei nicht nur zu Kriegszeiten wichtige Straßen, die die Städte Freising, Landshut und München verbanden.
Somit verwundert es nicht, dass der Fliegerhorst schon wiederholt bombardiert worden war, die Stadt und ihr Bahnhof selbst aber waren bislang verschont geblieben. Dennoch war im April 1945, aus heutiger Sicht kurz vor Kriegsende, ständig Sirenengeheul, also Fliegeralarme, zu hören. Dies zehrte an den Nerven der Einwohnerinnen und Einwohner, es unterbrach Alltag, Arbeit, Einkauf, Freizeit und nicht zuletzt den Schlaf. Die Menschen erlebten sie täglich und hatten sich fatalerweise angewöhnt, bereits bei dem Signal »Vorentwarnung« die vermeintlich sicheren Luftschutzräume zu verlassen.
Erdinger Bürger, Angehörige des Reichsarbeitsdiensts und Zwangsarbeiter bei Aufräumarbeiten in der Friedrich-Fischer-Straße wenige Tage nach dem Luftangriff auf Erding
Auch am 18. April 1945 hatte es bis zum Nachmittag bereits »über sechs- bis siebenmal« Alarm gegeben, weswegen die Menschen um 15.20 Uhr schon nach der Vorentwarnung aus den Kellern nach draußen strömten. Der zuständige Luftschutzwart Hans Schmidmayer, nach dem Krieg Erdinger Bürgermeister, berichtete: »Schließlich sichteten wir eine der letzten Kampfgruppen, 14 viermotorige fliegende Festungen in höchstens 2500 Meter Höhe […]. Plötzlich sah ich beim führenden Bomber ein Rauchsignal und rief: Herr Malterer, schauen Sie, das ist ein Angriffszeichen! […] Kaum hatte ich mein Haus erreicht, als fürchterliche Detonationen die Erde erschütterten. Es waren furchtbare Schläge. Das Dröhnen und Krachen dauerte keine Minute. Detonationsstaub und Explosionspilze verfinsterten den Himmel. Tiefe Dämmerung hatte sich über die unglückliche Stadt gesenkt. Jede Sicht war durch Rauch und Staub verwehrt. […] Den Männern bot sich ein Bild grauenvoller Verwüstung. Vor dem Rathaus und auf dem Schrannenplatz riesige Krater, ringsherum eingestürzte und schwer beschädigte Häuser. Leute schrien von überall nach Hilfe.«
Er berichtete entsetzt weiter, dass viele Schwerverletzte beim Krankentransport starben. Sie mussten zunächst in der Toreinfahrt eines Wirtshauses abgelegt werden und kamen anschließend in die Leichenhalle des Krankenhauses, die sich mit 124 Toten füllte. Gleichzeitig bemühten sich die Ärzte sowie das Pflegepersonal verzweifelt, die vielen Verwundeten notdürftig mit Medizin sowie Verbänden zu versorgen und durch Operationen Leben zu retten. Die Krankenzimmer wurden [11]knapp, die Verletzten mussten auf den Gängen untergebracht werden. »Fassungslos standen Angehörige und Freunde vor den teilweise schwer verstümmelten Leichen.« Derweil hatte die Beseitigung der gröbsten Trümmer im schwer getroffenen Stadtkern bereits begonnen: »Mir wurde eine Abteilung von 60 bis 70 kriegsgefangenen Franzosen zugeteilt«, erzählte Schmidmayer. »Mit ihnen begann ich die Ausgrabungsarbeiten beim Kaufhaus Widmann. Die Gefangenen haben sich vorbildlich bewährt.«
Das zerstörte Erding wenige Tage nach dem Luftangriff. Die Aufräumarbeiten laufen noch.
An diesem 18. April 1945 warfen die alliierten Flugzeuge über 100 Sprengbomben ab. Die Zahl der Toten liegt zwischen 121 und 144, zumeist Zivilisten, bei einer Einwohnerzahl von circa 12 000 Menschen. 350 von ihnen hatten Wohnung oder Haus verloren, waren somit obdachlos und mussten betreut werden.
Wer aber lebte damals in Erding? Sofern sie als kriegstauglich gemustert worden und nicht im Fliegerhorst stationiert waren, befanden sich die meisten Männer nicht mehr in ihrer Heimat, sondern dienten in der Wehrmacht, beim Volkssturm oder in der Waffen-SS irgendwo an den sich täglich verkürzenden Fronten. Viele waren gefallen, galten als vermisst, waren verwundet oder in Kriegsgefangenschaft geraten. Die Einwohnerschaft Erdings bestand im April 1945 vor allem aus alten Männern sowie Frauen, Kindern, Jugendlichen, Versehrten, als untauglich oder unabkömmlich gemusterten jüngeren Männern und den Soldaten des Fliegerhorstes nebst Zivilpersonal mit einigen ihrer Angehörigen. Hinzu kamen Ausgebombte aus den Großstädten, aufs Land verschickte Kinder, Flüchtlinge, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge sowie Wachpersonal.
