Der Massentod von Veltheim - Reinhold Kölling - E-Book

Der Massentod von Veltheim E-Book

Reinhold Kölling

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Beschreibung

Veltheim, das kleine Dorf an der Weser, heute ein Teil der Stadt Porta Westfalica, hat eine lange, sehr interessante Geschichte. Der Ortsheimatpfleger Reinhold Kölling hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese für die Bürgerinnen und Bürger aufzuarbeiten und niederzuschreiben. In den ersten vier Bänden der Veltheimer Chronikreihe hat er vom "Leben am Fluss", dem "Anfang und Fortschritt", über das "Sportliche Dorf" und über eine "Zeitreise durch Veltheim" geschrieben. Dieser V. Band beschreibt ausführlich, ergänzt durch historische Fotos, ein schlimmes Unglück in Veltheim. Am 31.03.1925 starben 81 Menschen in der Weser bei einer Reichswehrübung. Diese Tragödie an der Weser in Veltheim ging damals durch die Weltpresse und die späteren Auswirkungen beschäftigten viele Jahre die Medien. Es handelte um das schlimmste Militärunglück der Reichswehr in Friedenszeiten.

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Seitenzahl: 91

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Verlages gestattet. Verwendung oder Verbreitung durch unautorisierte Dritte in allen gedruckten, audiovisuellen und akustischen Medien ist untersagt. Die Textrechte verbleiben beim Autor, dessen Einverständnis zur Veröffentlichung hier vorliegt. Für Satz- und Druckfehler keine Haftung.

 

 

 

Impressum

 

Reinhold Kölling

»Der Massentod von Veltheim – Das Reichwehrunglück am 31. März 1925 «

 

edition winterwork | Carl-Zeiss-Str. 3 | 04451 Borsdorf

[email protected]

www.edition-winterwork.de

© 2025 edition winterwork

 

Alle Rechte vorbehalten.

Satz: edition winterwork

Umschlag: edition winterwork

 

Druck/E-BOOK: winterwork Borsdorf

ISBN Druck 978-3-98913-158-3

ISBN E-BOOK 978-3-98913-185-9

Reinhold Kölling

 

 

Der Massentod von Veltheim

 

Das Reichwehrunglück am 31. März 1925

 

 

 

 

 

 

 

edition winterwork

Ein Wort zuvor

Bei einer Übung der Reichswehr ertranken am 31. März 1925 80 Soldaten der Reichswehr und ein Zivilist bei einer Übung in der Weser.

 

Die Nachrichten über dieses Unglück gingen damals durch die gesamte deutsche Presse und erregten darüber hinaus auch in der Weltpresse großes Aufsehen. Noch Jahrzehnte später wurde ich, wenn ich zufällig meinen Heimatort Veltheim erwähnte, auch von Fremden immer wieder gefragt: „Ist das das Veltheim, wo sich das große Unglück in der Weser ereignete?“

 

Der vier Wochen nach dem Unglück in Minden geführte Strafprozess, der den Hergang des Unglücks und die Schuld an der Katastrophe klären sollte, fand ebenfalls in ganz Deutschland und auch im Ausland große Beachtung.

 

Schon sehr früh habe ich mich mit dem Geschehen an der Fährstelle in Veltheim beschäftigt, denn besonders das Denkmal machte mich schon als Schüler neugierig.

 

Nach einem Bericht des Redakteurs Georg Strutz (erschienen in der Freien Presse, Minden, am 26.3.,29.3., 30.3., 31.3., 1.4. und 2.4.1955) habe ich die wichtigsten Tatsachen über das Unglück zusammengestellt. Der Redakteur Strutz kam etwa zwei Stunden nach dem Unglück als Zeitungsberichterstatter an die Unglücksstelle und hat mit vielen Augenzeugen des Unglücks gesprochen.