Was Erding im Frühjahr 1945 erlebte und überlebte, war beileibe kein Einzelfall. Dasselbe Schicksal hatten bereits Hunderte Städte in vielen Teilen Europas während des Zweiten Weltkriegs erlitten, sei es durch die Angriffe der deutschen Luftwaffe, sei es durch die Nachtangriffe der britischen Royal Air Force (RAF) oder durch die Tagangriffe der US Army Air Forces (USAAF).
Viele dieser Orte lagen unweit militärischer Anlagen wie Kasernen, Marinebasen und Fliegerhorsten oder nahe militärisch nutzbarer Infrastruktur wie etwa Autobahnen oder Bahnhöfen. Meist verfügten sie über Industrie, Manufakturen, Werkstätten und Zulieferbetriebe, die jetzt zu Kriegszeiten Rüstungsgüter produzierten.
[12]Die zunächst noch eingehaltene strikte Trennung zwischen militärischen und zivilen Zielen verschwamm im Laufe des totaler werdenden Krieges zunehmend. Die Bombardierungen zielten auf die Moral des Gegners und sollten die Bevölkerung erschüttern. Eine »Luftkriegsordnung«, analog zur Haager Landkriegsordnung, war nie ratifiziert worden. Derartige Angriffe galten nach einer weiten Auslegung des damaligen Kriegsvölkerrechts als gerechtfertigt.
Das zeitgenössische Kriegsvölkerrecht ließ bezüglich der Bombenangriffe auf zivile Ziele und insbesondere auf Städte Fragen offen. Die damals gültige Haager Landkriegsordnung (HLKO) stammte aus dem Jahre 1907. Sie wurde in jeweils nationales – auch deutsches – Recht umgesetzt. Aber damals hatte es noch keine Bombenangriffe aus der Luft gegeben. Die in der HLKO genannten und untersagten »Bombardierungen unverteidigter Städte« bezogen sich auf die Artillerie, speziell auf Mörser und Haubitzen. »Unverteidigte Städte« durften nicht bombardiert werden. Voraussetzung aber war das Fehlen von Militär sowie von militärischen Einrichtungen in diesen Städten. Eine geplante Erweiterung der HLKO um den Luftkrieg kam bis 1945 nicht zustande. Folglich wurden weder deutsche Militärs noch Vertreter des NS-Regimes in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen deswegen angeklagt. Einzige Ausnahme war Generaloberst Alexander Löhr, dem in einem der Nachfolgeprozesse unter anderem der Luftangriff auf Belgrad 1941 vorgeworfen wurde. Insofern ist es äußerst schwierig, beim Luftkrieg 1939 bis 1945 die Kategorie Kriegsverbrechen nicht allein moralisch, sondern auch juristisch-historisch anzuwenden.
Zudem ließen die Zielgenauigkeit der Bomber und ihre Navigationshilfen zu wünschen übrig, sodass neben der beabsichtigten Bombardierung von Objekten oft genug die Bomben unabsichtlich andere Ziele trafen. Hinzu kam, dass die Besatzungen der Flugzeuge das vorgesehene Ziel teilweise nicht fanden, es falsch identifizierten oder sich schlichtweg verflogen. Neuere Forschungen zeigen, dass der Bombenangriff auf Erding am 18. April 1945 eigentlich dem Bahnhof der 17 Kilometer entfernten Bischofsstadt Freising gelten sollte. Es handelte sich offenbar um eine Verwechslung und einen Navigationsfehler.
Der Luftangriff auf Erding verdeutlicht die Bedeutung des Luftschutzes. Bereits vor dem Krieg waren in den meisten Staaten zu diesem Zweck zivile Organisationen aufgebaut worden. Sie richteten öffentlichkeitswirksam Luftschutzräume und -keller ein, führten Luftschutzübungen durch und installierten Sirenen. Ihre Mitglieder bargen, unterstützt von zwangsweise eingesetzten Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, Tote und Verwundete. Außerdem beseitigten sie Trümmer und räumten Bomben, Bombenreste und Blindgänger. In den meisten Fällen überstieg die Zahl der durch die Angriffe obdachlos Gewordenen die der Toten oder Verwundeten. Um ihre Versorgung und das Bereitstellen von Ersatzunterkünften kümmerte sich ebenfalls der Luftschutz, auch zur NSDAP gehörende Organisationen wie die Hitlerjugend halfen dabei.
Bei Luftangriffen waren grundsätzlich mehrere Komponenten der Luftstreitkräfte im Einsatz: Stäbe wählten die Ziele aus, Kommandeure genehmigten und befahlen die Angriffe, Bombengeschwader führten sie aus. Diese benötigten wiederum Begleitjäger, Aufklärer und Zielmarkierer. Ihnen trat die Luftverteidigung entgegen. Sie bestand aus den Fliegenden Verbänden der Tag- und Nachtjagd sowie der Flak (Flugabwehrkanonen) inklusive der Scheinwerfer nebst Generatoren, um den nächtlichen Himmel zu erleuchten und die Zielfindung zu [13]erleichtern. In Deutschland waren in der zweiten Kriegshälfte Oberschüler ab dem 16. Lebensjahr als Flakhelfer im Einsatz. Der Großteil des Personals der deutschen Luftwaffe diente nicht bei Fliegenden Verbänden, sondern bei der Flak oder bei der Luftnachrichtentruppe, die die vielfältigen Kommunikationsverbindungen, darunter auch den Flugmeldedienst, sicherstellte, was im Laufe des Krieges angesichts der immer stärkeren alliierten Luftüberlegenheit zunehmend weniger gelang. Kurz vor Kriegsende hatten all diese Luftverteidigungsmaßnahmen bei blauem Himmel über Erding offensichtlich versagt.
Louis Blériot (1872–1936), hier im Führerstand des von ihm konstruierten Flugzeugs »Blériot«, überquerte am 25. Juli 1909 als Erster den Ärmelkanal in einem Flugzeug.
Luftfahrzeuge waren immer schnell, nun wurden sie noch schneller und ihre Leistungsparameter Reichweite, Flughöhe sowie Zuladung stiegen gewaltig an. Sensationen bestimmten ihre Anfangsjahre: 1909 überwand Louis Blériot als Erster die 36 Kilometer zwischen Calais und Dover mit einem Flugzeug. Die Erfindung versprach aus zweierlei Gründen Zeitersparnis: Zum einen konnte er die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten nutzen: die Luftlinie. Zum anderen erreichte sein Eindecker Blériot XI, bestehend aus Holz, Draht, Leinwand und angetrieben von einem 25-PS-Motor, eine Geschwindigkeit von 74 km/h. Das mag aus heutiger Warte langsam sein, zeitgenössische Generalstäbe aber planten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 22,5 km/h bei Eisenbahnen, mit 8 km/h bei bespannten Kolonnen und mit 6 km/h bei marschierender Infanterie. Nur die wenigsten PKW, LKW und Krafträder erreichten vor 1914 die Geschwindigkeit eines Flugzeugs; zudem waren sie von den Straßenverhältnissen abhängig.
[16]Angesichts dieser Entwicklung überlegten bereits im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die meisten Armeen und Marinen weltweit, wie die neue Erfindung militärisch zu nutzen sei. Um 1910/12 wurden in vielen größeren Staaten die ersten Fliegertruppen aufgestellt. Die logistischen Herausforderungen waren jedoch von Beginn an hoch. Flugzeuge und ihre Bestandteile mussten von der Industrie an mehreren Orten und mithilfe von Zulieferern produziert, endmontiert, eingeflogen und an die Truppe ausgeliefert oder überführt werden. Dazu gehörten Flugzelle, Tragwerk, Fahrwerk, Leitwerk, Flug- und Triebwerk. Hinzu kamen während des Krieges: Waffen, Munition inklusive Abwurfmunition, Kameras und Funkgeräte.
Die Begeisterung für die Luftfahrt war groß. Vom Flugplatz Johannisthal bei Berlin startete am 11. Juni 1911 der erste Deutschlandflug-Wettbewerb.