 

Eine weitere Grundlage für dieses Buch ist eine Zusammenfassung zu dem Geschehen von Otto Schwentker aus Hameln, die dieser 1988 verfasste und mir einige Jahre später zur Verfügung stellte. Weitere interessante Unterlagen, Schriftverkehr, Zeitungsberichte und Fotos erhielt ich von Ernst-Martin Rhein, dem Vorsitzenden der Traditionsgemeinschaft Inf./Gren.-Rgt. 18 Generalfeldmarschall v. Rundstedt. Auch hatte ich die Gelegenheit, mit älteren Veltheimer Zeitzeugen zu sprechen.

 

So sind im Laufe der Jahre viele Unterlagen, Dokumente und Schriftverkehr zu dem Geschehen zusammengekommen. Daraus ist der Inhalt dieses Buches entstanden. 100 Jahre nach dem schlimmen Unglück.

 

In den im Original bzw. Zitaten wiedergegebenen Schriften ist die damalige Rechtschreibung beibehalten worden.

 

Reinhold Kölling

Ortsheimatpfleger Veltheim

 

Versailler Vertrag und Aufbau der Reichswehr 1

Bei diesem Geschehen in Veltheim handelte es sich um das größte Unglück in der deutschen Militärgeschichte zu Friedenszeiten. Wie kam es dazu und welche weiteren Auswirkungen hatte dieses Unglück auf der Weser? Diese Fragen sollen mit dieser Schrift beantwortet werden. Um besonders auch die späteren Auswirkungen richtig einordnen zu können, zunächst eine Beschreibung der damaligen Situation.

 

Nach Beendigung des 1. Weltkriegs (das Deutsche Reich bot am 5.10.1918 den Waffenstillstand an), trat erst am 10.01.1920 der aufgezwungene Friedensvertrag in Kraft. Danach durfte das deutsche Heer nur 100.000 Mann und die deutsche Marine 15.000 Mann stark sein.

 

Durch die Annahme des Versailler Vertrags verpflichtete sich die damalige Reichsregierung, die Stärke und Rüstung der „vorläufigen Reichswehr“ innerhalb der gesetzten Fristen auf die vereinbarten Stärken zu vermindern. Aus innerpolitischen Gründen hatte das Übergangsheer Anfang 1919 noch 400.000 Mann und im Sommer 1920 noch eine Stärke von 200.000 Mann. Generalmajor von Seeckt, als Chef der Heeresleitung, versuchte auf der Konferenz von Spa im Juli 1920 vergeblich wegen der innerpolitischen Spannungen den Alliierten eine Stärke von 200.000 abzutrotzen. Die Siegermächte bestanden auf den Vereinbarungen des Versailler Vertrages und gestanden nur eine Verlängerung dessen Laufzeit zu. Danach musste das Heer bis zum 1.10.1920 auf 150.000 Mann und bis zum 1.01.1921 auf die vertragliche Zahl von 100.000 gebracht sein. 100.000 sollte die so genannte Friedensstärke sein.

 

Es folgte nun eine schwere Zeit des Aufbaues. Die bewaffnete Macht des Deutschen Reichs wurde wie vereinbart zunächst auf 100.000 Mann einschließlich höchstens 4.000 Offiziere für das Heer und 15.000 Mann einschließlich 1.500 Offiziere für die Kriegsmarine begrenzt. Selbst der Waffenbestand wurde genauestens festgelegt. Als Höchstbestände waren zugelassen:

84.000 Gewehre und 18.000 Karabiner, 792 schwere- und 1.134 leichte Maschinengewehre, 63 mittlere Minenwerfer und 189 leichte Minenwerfer. Zugelassen waren zudem 204 Kanonen und 84 Haubitzen.

 

Die Reichswehr war gegliedert in das Gruppenkommando I und das Gruppenkommando II.

 

Das Gruppenkommando I in Berlin mit vier Infanterie Divisionen in:

Königsberg, Stettin, Berlin und Dresden,

 

das Gruppenkommando II in Kassel mit drei Infanterie Divisionen in: Stuttgart, Münster, München und einer Kavallerie Division in Weimar.

 

Die Infanterie Divisionen hatten jeweils eine Stärke von 12.000 Mann, die Kavallerie Division eine Stärke von 5.300 Mann.