Flugplätze in der Heimat und später im Feld wurden ebenso gebraucht wie Hangars, Werften und Bahnanschlüsse. Die Grasplätze hatten eine Ausdehnung von circa 1000 × 1000 Metern. Zum Entwässern der Start- und Landebahn waren häufig Drainagearbeiten notwendig. Es brauchte Personal mit entsprechender zivilberuflicher Qualifikation, das mit Holz, Leinwand, Lack, Farbe, Draht, Stahlrohr, Kamera, Film, Maschinengewehren (MG), Bomben, Funkgerät, Flugbenzin und Öl umgehen [17]konnte. Nicht umsonst kamen schon bei einer Feldfliegerabteilung ab 1914 auf einen Mann in der Luft rein rechnerisch zehn bis zwölf Mann am Boden, Tendenz steigend. Das bedeutete für die Verlegung einer Einheit, dass es nicht reichte, die Maschinen zu einem neuen Standort zu fliegen. Bodenpersonal und Logistik musste ebenfalls vor Ort sein, schließlich verbrauchte jedes Flugzeug pro Stunde etwa 40 Liter Treibstoff und einige Liter Öl. Zur weiteren Vergrößerung oder Veränderung der Fliegertruppen waren zusätzliche Ausbildungskapazitäten, neue Flugplätze, erfahrenes Ausbildungspersonal und Schulmaschinen notwendig: Es entstanden Flieger-, Fliegerbeobachter-, Flieger-Funker-, Flieger-Schützen- und Jagdflieger-Schulen.
Der Erste Weltkrieg begann als Bewegungskrieg und mündete besonders an der Westfront in einen jahrelangen Stellungskrieg mit lückenlosen Fronten oder Hauptkampflinien von der Nordsee bis zur Schweizer Grenze. Die Kavallerie konnte somit eine ihrer klassischen Rollen, die Nahaufklärung, nicht mehr erfüllen. An ihre Stelle traten in der [18]Folge die damals neuen Luftstreitkräfte. Nur ihnen war der Blick hinter die gegnerische Front möglich. Sie sorgten mit Meldeblock, Fernglas und Luftbildern für die Aufklärung im Nah- und Fernbereich. Zudem waren sie ein wichtiges Hilfsmittel der eigenen weitreichenden Artillerie, deren Batterien sie die Ziele und Lage ihres Feuers per Signalpistole und (Morse-)Funkgerät meldeten sowie nötigenfalls korrigierten. Der Gegner aber wollte natürlich weder entdeckt noch zum Angriffsziel werden. Daher wurden ab 1915 wendige einsitzige Jagdflugzeuge konstruiert, die diese Aufklärer mit Maschinengewehren bekämpften. In der Folge wurden die Aufklärer selbst bewaffnet und man gab ihnen eigene Jagdflieger zum Schutz bei.
Deutsches Aufklärungsflugzeug, vermutlich Albatros C III, im Flug über Frankreich. Der Beobachter-Offizier grüßt den Fotografen, 1915/16.
Ein weiterer Auftrag der neuen Luftstreitkräfte bestand darin, die Front, das gegnerische Hinterland, aber auch die Heimat des Gegners mit Bomben anzugreifen. Die ersten Bomben waren bereits 1911 im Osmanisch-Italienischen Krieg, also noch vor dem Ersten Weltkrieg, abgeworfen worden. 1914 wurde von Anfang an bombardiert. Ab 1916 steigerte sich der Bombenkrieg, in dem nun auch Luftschiffe und mehrmotorige Groß- und Riesenflugzeuge in Staffel- und Geschwader-Stärke eingesetzt wurden. Hinzu kam die unmittelbare Bekämpfung des Gegners an der Front durch Maschinengewehr- und Bombenangriffe.
Als Maßnahmen gegen diese Bedrohung aus der Luft wurden an der Front, im Hinterland und in der Heimat Flakbatterien, Flugabwehr-Maschinengewehre, Sperrballons und -drachen sowie Jagdstaffeln oder Heimatschutzstaffeln eingesetzt. Letztere sollten zusammen mit Verdunkelungsmaßnahmen für den Luftschutz sorgen.
Die meisten Aufträge, Einsatzarten und Flugzeugtypen der Luftstreitkräfte gab es somit bereits im Ersten Weltkrieg. Auch Bomberoffensiven waren schon angedacht. Über ihre Doktrinen wurde in der Zwischenkriegszeit intensiv diskutiert und die Luftkriegsmittel wurden als Tötungsinstrumente perfektioniert.
Zehn Jahre nach Blériot und einen Weltkrieg später folgte eine weitere Sensation: John Alcock und Arthur Whitten Brown überflogen als Erste die 3667 Kilometer lange Strecke von Neufundland nach Irland nonstop. [19]Sie nutzten einen umgebauten Doppeldecker aus Stahlrohr, Holz und Leinwand vom Typ Vickers Vimy, einen Bomber mit zwei 367-PS-Motoren, dessen Geschwindigkeit bei 225 km/h lag.
Der Pilot John Alcock (li.,1892–1919) und sein Navigator Arthur Whitten Brown (1886–1948) überquerten am 14./15. Juni 1919 als Erste den Atlantik von Neufundland nach Irland in einem Nonstop-Flug. Wenige Tage später schlug König Georg V. (1865–1936) sie zu Rittern.