Das Reichswehr-Infanterie-Regiment 18

Dieses Regiment ist am 1.1.1921 gebildet worden. Der erste Regimentskommandeur war Oberst Felsch. Der Regimentsstab hatte seinen Sitz in Paderborn. Innerhalb dieses Regiments entstanden drei Bataillone in den Standorten Paderborn, Münster und Bückeburg. Ein Ausbildungsbataillon dieses Infanterie-Regiments 18 entstand am Standort Detmold aus Teilen des in Paderborn gebildeten Freikorps „Gabcke“, dass im Mai 1919 nach Detmold verlegt wurde und dem im September 1920 nach Detmold verlegten Infanterie-Regiment 14, das von Minden kommend aus dem bisherigen Freikorps „Severin“ entstanden war.

 

Dieses Ausbildungsbataillon spielte bei dem Geschehen auf der Weser bei Veltheim eine tragische Rolle.

Die Ausgangssituation

Am 26.03.1925 war das Ausbildungsbataillon vom Truppenübungsplatz Sennelager in seine Garnison Detmold zurückgekehrt. Die Stärke des Bataillons betrug 12 Offiziere, 45 Unteroffiziere und 306 Mannschaften. Die Rekrutenausbildung des Winterhalbjahres 1924/1925 war damit beendet.

 

Da zum Monatsende eine größere Geländeübung angesetzt war, sollte auch das Ausbildungsbataillon teilnehmen. Außer diesem Ausbildungsbataillon waren noch Teile des III. /Inf.Rgt.18, Pionierbataillon 6, Artillerieregiments 6, Reiterregiment 6 und Fahrabteilung 6 für diese Übung aufgeboten. Die Einsatzlage für das Ausbildungsbataillon sah einen Kraftfahrzeugmarsch bis zur Fährstelle Veltheim, Übersetzen mit einer Gierfähre und Eingreifen in den Kampf jenseits der Weser vor. 2

 

Das Bataillon setzte sich am 31.3.1925 wie befohlen rechtzeitig in Detmold in Marsch. Wegen der schlechten Straßenverhältnisse kam die Truppe mit 90 Minuten Verspätung an der Fährstelle an. Diese Verspätung erforderte ein schnelles Übersetzen des Bataillons, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Die erste Fahrt der Ponton- Fähre mit 24 Mann erfolgte ohne Schwierigkeiten.

 

Daraufhin wurde die Ponton-Fähre für die zweite Fahrt mit vier Offizieren und 145 Unteroffizieren und Mannschaften besetzt.

 

Was dann auf der Weser geschah, schilderten die Journalisten in den Tageszeitungen.3

Die ersten Pressemeldungen

Abbildung 1: Pressemitteilung 31.03.1925

 

 

„Minden, 1. April (Eigene Drahtmeldung). Über das gestern gemeldete Unglück bei der Veltheimer Reichswehrübung kann zur Stunde folgendes berichtet werden: Es sind 60 bis 70 Soldaten aller Dienstgrade vermißt. Die Zahl der angeschwemmten Leichen wird an offizieller Stelle mit zwei angegeben. Das Schicksal aller anderen schwebt im Dunkel, und der weitaus größte Teil muß wohl zu den Toten gerechnet werden.

 

Die Bergungsarbeiten leitet Oberst Lorenz, der Mindener Standortkommandant. Es helfen Pioniere, der Reichswasserschutz und die Technische Nothilfe. Die Ufer werden dauernd abgesucht. Die Bevölkerung wird gebeten, alle Angaben, die zur Aufklärung zweckdienlich sein können, dem Standortkommando in Minden, Fernsprecher 1392, mitzuteilen.

 

Die Ursache ist noch nicht aufgeklärt. Auch hier führt Oberst Lorenz die Untersuchung. Fest steht, daß es sich nicht, wie gestern berichtet wurde, um eine Brücke, sondern um eine Fähre handelt, die geborsten ist. Überlastung wird vielfach bestritten. Zugegeben wird, daß eine ungleiche Verteilung der Last die Ursache dafür gewesen sein kann, daß einer der vier Pontons plötzlich Wasser schluckte.“

 

„Hameln, den 1. April. Die Fahrt ins Grauen! Wie immer, wo auch nur eine Katastrophe auftritt: je winziger die Nachrichten, desto unbändiger die Fabel. Und von den Behörden war über das Reichswehrunglück bei Veltheim keine Auskunft zu erhalten. Die übliche Scheu vor der Öffentlichkeit! Bleibt nichts, als selbst hinzufahren, denn die Gerüchte gehen ins Phantastische und das Publikum verlangt Klarheit. Das Auto springt an, fliegt über Löcher und Kurven ……….. Veltheim!

 

Ein Dörfchen an der Weser zwischen Rinteln und Minden. Eine Fähre geht über den Strom, der etwa 90 Meter breit sein mag und gegenwärtig viel Wasser führt. Ein sanftes Gewässer ist Deutschlands freiester Strom ja nie gewesen, aber heute schießen die Wellen besonders drängend dahin. Der treibende Strohhalm hat’s eiliger denn je.

 

Das Nest voller Soldaten. Wie alle Umliegenden. Kein Wunder bei dem Ausmaß der Felddienstübung. Drei Bataillone Infanterie aus Osnabrück und Hameln (die Achtzehner), die Mindener Pioniere und Artilleristen, dazu die Hannoverschen Fahrer und Reiter, dazu die besonders schwer getroffenen Sechzehner Infanteristen aus Detmold, da bringt selbst unsere kleine Reichswehr Massen auf. Überall graue Röcke, trotzdem die Mehrzahl wieder zur Garnison zurückkehrte.

 

An der Fähre Menschen in lebhaftem Gespräch. Gleich hier ist es geschehen, drei Meter stromab. Es handelt sich um eine Pontonfähre. Drei der Pontons liegen noch drüben am Ufer, als ob nichts geschehen. Der Vierte…doch davon nachher! Vier sind es gewesen. Die Pioniere hatten sie überdeckt und zusammengekoppelt, wie es erprobter Brauch, aber als gerade die Detmolder und andere hinüber marschierten, muß die Last einmal ungleichmäßig verteilt gewesen sein. An einer Seite werden die Pontons tief gedrückt und schlucken Wasser, sinken. Die Brückenfähre bricht und kentert. Der eine Teil mit drei Pontons kippt. Es beginnt der Kampf Verzweifelter um die Rettungsboote; der andere Teil mit einem Ponton treibt mit seiner Menschenlast weiter, der Wasserlauf sich windet nach links, da kentert auch er und wirft junges Menschenleben in die Flut. Alles junge Ausbildungsmannschaften.

 

Am Bahnhof unweit stapft mit männlich beherrschter Nervosität, jemand hin und her, dem es sichtlich zu Herzen geht, ohnmächtig gegen das Schicksal zu sein: der Wehrkreiskommandeur. Ich frage, aber es ist wenig zu erfahren. Nicht barsche, aber fast eisige Zurückhaltung. Als ob der blaue Pot le merite den Atem verschnüre. Lassen wir ihn allein. Hat Sorgen genug.

 

Aber da, zwischen dem Troß, Vereinzelte in Drillich-Garnitur. Drüber den Mantel mit hochgeknüpftem Kragen. Statt Stiefeln Holzpantinen. Die müssen im Wasser gewesen sein! Und schon erzählt mir ein offenherziger Rheinlandssohn in dem typisch singenden Tonfall seiner Heimat, was er von dem Unglück weiß. Er selbst hat noch Zeit gehabt, schnell das Gepäck abzuwerfen, und konnte schwimmen. Viele hatten nicht die Zeit dazu und sanken unter der Last. Aber vielen gelang es auch, sich zu retten. Tornister treiben zahlreich auf dem Strom. Einen Toten hat man gefunden, der krampfte beide Hände, kaum löslich, um das Gewehr. So krampft die Verzweiflung. Und auch Mensch an Menschen! Entsetzlich müssen die Szenen gewesen sein. Etwa 150 Mann waren in dem Schreckensmoment auf dem Floß.